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Full text of "Geschichte der Slavischen literaturen"

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GESCHICHTE 

DER 

SLAVISCHEN  LITERATUREN. 


ZWEITER  BAND.    , 

BKSIB     HÄLFTE. 


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GESCHICHTE 


DER 


8LAYISCHEN  LITERATUREN 

A.  N.  PYPIN  UND  V.  D.  SPASOVIC. 

NACH  DKR  ZWEITEN  AUFLAGE  AVS  DEM  HUSSISCIIEK 

liBKRTKAGKN  V<1N 

TRAUGOTT  PECH. 

AUrOHISiRTR  ÄVSGAliE. 


ZWEITER  BAND. 
ERSTE   HÄLFTE. 

GESCHICHTE  DER  POLNISCHEN  LITERATUR, 
MIT  EINRM  VORWORT  VON  A.  N.  PYPIX. 


LEIPZIG: 

F.  A.  BROOKHADS. 


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Vorwort  des  Uebersetzers. 


Die  Herausgabe  des  zweiten  Bandes  dieses  Werkes  hat  sich  län- 
ger verzögert,  als  es  dem  üebersetzer  erwünscht  ist,  und  auch  jetzt 
vermag  er  zunächttt  nur  die  erste  Hälfte  des  Bandes  vorzulegen.  Es 
geschieht  dies  zugleich  im  Interesse  der  Leser,  um  ihnen  wenigstens 
wieder  einen  weitern  Theil  des  Werkes  baldmöglichst  zugänglich  zu 
machen.  Ausserdem  empfahl  sich  eine  solche  Theilung  auch  aus 
sachlichen  GrUnden.  Der  ganze  zweite  Band  wurde  in  der  Ueber- 
setzung  eiueu  starken,  unhandlichen  Band  von  ca.  60  Bogen  ge- 
geben haben.  Fast  genau  die  Hälfte  dieser  Bogenzahl  nimmt  die 
Vorrede  der  Verfasser  und  das  vierte  Kapitel,  „Der  polnische  Volks- 
sUmm",  ein.  Es  lag  daher  nahe,  dies  beides  abzutrennen  und  als 
erste  Hälfte  des  zweiten  Bandes  herauszugeben. 

Wie  schon  in  den  einleitenden  Worten  zum  ersten  Bande  be- 
merkt, beschrankt  sich  die  Betheiltgung  des  Herrn  Spasovic  (oder 
nach  polnischer  Schreibweise,  die  im  vierten  Kapitel  zur  An- 
wendung kommt;  Spasowicz)  auf  die  Darstellung  der  polnischen 
Literatur;  diese  hat  er  aber  auch  ganz  selbständig  verfasst.  Die 
nähern  Umstände  dieses  Verhältnisses  hat  Herr  Pypin  seihst 
in  dem  nachfolgenden  an  den  Uebersetzer  gerichteten  Briefe 
„Statt  eines  Vorworts"  auseinandergesetzt.  Es  wird  darin 
nnter  anderm  bemerkt ,  dass  Herr  Spasovic  mit  besonderer 
Ausführlichkeit  bei  der  neuen  Periode,  der  Literatur  der  polni- 
schen Emigration  (die  sich  hauptsächlich  an  die  Namen  Mickie- 
wicz,  ^owacki,  Krasinaki  knüpft),  verweilt  habe,  und  als  Grund 
dafür  angegeben,  dass  über  diese  Literatur  bisher  in  Kussland 
mit  Rücksicht  auf  die  Censurverhältnisse  nicht  geschrieben  wer- 
den  konnte.    Ohne  Zweifel  ist  dadurch  eine  gewisse  Ungleich- 

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VI  Vorwort  dea  üeberseteers. 

mässigkeit  in  die  Behaudlung  des  Stoffes  den  frühern  Perioden 
gegenüber  gekommen,  und  es  war  fraglicb,  ob  es  nicht  zweck- 
mässig sein  konnte,  diese  Ungteicbmä88^;keit  bei  der  deutschen 
Ausgabe  durch  Kürzungen  in  der  neuem  Periode  einigennassen 
auszugleichen,  zumal  da  das  Hinderniss  der  Censur  für  das 
deutsche  Publikum  nicht  bestand.  Der  Uebersetzer  hat  aber  von 
Kürzungen  abgesehen,  nicht  nur,  weil  es  schwierig  ist,  dabei 
die  richtige  Grenze  innezuhalten  und  immer  die  Intention  des 
Verfassers  genau  zu  treffen,  sondern  auch  im  Interesse  des  deut- 
schen Publikums  selbst.  War  das  letztere  auch  nicht  durch 
Censurverhältnisse  verhindert,  die  polnische  Emigrationsliteratur 
kennen  zu  lernen,  so  ist  sie  ihm  doch  tbatsächlicb  im  Ganzen 
ebenso  wenig  bekannt,  wie  dem  russischen  Publikum.  Erst  in 
den  letztem  Jahren  hat  sich  eine  grössere  Thätigkeit  im  Ueber- 
setzen  aus  dem  Polnischen  entwickelt,  die  insbesondere  auch 
den  oben  genannten  drei  grossen  Dichtern  zugute  kommt.  Aber 
alles  das  ist  noch  in  den  Anfängen  begriffen;  viele  wichtige 
Werke  sind  noch  unübersetzt,  oder  die  Uebersetzungen  noch  nicht 
publicirt  und  daher  dem  deutschen  Publikum  nicht  zugänglich; 
rücksichttich  ihrer  wird  die  ausfiihrliche  Arbeit  des  Herrn  Spa- 
sovic  eine  willkommene  Quelle  der  Belehrung  bieten.  Aber  auch 
bei  den  Werken,  die  schon  durch  Uebersetzungen  zugänglich  sind, 
wird  ein  so  kundiger  Führer,  wie  Herr  Spasoviö,  der  den  gerade 
bei  jenen  Dichtern  durch  ihre  poetische  Phantasie  oft  sehr  ver- 
hüllten Kern  der  Werke  in  scharfsinniger  Weise  klarlegt,  sie 
mit  der  Zeitgeschichte,  den  bestehenden  Culturverhältnissen  und 
Lebensanscbauungen  in  Polen  verknüpft,  ihren  Zusammenhang 
mit  der  Weltliteratur  und  ihre  Stellung  in  derselben  nachweist, 
nicht  unerwünscht  sein. 

Die  citirten  Stellen  aus  den  polnischen  Schriftstellern  hat 
der  Uebersetzer,  so  weit  es  möglich  war,  den  polnischen  Origi- 
nalen oder  vorhandenen  deutseben  Uebersetzungen,  die  dann  mit 
als  Quelle  angeführt  sind,  entnommen.  Doch  waren  dabei  die 
Grenzen  freilich  eng,  da  die  Zahl  der  zur  Verfügung  stehenden 
Originale  und  deutschen  Uebersetzungen  gering  war.  In  den 
meisten  Fällen  musste  er  sich  mit  einer  Reproduction  der  russi- 
schen Uebersetzungen  des  Originals  begnügen.  Das  letztere  gilt 
im  allgemeinen  auch  für  die  übrigen  Abtheilungen  des  Buches, 
nur  war  bei  der  polnischen  besonderer  Anlass  davon  zu  reden, 
wegen  der  darin  vorkommenden  zum  Theil   sehr    umfänglichen 

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Vorwort  des  Uebergetzers.  TU 

Citate  ans  polnischen  Schriftstellern  und  ihres  oft  sehr  specifi- 
schen  Inhalts,  den  jede  Üebersetzung  nur  in  einem  mehr  oder 
weniger  gebrochenen  Lichte  wiedergeben  kann,  geschweige  denn 
die  Üebersetzung  einer  Uebersetzuog.  Uebrigens  konnten  die 
rossischen  Hei-ausgeber  nicht  selten  unmittelbar  in  den  ihren 
Lesern  nicht  fernstehenden  slavischen  Originalsprachen  citiren. 
Solche  Citate  kommen  wirklich  anter  andern  auch  in  der  polni- 
schen Abtheilung  neben  übersetzten  Citaten  vor,  insbesondere 
bei  Proben  aus  Dichtern;  namentlich  waren  sie  aber  in  der  bul- 
garischen, serbischen  und  kleinrussischen  Sprache  möglich,  sodass 
in  den  betreffenden  Abtheilungen  (im  ersten  Bande)  ^in  Zurück- 
greifen des  Uebersetzers  auf  die  Originalwerke  meist  gar  nicht 
in  Betracht  kam.  In  einzelnen  Fällen  glaubte  der  Uebersetzer 
Citate  der  letztem  Art  auch  ohne  Nachtheil  weglassen  oder  im 
Auszug  mittheilen  zu  können,  namentlich  wenn  das  Interesse  mehr 
in  Aeusserlichk^iten,  z.B.  der  Sprache,  der  Form  der  Darstellang, 
nlg  im  Inhalt  lag.  Darin,  neben  Accomodationen  an  den  neuen 
Leserkreis  hier  und  da  im  Ansäruck,  wie  sie  in  keiner  Üebersetzung 
zu  vermeiden  sind,  oder  an  die  veränderten  Zeitverhältnisae  (z.  B- 
wurde  der  bulgarische  Theil  des  Originals  während  des  russisch- 
türkischen  Krieges,  die  Üebersetzung  nach  Abschluss  desselben 
und  Feststellung  seiner  Resultate  verfasst),  bestehen  die  Abwei- 
chungen vom  Original,  die  im  Vorwort  zum  ersten  Bande  erwähnt 
wurden.  Ganz  ungerechtfertigter  Weise  hat  der  Referent  eines 
rassischen  Blattes  in  diesem  ,, Bekenn toies"  Tendenziositiit  ge- 
wittert. Sie  lag  dem  Uebersetzer  durchaus  fern,  wie  sich  jeder 
Unparteiische  durch  Vergleichung  des  Originals  mit  der  Üeber- 
setzung überzeugen  kann. 

Dem  Publikum  der  deutschen  Ausgabe  wird  es  von  Interesse 
sein,  dass  in  derselben  auch  einige  deutsche  Werke  über  die  pol- 
nische Literatur,  und  insbesondere,  wenn  von  citirten  polnischen 
Werken  deutsche  TJebersetzungen  vorhanden  waren,  auch  diese 
an  den  betreffenden  Stellen  mit  angeführt  sind.  Doch  lag  es 
sei bstrerstünd lieh  nicht  in  dem  Zwecke  des  Werkes,  darin  abso- 
lute Vollständigkeit  zu  erstreben.  In  den  übrigen  Abtheilungen 
des  Buches  waren  die  Uebersetzungen  gleich  im  Original  mit 
berücksichtigt. 

Statt  der  Vorreden  der  Verfasser,  die  für  den  zweiten  Band 
versprochen  waren,  wird  dem  Werke  jetzt  eine  neue  Vorrede  oder 
vielmehr  die  Vertreterin  einer  solchen  beigegeben,  die  Herr  Pypin 

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YIII  Vorwort  des  Ueboreeiiers. 

speciell  für  die  deutsche  Ausgabe  geschrieben  hat.  Darin  ist 
alles  das  ausgeschieden,  was  in  den  Originalrorreden  nur  Inter- 
esse für  russisclie,  resp.  slavische  Leser  haben  konnte,  dagegen 
sind  die  allgemeinen  Gesichtspunkte  umeomehr  hervoi^ehoben, 
von  denen  sich  der  Verfasser  (er  spricht  zugleich  im  Kamen  sei- 
nes Mitarbeiters,  Herrn  Spaeovi£)  hat  leiten  lassen.  Die  deutsche 
Uebersetzuiig  erhält  dadurch  einen  selbständigen  Werth  auch  für 
die  Besitzer  der  russischen  Ausgabe. 

Herr  Pypin  hat  die  Freundlichkeit  gehabt,  dieses  „Statt  eines 
Vorworts"  als  „Brief  an  den  tiehersetzer"  zu  bezeichnen,  und 
gedenkt  zugleich  in  den  Eingangsworten  in  anerkennender  Weise 
der  Thätigkeit  desselben.  Indem  letzterer  diese  Anerkennung  mit 
Dank  acceptirt,  sowie  auch  für  die  allerseits  günstige  Aufnahme 
dankt,  welche  der  erste  Band  der  deutschen  Ausgabe  in  den  Krei- 
sen der  Wissenschaft  und  der  Presse  gefunden  hat,  muss  er  doch 
einen  beträchtlichen  Theil  dieser  Anerkennung  Kof  die  Herren 
übertragen,  die  ihm  bei  seiner  zum  Theil  nicht  leichten  Arbeit 
durch  Rath  und  That  unterstützt  haben.  Es  ist  dies  vor  allem 
Herr  Professor  Dr.  August  Leskien  in  Leipzig,  welcher  sich  der 
grossen  Mühe  unterzogen  hat,  eine  Correctur  des  ganzen  Werkes, 
von  Anfang  an,  nach  dem  Original  zu  lesen.  Dieser  ebenso  vor- 
züglichen als  hochherzigen  Unterstützung  bat  das  Buch  in  erster 
Linie  zu  danken,  wenn  en  durchgehends  eine  sachkundige  Ueber- 
setzung  geworden  ist.  Nach  ihm  hat  dann  noch  zi^  grösserer 
Correctheit  der  Details  ein  wissenschaftlicher  und,  worauf  es 
hier  besonders  ankam,  auch  praktischer  Kenner  der  slawischen 
Sprachen  und  Literaturen,  ein  Landsmann  des  Uebersetzers, 
Herr  Pfarrer  Michael  Hörnik  in  Bautzen,  eine  Revision  des 
ganzen  Werkes,  ebenfalls  von  Anfang  an,  gelesen.  Der  Heber-- 
Setzer  spricht  beiden  Herren,  die  im  Vorwort  zum  ersten  Bande 
nicht  genannt  sein  wollten,  Tür  den  ihm  und  mehr  noch  der 
Wissenschaft  erwiesenen  grossen  Dienst  wiederholt  den  auf- 
richtigsten Dank  aus.  Möge  diese  Ausgabe  des  Werkes  — 
selbst  ein  Product  freundschaftlichen  Zusammenwirkens  von 
Deutschen  und  Slaven  auf  dem  Felde  der  Wissenschaft  —  einen 
Beitrag  zum  bessern  gegenseitigen  Verständniss  der  beiden  gros- 
sen Völker  liefern. 

Die  zweite  Hälfte  des  zweiten  Bandes  in  deutscher  Ausgabe 
ist  bereits  im  Druck  und  wird  hoffentlich  noch  vor  Ende  des 
laufenden  Jahres  zur  Ausgabe  gelangen  können.    Sie   wird  den 

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Vorwort  des  Uebcrsutzcre.  IX 

Rest  der  Literaturen  der  slaviechen  „  R^n^is^'^'' "  enthalten, 
nämlich  im  fünften  Kapitel  den  cechiBch-slovakischen  Volksstamm, 
im  sechsten  das  baltische  Slaventlmm  mit  den  Laueitzer  Serben 
behandeln,  ferner  im  siebenten  eine  Schlussabhandlung  über  die 
slavische  „Renaiesance",  endlich  Berichtigungen  und  Nachträge, 
sowie  —  alles  wie  im  Original  —  ein  Gesammtregister  für  beide 
Bände  bringen. 

Die  grossrussische  Literatur,  welche  ein  Werk  für  sich  und 
zugleich  den  dritten  Band  der  vorliegenden  „Geschichte  der  sla- 
TJscben  Literaturen"  bilden  soll,  ist,  wie  aus  den  nachfolgenden 
Mittheilungeu  des  Herrn  Pypin  zu  ersehen,  im  Original  noch 
nicht  fertig. 

Noch  über  einen  allgemeinen,  das  ganze  Werk  betreffenden 
I'unkt  mnss  sich  der  Uebersetzer  aussprechen.  Seitens  der  Kritik 
ist  der  Wunsch  geäussert  worden,  dass  auch  den  in  den  Anmer- 
kangeu  angeführten  elavischen  Titeln  deutsche  üebersetzungen 
beigegeben  werden  möchten ,  indem  dadurch  diese  Titel  für 
den  deutschen  Leser  sozusagen  belebt  würden.  Die  Richtigkeit 
dieser  Ansicht  soll  durchaus  nicht  bestritten  werden,  aber  die 
praktische  Folge  eines  solchen  Vorgehens  wäre  gewesen,  dass 
sich  die  ohnehin  oft  sehr  langen  Anmerkungen  noch  fast  um  das 
Doppelte  vergrössert  hätten.  Die  Quellenangaben  sind  ausserdem 
hauptsächlich  nur  für  die  Forscher  bestimmt,  welche  in  die  Ein- 
zelheiten der  Darstellungen  des  Buches  tiefer  eindringen  wollen, 
und  fUr  diese  ist  Kenntniss  der  slavischen  Sprachen  unerlasslich. 
Nur  bei  Werken,  die  gewissermassen  mit  zum  Text  gehören  und 
nur  au»  irgendwelchen  äussern  Gründen  in  die  Anmerkungen 
gewiesen  sind  (wie  z.  B.  bei  besprochenen  Schriftstellern  die 
Ton  denselben  —  nicht  über  dieselben  —  geschriebenen  Werke), 
schien  es  allerdings  nöthig,  den  slawischen  Titeln  auch  deutsche 
Üebersetzungen  beizugeben,  und  dies  zu  thun  hat  sich  der  Her- 
ausgeber nach  Möglichkeit  bemüht. 

So  sei  denn  hiermit  auch  der  zweite  Band  einer  freundlichen 
Aufnahme  empfohlen. 

Leipzig,  im  Juni  1883. 

Trangott  Pech. 


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statt  eines  Vorworts. 

Vom  Verfasser  des  Originals  zugleich  im  Namen  seines  Mitarbeiters. 

(Brief  ui  den  Uebersetzer.) 


Ihr  Vorschlag,  eine  besondere  Vorrede  zn  der  deutschen 
AuBgabe  dieses  Buchs  zu  schreiben,  bringt  mich  gewissermaseen 
ia  Verlegenheit.  Um  sich  an  ein  fremdes  Publikum  mit  einer 
förmlichen  „Vorrede"  zu  wenden,  müsate  man  wol  mit  den  gegen- 
wärtigen Ansichten  und  der  Stimmung  desselben  besser  bekannt 
sein,  als  es  mir  hier  in  Petei^burg  möglich  ist.  Zur  Vermeidung 
einer  solchen  Prätension  habe  ich  es  daher  vorgezogen,  Ihnen 
einfach  die  Frage  zu  beantworten;  von  welchen  allgemeinen  Ge- 
sichtspunkten ich  bei  meiner  Arbeit  ausgegangen  bin.  Und  dann 
gibt  mir  die  Zuschrift  an  Sie  vor  allem  Gelegenheit,  Ihnen  mei- 
nen aufrichtigen  Dank  für  die  sorgrältige  Ausführung  Ihrer 
Arbeit  auszusprechen,  die  mir  ja  erst  das  Vergnügen  schafft, 
mein  und  des  Herrn  Spasovi^  Buch  in  eine  der  grössteu  Welt- 
literaturen eingeführt  zu  sehen. 

Doch  nun  zur  Sache! 


Seit  den  letzten  Decennien  des  1  H.Jahrhunderts  hat  unter  den 
slaviscbeu  Stämmen  eine  politische,  civilisatoriscbe  und  literari- 
sche Bewegung  begonnen,  die  besonders  charakteristisch  bei  den 
Stämmen  ist,  welche  bisher  von  der  Geschiebte  fast  ganz  ver- 
gessen zu  sein  schienen:  wie  die  Bulgaren  und  Serben  unter  dem 
türkischen  Joch,  oder  die  Cechen,  die  Lausitzer-Serben  (Wen- 
den)   und    Slovenen   bei    rasch   fortschreitendem  Verluste   ihrer 


....,  Google 


Vom  Veriasaer  des  Originaln.  XI 

Nationalität  unter  dem  Einflnss  der  deutschen  Politik  und  Cul- 
tur,  oder  die  österreichischen  Serbo-Kroaten  und  die  Slovaken 
unter  dem  deutschen  und  niagyariechen,;  dabei  zugleich  römiech- 
katholiscben  EinfluBB.  In  der  Literatur  des  russischen  Volkes, 
das  unabhängig  und  mächtig  war,  und  in  der  Literatur  der  Polen, 
die  zwar  in  dieser  Periode  schon  ihre  politische  Selbständigkeit 
Terloren  hatten,  aber  noch  vor  kurzem  frei  waren  and  ihre  be- 
wegte Geschichte  und  reiche  Literatur  hatten,  begann  eben- 
falls ein  besonderes  Aufleben  in  nationaler  Richtung.  Alles  zu- 
sammengenommen bildet  diejenige  historische  Erscheinung,  welche 
man  die  nationaJe  Renaissance  des  Slarenthums  nennt, 
und  die  mit  einem  ähnlichen  Aufleben  des  Nationalitäteprinoips 
bei  den  germanischen  und  romanischen  Völkern  seit  Ende  des 
vorigen  und  besonders  seit  Anfang  des  jetzigen  Jahrhunderts, 
parallel  läuft. 

Die  nationale  RenaisBance  der  elavischen  Völker  begann  (bei 
den  besonders  verwahrlosten  Stämmen)  mit  dem  Auftauchen  ele- 
mentarer Literatnrinteressen,  bisweilen  mit  dem  ersten  Auftau- 
chen einer  Literatursprache  auf  Grundlage  der  Volkssprache  (bei 
den  Bulgaren,  Serben,  den  Russinen,  den  Lausitzer  Serben  u.  s.  w.), 
mit  der  Sorge  um  die  vernachlässigte  oder  früher  gar  nicht  vor- 
handene Bildung  des  Volkes  (in  Russland  mit  den  ersten  Ge- 
danken an  dieNothwendigkeit  der  Bauernbefreiung);  sie  verband 
sich  mit  patriotischen  Erinnerungen  an  eine  glücklichere  und 
ruhmvollere  Vergangenheit,  führte  zum  Selbstbewusstaein,  und 
schloss  bei  den  geknechteten  und  mehr  oder  weniger  ab- 
hängigen Stämmen  mit  Bestrebungen  nach  politiäcber  Unab- 
hängigkeit oder  nationaler  Gleichberechtigung.  Der  übereinstim- 
mende Gang  in  der  ältesten  Geschichte  und  Oultur  aller  Stämme; 
der  Parallelismns,  der  sich  bei  ihnen  in  der  historischen  und 
poetischen  Restaurirung  der  Vergangenheit  und  in  der  Erfor- 
schung des  gegenwärtigen  Volksthums  offenbarte;  das  Zusam- 
mentreffen einiger  den  nationalen  Bestrebungen  günstiger  poli- 
tischer Ereignisse;  endlich  ein  gemeinsames  Stammesgefühl  und 
-Bewusstsein  —  haben  unter  den  Literaturen  und  den  patrio- 
tischen Bestrebungen  der  Slaven  eine  gewisse  Gemeinsamkeit  und 
Solidarität,  und  (besonders  seit  den  dreissiger  Jahren)  als  Protest 
gegen  die  Unbilligkeit  der  Geschichte  und  die  noch  fortdauernde 
Keindscbaft  anderer  Völker  —  den  sogenannten  Panslavismus 
geschaffen,  über  den  noch  bis  zu  diesem  Augenblick  so  viele  und 

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XII  statt  eiuca  Vorworta. 

SO  leidenschaftliche  und  so  übertriebene  Streitigkeiten  heiTBchen, 
und  dessen  wahrer  Sinn  und  dessen  Dimensionen  immer  noch 
zum  grossen  Theil  den  streitenden  Parteien  unklar  bleiben. 

Darin  liegt  gegenwärtig  das  nationale,  culturhistorische  und 
politische  Interesse,  das  mit  der  Erforschung  der  slavischen 
Literaturen,  besonders  in  deren  neuester  Periode  verknüpft  ist. 
Dieser  Erforschung  muss  ein  allgemein  wissenschaftliches  Inter- 
esse zu  Grunde  liegen:  die  historische  Aufhellung  des  innem 
Lebens  eines  der  grossen  Stämme  der  earopäischen  Völkerfamilie. 
Nur  in  der  Unparteilichkeit  und  Vollständigkeit  wissenschaftlicher 
Untersuchung  kann  ein  richtiges  Verständniss  des  historischen 
Charakters  dieses  Stammes  und  eine  gerechte  Würdigung  seiner 
gegenwärtigen  Bestrebungen  gewonnen  werden;  nur  so  kann  es 
.  begreiäich  werden,  dass  das  Slaventhum  keine  Europa  fremde  und 
gewisse rmassen  seine  Civilisation  bedrohende  Welt  bildet  —  wie 
80  oft  von  seinen  fanatischen  Feinden  behauptet  wurde  — ~,  son- 
dern dass  es  eben  nur  ein  verwandter  Zweig  dieser  Welt  ist,  der 
mit  ihr  den  gleichen  Weg  der  Bildung  und  zu  den  gleichen  Zielen 
eines  möglichst  allgemeinen  nationalen  Wohlstandes  geht.  Das 
Slaventhum  hat  später  als  die  andern  Stämme  des  arischen  Eu- 
ropa den  Schauplatz  der  Geschichte  betreten,  und  schon  dies  allein 
legte  den  Grund  zu  der  grossen  Verschiedenheit  seiner  weitern 
Schicksale  von  denen  Westeuropas.  Es  trat  in  die  Geschichte 
mit  einer  nationalen  Individualität  ein,  die  sich  durch  anders 
geartete  Bedingungen  des  Bodens  und  des  Lebens  gebildet  hatte, 
aber  bekundete  doch  gleich  mit  den  ersten  Schritten  seinen  eu- 
ropäischen Culturcharakter,  nimmt,  mit  der  europäischen  Völker- 
familie eng  verbunden,  in  verschiedener  Weise  an  den  Schick- 
salen derselben  theil,  und  liefert  seine  bedeutenden  Beiträge  zu 
deren  Entwickelung.  Seit  den  ältesten  Zeiten  macht  sich  in  der 
slavischen  Welt  ein  starkes  Streben  nach  Bildung  bemerkbar, 
wobei  sie  sich  ganz  wie  das  westliche  Europa,  wenn  auch  in  an- 
derer Weise  und  indirect,  der  antiken  Culturtradition  anschliesst, 
aber  sich  dann  wieder  von  Westeuropa  trennt,  da  sie  (im  Süden 
und  Osten)  das  Christenthum  in  dessen  orientalischer,  byzantini- 
scher Form  annahm.  Die  Cultur  gelangte  zu  den  Slaven  sowol 
vom  römisch-germanischen  Westen  als  vom  byzantinischen  Süden, 
dem  —  wie  es  sich  jetzt  immer  mehr  herausstellt  —  auch  die 
westeuropäischen  Völker  für  ihre  Cultur  in  verschiedener  Weise 
verpflichtet  sind. 

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Vom  Verfasser  des  Originals.  XIII 

Das  Zeitalter  Simeon's  von  Bulgarien,  der  Fürsten  von  Kiew 
in  Rassland,  Stephan  Dusan's  in  Serbien,  Karl's  IV.  in  Bölimeu 
waren  fürwahr  rühmliehe  Epochen  in  der  slavisclien  Geschichte 
nnd  Literatnr.  Auf  der  BalkanhalbinBel  drang  byzantinische 
and  italienische  Kunst  ein  and  fand  ihre  Entwickelung;  byzan- 
tinische and  westeuropäische  Einflüsse  reichten  in  der  alten  Po- 
riode  nicht  nar  bis  Kiew  und  Nowgorod,  sondern  auch  in  die 
entlegenen  Länder  Ostrusslands.  Die  literarische  Thätigkeit  des 
östlicheo  Slaventhums  brachte  in  seiner  alten  Periode  bedeu- 
tende and  selbständige  Werke  hervor  (wie  die  Annalen  Nestor's, 
das  Lied  vomHecreszuglgor's);  die  populäre  Religion  nnd  Poesie 
des  Westens  und  des  slavischen  Ostens  nährte  sich  im  Mittelalter 
an^anz  denselben  Legenden,  an  derselben  Kosmogonie  und  Escha- 
tologie,  an  denselben  Wunder-  und  Heldensagen,  und  in  neuerer 
Zeit  zeigt  die  Untersuchung  slavisch-russischer  Denkmäler  nicht 
selten  in  überaus  interessanter  Weise  den  überwachsenen  und  ver- 
gessenen Pfad,  auf  dem  solche  Werke  der  mittelalterlichen  Poesie 
ihre  Verbreitung  gefunden  haben  aus  der  gemeinsamen  Quelle 
in  Byzanz  ....  Mit  einem  Wort,  die  alte  Periode  trug  vielver- 
sprechende Keime  der  Bildung  und  Cultur  in  sich,  als  die  Stürme 
der  Mongolen,  Tataren  und  Türken  auf  das  in  Entfaltung  begrif- 
fene Leben  der  Ost-  und  SUdslaven  losbrachen  und  eine  entsetz- 
liche Verwüstung  anrichteten.  Slavische  Reiche  (das  bulgarische 
nnd  serbische)  wurden  zertrümmert;  ganze  Stämme  fielen  in  bit- 
terste Sklaverei,  verloren  die  Früchte  ihrer  frühern  Bildung  und 
die  Möglichkeit,  eine  neue  zu  erwerben,  kehrten  fast  zum  Urzustand 
zurück.  Es  ist  schon  ausgesprochen  worden  und  bleibt  wahr,  dass 
das  Slaventhum  jene  Einfälle,  die  Westeuropa  bedrohten,  auf  seine 
Schultern  genommen,  und  so  eine  Schutzmauer  desselben  gebil- 
det hat.  Der  Kampf  mit  der  asiatischen  SündHut,  der  mit  dem 
13.  Jahrhundert,  und  sogar  schon  früher,  vom  russischen  Volke 
aufgenommen  wurde  und  sich  ganze  Jahrhunderte  lang  hinzog, 
ging  schliesslich  zur  Offensive  über;  in  Asien  öfTnet  die  russische 
Eroberung  den  Weg  für  die  europäische  Cultur,  in  Europa  dürfte 
der  Kampf  kaum  abgeschlossen  sein  durch  die  Befreiung  Bulga- 
riens in  unsern  Tagen.  ...  Im  slavischen  Westen  fiel  auch  der 
cechische  Stamm  im  nationalreligiösen  Kampfe  mit  dem  deutschen 
Katholicismus,  mit  Hinterlassung  eines  grossen  Resultats  für  die 
ganze  geistige  Entwickelung  Europas.  An  der  Orenzscheide  des 
Mittelalters  und  der  neuern  Zeit  erscheinen  zwei  slavische  Namen 

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XIV  Statt  einea  VorwortB. 

als  Vorboten  groBser  Fortschritte  der  Aufklärung  —  Huss  und 
Copernicus.  An  derselbeD  Grenzscheide  fesselt  die  Aufmerksam- 
keit des  Historikern  das  glänzende  Aufblühen  der  dalmatinischen 
Literatur  in  einer  eigenartigen  Verschmelzung  slavischer  Nationa- 
lität mit  italienischen  Idealen  der  Poesie,  Wissenschaft  uud  Kunst. 
Vom  18.  Jahrhundert  an  standen  als  die  kräftigsten  Literaturen  die 
polnische  und  insbesondere  die  russische  da.  Nach  Jahrhunderten 
der  FJnsterniss,  nach  einem  schweren  äussern  Kampfe  und  nach 
dem  nicht  weniger  schwierigen  Bildungsprocess  einer  staatlichen 
Einheit  betritt  Russland  mit  Peter  dem  Grossen  wieder  den  Weg 
der  europäischen  Bildung,  von  dem  es  einst  durch  die  Verhee- 
rungen der  Tataren  abgelenkt  war.  Die  russische  Literatur  eilt, 
sich  die  Errungenschaften  der  wissenschaftlichen  und  humanistiäth- 
poetischeu  Entwickelung  Europas  anzueignen,  wobei  sie,  innerhalb 
eines  Jahrhunderts  die  verschiedenen  Entwickelungsstufen  dessel- 
ben durchlaufend,  im  gegenwärtigen  Jahrhundert  eine  bedeutende 
poetische  Vollendung  und  Selbständigkeit  des  Inhalts  erlangte. 
Die  russische  Wissenschaft  findet  Achtung  in  den  Gelehrten- 
kreisen Europas,  russische  Schriftsteller  cursiren  in  Uebersetzun- 
gen  in  allen  europäischen  Literaturen;  vor  kurzem  erregte  ein 
russischer  Künstler  Bewunderung  iu  den  europäischen  Haupt- 
städten als  ein  Vertreter  der  Kunst  ersten  Ranges,  der  ihr  neue 
Aufgaben  stellt. 

Bei  diesem  historischen  Umfang  und  bei  der  Mannichfaltigkeit 
der  ethnographischen  Eigenthümlichkeiten  zeigen  die  slavischen 
Literaturen  viel  eigenartigen  nationalen  Charakter  in  den  religiö- 
sen, ethischen,  gesellschaftlichen  Bestrebungen,  in  der  Poesie  und 
Kunst,  und  —  bei  aller  Verschiedenheit  des  Slaventhums  von  den 
romanisch-germanischen  Völkerschaften— doch  den  gleichen  euro- 
päischen Charakter  ihrer  Ideale.  Sowol  in  der  alten  als  in  der 
neuen  Periode  seiner  Geschichte  schloss  sich  das  Slaventhum 
naturgemäss  der  europäischen  Bewegung  an,  die  ihm  gleichartige 
Aufgaben  des  Denkens  und  einen  gleichartigen  Charakter  der 
Poesie  brachte,  und  trat  selbst  in  dieser  Richtung  thätig  auf. 
Aber  da  es  erst  später  die  Arena  der  Geschichte  betrat,  bewahrt 
es  noch  gegenwärtig  von  seinem  alten  Wesen  und  seinen  natio- 
nalen Ueberlieferungen  vieles,  was  bereits  bei  den  westeuropäi- 
schen Völkern  verkümmert  ist  (und  was  den  Gegenstand  eif- 
rigster Studien  und  edler  Begeisterung  für  den  romantischen 
Alterthumsforscber  bildet),  vieles  von  der  urspi-ünglichen  Frische 

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Vom  Verfa»Ber  des  Originals.  XV 

de«  Nationalcharaktere,  wofür  eine  reiche  eigenartige  Volks- 
poesie ala  Zeugniss  dient,  die  von  den  Sammlern  noch  bis 
heate  nicht  erschöpft  ist,  und  im  gegenwärtigen  Jahrhundert 
der  gelehrten  Forschung  ein  lebendiges  Muster  des  homerischen 
Epos  lieferte  (bei  den  Serben,  Bulgaren  und  Russen).  Die  Hin- 
Wendung  zu  dieser  Poesie,  überhaupt  zu  den  originalen  Seiten 
des  Volksthums  bildet  eine  der  ersten  Erscheinungen  und  zugleich 
einen  der  stärksten  Factoren  der  neuern  Wiederbelebung  der 
Slaven.  Die  neue  Periode  ihres  literarischen  Lebens,  auf  der 
Basis  des  Volksthums  und  in  Verbindung  mit  den  vorzüglichsten 
Resultaten  der  europäischen  Ideen  und  Poesien,  hat  eine  Reihe 
bedeutender  Schriftsteller  hervorgebracht,  die  tbeils  gross  durch 
ihre  nationale  Bedeutung,  tbeils  auch  werthvoU  für  die  gesammt- 
enropäische  Literatur  sind ;  dahin  sind  zu  zählen  KoU&r,  Mickie- 
wicz,  Puskin;  die  Schriftsteller  der  neuern  russischen  Literatur, 
Gogol,  Turgenev,  Saltykov,  L.  Tolstoj,  haben  die  Aufmerksam- 
keit auf  sich  gelenkt  als  reich  begabte  Talente  von  scharf  ausge- 
prägtem nationalem  Charakter  und  von  tiefem  poetischem  Rea- 
lismns,  worin  ihneu  nur  wenige  europäische  Schriftsteller  gleich- 
gestellt werden  können. 

In  der  vorliegenden  lieber  Setzung  tritt  das  Buch  in  die 
deutsche  Literatur  zu  einer  Zeit  ein,  die  nicht  viel  Hoffnung 
auf  Sympathie  oder  wenigstens  Unparteilichkeit  für  den  be- 
handelten Gegenstand  bietet.  Leider  unterliegt  es  keinem 
Zweifel,  dass  ein  Gefühl  der  Feindschaft  zwischen  den  beiden 
Stämmen  besteht.  Von  der  Geschichte  überliefert,  d.  i.  aus 
Jahrhunderten  herstammend,  deren  Barbarei  in  andern  Be- 
ziehungen längst  anerkannt  und  verurtheilt  ist,  wird  dieses 
Gefühl  selbst  bis  in  die  neueste  Zeit  durch  die  groben 
Instincte  der  Massen,  durch  falsche  Politik  der  Regierun- 
gen genährt,  durch  schlechte,  die  unterworfenen  Völker  be- 
drückende Institutionen  gefördert  und  durch  die  Enthusiasten 
und  Fanatiker  auf  beiden  Seiten  geschürt.  Die  wahre  Bildung 
{fast  sonderbar  wäre  es,  an  die  christliche  Moral  zu  erinnern, 
auf  die  sich  die  Bedriicker  so  oft  berufen)  verurtheilt  eine 
solche  Feindschaft  als  rohen  Instinct  und  Unverstand,  und  zeigt 
ein  Versöhnungsmittel  in  gerechten  Institutionen  und  in  der 
gegenseitigen  Achtung  fremden  Rechts.  —  Die  Geschichte  und 
epeciell  die  Literaturgeschichte  kann  eins  der  besten  Hülfsmittel 
ni  einer  richtigen  Erforschung  der  Frage  liefern. 


XVI  Statt  eines  Vorworta. 

Der  neuere  Kampf  der  Slaven  für  Freiheit,  nationale  Exi- 
stenz, politische  Gleichberechtigung  ist  in  den  Augen  des  un- 
parteiischen BeobachterB  eine  Erscheinung  ron  hoher  Bedeu- 
tung für  die  Humanität.  Es  ist  ja  bekannt,  dass  die  nationale 
Idee  zweischneidig  ist,  fortschrittlich  und  reactionär  zugleich; 
sie  Sst  in  hohem  Grade  wohlthätig,  wenn  sie  sich  regt  zum 
Schlitz  des  wirklichen  Rechts  und  der  Menschenwürde,  und 
äusi  erst  schädlich,  wenn  sie  sich  in  Eigendünkel,  Exciusivität 
und  Intoleranz  verkehrt,  die  alsbald  in  Ungerechtigkeit  über- 
gehen und  Widerstand  und  Feindschaft  von  der  andern  Seite 
hervorrufen;  mit  einem  Worte,  sie  ist  wohlthätig  oder  schädlich, 
je  aachdem  als  herrschendes  Princip  die  Idee  der  Humanität 
und  Bildung  oder  der  rohe  Stammesinstinct  aufgestellt  wird. 
Bei  unparteiischer  Betrachtung  der  Geschichte  des  Slaventhums 
kann  man  leicht  gewahren,  dass  seine  nationalen  Bestrebungen 
nicht  nur  ganz  gesetzmässig  sind,  sondern  auch  alles  Recht  auf 
Sympathie  der  gebildeten  Gesellschaft  haben.  Bei  der  Befreiung 
der  Serben  und  sogar  jetzt  bei  der  Erlösung  der  Bulgaren  voni 
türkischen  Joche  kam  es  trotz  der  Feindschaft  gegen  den  „Pan- 
slavismus"  niemand  ausser  den  verbissensten  Turkophilen  in  den 
Sinn,  dass  es  anders  sein,  dass  ein  europäisches  Culturvolk  noch 
länger  unter  der  rohen  Willkür  der  Asiaten  bleiben  könne.  Nie- 
mand kann  auch  den  Bemühungen  der  slavischen  Renaissance  um 
Aufklärung  und  Hebung  der  Volksmassen,  um  Beschaffung  einer, 
wenn  auch  nur  ganz  bescheidenen  Literatur  für  dieselben  in  ihrer 
eigenen  nationalen  Sprache  und  mit  nationalem  Inhalt  (histori- 
schen Erinnerungen,  Darstellungen  und  Idealen  aus  dem  Volks- 
leben) eine  hohe  Achtung  versagen.  Es  kann  nicht  Wunder  neh- 
men, wenn  hierbei  die  Führer  des  neuauflebenden  Volks  zuweilen 
ihre  Kräfte,  ihre  Errungenschaften  und  ihre  Erwartungen  über- 
schätzen, was  nur  zu  natürlich  ist  in  einer  Periode,  die  der  Zeit 
der  Jugendträume  gleicht  (eine  entwickeltere  Gesellschaft  und 
Nation  von  reicher  geschichtlicher  Erfahrung  sollte  indess  eine 
solche  Erscheinung  begreifen  und  dafür  dieselbe  Entschuldigung 
und  Rechtfertignng  finden,  die  einige  Epochen  ihres  eigenen  Auf- 
schwungs erfordern);  und  doch  —  in  diesem  Streben  nach  Bildung 
und  Veredelung  der  Volksmassen  gehen  die  neuem  slavischen 
Literaturen  vollkommen  Hand  in  Hand  mit  den  bessern  Bildungs- 
und  Culturbestrebungen  unserer  Zeit,  wo  ganz  Europa  von  eintr 
demokratischen  Bewegung  ergriffen  ist,  von  einem  Streben  nach 

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Vom  VerfMser  des  OrigiualB.  IVII 

politischer  und  iotellectueller  Hebung  der  Yolksmassen ,  and  wo 
I.  B.  sogar  bei  Völkern  mit  sehr  reicher  Literatur  locale  Be- 
wegangen  und  kleine  Literaturen  in  den  Locnldialekten  auf- 
taachen. 

Die  slawische  Renaissance  ist  überhaupt  sowol  ein  Erzeug- 
oiss  des  nationaien  (d.  i.  des  Stammes-  und  zugleich  Tolksthüm- 
lichen,  demokratischen)  Gefühls  und  Bewusstseins ,  das  sich  aus 
den  historischen  Hindernissen  einen  Ausweg  gebahnt  hat,  als  auch 
eine  der  Thatsachen  der  aufklärenden  und  befreienden  Bewegung 
in  Europa  seit  dem  Ausgang  des  18-  Jahrhunderts.  In  der  That, 
die  rationalistische  Philosophie,  die  deutsche  „Aufklärnng"  des 
vorigen  Jahrhunderts,  die  Kntwickelung  der  historisch-philologi- 
schen Studien  (insbesondere  in  Deutschland)  haben  in  verschie- 
dener und  bisweilen  sehr  eindringlicher  Weise  an  der  slavischen 
Renaissance  mitgewirkt,  indem  sie  ihr  sowol  eine  wissenschaft- 
lich-theoretische Basis  als  eine  Stütze  moralischer  Sympathien 
lieferten.  So  ist  es  die  europäische  (eogar  speciell  die  deutsche) 
Wissenschaft,  welche  die  enge  indo- europäische  Verwandtschaft 
des  Slaventfaums  mit  dem  Kreise  der  Culturnationen  festgestellt 
hat,  von  den  alten  Indiern  und  Iraniern  an  bis  za  den  Völkern 
des  classischen  Alterthums  und  den  neuern  Germanen  und  Ro< 
manen.  So  ist  es  wieder  die  deutsche  Wissenschaft,  die  jene 
Forschungen  über  die  Volkssprache,  das  Volksleben  und  die 
Volksiibei'lieferungen  gefördert  und  theoretisch  ausgebildet  hat, 
die,  wie  bemerkt,  überall  neben  der  nationalen  Wiederbe- 
lebung einhergingen.  An  diese  Bewegungen  der  europäischen 
(und  wir  wiederholen,  YOr  allem  der  deutschen)  Wissenschaft 
schlössen  sich  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  der  slanschen 
Gelehrten  aller  Stämme  an,  indem  sie  denselben  Process  der 
ForBcbang  fortsetzten  und  in  ihren  Kreisen  dieselben  ethischen 
Conseqnenzen  der  Wissenschaft  zogen.  Schon  im  18.  Jahr- 
hundert war  so  mancher  Förderer  der  slavischen  Renaissance 
in  der  kritischen  Schule  Lessing's  und  in  der  humanitären 
Herder's  erzogen;  dieser  letztere  sprach  sich  vom  Standpunkt 
seiner  historisch-philosophischen  Principien  mit  wanner  Sym- 
pathie über  den  Stammescharakter  der  Slaven  aus,  was  seinen 
Namen  bei  den  Schriftsteilern  der  slavischen  Renaissance  sehr 
populär  gemacht  hat.  Dae  Haupt  der  deutschen  Literstar  zu 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts,  Goethe,  war  über  die  damals 
entdeckten  Erzeugnisse  des  serbischen  Volksepos   entzückt,   die 

Pim,  SaTlHl»  Lltantana.    Q,  1,  b 

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XVUI  statt  eines  Vorworts. 

auch  Jakob  Grimm  mit  warmer  Sympathie  begrüsste.  In  der 
russischen  Wissenschaft  war  der  erste  Begriiuder  einer  kriti- 
schen Geschichtschreibung  ein  berühmter  Deutscher,  Schlözer, 
der  von  dem  altrusslschen  Chronisten  Nestor  begeistert  war, 
und  durch  diese  Begeisterung  die  wissenschaftliche  Liebe  zum 
Atterthum  und  zur  historischen  Ueberlieferung  in  russischen 
Kreisen  kräftigte.  In  unserer  Zeit  haben  die  Serben  die 
erste  Geschichte  ihres  Volks  und  ihrer  Befreiung  von  einem 
deutschen  Historiker  ersten  Ranges  (Ranke)  erhalten,  der 
seine  Nachrichten  darUber  von  dem  hauptsächlichsten  Vertreter 
der  wiederbelebten  Literatur  der  Serben  ( Karadzic )  erhielt. 
Die  Einflüsse  der  europäischen  Wissenschaft  gehen  als  be- 
lebendes Element  durch  die  ganze  neuere  Geschichte  der  russi- 
schen Bildung  seit  Peter  dem  Grossen,  und  eine  Reilie  fremder 
Gelehrter,  besonders  deutscher,  die  in  die  russische  Akademie 
und  an  die  Universitäten  berufen  wurden,  waren  lebendige  För- 
derer europäischen  Wissens  und  europäischer  Literatur  —  unter 
andern  auch  in  der  human-befreienden  Richtung,  in  der  sich  die 
slavische  Renaissance  vollzog.  So  hat  die  europäische  Literatur 
und  Wissenschaft  in  der  slavischen  Welt  einen  neuen  Inhalt 
und  neuen  Impuls  und  diese  wieder  in  jenen  ein  neues  Ent- 
wickelungsmittel  gefunden,  wodurch  sie  in  den  Kreis  der  euro- 
päischen Ideen  eintrat.  Die  Aufzählung  von  Beispielen  solcher 
gegenseitiger  Beziehungen  des  modernen  Slaventhums  zu  den 
europäischen  Literaturen,  solcher  wesentlicher  Stützen,  welche  die 
slavische  Bewegung  in  der  ganzen  Entwickelung  der  wissenschaft- 
lichen, politischen  und  socialen  Ideen  des  gegenwärtigen  Europas 
fand,  würde  hier  /.u  weit  führen. 

So  hat  sich  also  die  slavische  Bewegung  neben  und  in  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  socialen  und  politischen  Fortschritt  Eu- 
ropas entwickelt,  wie  eine  seiner  eigenen  Erscheinungen.  Der 
Gedanke  an  die  Möglichkeit  einer  engern  internationalen  An- 
näherung der  Slaveu  war  ihr  natürliches  Resultat,  und  es  ge- 
nügt nur  eiu  wenig  Aufmerksamkeit  und  Unparteilichkeit,  um 
das  ganz  Normale  dieser  nationalen  Bewegung  vom  entschie- 
densten westeuropäischen  und  selbst  deutschen  Standpunkte  aus 
anzuerkennen.  Der  Panslavismus  trat  auf  als  dae  Ideal  einer 
moralischen  Vereinigung  des  Slaventhums  auf  Grund  ihres  ein- 
heitlichen Ursprungs,  aber  auch  (,bei  verschiedenen  Stämmen)  auf 
Grund  historischer   Beziehuugen    und    der  Glaubenseinheit    und 

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Vom  Verfftaaer  des  Originals.  XIX 

infolge  dessen  als  ei»  Streben  nach  literarischer  Gegenseitig- 
keit, und  das  ist  zur  Zeit  sein  einziger  realer  Sinn  und  seine 
Bedeutung;  —  erst  später  und  sporadisch  haben  sich  daraus 
Phantasien  von  einer  politischen  Gemeinschaft  entwickelt.  Der 
erste,  idealistische  Gedanke  an  eine  Einheit  war  ganz  natürlich, 
Bchon  deshalb,  weil  sich  ganz  von  selbst  literariscb-wissenschaft- 
liche  Verbindungen  bildeten  wegen  der  Gemeinsamkeit  vieler 
Gegenstände  der  nationalen  Forschung  und  der  gesellschaftlichen 
Bestrebungen.  Derselbe  wurde  her\'orgerufen  durch  dasBewusst- 
iein  der  Zuriickgebliebenheit  in  der  Cultur,  durch  das  Bewusst- 
sciu.  Züge  aus  dem  Alterthum  bewahrt  zu  haben,  die  sonst  im 
gegenwärtigen  Europa  verloren  sind,  durch  das  Bewusstsein  des 
l'ebelwollens,  um  nicht  zu  sagen  der  Feindschaft  Westeuropas, 
—  dies  war  (und  ist  noch  heute)  die  Kraft,  welche  die  Slaven 
unwillkürlich  einander  näher  bringt.  Historische  Vorgänge,  wie 
die  Mitwirkung  Russlands  bei  der  Befreiung  der  Serben  jind  in 
anserer  Zeit  bei  der  Befreiung  der  Bulgaren,  führten  auf  den 
Gedanken,  dass  das  mächtige,  stammverwandte  Volk  auch  eine 
politische  Stütze  des  Slaventhums  werden  könne. 

Aber  Thatsacben  muss  man  in  ihrer  wirklichen  Bedeutung 
and  in  ihrem  wirklichen  Umfang  auffassen.  Leute,  die  sich  aus 
politischen  Gründen  feindlich  gegen  das  Slaventhum  oder  rich- 
tiger gegen  Russland  verhalten,  stellen  bisher  den  „Panslavis- 
niDs"  als  eine  Gefahr  für  die  europäische  Civilisation  dar,  als 
ein  Werkzeug  de^  herrschsüchtigen  Pläne  Russlands,  und  das 
Urhältniss  des  Slaventhums  zu  Russland  als  eine  Art  platoni- 
schen Strebens  unter  die  Herrschaft  des  letztern  zu  kommen, — 
<ias  ist  eine  plumpe  Vorstellung,  von  fanatischer  Feindschaft 
Oller  Unwissenheit  dictirt  uTid  von  der  Geschichte  nicht  gerecht- 
fertigt. Wir  werden  hier  nicht  in  die  Details  dieses  Themas  ein- 
sehen, dessen  Klarlegung  wir  dem  Buche  vorbehalten,  und  be- 
merken nur,  dass  die  Ereignisse  unsere  Auffassung  bestätigen. 

Sonach  ist  der  „kriegerische  Panslavisraus ,  der  die  russische 
Gesellschaft  durchdringen  soll",  ein  recht  plumper  Irrthnm  der 
europäischen  Publicistik,  wenn  nicht  gar  eine  absichtliche  Er- 
findung and  ein  Vorwand.  Aber  wenn  die  Unparteilichkeit  er- 
fordert, diese  Uebertreihungen  zurückzuweisen,  so  gebührt  es 
äch  umsomehr,  die  Rechtmässigkeit  derjenigen  Forderungen 
anzuerkennen ,  welche  die  slavische  Welt  namens  ihrer  Na- 
tionalität stellt.    Die  slavische  Welt  bedroht  niemand   und  for- 

b* 

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XX  Statt  eioee  Torworts. 

dert  nur  ihr  natürliclies,  von  Logik  und  Humanität  anerkanntes 
Recht.  Die  nationale  Feindschaft  ist  von  der  Vergangenheit  er- 
erbt, nnd  Sache  der  Aufklärung  ist,  nicht  nach  vermeintlichen  Grün- 
den zur  Rechtfertigung  der  Feindschaft  zu  suchen  und  sie  zu  ver- 
stärken, sondern  sie  zur  Ruhe  zu  bringen  durch  humane  Ideen  und 
politische  Gerechtigkeit.  Welchen  Verlauf  der  Process  der  slavisch- 
germaniscben  Beziehungen  nehmen,  welcher  Theil  der  slavischen 
Stämme  noch  unter  deutschem  Fiinfluss  seine  Kationalität  verlieren 
wird  (denn  die  GermaniBirung  dauert  fort),  wie  sich  die  gegensei- 
tigen Beziehungen  der  slavischeti  Stämme  untereinander  gestalten 
werden,  und  ob  der  Druck  nicht  einen  Ausbruch  des  Widerstands 
und  eine  neue  Anregung  zu  Einheitsbestrebungen  hervorrufen 
wird  —  das  ist  Sache  der  Zukunft,  die  wir  uns  nicht  vermessen  zu 
errathen.  Aber  die  gegenseitigen  Beziehungen  des  Slaventhums 
beginnen  sich  schon  zu  klären,  die  Annäherung  wächst  fortwäh- 
rend, und  im  slavischen  Bewusstsein  wacht,  im  Gegensatz  zu  der 
Theorie  der  Slavophilen,  die  Idee  eines  andern  Panslavismus  auf, 
der  auf  gegenseitiger  Achtung  der  nationalen  Individualität,  auf 
einer  natürlichen  Entwickelung  der  Beziehungen,  auf  einer  Ge- 
meinsamkeit der  sittlichen  und  Bildungsbedürfnisse  gegründet 
ist;  innerhalb  der  Stämme  selbst  wächst  die  Sorge  um  die 
Aufklärung  des  Volks  und  das  politische  Bewusstsein.  Russlaud 
hatte  bis  vor  kurzem  für  die  Slaven  fast  nur  Autorität  als  po- 
litische Macht,  die  ihnen  als  Stütze  dienen  konnte;  diese  Vor- 
stellung hat  auch  in  einem  Theil  der  russischen  Gesellschaft  einen 
gewissen  Chauvinismus  genährt;  in  der  Gegenwart,  mit  der  grös- 
sern Reife  der  russischen  Gesellschaft,  denkt  der  verständige 
Theil  der  öffentlichen  Meinung  weit  weniger  an  irgendwelche 
äussern  Pläne  als  an  die  innem  Sorgen  des  russischen  Lebens 
selbst,  ja  verhält  sich  sogar  feindlich  gegen  Agitationen  in  der 
„slavischen  Frage",  weil  sie  von  jenen  Innern  Sorgen,  die  zn 
ernster  Natur  sind,  ablenken,  —  und  vor  den  Augen  des  Slaven- 
thums beginnt  sich  zum  ersten  male  das  i-ussische  Leben  nicht 
nur  mit  seinen  materiellen,  sondern  auch  mit  seinen  sittlichen 
Kundgebungen  und  Kräften  zu  entfalten ;  das  rassische  Leben  be- 
ginnt einen  Einöuss  zu  beweisen  nicht  nur  durch  die  politische 
Autorität  allein,  sondern  auch  durch  den  innem  Gehalt  seiner 
Bildung,  Literatur,  Kunst,  seiner  socialen  Bestrebungen.  Und 
je  freier  und  weiter  sich  dieses   innere  Leben  entwickeln  wird. 


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Vom  VerfasBer  des  Originala.  XXI 

am  so  mehr  wjrä  der  „PanBlavismus"  nicht  eine  politische  Phan- 
tasie, sondern  eine  Gemeinschaft  der  Bildung  werden. 

Das  vorliegende  Buch  ist  mit  dieser  Idee  der  nationalen 
Gleichberechtigung —  sowol  rücksichtlich  anderer  Völker  als  rück- 
sichtlich derSlaven  untereinander  geschrieben.  Ist  dasNational- 
bewusstsein  einmal  geweckt,  so  muss  der.  Nation  das  allgemein- 
menschliche Recht  auf  die  eigene  Sprache  und  auf  die  Liehe  zu 
seiner  nationalen  Eigenart  zuerkannt  werden.  Die  Geschichte 
der  slavischen  Literaturen  ist  auch  die  Geschichte  des  Schicksals 
der  einzelnen  Stämme,  die  fUr  ihre  Nationalität  kämpfen  und 
bestrebt  sind,  sich  inmitten  der  allgemein  historischen  Bewegung 
Europas  und  in  immer  grösserm  Zusammenhang  mit  derselben 
za  entwickeln.  Die  Geschichte  hat  die  Form  noch  nicht  ans- 
gearbeitet,  in  der  sich  ihre  moralische  Gemeinschaft  verwirk- 
lichen kaiin,  und  der  sie  zweifellos  zustreben;  aber  die  slavi- 
sclie  Bewegung  bildet  nicht  nur  keine  Gefahr  für  die  Givilisa- 
tioD,  sondern  ist  im  Gegentbeil  nur  eine  neue  Kraft,  die  für  die 
Civilisation  arbeitet,  eine  neue  Thatsache  ihres  historischen  Ver- 
laufs. Die  tiefere  Quelle  der  ganzen  slavischen  Renaissance  ist 
die  europäische  Bildung. 


Das  Original  dieses  Buches '  ist  die  zweite,  stark  veränderte 
und  sehr  vervollständigte  Auflage  des  zuerst  1865u.  d.  T,  „Obzor  . 
istorii  slavjanskich  literatur"  („üehersicht  der  Geschichte  der 
slavischen  Literaturen")  erschienenen  Werkes.  In  der  Zeit  zwi- 
schen dem  Erscheinen  der  beiden  Ausgaben  (1865  und  1880)  sind 
zahlreiche  Forschungen  über  den  Gegenstand  erschienen,  liegen 
eine  Menge  neuer  Thatsacheu  in  der  Literatur  selbst  vor;  dazu 
haben  sich  meine  eigenen  bibliographischen  Hülfsmittel  erweitert, 
sodass  schliesslich  bei  der  Umarbeitung  ein  fast  ganz  neues  Buch 
entstand  und  sein  Umfang  (ohne  noch  die  russische  Literatur  mit- 
zurechnen) von  ursprünglich  einem  Bande  auf  zwei  Bände  an- 
wuchs. In  gleicherweise,  wie  mein Arbeitsantheil,  erweiterte  sich 
auch  die  Darstellung  der  polnischen  Literatur  von  Herrn  Spasovic. 

Was  die  russischo  Literatur  betrifft,  so  hatte  ich  mich  in  der 
ersten  Auflage  auf  eine  kurze  Uebersicht   beschränkt,   weil   ich 


<  Den  vollständigen  Titel  des  Originiila  a.  im  I.  Bd.,  S.  V. 

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XXII  Statt  eines  Vorworts. 

nur  mssiscbe  Leser  im  Auge  hatte,  welche  die  Einzeluheiten  in 
andern  Werken  finden  konnten.  Aber  es  zeigte  sich,  dass  mein 
Buch  auch  unter  andern  slaviscben  Stämmen  Leser  hatte,  für  die 
jene  kurze  Uebersicht  unzureichend  war.  Deshalb  habe  ich  in  der 
zweiten  Auflage  einen  andern  Weg  eingeschlagen  {und  das  Inter- 
esse für  das  Buch  ausserhalb  Russlands  bestätigte  die  Richtigkeit 
desselhen):  ich  veröffentlichte  nämlich  im  ersten  Bande  nur  „die 
partiellen  Literaturen  der  russischen  Sprache"  (kleinrussisch, 
weissrussisch ,  gaUzisch  und  ungarisch  -  russisch)  —  weil  sie  eine 
besondere  Verbindung  mit  der  slavischen  Renaissance  haben  und 
zum  Theil  mit  ihr  parallel  laufen  —  und  schied  die  Darstellung 
der  iiiEsischen  Hauptliteratur  (der  grossrussischen)  für  ein  be- 
sonderes Buch  aus,  an  dem  ich  jetzt  arbeite  und  das  zugleich 
den  dritten  Band  der  vorliegenden  „Geschichte"  bilden  wird. 

Den  Fachmännern  ist  es  bekannt,  mit  welchen  Schwierigkeiten 
die  Aufgabe  verbunden  ist,  deren  Ausführung  ich  in  dem  vor- 
liegenden Werke  unternommen  habe.  Als  Zeugniss  dafür  kann 
die  ThatsBche  gelten,  dass  mit  Ausnahme  weniger  Versuche  (äa- 
fank,  Mickiewicz,  Grigorovic)  die  slavischen  Literaturen  bisher 
ein  solches  Werk  nicht  aufzuweisen  hatten.  Die  Geschichte  der 
Literatur  eines  Volkes  oder  eines  Stammes  ist  die  Geschichte 
seines  Innern  Lebens,  seiner  geistigen  und  poetischen  Thatigkeit, 
seiner  nationalen  Ideale;  aber  eine  solche  Geschichte  kann  erst 
nach  vielen  vorbereitenden  Untersuchungen  ausgeführt  werden  — 
während  dem  Geachichtsachreiber  der  slavischen  Literaturen  bis- 
her der  Mangel  an  Werken  über  ganze  Stammesge biete,  ganze 
Perioden  und  Richtungen,  der  Mangel  an  biographischen  und 
bibliographischen  Arbeiten  hinderlich  entgegentritt.  Dahin  ge- 
hören z.  B.  die  Fragen  über  die  Anfänge  der  altbulgarischen  Lite- 
ratur, über  das  dunkle  Mittelalter  der  Slaven  überhaupt,  über  die 
jetzt  für  unecht  erklärten  Denkmäler,  welche  ins  cecliische  Alter- 
thum  gesetzt  wurden,  über  das  Schicksal  des  kleinrussischen 
Stammes  und  seiner  Sprache.  Es  bleibt  immer  nocli  eine  Menge 
alter  Schriftsteller  zu  erforschen  übrig;  noch  immer  werden  neue 
Literaturdenkmäler  aus  alter  Zeit  entdeckt;  die  intime  Ge- 
schichte der  slavischen  Renaissance  beginnt  sieb  erst  jetzt  zu  ent- 
hüllen mit  der  Herausgabe  der  Biographien  und  Ck>rrespondenzen 
ihrer  Führer  u.  s.  w.  Von  den  noch  nicht  gelüsten  allgemeinen, 
historischen  und  politischen  Fragen,  wie  der  Fundamentalfrage 
von  der  Theilung  des  Slaventhunis  in  Ost-  und  Wcstslaven  oder 

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Vom   Verfasser  des  Üriginals.  XXlll 

der  gegenwärtigen  Gärungen  Riisslands  und  des  Slaventhums  u.  s.  w. 
wollen  wir  gar  nicbt  erst  reden.  Diese  Fragen  bleiben  im  slavi- 
schen  Leben  nocli  „auf  der  Tagesordnung  stehen".  Ohne  solche 
Fragen  zu  lösen  und  mich  in  Theorien  einzulassen,  beschränke 
ich  mich  in  meiner  Darstellung  nur  auf  eine  Geschichte  der  that- 
sächlichen  Vorgänge  in  den  slavischen  Literaturen ,  mit  den- 
jenigen nähern  Scblussfolgerungen,  wie  sie  durch  die  Thatsachen 
angedeutet  werden. 

Eine  solche  Darstellung  wurde  sowol  durch  die  Lage  der  Dinge 
in  der  russischen  Literatur,  die  ich  insbesondere  im  Auge  hatte, 
als  auch  in  den  andern  slavischen  Literaturen  erfordert  — 
nämlich  durch  den  Mangel  an  allgemeinen  Uebersichten  über 
die  Geschichte,  Ethnographie,  sowie  schliesslich  auch  die  Lite- 
ratur der  Slaven.  Wenn  man  wünscht,  gesunde  Begriffe  über 
den  Gegenstand  zu  verbreiten,  so  sind  solche  Uebersichten  in 
erster  Linie  nothwendig,  als  erste  Hülfsmittel  der  Forschung. 
Einige  Lücken  waren  unvermeidlich  —  bei  dem  Zustand  des  lite- 
rarischen Materials  und  einfach  bei  der  Schwierigkeit  alle  nöthigen 
slavischen  Bücher  zur  Hand  zu  haben:  die  slavische  Abtheilung 
ist  sehr  unvollständig  vertreten  sogar  in  den  Hauptbibliotheken 
Petersburgs  (der  k.  Oe£Fentlichcn  nnd  der  Bibliothek  der  Aka- 
demie der  Wissenschaften). 

Eine  der  wichtigen  Seiten  der  slavischen  Literaturen  bildet 
die  Volkspoesie,  Ihre  Erforschung  ist  noch  lange  nicht  abge- 
schlossen, sogfir  in  Hauptsachen  noch  nicht.  Ohne  Gemeinplätze 
zu  wiederholen,  habe  ich  nur  das  Material  angeführt  und  den 
Eindruck  dargestellt,  den  diese  Poesie  auf  einheimische  und 
fremde  Beobachter  ausübte;  aber  eine  einheitliche  historische 
Erklärung  dieser  Periode  ist  zur  Zeit  noch  nicht  möglich.  Wahr- 
haft kritische  und  tiefe  Untersuchungen  sind  erst  in  der  letzten 
Zeit  begonnen  worden. 

Der  Leser  wird  eine  grosse  Ungleichmassigkcit  der  Erzeug- 
nisse in  den  grossen  und  kleinen  Literaturen  bemerken.  Die  be- 
scheidenen Verhältnisse  der  letztern  machen  dort  eine  kleine 
Sammlung  von  Gedichten,  Volksliedern,  ein  populäi'eR  Buch, 
wie  sie  in  grossen  Literaturen  gar  nicht  beachtet  werden,  zu 
einem  wichtigen  Ereigniss.  Ihre  Bedeutung  ist  allerdings  nur  eine 
relative  und  besteht  darin,  dass  sie  in  ihren  Verhältnissen  die- 
selbe Anregung  und  ThUtigkeit  des  Nationalgefübls  zum  Ausdruck 
bringen. 

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XXIV  Statt  eines  Voi-worts. 

Zur  Dar^itelliing  der  polnischen  Literatur  —  die  nicht  in 
den  Kreis  meiner  Studien  gehörte  —  lud  ich,  schon  bei  der 
ersten  Auflage,  Herrn  Spasovic  ein.  Es  war  dies  in  den  Jahren 
186.3 — 64,  als  der  eben  bewältigte  polnische  Aufstand  die  alte 
Stammesfeind Schaft  der  Russen  und  Polen  erneuerte  und  bis  zur 
äussersten  Unverträglichkeit  steigerte.  Bei  der  Art,  wie  ich  die 
slavischen  Beziehungen  betrachte,  sah  ich  in  der  gegenseitigen 
slaviBclien  Feindschaft  weder  Vernunft  noch  Nutzen;  ein  politisch 
richtiges  und  wissenschaftlich  wahres  Verständniss  der  slavi- 
schen Beziehuugen  erfordert,  metner  Ansicht  nach,  Achtung  vor  der 
fremden  nationalen  Individualität.  Der  ganze  Sinn  des  natio- 
nal- slavischen  Ideals  bestand  in  der  gegenseitigen  Anerkennung 
der  nationalhistorischen  Eigenthümlichkeiten  seines  „Nächsten", 
worin  auch  der  Weg  zur  Versöhnung  und  wirklicher  Einheit  ge- 
funden werden  konnte.  Ich  erwartete  —  und  habe  mich  darin 
nicht  getäuscht  — ,  dass  ich  trotz  der  schweren  Zeitverhältnisse 
bei  Herrn  Spasovic  dieselbe  Stimmung  und  dieselben  Hoffnungen 
finden  würde.  Ihm  schwebte  (wie  er  im  Vorwort  zur  russischen 
zweiten  Autlage  dieses  Buches  darlegt)  dieselbe  Idee  vor,  dass 
„diejenigen  Grundlagen  einer  friedlichen  Annäherung  der  feind- 
lichen Stämme,  von  denen  man  in  bessern  Zeiten  träumen  konnte, 
triumphiren  und  sich  eine  unterbrochene  Annäherung  erneuern 
wetde,  weil  sie  im  Geiste  der  Zeit  und  in  der  Macht  der  Dinge, 
in  der  noch  von  der  Gesellschaft  nicht  erkannton,  aber  zweifel- 
losen Solidarität  der  nationalen  Interessen  liege".  Er  war  über- 
zeugt, dass  das  „russische  Publikum,  das  so  empfänglich  für  das 
Verständniss  alles  Besondern  in  fremden  Civilisationen  sei  und 
die  allgemein  anerkannte  Fähigkeit  besitze,  alle  Ideale  kritisch 
zu  zerlegen",  die  nationale  Besonderheit  würde  verstehen  können, 
welche  sich  in  der  polnischen  Literatur  ausgedrückt  hat  —  und 
dass  „damit  ein  gewaltiger  Schritt  zu  gegenseitiger  Achtung  und 
folglich  auch  zur  Annäherung  der  beiden  Culturen,  die  durch  eine 
chinesische  Mauer  von  Vorurtheilen  getrennt  sind,  gethan  wäre". 
In  der  neuen  Auflage  seines  Werkes  hat  Herr  Spasoviß  mit  be- 
sonderer Ausführlichkeit  bei  der  neuern  Periode  verweilt,  bei  der 
Literatur  der  polnischen  Emigration,  die  früher  wegen  der  Censur- 
verhältnisse  nicht  dargestellt  werden  konnte.  „Die  Möglichkeit, 
sich  objectiv  zu  dieser  Literatur  zu  verhalten  und  sie  in  der 
russischen  Presse  frei  zu  analysiren,  ist  an  und  für  sich  schon 
ein  gewaltiger  Fortschritt,  denn  sie  bedeutet,  dass  sich  die  Leiden- 

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Vom  Verfaaser  des  Originala.  XXV 

Schaft  bis  zu  einem  Grade  abgekühlt  hat,  bei  dem  es  möglich  wird, 
die  Bedingungen  einer  geistigen  Annäherung  zu  beurtheilen,  und 
in  dieser  liegt  eben  die  ganze  Kraft;  alles  weitere  wird  sich  trotz 
aller  Hindernisse  von  selbst  ergeben  —  es  ist  nur  eine  Frage 
der  Zeit,*' 

Es  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  den  Wunsch  auszusprechen, 
dass  dieses  Werk  in  seiner  neuen  Form  seinen  Theil  mit  bei- 
tragen möge  zur  Klarung  der  innern  Verhältnisse  unter  denSlaven 
selbst,  sowie  auch  zur  Versöhnung  der  äussern  internationalen 
Feindseligkeit  in  den  hohem  Idealen  der  Bildung  und  der  politi- 
schen und  socialen  Gerechtigkeit. 

St.  Pbtbbsbdrg,  ir>.  (27.)  Januar  1883. 

Alexander  Pypin. 


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Inhalt. 


Vorwort   des   Deberaetzera V-IX 

Statt  eines  Vorworts.     Vom   Verfasser  den  Originals  zugleiuh 

im  Namen  seines  Mitarbeiters.     (Brief  au  den  Uel>erBetzer)      ,   X — XXV 


Viertes  Kapitel.     Der  pololsche  VolkSRtamm 1—435 

Einleitnng 1  —  6 

].  Die    alte  Periode   bie   zur   Mitte  des    16.  Jahrhun- 
derts (der  Reformation) 7-32 

Historische  Bemerkungen,     Die  lateinische  Schule  und  das 
lateinische  Schriftwesen ;    die    ersten    Denkmäler   der    polüi- 
BcbeD  Sprache. 
3.   Das  goldene  oder  clasaiscbe  Zeitalter  der  Litera- 
tur (1548-1606) 33-87 

Znstand  des  Reiches  und  der  Gesellschaft;  die  Szlachta- 
Cultur.  Der  Einfluss  der  westeuropaiBchen  Bildung,  Die 
Hnmanisten  r  Rej  von  Nagtowice,  Johann  Kochauowaki.  Die 
idyllische  Poesie:  Szymon  Szymonowicz;  die  Satire:  Klono- 
wicz;  Stanislaw  Orzecho wski.  Die  Exduaivität  der  Szlacbta. 
Die  jesuitische  Prop^anda:  Peter  Skarga. 
3.  Die  jesuitiseh-maocaronieche  Periode  (1606—1764).  87—129 
Ü«r  Anfang  der  Stagnation  und  des  Verfalles.  Der  £in- 
tluss  der  Jesuiten  auf  die  Erziehung  und  Literatur;  Verfall 
der  letztem;  Macoaronismen  und  schwülstiger  Stil.  Der 
lateinische  Dichter  Sarbiewski.  Waclaw  Potoukt,  Meozuja- 
Kocbowski,  Andreas  Morsztyn.  Die  QescbichtBscli reiber;  die 
Memoirenliteratur.  Politische  Werke;  Forderungen  einfr 
Refonn:  Jalitonoweki,  Stanislaw  Leszczytiski.  Zaluski.  Die 
Piaristen:  Stanislaw  Eouarski. 


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XXVm  Inhalt. 

Seil« 

4.  Die  Periode  dei  Könige  Ponintowski  (lTfi4-96)  und 
die  Zeiten    nacli    derTheilung    bis    zum  Auftreten 

der  polniHchen  Romantik  (1795-1^22) 129-205 

Iliatoriflclie   Bemerkungen.     Stanislaw  August  Poniatowski. 

A.  Die  letzteu  ruhigen  Jahre  vor  der  Katastrophe  139-170 

W^ierski;  Trembeuki;  Ignaz  Krasiuki;  Adam  Narutze- 
ivicz.     EntwickeluDg  des  Theaters. 

B.  Die     politische     Literatur     des      vierjährigea 
Beichstags 170-185 

Staszio;  KoD^taj;  NiemoewicK.  Der  politisi^he  Zusam- 
menbruch. 

C.  Die  Uebergangszeit  naeh  der  dritten  Theilung  185— 205 

Linde;  Cliodakowaki;  Rnkowiccki;  Maciejowski.' Woro- 
nicz.  Die  PBeudocIass leisten.  Suiadecki.  Die  drama- 
tiflclie  Literatur. 

5.  Die  Periode  Miokiewioz'  (1822-48) 2a''.-394 

A.  Die  Romantik.    Die  Vorgänger  und  ZeitgenoBsen 
Mickiewicu'.    Die  Thütigkeit  des  letztern    .    .    .205-293 

Kazimir  Brodzinski;  Malczewski;  TymkoPadura;  B.  Za- 
leski;  Severiu  Goszczyliski.  Lelewel.  Die  Pliilomath^n 
und  Philareten.  Das  Leben  und  die  poetische  Wirksam- 
keit Mickiewiez'. 

B.  Die  Spaltung   der  Literatur   in    eine  Emigrau- 
tenliteratur  und  in  eine  einheimische  (1830-48)293-394 

Julius  Slowacki  und  Sigismund  Kranii^Bki.  Rzewuski. 
Die  einheimische  Literatur. 

6.  Die  letzten  Ausläufer  der  Romantik  auf  dpm  hei- 
matlichen Boden  (1848— 63)    394-428 

Vincenz    Pol;     Koüdratowiuz    (Syrokomla);    KaczkoWBki. 
Szajnucha.    Korzeniowski.    Kraszewski.    Der  Rückgang  der 
Romantik. 
Die  aofalesischen  Polen.  —    Die  preussischen  Mazuren. 

—  Die  KaSuben 429-436 


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Viertes  Kapitel. 
Der  iKtlnlsche  Tolksstamm. 


Jiachdem  die  aüdslavisclien  Reiche  von  byzantinischeni  Typus, 
das  bulgarisclio  und  eerbische,  zu  .Ende  des  14.  Jahrhunderts, 
Ton  Islam  erdrückt,  zusammengebrochen  waren,  und  ehe  noch 
Rnssland  den  Schauplatz  der  europäischen  Politik  betrat,  um 
DDter  Peter  dem  Grossen  an  den  Angelegenheiten  Europas  thä- 
tigen  Antheil  zu  nehmen,  erscheinen  auf  diesem  Schauplatz  von 
den  Bl&Tischen  Völkern  nur  die  beiden  westlichen,  die  Cechen 
und  die  Polen,  beide  der  römisch-katholischen  Culturwelt  an- 
gehörend. In  dem  Auftreten  der  Staaten,  welche  diesen  bei- 
den Völkern  zur  Wiege  dienten,  sprach  sich  das  allgemeine 
Bedürfoiss  des  slavischen  Stammes  aus,  sich  zu  schützen  und 
der  nach  Osten  dringenden  Welle  des  Germanenthnms  ent- 
gegen zn  wirken.  Das  westlichere,  öechische  Beicb  bildete 
eich  früher  aus,  allein  es  entnationalisirte  sich,  da  es  sich 
im  Gebiete  des  römisch -deutschen  Reichs  befand;  es  bürger- 
ten dch  in  ihm  deutsche  Einrichtungen  ein,  selbst  die  kirch- 
liche Hierarchie  erwies  sich  als  eine  Befördrerin  des  dentschen 
Elements.  Das  unterdrückte  Volksthum  flackerte  nur  einmal 
auf  in  der  grellen  Flamme  des  Hussitenthums,  dem  kühnen 
Versuch  einer  kirchlichen  sowol,  als  politischen  und  socialen 
Reform;  äamach  sank  es  erschöpft  zusammen  und  lag  nach 
der  Schlacht  am  Weissen  Berge  (1620)  beinahe  zwei  Jahrhun- 
derte in  Todesschlnmmer.  Polen  hatte  keinen  solchen  Zwiespalt 
im  Innern,  keinen  solchen  blutigen,  tödlichen  gegenseitigen 
Kampf  der  Elemente  zu  erdulden,  des  ursprünglich  volksthüm- 
lichen  mit  dem  eindringenden  fremden.  Die  römisch -katho- 
lische Kirche   war   und    blieb    hier    eine   nationale    Institution, 

hrn,  SIxTluba  Litantsren.    II,  I.  1 

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2  ViertcB  Kapitel.    Die  Polen. 

welche  die  oberflächliche  Ausbreitung  des  Protestantismus  im 
16.  Jahrhundert  nicht  zu  erschüttern  yermochte.  Obgleich  die 
Einrichtung  der  Szlachta  (des  Adels)  aus  Deutschland  entlehnt  war, 
so  entwickelte  sie  sich  doch  so  schnell  und  erfolgreich  auf  der 
Grundlage  des  Allods,  dass  die  spätere  Metamorphose  des  Allodial- 
systems,  der  Feudalismus,  nioht  nur  in  Polen  nicht  Wurzel  fassen, 
sondern  nicht  einmal  einzudringen  vermochte.  Das  starke  Wachs- 
thum  der  Szlachta,  das  sich  zum  Nachtheil  aller  andern  Bestand- 
theile  des  gesellschaftlichen  Organismus  vollzog,  zeitigte  eine 
dem  Anschein  nach  herrliche,  aber  frühreife  Frucht,  das  Reichs- 
tagswesen,  das  parlamentarische  System,  das  sich  in  Polen  mit 
besonderer  Vollständigkeit  und  Consequenz  früher  entwickelte, 
als  in  England,  auf  Grundlagen  und  in  Formen,  die  mit  dem  ihm 
rücksichtlich  der  Entstehungsbedingungen  verwandten  ungari- 
schen Parlamentarismus  fast  identisch  sind.  Dies  wohlgeHigte 
nationale  Paästwo  (so  nennt  man  noch  jetzt  den  Staat  in  pol- 
nischer Sprache),  eine  Monarchie  mit  aristokratisch-republikani- 
schen Institutionen,  mit  Gesetzen,  in  denen  einseitig,  bis  ip  die 
letzten  Extreme,  die  Idee  einer  fast  unbegrenzten  bürgerlichen 
Freiheit  durchgeführt  war,  hatte  anfangs  einen  grossen  Erfolg. 
Nach  den  Worten  Hüppe's'  war  Polen  von  Jagiello  bis  Batory 
(1386 — 1586)  während  zweier  Jahrhunderte  die  tonangebende 
Macht  im  Osten  Europas,  die  über  einen  Flächenraum  von  mehr 
als  20000  Quadratmeilen  verfügte.  Allein  dieses  Reich  schützte 
die  Slaven  an  der  Elbe  und  Oder  nicht  gegen  die  Deatecben; 
es  vermochte  nicht  am  Baltischen  Meere  festen  Fuss  zu  fassen 
und  wurde  vom  Schwarzen  Meere  abgedrängt;  ee  suchte  seine 
Ausbreitung  hauptsächlich  im  Osten,  in  den  moskauisch-russischen 
Ländern,  in  den  Gebieten  des  damals  noch  in  der  Wiege  liegenden 
und  sich  nach  ganz  entgegengesetzten  Principien  entwickelnden 
Bauem-Zarenthums  —  der  moskauischen  Autokratie.  Die  schwache 
Seite  dieses  ganzen  Organismus  bestand  darin,  dass  das  wirkliche 
Volk  nur  die  Szlachta  war,  ein  Stand  von  800000  bis  l  Million 
Menschen  in  einer  Bevölkerung  von  8 — 13  Millionen^;  dass  die 
herrschende  Klasse  nach  voller  Verwirklichung  ihres  Ideals  der 
„goldenen  Freiheit"  Anker  warf:  sie  hatte  nichts  mehr  zu  er- 


'  S.  llüppp,  VerfaMung  der  Republik  Polen,  S.  12  (Berlin  1867). 
'  Hiippe,  H.  79.  —  Tadeusz  Korzon,  „Stan  ekonomic^ny  Polski'*  (in 
wartebsuer  Journal  ,,Ateneum",  Jabrg.  1877). 


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Histnriachc  BemerkanKOU'  3 

streben;  ein  unbeweglicher  ConBerrativismus  ward  zur  herrschen- 
den Stimmung;  die  Gesellschaft  verknöcherte,  indem  sie  jegliche 
Refonn  als  einen  Eingriff  in  die  Freiheit  mied,  und  ängst- 
lich Rowol  die  freie  Kiinigswahl ,  mit  andern  Worten  einen 
fast  aactionsartigen  Verkauf  der  Krone  an  den  meistbietenden 
Candidaten  durch  das  Szlachta-Volk,  welches  sich  Mann  für  Mann 
nr  Wahl  einland,  als  auch  das  liberum  veto  vcrtheidigte,  d.  i. 
das  Recht  jedes  einzelnen  Reichstagsmitgliedcs,  durch  seinen 
Protest  auf  dem  Reichstage  da8  Zustandekommen  von  Beschlüssen 
ni  hintertreiben. 

Die  Einrichtung,  dass  Verordnungen  erst  durch  einstimmige 
Annahme  Gesetzeskraft  erlangten,  lähmte  die  Macht  der  Gesetz- 
gebang.  Die  Künigswahl  gab  der  Einmischung  von  Ausländem 
eine  legale  Handhabe;  jede  Grossmacht  organisirtc  zu  eigenem 
Vortheil  ihre  besondere  österreichische,  französische  u.  s.  w,  Partei 
in  Polen;  die  Gewohnheit  sanctionirte  sogar  so  anomale  Erscliei- 
nnngen,  wie  die  Rnkosze  (Rebellionen)  und  Confdderationen,  d.  h. 
organisirte  Convcntioncn  der  Szlachta  zur  Erreichung  verschie- 
dener Zwecke,  ja  sogar  zur  Gegenwirkung  gegen  die  Macht  des 
Königs.  Es  war<l  zum  Sprichwort,  dass  Polen  durch  die  Anarchie 
bestehe  (nierz^dem  stoi);  die  Weisheit  seiner  Regenten  bestand 
bei  der  Erstarkung  der  erblichen  Monarchien  um  sie  herum  darin, 
dass  sie  diplomatisch  das  Gleichgewicht  zwischen  den  Antago- 
nisten, den  auswärtigen  Mächten,  zu  halten  und  Bündnisse  mit 
den  weniger  gefibrlichen  gegen  die  geiahrlicheren  zu  schliessen 
sachten. 

Bei  dem  starren  ConserratiTismus  der  Szlachta,  die  das  Fun- 
dament des  Gebäudes  bildete,  konnten  fortschrittliche  Ideen  nur  an 
den  Spitzen  keimen,  in  den  Geistern  der  Könige  und  Staatsmänner, 
die  an  die  Abwendung  des  Zusammenbruchs  dachten  durch  Ver- 
bessemng  der  Republik  (naprawa  Ilzeczy  pospolitej),  durch  Be- 
Bchmnknng  der  Macht  der  Szlachta,  durch  Verleihung  von  Rech- 
ten an  andere  Stände  und  Volksklassen  und  durch  Erblichkeit 
des  Thrones.  Diese  Pläne  reifen  lange  Zeit  im  Geheimen,  wer- 
den nur  schüchtern  auBgesprochen ;  die  Ideale  der  Reform  ver- 
breiten sich  langsam  und  spärlich  und  dringen  ins  allgemeine 
Bevustsein  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  18. Jahrhunderts,  d.i. 
sozusagen  am  Anfang  vom  Ende,  *  Als  herrschend  erscheinen 
sie  erst  nach  der  ersten  Theilung  Polens  (1772).  Damals 
nahm  unter  dem  Eindruck  der  äussersten  Gefahr  eine  Periode 

1* 

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4  Viertes  Kapitel.    Die  Polen, 

verstärkter,  fieberhafter  Arbeit  ihren  Anfang  nach  jahrbunderte- 
langem  Stillstand.  Die  bestehende  Ordnung  wird  einer  Kritik 
unterzogen  vom  Staudpunkt  der  philosophischen  Ideen  des  18.  Jahr- 
hunderts, die  sich  von  Frankreich  aus  Ycrbreitet  hatten.  Die 
Kation  tritt  bewusst  au  die  Reform  heran;  ans  ihren  besten  gei- 
stigen Kräften  setzte  sich  der  vierjährige  Reichstag  zusammen, 
aus  dem  die  Constitution  vom  3.  Mai  1791  hervorging.  Allein 
dieser  Constitution  war  es  nicht  heschieden,  ins  Leben  zu  treten, 
und  sie  ward  nur  zn  einem  geistigen  Vermächtniss  des  sterben- 
den Organismus.  In  verhängnissvoller  Weise  war  in  Polen  die  Ver- 
wirklichung einer  jeden  gründlichen  Reform  gleichzeitig  von 
einem  innem  und  äussern  Kampf- abhängig,  da  sich  die  Oppo- 
sition der  Parteigänger  des  Althergebrachten  und  der  Adelsfrei- 
heit auf  die  Mitwirkung  von  aussen  stützte,  und  die  auswärtigen 
Mächte  immer  bereit  waren,  diese  Hülfe  zu  gewähren,  weil  es  für 
sie  yortbeilhafter  war,  mit  der  Anarchie  der  Szlachta  zu  thnn 
zu  haben,  als  mit  einer  gefestigten  Centralgewalt.  Für  den  stärk- 
sten Organismus  ist  es  fast  unmöglich,  zwei  Kämpfe  auf  einmal 
auszubauen,  einen  innem  sowol  als  einen  äussern;  um  so  weniger 
vermocfate  dies  ein  geschwächter.  Der  letzte  Act  des  erschüttern- 
den Dramas  der  aufeinanderfolgenden  Theilungen  Polens,  be- 
leuchtet vom  Wiederschein  blutiger  Ereignisse,  der  Strassen- 
auf laufe  des  warschauer  Pöbele,  der  patriotischen  Anstren- 
gungen Koficiuszko's,  der  Erstürmung  Praga's,  endete  damit, 
dasB  alle  die  Länder,  welche  die  Republik  bildeten,  nach  Verlust 
ihrer  politischen  und  in  der  Folge  auch  der  bürgerlichen  Insti- 
tutionen Bestandtheile  der  drei  östlichen  Grossmächte  Europas 
wurden.  Jetzt  sind  schon  mehr  als  80  Jahre  vergangen  und 
man  kann  sagen,  dass  sich  kein  einziges  Partikelchen  nicht  nur 
des  frühern  Staats  und  seiner  Institutionen,  sondern  auch  seiner 
Gesetze  erhalten  hat  und  in  Wirkung  geblieben  ist  (in  Galizien 
gilt  das  österreichische  bürgerliche  Gesetzbuch,  in  Posen  das 
preussische  Landrecht,  im  Königreich  Polen  seit  1807  der  Code 
Napoleon;  in  den  westlichen  und  südwestlichen  Gouvernements 
Kusslands  ist  an  Stelle  des  Litauischen  Statuts  nach  der  Verord- 
nung vom  25.  Juni  [7.  Juli]  1840  der  1- Theil  des  10.  Bandes  des 
Svod  zakonoT  getreten).  Nach  dieser  Zerstörung  ist  nur  eine 
wenig  bemerkbare  und  schiJer  fassbare  Kraft  übriggeblieben  — 
die  historische  Nationalität:  Haus  und  Familie,  Sprache  und 
Sitte,    gewisse  durch  Jahrhunderte  erworbene  und    typisch  ans- 

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HiBtorische  Bemerkungen.  5 

geprägte  Gewohnheiten  des  Denkens  und  des  Handelns.  Das 
Leben  dieser  Nationalität,  einige  Zeit  versteckt,  trat  wieder 
hertor,  wo  es  dem  geringsten  Widerstände  begegnete,  auf  dem 
Gebiete  der  Literatur  und  der  Kunst,  in  einem  herrlichen 
Aufblühen  der  uutionalen  Poesie,  die  an  Schönheit  und  Reich- 
thum  des  Gehalts  bei  weitem  alles  übertraf,  was  im  soge- 
nannten „goldenen  Zeitalter"  der  Sigismunde  geschafTen  wor- 
den war.  Für  diese  Entwickelung  war  die  Theilung  des  ehe- 
maligen Polens  unter  die  drei  Mächte  der  heiligen  Allianz  eher 
forderlich  als  hinderlich,  weil  es  möglich  war,  dass  die  Hinder- 
nisse, welche  sich  in  dem  einen  Staate  fanden,  in  den  andern 
infolge  der  Verschiedenheit  in  den  Regierungssystemen  nicht 
vorhanden  waren.  Diese  Wiederbelebung  strebte,  nachdem  sie 
sich  von  den  Formen  des  französischen  Pseudoclassicismus  los- 
gemacht ond  als  polnische  Romantik  aufgetreten  war,  nach  Kräf- 
tigung des  nationalen  Selhstbewusstseins  und  nach  neuer  Ver- 
knüpfung der  zerrissenen  Fäden  der  Volksüberlieferungen  unter 
äussern  Bedingungen  des  Volkalebens,  die  sich  durchaus  verändert 
hatten  und  jede  Möglichkeit  aristokratischer  Privilegien  und  der 
künstlichen  Oberherrschaft  einer  Gesellschaftsklasse  über  die  an- 
dern ausschlössen.  In  dieser  Literatur  reflectirten  sich  alle  Ver- 
hältnisse der  Zeit,  innerhalb  welcher  sie  entstanden  war.  Sie 
konnte  nicht  umhin,  die  verlorene  glänzende  Vergangenheit  zu 
beklagen,  idealisirte  dieselbe  über  die  Massen,  urtheilte  über  das 
Geschehene  oberflächlich;  ohne  in  die  tiefliegenden  Ursachen 
einzudringen,  blieb  sie  bei  der  politischen  Seite  der  Frage 
stehen,  vergass  die  sociale,  und  spornte  nicht  nur  zur  Ausdauer 
an,  sondern  auch  zu  thörichten  Versuchen,  die  verlorene  poli- 
tische Selbständigkeit  wiederherzustellen,  sei  es  mit  offener 
Gewalt,  sei  es  mittels  der  Waffe  der  Schwachen,  diplomati- 
schen Intrignen  bei  den  europäischen  Mächten,  deren  Zwecken 
es  entsprechen  mochte,  die  polnische  Frage  zu  eigenem  Vor- 
tkeil  auszubeuten.  Jetzt  scheint  diese  Periode  unpraktischer 
Phantasien  und  plötzlicher  Ausbrüche,  die  mit  der  polnischen 
Romantik  begann  und  in  einigen  aufeinanderfolgenden  Auf- 
ständen gipfelte,  welche  die  besten  Kräfte  der  Nation  unnützer- 
weise  verschlangen,  zu  Ende  zu  sein.  Es  lässt  sich  schwer 
voraussehen ,  ob  sich  bald  ein  geeigneter  und  befriedigender 
modus  vivendi  zwischen  deu  blutsverwandten,  aber  geschicht- 
licb  getrennten    Gliedern   dar   slavischen  Familie    finden   wird. 

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6  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Jedeufalls  zeugt  aber  das  Auftreten  von  Grössen,  wie  Mickie- 
wicz,  Krasinski  und  iStowacki  in  der  Poesie,  Chopin  und 
Möniuszko  in  der  Musik,  Matejko  in  der  Malerei  von  der  Kraft 
und  Lebensfähigkeit  einer  beBondem  polnischen  Cultur  und 
ihrer  Existenzberechtigung. 

Bei  dem  engen  Zusammenhange  zwischen  der  polnischen 
Literatur  und  dem  allgemeinen  Gange  der  polnischen  Ge- 
schichte werden  wir,  indem  wir  die  eraterc  in  Perioden  thei- 
len,  jeder  einzelnen  Periode  erst  eine  Skizze  and  Üebersicht 
der  wichtigsten  politischen  und  culturgescbichtlichen  Ereignisse 
vorausschicken  und  dann  erst  zur  eigentlichen  Literaturgeschichte 
übergehen. > 


'  GtwOhnlith  beginnt  man  die  Biljliographic  und  GCBchiuhtsolireiliung 
der  polüisohon  Literatur  mit  dem  ProfcSBor  der  warschauer  Universität, 
Felix  Bentkoweki,  der  1814  zn  Warschau  die  „Historya  lituratury  pol- 
skiej,  wygtawiona  w  apisie  dziel  driikiem  ogtoszonyoh",  3  Bde.,  herausgab. 
Es  war  dies  nur  ein  bibliographiacber  Katalog. 

—  £ine  Umarbeitung  und  YervollatikDdignug  der  Arbeit  Bcntkoweki's 
nahm  auf  Veraulaasung  des  Buchhändlers  Zawadzki  in  Wiliia  Adam  Joch  er 
vor:  „Obraz  bibliijgi-aficzno-hiBtoryczny  literalury  i  uauk  w  Polsce"  {Wilna 
184U),  aber  diese  umfassende  Arbeit  brach  im  3.  Band  ab  und  ist  noch  lange 
nicht  zu  Ende  geführt. 

—  Ein  gewaltiges  Werk  über  polnische  Bibliugrapbie,  zu  dem  1&48 
der  Plan  gefasat,  und  desacn  Druck  1870  brennen  wurde,  liegt  jetzt  vüU- 
endut  vor;  es  ist  die  von  dum  Bibliothekar  der  krakauer  Universität  Karl 
Eatreicher  verfaaste  „Bibliugrafia  polska  XIX  atulecia"  (ISXXK)  Drucke), 
das  den  ersten  Theil  einer  noch  umfänglichem  Arbeit  bilden  soll,  einer 
vollständigen  „Bibliogratia  polska".  Bd.  I  (1872)  523  8.,  A— F;  Bd.  11  (1874) 
634 S-,  G— L;  Bd.IÜ  (1876)  608  S-,  M— Q;  Bd.  IV  (1878)  65D  S.,  R— U;  Bd.  V 
(1880)  335  S.,  W— 2 ;  Bd.  VI  u.  VII  {1881—82)  Dopelnienia  —  Kachtrige,  Ä-2. 
Der  Ort  dft  Herausgabe  ist  Krakau;  das  Werk  erscheint  auf  Kosten  der 
dortigen  Akademie  der  WisBonsoliaften,  Es  sind  darin  alle  in  polnischer 
oder  in  andern  Sprachen  erachienenen,  aber  auf  Polen  bcziigliehen  Werke 
vom  Jahre  1600  an  aufgenommen. 

Be merke nswcrthere  systematische  Werke  über  die  Üeschichtc  der  pol- 
Diaohon  Literatur  sind:  Lestaw  Lukaszewicz,  „Rys  dziejöw  pismicu- 
uictwa  polakiego"  (Krakau  1836).  bine  unbedeutende  Broschüre,  die  aber 
la  Auflagen  erlebte. 

—  Michael  Wiszniewaki  unternahm  ea,  unter  dem  Titel  ,,IIi8torja 
litoratury  polakiej"  eine  vollständigo  Cultui^eschichte  zu  schreiben,  auf 
Grund  umfangreicher  selbständiger  Forschungen  (7  Bde.,  Krakau  1H40— 451, 
brachte  aber  sein  Werk  nur  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrbunderts.  —  Nach 


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Die  ftite  Periode. 


1,  Die  alte  Periode  bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 

(der  Beformatioii). 

Den  polnischen  Historikern  ist  es  noch  nicht  gelungen,  die  in 
den  Annalen  enthaltenen  mythischen  Erzählungen  der  alten  Zeit  zu 


den  Uandschrifteii  nnd  Aufteiohniuigen  dea  VerfasBera  führten  dicBC  Arbeit 
fürt  Hscewicz  (Bd.  8,  1851)  und  ^cbrawski  (Bd.  'J  uod  10,  ia^7). 

—  Eine  Kürzung  nnd  Umarbeitung  dieses  Werkea  nahm  der  DJuhter 
L  KoDdratowioz  (W.  Syrokomla)  vor;  „Diieje  literatury  w  Polsee  od 
tierwiutköw  do  naszych  ozasöw"  (Wilna  1851 — M;  2.  Ausg.  3  Bde.,  War- 
ichao  1874),  rusBiscb  von  A.  Kuaminskij  u.  d.  T.:  „htorija  polgkoj  lite- 
ratorj  ot  na5ala  jeja  do  nastojaiC'^o  vremeni"  (2  Bde.,  Moskau  1862). 

—  Da«  Werk  Ton  K.  Wtad.  Wöjoicki:  „Historya  literatury  polskiej 
w  tarTsach"  (4  Bde.,  Wareehau  1845—46;  2.  Ausg.  1861)  iet  eher  eine  Cbre- 
ilomathie,  als  eine  LiteraturgeBohichtc. 

—  JohoDii  Majorkiewioz,  „Literetura  polska  w  rozwiuivoin  histo- 
rjeinym"  (WarBohau  1847)  ist  der  Versuch  einer  Bearbeitung  des  Gegen- 
tundes  nach  ier  Methode  der  H^^rsoben  Philosophie. 

—  CeberauB  reichen  InbaltB  ist  das  Werk:  „Pismiennictwo  Polskie  od 
DsjdawaieJBi;ch  ozaa6w  a&  do  r.  1830"  (3  Bde.,  Warsohau  1861  —  52)  von 
dem  berühmten  Slavisten  Waclaw  Alex.  Maoiejowski,  aber  es  ist  nur 
bl>  mm  17.  Jahrhundert  geführt. 

—  Beoht  brauchbar  ist  die  sehr  populäre  „Historya  literatury  polskiej" 
TOD  Jolian  BartoBEewioz  (Warsohau  1861;  2.  Aufl.,  veranstaltet  vuu  sei- 
nem 8ohnc,  2  Bde.,  Erakau  187T). 

—  Wtad.  Kehring,  Prof.  zu  Breslau,  gab  heraus:  „Kurs  literatury 
dls  niytku  SKkö)"  (Posen  1866),  worin  die  Periode  des  Mickiewicz  und 
»einer  Schale  recht  gut  bearbeitet  ist. 

—  Weniger  befriedigt  die  „HiBtorya  literatury  polskiej  dla  mlodzieiy" 
m  Karl  Hecberzynski  (Kraken  1873). 

—  Besser  ist  dsB  Buch  von  Adam  Knliezkowski,  „Zarys  dziejöw 
literatory  polskiej  dla  uiytku  szkolnego  i  podri-eznegu"  (Lemberg  1873). 

—  Schon  lange  ist  eine  umfängliche  Arbeit  auf  diesem  Gebiet  verspro- 
chen  von  Anton  Malecki,  früher  Professor  au  der  tiniversität  Lemberg. 

—  A.  Mickiewicz,  „Lea  Slavea"  etc.  (B.I.Bd.,  S.5,  Anmerk.)  erschien 
»nch  in  polniacher  Uebersetzung  von  F.  Wrotnowski  (3.  Ausg.  in  4  Bdn., 
PoBCQ  1865). 

—  Im  Jahre  1855  begann  Joacf  Kazimir  Turowski  die  polnisoheo 
Cliaeiker  und  alteü  Schriftsteller  neu  herauszugeben,  in  Heften,  welche 
5  Serien  bildeten,  lue  Ausgabe  erschien  zuerst  in  Sanok  und  Przemysl,  dann 
in  Krakan  und  hörte  1862  auf;  sie  umfasst  im  ganzen  über  250  Hefte. 

—  DenUobc  Werke:  E.  Lipijicki  (E.  Pufike),  „GeBohichte  der  pol- 
nischen NationalUteratur,   übersichtlich   dargestellt"    (Mainz  1878).  —  H. 


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8  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

entwirren ;  sie  bilden  ein  Gemenge  von  Ueberliefernngen,  welche 
sich  um  Gnesen,  KruEzwica,  Krakau  drehen,  ferner  von  weise- 


Nitschmann,  „Der  poloischo  Parnaas"  (4.  Aufl.,  Leipzig  1875)  enthält  Bio- 
graphien der  herroiTagendcm  Dicliter  nebst  Proben  aiia  ihnen  in  deutsehen 
Uebersetiungen ;  vorauRgcBchickt  ist  eine  literatui'geschichtlichc  Einleitung. 

—  A.  Cybuleki,  „Geschichte  der  polnischen  Hichtkunst  in  der  ersten 
Hälfte  dBB  laufenden  Jahrhunderts"  (2  Bde.,  Posen  ISÖI).  —  Eine  Biblio- 
graphie der  deutschen  Uebersotzungcn  aus  dem  Poluisuhen  und  der  deut- 
schen Schriften  über  Erscugnisse  der  polnischen  Literatur  gab  L.  Kurtz- 
mann  heraus  n,  d.  T.;  „Die  polnische  Literatur  in  Deutaohland"  {Posen 
1881). 

Als  Begründer  einer  kritischen  Geacbichtschrcibang  Polens  gilt  ge- 
wühnlieh  Adam  Karuszewioz:  „Historya  naroda  polakiego  od  poaz%tku 
«hrzesoiaiifltwa"  (Bd.  II — VII,  Warschau  1S03 — 4,  herausgegeben  von  Mo- 
stowski;  Bd.  I,  ebenda  1834,  berausg.  von  der  üeHellsohurt  der  Freunde  der 
Wiasensebaften  zu  Warschau).  Joachim  Lclewel  schrieb  überaus  viele 
Monographien;  ecino  Werke  erschienen  bei  Äupaiiski  in  Poaen  1854  — 
68  in  20  Bänden  u.  d.  T.;  „Polska,  daiejc  i  rzcc/y  jej  ronpatrywane,"  — 
Eine  grusse  originale,  aber  unkritische  Arbeit  ward  von  Theodor  Nar- 
butt  untemummen:  „Dziejc  narodu  litewskiego''  (9  Bde.,  Wilna  1835 — 
1841).  —  Jgdvzej  Moraczewski  unternahm  ob,  eine  vollständige  prag- 
matische Geschichte  Polens  vom  republikanischen  Standpunkte  aus  zu 
sehreiben  „üzieje  Rzcczypospolitej  pulskiej"  (9  Bde.,  Posen  1849—55;  der 
letzte  Band  ist  1855  naeh  dem  Tode  des  Veriaesers  erschienen ;  das  Werk 
reicht  bis  zum  Jahr  1668).  —  Waleryan  Wröblcwaki  machte  unter  dem 
Pseudonym  W.  Koronowicz  denTersuch  einer  Philosophie  der Gesohichte 
Polens,  aber  von  einem  sehr  engen,  ausschliesslich  poHlincfaen  Gesiehtspunktc 
aus.  —  Einen  vollständigen  Gegensatz  zu  den  eben  genannten  beiden  Wer- 
ken bildet  das  unbedeutende  Pamphlet  von  Anton  Walewski,  in  klerika- 
lem Geiste:  „FilozoGa  dziejöw  polskieh,  metoda  ich  badania"  (Krakau  1875). 

—  Die  Werke  des  berühmten  Dichters  und  Historikers  Karl  Szajnoeha 
aind  vor  kurzem  gesammelt  worden  (10  Bde.,  Warschau  1876—78).  —  Teo- 
dor  Morawski,  „Dzieje  narodu  |)ulskiego"  (8  Bde.,  Posen  und  Dresden 
1871  —  7ä).  —  In  der  Publication  noch  nicht  abgeschlossen  ist  „Historya 
pierwotna  Polski"  von  Julian  Bartuszewicz  (letzte  Ausgabe  in  4  Bdn., 
Krakau  1878).  —  Walery  Przjborowaki,  „Dzieje  Polski  do  1772  dia 
mtodzieiy"  (Warschau  1879). 

Sehr  zahlreich  sind  die  Werke  über  polnische  Geschichte  von  dem  lem- 
berger  Gelehrten  Heinrich  Schmitt. 

Eine  neue  Kiehtuog  in  der  Wissenschaft  der  polnischen  Geschichte, 
ganz  entgegengesetzt  der  Schule  Lelewel's,  machte  sich  in  den  Arbeiten  der 
Professoren  an  der  Jag iel Ionischen  Universität  zu  Krakau,  Szujski  und  Bo- 
brzyüski  geltend.  Joaef  Szujski  gab  in^4  Bdn.  „Dzieje  polskie  wedle  osUl- 
nich  badan  spisane"  (Lemberg  1862  —  66)  heraus,  das  znr  Zeit  beste  and 


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Die  alte  Periode.  9 

kroftÜBclieD,  pommerschen  und  grosspolniscben  Traditionen  über 
die  Leeben  oder  Ljacbeo,  über  Krakus,  Wanda,  Popiel  und 
PiasL  Einige  davon  sind  ganz  den  cechischen  ähnlich  (Krak 
Krok,  Piast  Premysl);  andere,  wie  die  über  die  Lechen,  er- 
inacm  stark  an  die  ekandinavischen  Sagae.  Vor  nicht  gar 
knger  Zeit  machte  Szajnocha  den  Vergucli,  den  Ursprung  PoletiB 
TOD  den  Normannen  herzuleiten  und  bemühte  sich,  hauptsächlich 
auf  Grund  philologischer  Daten,  nachzuweisen,  dass  zu  den  klei- 
DCD  elavischen  Stämmen  au  der  Elbe,  Oder  und  Weicheel  die 


neoetl«  Haudbuch  übov  disBen  Gegenstand.  Michael  Bobrzynskt  gab 
IS7n  zu  Warachaa  „Dzieje  Poixkie  w  zaryaie",  eine  prächtige  Skizze  heranB, 
worin  besonders  die  ja  gi  eil  (in  i  sehe  Periode  trefflich  charakterisirt  ist,  —  Selir 
lilentvoll  und  originell  ist  die  Art  der  Ansiedelung  und  die  ursprüngliche 
OrganiBBlion  der  polnischen  GeseUsuhaft  dargestellt  iu  dem  Werke  von  Ta- 
densz  Wojcieuhowsk),  „Cbrobaoya,  rozbiör  BtarozytnoBci  sIowiariBkioh" 
lEnkaii  1873)-  —  Nicht  unerwähnt  darf  bleiben  August  Bielowski,  der 
Herauagebcr  der  kritisch  bearbciteteo  ältesten  Denkmäler:  „Monumenta 
hiBtorica  Foloniao  vetuatiaeima"  (3  Bde.,  Lcmberg  1864— 7F<),  und  Ant.Sigm. 
Heicel,  der  Herausgeber  der  ältesten  Denkmäler  der  polnischen  Gesetz- 
gebung: „Starodawne  prawa  polskiego  pomniki"  (2  Bde.,  Krak  au  1857— 70). 
—  Wichtig  sind  auch  die  deutschen  Arbeiten:  Richard  Röppel,  „Geschichte 
Polens'*  (bis  zu  Ende  des  13.  Jahrb.  Leipzig  1840),  ein  Band,  dem  später 
Jteob  J.  Caro  zwei  weitere  Bände  unter  demselben  Titel  hinzufügt«  (Gotha 
l^~-69). —  Mit  den  politischen  Institutionen  Polens  machen  bekannt:  die 
polnische  Bearbeitung  des  deutschen  Schriftstellers  Lengniob  („Prawo  po- 
«polile  Krötewatwa  polskiego,  wyd,  Helcla,",  Krakau  1836)  aus  dem  18.  Jabr- 
hoodert  und  Siegfried  Hüppe,  „Verfassung  der.Republik  Polen"  (Berlin  1867). 

In  Bezog  auf  Geographie:  Michael  Balinski  und  Timotheus  Lipinski, 
.3tarozjtua  Polska,  pod  wzgl^em  historycznym,  geograficznym  i  statyst^oz- 
njm  opisana"  (3  Bde.,  Warschau  18B0).  —  Luejan  Tatomir,  „Geografia 
ogoba,  SUtystyka  ziem  dawuej  Polski"  (Krakau  1868). 

Das  beste  Le^iikon  ist  bisher  das  von  Samuel  Bogumil  Linde  bearbei- 
tete: „Slownik  jezykft  polskiego"  (6  Bde.,  Warschau  1807  —  14;  neue  ver- 
mehrte Aufl.,  Lemberg  1854 — 60).  Die  beste  Grammatik  von  Anton 
Milecki,  „Gramm atjk B  j§zyka  polskiego  wigfeaza"  (Lemberg  1863);  ver- 
gleichend „Grammatyka  historyczno-poröwnawcza  j^zyka  polskiego"  (3  Bde., 
Lemberg  1879).  —  Franz  Malinowski  (geb.  1608  bei  Thom,  seit  1851  in 
Posen),  „Krytyczna  gramatyka  j§zyka  polskiego"  (Posen  1869). 

Die  Sammlungen  von  Volksliedern  sind  seit  etwa  50  Jahren  sehr  zahl- 
reich geworden;  den  Anfang  machte  die  Sammlung  des  galizisohen  Schrift- - 
itellers  Zaieski  (Wactaw  z  Oleska;  herausg.  1833).  Besonders  bemcrkens- 
werth  sind  die  Sammlnngen  von  Wüjoicki,  Äegota  Pauli,  Czeczot, 
Zejszner,  Oskar  Kolberg. 


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10  Viertee  Kapitel.     Die  Polen. 

ÄnfängQ  einer  Organisation  von  lechisch- normannischen  Gefolg- 
schaften gebracht  worden  seien,  welche  seit  dem  6.  Jahrhundert 
nach  Christus  vom  Baltischen  Meer  bis  au  den  Karpaten  herrsch- 
ten. Dieser  Versuch  mislang  und  wurde  verworfen  (ähnlich,  wie 
man  jetzt  in  der  mBsischen  Literatur  die  normannische  Herkunft 
der  Waräger  leugnet:  Gedeonov,  Ilovajskij,  Zabelin).  Die  erste 
zweifellos  zuverlässige  Nachricht  über  einen  polnischen  Staat 
fällt  in  das  Jahr  963,  als  anter  Kaiser  Otto  I.  der  Markgraf 
Gero  den  heidnischen  Fürsten  Mieszko  oder  Mieczko  besiegte, 
welcher  über  einen  Stamm  der  Foljanen  im  Warte-Gebiet,,  zwi- 
schen Oder  und  Weichsel  (Gnesen,  Posen)  herrschte,  und  ihn 
dem  Kaiser  tributpflichtig  machte.  Dem  gesammten  westlichen 
Slaventhum  drohte  Gefahr;  die  Deutschen  unterwarfen  die  zer- 
splitterten slavischen  Stämme  an  der  Elbe  und  Oder  systema- 
tisch einen  nach  dem  andern  und  bekehrten  sie  gewaltsam 
zum  Christenthum,  legten  Grenzmarken  an  und  gründeten  Bis- 
thämer,  an  deren  Spitze  das  968  errichtete  Eribisthum  Magdeburg 
stand.  Von  den  Deutschen  bedrängt,  sah  der  polnische  Fürst 
Mieszko  ein,  dass  er,  um  das  slavische  Volksthum  mit  Erfolg 
zu  schützen,  dem  Beispiel  seiner  Stammesgenossen,  der  Öechen, 
folgen  müsse,  welche  zu  einer  Organisirung  gelangt  und  erstarkt 
waren,  weil  sie  schon  im  9.  Jahrhundert  das  Christenthum  an- 
genommen hatten;  —  er  wendete  sich  auch  an  den  König  Bole- 
slav  von  Böhmen,  heiratbete  dessen  Tochter  und  empfing  zu 
Posen  die  Taufe  (966),  gründete  daselbst  auch  ein  Eisthum, 
welches  968  unter  das  Erzbisthum  von  Magdeburg  kam.  Die 
bescheidenen  Anfänge  und  Verdienste  Mieszko's  wurden  durch 
den  Ruhm  seines  genialen  Sohnes  und  Nachfolgers,  Bolestaw 
Chrobry  (992  —  1025)  in  den  Schatten  gestellt;  dieser  gilt  auch 
für  den  eigentlichen  Begründer  des  Reichs,  dessen  Grenzen  er 
weit  über  die  Ansiedelungen  des  Stammes  der  Poljanen  aus- 
dehnte, die  dem  Reiche  den  Namen  gaben.  Er  nahm  Weiss- 
Kroatien  mit  Krakan  bis  eu  den  Karpaten  und  die  czerweiiskischen 
(rothrussischen)  Städte  (Galizien)  in  Besitz,  ferner  das  baltische 
Küstenland  (Pomorze,  Pommern),  wurde  von  Otto  III  als  selb- 
ständiger Herrscher  und  Bundesgenosse  anerkannt  (1000)  und  mit 
einer  vom  Papste  empfangenen  Krone  gekrönt.  Er  erlangte  für 
Polen  kirchliche  Selbständigkeit  durch  Errichtung  des  Erzbis- 
thums  Gnesen,  dem  sowol  die  neu  errichteten  Bistbümer  (von 
Krakan,  Breslau,  Kolberg  u.  s.  w.)  als  auch  später  das  Bisthum 

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Die  alte  Periode.  11 

Posen  unteretellt  wurden,  nachdem  sich  dieseB  ?om  Erzbifithnm 
Magdeburg  getrennt  hatte.  In  den  heftigen  Kämpfen,  welche 
Boleslaw  mit  den  Deutschen  nach  dem  Tode  Otto's  III.  führte, 
geht  das  im  Heidenthum  verbliebene  polabische  Slaventhum 
unrettbar  anter;  die  Verluete  auf  dieser  Seite  wurden  durch 
weite  PerBpectiven  nach  dem  Osten  (Kiew)  ersetzt.  Es  unter- 
hegt keinem  Zweifel,  dass  in  dem  mit  Polen  vereinigten  Weiss- 
Kroatien  nebst  Krakau  schon  Samenkörner  des  Christentliums 
vorhanden  waren ' ,  ausgestreut,  als  Sratopolk  das  Land  unter 
die  Botmässigkeit  Mährene  brachte  (894)  und  hier  Methodius 
Bischof  war  (über  die  Beziehungen  des  letzern  zu  dem  heidni- 
schen Fürsten  „an  der  Weichsel"  oder  in  Wislica  s.  Bielowski, 
Monnmenta,  I,  107).  Allein,  obgleich  Spuren  einer  spätem  lan- 
gen Dauer  des  Christenthums  nach  slavischem  Ritus  vorhanden 
sind,  so  haben  sich  doch  keine  Daten  über  eine  selbständige 
Organisirung  desselben  erhalten.  -Die  Obechand  erlangte  der 
lateinische  Bitns,  der  schnell  und  tief  Wurzel  fasste  und  zu 
einer  der  Hauptgrundlagen  des  nationalen  Lebens  wurde,  aus 
folgenden  Gründen:  der  römische  KatholicismuB  war  kosmo- 
politischer, konnte  sich  also  mit  allen  Nationalitäten  vertragen, 
ohne  sie  in  ihrer  eigenartigen  Entwickelung  zu  stören;  die  von 
ihm  eingeführte  lateinische  Sprache  war  die  beste  Befördrerin  und 
Verbreiterin  der  antiken  classischen  Cultur;  durch  Anerkennung 
der  Überherrlichkeit  des  Papstes  fand  das  polnische  Volksthum 
in  diesem  eine  Stütze  in  seinem  Kampfe  mit  dem  römisch-deut- 
schen Reiche;  schliesslich  erwies  sich  die  römische  Kirche,  indem 
sie  die  Idee  von  dem  Vorzug  der  geistlichen  Ordnung  vor  der 
weltlichen  zur  Durchführung  brachte,  als  der  erste  Factor 
zn  der  Beschränkung  der  königlichen  Gewalt  und  legte  den 
Grundstein  zum  polnischen  Parlamentarismus,  der  in  der  pol- 
nischen Geschichte  etwas  ebenso  Nationales  war,  wie  die 
Ausbildung  der  Selbstherrschaft  in  der  alten  Geschichte  Russ- 
lands. Diese  Seite  der  Thätigleit  der  Geistlichkeit  trat  erst 
später  deutlich    hervor;    anfangs   erscheint   als   die    bewegende 


'  Eine  leideDBchaftUube  Polemik  über  den  slavieuhen  Ritus  im  alttn 
Polen  wurde  in  den  Jahren  1839^50  geführt  zwischen  Alti.  Waut.  Ma- 
ciejoweki  ciDerseita  und  Ignaz  Riuhtcr  und  B.  Ostrowski  andererEcits. 
I>er  Inbftlt  des  Streite  ist  in  den  Artikeln  vou  A.  Maleoki  im  iembevger 
Jonnwl  „Przewodnik  naakowy  i  literauki",  1875,  uiitgctheilt. 


.....Gooj^lc 


12  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

und  alles  organisirende  Kraft  die  Gewalt  des  Königs  oder  des 
Fürsten,  welche  ebenso  mächtig  war,  wie  in  Rnseland  unter  Ja- 
roslaT.  Trotz  ihrer  volksthnmlichen  Abstammung  vom  Fürsten 
Piast  ist  doch  nicht  die  geringste  Spur  von  Volksversamm- 
lungen vorhanden,  höchstens  beräth  sich  der  Fürst  mit  sei- 
nem Gefolge  (comites)  und  den  Bischöfen,  Die  Organisation 
der  Gesellschaft  ist  eine  ganz  kriegerische.  Uie  Landschaften 
zerfielen  in  Opola  (viciniae),  vereint  durch  solidarische  Haft 
der  Bewohner  der  Obergewalt  gegenüber;  in  den  Städten  sassen 
in  befestigten  Plätzen  als  füi'stliche  Feldherm  und  zugleich 
Richter  die  „Castellane".  Innerhalb  der  Gesellschaft  machte 
sich  ein  Unterschied  zwischen  dem  Kriegerstande  und  den  nicht 
kriegerischen  Klassen  geltend,  es  hob  sich  die  Szlachta  ab.  Der 
Ursprung  dieeer  Institution  wird  jetzt  folgendermassen  erklärt.' 
Bei  den  lechischen  Slaven  herrschte  die  Polygamie;  wenn  jemand 
starb  und  weder  Sghne  noch-Brüder  vorhanden  waren,  so  nahm 
das  binterlassene  Vermögen  (puscizna)  auf  dem  Wege  der  soge- 
nannten grahie2,  d.  i.  Einziehung,  der  Fürst  in  Besitz,  welcher  im 
Bereich  seines  Fürstenthumg  als  Eigenthümer  allen  Grund  und 
Bodens  angesehen  wurde-  Mit  dem  Christenthum  ward  die  Mo- 
nogamie eingeführt,  ee  klärte  sich  die  Bedeutung  der  Familie,  das 
gegenseitige  Band  der  Verwandten  oder  Vettern,  der  Nachkom- 
men eines  Stammvaters,  ihr  Verhältoise  zur  Dziedzina,  d.  i.  dem 
Erbgut,  welches  jenem  Vorfahren  angehört  hatte.  Der  Fürst  be- 
gann seinen  Waffengenossen  da«  jus  hereditarium  auf  Ländereien 
zu  verleihen,  welche  das  wurden,  was  in  Westeuropa  die  AUodial- 
besitzungen  waren  —  freie,  private  Ländereien,  die  auf  immer 
ans  der  Gesammtmasse  des  fürstlichen  Besitzes  ausgeschieden 
wurden.  Die  durch  fürstliche  Verleihung  privilegirten  Erben  em- 
pfingen auch  nach  dem  deutschen  Worte  „Geschlecht"  den  Bei- 
namen Szlachta;  sie  wurden  die  Theilhaber  eines  „Erb"  oder 
„Herb"  (Wappen);  kein  Partikelchen  des  gemeinsamen  Erbes 
durfte  ohne  Bewilligung  der  Verwandten  veräussert  werden;  sie 
hatten  ein  gemeinsames  symbolisches  Zeichen  und  einen  gemein- 
samen Ruf  (proclama,  zawotanie).  Die  zu  einem  „Herb"  ge- 
hörigen GeBchlecbtsgenossen  wurden  als  dienstpflichtige  Leute  all- 
mählich von  allen  andern  Diensten  und  Abgaben  befreit,  welche 


■  äiaJDooha,  „Lechicki  poaE|tek  Polski" 
LhnteD  Artikel. 


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Pia  alte  Periode.  13 

anf  den  Frohnptlichtigen  lasteten ,  und  als  die  Einrichtnng 
immer  mehr  Wurzel  fasBte  und  gedieh,  gelangte  in  die  Hände 
dieser  Leute  auch  die  richterliche  Gewalt  über  die  gemeine, 
auf  dem  Lande  derselben  Besshafte  Bevölkerung  (Pan  ist  ur- 
Bprünglich  dasselbe  wie  Richter).  Parallel  mit  der  Entwickelung 
der  priTilegirten  Geschlechter,  ans  denen  sich  dann  der  eine 
Stand  der  Szlachta  biMete,  ging  ein  anderer  Process,  wodurch 
der  ländlichen  Bevölkerung  das  Besitzrecht  am  Lande  entzogen 
wurde;  die  freien,  bäuerlichen  Grundbesitzer  verlieren  sich  mit 
der  Zeit  ganzlich,  indem  sie  in  die  allgemeine  Masse  der  Bauern 
übergeben,  welche  auf  fremden  Ländereien,  fürstlichen,  kirch- 
Hcben,  herrschaftlichen,  mit  unfreien  Leuten,  Sklaven  und  Nach- 
kommen von  Sklaven  (parobki,  originarii)  angesiedelt  sind.  Nach 
dem  Wislicer  Statut  sind  die  persönlich  freien  Kmeten  noch  nicht 
ganz  leibeigen;  ihnen  steht  noch  ein  begrenztes  Recht  der  Aus- 
wanderung zu.  Zur  Vertheidigung  der  alten  Zeit  und  des  mit 
ihr  verbundenen  Heidenthums  erhoben  sich  die  unteren  Volks- 
klassen  zweimal  (1034  und  1077),  aber  ohne  Erfolg,  wobei  sich 
der  Stand  der  Dienstmannen  und  die  Geistlichkeit  als  so  stark  er- 
wiesen, daes  sie  nach  Bewältigung  der  Rebellen  1079  König  Bole- 
riaw  den  Kühnen,  einen  despotischen  und  grausamen  Mann,  der 
seine  Hände  mit  dem  Blute  des  Bischofs  Stanislaw  von  Krakau, 
der  ihn  excommunicirt ,  befleckt  hatte,  abzudanken  nöthigten. 
Die  durch  dieses  Ereigniss  geschwächte  Macht  des  Fürsten  trat 
noch  einmal  in  dem  frühem  Glänze  und  der  früheren  Kraft  auf 
in  der  Person  Boleslaw's  IlL  Krzywousty  (1102 — 38),  der  sich 
durch  siegreiche  Kriege  gegen  Kaiser  Heinrich  V.  auszeichnete, 
das  slavische  Küstenland  von  den  Mündungen  der  Oder  bis  zu 
denen  der  Weichsel  definitiv  unterwarf  und  mit  Hülfe  des 
Apostels  der  Pommern,  des  heiligen  Otto,  zum  Christenthuto 
bekehrte.  Allein  mit  dem  Tode  BolesJaw's  III.  trat  für  Polen 
ebenso  nnvermeidtich  wie  für  Russland  unter  Jaroslav  ein» 
Periode  der  Theilnng  ein,  infolge  der  Ansicht,  nach  welcher 
man  den  Staat  als  ein  gemeinsames  Familiengut  des  Fürsten- 
hanses  betrachtete. 

Die  directe  Folge  der  Zerstückelung  des  Ganzen  in  Theile 
war  einerseits  eine  Schwächung  der  kaum  geborenen  Nation;  sie 
Terlor  einige  Theile  des  Bolesiaw'schen  Polens,  z.  B.  Schlesien, 
das  unter  den  sich  germanisirenden  Fürsten  aus  der  altern 
Linie  des  Piastenhauses  deutsch   wurde;   andererseits  die  Diffe- 

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14  ViertCB  EapiteL    Pie  Polen. 

renzirung  der  Theile,  die  Ausbildung  gesonderter  Landschaften, 
von  denen  eich  jede  nach  eigener  Weise  organisirte  und  einen 
stark  individuellen  Charakter  ausprägte.  Jeder  Fürst  hatte  sei- 
nen Statthalter,  Wojewoden  (Palatin),  Kanzler,  Richter;  auf 
die  Wojewoden  folgten  dem  Bange  nach  die  Castellano  in  den 
Städten,  die  Verwalter  der  Opolen.  Alle  diese  Aemter  waren 
gewöhnlich  lebenElanglich.  Diese  Barone  im  Verein  mit  den  Bi- 
schöfen bildeten  den  Rath  des  Fürsten  und  eigneten  sich  unter 
Ausnutzung  der  gegenseitigen  Händel  der  Fürsten  eine  grosse 
Macht  an,  ernannten  Fürsten  und  setzten  sie  ab,  und  machten 
mehrmals  praktisch  zur  Wirklichkeit,  was  man  später  die  Elec- 
tion  nannte.  Die  Macht  nnd  Bedeutung  dieses  unternehmenden 
Magnatenthums  waren  nicht  die  gleichen  im  Norden  und  im  Süden. 
Während  der  Nordeo,  d.  i,  das  eigentliche  Polen  oder  Grosspolen 
mit  Gnesen  und  Masovien  mit  seinen  zahllosen  adeligen  Klein- 
grundbesitzern, mehr  in  alter  Weise  lebte  nnd  für  die  Boleslaw'- 
sche  Tradition  der  Vollgewalt  des  Fürsten  eintrat,  bildete  sich 
im  Süden,  im  sogenannten  Kleinpolen,  eine  Ordnung  der  Dinge 
aus,  in  der  die  Barone  das  Uebergewicht  hatten,  und  welche  sie 
benutzten,  um  Kazimir,  den  jüngsten  Sohn  Bolestaw's  III.,  auf  den 
Thron  zu  bringen.  Schon  dieser  König,  mit  dem  Beinamen  des 
Gerechten,  erscheint  als  ein  ganz  neuer  Typus,  als  der  Typus 
eines  Herrschers,  der  auf  Versammlungen  im  Verein  mit  der  Geist- 
lichkeit und  dem  höhern  Adel  Gesetze  gibt,  und  der  unter  ihm 
stattfindende  Congress  von  Lgczyca  im  Jahre  1080  gilt  bei  den 
Historikern  gewöhnlich  fiir  den  Anfang  der  Errichtung  eines 
polnischen  Senats.  Die  Gewalt  des  Fürsten,  beschränkt  durch 
die  Geistlichkeit,  welche  nach  Rom  hinneigte,  und  sich  bemühte, 
alles  Weltliche  dem  päpstlichen  Stuhl  unterzuordnen,  und  beein- 
trächtigt durch  das  Magnatenthum  konnte  nicht  mehr  die  Auf- 
gaben bewältigen,  denen  wol  früher  ihre  Kräfte  entsprochen 
hätten;  sie  selbst  öffnet  den  Deutschen  die  Thore  und  lässt  sie 
mitten  hinein  ins  Herz  von  Polen.  Eine  Erscheinung  solcher 
Art  charakterisirt  das  13.  Jahrhundert  und  besteht  in  der  Nieder- 
lassung des  deutschen  Ordens  an  der  untern  Weichsel  und  in 
der  Verleihung  des  deutschen  Rechts  an  Städte  und  Colonien, 
die  sich  besonders  nach  dem  Einfall  und  der  Verwüstung  der 
Tatai-en  mit  deutschen  Auswanderern  füllten.  Einer  der  schlech- 
testen Kegenten,  Konrad,  Fürst  von  Masovien,  der  mit  dem  halb- 
wilden Stamme  der   heidnischen  Preussen   nicht  fertig   werden 

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Die  alte  Periode.  15 

konnte,  rief  die  dentcfaen  Ritter  herbei,  gab  ihnen  dag  Kulmer 
Land  nnd  alles,  was  sie  Ton  den  Preuesen  erobern  würden.  Der 
Orden  siedelte  sich  an  der  baltischen  Küste  an  und  gewann 
schliesslich  die  Oberhand  über  Polen,  weil  eben  er  es  war,  aus 
dem  die  beutige  preussische  Monarchie  hervorging.  Infolge  der 
AnsJedelongea  von  Colonisten  geht  die  Germanisirung  aller  pol- 
nischen Städte  und  Städtchen,  ja  sogar  die  Anlage  neuer  deut- 
scher Dörfer  während  des  ganzen  1$.  Jahrhunderts  rasch  vor 
sich  nnd  insbesondere  seit  der  Zeit,  wo  die  Tataren  1241  Polen 
Terwüstet,  Kralcaa  und  Breslau  niedergebrannt  hatten.  Polen 
war  in  eine  Wüste  umgewandelt  worden;  um  es  zu  beTÖlkern, 
mnssten  Colonisten  herbeigerufen  werden,  indem  man  ihnen  Er- 
leichterungen versprach,  sie  von  den  Obliegenheiten  des  polni- 
schen Rechts  eutband,  ihnen  heimische  Institutionen,  eine  eigene 
städtische  und  ländliche  Gerichtsbarkeit  beliess,  von  der  man 
noch  bis  in  die  Zeiten  Kazimir's  des  Grossen.  Appellationen  an 
den  Magistrat  zu  Magdeburg  richtete.  Auf  den  Dörfern  lag  die 
Gerichtsbarkeit  und  die  Verwaltung  in  den  Händen  des  Schulzen 
und  seiner  Schöffen  (lawniki,  scabini);  in  den  Städten  übte  der 
Voigt  mit  seinen  Schöffen  das  Richteramt  aus,  die  Verwaltung 
besorgte  der  Stadtrath  (Magistrat).  Verlockt  durch  das  Beispiel 
trachteten  sogar  rein  polnische  Städte  nnd  Dörfer  nach  Yer- 
leibnng  des  deutschen  Rechts. 

Es  gab  Fürsten,  z.  B.  Leszek  der  Schwarze,  die  sich  auf  dieses 
dentsche  Bürgerthum  von  Städten  wie  Krakau  stützten  und  deutsche 
Sprache  nnd  Sitte  annahmen.  In  den  Städten  siedelten  sich  seit 
itsa  ersten  Krenzzuge  eine  Menge  von  Juden  an,  die  aus  Deutsch- 
land geflohen  waren.  Aue  der  Masse  des  Volks  schieden  sich  die 
Städte  ans,  es  schied  sich  femer  aus  die  Szlachta  oder  der  Ritter- 
st&nd,  der  in  den  Wappon-(Geschlechts-)geno88en6chaften  einen 
fegten  Zusammenhalt  besass;  endlich  nahm  die  am  meisten  privile- 
girte  Stellung  die  Geistlichkeit  ein,  die  nach  Rom  gravitirte,  sich 
von  der  fürstlichen  Gerichtsbarkeit  befreite  und  ihre  eigene  Ge- 
richtsbarkeit nach  kanonischem  Recht  besass,  das  sie  den  Fürsten 
anfdrang,  die  nun  auf  Schritt  nnd  Tritt  mit  den  zahllosen  Privi- 
legien der  Geistlichkeit,  des  Adels,  der  Städte  zu  rechnen  hatten. 
Trotz  der  Zersplitterung  des  Volks  und  der  Verschiedenheit  der 
Stände  bestand  doch  das  Gefühl  einer  nationalen  Einheit  und 
zeigte  sich  das  Bedürfniss,  eine  starke  Centralgewalt  zu  schaffen. 
Welche,  die  Zusammenschtiessung  der  einzelnen  Theile  zu  einem 

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16  Viertes  Kapitel.    Die  Poleo. 

Ganzen  fördernd,  dem  Staate  nach  anasen  bin  Sicherheit  ge- 
währen und  im  Innern  Ordnung  Bcfaaffen  könnte.  Es  bildete 
sich  der  Begriff  der  monarchischen  Einherrschaft  aus.  Dieee 
politische  Bewegung  hatte  zugleich  eine  starke  Wurzel  in  den 
Volksmassen,  war  von  wanner  Sympathie  derselben  begleitet. 
Als  Sammler  des  polnischen  Landes  traten  die  Bepräsentaaten 
einer  der  jüngsten  Linien  des  Piastenhauses  —  der  mazurisch- 
kujawischen,  Wladyslaw  tokietek  und  dessen  Sohn  Kazimir  der 
Grosse  auf.  J'iOkietek  setzt  sich  1313  zu  Erakau,  das  definitiv 
zur  Residenz  wurde,  die  Eöuigskrone  auf,  beruft  1331  den  ersten 
bekannten  Reichstag  (sejm)  nach  Cbgciny  (generalem  omninm 
terrarura  conventus),  gewinnt  die  ersten  Siege  über  den  Orden, 
verheirathet  seinen  Sohn  an  die  Tochter  Gedymin's  von  Litauen 
nnd  übergibt  ihm  1333  den  Thron  nach  dem  Rechte  der  mon- 
archischen, directen  und  ungetheilten  Erbschaft.  Dieser  Sohn,  Ka- 
zimir der  Grosse,  mehr  Diplomat  als  Eriegsmann,  lenkte  den  Staat 
auf  friedliche  Wege  der  Entwickelung,  baute  Städte,  die  sich 
unter  ihm  zu  polonisiren  begannen,  schuf  eine  fiir  beide  Hanpt- 
theile  Polens  gemeinsame  Gesetzgebung,  die  unter  dem  Namen  des 
Statuts  von  Wislica  bekannt  ist.*  Die  Hauptbestandtheile  seiner 
Monarchie  waren  Grosspolen  und  Kleiupolen,  wozu  1340  auch  das 
galiziscbe  Rnssland  kam.  Eine  Bedeutung  der  Theilfürsteo  er- 
hielt sich  nur  einige  Zeit  bei  dem  allmählich  schwindenden  und 
aussterbenden  Geschlecht  der  mazurischen  Fiasten.  Spuren  der 
frühem  Theiinng  erhielten  sich  in  der  Staatsverwaltung,  in  den 
Aemtern  der  ehemals  fürstlichen,  nach  der  Vereinigung  Polens 
aber  nur  landschaftlichen  Wojewoden,  Castellane  u.  a.  Sie 
waren  die  Vertreter  der  Interessen  der  einzelnen  Landschaften, 
während  die  allgemeinen  Interessen  der  Krone  ihre  Organe 
in  den  königlichen  Ministerien  nnd  den  städtischen  Starosten 
(einer  aus  Böhmen  entlehnten  Institution)  hatten;  diese  letztern 
waren  vom  Könige  mit  der  Befugniss  der  Criminalgerichtshar- 
keit  ausgestattet  in  den  vier  Fällen  von  Raub ,  Nothzucht, 
Brandstiftung,  Ueberfall.  Alle  übrigen  Rechtssachen  nnd 
Streitigkeiten  wurden  von   den   gewählten  Richtern  der  Land- 


'  Das  Hauptwerk  über  diesen  Codex  ist  von  Helcel.  Seine  Unter- 
suchungen ergeben,  dasa  es  zwei  gesonderte  Statuten  gegeben  hat  ~  das 
Pioirkower  Tür  Groaajiolen  und  das  Wialicer  vom  Jahre  1317  für  Kleinpolen, 
das  1368  zum  gemeinsam eo  Gesetzbuch  erhoben  wurde. 


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Die  alte  Periode.  17 

Schäften  entschieden.  Die  Eigentbümlichkeiten  Gross-  und  Klein- 
poIeoB  verwiBchten  sich  niemalB,  sodass  also  gleich  im  Fundament 
des  polnischen  Staatsorganismus  das  Princip  einer  Föderation 
lag,  als  einer  freiwilligen,  auf  Zustimmung  und  Recbtegleichheit 
beruhenden  Vereinigung  der  Länder  unter  einer  Regierung  — 
freilich  auf  aristokratischer,  nicht  gemeinbUrgerlicher  Grundlage, 
die  es  int  Mittelalter  nicht  geben  konnte. 

Der  Nachfolger  Kazimir's,  sein  Neffe  Ludwig  oder  Loys  ans 
dem  Hause  Anjou,  der  keine  männliche  Nachkommenschaft  hatte, 
und  im  Gegensatz  zum  polnischen  Volksgebraoch  den  Thron 
einer  seiner  Töchter  geben  wollte,  drang  den  nach  Kaschan  be- 
mfenen  polnischen  Herren  fast  mit  Gewalt  einen  Vertrag  auf 
(1374),  der  dem  Inhalt  nach  von  gleicher  Bedeutung  war  wie  die 
spätern  pacta  conventa,  und  die  gesammte  Szlachta  von  den  Ab* 
gaben  beh-eite  (ausser  zwei  Groschen  Ton  der  Hufe  —  a  manso). 
Als  kraft  dieser  Üebereinkünfte  Loys'  Tochter,  Hedwig,  den  Thron 
bestieg,  kam  gegen  ihren  Willen,  auf  das  Andrängen  der  klein- 
polnischen  Herren ,  ihre  folgenschwere  Heirath  mit  Jsigiello  zu 
Stande,  femer  die  Krönung  zu  Krakau  (1386)  nnd  die  Tanfe 
Litauens.  Die  erste  Frucht  der  Vereinigung  Polens  mit  Litauen 
war,  dass  mit  vereinten  Kräften  dem  gemeinsamen  Feinde,  dem 
dentechen  Orden,  ein  entscheidender  Schlag  versetzt  wurde,  in 
der  Schlacht  von  Tannenberg,  1410.  Allein  die  Union  zweier  so 
scharf  voneinander  verschiedener  Reiche,  wie  Polen  und  Litauen, 
war  nur  eine  persönliche  und  drohte  jeden  Augenblick  zu  zer- 
^len.  Im  Fürstenthum  Litauen  war  der  Grosaflirst  erblich,  ein 
bst  antokratischer  Gebieter,  femer  fand  sich  dort  ein  starkes 
Bojarenthum,  der  Gmndbesitz  war  beschränkt,  fast  lehnsartig, 
ein  Band  mit  der  Krone  wurde  nur  dadurch  aufrecht  erhalten, 
daas  einer  der  Jagiellonen,  oft  sogar  nicht  einmal  der,  wel- 
cher auf  dem  litauischen  Throne  sass,  nach  Uebereinkunft  mit 
dem  Reichstag  auf  den  Thron  von  Polen  erhoben  wurde,  ausge- 
stattet mit  einer  königlichen  Macht,  die  durch  die  Privilegien  der 
Stände  und  der  Magnaten  sehr  beschränkt  war,  indem  sich  die 
letztem  gewöhnt  hatten,  die  Geschicke  des  Staates  -mit  ihrer  kun- 
digen, wenn  auch  schweren  und  eigennützigen  Hand  zu  lenken. 
Der  polnische  Reichstag  jener  Zeit  war  nur  eine  Fortsetzung  der 
frühem  Zusammenkünfte  uud  Berathungen  (colloqnia),  eine  Ver^ 
Buamlnng  von  Krön-  und  landschaftlichen  Würdenträgern  aus 
allen  oder  einigen  Landschaften;  die  Betheiligung  der  Dienst- 

Prrnr,  SUTlHke  LiutktBnn.   11,1.  2 

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18  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

mannen  an  denselben  war  ganz  unbestimmt.  Dieser  Kronrath 
tritt  zuweilen  in  Widerstreit  mit  dem  König,  dem  es  zn  Zeiten 
schwer  wird,  seine  polnische  Politik  mit  den  Pflichten  eines  Gross- 
fursten  von  Litauen  in  Einklang  zu  bringen.  Es  sitzen  darin 
Leute,  die  unter  schwachen  Königen  factisch  den  Staat  regieren; 
als  eine  solche  Person  tritt  z.  B.  der  berühmte  krakauer  Bischof 
Kardinal  Zbigniew  Olegnicki  (gest.  1454)  auf,  der  mit  kräftiger 
Hand  die  nach  Polen  gedrungene  hussitiecbe  Bewegung  znm 
Stillstand  brachte',  Anhänger  der  florentiner  Union  und  einer 
l^alen  Kirchenreform  mit  Unterwerfung  des  Papstes  unter 
das  Concil  war,  aber  über  die  Interessen  des  Staats  die  der 
Kirche  setzte,  den  Sohn  Jagiello's,  Wladyslaw  III.,  auf  den 
ungarischen  Thron  brachte,  und  darnach  zum  Kreuzzug  gegen 
die  Türken  veranlasste,  in  welchem  König  Wladyslaw  1444  auf 
dem  Schlachtfelde  von  Varna  den  Tod  fand.  Der  Nachfolger 
Wladyrfaw's  III.,  welcher  Polen  nnd  Litauen  in  einer  Hand  ver- 
einigte, war  König  Kazimir  (gest.  1492);  er  wurde  früher  bei 
weitem  nicht  nach  Verdienst  gewürdigt,  und  erst  seit  kurzem* 
hat  die  historische  Forschung  in  ihm  einen  der  bedeutendsten 
Herrscher  entdeckt,  der  am  meisten  dazu  beigetragen  hat, 
die  mittelalterliche,  erbliche  Monarchie  in  eine  repräsentative 
mit  einem  Gesetz,  mit  dem  Reichstag  als  Gesetzgeber  und 
mit  dem  König  als  Vollstrecker  der  Gesetze  umzuformen;  — 
sie  fand  in  ihm  mit  einem  Wort  den  Schöpfer  des  polnischen 
Parlamentarismus.  Der  Beiz  des  Föderativwesens  nnd  der  gros- 
sem Freiheit  veranlasste  den  preussischen  Adel  und  die  Städte 
unter  der  Herrschaft  des  Ordens  nach  Einverleibnng  zu  streben, 
am  die  Aufnahme  in  den  Verband  der  polnischen  Krone  nachzn- 
sucben,  was  den  preussischen  Krieg  zur  Folge  hatte,  der  damit 
endete,  dass  nach  dem  Thorner  Frieden  1466  das  baltische  Küsten- 
land mit  den  Mündangen  der  Weichsel,  Danzig,  Marienburg  und 
Ermeland  mit  Polen  vereinigt  wurden,  dem  Orden,  und  zwar  als 
polnisches  Lehen,  nur  Ostpreussen  mit  Königsberg  verblieh.  Wäh- 
rend dieses  Krieges  nimmt  der  von  dem  Magnatenthuni ,  den  Gross- 
würdentrügem-,  eingeengte  König,  der  Soldaten  und  Geld  brauchte, 

'  Dhh  Hub  tenllium  in  Polen  ist  am  besten  in  den  zahlreichen  Mono- 
gi-ikphien  H  );  I  1  I  n  L,  Prochäslca  bearbeitet,  in  den  Publica tionen  der 
krakane    Akad  m      u    a. 

*  Ca  o  und  BobrzjrliBki. 


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Die  alte  Periode.  19 

eineu  Bruch  der  Pririlegien  im  Interesse  des  allgemeinen  Besten  vor 
nnd  fuhrt  ins  politische  lieben  den  zwar  noch  nicht  ganz  reifen, 
aber  im  Staatsdienst  geschulten  Stand  der  zum  Heere,  aber  nicht 
aao  Beamteutham  gehörigen  Szlachta  ein.  Kazimir's  Kieszawer 
Statuten  ^  1454,  spielen  in  der  polnischen  Constitution  eine  eben- 
solche Rolle,  wie  die  Magna  Charta  in  der  englischen;  sie  sind  eine 
Urkunde  über  Rechte  und  Pririlegien  des  Adels,  an  deren  Spitze 
4«r  berühmte  Satz  steht:  neminem  captivahimus  nisi  jure  victum 
(Freiheit  von  UnterBuchangshaft) ;  doch  wird  darin  über  alle  im 
Staate  das  Gesetz  gestellt,  sowie  angeordnet,  dass  neue  Gesetze 
nur  gegeben  nnd  Steuern  nnr  auferlegt  werden  sollen  nach  vor- 
heriger Berathang  mit  den  Kreislandtagen  der  Szlachta.  Diese 
Landtage,  welche  der  König  hereiste,  erwiesen  sich  als  willfährig. 
Als  er  in  ihnen  einen  Stütüpunkt  gefunden,  vereinfachte  er  den 
Mechanismus:  statt  der  Kreislandtage  berief  er  allgemeine  Ver- 
sammlungen für  GroKspolen,  Kleinpolen,  Bnssland  (gewöhnlich 
in  Kolo,  Neu-Korczyn,  Wisznia  Sijdows),  zuletzt  wurde  1468 
bestimmt,  dass  von  den  Landtagen  der  einzelnen  Kreise  oder 
Landschaften,  aus  denen  die  Wojewodschaften  bestehen,  zu  einer 
allgemeinen  Versammlung  des  gesammten  Königreichs  (gewöhn- 
hch  zu  Piotrkow)  je  zwei  landschaftliche  Abgeordnete  (nuntii 
terrestres)  gewählt  werden  sollten.  So  bildete  sich  der  Haujit- 
landt^  der  Krone  (walny  sejm  koronny),  der  zuerst  vor  den 
andern  Landtagen  nicht  den  geringsten  Vorzug  hatte,  weil  der 
König  bei  einem  Miserfolg  auf  diesem  Reichstage  seine  Absich- 
ten auf  den  Landtagen  durchsetzen  konnte.  Von  dem  Reichstage 
hielt  sich  die  Geistlichkeit  fem,  indem  sie  ihre  Privilegien  ver- 
theidigto;  ihn  mieden  die  Städte,  obgleich  sie  dazu  eingeladen 
waren;  sie  kümmerten  sich  überhaupt  wenig  um  das  Allgemeine, 
und  der  Bürgerstand  verlor  infolge  dessen  jede  politische  Be- 
deutung. Nach  dreissig  Jahren  hatte  der  Reichstag  schon  die 
ganze  gesetzgeberische  Gewalt  in  sich  concentrirt;  von  einer  Ge- 
Ktzgebung  auf  den  Landtagen  findet  sich  keine  Spur  mehr.  Auf 
die  Initiative  des  Königs  Jobann  Albrecht  wurden  wichtige  Aen- 
demngen  vorgenommen,  doch  wurde  auch  der  Anfang  von  Ge- 
setzen gemacht,  wodurch  die  Bauern  in  die  Leibeigenschaft  der 


■  Bobrzjnski,  „0  ugtawodawstwje  Nieizftwakiem"  (Kriikaa  1873); 
■.Sejin;  polskie  za  OlbrachU  i  Aleiandrti"  (in  Ateneam,  1876).  —  Roniuald 
Habe,  ^tatala  Nieszawakie  z  1464  r."  (Waracbau  1870). 


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20  Viertes  Kapitel.    IHe  Polen. 

Szlächta  kamen,  und  die  böhern  kirchlichen  Würden  wurden  das 
ausschliessliche  Besitzthum  der  letztem.  Die  den  Boden  unter  den 
Füssen  verlierenden  Magnaten  benutzten  die  kriegerischen  Mie- 
erfolge,  welche  das  Lebensende  dieses  Königs  verfinsterten,  um 
nach  seinem  Tode  den  letzten  Versuch  zu  machen,  eine  oligarchi- 
Eche  Regierungsform  herzustellen,  den  Grosafiirsten  Alexander  zu 
nöthigen,  vor  der  Krönung  das  Privilegium  von  Mielnik  1501  zu 
unterschreiben,  nach  welchem  der  König  zum  Präsidenten  eines 
Senats  wurde,  und  die  gesammte  Gewalt  in  die  Hände  dieses 
Magnatenrathes  überging.  Der  König  unterschrieb  alles,  was 
verlangt  wurde,  reiste  aber  dann  nach  Litauen  und  überHess 
es  dem  Senat,  Polen  nach  eigenem  Ermessen  zu  regieren.  Die 
Erfahrung  zeigte  die  volle  Haltlosigkeit  der  Magnatenregierung; 
man  bat  den  König  zurückzukommen:  der  Vertrag  von  Mielnik 
wurde  aufgehoben,  die  Ressorts  der  Kronminister  (Kanzler, 
Unterkanzler,  zwei  Schatzmeister,  einer  der  Krone  und  einer 
des  Hofes,  Krön-  und  Hofmarschall)  abgegrenzt,  der  Kanzler 
Laski  damit  beauftragt,  eine  Gesetzsammlung  herauszugeben 
(1506);  zuletzt  kam  auf  dem  Reichstag  zu  Radom  1505  die 
berühmte  Verordnung  zu  Stande:  nihil  novi  constitui  debeat 
per  nos  et  sucessores  nostros  sine  commnni  consiliorum  et  nun- 
tiorum  terrestrium  consensu  (es  darf  nichts  Neues  festgesetzt 
werden  durch  uns  und  unsere  Nachfolger  ohne  gemeinsame  Zu- 
stimmung des  Senats  und  der  landschaftlichen  Abgeordneten).  Die 
allgemeine  Hebung  der  Szlachta,  die  von  dem  Gefühl  der  Gleich- 
heit beseelt  war,  untergrub  das  Magnatenthum  an  der  Wurzel. 
Niemals  wurden  die  Staatsämter  erblich,  niemals  bekam  der  Senat, 
der  zuletzt  nur  aus  den  Wojewoden,  Castelianen,  Ministem  und 
römisch-katholischen  Bischöfen  bestand,  eine  selbständige  Bedeu- 
tung. Ans  dem  Umstände,  dass  es  dem  Magnatenthum  an  festen 
Wurzeln  mangelte,  erklären  sich  auch  dessen  Rolle  und  Intri- 
guenpolitik:  bald  bewirbt  es  sieb  um  Gnaden  bei  dem  Könige, 
bald  wieder  um  Popularität  bei  der  Szlachta.  Es  verschwindet 
gewissermassen  zeitweilig  zwischen  den  beiden  Hauptfactoren, 
dem  Monarchen  und  der  Szlachta,  die  sich  gewöhnt  hatte,  sich 
selbst  als  das  gesammte  polnische  Volk  zn  betrachten.  In  allen 
Ländern,  die  später  noch  in  den  Bestand  des  Staates  übei^ingen, 
war  es  von  da  an  das  erste  Werk  der  polnischen  Politik,  die 
verschiedenen  Rangklassen  des  Dienstadels  zu  einer  Szlachta 
zu  vereinigen  und  dann  erst  die  weitere  staatliche  Organisation 

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Die  alte  Periode,  21 

niid  VenraltoDg  einzufiibren.  Diese  frühzeitige  Umforiuui^  de« 
mitteLalterlicben ,  patriarcbalen  Staate  in  den  moderneo  Ver- 
fassangsstaat  hatte  allerdings  ihre  dunkeln  Flecken  und  Mängel. 
Das  Gesetz  galt  allgemein,  aber  über  die  Städte  verfügte  man 
ohne  sie  zu  fragen,  und  das  gemeine  Volk  bleibt  sogar 
gSDz  ausserhalb  des  Gesetzes.  Die  Minister  konnten  nicht  ge- 
wechselt werden,  es  gab  auch  kein  dem  Reichstag  verantwort- 
hches  Ministeriam,  das  die  Continuität  der  Regieningsweise 
noter  Bchwacheo  und  unföhigen  Herrschern  gesichert  hätte.  Der 
König  war  eifersüchtig  auf  sein  persönliches  Regiment,  die  Mi- 
nister nahm  er  zwar  aus  der  Sphäre  der  Magnaten,  aber  ein 
dem  Reichstag  nicht  verantwortlicher,  lebenslänglicher  Minister 
konnte  leicht  auf  die  Seite  der  Opposition  übergehen  und  dem 
König  die  Hände  binden.  Diese  Organisation  setzte  eine  unauf- 
hörliche kräftige  Initiative  seitens  der  Regierung  voraus,  so- 
wie energische  Leute  auf  dem  Throne;  aber  beide  Dynastien, 
Piasten  und  Jagiellonen,  sterben  schnell  imd  ohne  Nachkommen- 
schaft ans,  und  die  letztere  war  noch  dazu  durch  Milde,  Zag- 
haftigkeit und  Unentschiedenheit  des  Charakters  ihrer  Vertreter 
berühmt. 

Als  ein  solcher  weichherziger  Friedensfreund  erscheint  der 
populärste  der  Könige,  Sigismund  I.,  der  Alte,  der  länger  als 
40  Jahre  die  Zügel  der  Regierung  in  seinen  unthätigen  Händen 
hielt.  Man  lobt  ihn,  dass  er  sich  dem  Protestantismus  gegenüber 
ganz  neutral  verhalten  und  Eck  zur  Antwort  gegeben  habe,  er  ziehe 
es  vor,  König  sowol  über  Schafe  wie  über  Böcke  zu  sein.  Seine 
ruhige  äussere  Politik,  die  sogar  mit  SoHman  harmonirte,  liess 
die  Szlachta  alle  Reize  der  Ruhe  und  der  Müsse  schmecken;  die 
ökonomische  Entwickelung  und  die  Fortschritte  waren  erstaun- 
hcb,  aber  Smolensk  ging  verloren;  dem  mit  den  Jagiellonen  ver- 
vaadt  gewordenen  Hause- der  Habsburger  wurde  polnische  Mit- 
wirkung zutbeil,  als  es  die  Throne  von  Böhmen  und  Ungarn  ein- 
nahm, die  nach  dem  Tode  des  letzten  Nachkommen  aus  dem  un- 
garischen Zweige  des  Hanses  der  Jagiellonen,  König  Ludwig's  II., 
gefallen  in  der  Schlacht  bei  Moba6(1526),  frei  geworden  waren. 
Anch  läset  es  sieb  nur  durch  engherzige,  dynastische  Erwägun- 
gen erklären,  dass  die  Länder  des  deutschen  Ordens,  welche 
bei  Albrecht's  von  Brandenburg  Uebertritt  zum  Protestantismus 
Bäcntarisirt  wurden,  von  Sigismund  I.  diesem  seinem  Neffen 
von  schwesterlicher  Seite    in  Lebnbesitz    gegeben   wurden    — 

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22  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ein  Schritt  von  den  TerhäDgnisBTolIsten  Folgen  fSr  Polen.  In 
der  innern  Pplitik  Sigismund'B  tritt  deutlich  die  Rückkehr  zn 
den  mittelalterlichen  Ideen  eines  HeiTBchei's  nach  eigenem  Recht 
zu  Tage,  der  sich  nicht  auf  die  Szlachta  Btützt  und  die  Magnaten 
vorzieht.  Intriguanten  bekommen  die  Oberhand;  die  Königin, 
eine  Italienerin  Bona  Sforza,  handelt  mit  Stellen  und  Aemtem; 
ohne  Controle  werden  die  Mittel  der  Staatskasse  verschwendet 
und  geraubt.  Da  wiegelte  die  Oppositionspartei  der  Magnaten 
die  Szlachta  gegen  den  König  auf,  indem  sie  dieselbe  dazu  auf- 
hetzte, die  Steuern  zu  verweigern  und  die  Gewalt  des  Königs 
zn  beschränken.  Die  1538  bei  Lemberg  zu  einem  Felclzug  nach 
der  Walachei  versammelte  Szlachta  protestirte,  statt  ins  Feld  zu 
ziehen,  gegen  die  Handlungen  des  Königs  und  ging  auseinander 
(der  sogenannte  Hiihner-[Kartoffel-]krieg  —  kokosza  wojna  — 
das  erste  Beispiel  der  dann  folgenden  sogannten  Roko&ze).  Die 
immer  mehr  zur  Erkenntniss  ihrer  Rechte  kommende  und  von 
den  Magnaten  dazu  aufgestachelte  Szlachta  entwöhnte  sich  ihrer 
Obliegenheiten ;  gleichzeitig  machte  sie  aber  die  Bauern  definitiv 
zu  Leibeigenen. 

Hauptdaten  der  alten  Periode. 

963.    Markgraf  Gero  beeiegt  den  polnischen  Fflraten  Mtetzyslaw  und 

macht  ihn  tributpflichtig. 
965-     Mieczyslaw  nimiiit  die  Taufe  von  cecbiBchen  Priestern. 
968.     Gründung  des  ersten  polnischen  Bisthnms  in  Posen. 
1000.     Besuch  Otto's  Ut.  in  Gnesen;  Errichtang  des  Erzbisthums  da- 
selbst. 
1024.     Boleataw  Chrobry  wird  zum  König  gekrönt. 
10.14.     Unruhen  nach  dem  Tode  Mieczystaw's  II.;  Aufschwung  des  Hei- 

denthums. 
1040.     Kazimir,  der  Sohn  Mietzystaw'e  II.  besteigt  den  Fürstenthron. 
1079.     Der  von  der  Kirche  excommunicirte  Boleelaw  II.,  der  Kühne, 

ermordet  den  krakaner  Bischof  Stanislaw. 
1124.    Die  Bekehrung  des  slavischeu  Küstengebiets  unter  Boleslaw  III. 

Krzfwousty.     Die  Apostel  thätigkeit  des  heiligen  Otto. 
1139.     Tod  Boledaw's  III.,  Beginn  der  Tfaeilperiode. 
1177.     Kazimir  der  Gerechte  setzt  sich  in  Krakau  fest. 
1180.     Der  Congress  zn  L^csyca,  der  vermeintliche  Anfang  des  Senats. 
1226-     Konrad,  Fürst  von  Masowien,  verleiht  dem  deutseben  Orden  das 

Knlmer  Land. 
1241.     Der  Einfall  der  Mongolen;    der  Brand   Krakau's;    die  Schlacht 

bei  Liegnitz. 
1395.    Przemyslaw  wird  zum  König  von  Polen  gekrönt- 


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Die  alte  Periode.  23 

1319-  Kröanng  Wladyelaw  Lokietdc'e  bu  Krakau. 

1331-  Gesammtpolnischer  Beichstsg  zu  Chfcinj. 

1333'  ThroDbesteigung  KoKiniir's  des  Grossen. 

1310.  Eazimir  vereinigt  das  galizische  Kusstand  mit  Polen. 

1347.  Der  Reichstag  za  Wislica. 

1370.  Der  Tod  Kazimir's  des  Grogsen;  die  Thronbesteigung  Loys'. 

1374.  Der  Congreas  und  Vertrag  in  Kaacliau. 

1364.  Ankunft  der  Königin  Hedwig  io  Polen. 

1386-  Taufe,  Vertnählang  mit  Hedwig  und  Krönung  Wladyslaw's  II. 
Jagiello. 

1387.     Die  Taufe  Litauens,  Gründung  des  Btstbums  zu  Wilna. 

1387-  Der  Feldzng  Hedwig'g  nach  Rotbrussland ;  Sicherung  desselben 
(Qr  Polen  nach  Vertreibung  der  ungarischen  Beamten,  die  Loys 
eingesetst  hatte. 

1400.     Errichtung  der  krakauer  Akademie. 

1410.     Niederlage  des  dentselien  Ordens  In  der  Schlacht  bei  Tannenberg. 

1413.     Beichstag    und   Union    zn    Horodto.     Der    litauischen    Szlachta 

werden  die  Rechte  nnd  Wappen  der  polnischen  verliehen. 
1444.     Tod  des   Königs  von    Polen  nnd  Ungarn,  Wladyslaw's  IIL,  bei 

1454.  Adel  und  Städte  in  Preussen  bitten  um  die  Einverleibung  ihres 
Landes.     Die  Nieazawer  Statuten. 

1466.     Ende  des  preussiscben  Krieges;  Friede  mit  dem  Orden  zuTbom; 

1468.  Die  Institution  der  iandschaftlichen  (provinsialen)  Abgeordnelen. 
B^nn  der  reprüsentatiren  Regierung. 

1605.  Das  Radomer  Privilegium  des  Königs  Alexander.  Dem  Reichs- 
tag wird  die  gesetzgebende  Gewalt  zuerkannt. 

1525.  Älbrecht  von  Brandenburg  empfangt  nach  Niederlegung  des  Ti- 
tels aines  Grossmeisters  des  Deutschen  Ordens  zu  Krakau  die  In- 
vestitur auf  das  LehnfQrstenthum  PreunseD. 

1529>     Au^sbe  des  ersten  Litauischen  Statuts. 

1537.  Der  „HOhnerkrieg" ;  die  bei  Lemberg  unter  den  Waffen  stehende 
Szlachta  zeigt  offenen  Widerstand  gegen  den  König. 


Wir  haben  in  einer  flüchtigen  Skizze  fast  fünfhundert  Jahre 
der  politischen  Geschichte  Polens,  d.  i.  die  grössere  Hälfte  der- 
selben überblickt,  sind  aber  noch  nicht  zum  Anfang  einer  polni- 
schea  Literatur  gelangt,  weil  sich  aus  den  Zeiten  vor  dem 
16.  Jahrhundert  nur  sehr  ännliche  Ueberreste  mündlicher  Volks- 
poesie  und  sehr  schwache  Anfänge  eines  polnischen  Schriftthums 
erhalten  haben.' 

'  Eine  sehr  apeoiellc  Foreuhung  über  die  altpolnigche  Sprache  enthalt 
iu  Bach  von  J.  Baudouin  de  Courtcnay:  „O  drevne-polskom  jazyk^ 
de  ZIT  at«Utija"  (Leipzig  1870). 

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24  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Zur  Zeit  der  Annahme  des  CbriBtenthams  atandea  die  slavi- 
sehen  Stämme,  welche  das  polntBche  Volk  bildeten,  snf  einer 
sehr  niedrigen  Stufe  der  geistigen  Entwickelung  i  sie  hatten 
kein  SchriftweBen ,  nur  eine  sehr  ärmliche  Mythologie,  die  nicht 
über  den  Naturdienst  hinausging,  und  welcher  nach  dem 
Zeugniss  des  Bischofs  Thietmar  von  Merseburg,  eines  Zeitge- 
noBEen  von  ßoleslaw  Chrobry,  jede  Vorstellung  eines  künftigen 
Lebens  fremd  war.  Polen  vermag  nicht  nur  kein  Epos  aufzu- 
weisen, das  dem  „Liede  vom  Heereszug  Igors"  oder  den  Rhap- 
sodien der  Königinhofer  Handschrift  gleichkäme,  sondern  besitzt 
überhaupt  kein  literarisches  Denkmal,  das  seinen  Inhalt  aus  der 
heidnischen  Weltanschauung  schöpfte  und  eine  directe  Verbin- 
dung mit  der  alten  heidnischen  Zeit  hätte.  Eine  ärmliche  Volks- 
poesie lebte  als  mündliche  Ueberlieferung  in  Lied  und  Sage. 
Infolge  der  Annahme  des  Christenthums  nach  römisch- katholi- 
ßchera  Ritus  ward  der  volksthümliche  Boden  mit  einer  dicken 
Schicht  lateinischer  Cultur  überschwemmt,  deren  Quellen  die 
von  der  Geistlichkeit  gegründeten  Schulen  waren.  Die  ältesten 
derselben  waren  Klosterschulen,  gegründet  von  dem  alten  Orden 
des  heiligen  Benedictus  und  andern  Orden;  später  finden  sich 
Dom-  und  Farocbialschulen  vor.  In  diesen  Schulen  wurden  die 
Kenntnisse  nach  dem  System  des  Trivium  und  Quadrivinm  vorge- 
tragen;  ausser  der  römischen  Kirchenliteratur  wurden  die  classi- 
scben  römischen  Dichter  und  HiBtoriker  studirt.  Die  Schulen  zer- 
fielen in  höhere  und  niedere;  tur  höhere  galten  die  Domschule  zu 
Posen  (Kollegium  LubraAskiego,  gegründet  1516)  und  die  Schule 
der  Kirche  der  heiligen  Maria  zu  Krakau.  Wissensdurstige  Leute 
vervollständigten  ihre  Bildung  durch  Reisen  und  durch  den  Be- 
such ausländischer  Universitäten,  als  Bologna,  Padua,  Paris  und 
seit  1348  Prag.  Als  es  nach  den  Händeln  der  Periode  der 
Tbeilungen  Wladystaw  Lokietek  gelang,  die  zersplitterten  Theile 
des  Reichs  Boleslaw  Chrobry's  wieder  in  starker  Hand  zusammen- 
zufassen, wurde  von  den  polnischen  Königen  die  Kothwendigkeit 
erkannt,  ihr  Reich  durch  die  Gründung  einer  Universität  zn 
Krakau  zu  schmücken.  Der  Sohn  ISokietek's,  Kazimir  der  Grosse, 
suchte  nach  dem  Beispiel  Karl's  IV.,  des  Gründers  der  prager 
Universität,  auch  eine  Universität  zu  schaffen,  indem  er  1364  im 
Dorfe  Bawol  (jetzt  eine  Vorstadt  KrakauB,  Kazimierz)  das  Stu- 
dium generale  mit  dreiFacultäten,  der  juristischen,  medicini- 
Echen  und  philosophischen,  eröffnete.    Uebrigens  gelangen  diese 

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Die  täte  Periode.  25 

Versocbe  nicht ;  es  maagelte  ao  ProfeBEoren ,  der  Unterricht 
hatte  keineo  Erfolg;  zaletzt  kam  unter  dem  Nachfolger  Kazi- 
mir's,  König  Lo;b,  dieses  Institut  ganz  in  Unordnung  und 
Verfall,  und  die  polnische  Jugend  begann  infolge  dessen 
hanfenweise  die  prager  UniTorsität  in  Böhmen  zu  besuchen. 
Die  eigentlichen  Begründer  der  ÜniTersität  (Akademie)  waren 
die  Königin  Hedwig  und  Wtadyslaw  Jagiello.-  Auf  Bitte  der 
Hedwig  ordnete  Papst  Bonifacius  IX.  an,  dass  die  wiederzu- 
erricbtende  Anstalt  ausser  den  drei  frUheren  Facultäten  noch 
eine  vierte,  die  theologische,  haben  solle.  Die  krakauer  Uni* 
Tersität  wurde  tod  Jagiello  1400  (erst  nach  dem  Tode  d«r 
Hedwig)  feierlich  eröffnet.  Es  wurde  festgesetzt,  dass  ihr 
Kanzler  ex  officio  der  Bischof  von  Krakau  sein  solle;  diese  Ab> 
häogigkeit  von  dem  krakauer  Bischof,  sowie  das  Vorhen'schen 
der  theologischen  Facultat  über  die  andern  machten  die  krakauer 
Akademie  zu  einem  Torwiegend  religiösen  Institut,  '  zu  einer 
Tochter  der  Kirche,  zu  einer  Stütze  der  Scholastik.  Dieser  Rich- 
tong  blieb  die  Akademie  treu,  bis  Polen  selbst  nntei^ng.  Die 
ksne  Periode  ihrer  Blüte  fallt  mit  der  ßegierang  der  Dynastie 
der  Jagiellonen  zusammen;  and  eben  damals  brachte  sie  eine 
Reibe  von  bedeutenden  Gelehrten  hervor,  wie  den  bedeutenden 
Denker  Gregor  von  Sanok,  E^rzhischofTODLemberg  (gest.  1477), 
ferner  Johann  Gtogowczyk  (von  Glogau),  den  Er&nder  der  Phre- 
nologie (gest.  1507),  Nikolaus  K op e r n  i k  (Gopernikus,  1473—1543), 
den  Historiker  Johann  Dlugosz.  So  lange  die  damals  die  Geister 
bewegende  religiöse  Frage  nur  darin  bestand^  innerhalb  der  Kirche 
eine  Reform  herrorzuhringen,  den  Klerus  zu  bessern  und  die  ver- 
bUenen  Sitten  zu  ändern,  sjmpathisirte  die  krakauer  Akademie 
mit  dieser  Bewegung,  unterhielt  literarische  Verbindungen  mit 
der  prager  Universität ,  schenkte  hier  and  da  den  Lehren  des 
Hassitenthums  Gehör,  und  ward  auf  einige  Zeit  zu  einer  Pflanz- 
stätte des  Humanismus,  der  Hauptsache  nach  aber  stand  sie  auf 
Seite  der  legalen  Kirchenreform,  und  vertrat  die  Idee  der  Unter- 
werfung des  Papstes  unter  das  Concil.  Als  jedoch  der  Protestan- 
tismus auftrat  und  eine  vollständige  Spaltung  hervorbrachte, 
indem  er  sich  definitiv  von  der  Kirche  trennte,  zog  sich  die 
Akademie  von  den  Neuerungen  zurück  und  scbloss  sich  in  den 
engsten  orthodoxen  Conservativismus  ein,  der  einen  vollständigen 
Verfall  ihrer  frühern  Bedeutung  zur  Folge  hatte.  Die  Professoren 
beiassten  sich  mit  der  Zusammenstoppelung  dürftiger  Bücher,  mit 

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26  Viertes  Kspitel.    Die  PoleD. 

theologiBchen  Disputationen,  mit  der  Astrologie;  in  der  Akademie 
herrechte  ein  achlechtee  Kiroheulatein  und  eine  vermoderte  Scho> 
laetik.  Daa  Volk  ward  gleichgültig  gegen  das  erstarrte  Ingtitut 
Ganz  in  derselben  Weise  verfielen  auch  die  der  krakauer  Aka- 
demie unterstellten  niedern  Scbulen,  die  von  ihr  im  ganzen 
Reiche  gegründet  waren  und  verwaltet  wurden,  der  Zahl  nach 
gegen  40-  Sie  war  nicht  im  Stande,  mit  dem  Protestantismus 
einen  erfolgreichen  Kampf  aufzunehmen;  als  jedoch  die  Jesuiten 
zu  der  Lösung  dieser  Aufgabe  schritten  und  überall  ihre  CoUe- 
gien  zu  errichten  begannen,  kam  die  Akademie  mit  ihnen  in 
Streit,  indem  sie  zu  beweisen  suchte,  sie  habe  in  Sachen  der 
Volkseraiehung  das  Monopol ;  in  diesem  Streit  um  die  Privilegien 
ward  sie  besiegt. 

Die  einzige  Schriftsprache  war  das  Latein.  Das  Volk  betete 
polnisch  und  stritt  sich  vor  Gehebt  polniacb,  aber  die  Predigten 
and  die  Urtheilssprüche  der  Gerichtshöfe  wurden  lateinisch  ab- 
gefasst;  in  dieser  Sprache  ist  auoh  der  erste  Codex  geschrieben, 
der  das  polnische  Landrecht  enthält,  bekannt  unter  dem  Namen 
des  Wislicer  Statuts.  Die  lateinische  Kunstliteratur  ist  in  Polen 
sehr  reich  und  umfaest  zwei  Hauptgattongen  von  Erzengnissen: 
Annalen  und  Poesie,  und  zwar  vorwiegend  lyrische.  In  den 
Annalen  spricht  sich  in  firemdländiscber  Form  der  gesunde, 
praktische  Sinn  des  Volkes,  ein  warmer  Patriotismas  und  ein 
merkwürdiges  Verständnise  für  die  Interessen  des  Staats  aus. 
Obgleich  selbst  bis  zum  16.  Jahrhundert  die  Geschichtsschrei- 
bung nicht  aus  den  Händen  des  einzigen  gelehrten  Standes  jener 
Zeit,  der  Geistlichkeit,  kam,  so  ist  doch  in  den  polnischen  Chro- 
nisten nur  wenig  von  einsiedlerischer  Ascetik  zu  merken;  es  sind 
Leute  des  praktischen  Lebens,  die  den  eifrigsten  Antheil  an  den 
politischen,  bürgerlichen,  diplomatischen,  ja  sogar  kriegerischen 
Angelegenheiten  nehmen;  sie  setzen  oft  durch  ihr  tiefes  Verständ- 
niss  der  Ereignisse  und  durch  die  künstlerische  Keproduction  der- 
selben in  Erstaunen.'  Solche  älteste  Chronisten  sind:  ein  Ge- 
nosse des  Königs  Bole^w  Krzywonsty,  der  Mönch  Gallus  (gest. 
um  1113),  ein  Ausländer,  der  aber  in  Polen  so  heimisch  gewor- 


'  Sehr  ausführlich  ist  die  polnische  Gesuhichtsschreibung  bin  zum 
16.  Jahrhundert  in  dem  vurzüglichcu  Werke  von  Heinrich  Zeissberg 
dargestellt:  „Die  polnische  GeschichtBBchreibung  des  Hittelslters"  (Leipzig 
1678). 


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Die  alte  Periode.  21 

den  war,  dass  in  seiner  ErzäUniig,  die  mit  Vereen  durchmengt 
nnd  nicht  ohne  poetisches  Colorit  ist,  eine  Menge  Poloniemen  be- 
merkbar wird;  der  Bischof  von  Krakau,  Vincenz  Kadtubek  (gest. 
1223),  ein  Anhänger  Kazimir's  des  Gerechten  und  seiner  Nach- 
koDuneu,  ein  Schriftsteller,  dessen  Chronik  eine  solche  Beden- 
tong  erlangte,  dass  sie  in  den  Schalen  als  Handbuch  zum  Stu- 
dinm  der  Taterlandischen  Geschichte  benutzt  wnrde*;  Godzislav 
Baszko  (gest.  um  1273);  der  echarfe,  talentvolle  Janko  von 
Czarnköw,  Archidiakonus  von  Gneeen  (gest.  nm  1384),  Snb- 
kansler  Kazimir'e  des  Grossen;  zuletzt  der  erste  kritische  Histo- 
riker Polens,  der  Kanonikus  von  Krakan  Johann  Dlugosz  vcm 
Niedzielsko,  dem  Wappen  Wienlawa  angebörig  (1415 — 80),  der 
Freund  des  Cardinals  Zbigniew  Oleänicki  und  des  Königs  Kazimir 
Ja^ello,  der  Erzieher  der  königlichen  Kinder,  ein  bedeutender  Ge- 
lebrter,  geschickter  Diplomat  und  grosser  Staatsbürger  mit  einem 
unbeugsamen  und  durch  nichts  befleckten  Charakter.  Sein  gewal- 
tiges Werk,  die  „Historia  polonica"  in  12  Biicfaem,  die  25  Jahre 
emsiger  Arbeit  erforderte,  bildet  die  hauptsächlichste  und  bis- 
weilen einzige  Quelle  Air  die  Geschichte  der  Regierung  der  drei 
eisten  Jagiellonen.  Er  schritt  an  die  Arbeit,  nachdem  er  sich 
mit  einem  grossen  Material  von  Dooumenten,  Annalen,  polnischen 
Bowol  wie  ausländischen,  versehen  hatte;  im  Alter  lernte  er  noch 
russisch,  um  die  russische  sogenannte  Nestor'sche  Chronik  zu 
lesen.'  Er  besitzt  einen  stark  ausgeprägten  Patriotismus,  hält  sich 
bestandig  auf  dem  Standpunkt  des  Nationalstaates,  liebt  die  Cecben 
wegen  des  Hussitismus  nicht,  verhält  sich  ablehnend  und  fast  be- 


'  Dt  Bpätere  Qaellen  diesen  Vinoeiu  VinoentiaB  Eadlubconis  neonen, 
Dod  Bach  bekannt  Ut,  (Iübb  sein  Vater  Bogu«law,  Gottlob  hiesa,  eo  ist  es 
■cht  wahrscheinlich,  daae  Eadtubek  der  verdorbene  Vatersname  des  Hietori- 
hers  ist.  Seine  Chronik  enthält  alle  die  märchen haften  Erzählungen  vom 
Anbng  des  polniBchen  Volkes,  die  noch  jetzt  ein  Bathscl  und  einen  Stein 
dea  AastosaeB  für  die  polnische  Geschichte  Schreibung  bilden.  Stoslaw  £a- 
^na>  hat  die  Ervrählung  Kadlubek's  zum  Bischof  meisterhaft  dargestellt: 
nlhrie  el^cje  w  PoUoe  w  XIII  wieku"  (im  Ateneum,  1878). 

'  Uie  erst«  volUtänilige  Ausgabe  aller  12  Bücher  des  Dlngosz  wurde  zu 
I^pzig  1711  von  Heinrich  ab  Bayssen,  dem  Erzieher  des  Carevif  AleksSj 
Peirovif,  veranstaltet.  Die  neueste  vollständige  Kammlung  aller  Werke  des 
DhigOBZ  ward  von  Alexander  Przczdziecki  zu  Krakau  besorgt  (6  Bde., 
1867—70);  darunter  befindet  sich  auch  seine  polniecbe  Geschichte,  ins  Pol- 
nüche  äbersetzt  von  Karl  MeoherEynski. 


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28  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

daaernd  gegen  ded  Andrang  litauischer  und  russischer  Elemente 
infolge  der  allmählich  vorrückenden  Union  der  Völker.  Davon  &b- 
geeehen  urtheilt  er  über  Leute  und  Ereignisse  ganz  als  Mann  der 
Kirche ;  nach  dieser  Seite  bio  gehört  er  noch  ganz  dem  Mittelalter 
an  und  steht  in  einem  scharfen  Gegensatz  zu  zweien  seiner  Zeitge- 
nossen, zwei  leuchtenden  Strahlen  der  aufgehenden  Sonne  des  Hu- 
manismus, Gregor  von  Sanok  und  demToskaner  Callimachus. 
Die  Werke  des  erstem  haben  eich  nicht  erhalten,  aber  nach  Beinen 
Biographie  zu  schliessen,  welche  der  ihm  ergebene  Callimachus  ge- 
schrieben hat,  darf  man  annehmen,  dass  es  ein  Mann  von  hohem 
Talent  war,  ein  vorzüglicher  Kenner  der  Glassiker,  ihr  Nachahmer, 
ein  Gegner  der  Scholastik,  die  er  „somnia  vigilantium"  nannte. 
Der  wirkliche  Name  des  Callimachus  war  Filippo  Buonaccorsi 
da  Gimignano  (gest.  1496).  Dieser  eingewanderte  Italiener, 
dem  es  gelang,  in  grosse  Gnnst  bei  dem  König  Johann  Albrecbt 
zu  kommen,  der  mit  Polizian  in  Gorrespoudenz  stand  und  seine 
Werke  Lorenzo  Medioi  widmete,  liess  eine  unvertilgbare  Spur  in 
der  Literatur  und  Geschichte  zurück.  Als  Diplomat  wurde  er 
mit  den  schwierigsten  Missionen  betrant:  nach  den  Berichten 
Oregor's  von  Sanok  schrieb  er  eine  in  künetleriBcher  Beziehung 
vortreffliche  historische  Erzählung  von  dem  Kreuzzug  W)a- 
dyslaw's  III.  Jagiello  gegen  die  Türken  und  von  dessen  Helden- 
tod auf  dem  Schlachtfelde  bei  Varna  (polnische  Uebersetzung 
von  M.  Gliszczynski:  „0  krölu  Wladysläwie  czyÜ  o  kl^ce  war- 
neöskiej",  Warschau  13£4).  Er  schrieb  lateinische  Verse;  mit 
ihm  und  dem  Deutschen  Konrad  Geltes,  der  in  Versen  ver- 
schiedene Städte  und  Theile  Polens,  die  Weichsel,  Krakan,  Wie- 
liczka  bescbrieb,  beginnt  eine  Reibe  von  lateinischen  Dichtem 
der  Renaissance  in  Polen,  deren  Einfluss  auf  die  Entstehung 
einer  polnischen  Nationalliteratur  im  16.  Jahrhundert  unzweifel- 
haft ist.  Es  gibt  noch  in  der  polnischen  Literatur  apokryphe 
„Rathschläge  des  Gallimacbus  an  den  König",  35  kurze  Anweisun- 
gen im  Geiste  von  Machiavelli's  „II  principe"  —  darüber,  wie  man 
den  Senat  in  die  Hand  bekommen,  die  Landstände  beseitigen,  sich 
auf  das  Volk  stützen  und  auf  den  den  Italienern  so  wohlbekann- 
ten Wegen  znr  SelbBtherrschaft  gelangen  könne.  Diese  „Rath- 
schläge" hat  GallimachuB  nicht  geschrieben,  aber  sie  stellten  Geist 
und  Tendenz  seiner  Politik  ziemlich  treu  dar.  Diesem  apokry- 
.  phen  Pamphlet  kann  man  die  Denkschrift  des  Doctors  der  Rechte, 
des  Barons  und  „Castellans"  Johann  Ostrorog  („Monumentum 

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I>ifl  alte  Periode.  29 

pro  ordinanda  republica'^)  entgegenstellen,  die  dieser  auf  dem 
Reichstage  des  Jahres  1459  vorlegte,  über  diejenigen  Reformen 
im  Staatsoi^anismuB ,  welche  am  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
wuDscbenswerth  waren.*  Ostrorog  (ge»t.  1501)  ist  der  würdige 
Stammvater  aller  der  zahlreichen  „Statisten",  d.  i.  Staatsmänner, 
die  fortwährend  an  eine  Verbesserung  (naprawa)  der  Republik 
dachten,  und  deren  Werke  bis  zn  dem  vierjährigen  Reichstag 
hin  fast  den  reichsten  Zweig  der  Literatnr  bilden.  Er  Ist 
Monarchist,  möchte  in  eine  möglichst  selbständige  Stellung  Rom 
g^eniiber  gelangen.  Indem  er  für  das  geschriebene  Recht  ein- 
tritt, schlägt  er  eine  einheitliche  Gesetzgebung  vor  und  die  Auf- 
steUuag  eines  Gesetzes  statt  der  bestehenden  zwei,  nämlich 
des  polnischen  Land-  und  des  deutschen  bürgerlichen  Recbts, 
strebt  nach  Abschaffung  der  Zünfte  und  nach  einer  obligatori- 
schen Anwendung  der  polnischen  Sprache  in  der  Predigt  and  im 
öffentlichen  Leben.* 

Von  einer  polnischen  Nationalliteratnr  kann  in  dieser  Periode 
noch  nicht  die  Rede  sein;  nur  sehr  wenige  Denkmäler  eines 
polnischen  Schriftwesena  sind  vorhanden;  es  beginnen,  dem 
Lallen  der  Kinder  gleich,  primitive  Versuche  einer  Poesie  in  der 
roheo,  anbearbeiteten  Volkssprache.  Es  sind  unzweifelhafte  Spu- 
ren vorhanden,  dass  in  den  ältesten  Zeiten  das  cyrillische  Alpha- 
bet in  Polen  in  Gebrauch  war,  und  dass  es  bis  zum  13.  Jahr- 
hundert von  den  Benedictinem  angewendet  wurde,  aber  in 
diesem  Jahrhundert  verfiel  der  Orden,  an  Beine  Stelle  traten 
die  CistercieuBor,  Prämonstratenser,  Dominikaner,  die  sich  we- 
niger wohlwollend  gegen  das  slavisch  •  polnische  Volksthnm  vei^ 
hidten,  and  deren  Einflnss  man  es  zuschreiben  mag,  dass  die 
CfrilUca  von  dem  lateinischen  Alphabet  verdrängt  wurde;  die  mit 
(^rillica  geschriebenen  Handschritten  sind  aber  insgesammt  ver- 
schwanden,  sie  wurden  vergessen  oder  wol  gar  im    15.  Jahr- 


'  L.  Wegner,  „Jod  Oetrorog  i  jego  Panuftnik"  (Pobmi  1869).  Keoe 
AugBb?  in  den  Arbeiteii  der  krakaaer  Akademie  der  WiBsenschaften. 

'  Im  5.  Bande  der  Pablicationen  der  krakauer  Akademie  der  WiBsen- 
Mbtfleii  6ndet  sieh  ein  »ehr  intereeBanter  lateiniBcber  Tivctat  von  Sta- 
tidvw  Zaborowski  über  die  königlii^hen  Güter  und  die  Verbesserung 
dea  StatitB.  DieBer  Tractat,  in  den  ersten  Jahren  des  16.  Jabrhnaderts  ge- 
•chrieben  nnd  1507  beransgegeben,  le^  die  Bedeutung  der  Reform  deB  Kd- 
nigi  Alezander  dar. 


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30  Vierte«  Kapitel.    Die  Polen. 

hundert  von  der  Geistlichkeit  vernichtet,  welche,  vom  Hus- 
eitenthum  erschreckt,  von  dem  Zeitpunkt  an  die  altslavische 
Schrift  mit  änsseretem  Argwohn  betrachtete. '  Da  die  slavi- 
schen  Sprachen  mehr  Laut«  haben  als  die  lateinische,  so  zwang 
die  Nothwendigkeit,  das  lateinische  Alphabet  zu  erveitern  und 
es  zum  Ausdruck  dieser  Laute  geeignet  zu  machen,  d.  h.  es 
musste  durch  die  Erfindung  neuer  Zeichen  vervollständigt  wM- 
den.  In  der  Rechtschreibung  macht  eich  eine  grosse  Unord- 
nung und  Unklarheit  bemerkbar,  jede  Generation  schreibt  anders. 
Im  15.  Jahrhundert  versuchte  der  Schöpfer  der  polnischen  Gram- 
matik, Jobann  Parkosz  ans  2örawica,  Kanonikus  in  Krakau  (gest. 
nach  1451),  orthographische  Regeln  aufzustellen;  er  rieth  das  j 
(Jod)  anzuwenden,  sowie  die  Nasaleu  4,  g,  diakritische  Zeicheo 
und  Striche  zu  setzen  (ü,  &,  l  u.  s.  w.)  Als  erste  Arbeiter  auf 
dem  Gebiete  des  polnischen  Schriftwesens  traten  Geistliche  auf, 
die  das  gewöhnliche  Volk  beten  zu  lehren  hatten,  und  da  das 
Christenthnm  nach  Polen  ans  Böhmen  gekommen  war,  und  die 
£echische  Sprache  früher  als  die  polnische  eine  literarische  Bearbei- 
tung empfangen  hatte,  so  wurde  die  letztere  gleich  von  Anfang  an 
stark  von  der  erstem  beeinflusst.  Dieser  Einfluss  macht  sich  in 
bemerklicher  Weise  bis  ins  15.  Jahrhundert  geltend.  Als  Beweis 
dafür  können  Bruchstücke  dienen,  die  sich  von  einer  Sammlung 
von  Kirchenliedern,  bekannt  unter  dem  Namen  des  „Gancionals 
von  Pi-zeworszozyk"  (1435)  erhalten  haben;  der  Stil  dieser, 
grösstentheils  aus  dem  Öechischen  entlehnter  Lieder  strotzt 
von  Cechismen.  Das  älteste  der  Kirchenlieder  wird  von  der 
Ueberlieferung  dem  heiligen  Adalbert  (Wojciech),  Bischof  von 
Prag  und  Apostel  der  Pomment  (gest.  997),  zugeschrieben.  £& 
ist  das  Lied  von  der  Mutter  Gottes  (Bogorodzica) ,  welches 
seit  Boleslaw  Chrofary  von  den  Kriegern  gesungen  wurde,  wenn 
sie  in  die  Schlacht  zogen;  es  fand  sich  auch  immer  auf  den 
ersten  Seiten  der  Gesetzsammlungen  und  galt  bis  zum  Untei^ng 
Polens  flir  die  Nationalhymne  der  Polen.  Der  ursprüngliche  Text 
dieses  Liedes  ist  nicht  auf  uns  gelangt;  von  den  zwei  ältesten 
Abschriften  desselben  fallt  die  eine  ins  Jahr  1408,  die  andere 
ins  Jahr  1456.  Es  wuchs  immer  mehr  an  durch  Hinznfügung 
neuer  Strophen  in  jedem  Jahrhundert,  ja  selbst  die  Sprache  än- 
derte sich,  sodass  sie  rein  polnisch  wurde,  während  sie  ursprüng- 


:t>wicz,  HiRtor.  lit.  pohk.,  I,  ', 


.,GüÜg[f 


Die  &1U  Periode.  31 

bch  höchst  wahrscheinHch  dem  öecbischen  näher  stand.  Der 
VoUnaprache  erwies  die  Kirche  grosse  Dienste.  Als  sich  im 
13-  Jahrhnndert,  infolge  der  Tatareoeinfälle,  in  dem  entvölkerten 
Iisnde  massenhaft  deutsche  Colonisten  anzusiedeln  begannen, 
Dörfer  und  Städte  gründend,  trat  die  polnische  Geistlichkeit 
für  die  polnische  ^rache  ein  und  rettete  sie  vor  dem  das 
Land  überschwemmenden  Gemianenthnm.  Durch  die  Synodal- 
ferordnongen  der  ErzhischÖfe  von  Gnesen  Fulko  (Pelko) 
1207  und  Jakob  Swinka  wurde  den  Geistlichen  vorgesohrieben, 
dem  Volke  in  polnischer  Sprache  zu  lehren:  das  Vaterunser, 
Ave  Maria,  den  Glauben  und  das  Confiteor;  den  Pfar- 
rern ward  befohlen,  Schalen  zu  gründen  und  in  denselben 
als  Lehrer  nur  Personen  anzustellen,  welche  der  polnischen 
Sprache  mächtig  wären.  Mit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
beginnen  Uebersetzungen  der  Heiligen  Schrißi  in  die  polnische 
Sprache,  unter  denen  besonders  bemerkenswerth  sind:  „der 
Psalter  der  Königin  Margaretha"  (heransgegegeben  1834  in 
Wien),  der  aber  wahrscheinlich  falschlich  diesen  Namen  trägt, 
weit  er  allem  Anschein  nach  Maria,  der  Tochter  des  Königs  Lojs, 
angehörte,  und  „die  Bibel  der  Königin  Sophie",  der  Gemahlin 
desWtadystaw  Jagiello  (herausgegeben  in  Lemberg  1870).  Auch 
haben  sich  ans  dem  15-  Jahrhandert  fünf  Lieder  religiösen  In- 
halts erhalten,  die  man  dem  Prior  des  Klosters  zum  heiligen 
Kreuz  auf  der  liysa  Göra,  Andreas  Ton  &iu^  oder  Slopu- 
chowski  (gestorben  nach  1497)  zuschreibt,  und  die  durch  ihre 
«nnaebahmliche  Naivetat,  Herzlichkeit  und  Lebhaftigkeit  der  Far- 
ben im  Geiste  des  reinsten  Katholicismus  bei  weitem  alle  folgen* 
den  Entengnisse  solcher  Art  übertreffen.  In  diesen  Liedern  wen- 
det sich  der  Dichter  an  die  Jungfrau  Maria,  indem  er  sie  nennt 
„Mütterchen  Gottes,  schöner  als  die  Kosen  des  Paradieses,  über- 
irdische Königin,  Stern  des  Meeres,  helle  Moi^enröthe,  Sonne 
des  ewigen  Lichte  —  mit  ihr  kann  sich  nicht  vergleichen  die 
Lilie  an  Weisse,  noch  die  Rose  an  Schönheit,  noch  der  Lasur 
an  Werth,    noch    die  Nnrde    an    Wohlgemch. " '     Die   reinen, 

'  Wir  fähren  noch  eine  Stelle  an,  welche  die  Klagfe  der  GotteBmnUer 
«tn  Kreoze  ausdrückt:  „Lieber  Sohn!  o  dsss  ich  dich  hier  unten  hatte  — 
■eil  würde  dir  ein  wenig  helfen  —  dein  Köpfchen  hän^  nach  der  Seile, 
ich  würde  dir  es  stützen  —  BInt  fliemt,  an  dir  herunter,  ich  würde  dir  ea 
■bwiicben.  —  Nach  Trank  rufst  du,  ich  würde  dir  aa  trinken  geben  —  doch 
uk  kuiD  deinen  heiligen  Körper  nicht  heben." 


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32  Viertes  Ki^itel.    Die  PoIcd. 

ruhigen  Aocorde  dieser  kirchlicbeo  Lyrik  werden  zuweilen  yod 
den  grellen  Lauten  der  hussitischen  Propaganda  durcbbrocbeD. 
Von  einem  der  Anhänger  der  neuen  Lehre,  dem  Professor  der 
Akademie  zu  Krakau,  Andreas  Galka  von  Dobczyn,  der  um 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  lehte,  und  durch  den  Cardinal  Zhig- 
niew  Oleänicki  ans  Krakau  vertrieben  wurde,  bat  sich  eine 
Lohhymne  auf  Wiklef  erhalten,  die  hemerkenswerth  ist,  nicht 
durch  das  Talent  des  Verfassers,  dessen  sich  wenig  in  diesen 
Versen  findet,  sondern  dadurch,  dass  damit  der  Versuch  gemacht 
wird,  das  Lied  zu  einem  Werkzeug  der  religiösen  Propaganda 
zu  machen. 

Neben  der  alten  kirchlichen  Lyrik  brach  sich  eine  neue  Strö- 
mung Bahn  —  die  Tolksthumliche,  weltliche  und  lyrisch-epische 
Poesie.  Das  Volk  hatte  sein  episches  Alterthum  vergessen,  voll- 
brachte aber  nach  Annahme  des  Christenthums  viele  ruhmvolle 
Thaten,  indem  es  ein  mächtiges  Reich  schuf  und  es  vielmals  auf 
dem  Schlachtfelde  vertheidigte ;  das  NatioDalbewnsstsein  kam  in 
vielen  Liedern  und  Dumen  kriegerischen  und  andern  historischen 
Inhalts  zum  Ausdruck,  die  uns  fast  nur  den  Titeln  .und  den  An- 
fangsversen nach  bekannt  sind.  ^ 

In  die  letzten  Jahre  des  15.  Jahrhunderts  fällt  auch  das 
erste  historische  Buch  in  polnischer  Sprache,  das  jedoch  nicht 
von  einem  Polen  geschrieben  ist.  Es  ist  dies  die  türkische 
Chronik  des  sogenannten  „Janitschar".  Von  Jire^k  („Roz- 
pravy",  Wien  1860)  ist  nachgewiesen,  daes  dieser  Schriftsteller 
der  Serbe  Michael  Konstantinovifi  aus  Ostrovica  war,  und  dass 
seine  Annalen,  welche  die  Niederlage  Wladyslaw's  III.  bei  Varua 
und  die  Niederlage  Johann  Albrecht's  in  der  Bukowina  be- 
schrieben, wahrscheinlich  in  Polen  nnd  in  polnischer  Sprache 
verfasst  worden  sind,  ans  der  sie  dann  ins  Oechische  übersetzt 
wurden. 


>  A  wit>^  te  uam,  witsj  mity  hospodynie  (Und  bo  sei  hhb  denn  will- 
kommen, gnädiger  Herr)  —  bei  der  Rückkehr  dw  Königii  Kazimir,  des  Wie- 
derheratellera,  nach  Polen;  das  Lied  vom  Frieden BRuhluss  des  Bolealaw  Krz;- 
wouaty  mit  den  Pommern;  das  Lied  von  der  Ludg&rd,  der  Fran  de«  Königs 
Przemjrßtaw;  da«  Lied  vom  Voigt  Albert  zu  Krakau,  der  aich  gegen  Wla- 
djBtaw  Lokietek  empörte;  das  Lied  von  der  Sablauht  bei  TanoeDberg: 
„idiie  Witold  po  nlicy,  przed  nim  nioB^  dwie  ezablioy"  (Witold  zieht  die 
Strass'  entlang,  ihm  voran  zwei  Säbel  blank). 


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DftB  goldene  Zeitalter. 


t  Das  ^Idene  oder  olasaiBOhe  Zeitaltar  du*  Literatur  (1548—1606). 

Diese  Periode  dauerte  etwas  über  ein  halbes  Jahrhundert. 
MäD  Denot  sie  die  goldene  oder  die  ciassieche,  auch  wol  die 
Sigismundische ,  obgleich  die  letztere  l^enennung  insofern  nicht 
richtig  ist,  als  die  Regierungszeit  Sigismund'B  I.  keine  bedeu- 
teDden  Dichter  und  Schriftsteller,  ja  nicht  einmal  bedeutende 
Historiker  herrorbrachte  und  sich  am  Ende  der  Kegieruug  Sigis- 
mnnd's  III.  in  der  Literatur  schon  deutlich  der  Verfall  bemerk- 
bar machte.  Der  Anfang  der  Periode  fällt  mit  der  ThronbeBtei- 
gong  des  letzten  Jagiellonen,  Sigismund  August,  zasammen,  und 
öe  bricht  in  der  Mitte  der  sehr  langen  Regierung  (1586 — 1639) 
S^mund's  III.  ab,  als  schon  die  grossen  Sterne  des  polnischen 
PamasB  erloschen,  ja  sich  auch  im  Baa  der  Republik  selbst 
Risse  zeigten  —  die  Symptome  des  unabwendbaren  und  frühen 
Verblühena  und  Verfalls  einer  frühreifen,  aber  zugleich  glän- 
zenden Cinlisation.  Als  Grenze,  welche  diese  Periode  tob  der 
folgenden  trennt,  kann  man  das  Jahr  1606  bezeichnen,  in  wel- 
chem zu  Moskau-  der  erste  von  den  Polen  auf  den  Thron  ge- 
setzte Usurpator  umkam,  und  der  bewaffnete  Aufstand  gegen 
den  König  ausbrach,  der  unter  dem  Namen  des  Rokoaz  Zebrzy- 
dowski's  bekannt  ist. 

Die  Hauptmomente  der  politischen  Geschichte  waren  folgende. 
Das  von  den  Händen  ungebildeter  mittelalterlicher  Krieger  und 
lömisch-kathoUscher  Geistlicher  aufgeführte  und  von  den  Huma- 
nisten oberflächlich  mit  Stuck  bekleidete  Gebäude  stand  fertig 
da  bis  zum  Dach.  Der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
fielen  die  letzten  Arbeiten  zu  —  der  Scbluss  der  Gewölbe,  die 
de6nitive  Vereinigung  des  Königreichs  Polen  mit  dem  Gross- 
förstenthnm  Litauen,  über  welche  sich  ein  unverdächtiger 
Zenge,  der  deutsche  Gelehrte  Hüppe,  so  äussert:  Die  Lnbliner 
Union  vom  Jahre  1569  war  ein  Meisterstück,  das  jeder  stu- 
diren  muas,  welcher  wissen  will,  wie  die  Gehässigkeiten  und 
entgegengesetzten  Interessen  der  Landeetheile  befriedigt  und  den 
Interessen  des  Ganzen  untergeordet  werden  können,  —  Wir 
nehmen  diese  Ansicht  an,  aber  mit  Vorbehalt.  Die  Union  war 
ein  schweres  Werk  und  konnte  nur  durch  Einigkeit  bestehen; 
letztere  wurde  jeden  Augenblick  durch  den  litauisch- russischen 

Pma,  SlBTlMb«  LlltrBtBna.    II,  I.  3 


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34  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Färticalarietnus  und  durch  das  Magnatentham  in  Frage  gestellt 
&\)er  die  Instincte  der  Litauen  aufgepfropften  Szlachta,  die 
Liebe  zur  Gleichheit  und  Freiheit,  welche  den  adeligen  Demos 
der  zur  Szlachta  gewordenen  verschiedenen  Stande  des  Dienstadels 
beseelte,  bekamen  die  Oberhand.  Die  Vereinigung  nahm  König 
Sigismund  August  vor,  der  letzte  seines  Geschlechts,  und  sie 
vollzog  sich  um  den  theuern  Preis  der  Reste  der  königUcheu 
Gewalt,  derjenigen  selbstherrlichen  ererbten  Rechte  auf  das 
Staramlancl  des  Königs,  Litauen,  deren  er  1564  auf  dem  Reichs- 
tag zu  Warschau  enteagte.  Zu  der  Saumseligkeit  des  Vaters 
gesellte  sich  bei  ihm  noch  italienische  List  und  Gewandtheit. 
Er  erreichte  es,  dass  durch  den  Äbschluss  der  Union  zu 
Luhlin  im  Jahre  1569  zwei  getrennte  Reichstage  unlöslich  in 
einen  verschmolzen,  aus  zwei  Reichen  eins  wurde,  ein  Wahl- 
reich,  das  allen  Eventualitäten  eines  Interregnums  ausgesetzt 
war.  Aber  die  Vereinigung  war  keine  definitive,  keine  per- 
fecte ;  zu  Gunsten  des  stolzen ,  hochgeborenen  litauisch  -  rus- 
sischen Magnatenthums  und  diesem  zum  Opfer  blieb  eine  be- 
sondere Regierung  für  Litauen  bestehen,  es  blieben  besondere 
litauische  Minister  neben  den  Kronministem :  zwei  Hauptcomman- 
direude  oder  Hetmane  (eine  nicht  senatorische  Würde,  die  unter 
Sigismund  I.  gestiftet  wurde),  zwei  Kanzler  (ein  Kanzler  und  ein 
Uuterkanzler),  ein  Schatzmeister  u.  s.  w.  Dieser  Process  der  Ver- 
schmelzung der  Krone  Polens  mit  dem  Grossfürstentbum  Litauen 
fand  gleichzeitig  mit  einer  andern  Erscheinung  statt,  einer  ge- 
waltigen Weltströmung,  die  Gesammteuropa  ergriffen  hatte,  und 
die  auch  mit  starkem  Wellenschlag  über  die  Oberfläche  des  pol- 
nischen Staates  ging  —  der  Reformation.  Wie  in  Westeuropa 
war  auch  in  Polen  ihr  Vorläufer  der  HumanismuB,  die  ver- 
meintliche Rückkehr  zu  den  antiken  Mustern,  die  Versuche, 
den  Reichstag  einer  athenischen  oder  römischen  Volksversamm- 
lung ähnhch  zu  machen,  die  landschaftlichen  Abgeordneten  als 
Volkstribunen,  die  Szlachta  als  den  zur  Regierung  bestimmten 
Stand  anzusehen,  von  dem  jedes  Glied  eine  fast  unbegrenzte 
Freiheit  geniesst,  folglich  auch  die  des  Gedankens  und  des 
Gewissens.  Die  polnische  Constitution  machte  den  Neuerungen 
von  Wittenberg  und  Genf  die  Thore  weit  auf.  Im  Jahre  1530 
ward  die  Frage  der  Straflosigkeit  von  Vergehen  gegen  die 
Kirche  auf  die  Spitze  getrieben,  als  einer  der  talentvollsten,  aber 
auch  charakterlosesten  Menschen  jener  Zeit,   Stanislaw    Orze- 


Das  f^oltlene  Zeitalter,  3& 

cbowEki,  ein  Ruesioe  and  Priester,  Propaganda  für  die  Ehe  geist- 
licher Personen  zu  machen  begann  and  sich  selbst  verbeirathetc. 
Vom  Bischof  vor  da»  geistliche  Gericht  geladen,  wiegelte  Orze- 
chowski  die  ganze  Szlachta  gegen  die  Geistlichen  auf,  wobei  die 
Berechtignng  des  bischoflichen  Ketzergerichts  bestritten  wurde, 
als  im  Widerspruch  mit  dem  Grundsatz:  „neminem  captabimus 
nisi  jure  victum."  Die  auf  dem  Reichstag  von  1552  vertagte 
Frage  in  der  Angelegenheit  Orzechowski's  ward  durch  die  Con- 
rtttotion  von  1562  dahin  entschieden,  dass  sich  die  weltliche 
Uacht  weigerte,  die  Entscheidungen  geistlicher  Gerichte  über 
Dissidenten  zur  Ausfuhrung  zu  bringen.  Im  Schose  der  Kirche 
selbst  fand  eine  Spaltung  statt.  Der  Primas  Uchajiski  schwankte 
zwischen  dem  Katholicismns  und  der  Reformation,  schirärmte 
TOD  der  Errichtung  einer  von  Rom  unabhängigen  nationalen 
Kirche.  Ein  ihln  nahestehender  Mann,  ein  Schüler  Melanchthon's, 
der  Protestant  Andreas  Fr.  Modrzewski  (1503 — 72),  Verfasser 
des  berühmten  Werkes:  „De  republica  eniendanda"  (15f>l)', 
machte  den  Vorschlag,  eine  Nationalsynode  zu  berufen,  zu  der  alle 
Bekenntnisse  einzuladen  wären.  Der  König  sollte  mit  der  Sy- 
node in  Glaubenssachen  (Jesetze  geben  und  die  Kirche  nach  Art 
der  anglikanischen  eingerichtet  werden.  Es  wäre  nur  nöthig, 
sich  von  der  römischen  Suprematie  freizumachen,  die  Priester- 
ehe, das  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt,  den  Gottesdienst 
in  der  Volkssprache  einzuführen,  sich  dem  östlichen  Katholicis- 
mos  zn  nähern,  indem  man  in  allem  übrigen  Dogma  und  Hier- 
archie unberührt  liesse.  Für  den  König  standen  die  Dinge 
nberans  günstig:  nachdem  man  die  Nothwendigkeit  erkannt, 
im  König  alle  Kräfte  zu  concentriren  und  ihn  an  die  Spitze 
mr  Durcbfnhmng  der  religiösen  Reform  zu  stellen,  belebten 
uch  die  monarchischen  Gefühle  in  der  Szlachta  und  traten  mit 
noerhörter  Kraft  hervor;  das  unter  dem  Vater  Verdorbene 
konnte  auf  einmal  verbessert  und  hergestellt  werden.  Die 
Szlachta  strebte  nach  der  sogenannten  Execntion  (der  Aus- 
(iihning  des  Statuts  Alexander's  von  1504  über  die  ungesäumte 


>  Ceber  Modrzewski  ver^l.  die  Artikel  von  Malcuki  in  „Bibhoteba 
Ossoliiiakich",  V.  Bd.  (]8fi4);  die  Artikel  von  Tarn.i wski  in  „Przegl^d 
Polski",  I86I-C8;  zwei  Vorlesungen  von  VI.  Lanianskij  am  K.  u.26,  Febr. 
1674  in  der  St.  peteraburgpr  Alitheilung  des  slavigchen  Comit^a  über  Ostro- 
rag  ood  Modnewaki  (im  „Golos",  1874,  Nr.  44  u.  60). 


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36  Viertes  Kapitel.    Die  Polen, 

und  UDvergUtete  Rückgabe  aller  von  Hofleuten  unrechtmäsBi- 
gerweise  verkauften,  verpiandeten  oder  geraubten  Staatalän- 
dereien  an  die  Krone  —  eine  Maseregel,  die  dem  Magnaten- 
thum  mitten  ins  Herz  gerichtet  war,  indem  dadurch  eine  Menge 
leicht  erworbener  Vermögen  vernichtet  wurde).  Der  Konig  ver- 
passte  die  Zeit,  untergrub  das  Magnatenthum  nicht  an  der 
Wurzel,  kräftigte  seine  Macht  nicht.  Die  Execution  kam  nur 
wider  Willen  und  halb  zu  Stande;  den  vierten  Thei)  der 
Einkünfte  auB  den  königlichen  Gütern  oder  die  sogenannte 
„Quarta"  opferte  der  König  1563  auf  das  reguläre  Militär  — 
eine  unzureichende  Summe,  ein  ärmliches  Mittel,  das  noch 
dazu  die  falsche  Idee  förderte,  es  sei  eine  Sache  und  Pflicht 
des  Königs,  die  Armee  üu  unterhalten.  Alle  Krongüter  wur- 
den in  Starosteien  getheilt  und  nach  dem  Gutdünken  des 
Königs  auf  Lebenszeit  gegen  eine  niedere  Pacht  an  verdiente 
Leute  (panem  bene  merentes)  abgegeben.  Für  den  König  hatten 
sie  nur  die  Bedeutung  eines  Mittels,  sich  zweifelhafte  Anhänger 
zu  verschaffen,  und  die  Zahl  der  Unzufriedenen  noch  aus  denen 
zu  vermehren,  welche  hei  der  Vertheilung  übergangen  waren. 
—  Auf  die  Seite  des  Protestantismus  trat  der  König  nicht,  son- 
dern als  gegen  das  Ende  seiner  Regierung  der  Protestantismus 
abzublühen  begann,  regenerirte  sich  der  Katbolicismus,  kräf- 
tigte seine  Disciplin  und  organisirte  die  Hierarchie.  Es  begann 
eine  neue  Strömung,  die  auch  viele  Monarchen  zur  Kräftigung 
ihrer  Macht  benutzten.  Sigismnnd  August  verhielt  sich  auch 
dieser  Wiedergeburt  des  Katbolicismus  gegenüber  ganz  ebenso  un- 
entschlossen; als  1564  der  päpstliche  Legat  Coromendoni  mit  den 
Verordnungen  des  Tridentiner  Conoils  nach  Polen  kam,  schwankte 
der  König,  der  von  Rom  die  Scheidung  von  seiner  ihm  verhass- 
ten  Frau  (Katharina  von  Oesterreich)  nicht  erlangt  hatte,  bis  er 
schlieeslich  doch  nachgab,  überwunden  durch  den  Geist  und  die 
Beharrlichkeit  des  Legaten.  So  blieb  also  der  König  passiv  xwi- 
schen  zwei  gewaltigen  religiösen  und  politischen  Parteien ,  die 
sich  zum  Kriege  bereit  machten  und  sich  schon  im  Geiste  in 
das  Erbe  theilten,  das  nach  seinem  Tode  frei  werden  sollte. 
Das  Niveau  der  politischen  Begriffe,  die  sich  unter  der  Herr- 
schaft des  Parlamentarismus  und  der  bürgerlichen  Freiheit  ent- 
wickelt hatten,  war  jedoch  so  hoch,  dass  gleich  im  hochbedeut- 
samen Moment  des  ersten  Interegnums  die  rein  bürgerliche  Idee 
des  obligatorischen  Friedens  zwischen  den  GlanbensbekenntnisseQ 

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DaB  goldene  Zeitalter,  37 

»oT  dem  Boden  des  Gesetzes,  d.  i.  das,  was  man  jetzt  Toleranz 
nennt,  auftrat  und  mit  einem  mal  angenommen  wurde.  Auf  dem 
Reichstage  zu  Warschau  nach  dem  Tode  von  Sigismund  August 
Terpflichteten  sich  alle  Stände  der  Republik  durch  die  berühmte 
Cooföderation  vom  28.  Januar  1573,  unter  dem  frischen  Eindruck 
der  Bartholomäusnaclit  in  Frankreich,  eidlich,  auf  ewige  Zeiten 
Frieden  zwischen  den  religiösen  Dissidenten  zu  halten  (indem 
man  aucfa  die  Katholiken  unter  diesem  Worte  mit  begriff),  der 
Religion  halber  kein  Blut  zu  rergiessen,  noch  einander  zu  ver- 
folgen und  ZQ  strafen.*  —  Die  erste  freie  Königswahl  kam  zu 
Stande.  Die  Art  und  Weise  ihrer  Handhabung  wurde  auf  eben 
demselben  Yom  Primas  als  Interrex  berufenen  Congress  bestimmt, 
gemäss  dem  Vorschlag  des  jungen  und  noch  nicht  zu  Ansehen 
gelangten,  aber  populären  Starosten  von  Beiz,  Jobann  Zamojfiki, 
der  dahin  ging,  dass  den  König  nicht  der  Senat  und  die  Abgeord- 
neten zu  wählen  haben,  sondern  die  ganze  zusammengekommene 
Silachta,  Mann  förMann,  unter  Abnahme  der  Stimmen  nach  den 
Wojewodschaften,  Dieser  Vorschlag  wandelte  die  Wahl  in  ein 
Hazardapiel  um,  in  dem  zuletzt  die  numerische  Ueberlegenheit 
und  die  bewaffnete  Macht  entscheiden  mnssten,  wobei  eine 
Einmischung  Fremder  unvenneidlich  war.  Aber  anfangs  gingen 
anch  diese  gew^ten  Versuche  glücklich  von  statten.  Nach 
der  mislongenen  Episode  mit  Heinrich  von  Valois  wurde  aof 
den  Thron  ein  genialer  Mann  gewählt,  der  Ungar  Stephan 
Batory  (1526—66),  Protestant  der  Erziehung  nach,  Katholik 
am  politischen  Erwägungen.  Er  hielt  die  Zügel  der  B^ie- 
nmg  mit  fester  Hand,  führte  auf  dem  Reichstag  von  1578  die 
Gerichtsorganisation  durch ,  mittels  Gründung  der  sogenann- 
ten Tribunale,  höherer  Gerichte  letzter  Instanz,  nämlich  eines 
Krontribnnals  und  eines  Tribunals  für  Litauen,  bestehend  aus 
Bichtem,  die  von  der  Szlachta  auf  den  Reichstagen  gewählt 
wurden;  zähmte  femer  die  Magnaten  in  der  Person  Zborowski's; 
hob  den  mittleren  Adel  in  der  Person  Zamojski's,  und  verlieh, 
nachdem  er  das  Volk  in  den  Krieg  gegen  Moskau  fortgerissen. 


'  Das  Schöne  dieser  Verorduosg  verdirbt  der  charakteristieche  Punkt  4, 
welcher  beweist,  daae  auch  die  Toleranz  für  ein  Privilegium  der  Szlachta 
galt.  In  diesem  Punkte  wird  gesagt,  dass  die  Conföderation  die  Macht  der 
UeTTen  über  die  Leibeigenen  tarn  in  saecularibus  quam  in  apiritua- 
libai  nicht  verringern  dnrfe. 


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38  Viertes  Kapitel.    Die  PoIcd, 

den  polnischen  Waffen  einen  unerhörten  Glanz  und  Kuhm.  Die 
Opposition  gegen  die  Absichten  und  die  Politik  des  Königs  war 
stark;  seine  auf  äussere  Unternehmungen  gerichteten  Pläne  dien- 
ten ebenfalls  dazu,  die  Opposition  zu  verstärken;  diese  Pläne 
waren  colossal:  die  Unterwerfung  Moskaus  und  dann  die  Ver- 
treibung der  Türken  aus  Europa.  Die  Szlachta,  der  er  impo- 
nirte,  folgte  ihm  jedoch  und  unterstützte  ihn.  Die  Pläne  Ba- 
tory's  wurden  durch  seinen  Tod  unterbrochen.  Das  ganze  gegen 
ihn  gährende  Misvergnügen  kam  an  seinem  nächsten  Genossen, 
dem  Kanzler  und  Hetman  Zamojski,  zum  Ausbruch,  der  jedoch 
so  mächtig  war,  dass  er  nach  Ueberwindung  seiner  Feinde, 
welche  die  österreichische  Partei  bildeten,  einen  Nachkommen 
des  Hauses  Jagiello  in  weiblicher  Linie,  Sigismund  III.  Wasa, 
auf  den  Thron  setzte. 

Wenig  begabt,  eigensinnig,  ein  Fanatiker  mit  engherzigen, 
klerikalen  Ansichten,  erzogen  in  den  Begriffen  einer  unumschränk- 
ten Gewalt  nach  göttlichem  Recht,  stürzte  Sigismund  III.  von 
seinem  väterlichen  Thron  in  Schweden  und  wurde  auch  in  Polen 
nicht  populär.  Da  er  nicht  im  Stande  war,  offen  zu  wirken,  führte 
er  seine  geheime  Cabinetspolitik,  neigte  sieb  einem  Bündniss  mit 
Oesterreich  zu,  opferte  die  Interessen  Polens,  nur  um  den  schwe- 
dischen Thron  wieder  zu  erlangen.  Sogar  das  gefiel  den  Zeit- 
genossen an  ihm  nicht,  dass  er  an  einen  Krieg  mit  der  Türkei 
mehr  aus  religiösen,  als  aus  politischen  Motiven  dachte;  diese 
Absichten  entsprachen  dem  Geschmack  der  Szlacbta  nicht,  die 
sich  immer  mehr  an  friedliche  Beschäftigungen  gewöhnt  hatte, 
und  sogar  schon  Batory  widerwillig  gefolgt  war.  An  der  Spitze 
der  Opposition  stand  jetzt  Zamojski.  Auf  dem  sogenannten  In- 
quisitionsreichstag im  Jahre  1592  wollte  diese  Opposition  mit 
dem  König  rechten,  forderte  eine  Untersuchung  seiner  verfas- 
sungswidrigen Handlungen.  Nach  dem  Tode  Zamojski's  wuchs 
der  Zwist  zu  einem  Bokosz  an,  d.  i.  zu  einem  offenen  Bürger- 
kriege zwischen  den  Royalisten  und  den  Aufetändiscben ,  in 
deren  Lager  sich  alle  nichtkatholischen  Bekenntnisse  befanden. 
Der  Kampf  fand  zu  derselben  Zeit  statt,  wie  die  von  dem  Könige 
ausgerüstete  Expedition  des  Usurpators  nach  Moskau,  ein  Privat- 
unternehmen,  an  dem  sich  ehrgeizige  Magnaten,  die  von  Chmel- 
nickij  sogenannten  polnischen  Königlein,  adelige  Abenteurer, 
östliche  Cortez  und  Warren-Hastings  betheiligten.  Die  Aufstän- 
dischen  wurden  bei  Guzöw  geschlagen  1607.    Allein  der  König 

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Da5  goldene  Zeitalter.  39 

wurde  noch  mehr  durch  KeichBtagsconstitutioneii  beschränkt, 
in  die  ein  Theil  des  Programms  der  Aufständischen  überging. 
Am  stärksten  litt  der  Protestantismus,  der  Geist  der  politischen 
Beformeo  verschwand,  es  kamen  andere  Zeiten. 

Die  Ursachen  des  nahenden  Verfalls  könuen  erst  jetzt,  aus 
dtf  Ferne,  verfolgt  und  diu^elegt  werden;  in  jener  Zeit  beachtete 
m&n  die  kleinen  Gewitterwolken  nicht,  die  sich  am  Horizont  zu- 
Bammenzogen.  Die  Republik  stand  im  Laufe  des  ganzen  16.  Jahr- 
hunderts im  Vergleich  zu  den  damaligen  Staaten  Westeuropas  auf 
der  höchsten  Stufe  der  Zufriedenheit  und  Ordnung,  und  barg 
in  sich  zwei  unumgängliche  Bedingungen  des  Wohlstandes:  Macht 
nach  Aussen  and  bürgerliche  Freiheit  im  Innern.  Polen  war  sehr 
mächtig.  Seine  Besitzungen  dehnten  sich  von  den  baltischen  Küsten 
bis  EU  den  jetzigen  neurussischen  Steppen  und  von  den  Karpaten 
bis  weit  über  die  Dvina  und  über  den  Dnepr  hin  aus.  Die 
Erben  zweier  eingegangenen  Ritterorden,  des  Deutscheu  Ordens 
und  der  Schwertritter,  der  Fürst  von  Preussen  und  der  Herzc^ 
von  Karland,  standen  in  Lehnsabhängigkeit  von  dem  König 
von  Polen.  Seisem  EintluBs  war  die  Moldau  und  Walachei  unter- 
than;  zahllose  Herren  aus  Litauen  und  Russland  umgabeb  den 
König.  Die  gewaltigen  materiellen  Mittel  der  Republik  gewähr- 
ten ihr  vollständige  Sicherheit  vor  äussern  Feinden  und  gaben 
ihr  die  Möglichkeit,  ihre  ganze  Thätigkeit  der  Innern  Ent- 
«idcelang  zuzuwenden.  Die  letzten  beiden  Jagiellonen  unter- 
hielten sogar  freundschaftliche  Beziehungen  mit  den  Feinden  der 
gesammten  Christenheit,  den  türkischen  Sultanen  Soliman  und 
Selim  U.  Unter  dem  Schatten  des  holden  Friedens  verwandelte 
sich  Polen,  einst  ein  kriegerischer  Eroberungsstaat  mit  Gefolg- 
wesen  und  Kriegerversammlungen,  endgültig  in  einen  Staat  von 
Grundbesitzern  und  Ackerbauern.  Die  Szlachta,  die  in  (irühem 
Zeiten  ein  ritterlicher  Stand  hiess,  ward  jetzt  vorvriegend  ein 
Landadel  (ziemialtetwo);  politische  Vollberechtigung  besitzen 
nnr  Grundbesitzer  adeliger  Abkunft  (bene  nati  et  possessionati). 
Die  Szlachta  verfügt  über  altes:  sie  hat  die  örtlidie  Selbstver- 
vsltnng  der  Landschaften  in  den  Händen-,  sie  wandelte  die  kö- 
nigliche Gewalt  mittels  der  Königswahl  in  eine  von  ihr  abhän- 
gige Institution  am ;  sie  nimmt  an  der  gesetzgeberischen  Gewalt 
mit  dem  König  und  dem  Senat  theil  mittels  ihrer  landschaft- 
lichen Nuntien  oder  Boten,  die  nach  den  ihnen  von  den  Land- 
schaften gegebenen   Instructionen  bandelten,  and  an  der  Ge- 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


40  VierteB  KByitel    Die  Polen. 

richtabarkeit  mittels  gewählter  Richter.  Seihst  der  Senat  oder 
der  königliche  Bath  war  eine  reine  ÄdelBinetitution ,  weil  er  aae 
hohem  Würdenträgern  bestand,  staatlichen,  landBchaftlichen, 
geistlichen  und  weltlichen,  die  zu  diesen  Wurden  aus  der  Mitte 
der  bedeutendsten  Grundbesitzer  vom  König  ernannt  wurden. 
Der  polnische  Edelmann  verachtete  Industrie  und  Handel,  die 
er  den  Städtern,  Ausländern,  Juden  überliess;  in  seinen  Augen 
waren  nur  der  Ackerbau  und  der  Staatsdienst  im  Civil-  und 
Militärwesen  Beschäftigungen,  die  sich  für  ihn  schickten.  Die 
ganze  Szlachta  repräsentirte  gewissermassen  eine  einzige  Brüder- 
schaft von  zugleich  Ackerbauern  und  Kri^em,  die  bereit  war. 
Mann  tär  Mann  zu  den  Waffen  zu  greifen,  um  im  Falle  der 
Noth  eine  Gefahr  abzuwenden,  aber  nur  Vertheidigangskriege 
führte  und  sehr  argwöhnisch  auf  die  Eroberungspläne  derjenigen 
Herrscher  blickte,  die  von  einem  mehr  kriegerischen  Geiste  be- 
seelt waren  (z.  B.  Eatory),  aus  Besorgnies,  die  Gewalt  des 
Königs  könne  sich  zum  Nachtheil  der  Freiheit  der  Szlachta 
vergrössem.  Die  polnische  Poesie  lieht  es,  diese  friedliche 
Stimmung  des  Geistes  in  folgendem  charakteristisohen  Bild  dar- 
zustellen: ein  armer  Szlachcic,  der  sich  innerlich  für  ebenso 
viel  hält,  wie  jeder  beliebige  Wojewode,  ackert  die  Erde,  nach- 
dem er  den  Säbel  abgeschnallt  und  die  Klinge  in  die  Grenze 
seines  Stammguts  gesenkt  hat. 

Das  jetzige  Russland  nennt  man  bisweilen  einen  Bauern- 
staat; ganz  ebenso  konnte  man  Polen  einen  Gutabesitzerstaat 
nennen.  Beide  Attribute  enthalten  weder  eine  Kritik  noch  einen 
Tadel  in  sich,  sondern  nur  die  einfache  Anerkennung  einer 
Thatsacfae;  sie  bezeichnen,  dass  die  Hauptkraft  Russlands  un- 
streitig im  gemeinen  Volke  liegt,  während  die  Hauptkraft  Polens 
von  der  grundbesitsenden  Szlachta  gebildet  wurde.  Aebnliche 
'  Elemente  bestanden  auch  im  alten  Rossland  im  Ueberfluss,  aber 
sie  wurden  durch  den  Einfall  der  Tataren  und  die  moskauische 
Centralisation  weggefegt;  es  ist  bekannt,  wie  spurlos  alle  nord- 
ruseiscfaen  Volksrechte  verschwunden  sind.  Eben  diese  Elemente 
erlangten  aber  in  Polen  ihre  volle  Entwickelung  und  bildeten  die 
Grundlage  eines  Staatsorganismus ,  dem  sie  einen  sehr  originel- 
len Charakter  verliehen.  Bei  all  seiner  Einseitigkeit  war  dieser 
Organismus  der  Entwickelung  der  Individualität  nnd  grosser 
bürgerlicher  Tugenden  in  hohem  Grade  förderlich.  Das  Princip 
völliger  Gleichheit,  welches  das  Wesen  der  Szlachta  bildete,  und 

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Dm  goldene  Zeitalter.  41 

wonach  sich  der  arme  Szlacbcic  auf  seinem  kleinen  Hofe  für  niclit 
«chlechter  hielt  als  der  erste  Magnat,  entwickelte  in  diesem 
Stande  ein  starkes  Bevusstsein  persönlicher  Würde,  ohne  das  es 
keine  wirkliche  Freiheit  geben  kann.  Dieses  Gefühl  glich  durch- 
ans  nicht  dem  auf  dem  Boden  der  Romantik  erwachsenen  klein- 
lichen point  d'honneur  der  Spanier  oder  Franzosen,  das  immer 
bereit  ist,  den  Handschub  hinzuwerfen,  tind  für  das  kleinste  ver- 
letzende Wort  und  die  kleinste  Bewegung,  welche  die  persönliche 
Eigenliebe  streift,  den  Degen  zu  ziebeii.  Als  Masstab  des  Ver- 
dienstes galt  nur  das,  was  jemand  für  die  Oeffentlichkeit  (den 
Staat  oder  die  Gemeinde)  geleistet  hatte;  der  res  privata  wurde 
Bteta  die  res  publica  gegenübergestellt,  wobei  es  für  die  Pflicht 
eines  anständigen  Bürgers  galt,  die  erstere  der  letzem  zu  opfern; 
fnr  einen  gemeinen  Menschen  wurde  angesehen,  wem  es  bei  seiner 
Thätigkeit  nur  nm  „res  privata"  zu  thnn  war,  aber  für  „res  publica" 
«nrden  jeden  Augenblick  mit  der  grössten  Selbstverleugnung,  die 
an  das  alte  Rom  erinnert,  Leben  und  Eigenthum,  sowie  fast  die 
ganze  Thätigkeit  des  einzelnen  Mannes  eingesetzt,  weil  in  diesem 
aonderbaren  Staate,  fast  ohne  Centrum  —  mit  einer  kleinen  regu- 
lären Armee,  mit  einem  nach  unsem  gegenwärtigen  Begriifen 
schlechten  Finanzsystem,  mit  überaus  ungenügenden  strafrecht* 
hohen  Mitteln,  und  last  ohne  alle  polizeilichen  Institutionen  —  alle 
Öffentlichen  Functionen  durch  die  Selbsttbätigkeit  der  den  Staats- 
körper bildenden  Einheiten  verrichtet  wurden.  In  andern  Oi^a- 
nismen  tritt  der  Patriotismus  ruckweise  auf  in  den  Momenten 
der  Gefahr,  in  den  gewöhnlichen  Zeiten  sind  aber  seine  Forde- 
rnngen  an  das  Individuum  nicht  gross:  hier  dagegen  forderte 
er  einen  unaufhörlichen  Dienst  —  mit  den  Waffen  in  der 
Volkswehr,  mit  dem  Geiste,  dem  Worte  und  dem  Rathe  auf 
den  Land-  und  Reichstagen  und  in  den  landschaftlichen  und 
staatlichen  Aemtem.  Aus  diesen  Lebensbedingungen  ging  der 
Mangel  jeder  knechtischen  Verehrung  vor  dem  materiellen 
Reichthum  hervor,  welcher  sich  bis  zur  Verachtung  steigerte, 
femer  der  überaus  geringe  Werth,  welchen  noan  dem  Ver- 
mögenscensus  beilegte,  um  so  mehr  als  auch  die  Lebensweise 
der  grossen  Mehrzahl  der  Szlachta  selbst  zur  Massigkeit  und 
Bescheidenheit  geneigt  machte.  Polen  hatte  nie  einen  glänzen- 
den, prächtigen  Hof,  der  eine  Rolle  als  Gesetzgeber  der  Mode 
und  des  Geschmacks  gespielt  hätte;  die  Szlachta  liebte  die  Städte 
nicht,  und  hatte  in  ihnen  keine  beständigen  Wohnsitze,  sie  baute 

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42  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

keine  Schlösser,  sondern  lebte  zerstreut  auf  den  Dörfern,  indem 
sie  periodisch  zu  den  Landtagen,  GerichtstermineD,  Gadenzen  und 
Wahlen  zusammenkam.  Als  Fflanzstätten  der  eigenthümlichen 
Cultur  der  polnischen  Sztachta  dienten  die  zahllosen  kleinen  Guts- 
höfe, mit  denen  die  Republik  besäet  war.  Das  Höfchen  steht  mit- 
ten im  Dorfe,  unter  dem  Schatten  uryäterlicfaer  Linden ;  hier  ruht 
der  Gutsherr  tod  den  Mühen  der  RathsTersammlungeo  und  des 
Krieges  aus,  indem  er  an  einem  Tisch  mit  seiner  Familie  und  sei- 
nem Gesinde  sitzt  und  freundlich  Gäste  und  Kacbbarn  empfangt. 


Hanptdateu  der  zweiten  Periode. 

1548.     I>ie  Opposition    anf   dem  Reichstage    gegen    Sigismtind   August 

wegen  seiner  Ehe  mit  Barbara  Raddwill. 
1552.     Aufhören  der  Ketzerverfolgang. 
1661.     Livland,    im    Kriege    mit    Ivan    dem    Schrecklicboi    erschöpft, 

BchliesBt  sich  der  Republik  an. 
1562.     Der  Reichstag  weigert  sich,  die  Urtbeilasprüche  der  geistlichen 

Gerichte  g^^n  die  Ketzer  zn  vollziehen. 
1564.     Sigismtmd  Angast   erkennt   die  Artikel   des   Trideutiner  Con- 

cils  an. 
1569-     Die  Union  Polens  und  Litanens  anf  dem  Reichstag  zu  Lublin. 
1572.    Das  erste  Interregnum. 
1573-     Die  Warschauer  Conföderation  über  die  Toleranz.     Wahl  Hein- 

rich's  Ton  Valois  zum  König. 
1574.     Flucht  des  Königs  aus  Polen. 

1576.     Ankunft  des  gewählten  Königs  Stephan  Batory  in  Polen. 
1576.     Errichtung  von  Tribunalen  för  Gross-  und  Kleinpolen. 
1579  — 1587.     Krieg    gegen  Moskau.     Einnahme   vou  Polock;    Weliki 

£uk;  Belagerung  von  Pskow. 
1562.     WaffenstillBtand  Polens    mit  Moskau  zu  Kiwerora  G6rka  (Za- 

poljo). 
1585.    Geridit   auf  dem  Reichstag   zu  Warschau   über   die  Anhanger 

Zborowski's. 
1686.     Tod  Batory's. 

1587.     Sigismund  111.  Wasa  befestigt  sich  auf  dem  Thron. 
1692.     Der  Inquisitions-Reichstag. 
1596.    Die  Union  von  Brest. 

1599.     Sigismund  verliert  den  schwedischen  Thron. 
1605.     Tod  Johann  Zamojski's. 
1604.     Der  Usurpator  Demetrius  rüstet  sich   in  Krakatt    zum    Feldzug 

gegen  Moskau. 
1606—1608.     Der  Rokoss  des  Zefaraydowski  und  Kadziwilt.    Fall  und 

Tod  des  ersten  Usurpators. 


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Das  goldeoe  Zeitalter.  43 

Im  16.  Jahrhaadert  waren  die  dunkeln  Kehrseiten  einer 
usBchliesElich  der  Szlachta  angehörenden  Caltur  noch  kaum 
bemerkbar;  im  Gegentheil  die  Szlachta  stand  in  ihrer  vollen 
Blüte  ohne  Disteln  und  Dornen.  Die  gesanuntslarische  Seite 
Inldeten  darin,  nach  der  treffenden  Bemerkung  Miokiewicz' 
(34.  Vorlesung)  die  FamilienbeziehaDgen,  die  Gutherz^keit,  die 
knoslicben  Tugenden,  unter  denen  die  Gastfreundschaft  be- 
eonders  hervortritt;  die  ausschliesslich  volksthUmliche,  eigent- 
lich polnische  Seite,  kam  in  der  politischen  Thätigkeit  zum 
Aasdruck,  in  den  BeziebuDgen  des  Büi^ers  zum  Staate;  die 
europäische  und  kosmopolitische  Seite  endlich  wurde  gebildet 
TOD  den  religiösen  und  socialen  Vorstellungen,  welche  bei  der 
Szlachta  leichten  Zutritt  fanden,  und,  aus  dem  Westen  ein- 
geführt, sich  schnell  ausbreiteten,  da  man  sich  dieselben  mit 
der  der  slavischen  Natur  eigenen  Empfänglichkeit  aneignete, 
bi«  polnische  Jugend  reiste  scharenweise  ins  AusUnd,  um  sich 
io  den  Wissenschaften  zu  vervollkommnen,  und  brachte  frische 
Doil  neue  Ideen  mit  in  die  Heimat  zurück.  Die  polnischen 
Magnaten  und  Staatsmänner  standen  in  beständiger  Gorrespon- 
denz  mit  den  berühmtesten  westeuropäischen  Gelehrten  und 
Schriftetellem.  Reformatoren  und  Neuerer,  die  wegen  reli- 
giöser und  politischer  Freitdnnigkeit  verfolgt  wurden,  flohen^ 
nach  Polen  und  fanden  hier  ein  ruhiges  Asyl  und  Anhänger. 
In  den  winzigsten  Flecken  nnd  Dörfchen  wurden  Buchdmcke- 
reien  errichtet,  welche  eine  unzäbliche  Menge  von  Büchern  und 
Broschüren,  politischen,  theologischen,  wisseoBchaftlichen  und 
polemischen  Inhalts  druckten  und  in  Umlauf  brachten.  Bei 
einem  solchen  materiellen  Wohlstände  und  bei  einer  solchen 
poUtischoD  Freiheit,  bei  der  Empfanglickeit  für  die  CuUurideen 
des  Westens  und  einem  lebendigen  Nationalbewusstsein  mnsste 
doe  Nationalliteratur  znm  Vorschein  kommen.  Ihr  plötzliches 
Auftreten  und  ihre  schnellen  Fortschritte  erklären  sich  dadurch, 
dass  sie  durch  die  vorausgegangene  Entwickelung  der  lateini- 
schen Literatur  vorbereitet  war.  Eine  solche  Bedeutung  für 
die  Bildung  und  solche  Dienste  erwies  das  Latein  nur  von 
der  Renaissance  an,  in  der  Person  der  sogenannten  Huma- 
aisten,  Leuten,  welche  sich  der  Gultur  und  den  Einrichtungen 
des  Mittelalters  gegenüber  verneinend  verhielten,  indem  sie 
sich  für  die  griecbiscb-römische  Welt  begeisterten,  und  dessen 
Heidenthum   mit    seinen   Glaubensvorstellungen    und  Ideen   als 

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44  Viertea  Kapitel    Die  Polen. 

ein  unerreichbares  Vorbild  zur  NacbabmuDg  hinstellten.  Im 
16.  Jahrhundert  gab  es  solche  Humanisten  in  Polen,  nicht  nur 
Ton  auswärts  hereingekommene,  wie  Celtes  uod  Callimachus, 
sondern  auch  aus  dem  eigenen  Lande.  Ihre  Pflanzstätte  war 
die  Akademie  zu  Erakau,  an  welcher  Paul  von  Kroäna  der 
erste  Professor  der  Poetik  war.  Sein  Schüler,  Johann  von 
Wiälica,  schrieb  ein  episches  Gedicht  über  die  Schlacht  von 
Tannenberg  nach  Art  der  Aeneide.  Zwei  andere  Schüler:  An- 
dreas Krzyoki,  Primas  und  Bischof  von  Ermeland  (gest. 
1578)  und  Jobann  Flachsbinder,  bekannter  unter  dem  Na- 
men Dantiscus  (er  war  von  Geburt  ein  Danziger,  wober  auch 
sein  lateinischer  Beiname)  scbrieben  lyrische  und  satirische 
Verse.  Auf  einen  höhern  Grad  der  Vollendung,  Kunst  und 
Reinheit  brachte  die  Bearbeitung  des  lateinischen  Verses  ein 
Schüler  Krzycki's,  der  Sohn  eines  grosspolniscben  Bauern,  Cle- 
mens Janicki  (1516 — 43),  der  vom  Geiste  der  römischen  Lite- 
ratur so  durchdrungen  war,  dass  man  ihn  für  einen  Zeitgenossen 
des  Catull  und  Ovid  halten  mochte.^  Die  schwachen  Seiten 
dieser  Richtung  lagen  darin,  dass  die  Humanisten  sehr  wenig 
im  Griechischen  bewandert  waren,  und  der  Hauptsache  nach 
nur  Römisches  darboten,  dass  sie,  nach  hohen  Prqtectoren  in 
der  grossen  Welt  und  an  den  Höfen  suchend,  der  Meinung 
waren,  das  VerstandnisB  für  die  feinen  Schönheiten  der  alten 
Literatur  und  Poesie  sei  nur  einer  sehr  geringen  Zahl  von 
Auserwäblten  zugänglich,  und  jede  nationale  Vulgärsprache 
verachteten.  Aber  die  Verhältnisse  gestalteten  sich  so,  dass 
diese  Vulgärsprache  in  den  Vordergrund  trat;  in  ihr  musste 
man  auf  dem  Reichstag,  in  der  Predigt,  im  Drucke  sprechen. 
Der  Impuls  zu  ihrem  Gebrauche  ward  vom  Protestantismus 
gegeben,  der  darum  auch  eine  so  grosse  Verbreitung  fand, 
weil  er  leichtfasslich  in  der  Volkssprache  die  Heilte  Schrift 
erklärte,  die  ebenfalls  in  diese  Sprache  übersetzt  wurde.  Clas- 
sisch  gebildete  Leute  stellten  sich  die  patriotische  Aufgabe,  auf 
diesem  Instrument  zu  spielen.  Die  polnische  Sprache  hatte  sich 
schon  vor  dieser  Zeit  etwas  ausgebildet  unter  dem  Einfluss  des 
altern  öecbischen;  jetzt  kam  sie  unter  den  Einfluss  der  Formen 
und  insbesondere  der  Syntax  des  Lateinischen.    Man  begann  in 


'  Monographien   von   Sig.  Wfcleweki    über   Erzycki   (Krakau  1874) 
and  Janioki  (Wftraohau  18G9). 


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Rej  TOD  Nagtowioe.  45 

itiT  die  natioDalen  Ideen  des  clasaiBchen  AlterthumB  mitzutheilen. 
Die  grossen  Dichter  des  goldeoen  Zeitalters:  Kochanowski,  Szy- 
monowicz,  Klonowicz  äbeii  sieb  gleicfamftssig  sowol  im  polnischen 
wie  im  Iftteiniiichen  Vers.  Die  lateinischen  Werke  kamen  alsdann 
fast  in  Vei^esBcnheit,  aber  als  in  unserer  Zeit,  in  den  fünfziger 
Jahren,  Ludwig  Kondratowicz  daran  ging,  sie  poetisch  zu  über- 
tragen, da  schien  es,  als  wäre  eine  neue  Quelle  der  nationalen 
Poesie  entdeckt  worden.  Dorch  ein  sonderbares  Zusammen- 
treffen von  Umständen  war  nur  der  älteste  der  polnischen 
Schriflateller,  Bej,  kein  classisch  gebildeter  Mann  und  in  der 
Kenntniss  der  antiken  Welt  Tollatändig  Laie.  Infolge  des  so 
starken  Einflusses  der  claasischen  Ueberlieferungen  steht  die 
Nttiona]lit«ratur  gleich  von  Anfang  an  auf  einer  so  hohen 
Stufe,  dass  ihre  Erzeugnisse  noch  beute  für  musterhaft  gelten. 
Diesen  Werken  g^enüber  erscheinen  alle  folgenden  Erzengnisse 
der  polnischen  Literatur  bis  zur  Romantik,  d.  i.  bis  zu  Mickie- 
iricz  herab  blaas,  trübe  und  schwach.  Diese  Literatur  ist  nicht 
reich  an  epischem  Element  und  lebt  ganz  in  der  Gegenwart; 
sie  zeichnet  sich  ans  durch  das  Geßihl  der  Befriedigung,  durch 
eine  ruhige  Stimmang,  durch  eine  Richtnng  auf  das  Positive,  frei 
von  Träumerei.  Sie  hat  einen  stark  politischen  Charakter  und 
dreht  dch  gänzlich  um  staatliche  und  sociale  Fragen.  Sie  schuf 
kan  Tolksthümlichet  Drama;  die  dramatischen  Versuche  blieben 
auf  der  Stufe  künstlicher  Erzeugnisse  der  Gelehrsamkeit  und  der 
Nachahmung  stehen.  Dafür  treten  Didaktik  nnd  Lyrik  besonders 
herror  und  werden  zu  hoher  Vollendung  gebracht  in  der  Person 
von  zwei  Uauptvertretern  der  Literatur  im  goldenen  Zeitalter: 
Rej  TOD  Nagtowice  nnd  Kochanowski,  von  denen  der  erstere  der 
Schöpfer  der  poloischen  Prosa  genannt  werden  kann,  nnd  der 
andere  fnr  den  Urvater  des  polnischen  Liedes  gilt.  Beide  waren 
Oeinpolen  nnd  der  von  ihnen  angewandte  kleinpolnische  Dialect 
ward  zur  Literatursprache  der  Polen. 

Rej  von  Nag}owice,  vom  Wappen  Oksza,  stammte  aus 
einem  alten  Geschlecht,  das  schon  lange  im  krakaaer  Gebiet 
ansäasig  war.  Sein  Vater  siedelte  nach  Roth -Russland  über, 
Terheiratbete  sich  reich  nnd  erlangte  durch  seine  Frau  grosse 
Güter  bei  der  Stadt  Zydaczöw  am  Dn^tr.  Hier  im  Städteben 
26rawna  ward  Nikolaus  Rej  um  1507  geboren  (gest.  1669). 
Der  Vater,  ein  biederer  Mann,  aber  beschränkten  üorizont«, 
liebte  seinen  einzigen  Sohn  über  alle  Massen,  Hess  ihn  keinen 

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46  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Schritt  von  siob  und  lehrte  ihn  nicht«;  später  gab  er  ihn 
in  die  Schule  zu  Lemherg  und  alsdann  nach  Krakau,  aber 
der  Sohn  zeigte  eine  solche  Neigung  zu  mnthwilligen  Streichen, 
zu  Gelagen  und  lustiger  Gesellschaft,  daas  ihn  der  Vater  wieder 
zu  sich  nahm  und  den  Tsugenichte  in  seinem  Hause  behielt, 
wo  er  auch  nichts  weiter  machte,  als  Fische  im  Dnestr  an- 
geln, Wildpret  schiessen,  Tauben  und  Echhörnchen  fangen. 
Der  Vater  beschloss,  ihn  an  den  Hof  eines  Magnaten  zu  geben, 
womit  die  damalige  Szlaehta  gewöhnlich  ihre  geseÜBcbaftlicbe 
Carriere  begann.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  Stoff  zu  einem 
Gnlarock  gekauft.  Der  junge  Rej  schnitt  denselben  in  Stücke, 
und  nachdem  er  Elstern  und  Krähen  gefangen,  machte  er  sich 
ein  Vergnügen  daraus,  diesen  die  zerschnittenen  Stücke  an  die 
Schwänze  und  Flügel  zu  binden  und  sie  in  solchem  Aufputz 
wieder  fliegen  zu  lassen.  Im  Alter  ron  zwanzig  Jahren  war  Rej 
noch  in  vollem  Sinne  des  Wortes  ein  Naturkind,  ohne  jede 
Schulbildung,  als  er  an  den  Hof  des  Andreas  Tenczjnski,  Woje- 
woden  von  Saodomir,  kam.  Der  kluge  Wojewode  gewahrte  in 
Rej  angewöhnlicbe  Fähigkeiten,  veranlasste  ihn,  zu  lesen  und 
sich  im  Schreiben  zu  üben.'  Rej  selbst  begann  sich  zu  achämeD 
and  ging  daran,  lateinisch  zu  lernen,  sowie  durcheinander  theo- 
logische und  politische  Bücher,  polemische  Broschüren,  Iat«ini8che 
Historiker,  Compilotoren  und  Anekdotensammler  zweiten  Banges 
zu  lesen;  wenn  er  etwas  nicht  verstand,  so  fragte  er  kundige 
Leute.  Es  achlug  bei  ihm  an  und  alles  häufte  eich  in  eigener 
Weise,  wenn  auch  ohne  System  und  Kritik,  in  dem  genialen  Kopfe 
des  Autodidakten  an;  in  s^nen  reifsten  Werken  schlagen  durch 
die  entlehnte  Gelehrsamkeit  die  sonderbarsten  AnachronismeD 
durch,  Sokrates  folgt  der  Zeit  nach  auf  Epikur,  Pnmpejus  gilt 
für  den  ersten  römischen  Kaiser,  der  König  von  Aragonien,  An- 
tigonus,  kämpft  unter  den  Mauern  von  Athen.  Die  Kenntnisse, 
welche  Rej  zusammenraffte,  blieben  nicht  lange  bei  ihm  brach 
liegen,  sie  kamen  gleich  znr  Verwendung:  Rej  schrieb  überaus 
viel,  über  die  mannigfaltigsten  Gegenstände,  in  Versen  and 
Prosa,  und  l^te  unter  den  ungünstigsten  äussern  Verbaltnissen, 
bei  dem  lockersten  und  geräuschvollsten  Leben,  eine  erstaun- 
liche schriftstellerische  Productivität  an  den  Tag.  Leidenschaft- 
licher Freund  lustiger  Gesellschaft,  der  Jagd;  der  Musik  und 
des  Zechen»,  schrieb  Bej  des  Nachts;  das  von  ihm  Geschriebene 
verbreitete  sich  sofort  unter  der  Szlaehta,  die  ihren  urwücbrigeo 

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Rej  von  NsgJowiw.  47 

Dichter  über  alles  liebte,  und  bei  der  er  sieb  einer  sehr  grossen 
BekaDDtscbaft  erfreute.  Bej  war  niemals  im  Auslande,  nur  einmal 
mftchte  er  eine  Reise  ins  Grossfürstenthum  Litauen;  er  nahm  an 
keinem  Peldzug  theil,  sah  keine  einzige  Schlacht,  and  wenn  er 
jemals  den  ^bel  gezogen  hat,  so  war  es  nur  etwa,  um  Gäste 
aoBeinander  zu  bringen  und  zu  entwaffnen,  die  bei  Tisch  in  Streit 
gtfftthen  waren,  aber  er  TerpasBte  keine  einzige  Versammlung 
ia  Szlachta,  keinen  einzigen  Reichstag,  und  erschien  oft  am 
königlichen  Hofe.  Die  Königin  Bona,  die  Könige  Sigismund  I. 
und  II.  liebten  ihn.  Er  schlug  alle  ihm  angebotenen  Aemter  in 
der  Landschaft  und  am  Hofe  aus,  aus  Furcht  zwei  Dinge  von 
höchstem  Wertb  zu  verlieren:  die  Unabhängigkeit  und  das  gute 
Gewissen;  den  officiellen  Ehren  zog  er  den  Ruhm  vor,  der 
■itzigste  Mensch  in  Polen  und  der  gutmiithigste  Humorist  zu 
sein.  „Nemini  moleetos",  sagt  von  ihm  sein  Biograph  Trzeciecki. 
Die  Grundfrage  der  Zeit  war  damals  die  Frage  der  Religion. 
Eej  war  für  die  Genfer  Neuerungen  (d.  i.  den  Galvinismus)  ein- 
genommen und  wurde  ein  eifriger  Apostel  des  Protestantismus, 
abersetzte  die  Psalmen,  schrieb  eine  Auslegung  der  Evangelien 
(„Postylla  polska"),  erklärte  die  Apokalypse.  Alle  diese  Werke, 
sind  jetzt  vollständig  vergessen:  Rej  hatte  zq  wenig  wissen- 
schaftliche Kenotuisse,  nm  irgendetwas  Selbständiges  za  sagen,  er 
wiederholte  nur  fremde  Argumente,  popularisirte  die  Ideen  der 
lateinisch-französischen  nnd  lateinisch-deutschen  protestantischen 
Theologen,  indem  er  mit  deren  Schmähungen  und  bis  zur  Trivia- 
lität herabsinkenden  Spöttereien  die  Mönche,  die  katholische  Geist- 
Uchkeit  und  das  Ceremonienwesen  überschüttete.  Gewöhnt  an  die 
melodischen  Weisen  des  musikalischsten  von  allen  stavischen 
Summen  —  des  rothrussischen,  war  Rej  ein  Freund  von  Versen, 
Bod  schrieb  ihrer  unglaublich  viele  bei  jeder  Gelegenheit.  Seiner 
fruchtbaren  Feder  entflossen  sowol  kleine  Verse  („Figliki",  Scherz- 
heder,  and  „Zwierzynieo",  Tbiergarten,  1532)  als  nmfangliche 
Dichtungen,  wie  z.  B.  die  „Darstellung  des  Lehens  eines  recht- 
schaffenen Menschen"  („Wizerunek  wlasny  2ywota  czlowieka  poczci- 
wego",  1560),  etwas  in  der  Art  der  Göttlichen  Komödie,  worin 
er  einen  Jüngling  darstellt,  der  sich  anschickt,  die  Welt  zu  be- 
reisen und  zu  suchen,  was  das  Beste  sei.  Dieser  Jüngling  be- 
racbt  die  griechischen  Philosophen  und  die  alttestamentlichen 
Propheten,  steigt  zum  Himmel  empor,  geht  zur  Hölle  hinab  und 
empfängt  überall  eine  Menge  erbaulicher  Unterweisangen.    Rej 

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4J^  Viertes  SapiUl.    Pie  Polen. 

verstiehte  sogar  ein  Drama  za  schreiben,  iadem  er  zum  Gegen- 
stand das  Lebes  des  alttestamentliehen  Joseph  nahm.  Die  Ge- 
dichte Rej'e,  für  welche  die  Zeitgenossen  ein  lebhaftee  Interesse 
hatten,  waren  nichts  weiter  als  gereimte  Prosa.  Echte  Poesie 
würde  man  darin  vergebens  suchen,  weil  es  Kej  an  Cultur  man- 
gelte, weil,  sich  sein  Geschmack  nicht  an  classiscben  Mustern  ge- 
bildet hatte,  deren  Geist  ihm  fremd  blieb;  weil  ihm  sein  un- 
stätes  and  zerstreutes  Leben  nicht  die  Möglichkeit  gab,  sich  zu 
concentriren;  endlich  weil  es  in  seiner  starken  und  begabten, 
aber  rohen  Natur  wenig  pathetische  Saiten  gab,  weil  in  ihr  eine 
nüchterne  Verständigkeit  vorwaltete  und  weil  seine  Phantasie  an 
der  Oberfläche  der  Erde  hinglitt,  ohne  das  Bedürfuiss  zu  fiihlen, 
sich  in  das  Land  des  Ideals  jenseits  der  Wolken  emporzu- 
schwingen. 

Mit  den  Jahren  stellte  sich  die  Reflexion  ein,  die  Leiden- 
schaften hatten  ausgegoren,  Bej  ward  gesetzt,  ernster,  nachdem 
er  sich  am  Lärm  und  an  den  Vergnügungen  der  Welt  übersättigt 
hatte,  er  fing  an,  sich  zurückzuziehen;  sein  Geist,  reich  durch 
Eriahrung,  gelangte  zu  voller  Reife:  damals,  im  Alter  der  Jahre 
(1564 — 67),  schrieb  er  das  bedeutendste  seiner  Werke,  voll  tiefer 
Lebensweisheit,  welche  in  einen  überaus  malerischen  und  prächti- 
gen Stil  gekleidet,  leuchtet  wie  alter  abgelagerter  Wein  in  bun- 
tem Becher.  In  diesem  Werke  trit}  Rej  als  Sittenlebrer  auf,  als 
feiner  Beobachter  und  treuer  Zeichner  der  menschlichen  Katar 
in  ihrer  polnischen  Abart.  Es  trägt  den  Titel:  „Der  Spiegel 
oder  das  Leben  eines  rechtschaffenen  Menschen"  („Zwiercadlo 
albo  2ywot  poczciw'ego  cdowieka",  1567). 

Es  ist  dies  eine  Art  Encyklopädie  der  Kenntnisse,  die  dem 
Szlachoic  nützlich  sind,  ein  Tractat  über  praktische  Philosophie, 
nach  den  Lehensaltern  in  drei  Theile  getheilt  (Jüngling,  Mann, 
Greis),  Der  Tractat  beginnt  mit  der  Erschaffung  der  Welt  und  des 
Menschen,  wobei  sich  die  Weltanschauung  Rej's,  obgleich  er  Pro- 
testant ist,  doch  sehr  wenig  von  der  katholischen  unterscheidet. 
Gott  hat  den  Menschen  aus  vier  Elementen  geschaffen,  daher 
die  Verschiedenheit  der  Temperamente.  Er  hat  ihn  dem  Eio- 
fluss  der  himmlischen  Gestirne  unterworfen,  welche  am  Hori- 
zont in  dem  Moment  seiner  Geburt  scheinen,  sodass  ihm  schon 
bei  der  Geburt  bestimmt  ist,  ob  er  gute  oder  schlechte  Nei- 
gungen haben  soll.  Zar  Gegenwirkung  gegen  diese  Gebunden- 
heit der  thierischen  Seite  des  Menschen  sind  ihm  gegeben  eine 

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Kej  Ton  Nkglowiae.  49 

unsterbliche  Seele,  die  Rej  vom  Veretande  nicht  nnterBcheidet, 
Bnd  Gottes  Gelote.  Der  Verstand  ist  dazu  da,  die  Wege  des 
HenBclien  zu  erleuchten;  die  Gebote  dazu,  die  Leidenschaften 
n  lähmen.  Zur  Zägeloog  der  LeidenBchafteu  tragen  mit  bei 
Eniehnng,  Bildung  und  Wahl  der  Beschäftigung.  Rej  führt 
nnter  andern  ein  Beispiel  an,  das  eigentlich  seine  ganze  Theorie 
der  Vorherbestimmnng  umwerfen  müsste;  er  erzählt,  dass  einem 
K&Qfiuann  ein  böses  Kind  geboren  wurde,  das  grosse  Neigung 
nr  Graasamkeit  zeigte;  der  Vater  gab  es  einem  Fleischer  in 
die  Lehre  and  aus  dem  präsumtiven  Räuber  ward  ein  sehr 
töditiger  Fleischermeister.  Um  den  edlen  Zweck  der  Bildung 
der  Menschen  und  der  Zügelang  der  schlimmen  Neigangen  zu 
fordern,  führt  Bej  den  Menschen  von  der  Wiege  an  durchs 
ganze  Leben,  indem  er  ihn  in  den  Pflichten  unterweist.  Unter 
don  Menschen  versteht  Rej  nur  den  Szlacbcic;  die  ganze  Welt 
besteht  nach  seinen  Begriffen  nur  für  Polen,  und  ganz  Polen 
kommt  in  der  Szlachta  zum  Ausdruck.  Von  allem,  was  unter 
derSzlachta  steht,  hat  Rej  nur  sehr  verworrene  Begriffe  —  durch- 
uu  nicht  etwa  deshalb,  weil  er  hochfahrend  wäre,  weil  er  die 
Dichtadeligen  Leute  verachtete;  im  Gegentheil  er  brandmarkt 
jede  Art  Ueberhebung  scharf,  als  Grundlage  des  Adels  gelten 
ihm  nur  persönliche  Tugenden  und  er  verlangt  den  humansten 
Umgang  mit  dem  Gesinde  —  sondern  deshalb,  weil  das  ein- 
zige wirklich  volle  Leben  dos  Leben  für  den  Staat  und  im  Staate 
sei,  and  ein  solches  nur  der  Stand  der  Szlachta  führte.  Der 
ideale  Typus  des  Menschen  ist  nach  Rej  eine  Vereinigung  von 
C%arakt«rzägea,  wie  sie  sich  nur  bei  einem  Szlaohcic  finden  kön* 
sen:  ein  solcher  Mensch  muss  ein  grosses  Herz  haben,  das  die 
Wecbselfälle  der  äusseren  Dinge  veracht«t,  denen  der  Schiffer, 
der  Kaufmann,  der  Handwerker  nachjagen  und  dienen.  „Wer  sich 
daran  gewöhnt,  nar  an  wichtige  Dinge  zu  denken,  die  ihm  and 
dem  Vaterlande  nützlich  sind,  der  schaut  schon  auf  alle  Ver- 
hälbiisse  herab  wie  der  Adler  von  der  Höhe,  der  schätzt  wenig 
und  denkt  nicht  an  die  kleinen  Zufälligkeiten  dieser  Welt  und 
des  Schicksals,  sondern  sorgt  nur  nm  das  Eine,  dass  er  nicht 
nur  sich  selbet  nützlich  sei,  sondern  überhaupt  allen  nach  Ver- 
dienst. Einem  solchen  Menschen  ist  alles  gleich,  Glück  oder 
Unglück;  ob  er  sich  aaf  Rosen  bettet  und  schläft,  oder  auf  Nes- 
seln nnd  Wermath.  Erwacht  er,  so  fliegt  sein  Gedanke  wieder, 
wie  der  Adler,  in  die  Höhe."    Wenn  Rej  von  der  Wahl  des  Be< 

Pins,  SUTiKhs  Litantnira.    U,  1.  4 

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00  Vierteil  Kapitel.     Die  Polen. 

niis  eines  zur  Reife  gelangtan  Menschen  spricbt,  &a  versteht  er 
darunter  nur  die  für  einen  Szlachcic  schicklichen  Beechäftigongea. 
Solcher  Berufe  gibt  es  der  Hauptsache  nach  drei;  den  Kriegs- 
dienst, den  Dienst  am  Hofe  des  Königs  oder  irgendeines  Mag- 
naten, drittens  den  Dienst  in  der  Landschaft  oder  im  Staate  in 
der  EigeuBchaft  eines  Beamten,  eines  landschaftlichen  Abgeord- 
neten auf  dem  Beichst&g  oder  eines  Senators  der  Republik.  Bei 
jedem  von  diesen  drei  Berufen  verweilt  er  lange. 

Das  ist  das  Schema  von  Bej's  Werk.  Es  ist  werthroll  nicht 
durch  die  darin  enthaltenen  Sittenlehren,  sondern  weil  auf  dieser 
recht  groben  Leinwand  eine  unendliche  Zahl  von  Skizzen  nach 
der  Natur  hingeworfen  ist,  welche  alle  Typen  der  damaligen  Ge- 
sellschaft darstellen,  sodass  es  die  beste  Physiologe  derselben 
bildet,  eine  Galerie  von  Studien,  mit  wenig  Strichen  gezeich- 
net, voll  unnachahmlichen  Humors  und  an  die  Manier  der  vlä- 
misdien  Schule  erinnernd.  In  diesem  booten  Haufen  gibt  es 
Soldaten  und  geputzte  Damen,  Hofieute  und  Geistliche,  Trunken- 
bolde und  Geizhälse,  aufgeblasene  Stutzer,  selbstsüchtige  Men- 
schen and  Schmeichler.  Das  ganze  Werk  besteht  aus  solchen 
Bildern.  Wir  fähren  beispielsweise  das  Portrait  des  Eitlen 
an:  „Er  schreitet  daher  in  bunten  Stiefeln,  sieht  die  Leute 
nicht  an,  glättet  an  sich  herum,  ist  in  seinen  Schatten  verliebt, 
spuckt  nach  der  Seite,  reisst  den  Handschuh  von  der  Hand, 
auf  der  ein  Bing  ist,  und  hält  diesen  Handscbah  in  der  andern 
Hand,  hustet  unwillkürlich,  tritt  vorsichtig  von  einem  Stein  auf 
den  andern,  indem  er  sich  nach  seinen  Dienwn  umschaut,  and  wenn 
er  sich  unter  gute  Freunde  setzt,  so  spricht  er  jedes  Wort  mit 
Pausen  aus,  indem  er  es  in  Stücke  beisst,  stodct,  damit  alle 
wissen,  dass  er  mit  Bedacht  spricht;  besieht  sich  die  Nägel,  bes- 
sert am  Hute  herum,  und  die  betrügerischen  Freunde  si^mai- 
cheln  ihm,  sehen  sich  an  und  lächeln,  und  bethören  ihn  so, 
dass  er  sie  mit  allem  Guten  tractirt,  was  sie  nur  wünschen. 
.  .  .  Was  bläst  du  dich  auf,  erbärmliche  Fliege?  Sitzest  da  wie 
ein  bemalter  Klotz  an  einem  behauenen  Stein  oder  an  einem 
bunten  Teppich,  mit  der  Nase  nach  oben,  und  weisst  nicht, 
dass  sich  diejenigen,  die  dir  ins  Geeicht  schmeicheln,  hin- 
ter dem  Rucken  über  dich  lustig  macheu.  Ziehe  Kleider  an, 
welche  du  willst,  begiesse  dich  mit  Wohigerüchen ;  wenn  dich 
nicht  Tugend  und  Verstand  schmücken,  so  werden  auoh  die 
Wohlgerüche  nichts  nützen,  da  wirst  stinken  wie  ein  Book,  wirst 

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B«j  Ton  Nag^owie«.  51 

sein  wie  ein  Maulesel,  der  mit  feinem  Stoffe  überdeckt  ist; 
Dcfamt  diesen  ab ,  and  es  wird  sieb  zeigen ,  dase  Obren, 
Sdtwanz,  Kopf,  Hab  —  alles  teufelsmässig  widerwärtig  uod 
lutstÜcb  ist."  Gegen  die  Sucbt,  fremde  Modsn  nachzuahmei), 
tritt  Bej  in  folgender  Weise  auf-.  „Mag  jemand  zehn  Kleider- 
■cbnitte  in  der  Woofae  erfinden,  jeden  wird  man  loben.  Hat  das 
Kleid  einen  Kragen  bis  zum  Qiirtel,  so  wird  man  sagen:  das  ist 
tchön  und  bequem,  da  kann  man  sich  vor  Wind  schützen,  uad 
noeh  dazu  tfaut  es  auch  nicht  so  web,  wenn  einem  jemand  mit 
dem  Stock  eins  über  den  Bücken  versetzt.  An  einem  andern 
Kleide  ist  kein  Kn^en,  nicht  so  viel  wie  einen  Finger  breit: 
tach  das  ist  gut,  man  kann  den  Kopf  nach  Belieben  wenden, 
der  Kragen  schneidet  nicht  in  den  Hals.  Ein  anderes  Kleid 
hat  äbermässig  lange  doppelte  and  dreifache  Aermel:  man 
wird  sagen,  der  Mann  sieht  zu  Pferde  stattlicher  aus,  wenn 
Aermel  an  ihm  herumbaumeln.  An  einem  andern  Kleide  reichen 
die  Aermel  bis  an  die  Einbogen:  auch  das  ist  gut,  man  ist  über- 
haupt ungenirter  und  steigt  bequemer  zu  Pferde.  Ein  anderes  Kleid 
ist  lang  bis  auf  die  Erde:  man  wird  sagen,  der  Wind  kann  nicht 
an  den  Knien  herumspielen.  . . .  Ich  bin  überzeugt,  wenn  jemand 
Uömer  vei^oldete  und  sich  auf  den  Kopf  setzte,  man  würde 
kBoh  von  ihm  sagen:  prächtig,  weil  eben  alles  prächtig  ist,  was 
heute  aufkam,  und  waa  wir  gestern  noch  nicht  gesehen  hatten." 
Bej  stellt  das  Leben  am  Hofe  und  im  Heere  vortrefflich 
dar-,  sein  Herz  schlägt  vor  Freade  beim  Erdröhnen  der  Erde, 
wenn  in  gemessenem  Schritt  die  geschlossenen  Golonnen  mar- 
whiren  und  klangvoll  die  Trommeln  und  Pauken  ertönen;  aber 
am  meisten  liebt  er  das  Haus,  den  Acker  und  das  Familienleben. 
Beizend  sind  bei  ihm  die  Beschreibungen  der  Wirthschaft  und 
der  Beschäftigungen  des  polnischen  Landmanns  nach  den  Jahres- 
leiten,  and  schwer  ist  es,  sich  etwas  Wärmeres,  Einfacheres, 
Poetischeres  vorzustellen,  als  die  tief  empfundenen  Bilder  des 
Familienlebens.  Er  schreibt  vor,  die  Frau  zu  lieben,  zu  achten, 
sich  über  alles  mit  ihr  zu  berathen,  weil  es  „dem  Wolf  süsser 
igt,  mit  der  Wölfin  im  Walde  zu  leben,  als  dem  Manne  mit  der 
Frau,  wenn  sich  das  bässliche  Geschwür  häuslicher  Zwiste  ein- 
teilt". „Welch  eine  Frende,  welch  ein  Vergnügen",  sagt  er, 
nwenn  sich  liebe  Kinderchen  an  dich  hängen,  diese  geborenen 
Spassmacher,  wenn  sie  zwitschern  wie  Vögelchen,  indem  sie  um 
den  Tisch  henimlaufen,   wenn  sie  schäkern  und  gaukeln,   eines 

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52  Viertes  Kipitel.    Die  Polen. 

etwas  ergreift  und  ee  dem  andern  reicht,  und  eich  gegenseit^ 
Bo  vergDügen,  dasa  man  sich  des  Lachens  nicht  erhalten  kano. 
Wenn  ein  Kind  zu  reden  beginnt,  lallt  es  lauter  Kauderwelsdi, 
und  doch  wie  echöo  und  lieblich  ist  das  alles."  Aber  am  be- 
deuteudsten  ist  ohne  Zweifel  der  Theil  des  „Spiegels",  welcher 
der  politischen  Thätigkeit  des  Menschen  gewidmet  ist;  er  zeigt, 
wie  hoch  bei  der  Szlachta  das  Kireau  der  politischen  Bildung 
war,  und  gibt  einen  sehr  klaren  Begriff  von  dem  Wesen  der  pol- 
nischen Constitution.  Rej  kennt  den  Mechanismus  der  Repräeen- 
tatirregierung  vorzüglich:  die  Reichstage  sind  eingesetzt  zar 
Zügelung  der  Regenten  and  zur  Controle  über  die  Gesetzmässig- 
keit ihrer  Handlungen;  anf  die  Reichstage  können  nicht  alle 
insgesammt,  in  ganzen  Haufen,  kommen;  deshalb  wählen  sie 
Vertraaensmänner,  Repräsentanten,  und  geben  ihnen  den  schönen 
Namen  Ton  Boten  oder  Wächtern  der  Republik.  Dieses  Amt 
gilt  Rej  geradezu  ßir  ein  heiliges,  weil  dem  Landboten  seine 
Brüder,  die  Szlachta,  Rechte  und  Freiheiten,  Gut  und  Leben 
anvertrauen.  Ein  solcher  Mann  muss  sich  vor  Geschenken, 
Nepotismns ,  Bewirthung  hüten ,  und  fleissig  aufmerken ,  was 
jemand  sagt,  und  jedes  Wort  nagen,  weil  es  oftmals  sobeint, 
als  wenn  etwas  zum  Wohle  der  Republik  geschähe,  nimmt 
man  aber  den  Deckel  vom  Topf  weg,  so  zeigt  es  sich,  dass 
im  Topf  Wermuth  statt  Sauerampfer  schmort.  Noch  schwerer, 
gefährlicher,  verantwortlicher  ist  der  höchste  Posten,  den  ein 
polnischer  Bürger  erreichen  konnte,  das  Amt  eines  Senators 
der  Republik,  eines  königlichen  Rathes. 

Nirgends  war  die  Gewalt  des  Königs  schwächer  als  in  Polen ; 
aber  zugleich  genoss  der  König  kaum  in  irgendeinem  Lande  so 
grosse  Liebe  und  Hochachtung  wie  hier.  Seine  moralische  Au- 
torität war  sehr  gross;  er  ist  die  Kraft,  welche  den  ganzen 
constitutionellen  Mechanismus  in  Bewegung  setzt,  ohne  die 
dieser  nicht  wirken  kann.  „Der  König",  si^  Rej,  „ist  das 
AUerheiligste,  der  Mann  Gottes,  der  Auserwählte  und  Gesalbte. 
Es  geziemt  sich,  mit  Furcht  zu  ihm  heranzutreten,  weil  in 
ihm,  sei  er  auch  der  beste  Mensch,  doch  etwas  Drohendes  und 
Göttliches  liegt,  und  er  wahrscheinlich,  wie  man  sagt,  Wolfs- 
haare zwischen  den  Augen  hat."  Obwot  er  mit  Furcht  und  Ehr- 
erbietung an  ihn  herantritt,  ist  der  Senator  dennoch  verpflichtet, 
ohne  auf  den  Zorn  und  das  Misvergnügen  des  Königs  zu  achten, 
ihm  die  volle  Wahrheit  zu  sagen,  ihn  an  alle  Pflichten  za  er- 

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Rej  von  Nagfowioe.  53 

inDern,  ihn  TOr  den  Leidenschaften  and  Laatern  zu  warnen,  weil 
„der  Geist  des  Herrschers  einer  Flamme  ähnlich  ist,  die  nach 
oben  streht,  wenn  ihr  gutes  Holz  zugelegt  wird;  wenn  ihr 
iber  nasses  nnd  rohes  Holz  zugelegt  wird,  so  wird  das  Feuer 
mit  dem  Rauch  längs  der  Erde  kriechen;  ganz  so  ist  es  auch 
mit  einem  Rathe,  der  dem  Herrscher  gegeben  wird:  entweder 
lehwebt  er  mit  ihm  zum  Himmel  empor,  oder  breitet  sich  mit 
ihm  auf  der  Erde  ans," 

In  den  fünfziger  Jahren  des  16.  Jahrhanderts ,  als  Bej  in 
rollern  Glänze  seines  Talentes  und  Ruhmes  stand,  las  jemand  bei 
einer  geselligen  Zusammenkunft  im  Sendomir'schen  Gebiet,  der 
■ach  er  beiwohnte,  als  Neuigkeit  einige  eben  aus  dem  Auslande 
mitgebrachte  Verse  eines  jnngen  Dichters  vor,  den  niemand 
kannte  und  der  in  Paris  lebte.  Die  Verse  besangen  den  Ruhm 
Gottes  and  begannen  so: 

Was  verlaogBt  du  von  udb,  Herr, 
Fftr  die  vielen  Gaben, 
FSr  den  fUicbtham,  Gtttiger, 
Den  wir  vod  dir  haben? 

Keine  Eirche  achliesat  dich  ein. 
Aller  Orten  thronst  du; 
Himmel,  Erde,  Flor  und  H&in, 
Selbst  das  Meer  bewohnst  du.  > 

Diese  Verse  setzten  alle  in  Erstaunen  durch  die  ungewöhn- 
Uche  Schönheit  der  Form.  Rej  war  mehr  als  die  andern  ent- 
zückt und  begriisste  mit  einem  Enthusiasmus,  der  ihm  zur 
liöchgten  Ehre  gereicht,  das  Lied  mit  einem  improvisirten 
Doppel  vers: 

Dem  muBB  ich  in  der  Kunst  den  Vorrang  geben, 
Ihm  heimischen  Liedes  Pflege  übergeben. 

Der  junge  Dichter,  dem  Rej  das  Scepter  der  Poesie  über- 
gab, und  der  von  da  an  auf  dem  polnischen  Parnass  thronte, 
war  Johann  Kochanowski  (1Ö30 — 84),  vom  Wappen  Korwin, 
aus  der  Landschaft  Sendomir.^  Das  ganze  Geschlecht  der  Kocba- 


'  Ans  H.  Nitschmann,  „Der  poln.  Parnass",  S.  37. 

'  Et  gibt  gute  Monographien  über  Kochanowski:  K.  Löwenfeld, 
Johann  Kochanowski  und  eeinc  lateiniscbcu  Dichtungen "  (PüHcn  1378); 
J.  Przjborowski,    „Wiadomoäö   o   iyciu   i    pismach  J.  Kochanowskiego" 

(POMD  lte7). 


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54  Viertes  Eapitel.    Die  Polen. 

nowski  zeichnete  sich  durch  poetisches  Talent  aus:  der  Broder 
dee  Johannes  übersetzt«  die  „Äeaeide";  sein  Vetter  Nikolaus 
schrieb  kleine  Gedichte;  der  Neffe  Peter  (1556—1620)  über- 
setzte Tasso's  „Befreites  Jerusalem".  Zvanzig  Jahr  alt  etudirte 
Johann  auf  der  Universität  zu  Krakau  (1544  —  49),  begab  si(^ 
dann  ins  Ausland  und  brachte  sieben  Jahre  in  Italien  und  in 
Frankreich  zu,  besuchte  die  Universität  Padna  im  Verein  mit 
Johann  Zamojski,  war  in  Venedig,  Rom,  in  Kampanien,  lebte 
lange  in  Paris  und  kehrte  1557  nach  Polen  zurück.  Sein  Leben 
ist  im  allgemeinen  nicht  reich  an  Ereignissen.  König  Sigismund 
August  verlieh  ihm  den  Ehrentitel  eines  königlichen  Secretärs  und 
sein  Freund,  der  Vicekanzler  Myszkowskl  erwirkte  ihm  verschie- 
dene Beneficien,  eine  Pfarre  in  Posen,  die  Prälatur  im  Kapitel. 
Die  Mönche  des  Klosters  Sieciechöw  hatten  sogar  die  Absicht, 
Kochanowski  zum  Abt  zu  wählen,  doch  kam  diese  Wahl  ans 
irgendeinem  Grunde  nicht  zu  Stande.'  In  solcher  Weise  vnir- 
den  geistliche  Beneficien  und  Würden,  als  einträgliche  Stellen, 
sogar  an  weltliche  Personen  übertragen,  wenn  diese  nur  nn- 
verbeirathet  waren,  auf  Grund  der  Fiction,  dass  der  Inhaber 
des  Beneficinms  mit  der  Zeit  noch  in  den  geistlichen  Stand  tre- 
ten könne.  An  kriegerischen  Unternehmungen  nahm  Kocha- 
nowski nur  einmal  theil,  im  Feldzuge  gegen  Moskau  1568-  Trotz 
aller  Bemühungen  Myszkowski's  ward  Kochanowski  doch  kein 
Kleriker,  da  er  dazu  nicht  den  geringsten  Beruf  fühlte,  and  einer 
glänzenden  Carriere  das  bescheidene,  stiUe  Lehen  eines  Land- 
edelmonns  vorzog.  Er  verliess  den  Hof,  verzichtete  auf  die  Be- 
neficien, verheiratbete  sich  1574  und  liess  sich  auf  seinem  väter- 
lichen Stammgut  Gzamolas  nieder.  Er  gewann  das  Landleben 
so  lieb,  dass  er  sich  nur  ungern  und  selten  auf  den  zahlreichen 
öffentlichen  Versammlungen   zeigte,   um   so  mehr,   als  ihm  die 

'  Wo  war  ich  nicht,  waa  hab'  ich  nicht  prohirt? 
Hin  Ober'a  tiefe  Meer  hat'«  mich  Reführt, 
Nach  Fi'ankreich,  Dcutsobland,  an  ItalieuB  ätranil, 
Besucht  hab'  ich  das  SibyUiniauhe  Land. 

Bald  friedlicher  Student,  bald  Bitteramann 
In  stolzer  Wehr  am  Köuigsbofe  dann 
Mit  edlen  Hofherm,  morgen  fromm,  gesetzt. 
Als  atiUer  Domherr,  fast  ein  Mönch  zuletzt 
In  grauer  Kutte,  doch  zwiefach  begabt 
Mit  Pfründengut  —  warum  auch  nicht?  —  als  Aht! 


...,  Google 


Johann  Koohanowiki.  56 

Talente  des  Redners  und  FolitikerB  abgingen  and  er  gor  keinen 
Ehrgeiz  beeass.  Als  unter  Batory  der  Freund  Kochanowski's, 
ZuDOJdci,  der  Liebling  und  die  rechte  Hand  des  Königs  geworden 
nr,  und  ihm  eäaa  der  seuatoriBchen  Stellen,  das  Amt  eines  Ca^ 
itellans  Ton  Ptoäsk,  aubot,  lehnte  er  dae  Anerbieten  ab,  mit  den 
Worten,  er  volle  keinen  hoffartigen  Castellan  in  sein  Haus  lassen, 
der  alles  das  Tersohwenden  würde,  was  er,  ein  armer  Landedel- 
mann,  mit  seiner  Arbeit  zusammengebracht  habe.  Der  König  be> 
itimmte  ihn  gleichwol  für  das  Amt  eines  Wojski  von  Sendomir 
—  ein  londschaiUiches  Amt,  ohne  Besoldung,  wie  es  alle  solohe 
Aemter  waren,  aber  ganz  ruhigen  Charakters,  weil  im  Fall  einer 
Uohilisirang  der  Wojski  als  Verwalter  der  Landschaft  am  Flatee 
n  bleiben  und  nur  ftir  die  Franen  und  Kinder  Aet  unter  den 
W^en  Stehenden  zu  sorgen  hatte.  Die  letzte  Lebenszeit  Kocha- 
nowski's wurde  durch  den  frühen  Tod  seiner  geliebten  Tochter, 
Umüa,  getrübt.  £r  starb  im  Jahre  1584  und  ist  in  der  Fami- 
Uengmft  seines  Geschlechts  zn  Zwoleä  beigesetzt. 

Die  Liebe  der  Zeitgenossen  zu  Johann  Kochanowski  war  un- 
begrenzt, er  genoBs  den  Ruf  des  ersten  Dichters  und  es  wurde 
feste  Mein?uig,  Polen  habe  nie  einen  Sänger  gehabt  wie  er,  noch 
verde  es  je  einen  solchen  haben. 

Die  gegenwärtige  Kritik  hat  dieses  Urtheil  bedeutend  zu  mo- 
difidren  und  mnss  Kocbanoweki,  bei  all  seiner  Künstlerschaft, 
den  Namen  eines  Tolkstbümlichen  polnischen  Dichters  absprechen ; 
a  irt  gross  als  ein  Schriftsteller,  der  sich  den  Geist  der  an- 
tiken Poesie  TOrzüglich  angeeignet  hat,  allein  diese  Empfänglich- 
kett  beeinträchtigte  die  Originalität  seiner  Dichtung,  sodass  ihm 
nur  der  Ruhm  des  grössten  und  talentvoilsten  Nachahmers  der 
uitiken  Muster  in  polnischer  Sprache  bleibt;  diese  bildete  er 
um,  bearbeitete,  Terfeinerte  sie,  und  brachte  sie  fast  auf  die 
Stufe  eines  musikalischen  Instmmentes,  fähig  die  zartesten 
Laote  herrorzubringen.  Kochanowski  war  ganz  ein  Mann  der 
Bonaissance,  eine  in  hohem  Grade  harmonische,  klare,  ruhige, 
bebende  Natur,  aber  unfähig,  in  glühendem  Feuer  starker 
Leidenschaft  zu  entbrennen.  Diese  Natur  war  noch  weicher 
geworden  durch  Erziehung  und  langen  Aufenthalt  im  Aaslande. 
Deutschland  blieb  für  ihn,  wie  für  Polen  überhaupt,  eine  terra 
uicognita.  Mit  der  spanischen  und  portugisischen  Literatur  war 
er  nicht  bekannt  (sein  Zeitgenosse  Camoens  gab  viel  später,  als 
Kochanowski  nach  Polen  zurückkehrte,  seine  Dichtung  heraus. 


56  ViertöB  Kapitel.    Die  Polen. 

UDcL  Cervantes  achrieb  zu  jener  Zeit  noch  nicht).  In  Pfuris  knüpfte 
er  eine  Bekanntsohafl)  mit  Ronsard  an.  Iföwenfeld  schreibt  dieser 
Bekanntschaft  einen  viditigea  Einäuss  auf  Koohanowski  za: 
Bonsard  dürfte  ihn  auf  die  Idee  gebracht  haben,  die  er  selbst 
in  Frankreich  verwirklicht  hatte  —  in  der  Volkssprache  zu 
schreiben.  Die  ersten  polnischen  Verse  Eochanowski's  fallen  mit 
seinem  Aufenthalt  in  Paris  zusammeo.  In  Italien  varen  seine 
Vorgänger  Dante,  Petrarca,  Boccaccio  und  Ariost.  Für  Dante 
hatte  Kochanowski  kein  Verständniss;  der  tiefe,  begeisterte  My- 
sticismus  und  die  gewaltige  Willensenergie  des  in  sich  selbst 
concentiirten  Verfassers  der  „Göttlichen  Komödie"  waren  ihm 
unzugänglich.  Ebenso  konnte  er  sich  mit  Ariost  nicht  be- 
freunden, weil  das  Ritterthnm  und  die  Romantik,  auf  welche 
sich  das  Kpos  des  letztern  gründete,  dem  SlaTcothum  ganz  fremde 
Elemente  waren,  und  weil  die  feioe  Ironie  und  der  scherzende 
SkepticismuB,  welche  den  Verfall  und  die  Zersetzung  der  italie- 
nischen Gesellschaft  bezeichneten,  dem  Geschmack  des  jungen, 
frischen  und  an  seine  Ideale  glaubenden  Volkes,  welchem  Kocha- 
nowski angehörte,  nicht  behagen  konnten.  Sonach  waren  die 
Huster,  welche  auf  die  poetische  Ausbildung  Koohanowski's  ein- 
wirkten, zum  Theil  die  italienischen  Lyriker  (darunter  Petrarca), 
deren  widrige  Stisslichkeit  sich  jedoch  nicht  auf  ihn  übertrug, 
und  vor  allem  die  classischen  Dichter,  iusbesondere  die  römi- 
schen nnd  von  diesen  wieder  vorzüglich  Horaz  und  Virgil.  Er 
begann  mit  lateinischen  Versen,  ging  dann  zu  polnischen  über, 
und  das  mit  solchem  Erfolg,  dass  er  später  mit  Recht  von 
sich  sagen  konnte: 

Der  Hcbänen  Kalliope  Fels  bab'  ich  erklommen, 
Des  Qipfel  niemals  noch  ein  Pole  eingenommen. 
Maciejowski  sagt:  „Indem  er  sich  zur  Aufgabe  machte, 
seine  Landsleute  mit  der  antiken  Poesie  bekannt  zu  machen, 
lebte  sich  Kochanowski  so  in  dieselbe  ein,  dass  sie  ihm  fort- 
während vor  Augen  schwebte;  was  er  auch  planen  mochte, 
alles  kam  in  antiker  Weise  heraus."  Die  Alten  öffneten  ihm 
das  Geheimniss  der  Schönheit,  lehrten  ihm  Gesetzmässigkeit 
und  vollständige  Pracision  der  Form,  sein  Vers  gleicht  dem 
reinsten  geschlifiFenen  Krystall,  und  wenn  Rej  durch  sein  Co> 
lorit  berühmt  ist,  so  ist  es  Kochanowski  durch  die  plastische 
Vollendung  seiner  Gontouren.  Seine  Productivität  war  gross, 
er  versuchte   sich  in   allen  Arten   der  Poesie   und  allen  Vers- 

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Joh&nn  KoohmnowskL  57 

muaen,  machte  Polen  die  Terziiie  und  das  Sonett  zn  eigen  (Piedni, 
Iffl.  IV,  Nr.  28  do  Franc,  32  do  Stanie.),  übersetzte  Homer  (der 
Zweikampf  des  Paris  mit  Meaelaue),  Bclineb  Oden,  Elegien,  Sa- 
tiren, Epigramme,  sogar  Dramen. 

Zur  epischen  Gattung  gehören:  „Szachy"  („das  Schach- 
Epiel"),  eine  NachahmuDg  des  italienischen  Dichters  Vida;  „Su- 
anna",  eine  der  Bibel  entnommene  Erzählung;  „Proporzec 
albo  hotd  pruski"  („das  Banner  oder  die  Huldigung  Freus- 
witE"),  eine  schöne  Beschreibung  der  Belehnung  Preussens, 
welche  von  Sigismund  August  an  Albrecfat  von  Brandenburg 
ToQzogen  wurde,  und  worin  die  Geschichte  Polens  in  Bil- 
dern vorgeführt  wird;  „der  Feldzug  gegen  Moskau"  des  Het- 
muis  Cbristophor  Hadziwilt  1581;  das  Bruchstück  eines  Helden- 
epos über  die  Schlacht  mit  den  Türken  bei  Varna,  in  welcher 
König  Whtdfdaw  IV.  Jsgiello  fiel.  Diese  Bruchstücke  be- 
weisen, dass  Kochanowski  bedeutende»  episches  Talent  be- 
las«,  aber  ein  grosses  volksthümliches  Epos  konnte  er  nicht 
schaffen  aus  Mangel  an  hiensu  geeigneten  Elementen  in  der 
damaligen  polnischen  Gesellschaft,  der  jede  Romantik  fernlag, 
die  sehr  zu  Neuerungen  in  der  Religion  hinneigte,  dazu  mit 
ihrer  glänzenden  Gegenwart  sehr  zufrieden  war,  im  Ver- 
gleich zn  welcher  die  Vergangenheit  als  überaus  ärmlich  und 
wenig  beneidenswerth  erschien.  Unter  solchen  Umständen  war 
es  nicht  möghch,  das  Epos  auf  einem  seiner  beiden  stärksten 
Motive  zu  erbauen,  weder  auf  der  Religiosität,  deren  Ideale 
durch  die  Reformation  stark  erschüttert  waren,  noch  auf  dem 
Patriotismus,  der  bei  der  Ruhe  des  Staats  keine  hesondem 
beroiechen  Thaten  und  Anstrengungen  erforderte.  Kochanowski, 
eio  Kind  seiner  Zeit,  gab  den  römischen  Katholicismus  nicht  auf, 
war  aber  im  Grunde  seines  Herzens  Theist  (seine  harmoni- 
sche Natur  verwehrte  dem  Zweifel  den  Eingang  und  floh  jeden 
innem  Kampf),  aber  dieser  Theismus  vertrug  sich  aufs  beste 
mit  dem  ganzen  heidnischen  Olymp  und  Hess  Kochanowski 
den  religiÖBen  Streitigkeiten  gegenüber  vollständig  gleichgültig, 
sodaEB  man  noch  heute  nicht  weiss,  nach  welcher  Seite  er 
mehr  neigte ,  ob  er  in  seinem  Innern  Katholik  oder  Pro- 
testant war.*    Der  christlichen  Mythologie  entnahm  er  niemals 

'  Im  17.  Jahrhundert  hielt  es  Vespaitian  Koohowski  lur  nüthig,  das 
Andenken  Kochanowski'a    gegea  den  Verdacht  der  Ketzerei    zu    verthei- 

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58  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

weder  Bilder  Doch  Farben.  Er  fUrchtet  flir  Polen  die  Folgea 
eines  langen  Friedens  und  lobt  die  gateo  alten  Zeiten  toU  Un- 
ruhe, Wachen  und  Schlachten*,  aber  dieses  Bedauern  ist  nur 
eine  poetische  Figur,  daneben  geht  das  Bewusstsein  einher,  daea 
es  unmöglich  sei,  zu  dem  vergangenen,  eisM'neD,  g^anzerten 
Zeitalter  zarückznkebren. 

Wichtiger  als  die  epischen  Bruohatiiclce  ist  das  Drama  Kocha- 
nowski's:  „Odprawa  posiow  greckich"  („die  Abfertigung  der  grie- 
chischen Gesandten"),  das  er  für  Zamojski  bei  Gelegenheit  von 
dessen  Heirath  mit  der  Nichte  Batory's  schrieb,  und  da«  1578 
vor  dem  König  Batory  in  TJjazd6ir  bei  Warschau  aufgeführt 
wurde.  Der  Keim  des  Dramas  lag  in  Polen,  wie  in  den  andern 
Ländern  Westeuropas,  in  den  Mysterien,  die  der  Katholicis- 
mus  erzeugte.  Noch  heute  trageo  die  Barschen  in  den  zwölf 
Nächten  die  sogenannte  „Krippe"  (ja^)  oder  Hütte  (szopka) 
herum,  auf  der  mittels  Puppen  die  Geburt  Christi,  die  Anbetung 
der  Magier  dargestellt  wird  und  schliesslich  der  Teufel  dem  He- 
rodes  den  Kopf  abhaut  und  ihn  in  die  Hölle  soUeppt,  Dialoge 
solcher  Art  worden  von  maskirten  Personen  in  den  Kirchen 
aufigefubrt  und  die  Geistlichkeit  selbst  nahm  daran  theiL  Papst 
Inuocenz  III.  ertheilte  im  12.  Jahrhundert  deshalb  den  polni- 
schen Geistlichen  einen  strengen  Verweis,  —  von  da  an  wurden 


digen.  Liric.  1,32:  Apologie  für  JohaiiD  Kochanowaki,  den  einige  für  e 
Ketzer  holten  (Apologia  za  Janem  Kuchano'iVBkim,  Ictör^o  niebtöray  r 
miej)  hyf-  heretykiem). 

'  0  heiliger  Friede,  dich  begleitet 

Ein  Fehler,  der  dioh  sehr  verleidet: 
In  Tr^heit  läaat  dn  leicht  Temuken, 
Im  SiDnenrouBch  die  Welt  ertrinken. 
Und  an  einer  andeni  Stelle  Bpricht  er  aich  ao  btu: 
Die  Zeiten  preia'  ich,  wo  ao  hoch  man  ehrte 
Den  grauen  Kittel,  wie  die  bent'ge  Seide 
Am  taglich  theuerem,  verbrämten  Kleide, 
Mit  Maskenacherzen  nicht  den  Beutel  leerte; 

Als  stets  im  Stalle  man  das  SchUchtroaa  hegte. 

Die  Wand  mit  Panzer,  Schild  und  Lanze  prangte, 

Daa  Schwert  im  Gürtel,  und  zum  Schlaf  sich  legt« 

Auf  Hea  der  Bursche,  nicht  den  Pfühl  verlangte. 

Doch  tapfer  kämpfte.    Wäre  ao  beecbeiden 

Noch  heute  Polen  und  ein  Schreck  den  Heiden! 


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Johann  KootunoTraki.  59 

die  drsutatigolien  V<n:stellasgen  aus  den  Kirchen  auf  die  Kirch- 
höfe and  in  die  Schulen  verlegt,  und  wandeln  sich  in  halb 
geistliche,  halb  weltliche  Schanspiele  um;  in  die  ernsten  hibli- 
lehen  Stoffe  worden  gewöhnlich  unterhaltende  Intermezzos  ein- 
geschoben. Die  geistlichen  Stoffe  wurden  später  von  den  Je- 
suiten zu  ihren  pietistischen  Dialogen  benutzt;  was  aber  die 
komiEohen  IntermezzoB  betrifft,  so  konnte  sich  aus  ihnen  die 
Komödie  in  rein  Tolksthümlichem  Geiste  entwickeln.  Im  Jahre 
1530  erschien:  „Komedija  o  migsopugcie"  („Gomödie  vom  Car- 
MTal"),  1533  die  „Rozmowy"  („Gespräche")  von  Veit  Kor- 
csewski,  dann  eine  Menge  anonymer  Bühnenstücke  („Albertus 
z  vojn;",  „Peregrynacija  dziadowska")  und  Dialt^e,  an  denen 
gewöhnliche  Leute  theilnehmen,  die  der  lebendigen  Wirklichkeit 
enteommen  und  in  Typen  umgewandelt  sind,  wie  der  Bauer 
Johann,  der  für  die  alten  Sitten  eintritt,  sein  Sohn,  deutscher 
Stadent,  der  protestantische  Lehren  angenommen  hat,  der  Pfar- 
rer, der  Kirchendiener,  der  sowol  dem  Pfarrer  als  dem  Vor- 
steher dient  nnd  in  da«  Heer  geschickt  wird ,  der  Cantor, 
die  Bettelbrüder,  endlich  der  Psalmensänger  oder  Organist. 
Ausserdem  gibt  es  noch  Nachrichten  über  Vorstellnngen  im  tra- 
gischen Genre;  so  wurde  z.  B.  zur  Zeit  des  Dhigosz  (15.  Jahr- 
hondert)  anf  dir  Bühne  der  Tod  der  Königin  Ludgarda  darge- 
stellt  Kochanowski  benutzte  für  sein  Drama  das  alles  nicht,  er 
Tersnchte  es  nicht,  die  rohen,  auf  dem  heünatUcben  Boden  er- 
wachsenen Anfange  zu  vervolUtändigen  und  zu  entwickeln.  Er 
•chrieh  for  eine  auserwählte  Minderzahl,  die,  wie  er,  von  classi- 
sdien  Beminiscenzen  durchtränkt  und  mit  der  Vergangenheit 
Griechenlands  und  Roms  besser  bekannt  war,  als  mit  der  Ge- 
schichte des  eigenen  Vaterlandes.  Er  nahm  zum  Thema  eine 
Scene  aus  der  Dias  und  stalte  sie  drsunatisch  dar  in  den  Formen 
der  griechischen  Tragödie,  die  ihm  vollständig  geläaäg  waren. 
Uljsses  und  Menelaus  sind  als  Gesandte  der  Griechen  ange- 
kommen, um  die  Herausgabe  der  von  Paris  entführten  Helena 
la  fordern.  Paris  weiss  Freunde  zu  gewinnen,  sammelt  eine 
Partei;  andererseits  hat  der  für  Geschenke  und  Schmeicheleien 
oningängUcbe  ehrliche  Antenor  die  Absicht,  auf  einer  Volksver- 
sammlung die  Nothwendigkeit  nachzuweisen,  dem  Menelaus  seine 
Frau  herauszugeben.  Der  Chararakter  der  Helena  ist  veredelt 
im  Vergleich  mit  der  „Ilias".  Sie  wird  als  eine  Frau  dargestellt, 
die  ihrem  Manne,  den  sie  Hebt,  gewaltsam  geraubt  wurde.    In 

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60  Viertes  Kapitel.    Die  Foleo. 

unruhiger  Erwartung  sieht  sie  der  E^techeidang  ihreB  Scfaii^Bsls 
entgegeo.  Ein  tod  der  VolksverBamniliiiig  aurückkehrender  Tro-, 
janer  theilt  ihr  mit,  was  auf  der  Versammlung  Torgegangen, 
und  berichtet,  daes  die  Stimme  der  Leidenschaft  über  die  Ein* 
gebungen  der  Pflicht  die  Oberhand  gewonnen  habe,  und  dass  die 
Gesandten,  deren  Verlangen  abgelehnt  sei,  mit  leeren  Händen 
zurückkehren.  Bald  kommen  auch  die  letztem  selbst,  der 
kluge  Ulysses  prophezeit  den  Untergang  Trojas,  das  von  uner- 
fahrenen, parteiischen  Rathgebem  regiert  werde;  der  heftige  Me- 
nelauB  ruft  die  Götter  an  und  stösst  Flüche  aus.  Nach  dem 
Weggang  der  Gesandten  tritt  vor  den  in  Erwartung  grosser  Er- 
eignisse versammelten  Trojanern  ebenso  wie  in  der  Orestie  des 
Aeschylus  die  vom  Dämon  ereilte  Kassandra  auf  »md  spricht 
schlimme  Prophezeiungen  aas.  Zuletzt  endet  das  Drama  wie 
mit  dem  dumpfen  Bollen  eines  entfernten  Donners,  mit  der 
Nachricht,  dass  die  Griechen  gelandet  seien  und  der  Krieg  be- 
gonnen habe.  Dieses  Drama  mit  etwa  600  reimlosen  Versen  ist 
nicht  in  Acte  getheilt  und  besteht  aus  kurzen  Scenen,  die  mit 
Chorgesang  abwechseln;  es  findet  sich  keine  lutrigue  darin, 
keine  dramatische  Schürzung  noch  Lösung  des  Knotens,  und  das 
ganze  Interesse  gründet  sich  auf  den  idealen  Kampf  zwischen  der 
Leidenschaft  und  der  sittlichen  Nothwendigkeit.  In  diesem  Drama 
legte  Kochanowski  ein  glänzendes  Zeugniss  seines  tiefen  Verständ- 
nisses der  antiken  Welt  an  den  Tag,  nnd  eine  bewunderungs- 
würdige Meisterschaft  in  der  künstlerischen  Reproduction  der- 
selben. Erst  in  neuerer  Zeit  hat  Goethe  in  der  „Iphigenia  auf 
Tauris"  ein  Werk  geschaffen,  das  in  jener  Hinsicht  der  „Odprawa 
poslöw"  gleichkommt.  Aber  da  es  keinen  Zusammenhang  mit 
dem  Volksleben  hat,  steht  dieses  Drama  ganz  vereinzelt  in  der 
Literatur  da,  —  Kochanowski  fand  keine  Nachfolger;  die  spä- 
tem Generationen  verloren  das  Verständniss  für  dieses  Drama 
und  vergassen  es  gänzlich. 

Diejenige  Gattung  der  Poesie,  mit  welcher  Kochanowski 
grossen  Einfluss  auf  seine  Zeitgenossen  ausübte,  und  worin  er 
es  zur  Vollendung  brachte,  sodass  er  der  typische  Dichter 
auf  dritthalb  Jahrhunderte  wurde,  war  die  Lyrik.  Er  machte 
eine  vollständige  Üebersetzung  der  Psalmen  David's  (1578), 
die  beste,  welche  bisher  besteht,  und  die  noch  gegenwärtig 
im  Volksmunde  lebt.  Er  schrieb  Oden,  Elegien,  Epigramme, 
Idyllen  (Sobötka,  Dryas  Zamechska).    Im  „Satyr",  der  Sigis- 

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Johann  EoDhanoweiki.  61 

mund  AngQBt  gewidmet  ist,  legt  er  dem  Waldgott  eine  Kritilc 
der  Nationalfebler  id  den  Hund:  der  Leidenschaft,  den  Aus- 
läsdem  nachzuahmen,  deB  Leichtsinne  in  den  Urtheilen  über 
Sachen  des  Olaubene  nnd  der  Politik,  tind  des  sich  in  das 
geselbchaftliche  Leben  einschleicfaenden  Luzae.  Im  Jahre  1580, 
ntch  dem  Tode  seiner  geliebten  Tochter  Ursnla,  welche  er  die 
„ghiTische  Sappho"  nannte,  nnd  auf  die  er  hoffte  seine  Lei^ 
ni  »ererben,  schrieb  Kochanowski  die  „Treny"  („Elegien") 
oder  melancholische  Betrachtungen ,  in  denen  er  sich  zuweilen 
Ton  den  classischen  Reminiscenzen  und  der  trockenen  Gelebr- 
sankeit  lotreist  und  originell  wird,  weim  er  mit  Einfachheit  and 
Natöilichkeit,  die  den  Gipfelpunkt  der  Kunst  bilden,  sein  Leid 
im  Tone  des  Volksliedes  ausf^richt.*  Zu  den  bedentendsten 
Wnken  Eochanowski's  gehört  dessen  Sammlang  von  „Kleinig- 
keiten" („Fraszki"),  die  im  Jahre  nach  seinem  Tode  (1584)  her- 
ausgegeben wurden.  Hier  glänzt  der  scherzende  Gedanke  durch 
8cbarfeinn,  wechselt  muthwilliger  Scherz  mit  beissendem  Epi- 
gramm, sind  die  Gesellschafter  des  Dichters  humoristiscb  skiz- 
zirt,  werden  Liebe  und  Wein  gefeiert;  über  die  fröhliche  Gesell- 
schaft breitete  ihre  schattigen,  duftenden  Zweige  die  berühmte 
Lmde  von  Czamolas  aus,  die  der  Dichter  ao    oft  besungen  hat. 

Kochanowski  starb  in  der  vollen  Ueberzeagung  von  seiner 
Unsterblichkeit.  Einen  betniohtlichen  Theii  derselben  hat  er 
dem  Umstände  zu  rerdanken,  dass  er  ein  ganzer  Mann  war, 
Dichter  im  Leben  sowol  wie  im  Lied,  gut,  ehrbar,  massig, 
bescheiden*,  nnd  dfue  er  den  Tollsten  Aufidruck  der  damal^en 
Gesellschaft  bildete,  sowie  die  edlen  republiksjiisohen  Kmpfin- 
dangen  ausznsprechen  verstand,  welche  diese  Gesellschaft  be- 
BCAlten,  die  Gefühle  der  Freiheit,  Humanität  und  eines  tiefen 
Bewosstseins  der  persönlichen  Würde. 

Jetzt  wollen  wir  die  weitem  SohickstUe  der  polnischen  Poesie 
nach  Kochanowski  verfolgen  und  die  Talente  zweiten  Ranges  an- 


'  ,JHeht  in  einem  Bolchea  Bette  sollte  dioh,  meine  liebe  Toohter,  die 
HnUer  geleiten,  nicht  solche  Mitgift  versprach  sie  Jir  xa  geben,  wie  sie 
jeUt  dir  gmb;  ein  Hemduhen  nar  gab  sie  und  ciu  auhlichtes  Häubchen;  zu 
UäDpten  legte  dir  der  Vater  ein  Stückchen  Erde;  —  wehe,  sie  und  ibre 
Uitgift  sind  jetzt  in  eiDem  Schrein  beachlussen." 

'  Herr  igt  der  —  ich  meine  — 

Dem  genügt  das  Seine. 


.,GüOglf 


62  Yieiie«  E^tal.    Die  Polen. 

flibren,  velcfae  sich  auf  diesem  Gebiete  bekannt  gemacht  habeo. 
Nikolaus  S^p  Szarzydeki  (vorzeitig  gestorben  im  Jahre  1Ö81, 
etwas  über  zwanzig  Jahre  alt)  ahmte  glücklich  Petrarca  nach 
und  schrieb  einige  tief  empfundene  religiös  -  lyrische  Sachen. 
Die  Lyrik  wird  sichtlich  schwächer  and  verfallt,  die  Verderbuiss 
des  Geschmacks  tritt  darin  zu  Tage,  dass  die  Gedichte  immer 
mehr  mit  mythologischem  Ballast  und  classischeo  Beminiecenzen 
überladen  werden.  Bei  einig«i  Dichtern  ist  eine  Schwenkung 
znr  Mystik,  Ascetik  und  eine  Bückkehr  zur  kirchlich-christlicheD 
Poesie  bemerkbar.  Als  solche  Dichter,  welche  Bchon  den  Ueber- 
gang  zu  der  folgenden  jesuitisch'maccaronischen  Periode  bilden, 
treten  Grochowski  und  Miaakowski  auf.  Der  Priester  Sta- 
nislaw Grochowski  (1554-~1612),  war  ein  Mann  von  sehr 
mittelmässigen  Talenten,  von  schmuzigem  Charakter,  Pfründea- 
jäger,  boshaft  und  zugleich  ein  Erzschmeichter,  streute  allen 
Grossen  dieser  Welt  Weihrauch  und  war  dabei  ein  aufdring- 
licher Mensch  und  Intriguant.  Er  schrieb  sehv  viele  dem  In- 
halt nach  schlechte  Verse,  geistliche  und  weltliche,  übersetzte 
auf  den  Rath  der  Jesuiten  die  Hymnen  ans  dem  „Breviarium 
romanum"  und  verfasste  eigene  Gedichte  derselben  Gattung. 
Wegen  der  Satire  „Babie  kolo"  („der  Altweiberzirke]")  ward 
er  von  den  darin  mitgenommenen  damaligen  Bisdböfen  hart  ver- 
folgt. Viel  talentvoller  als  Grochowski  war  Kaspar  Miaskoweki 
(1549—1622),  aus  der  Landschaft  Bawa,  der  echte  Typus  eines 
häuslichen,  fest  auf  seinem  Krbe  sitzenden  Adligen,  dem  Land- 
leben ei^eben,  ein  eifriger  Katholik  und  Conservativer.  Als  sieb 
unter  ßigismund  III.  der  Kampf  der  Parteien  zu  einem  offenen 
Bürgerkriege  steigerte,  der  unter  dem  Namen  des  Zebrzydowski'- 
schen  Kokosz  bekannt  ist,  standen  auf  der  einen  Seite  die  Pr<^res- 
sisten,  auf  der  andern  der  König,  unterstützt  von  den  Jesuiten  und 
der  Beaction.  Miaskowski  schalt  die  Aufstiuidischen  in  einem  Ge- 
dicht voll  Kraft  und  Unwillen  („Dyalog  0  zje*daie  Jgdrzejowskim" 
—  „Dialog  über  den  Congress  von  Jgdrzejöw").  Für  seine  besten 
Werke  gelten  „Waleta  wloszczanowska"  („Abschied  von  der  Hei- 
mat") und  seine  religiösen  Lieder,  Busselegien,  „Blnmen  auf  die 
Krippe  des  Heilandes"  und  die  „Geschichte  des  Leidens  Jesu 
Christi",  die  in  Stunden  getheilt  ist.  Eine  besondere  Bedeutung 
erlangten  zwei  Gattungen  der  didaktischen  Poesie,  in  denen  auch 
Kochanowski  Muster  hinterlassen  hatte,  nämlich  die  Idylle  und 
die  Satire.    Die  Entwickelung  dieser  beiden  Gattungen   erklärt 

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Du  goldm«  Zütolter.  '68 

aeh  US  BOcialen  Ureachen ,  atie  der  Lage  der .  S^laehta  in- 
mitteo  der  Gesellschafli  aod  ans  ihrem  Verfaältaiss  zn  den  an- 
dern Ständen  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Polen 
durchlebte  damals  einen  jener  kritischen  Momente,  von  denen 
das  Schicksal  eines  Volkes  abhängt,  die  entscheiden,  ob  sich 
dasselbe  noch  höher  erheben,  oder  den  abschüssigen  Abhang  be- 
trete wird,  an  dessen  Ende  der  unvermeidliche  Abgrund  harrt. 
Die  Szlaohta  var  alles  in  der  Bepublik;  ihr  ist  Polen  für  die 
Macht  und  den  Wohlstand  verbunden,  die  es  erlangte.  W^che 
Fordeningen  aber  waren  noch  au  die  damals  alhnächtige  Szlaohta 
lom  weitem  Gedeihen  der  Bepublik  zu  stellen?  Sie  sind  klar 
ftnsgespnx^en  in  dem  Werke  des  Andreas  Frjcz  Uodrzewski: 
„De  Bepublica  emendanda"  (1551,  ins  Polnische  ühersetzt  von 
CfprianBazjlik):  „Lieber  Gott  1  Gib  deim  ganzen  Stande  der  Bit- 
ter ein  Herz,  dass  sie  nach  Ablegung  der  Eigenliebe  die  ganze 
Kepublik  lieben,  d.  i  alle  Menschen,  welche  mit  ihnen  zusammen 
in  diesem  Staat^Örper  leben;  dasa  sie  sich  um  alle  bekümmern 
■nd  aller  Leute  Leben,  Interessen  und  Ehre  vertheidigen.  Wenn 
dies  sein  wird,  dann  wird  es  offenbar  werden,  warum  die  Herren 
Senatoren  und  der  Adelsstand  dem  König  an  die  Seite  gestellt 
sind,  als  Theilnehmer  an  der  obersten  Gewalt."  Da  kein  Mittel- 
stand Torhanden  and  die  städtische  Bevölkerung  der  Zahl  nach 
gering  war,  so  stiess  sich  die  Szlacbta  unmittelbar  an  den 
Bauernstand;  ihr  lag  die  Sorge  ob,  den  letztem  zu  heben,  ihm 
Bildung  nnd  Bedite  zu  geben;  ihr  lag'es  ob,*Bicb  das  Ziel  zu 
setien,  dem  ganzen  Volke  den  Adel  zu  geben,  und  darnach  zu 
streb«!,  dieses  Ziel  aUmätüidi  zu  verwirklichen.  Die  Literatur 
führte  mit  ihrem  richtigen  Instinkt  anf  diesen  Gedanken  bin  und 
Hess  äch,  nachdem  sie  den  Zauberkreis  der  Szlaohta  durchbrochen, 
m  Idyll  zn  den  Bauern  herab,  entlehnte  Bilder  und  Typen  aus 
den  Banerleben  and  suchte  sie  dichterisch  zu  gestalten.  Dies 
nr  die  Aufgabe,  welche  sich  eine  ganze  Schale  rothruasisoher 
Dichter  steUte,  an  deren  Spitze  Szymonowicz  steht.  Diese  Ten- 
dnuen  realisirten  sich  nie  und  blieben  auf  dw  Stufe  frommer 
Wünsche  stehen;  keine  äussere  Macht  zwang  die  Szlacbta,  eich 
den  Massen  zu  nähern  und  auf  einem  Wege  vorwärts  zu  schrei* 
tea,  an  dessen  Ende  die  Selbstvemichtung  denselben  durch 
ihr  Aufgehen  im  ganzen  Volke  zu  sehen  war.  Keine  politische 
Macht  eutschliesst  sich  freiwillig  zum  Selbstmord,  noch  ist  sie 
tu  Selbstverlengnung  geneigt  ohne  vorausgegangenen  Kampf; 

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64  YiertCB  Kapitel    Die  Polen. 

vergeblich  wäre  es  gewesen,  etwas  derartiges  von  der  Szlachta 
zu  erwarten.  Sie  rabte  auf  ihren  Lorbern  and  ward  aus  diefiem 
eiissen  Schlafe  nur  durch  den  wilden  Dämon  der  soaialen  Re- 
volution in  Gestalt  der  Kosakenkrie^e  geweckt.  Nachdem  sie 
mit  scbrecklichen  Verlusten  die  hondertköpfige  Hydra  der  unter 
ihren  Füssen  wogenden  Volksmasse  überwunden,  schloss  sieb 
die  Szla«hta  in  dem  engsten  StandescoDserTstisrnua  ab,  wobei 
alle  ihre  schwachen  Seiten  zu  Tage  traten  und  sich  deutlich 
markirten,  was  dann  der  Satire  eine  reiche  Kabrung  bot.  — 
Wir  wollen  zuerst  die  bukolische  Poesie  betrachten  und  dann 
za  den  satirischen  Dichtern  übergehen. 

Im  östlichen  Tfaeil  des  heutigen  Galiziens  an  dun  kleinen 
Flüsschen  Feltew,  in  einer  prächtigen  Gegend  am  Fasse  der 
Karpaten  breiten  sich  weit  nach  Osten  zu  grosse  Ebenen  aus. 
Diese  Ebenen  sind  der  offene  Weg  für  die  Heuscfareoken  und  die 
Tataren.  Hier  liegt,  malerisch  hingestreckt,  die  alterthümUohe 
Stadt  des  Fürsten  Leo  (Lemberg),  das  Herz  Rothnisslands,  mit 
drei  geistlichen  Residenzen  in  seinen  Hauern:  der  des  römisob- 
ksthoUschen  Erzbischofs,  des  armenischen  Metropoliten  nnd  des 
griechisch-orthodoxen  Bischofs  zum  heiligen  Georg. 

Id  diesem  Lande,  das  seit  Kazimir,  im  14.  Jahrhundert,  zur 
polnischen  Krone  gehörte,  mid  in  dieser  von  starken  Kauern  um- 
gebenen Stadt,  welche  die  Schutswehr  der  Republik  gegen  Osten 
bildete,  ward  im  Jahre  1557  dem  städtischen  Ratheherm  Szymon 
z  Brzezin  ein  Söhn  Szyinoa  geboren,  der  sich  nach  dem  Na* 
men  des  Vaters  hätte  Szymonowic  oder  Szymonowioz  nennen 
sollen,  aber,  nachdem  er  Gelehrter  geworden,  es  vorzog,  sich 
griechisch  Simonides  zu  nennen  und  zu  unterzeichnen.^  Szy- 
monowicz  studirte  auf  der  Akademie  zu  Krakau,  reiste  dann  in 
die  Niederlande  und  nach  Frankreich,  wo  er  sich  mit  dem  be- 
rühmten Humanisten  Joseph  Justus  Scaliger  (dem  Sohn)  befrean- 
dete,  dessen  Rathscbläge  einen  entscheidenden  Einfluss  auf  sein 
ganzes  Leben  nnd  seine  künftige  literarische  Tbätigkeit  aus- 
übten.   Nach   seiner  Rückkehr  aus  dem  Auslände  ward  er  mit 


'  Werke  von  Szymonowios,  bersuegegebeti  von  Wjclawski  (Knlm 
1864).  Aug.  Bielowski,  Szymon Szyiuonowi uz,  1875,  vgl.  Pamigtiiiki  Akad. 
um.  Krnkowskiej,  II,  106  —  121.  Hier  sinil  die  Biographie  des  Dichter«, 
eeiue  anbekanaten  oder  wenig  bekannten  Werke  und  »eine  CorreapondenE 
abgedmokt. 


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Sijmon  SzymOQowioE.  66 

Johann  Zaniojeki  bekannt,  der  damals  schon  Kanzlei*  war,  trat 
bei  ihm  als  Secretär  ein  and  half  ihm  bei  der  Errichtung  der 
Akademie  zu  Zamoä6.  Zamojüki  übertru);  ihm  die  Erziehung 
seines  einzigen  Sohnes,  gab  ihm  ein  Gut  zu  lebenslänglichem 
Besitzthnm,  wusste  2a  bewirken ,  dass  auf  seine  Anregung  und 
ul  die  Fürsprache  Ton  Abgeordneten  der  Landscliaft  auf  dem 
Reichstage  König  Sigismund  III.  an  Simonides  den  Adel  verlieh 
mit  dem  Familiennamen  Bendoüski  und  ihn  mit  dem  Titel  eines 
Hofdichters  schmückte  (1590).  Simonides  starb  hochbetagt  im 
J^hre  1629.  Seine  Werke  zerfallen  in  zwei  Gattungen:  latei- 
niiche  Oden  und  polnische  Idyllen.  Wir  verweilen  nur  bei 
«a&en  bokolischen  Liedern.  Simonides  hatte  den  Theokrit 
gründlich  studirt  und  war  ganz  von  ihm  durchdrungen;  er 
b^nn  mit  Uebersetzungen  aus  Theokrit,  Bion,  Moschns,  zum 
Theil  auch  aus  Vii^U  und  Ovid,  oder  mit  solchen  Umarbei- 
tongen  und  Nachahmungen,  in  denen  der  ganze  Inhalt  antik 
var,  den  Hirten  und  Hirtinnen  nur  slaviscbe  Namen  (Milko,  So- 
bo6  o.  B.  V.)  gegeben  waren.  Später  ging  er  noch  einen  Schritt 
weiter  und  versuchte  als  Thema  wirkliche,  nicht  fingirte  Dorf- 
ntteu  zu  nehmen,  indem  er  sie  möglichst  idealisirte;  mit  an- 
dern Worten,  er  begann  Bilder  aus  dem  Volksleben  zu  schrei- 
ben. Da  er  mit  einer  lebhaften  Phantasie  Beobachtungsgabe 
nnd  das  Talent  einer  feinen  psychologischen  Analyse  verband, 
so  fesselten  die  von  ihm  in  den  engen  Bahmen  der  Idylle  ge- 
lüsten Scenen  die  Zeitgenossen,  trotz  ihres  Mangels  an  Naivetät 
Bod  Einfachheit.  Simonides  vermochte  in  keiner  Weise  zweien 
Uäugeln  zu  entgehen,  die  mit  der  Gattung  der  bukolischen  Poesie 
lelbst  untrennbar  verbunden  sind:  der  Trivialität,  wenn  der 
Dichter  die  Natur  getreu  zu  copiren  sucht,  und  der  Fadheit, 
vemi  er,  seine  Helden  idealisiiend,  den  Boden  der  Wirklichkeit 
Terläest  und  sich  in  dem  Gebiet  des  Conventionellen ,  will- 
kürlicher Erfindungen  ohne  Leben  nnd  Farbe  bewegt.  Um 
seine  Hirten  wahrheitsgetreu  zu  machen,  legt  er  ihnen  bald  tii- 
Tiale  Scherze  und  skeptische  Spöttereien  in  den  Mund,  wie  sie 
den  Bauern  nicht  eigen  sind,  bald  lässt  er  sie  wieder  Unterhal- 
tungen fuhren  voll  beissenden  Witzes  und  feiner  Höflichkeit. 
Unter  einer  Menge  von  mislungenen  Scenen  überraschen  einige 
dnrch  ihren  Realismus,  durch  die  Wiedergabe  volksthümücher 
Yorstellungen  und  Meinungen  in  künstlerischer  Form.  Dahin 
gehört  die   fünfzehnte  Idylle    „Zaubereien",  in    der   eine   von 

Fim,  ^»tIwIu  LiMnlom.    II,  1.  '5 

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66  Vierten  Kapitel.     Die  PoleD. 

ihrem  treulosen  Manne  verlassene  Frau  Hirse  auf  Kohlen  schüt- 
tet, Wachs  schmilzt,  Eschenblätter  yerbrennt  und  Beschwörun- 
gen und  Besprechungen  anwendet,  um  den  Ungetreuen  an  sich 
zu  ziehen  und  dessen  Geliebte  zu  beseitigen.  Von  derselben 
Art  ist  auch  noch  die  schöne  zwölfte  Idylle  „Kolacz"  („der 
Aschkuchen"),  die  übrigens  mehr  dem  Leben  der  Szlachta  ent- 
nommen ist  und  die  Hochzeitsgebräuche  darstellt.* 

Zuletzt  kam  Simonides  auf  den  glücklichen  Einfall,  in  den 
Mund  des  gewöhnlichen  Volkes  pathetische  Klagen  über  sein 
bittres  Schicksal,  über  die  Bedrückungen  seitens  der  Gntsbe- 
sitzer  zu  legen.  Diese  Klagen  wurden  nicht  zum  Zweck  einer 
demokratischen  Propaganda  geschrieben,  da  die  Poesie  des  Si- 
monides bei  ihrer  Eünstlichkeit  nie  auf  eine  Verbreitung  im  ge- 
wöhnlichen Volke  rechnen  konnte,  und  er  selbst  überhaupt  kein 
Revolutionär,  sondern  ein  der  bestehenden  Ordnung  tief  er- 
gebener Mann  war.  Sie  enthielt  nur  eine  Warnung  für  die 
künftigen  Zeiten  and  zeigt  in  dem  Verfasser  nicht  nur  einen 
Künstler,  sondern  auch  einen  Mann  mit  bestimmten  Zielen, 
einen  mathigen  Bürger,  der  es  wagte,  einem  damals  allmäch- 
tigen Stande  sehr  unangenehme  Dinge  ins  Gesicht  zn  sagen, 
einem  Stande,  der  durchaus  nicht  geneigt  war,  etwas  derartiges 
zu  hören.  In  der  siebzehnten  Idylle  „die  Hirten"  sprechen  die 
Bauern  von  den  Erpressungen  der  herrschaftlichen  Förster,  von 
den  Bossen  wegen  HolzfreTels.  In  der  achtzehnten  Idylle  „die 
Schnitterinnen"  treibt  der  herrschaftliche  Verwalter  mit  der 
Peitsche  in  der  Hand  die  Dorfweiber  zur  Arbeit;  eine  yon  ihnen, 
Petrucba,  stimmt  das  folgende  Lied  an:  „Liehe  Sonne,  da  helles 
Auge,  du  Auge  des  schönen  Tages,  du  bist  nicht  wie  unser  Vogt, 
du  stehst  auf,  wenn  die  Zeit  kommt;  ihm  ist  das  nicht  genag, 
er  möchte,  dass  du  dich  um  Mitternacht  erhöbest.   Liebe  Sonne, 


Die  Elster  mft  vom  Zaune,  das  deutet  Gäste  aa, 
Wiewol  die  Elster  auch  sich  eiumal  iri'eD  kann. 

Wer  üäste  liebt,  wird  nie,  wat  sie  verheiaat,  bestreiten, 
Er  lägst  mit  Sorgfalt  gleich  das  Abendbrot  bereiten. 

0  liebe  Elster,  sprich,  wo  bist  du  hingeflogen? 
Von  welcher  Seite  kommt  der  Giut  zu  uus  gezogen? 
Die  Elster  ruft  vom  Zaun  ~-  die  Jungfrau  jubelt  laut, 
Ihr  hat  des  Herzens  Schlag  des  Freundes  Nah'n  vertraut. 

(ITeben.  Ton  Nlliohmun,  „D«  poln.  Punuu 


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Sebastian  Klonowioz.  37 

dn  fährst  einen  Tag  nach  dem  andern ,  bis  das  lange  Jahr  voll 
ist,  nod  er  möchte  alles  in  einer  Stande  machen;  du  brennst 
nweilen,  zaweilen  lassest  du  ein  Lüftchen  wehen  und  die  Glut 
terstrenen,  er  aber  schreit  beständig:  nicht  ge&ulenzt,  eichle, 
sichle;  er  vill  auch  nicht  wissen,  dass  bei  der  Arbeit  mit  der 
Sichel  der  Schweiss  in  drei  Bächen  vom  Gesicht  strömt.  Dich, 
liebe  Sonne,  verdecken  manchmal  Wolken,  aber  sie  vertreibt 
der  Wind  bald;  unserm  Vogt  darf  man  nicht  gerade  ins  Ge- 
sicht sehen,  weil  bei  ihm  fortwährend  die  Brauen  gerunzelt 
sind"  0.  8.  w. 

Von  der  Idjrlle  gehen  wir  znr  Satire  Über.  Bei  allem  Glanz 
und  aller  Pracht  des  damaligen  Polens  fühlten  die  leitenden  Per- 
EODea  doch,  dass  in  der  Republik  nicht  alles  in  Ordnung  war. 
Symptome  einer  Krankheit  wurden  bemerkbar,  mau  stellte  von 
Zeit  zn  Zeit  ihre  Diagnose,  aber  die  Ursache  des  Uebels  blieb 
ein  Gebeirouifis.  Johann  Kochanowski  nnd  Peter  Zbylitowski 
(1571 — 1649)  empfahlen  an  Stelle  von  Arzneien  nur  Sittenlehren 
wie  etwa  die  folgenden:  seid  bescheiden,  enthaltsam,  human 
g^en  die  Niederen,  jagt  nicht  der  Mode  nach,  hütet  euch  vor 
dem  Luxus,  haltet  fest  an  den  alten  guten  Sitten.  Es  versteht 
sich  von  selbst,  dass  diese  Sittenlehren  zu  nichts  führten.  Der 
Strom  der  Zeit  risa  die-  Gesellschaft  in  entgegengesetzter  Rich- 
toDg  mit  fort.  Nur  ein  Schriftsteller  war  vorhanden,  begabt 
mit  einem  bedentenden  kritischen  Geiste ,  welcher  tiefer  in 
die  gesellschaftlichen  Verhältnisse  blickte,  und  indem  er  dem 
ffeaen  der  Szlacbta  auf  den  Grund  ging,  sich  erkühnte,  direct 
in  die  Wurzel  derselben  in  Polen  die  Hand  anzulegen,  die 
Bedentang  und  den  Vorzug  der  Geburt  zu  verwerfen  und  an 
der  Gültigkeit  des  Erbadels  zu  zweifeln.  Dieser  Zweifel  kam 
in  Anspielungen,  in  Umschreibungen  zum  Ausdruck;  aber  bei 
aller  Milde  der  Form  war  dazu  doch  ein  beträchtlicher  bürger- 
licher Muth  erforderlich.  Dieser  Schriftsteller,  der  es  wagte, 
bewusst  gegen  den  Strom  der  Zeit  und  der  Gesellschaft  zu 
schwimmen  and  von  seinen  Zeitgenossen  kaum  bemerkt  wurde, 
den  aber  eine  spätere  Machwelt  als  ihren  leiblichen  Bruder  be- 
grüBsen  mues,  war  Sebastian  Elonowicz  (oder  lateinisch,  von 
acer^klon,  Acernus,  1545 — 1602).     Klonowicz*  stammte  ans 


'  PnyboroWBki,   Rok  ämierci  Klonowicza,    im  Jooraal  „Ateneom", 
1878,  Sr.  2. 


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68  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

einer  bürgerlichen  Familie  der  Stadt  Sulmierzyce  an  der  schle- 
sischeD  Grenze,  wurde  an  der  Akademie  zu  Krakau  gebildet, 
Hess  sich  in  Lublin  nieder,  war  Ratlistierr  und  Schreiber  des 
Stadtgerichts,  zuletzt  Bürgermeister  der  Stadt  Lublin,  yerwaltete 
dabei  das  Amt  eineB  Richters  oder  Vogt«  auf  den  Gütern  des 
Klosters  von  Sieciechow,  in  welchem  ein  Freund  des  Klonowicz, 
der  spätere  Bischof  von  Kiew,  Wereszczyäaki,  Abt  war.  Die 
Untersuchungen  des  Archivars  Joseph  Detmeraki  in  Lublin  haben 
die  in  der  Literaturgeschichte  eingebürgerte  Ueberlieferung  über 
Klonowicz  stark  erschüttert;  darnach  sollte  er  nämlich  von  einer 
bösen  und  liederlichen  Frau  ruinirt  worden  und  dann  in  äosser- 
ster  Armuth  im  Jesnitenkrankenhaus  des  heiligen  Lazarus  zu 
Lublin  gestorben  sein  (vgl.  den  Artikel  von  Przyborowski).  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  Klonowicz  die  Verfolgungen  star- 
ker und  einäussreicher  Feinde  zu  erdulden  hatte.  Der  gelehrte 
Bibliothekar  der  krakauer  Universität  Joseph  Muczkowski  (seine 
Broschüre  erschien  1S40)  hat  zufällig  entdeckt,  wer  seine  Haupte 
Verfolger  gewesen  sind.  In  den  Acten  der  Jesuiten  fand  er  die 
Nachricht,  die  letztem  hätten  ihn  vor  seinem  Tode  zur  Reue 
gebracht  und  genöthigt,  um  Verzeihung  zu  bitten,  dass  er  im 
Jahre  ICOO  anonym  die  Broschüre  herausgegeben  „Equitis  Poloni 
in  Jeauitas  actio  prima",  worin  er  nachzuweisen  suchte,  dass  sich 
der  Orden  mehr  mit  lotriguen  als  mit  der  Wissenschaft  befasse, 
und  dass  er  Polen  Schaden  gebracht  habe,  indem  er  sich  der 
Bildung  des  Volkes  bemächtigte.  Die  Hand  des  Ordens  lastete 
auch  auf  den  Werken  des  Dichtei's,  die  nach  Möglichkeit  ver- 
nichtet vrurden.  Vor  allem  verfolgte  man  seine  „Victoria,  deo- 
nun",  die  mit  folgendem  Doppelvers  der  Jesuiten  gebrandmarkt 
wurde: 

Quid  praemü  versibuB  tarn  diguis, 

Nim  caroifex  et  ignis? 
Betrachtet  man  Klonowicz  vom  künstlerischen  Standpunkt 
aus,  80  wird  das  Urtbeil  nicht  zu  seinen  Gunsten  aus&llen;  sein 
poetisches  Talent  war  schwach;  durch  poetische  Schöpferkraft, 
die  einen  grossen  Gedanken  in  die  ihm  entsprechende  Form 
zu  kleiden  gevnisst  hätte,  ragte  er  durchaus  nicht  hervor. 
In  seiner  Natur  herrschen  zwei  Fähigkeiten  vor;  eine  scharfe 
Beobachtungsgabe  und  ein  analytischer  Verstand,  der  jeden 
allgemeinen,  von  ihm  zum  Thema  gewählten  Gedanken  in  eine 
un^blige   Menge    von    Einzelgedanken    zerlegte.     Nachdem    er 

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Sebaati&u  Elonowici.  69 

dnen  solcben  Gedanken  gefaast,  trug  er  eich  lange  mit  ihm 
hernm,  oft  Jahre  lang,  wendete  ihn  nach  allen  Seiten,  nahm 
nach  allen  R^etn  der  Logik  ein  ganzes  Netz  systematischer 
Tkeilnngen  Tor  und  fiillte  die  Maschen  desselben  allmählich 
mit  einem  Inhalt  aus,  den  er  entweder  dem  Vorrath  seiner 
Gelehrsamkeit  oder  der  eigenen  Lebenserfahmng  entnahm.  Mit 
Ansschlass  der  „Graheselegie  auf  den  Tod  Johann  Kocha- 
Dowski's",  einer  Reihe  von  lyrischen  Gedichten,  sind  alle  Ge- 
dichte Ton  Klonowicz  weitschweifig,  tragen  die  Spuren  langer 
and  mühsamer  Arbeit  an  sich,  lesen  sich  schwer,  sind  aber 
reich  an  malerischen  Einzelheiten. 

Vor  nicht  langer  Zeit  wurde  noch  ein  Werk  des  Klonowicz  in 
lateinischer  Sprache  aufgefunden  und  1875  zu  Warschau  Ton 
Wlsdy^aw  Okgcki  herausgegeben:  die  ,,Goraia",  worin  das  adelige 
Geschlecht  der  Gorajski  verherrlicht  wird;  es  vermag  jedoch  dem 
Bnhme  des  Dichters  nichts  weiteres  hinzuzufügen.  Die  Dichtnn- 
^  von  Klonowicz  lassen  sich  auf  zwei  Gattungen  zurückführen: 
Landschaflsschilderungen  (dahin  gehört  seine  polnisch  geschrie- 
bene Dichtung  „Flie"  —  „der  Flösser"  und  die  lateinische 
„Roxolania")  and  Sittenschilderangen  (wie  „Worek  Judaszöw" 
—  „der  Säckel  des  Judas"  nnd  „Victoria  deorum").  Flisy 
(Flösser)  ist  der  Name  der  Schiffer  anf  der  Weichsel.  Kloao- 
wica  besteigt  mit  ihnen  eine  Barke  an  der  Brücke  zu  Warschau 
and  macht  die  Fahrt  bis  nach  Danzig  hinab  mit.  Die  Dichtung 
b^nnt  mit  der  Erschaffung  der  Welt,  mit  der  Bildong  der 
Fliuse,  leitet  ans  dem  grauesten  Alterthum,  von  Jason  und  Ulys- 
us,  die  Geschichte  der  Schiffahrt  und  des  Handels  her,  stellt  den 
Schiffsbau  encyclopädisch  dar,  beschreibt  die  Sitten  der  Schiffer, 
ihre  technischen  Ausdrücke  und  Redeweisen,  ihre  Traditionen, 
Dod  indem  sie  bei  jeder  Biegung  und  jedem  Arme  des  Flusses 
verweilt,  xeicbnet  sie  die  Bilder  der  Ufer  und  der  an  ihnen 
hegenden  Dörfer  und  Städte.  lu  der  lateinischen  „Roxolania" 
ontemahm  es  Klonowicz,  als  ein  Pflegesohn  des  Rothen  oder 
Güiziscben  Russlands,  die  Herrlichkeiten  seines  Adoptivvater- 
landes  zu  beschreiben,  und  indem  er  seinen  Gegenstand  in  drei 
Theile  theilt,  beschreibt  er  im  ersten  die  Gaben  nnd  die  Er- 
tengnisse  der  Natnr,  wie  auch  die  Gewerbe  der  Bewohner,  als 
Waldbau,  Landbau,  Viehzucht,  Bienenzucht;  im  zweiten  die  roth- 
nneiscben  Städte:  Lnhlin,  Lemberg,  Kiew,  Przemysl,  Kamieniec; 
im  dritten  —  Leben  und  Sitten  der  Bewohner,  die  Taufen,  Leichen- 


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70  Viertes  Kapitel.    Die  Poleo. 

begängnisBe,  Fasten,  Zaubereien  und  den  religiösen  Aberglauben 
des  Volkes,  die  Leiden  und  Freuden  des  Bauers,  die  Habsucht 
der  Juden.  Ein  grosser  Meister  in  der  Landschaftsmalerei,  zog 
es  Klonowicz  nach  der  Anlage  und  Art  seines  Geistes  doch  ror, 
wichtige  Stoffe,  moralische  Fragen  zu  bearbeiten,  „spasshaft  zu 
schreiben  nicht  um  des  Spasses  willen,  sondern  zur  Verbesse- 
rung der  menschlichen  Sitten,  vor  allem  zur  Besserung  der 
jungen  Leute".  Als  Bichter,  der  sich  lange  mit  dem  Schmuze 
und  dem  Bodensatz  der  Gesellschaft  befasst  hatte,  kannte  er 
die  Kehrseiten  der  menschlichen  Natur  sehr  wohl  —  er  machte 
auch  seinem  durch  den  Anblick  des  Uebels  betrübtem  Herzen  in 
einem  Gedicht  in  polnischer  Sprache  Luft:  „der  Säckel  des  Ju- 
das", einem  sonderbaren  Werke,  bei  dem  man  nicht  recht  weiss, 
wo  man  es  hinthun  soll,  ob  in  die  juristische  Literatur  oder  in 
die  Poesie.  Dem  Vei-fahren  des  Verfassers  nach  gleicht  es  eher 
einem  Commentar  zum  „Sachsenspiegel",  welcher  den  Bicbtem 
in  den  Städten  als  Norm  diente;  es  ist  nichts  anderes  als  ein 
juridischer  Tractat,  nach  allen  Regeln  der  Wissenschaft,  über 
den  Diebstahl  und  über  verschiedene  andere  tadelnswerthe  Arten, 
sich  Eigenthnm  zu  erwerben  zum  Nachtheil  anderer  Personen. 
Der  Verräther  Christi,  der  ruchlose  Judas,  trug  am  Gürtel  einen 
bunten  Beutel,  der  aus  vier  Sorten  Leder  genäht  war:  vom  Wolf, 
vom  Fuchs,  vom  Leoparden  und  vom  Löwen.  Den  vier  Bestand- 
theilen  des  Beutels  entsprechen  die  vier  Arten,  sich  fremdes 
Eigentbum  anzueignen:  Diebstahl,  Betrug,  Erschleichang  und 
Gewalt,  was  denn  auch  dem  Verfasser  den  Anlass  gibt,  alle 
Arten  dieser  Vergehen  der  Reihe  nach  zu  schildern  und  durch- 
zunehmen. 

Auf  das  erste  Stück  des  Beutels  werden  bezogen:  der 
einfache  Diebstahl,  die  Simonie,  der  Diebstahl  von  Bienen  und 
Pferden,  das  Bestehleu  der  Staatskasse  und  der  Wucher.  Zu- 
letzt wird  mit  der  unerschrockenen  Hand  des  berufsmässigen 
juristischen  Technikers  dramatisch  und  malerisch  der  ganze 
He]^ang  des  gerichtlichen  Verfahrens  gegen  Diebe  gezeichnet, 
mit  dem  Henker,  dem  Hinaufziehen  des  Delinquenten  auf  die 
Wippe,  dem  Brennen  des  Körpers  mittels  Lichter,  und  dem 
Aufknüpfen  des  Diebes  an  dem  hohen  Querbalken  zwischen 
Himmel  und  Erde,  damit  er  dem  menschlichen  Geschlecht 
nicht  mehr  schade.  Unter  das  Fuchsfell  sind  Betrüger  ge- 
bracht,  die  um  Almosen    bitten,    femer   die  Bettler,  die   an- 


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SebMtiaa  EloDowjcz.  71 

geblich  Wander  tliun ,  die  Preller ,  welche  au  f  Kosten  der 
Hänner  leben,  indem  sie  den  Franen  den  Hof  machen.  Auf 
das  Leopardenfell  sind  bezogen  die  hinterlistige  Rechtsver- 
drdang,  der  jüdische  Wucher  und  die  Erpressung  von  Ver- 
eächtnissen  durch  Mönche  bei  Sterbenden  zu  Gunsten  von 
Klöstern  nnd  Kirchen.  Zuletzt,  zum  Löwenfell  gelangt,  hüllt 
sich  der  Verfasser  auf  einmal  in  Schweigen,  „da  es  gefährlich 
Bei,  TOD  diesem  Felle  zu  sprechen",  und  nachdem  er  seine 
Rede  unterbrochen,  scblieset  er  die  Dichtung  mit  der  Bitte 
u  die  Räuber,  welche  fremdes  Gut  genommen,  dass  sie  nach 
dem  Beispiel  dessen,  was  mit  den  Silberlingen  des  Judas  ge- 
Bcbah,  wenigfitens  einen  „Blutacker"  kaufen  mögen  zum  Be- 
gräbniss  für  die  von  ihnen  beraubten  Opfer.  Bei  Klonowicz 
rnnss  man  mehr  als  bei  irgendeinem  seiner  Zeitgenossen  zwi- 
schen den  Zeilen  lesen:  in  dieser  unToUstandig  ansgesproche- 
nen  Andentang  liegt,  wie  man  annimmt,  ein  politischer  Hinter- 
gedanke —  unter  der  Gewaltthätigkeit  des  Löwen  verstand 
er  wahrscheinlich  die  Gewaltthätigkeit  und  die  Bedrückun- 
gen der  im  Staate  vorherrschenden  Aristokratie  gegen  die 
andern  Stände;  aber  das  Wort  erstarb  ihm  auf  den  Lippen  vor 
der  Schwierigkeit  der  Aufgabe.  Dies«  Schwierigkeit  bestand 
nidit  in  der  Besoi^iss  vor  Verfolgung  der  Regierung  —  weil 
die  Institotionen  in  Polen  freier  waren,  als  irgendwo  anders  und 
der  Schriftsteller  volle  Freiheit  des  Wortes  und  der  Presse  ge- 
D088;  sie  bestand  vielmehr  in  der  geringschätzigen  Ignorirung, 
mit  welcher  sich  eine  zu  einer  bestimmten  Verfassung  gediehene 
Geaellscbaft  zu  Wahrheiten  und  Uathschlägen  verhalt,  die  ihr  un- 
angenehm sind  und  ihre  Bnhe  stören.  Klonowicz  wollte  sich  um 
jeden  Preis  Gehör  verschaffen,  er  kleidete  den  harten  Gedanken 
iü  weiche  Formen,  er  sprach  mit  allen  möglichen  Vorbehalten 
und  Zugeständnissen  einen  Protest  gegen  die  bestehende  Ordnung 
der  Dinge  aus  und  legte  die  Idee,  dass  eine  gründliche  sociale 
Beform  nöthig  sei,  in  einer  langen  didaktischen  Dichtung  dar, 
lateinisch  in  44  Gesängen,  unter  dem  Titel:  „Victoria  Deo- 
nnn".  Dieses  Werk  gehört  in  die  Poesie,  weil  es  in  Versen 
geschrieben  ist,  tbatsächlich  ist  es  aber  nichts  weiter,  als  ein 
grosser  Tractat  über  Moralphilosophie,  der  ganz  aus  Thesen, 
Widerlegnngen ,  Beweisen  und  Beispielen  besteht.  Der  Titel, 
ganz  willkürlich  gewählt,  ist  einer  am  Ende  der  Dichtung  be- 
findlichen Episode  (XXXIX,  XL)  über  den  Kampf  der  Titanen 

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72  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

mit  Japiter  eDtnommen;  unter  den  Titanen  sind  die  Magoateo 
und  die  Szlaohta  verstanden,  die  den  Thron  erschüttern,  unter 
Jnpiter  die  königliche  Gewalt.  Es  hestand  die  Hypothese,  Elo- 
nowicz  habe  den  Zebrzydowski'scben  Rokosz  von  1606  im  Sinne 
gehabt.  Diese  Annahme  fällt  jedoch,  nachdem  das  Todesjahr 
des  VerfasserB,  1602,  festgestellt  und  noch  eine  andere  That- 
sache  entdeckt  ist,  nämlich  dass  die  „Victoria  Deorum"  schon 
1587  geschrieben  ist.  Eigentlich  sollte  der  Titel  der  Dichtung 
„De  vcra  nobilitate"  lauten,  und  ihr  Grundgedanke  ist,  dass 
„wohlgeboren"  nur  ist,  wer  wohl  lebt,  und  wohl  lebt,  wer  wohl 
stirbt.  Klonowicz  räumt  die  Nothwendigkeit  ein,  dass  ein  Adel 
bestehe,  weil  die  Menschen  nicht  mit  gleichen  Fähigkeiten 
geboren  werden,  und  es  in  einem  jeden  Gemeinwesen  sowol 
Regierende  als  Regierte  geben  müsse.  Aber  nach  dieser  Con- 
cessioD  verlangt  er,  dass  der  Adel  ein  echter  sei  und  kein  fal- 
scher, der  echte  aber  könne  sich  nur  auf  Tugend  (besonders 
Tapferkeit  — virtus)  und  Arbeit  gründen,  aber  nicht  auf  Geburt 
und  auf  Reichthum. 

Da  der  Adel  durch  Tüchtigkeit  erworben  werden  muss,  so 
wandelt  er  sich  bei  Klonowicz  ans  einem  Geburteadel  in  einen 
persönlichen  um,  was  der  Verfasser  auch  dadurch  erhärtet, 
dass  er  zahlreiche  Beispiele  der  Verderbniss  und  Entartung 
aristokratischer  Familien  und  der  Begabung  gewöhnlicher  Leute 
und  Bastarde  anfuhrt.  Den  herrschenden  Vorurtheilen  gegen- 
über behauptet  er,  die  Handarbeit  sei  nicht  erniedrigend  für 
den  Szlachcic;  er  geht  enei^isch  gegen  die  Gutsherren  vor, 
indem  er  für  die  Bauern  eintritt.  Klonowicz  ist  nur  Kritiker, 
aber  nicht  Reformator;  er  weist  zwar  auf  die  Ursachen  des 
Uebels  hin,  schlägt  aber  keine  Mittel  zur  Heilung  vor:  solche 
gab  es  ft'eilich  auch  in  der  polnischen  Republik  nicht,  deren 
organischer  Fehler  eben  in  der  Geburtsaristokratie  lag.  Ihn 
baechlich  kein  Argwohn,  das  Uebel  sitze  so  tief,  dass  sich  das 
Volk  von  demselben  nicht  anders  befreien  könne,  als  durch 
seinen  politiBchen  Tod.  Er  war  der  Meinung,  die  Zeitgenossen 
oder  doch  wenigstens  die  nächsten  Nachkommen  würden  ihn 
nach  Gebühr  würdigen',  aber  die  Erinnerung  an  ihn  verlor 
sich  und  erst  nach  zwei  und  einem   halben  Jahrhundert,   nach 


Forsitan  ad  Msnes  duloedo  posthuma  laudis 
Ferveoit  nostroe  et  seri  senaus  honoris. 


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Sebattitin  Elonowicz.  73 

dem  Üntei^ang  der  Kepnblik,  ist  seiDem  Schatten  ToUe  Ehre 
latheil  geworden  und  sind  ihm  Grabdenkinäler  errichtet  worden.* 
Statt  einer  Reform  in  liberalem  Geiste,  nach  der  Klonowicz 
rief,  näherte  eich  mit  schnellen  Schritten  eine  illiberale,  untole- 
raote  Reaction,  eine  Rückkehr  znm  Alten,  eine  Fesselung  des 
Gedankens,  der  infolge  der  Reformation  den  Zaum  abgeschüttelt 
hatte,  ebne  dass  die  staatlichen  Institutionen  reformirt  waren. 
Freie  Institutionen  erforderD  in  dem  Volke,  das  sich  ihrer  be- 
dienen will,  gesunde  Sitten  und  eine  Ansbildung  der  Charaktere. 
Diese  AnsbildTing  wurde  im  Mittelalter  durch  die  Religion  ge- 
geben. Der  Protestantismue  in  Polen  stellte  nach  Verwerfung 
der  kirchlichen  Autorität  kein  nenee  Sittengesetz  an  die  Stelle 
des  katholischen  and  war  sichtlich  bestrebt,  im  Arianismus, 
Aoabaptismus  nnd  andern  Sekten  die  Religion  in  eine  reine 
Philosophie  amunwandeln,  die  nach  dem  blossen  Masstab  des 
Bedürfnisses  sowol  die  Heirath  zwischen  Blutsverwandten  als  un- 
eheliche Verbindungen,  Confiscation  geistlicher  Güter  und  aller- 
btnd  Willkür  guthiess.  Dabei  war  dieser  polnische  Protestan- 
tämDB  ToII  innerer  Widersprüche,  die  ihn  unvermeidlich  zum 
Fall  bringen  mnssten;  er  fasste  nur  in  der  Schicht  der  höhern 
Silachta  Worzel,  suchte  in  den  Magnaten  seine  Stütze,  sah  steh 
dtrch  die  Umstände  genöthigt,  seinen  Beschützern  gefällig  zu 
sein,  ihnen  manches  Ungebührliche  nachzusehen,  kümmerte  sich 
wenig  nm  die  Volksmassen  und  gewöhnte  sich  daran,  die  Frei- 
heit des  Bekenntnisses  als  eine  dem  Adel  allein  zukommende 
Prärogative  zn  betrachten.  Die  protestantische  Szlachta  genoss 
die  Freiheit,  zn  glauben  oder  nicht  zu  glauben,  und  schätzte 
dieselbe  hoch;  aber  sie  erkannte  zugleich,  dass  für  da«  gemeine 
Volk  eine  Religion  nöthig  sei,  nm  es  in  Zaum  zu  halten. 
Dieses  Bündnias  des  Protestantismus  mit  der  Aristokratie  konnte 
nur  bis  zn  einer  gewissen  Zeit  anhalten,  nämlich  bis  zu  dem 
Momente,  wo  die  beiden  miteinander  verbundenen  Kräfte  inne- 
worden, dass  sie  hei  dieser  Vereinigung  nur  verloren:  die 
Religion,  weil  sie  durch  die  Abhängigkeit  von  ihren  welt- 
bchen  Protectoren  erniedrigt  wurde;  die  Aristokratie,  weil  der 
Protestantismus,  als  ein  Element  der  Kritik  und  der  Negation, 
jede  Autorität   zersetzen    mnsste    und    folglich    auch    die  der 

'  Eine  schöne  Würdignsg  eeiuer  Verdieoste   fand  KloDowicz  bei  Ma- 
«iejowBki,  „Piim.  Polek.",  1,022—566. 

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74  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Szlachta,  ihre  Herrschaft  über  die  Bauern,  ihr  politisches  Ueber- 
gewicbt,  das  sich  auf  nichts  anderes  gründete,  als  auf  Geschichte 
und  Ueberlieferung.  Dieser  Moment  trat  zu  Ende  des  16.  und 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  ein.  Der  Bahnbrecher  der  neuen 
Bichtut^;,  ihr  Vorbote  und  Theoretiker,  der  die  Samenköruor 
des  starrsten  ConservatiTismus  legte,  die  im  folgenden  Jahr- 
hundert üppig  anfgingeo,  war  derselbe  Stanislaw  Orzechowski, 
dessen  Angelegenheit  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  Föten 
fast  zum  Protestantismus  fortriss,  indem  sie  die  Slrafgewalt  der 
Bischöfe  gelähmt  hatte.  In  dieser  typischen  Person  verkörpern 
sich  nebeneinander  alle  Extreme  und  Widersprüche  der  Glanz- 
periode, und  da  sie  zugleich  eine  volle  Herrschaft  über  die 
Geister  vieler  Generationen  der  Verfollperiode  erlangte,  so  müs- 
sen wir  auch  bei  ihr  verweilen.  ^ 

Sohn  einer  griechisch-orthodoxen  Mutter,  Enkel  eines  eben* 
solchen  Priesters,  war  Stanislaw  Orzechowski,  vom  Wappen 
Oksza,  (1515 — 66),  gente  Ruthenus,  natione  Folonus,  einSzlachcic 
von  Frzemyäl,  schon  in  der  Wiege  zum  Kanonikus  dieses  Ortes 
bestimmt;  im  14.  Lebensjahre  ins  Ausland  gesandt,  studirte  er 
in  Wittenberg,  wo  er  die  Gunst  Luther's  gewann,  brachte  aber 
dann  lange  Zeit  in  Italien  zii  und  trug  aus  der  Hauptstadt  des 
Katholicismus,  Rom,  sowol  eine  tiefe  Ueberzeugnng  von  derUn- 
erschntterlichkeit  und  der  Kraft  dieser  Kirche  davon,  als  auch 
die  Erkenntniss  der  Notbwendigkeit  einiger  Beformen  innerhalb 
derselben,  —  und  zwar  einer  Annäherung  an  den  östlichen  Ka- 
tholicismus ,  oder  die  griechische  Kirche ,  zum  gemeinsamen 
Kampfe  gegen  die  protestantischen  Sekten,  —  und  der  Auf- 
hebung des  obligatorischen  Cölibate  für  den  Klerus.  Talentvoll, 
hinreissend,  mit  allen  Eigenschaften  eines  Agitators  ausgestattet, 
wiegelte  er  durch  seine  Verlobung  sowie  darauf  folgende  Ver- 
heiratbung  die  ganze  kleinpolnische  Szlachta  gegen  die  Bischöfe 
auf;  auf  seiner  Seite  standen  alle  Protestanten ;  er  wurde  wegen 
Ketzerei  excoromunicirt.  Dabei  war  dieser  Manu  trotz  des  Un- 
gehorsams gegen  die  KirchensatzuDgen  doch  seinem  Herzen  nach 
durchaus  kein  Ketzer,  und  andererseits  sahen  die  Bischöfe  ein, 
welchen  gefährlichen  Feind  sie  sich  gemacht  hatten.  Es  kam 
zwischen  ihnen  und  Orzechowski  ein  Ausgleich  zu  Stande,  die 
Excommunication  wnrde  von  ihm  genommen,   die  Angelegenheit 

'  L.  Kabalft,  „Stanistaw  Orzechowski"  (Lemberg  1860). 

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StauietavT  Orzecboneki.  75 

negeu  LegaUsimng  seioer  Ehe  dem  ErmeBsen  des  Papstes 
anbeimgegeben.  In  der  quälenden  Erwartung  einer  Entschei- 
ding  hierüber,  die  jedoch  nie  erfolgen  sollte,  'nard  dieser 
tut  entweihte  Priester,  der  sich  in  die  allerzweideutigste  Lage 
gebracht  hatte,  da  er  von  der  katholischen  Geietlicbkeit  als 
heimlicher  Ketzer  verdächtigt,  von  den  Protestanten  als  offener 
Benegat  geschmäht  warde,  ein  heimlicher  Rathgeber  der  Bi- 
schöfe, ein  Vorkämpfer  des  KatfaolicismuB,  eine  Geissel  der  Pro- 
testanten. Isolirt,  misachtet,  legte  er  eine  bewunderungswürdige 
Tbätigkeit  an  den  Tag  und  bewies  als  Polemiker  und  Famphle- 
tist  ein  Talent  ersten  Ranges.  Von  seinen  Ideen  näbrten  sich 
im  folgenden  Jahrhundert  die  katholischen  Schnftsteller,  indem 
rie  ganze  Seiten  wörtlich  entlehnten;  einige  seiner  Werke,  z.  B. 
die  „Apokaljpsis",  hatten  gegen  11  Auflagen. —  1d  allen  seinen 
Broschüren,  Briefen  und  Dialogen  wird  nur  der  eine  Gedanke 
durchgeführt:  daea  es  unabweisbar  nothwendig  sei,  die  scbranken- 
lo«e,  politische  Freiheit  der  Szlachta  auf  einer  vollen  geistigen 
Knechtung,  auf  der  voUeu  Unterwerfung  des  Geistes  unter  die 
Aotorität  der  Kirche  zu  begründen.  Es  gibt  kein  Volk  auf 
der  Welt  —  sagt  Orzechowski  in  seinem  Dialoge  „Quincunx" 
{Q.  to  jest  wzör  korony  polskiej  na  cynku  vfystavriony,  IÖ64)  — 
das  über  dem  polnischen  stünde  sowol  der  Gleichheit  (es  gibt 
bei  ihm  weder  Grafen  noch  Fürsten)  als  der  Freiheit  nach. 
„Dn,  Litauer,  gehst  wie  ein  Ochse  im  angeborenen  Joche,  ich, 
der  Pole,  schwebe  daher  wie  ein  Adler,  weil  ich  keinem  erb- 
Ucben  Herrscher,  sondern  einem  König  unterthan  bin,  den  ich 
mir  selbst  gewählt  habe.  Der  Pole  tragt  ein  berühmtes  Kleid 
~  die  Freiheit,  die  gleich  ist  der  des  Könige,  und  hat  an 
der  Hand  einen  goldenen  Ring  —  den  Adel,  vermöge  dessen 
der  Orösste  dem  Geringsten  gleich  ist.  Mit  dem  König  hat  er 
gemeinsam  das  Recht  des  Staates,  das  in  gleicher  Weise  ihm 
wie  dem  Könige  dient.  Im  Genuss  alles  dessen  freut  sich  der 
Pole  und  tanzt,  ohne  irgendwelche  unfreiwillige  Verpflichtung 
zu  tragen  und  dem  König,  seinem  Oberherrn,  mit  etwas  wei- 
tem verbunden  zu  sein,  als  mit  dem  Titel  auf  der  Klageschrift, 
iwei  Groschen  von  der  Hufe  und  dem  Dienst  in  der  Volkswehr. 
In  erblichen  Monarchien  gibt  es  keinen  Schutz  gegen  den  Herr- 
seber, aber  in  Polen  ist  ein  solcher  vorhanden,  und  zwar:  der 
£id  des  Königs.  Wer  aber  zwingt  diesen,  den  Eid  zu  halten? 
Derjenige,  welcher  ihm  diesen  Eid  abgenommen,  der  ihn  gekrönt, 

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76  Vierten  Knpitel.    Die  Polen. 

ihm  folglich  auch  die  königliche  Gewalt  gegeben  hat,  der  aut^ 
das  Volk  vom  Gehorsam  gegen  den  König  entbinden  kann  —  der 
Erzbischof  von  Gnesen,  pater  regis  et  regni  princeps,  der  die 
Schlüssel  zu  den  Thoren  des  Himmels  bat.  Es  gab  Zeiten  ohne 
Könige,  sie  werden  auch  wiederkommen,  wenn  einst  die  Könige 
insgesammt  vor  dem  jüngsten  Gericht  zu  nichte  werden,  aber 
es  gab  nie  eine  Zeit  ohne  Frieeterthum,  noch  wird  es  eine  solche 
geben.  Das  Phesterthum  ist  ein  ewiges  Amt,  das  Königthum 
aber  nur  eine  zeitliche  Würde;  um  so  viel  der  König  höher 
steht  als  das  Volk,  um  so  viel  steht  der  Priester  höher  als 
der  König." —  Die  Theorie  Orzechowski's  ist  folgende:  in  Polan 
gibt  es  keine  Leute  ausser  der  Szlachta;  jeder  Szlachcic  ist 
ein  souveräner  Herr,  über  allen  diesen  Herren  steht  ein  eben- 
falls von  ihnen  gewählter  und  wenig  von  ihnen  unterschiedener 
oberster  Herr,  der  König,  aber  ihm  ist  im  Interesse  der  Frei- 
beit  der  Szlachta  ein  Zügel  angelegt,  den  der  Priester  in 
Händen  hält.  Diese  Theorie  ist  die  extremste  Consequenz  der 
einseitigen  Idee  der  Adelsfreiheit,  aber  sie  traf  das  Richtige, 
indem  sie  auf  die  enge  Verwandtschaft  der  bis  zur  letzten 
Stufe  entwickelten  und  darum  conservativ  gewordenen  Szlachta 
mit  der  Autorität  in  Glaubenssachen,  auf  die  Gefahr  hinwies, 
die  von  allen  Neuerungen,  religiösen  sowol  als  politischen 
drohte.  Nachdem  man  diese  Gefahr  erkannt,  fiel  die  Mehrzahl 
der  Anhänger  des  Protestantismus  von  diesem  wieder  ebenso 
leicht  ab,  wie  sie  ihm  beigetreten  war,  sagte  sich  von  der  Frei- 
heit des  Gedankens  los,  unterwarf  sich  wieder  der  Autorität  der 
Offenbarung,  welche  durch  die  Kirche  repräsentirt  wurde,  und 
der  scheinbar  ganz  verfallene  Katholicismus  erstand  wie  ein 
Phönix  aus  der  Asche,  erneuert,  gereinigt  und  kriegerischer 
als  jemals  in  frühern  Zeiten.  Die  Reihen  seiner  Gegner  lichten 
sich,  von  den  protestantischen  Magnaten  geht  einer  nach  dem 
andern  zum  Katholicismus  über,  es  treten  auch  die  Fürsten 
über,  ferner  die  litauischen  und  russischen  Grossherren,  welche 
bisher  der  griechisch' orthodoxen  Kirche  folgten.  Eine  enthu- 
siastische Propaganda  verrichtete  Wunder,  sammelte  die  zer- 
streuten Schafe  wieder  in  eine  Heerde  unter  das  alte  Banner 
und  setzte  sich  das  Ziel,  die  Glauhenseinbeit  zum  Fundament 
für  den  Staat  zu  machen,  nachdem  sie  alle  Ketzer  (Prote- 
stanten) und  Schismatiker  (griechisch  Orthodoxe)  gezvnmgen 
haben   werde,   die  Oberherrschaft  des  römischen  Papstes  aozn- 

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Peter  Skftrga.  77 

eikeiuien.  Diese  BestreboogeD  dea  EathoUcismue  fielen  mit  der 
eroBBten  Ausbreitung  der  Grenzen  PoleifB  nach  Osten,  mit  dem 
Homeat  mBammen,  als  sich  die  polnischen  Adler  sogar  gegen 
ien  Kreml  von  Moskaa  richteten,  als  die  nicht  unbegründeten 
Hoffnungen  bestanden,  dass  früher  oder  später  Moskovien  selbst 
in  den  Bestand  der  polnischen  adelig -katholischen  Föderation 
einbezogen  werden  würde,  sei  es  durch  die  Wahl  eines  der  mos- 
kaeischen  Fürsten  auf  den  polnischen  Thron  (nach  dem  Beispiel 
der  Dynastie  der  Jagiellonen),  oder  dadurch,  dass  auf  den  Thron 
TDD  Uo^au  jemand  gesetzt  würde,  der  sich  dasn  hergäbe,  die 
Pläne  der  polnischen  Politik  auszuführen.  Die  Hauptpersonen 
in  der  religiösen  Propaganda  waren  die  Jesuiten;  von  ihrem  Ein- 
änss  auf  die  Bildung  des  Volkes,  auf  dessen  geistige  Entwicke- 
loDg  werden  wir  später  reden,  bei  der  Betrachtung  der  folgenden 
Periode,  wo  die  Thätigkeit  derselben  schon  ihre  Früchte  trug; 
hier  sei  nur  bemerkt,  dass  ihre  Tendenz  in  Tieler  Beziehung  de- 
mokratischer war,  als  der  Proteatantismns  der  Szlachta,  dass 
viele  von  ihnen  scharfsichtiger  waren  als  Orzecbowski  und  ahn- 
ten, dass  durch  die  Stagnation,  in  welche  die  Gesellschaft  in- 
folge der  definittren  Schwächung  der  königlichen  Gewalt  ver- 
nnken  werde,  der  Staat  zu  Grunde  gehen  müsse;  endlich,  dass 
sich  unter  den  Jesuiten  auch  ehi'liche  Leute  fanden,  voll  Selbst- 
rerleagnong,  ihrer  Sache  mit  Begeisterung  ergeben,  die  im  Namen 
Gottes  bittere  Wahrheiten  zu  dem  Volke  und  selbst  zu  der 
Silachta  redeten,  die  Gewaltigen  dieser  Welt  schalten,  ohne  sich 
je  durch  Schmeicheleien  zu  erniedrigen.  Einer  dieser  aufrichtigen 
and  ehrlichen  Arbeiter  auf  dem  Gebiet  der  katholischen  Propa- 
ganda und,  man  darf  sagen,  die  Personi£cation  derselben,  war 
der  berühmte  Priester  Peter  Faw^zki,  bekannter  unter  dem 
Znnamen  Skarga,  der  sich  durch  seine  hinreiseende  Beredsam- 
keit den  Beinamen  Goldmund  (Chrysoatomus)  erwarb.  Sein  Ein- 
flnss  auf  die  Zeitgenossen  war  so  gewaltig,  und  seine  rednerische 
imd  hterarische  Thätigkeit  so  eng  mit  allen  politischen  Vorgängen 
der  damaUgen  Zeit  verbunden,  dass  es  nöthig  ist,  die  Haupt- 
momeote  seines  76jährigen  Lebens,  das  von  Anfang  bis  zu  Ende 
nnr  einer  Idee  gewidmet  war,  näher  darzulegen.' 

Peter  Skarga,  ein  maznriecher  Adeliger,  ward  1536  geboren, 

■  Byoheioki  (M.  DEieduazyoki),  „Fiotr  Skarga  i  jego  wiek"  (2  Bde., 
KnkM  1860). 

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78  VierteB  Kapitel.    Die  Polen. 

Btudirte  auf  der  Akademie  za  Erakau ,  trat  id  dea  geistlichen 
Stand,  ward  KanonikÜB  des  Kapitels  zu  Lemberg  nnd  Fre- 
diger an  der  dortigen  Kathedrale.  Die  Weltgeistlichkeit,  der 
er  angehörte,  befriedigte  seine  zur  Ascetik  geneigte,  strenge, 
die  Disciplin  liebende  Seele  nicht.  Er  schied  aus  derselben, 
ging  nach  Rom  und  trat  dort,  in  der  Hauptstadt  des  Katho- 
licismas,  1568  in  die  Reiben  jenes  vor  kurzem  entstandenen 
Ordens  ein,  der  auf  einer  mehr  als  militärischen  Subordina- 
tion, auf  einer  blinden  und  unbedingten  Unterwerfung  des  Ver- 
standes und  Willens  des  Menschen  unter  die  Interessen  und  die 
Zwecke  der  Kirche  gegründet  war.  1571  nach  Polen  zurück- 
gekehrt, ward  er  1573  auf  einen  sehr  wichtigen ,  aber  schwieri- 
gen Posten  gestellt  im  Osten  der  Bepablik  zu  Wilna,  mitten 
unter .  den  in  Litauen  yorherrschenden  Calvinismus.  Er  zeich- 
nete sich  bald  als  Prediger  aus,  bekehrte  die  Magnatenfamilie 
der  Cbodkiewicz  und  die  nieSwie^'echer  Linie  des  Hauses  Radzi- 
witt  zum  KatholicismuB,  hielt  Disputationen  mit  protestantischen 
Theologen,  gründete  religiöse  und  mildthätige  Brüderschaften, 
war  der  erste  Rector  der  1579  aus  dem  Jesuiten -Gymnasium 
gebildeten  wilnaer  Universität,  machte  Reisen  zur  Errichtung 
von  Jesuitencollegien,  Schulen  und  Kirchen  in  Polock,  Dorpat, 
Riga.  Aus  Wilna  siedelte  Skarga  1584  nach  Krakau  über; 
1588  machte  ihn  der  zum  König  gewählte  Sigismund  III.  Wasa 
zu  seinem  Hofprediger.  24  Jahre  lang  genoss  Skarga  das  un- 
begrenzte Vertrauen  des  letztem.  Der  Prediger  Birkowsld  sagt 
von  ihm:  wie  vor  den  römischen  Kaisern  angezündete  Fackeln 
getragen  wurden,  so  war  Skarga  eine  solche  brennende  Fackel 
vor  der  Pereon  des  polnischen  Königs  und  Volkes.  Gelder 
gingen  zu  Tausenden  durch  seine  Hände,  weil  der  Hofprediger 
auch  der  Verwalter  der  Gelder  war,  welche  der  König  für  die 
Armen  spendete,  aber  für  seine  eigene  Person  that  ihm  selbst 
der  Groseben  leid,  er  lebte  in  freiwilliger  Armuth  in  einer  engen 
Mönchszelle,  wo  er  sich  die  kleinsten  Bequemlichkeiten  versagte. 
Sein  Wort  galt  bei  dem  König  viel,  aber  er  bat  nie  für  jemand, 
warb  nie  für  jemand  um  die  geringste  Gnade.  Als  Politiker 
nahm  er  an  zwei  Ereignissen  lebhaften  Antheil:  an  der  Union 
von  Brest  (1596)  und  an  dem  Zebrzydowski'scben  Kokosz. 
Die  Brester  Union  bereitete  er  mit  seinen  politischen,  gegen 
die  griechisch-orthodoxe  Kirche  gerichteten  Werken  vor  („Ueber 
die  Einheit  der  Kirche  Gottes  unter  einem   Hirten  und   über 

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Peter  Sku^  79 

das  griechische  Scbieiua"  —  „0  jednoäci  koäcio}a  Bo2ego  u.  s.  w." 
Wibia  1577).  Er  trat  auch  auf  der  Synode  zu  Brest  1596  als 
Bedner  auf  und  zwar  als  einer  der  Deputirten  des  Königs. 
Dort  forderte  er  auch  die  Griechisch  -  Orthodoxen ,  die  mit  der 
Union  nicht  einverBtanden  waren,  zn  einer  öffenllicheu  Dieputa- 
tion  auf  und  beschrieb  den  ganzen  Verlauf  der  Sache  in  dem 
Buche  „Sjnod  Brzeski  i  jego  obrona"  („die  Synode  zu  Brest 
und  ihre  Vertheidigung",  1697).  Die  Brester  Union,  die  Gewalt^ 
thätigkeitea  und  Verfolgungen  der  Katholiken  gegen  die  an 
Zahl  echwächem  Protestanten  auf  Anstiften  der  Jesuiten,  und 
die  dem  VoUce  verhassten  Verbindungen  des  Königs  mit  dem 
Hanse  Oesterreich  riefen  einen  Bürgerkrieg  hervor.  Es  bildete 
sich  eine  Coalition  aus  allen  dem  König  und  den  Jesuiten  feind- 
hcben  Elementen,  aus  den  Protestanten,  den  nichtunirten  Grie- 
chisch-Orthodozen,  aus  den  Magnaten,  welche  gegen  das  Bünd- 
niss  mit  Oesterreich  waren  und  die  Bestrebungen  des  Königs 
nach  dem  Dominium  absolutum  fürchteten.  Es  kam  zu  einem 
bewa&eten  Aufstand  oder  Bokosz,  an  dessen  Spitze  ein  intimer 
Freund  des  verstorbenen  Zamojski,  der  Wojewode  von  Krakau 
Zebrzjdowski  stand.  In  diesem  Spiel  waren  die  Karten  sonder- 
bar gemischt:  auf  der  einen  Seite  stand  die  königliche  Gewalt, 
die  dem  Orden  als  Schirm  and  Werkzeug  diente,  mittels  welcher 
die  Jesuiten  die  Idee  einer  religiösen  Einigung  des  Volkes  um 
j«den Preis  durchzuführen  suchten;  auf  der  andern  Seite  reichten 
ach  die  Terachiedenartigen,  einander  hassenden  akatholisoben 
Bekenntnisse  und  Sekten  die  Hand,  vereint  durch  die  ihnen 
drohende  gemeinsame  Gefahr,  und  trugen  auf  ihren  Schultern 
das  ehrgeizige  Magnatentbum,  das  sich  so  gern  bei  jeder  geeig- 
neten  Gelegenheit  dem  König  widersetzte.  Skarga  fuhr  vom 
König  zu  Zebrzydowski,  um  ihm  zuzureden,  sich  zu  versöhnen; 
die  Aufständischen  verlangten  vom  König  die  Entfernung  der 
Jesuiten;  Skarga,  ohne  einen  Schritt  vom  König  zu  weichen,  trat 
als  Kämpfer  für  den  Orden  auf  und  vertheidigte  ihn  sowol  mund- 
hch  von  der  Kanzel  herab  als  schriftlich:  „Pröba  zakonu  socie- 
tatis  Jesu"  („Prüfung  des  Statute  der  Gesellschaft  Jesu",  Krakau 
1607). 

Das  Tragische  in  diesem  Kampfe  der  Parteien  war,  dass,  auf 
welche  Seite  sich  auch  der  Sieg  neigen  mochte,  die  polnische 
Gesellschaft  doch  unausbleiblich  verlieren  musste.  Der  König 
bewältigte  die  Aufständischen,   aber  nicht  in  dem  Grade,   dass 

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80  Viertes  EapiteL    Via  Polen. 

seine  Gewalt  das  Schioksal  der  niedem  arbeitenden  Klassen  des 
Volkes  in  ii^endetwas  hätte  erleiclitern  könnea;  darnach  warden 
die  Diseidenten  geschlagen  und  Skarga  erlebte  den  vollen  Triampb 
des  Katholicismos.    Er  starb  zu  Erakau  1612. 

Die  literarischen  Arbeiten  Skai^'s  lassen  sich  in  polemisch- 
theologische  Werke,  in  Werke,  die  sich  anf  die  Kirchengeschicbte 
beziehen,  und  in  Predigten  eintheilen.  Er  polemisirte  sehr  viel 
mit  den  Griechiscb-Orthodozeu,  mit  den  Protestanten  verschiede- 
ner RicbtiiDgeD  („Die  sieben  PfeUer,  auf  denen  die  katholische 
Lehre  steht"  —  „Siedm  filaröw,  na  ktörych  stoi  katolicka  nanka 
u.  s.  w."  1582;  „Aafmf  zu  dem  Einen  seligmachenden  Glauben" 
—  „Wyzwanie  do  jedniej  2bawienBej  wiary"  und  vieles  andere), 
schrieb  geharnischte  Tractate  insbesondere  gegen  die  Arianer 
(„Beschämnng  der  neuen  Arianer"  —  „ Zawstydzenie  nowyoh 
arjanäw",  Erakau  1608;  „der  neue  Messias  der  Arianer  nach 
dem  türkischen  Koran"  —  „Messiasz  nowy  aryanöw  u.  s.  vr." 
Krakaa  1612).  Diese  Werke  unterliegen  unserer  Erörterung 
nicbt,  so  vrenig  wie  seine  Versuche  in  der  Kirchengescliichte,  die 
da^n  bestanden,  daes  er  Heiligenlegenden  herausgab  („2ywotf 
Swiftych",  1579)  und  in  Uebersetzung  einen  Auszug  aus  dem 
Werke  des  Cardinais  Baronius:  „Annales  ecclesiastici"  (1603  — 
1607)  lieferte.  Die  Legenden  sind  kritiklos  geschrieben,  aber  in 
einem  schönen,  fesselnden  Stil,  dem  sie  es  zu  verdanken  haben, 
dass  sie  bis  25  Auflagen  erlangten  und  in  der  Volksmasse  be- 
kannter und  verbreiteter  sind,  als  irgendein  anderes  Literatur- 
werk.  Am  allerwichtigsten  sind  Skarga's  Predigten  '  („Kaxania  na 
niedziele  i  Öwi0a"  —  „Predigten  auf  die  Sonn-  und  Festtage", 
159Ö;  „Kazania  o  siedmiu  sakramentacb  i  Kazauia  przy godne"  — 
„Predigten  über  die  sieben  Sakramente  und  Gelegenheitspredig- 
ten", 1600)  und  insbesondere  die  Beichstagspredigten  („Ka- 
zania sejmovre",  1600).  Achtzehnmal  hatte  er  Gelegenheit  vor  den 
2U  gesetzgebenschen  Arbeiten  versammelten  Reichstagen  Pre- 
digten zu  halten,  welche  die  Bedeutung  von  politischen  Reden 
hatten,  viermal  hatte  er  Daukpredigten  zu  halten  aus  Anlass 
grosser  Siege,  durch  welche  eich  cUe  polnischen  Waffen  be- 
rühmt gemacht  hatten:    1588  bei   Gelegenheit  der   Oefangen- 


'  Eine  Auswahl  erachien  in  deuUcker  Ueberaetznng  n.  d.  T.:  „Sonn-, 
FestUge-  und  OelegenheiUpredigten  naoli  Skuga.  Uerkuag.  von  A.  Swien- 
telt"  (BrMl«n  1871). 


.....Gooj^lc 


Petev  Slcugtt.  81 

uhme  des  Erzherzogs  yon  Oesterreicb,  Maximilian,  bei  Pitschen; 
1600  bei  Gelegeoheit  der  Unterwerfung  der  Moldau  unter  Polen 
darch  Zamojekii  1605  bei  Gelegenheit  der  Niederlage  Karl's 
TOB  Sädermanland,  des  Onkels  toq  Sigismund  III. ,  dnrch  Chod- 
Uewicz  bei  Kirchholm  an  der  Dwina,  und  1611  bei  Gelegenheit 
der  Einnahme  Ton  Smolensk.  Die  Kraft  Beiner  Beredsamkeit 
war  so  gross,  dass  ihn  seine  Feinde,  die  Dissidenten,  einen 
i^eelentyrsnnen "  (psychotyrannus)  nannten.  Um  seine  Reden 
nach  Gebühr  zu  würdigen,  muss  man  rergessen,  dass  er  ein  Je- 
Bnit  war,  muss  man  sich  in  seine  Lage  vereetzen,  sich  auf  seinen 
Standpunkt  stellen.  £r  war  in  vollem  Sinne  des  Wortes  ein 
Bürger  unter  den  Priestern,  so  sonderbar  auch  diese  Bezeichnung 
erscheinen  mag;  er  repräsentirt  den  seltenen  Typus  eines  Jesui- 
teo,  der  zugleich  ein  Patriot  war.  Sein  Vaterland  liebte  er  warm 
und  leidenschaftlich,  wünschte  eifrig  seine  Grösse,  die  Ausbrei- 
tung seiner  Grenzen  und  seiner  Macht,  und  als  er  mit  Schrecken 
die  Zeichen  der  Fäalniss  und  Zersetzung  bemerkte,  welche  den 
künftigen  Untergang  der  Bepablik  verkündeten,  litt  er  stärker 
Ton  diesen  Krankheiten  als  seine  weniger  scharf  blickenden  Zeit- 
genossen. Indem  er  nach  den  Ursachen  des  Uebels  forschte, 
fand  er  sie  unmittelbar  in  der  Sektirerei,  in  der  Verschieden- 
heit der  Meionngen  und  in  der  Spaltung  in  Glaubenssachen, 
nach  jener  Regel  des  Evangeliums:  Jegliches  Beicb,  so  es  mit 
ihm  selbst  nneins  wird,  das  wird  wüste  und  ein  Haus  fällt  auf 
das  andere  (Lnkas  XI,  17).  Er  wusste  sehr  wohl,  dass  er 
grimmigen  Hass  der  Dissidenten  gegen  sich  hervorrief;  man 
nannte  ihn  einen  Inquisitor ,  Schmeichler ,  kömglichen  Para- 
üten,  einen  apostolus  absoluti  dominii;  er  war  nicht  einmal 
sicber  vor  den  frechsten  and  gewaltthätigsten  Angriffen  und  Be- 
leidigungen, in  Wilna  wurde  er  einmal  geschlagen,  in  Warschau 
empfing  er  zweimal  öffentlich  Ohrfeigen  und  jedesmal  hegte  er 
nicht  nur  keinen  Zorn  gegen  die  Beleidiger,  sondern  erbat  für 
sie  sogar  grossherzig  Verzeihung.  Niemals  erlaubte  er  sich, 
die  Personen  anzngreifeu  oder  auf  sie  hinzuweisen,  niemals 
hetzte  er  die  Katholiken  zu  roher  Gewalt  gegen  die  Pro- 
testanten, zur  Zerstörung  ihrer  Versammlungen  und  Kirchen, 
in  einer  gewaltsamen'  Hindemug  ihres  Gottesdienstes  auf; 
nichtsdestoweniger  waren  seine  Bemühungen  und  Kathschläge  • 
anf  die  Erreichung  ebendieses  Resultats  gerichtet,  auf  die 
Entwurzelung   des   Dissidententhnms   mit  Hülfe  der  weltlichen 

tini,  HUilaclia  LllcrMnrgn.    II,  I.  ti 

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82  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Macht  und  auf  die  Nichtduldung  des  Sektenwesena  Beitens 
des  Staates,  weil  die  Toleranz  nach  Beines  Ideen  direct  zum 
Atheismus  führte. 

Die  Gewalt  des  Köuigs  ist  nactt  der  Meinung  Skarga's  nötbig, 
um  der  Kirche  den  Sieg  über  die  Andersgläubigen  zu  verschaffen, 
um  die  Uitbeile  der  geistlichen  Gerichte  zu  voUstrecken.  Er 
verheimlicht  nicht  seiue  Neigung  zu  dem  Ideal  einer  theokra- 
tischen  Regierung  (4.  Reichsl-agepredigt) ,  zu  einem  königlichen 
Priesterthum  und  zu  einem  priesterlicheD  Konigthum,  d.  b.  zu 
einer  Verfassung,  in  welcher  der  Priester  gemeinsam  nüt  dem 
König  und  durch  diesen  regieren  würde.  Aus  der  heiligen 
Schrift  und  aus  der  Natur  der  Dinge  gehe  die  Nothwendig- 
keit  der  Einherrschaft  oder  Monarchie  hervor.  Er  wäre  auch 
nicht  gegen  die  Autokratie,  wenn  der  Monarch  immer  sündloa 
und  weise  wäre,  da  dies  aber  selten  der  Fall,  so  setze  der  mensch- 
liche Verstand  dem  König  einen  Kath  und  Gesetze  an  die  Seite, 
wodurch  er  die  Macht  desselben  bestimme  und  begrenze,  damit 
er  nicht  ein  schUmmer  Tyrann  werde  (6.  Reicfastagspredigt).  Darin 
bestehe  eben  die  wahre  Selbständigkeit,  die  goldene  Freiheit, 
dass  man  Könige  habe,  welche  nicht  eigenmächtig  und  willkür- 
lich, nicht  wie  Tyrannen  regieren,  sondern  auf  Grund  des  Ge- 
setzes; solche  Freiheit  verleihe  Gott  den  Polen,  indem  er  ihnen 
im  Laufe  von  600  Jahren  gute,  gerechte  und  heilige  Könige  ge- 
geben habe.  Es  ist  klar,  dass  Skarga  bei  einer  so  monarchischen 
Stimmung  allen  Einrichtungen  feindlich  gegenüberstand,  die  für 
das  Palladium  der  Freiheit  in  Polen  galten.  Er  ist  nicht  begeistert 
für  das  Vorrecht  der  Szlachta,  die  Könige  zu  wählen.  Er  ist 
geradezu  empört  über  das  Grundgesetz  der  Republik:  Neminem 
captivabimnB  nisi  jure  victom.  Er  wappnet  sich  stark  gegen  die 
vielköpfige  Hydra  einer  Versammlung  von  landschaftlichen  Ab- 
geordneten, welche  ihre  Autorität  auf  Kosten  des  Königs  and  des 
Senate  gekräftigt  hat.  „Ihr  Herren  Landboten",  sagt  er,  „wandelt 
nicht  Polen  in  eine  deutsche  Reichsstadt  um,  macht  nicht  ans 
dem  Könige  eine  gemalte  Figur,  wie  in  Venedig,  da  ihr  nicht 
den  Verstand  der  Venetianer  habt,  auch  nicht  in  den  Mauern 
einer  und  derselben  Stadt  wohnt."  Der  Szlachta  stellt  er  in 
Bildern,  die  durch  ihre  dunkle  Färbung  etschrecken,  alle 
Uebel  anschaulich  vor  Augen,  an  denen  die  Republik  leidet 
(7.  Reichstagspredigt;  „Anforderung  zur  Busse"  —  „Wyzwanie 
do  pokuty",  Wilna  1610).    „Mein  Gott,   welcher  Luxus  ist   in 

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Peter  Sku^.  g3 

dieses  Reich  eiDgedraügeu.  Klein  und  Gross,  alle  haben  die 
beilige  Massigkeit  abgeworfen  und  das  altpolnische  kriegerische 
Leben  verschmäht.  Jeder  will  Wein  trinken,  selten  ist  ein 
F&n  ohne  Seide,  ohne  Secbsgespann  und  ohne  Livreen.  Ver- 
breo  hat  sich  auch  die  Theilnahme  für  die  Republik,  niemand 
kÜBimeit  sich  um  die  Erhaltung  der  Festungen  und  Mauern. 
Die  Republik  wird  arm,  reich  werden  nur  einzelne  Häuser. 
Das  Bestehlen  der  Staatskasse  ist  so  eingerissen,  dass  sich  die 
Bewahrer  solcher  Kassen  fast  ohne  Gewissensbisse  an  Staats- 
geldem  vei^eifen,  sodass  kaum  die  Hälfte  der  Abgaben,  welche 
von  den  Bürgern  und  Bauern  erhoben  werden,  zu  ihrer  Be- 
itimmung  gelangt.  Wer  könnte  alle  Verleumdungen,  Intriguen, 
Betrügereien  und  Verrätbereien  bei  den  Gerichten  aufzählen? 
^e  Blutschande,  Ehebrüche  und  Meineide?  Und  der  blutige 
Schweiss  der  Uuterthanen  oder  Bauern,  der  sich  unaufhörlich 
abesst,  ruft  er  nicht  die  Strafe  Gottes  über  den  ganzen  Staat 
herab?  .  .  .  Nach  welchem  Recht  werden  freie  Bauern,  arme 
Polen  und  Christen,  in  Leibeigene  umgewandelt,  als  wenn  sie 
gekaufte  Sklaven  oder  Kriegsgefangene  wären?  Nach  welchem 
Recht  machen  die  Gutsherren  mit  ihnen,  was  sie  wollen?  Warum 
haben  diese  Leute  weder  einen  Schutz  noch  ein  Gericht,  das 
ihnen  Leben,  Gesundheit  und  Eigenthum  schirmte?  Warum 
legen  wir  auf  sie  das  supremum  dominium,  das  wir  doch  fUr 
ans  selbst  nicht  dulden  mögen?  Warum  gehen  wir  mit  ihnen 
um  wie  mit  Sklaven,  und  nicht  wie  mit  Lohnarbeitern?  Auf 
deinem  Grund  und  Boden  sitzt  ein  Bauer  und  thut  nicht, 
was  er  soll;  jage  ihn  weg  von  deinem  Acker,  aber  nimm 
ihm  nicht  die  angeborene  und  christliche  Freiheit  und  mache 
did)  nicht  zum  Oberherm  seiner  Gesundheit  und  seines  Lebens, 
ohne  jegliches  Gericht."  .  .  .  Skarga  wusste,  dass  seine  politi- 
scheu  Ratbschläge  gegen  den  Geist  der  Zeit  waren  und  nicht 
angenommen  würden,  sein  Herz  füllt  sich  mit  Gram,  den 
lippen  entströmen  Worte  voller  Zorn  und  niederschmetternd 
wie  Donner,  mit  dem  Seherblick  eines  alten  Propheten  ver- 
kündet er  seinem  Vaterlande  den  Untergang!  „Was  soll  ich 
Bit  dir  anfangen,  armes  Reich?  Wenn  ich  Jes&ias  wäre,  so 
würde  ich  nackt  und  barfuss  gehen  und  zu  euch  schreien, 
ihr  Uebertreter  und  Uebertreterinuen  des  Gesetzes  Gottes.  Die  ' 
Wände  eurer  Republik  krachen  in  einem  fort  und  ihr  sagt: 
da*  ist  weiter  nichts,    Possen.     Polen  besteht  durch   An- 

6» 


g4  Viertes  KapiteL    Die  Polen. 

archie  (nierz^dem).  Ihr  begreift  nicbt,  dass  Polen  duTch 
Anarchie  nicht  besteben  kann,  dasB  dies  wider  die  Vernunft 
ist.  Durch  Anarchie  und  Sorglosigkeit  stürzt  alles  and  fallt, 
und  da  die  Anarchie  aus  der  Blindheit  der  Sünde  entspringt, 
so  würde  daraus  folgen,  dass  Polen  durch  Sünden  besteht 
und  sich  gewiBBermasBen  der  Zucht  Gottes  entzieht.  Es  wird 
fallen,  wann  ihr  es  nicht  vermutben  werdet,  und  euch  alle 
mit  seinen  Ruinen  zerschmettern.  Wenn  ich  Jeremias  wäre, 
80  würde  ich  mir  Fesseln  an  die  Füsse  und  Stricke  um  den 
Hals  legen  und  zu  euch  Sündern  schreien:  so  wird  man  eure 
Aeltesten  fcBseln;  und  wiirde  ein  verfaultes  Kleid  zeigen, 
würde  eB  schütteln  und  sagen ,  so  wird  verderben  und  in 
nichts  zerfallen  euer  Ruhm  und  all  euer  Hab  und  Gut" 
(8.  Reicbstagspredigt;  Aufruf  zur  Busse).  „Ein  äusserer  Feind 
wird  über  euch  kommen ,  eure  Zwiste  benutzen  und  wird 
sagen-,  ihr  Herz  hat  sich  gcBpalten,  jetzt  werden  sie  unter- 
geben. Diese  ZwiBte  werden  euch  in  GefaugeuBcbaft  bringen, 
in  welcher  alle  eure  Freiheiten  Tersinkeu  und  zu  Schanden 
werden.  Grosse  Länder  und  Fürstenthümer,  die  sich  ver- 
einigt haben  und  mit  der  Krone  zn  einem  Körper  verwachsen 
sind,  werden  abfallen  und  zerrissen  werden;  ihr,  die  ihr  einst- 
mals andere  Völker  regiertet,  werdet,  wie  eine  verlassene  Witwe, 
zum  Spott  und  Spielzeug  eurer  Feinde  werden.  Ihr  richtet 
euer  Volk  und  eure  Sprache  zn  Grunde,  die  einzige  freie  unter 
allen  slavischen;  ihr  vernichtet,  was  von  diesem  so  alten  und 
so  weit  verbreiteten  Volke  übrig  ist,  und  werdet  von  andern 
Völkern  verschlungen  werden,  die  euch  hassen.  Ihr  beraubt  euch 
nicht  nur  eines  HeiTscbers  aus  eurem  Blute,  und  des  Rechts,  ihn 
zu  miblen,  sondern  auch  des  Königreichs  und  des  Vaterlandes; 
ihr  werdet  als  Bettler  im  Exil  herumirren,  als  verachtete  Vaga- 
bunden, die  man  dort  mit  Füssen  tritt,  wo  man  sie  früher 
pries  und  feierte.  Werdet  ihr  im  Stande  sein,  euch  ein  anderes 
Vaterland  zu  erwerben,  wo  ihr  solche  Güter,  solches  Geld, 
solche  Schätze  und  Freuden  haben  könntet?  Ist  es  möglich, 
dass  euch  und  euren  Kindern  eine  zweite  solche  Hntter  geboren 
werde?  Wenn  ihr  die  jetzige  verliert,  so  werdet  ihr  euch  eine 
zweite  Bolche  nicht  einmal  vorstellen  können"  (3.  Reichstags- 
predigt). 

Mit  Skarga  schliesst  das  goldene  Zeitalter  der  polnischen  Li- 
teratur in  würdiger  Weise  ab;  er  brachte  die   polniBohe  Prosa 

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DtB  goldene  Zeitalter.  g5 

auf  eine  hohe  Stnfe  der  Vollendung,  aber  nach  der  richtigen  Be- 
mei^ang  MaciejowBki'8  (Fiämien.  II,  359)  hat  keiner  von  den  pol- 
tÜEchen  Schriftetellem  so  viel  wie  er  dazu  beigetragen,  die  pol- 
itische Sprache  nach  lateinischem  Typus  zu  formen,  keiner  hat 
in  die  Syntax  so  viele  rein  lateinische  Wendungen  eingeführt 
wie  Skarga.  An  ihn,  als  Prediger,  schliessen  sich  an  Ghrjsto- 
phoros  Warszewicki  (1524 — 1603)  und  Joseph  WereszczyÄski, 
Abt  von  Sieciechöw,  Bischof  von  Kiew  (gestorben  1599;  seine 
Predigten  sind  gesammelt  und  1854  in  Petersburg  von  Gotowiäski 
herausgegeben;  alle  übrigen  Werke  in  Turowski's  Bibliothek). 

Ehe  wir  vom  goldenen  Zeitalter  scheiden,  wollen  wir  noch 
einen  flüchtigen  Blick  auf  die  polnische  Geschichtsschreibung 
jener  Zeit  werfen.  Die  polnischen  Historiker  kann  man  in  zwei 
Kategorien  theilen:  in  solche,  welche  lateinisch  und  solche,  welche 
polnisch  ecbriebon.  Erstere  zerfallen  wieder  in  Compilatoren, 
welche  die  Werke  ihrer  Vorgänger  excerpirten  und  ein  pragma- 
tisches System  der  Nationalgeschichte  aufzustellen  suchten,  und 
in  Augenzeugen,  welche  aus  erster  Hand  über  die  Ereignisse 
berichten,  an  denen  sie  selbst  theilgenommen ,  oder  welche  sich 
wenigstens  während  ihres  Lebens,  vor  ihren  Augen  vollzogen 
haben.  Zu  der  erstem  Klasse  der  lateinisch  schreibenden  gehören: 
der  Astrolog  Miechowita  (gestorben  lö2'd),  der  polonisirte 
Deutsche  Secius  aus  dem  Elsass  (gestorben  nach  1576),  der  ge- 
lehrte Astronom  und  Priester  Bernhard  Wapowski  (geh.  1535), 
der  Bischof  von  Ermeland  Martin  Kromer  (1512 — 89).  Unter 
den  Schriftetellem  der  zweiten  Klasse  sind  besonders  bemerkens- 
verth  zwei  Personen:  Swi^toslaw  Orzelski  und  Reiohold  Heiden- 
etein.  Orzelski  (geb.  1549,  ge^t.  1588)  verfasste  mit  bedeu- 
tendem  Talent  eine  Geschichte  der  vier  Jahre  1572 — 76,  vom 
Tode  Sigismund  Augnet's  bis  zur  Wahl  Batory's,  während  wel- 
cher sich  Polen  definitiv  in  ein  Wahlreich  umwandelte:  „Inter- 
«gni  Poloniae  libri  VHI."  Heidenstein  (1.t66  — 1620)  war 
Secretär  bei  Johann  Zamojski  und  bei  Stephan  Batory  und  ward 
•  sine  Art  von  officiellem  Historiograpben,  weil  Zamojski,  der 
wiae  ongewöhnlicheii  Fähigkeiten  bemerkte,  ihm  den  Auftrag  er- 
theilte,  die  Ereignisse  des  Krieges,  welchen  Batory  mit  Moskau 
geführt,  und  andere  darauffolgende  Ereignisse  zu  beschreiben, 
und  ihm  wahrscheinlich  selbst  vieles  dictirte  und  vieles  hinzu- 
fügte. Die  Reihe  der  Historiker,  welche  polnisch  schrieben, 
beginnt  mit  dem  adeligen  Geschlecht  der  Bielski  oder  Wolski. 

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gg  Viert«s  Kapitel.    Die  Polen. 

Von  denselben  machte  der  Vater,  Martin  (1495  — 1575),  den 
ereten  Versuch  einer  allgemeinen  Geschichte  von  der  Er- 
schaffnng  der  Welt  an  unter  dem  Titel  „  Kronika  äwiata " 
(„Weltchronik").  Sein  Sohn  Joachim  (gest.  1599),  entnahm 
der  Chronik  des  Vaters  den  Theil,  welcher  sich  auf  Polen  bezog, 
arbeitete  denselben  um  und  gab  ihn  unter  dem  Titel  „Kronika 
polska"  („Polnische  Chronik")  heraus.  Lukas  Görnicki  (in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts)  schrieb  „Dzieje  w  Koronie 
Polskiej"  („Ereignisse  in  der  Krone  Polens"),  eine  Art  Memoiren 
über  den  königlichen  Hof  unter  Sigismund  August,  aber  er  ist 
weit  bekannter  durch  sein  didaktisches  Werk  „Dworzanin  polski". 
(„Der  polnische  Edelmann"),  eine  Nachahmung  des  italienischen 
Buches  von  Balthasar  Castiglione  „H  libro  del  Gortegiano". 
Görnicki  gibt  seinem  Werke  folgenden  Rahmen.  Er  fingirt,  daas 
sich  auf  dem  Landsitz  des  Bischofs  von  Krakau  und  Kanzlers 
Samuel  Maciejowski,  bei  Erakau,  die  Hofleute  des  Bischofs  ver- 
sammelt haben  und  sich  zum  Zeitvertreib  mit  der  Frage  beschäf- 
tigen, mit  welchen  Eigenschaften  ein  idealer  Hofmann  aasgestattet 
sein  müsse,  d.  i.  ein  solcher,  wie  er  eigentlich  sein  sollte.  Jeder 
spricht  der  Keibe  nach,  andere  entgegen;  das  ganze  Werk  be- 
steht aus  solchen  Dialogen.  Bartosz  (Bartbolomaeus)  Paprocki 
vom  Wappen  Jastrzfbiec  in  Masovien  (gestorben  1614)  brach 
eine  neue  Bahn  in  der  Literatur  mit  seinen  heraldischen  Unter- 
suchungen über  einzelne  berühmtere  Gescldeohter  der  polnischen 
Szlachta:  „Herby  rycerstwa  polskiego"  („Wappen  der  polnischen 
Ritterschaft",  Krakau  1584)-  Eine  ganz  gesonderte  Stellung 
nimmt  der  sehr  originelle  Schriftsteller  Matthäus  Stryjkowski 
(Maciej  Osostowiciusz  Prekonides  S.,  geboren  1547,  gestorben 
in  den  achtziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts)  ein.  Obgleich 
von  Geburt  Mazure,  fasste  er  doch  nach  seiner  Uebersiede- 
lung  nach  Litauen  eine  solche  Leidenschaft  zu  seinem  neuen 
Vaterlande,  dass  er  darüber  zu  trauern  begann,  dass  Litauen 
t^eine  selbständige  politische  Existenz  verloren  habe,  dass  es  auf 
der  Oberfläche  mit  einer  Schicht  polnischer  Civilisation  bedeckt 
sei,  und  beschloss,  die  TJeberreste  der  von  Tag  z«  Tag  mehr 
verfallenden  litauischen  Älterthümer  in  der  Literatur  zu  ver- 
ewigen. Die  Aufgabe  war  schön,  aber  den  Kräften  Stryjkowski's 
nicht  angemessen;  er  besass  dazu  weder  Kritik  genug,  noch 
genug  wissenschaftliche  Vorbereitung;  dafür  hatte  er  aber  zwei 
Eigenschaften,  welche  seinem  Werke  einen  nngewöbnlicheu  Werth 


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Die  jeBoitiHche  Periode.  87 

terleibea:  Wissbegierde  und  Ausdauer.  Er  lernte  die  rasaigche 
ind  litauische  Sprache,  bereiste  ganz  Litauen  und  Livland,  be- 
»h  die  Schlachtfelder,  die  Arsenale,  veranstaltete  Ausgrabungen 
io  Grabhügeln,  Schanzwällen  und  Ruinen,  besichtigte  eine  Menge 
ton  Schlössern  und  Kirchen,  war  mit  einem  Wort  der  erste 
Alterthnmsforscher  Litauens.  Alle  diese  mannichiachen,  in  solcher 
Weise  gewonnenen  Nachrichten  legte  er  ohne  jedes  System  in 
Versen  und  Prosa  in  einem  Werke  dar,  in  welchem  er  die  Er- 
eignisse der  litauischen  Geschichte  mit  Vorgängen  aus  seinem  eige- 
nen Leben  vermengte  und  alles  mit  einer  gehörigen  Dosis  Selbst- 
lob nberschüttete.  Dem  Werke  gab  er  den  prahlerischen  Titel 
„einer  bisher  noch  nicht  dagewesenen  polnischen,  Utauischeii,  rus- 
sischen u.  s.  w.  Chronik":  „Kronika  polska,  litewska,  ^mudzka  i 
vuystkiej  Rusi  kijowskiej,  moskiewskiej,  siewierskiej,  wolynskiej, 
podolski^j,  podgorskiej  i  podlaskiej,  ktöra  przedtem  nigdy  Swiata 
niewidzifda"  (Krölewiec  —  Königsberg  1582.) 


8.  Di«  jesttitiBoli-iiiacearonisclie  Periode  (1606—1764). 

In  der  gesammten  europäischen  Geschichte  bilden  das  17- 
und  die  erste  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  eine  Uebergangsepocho 
Dod  darum  eine  sehr  färb-  und  charakterlose  Zeit.^  Nach  der 
Senaissanoe,  die  zeitweihg  in  der  Kunst  zwei  Cnlturen  vereinte 
und  aus  der  mittelalterlichen  deren  religiöse  Meinungen  nur 
ab  ästhetische  Motive  entlehnte,  war  die  Reformation  vorüber- 
gegangen, —  eine  kräftige  Belebung  des  religiösen  Gefühls, 
das  zugleich  das  Gepräge  einer  leidenschaftlichen  Intoleranz  trug, 
ü^rall  hatte  die  Reformation  als  Ferment  gewirkt-,  wenn  sie 
aaeb  die  frei«,  ruhige  geistige  Entwickelung  der  Gesellschaft  auf- 
hielt, so  war  sie  es  doch  auch  wieder,  welche  die  auf  der  Tages- 
ordnung stehenden  politischen  und  socialen  Metamorphosen  be- 
Bchlennigte,   so  in  England  den  definitiven  Sieg  des  aristokrati- 


'  Ant.  W&leweki,  „Historya  wjzwolonej  £-ptej  za  panowania  Jana 
Euimieraa"  (2 Bde.,  Krakau  18iO— 72);  „Diiicje  bezkrölewia  po  skonie  Jana 
HI"  (Krsfcau  1874),  —  K.  Jarochowski,  „Itziejc  panowacia  AuffiiGta  II 
od  imierci  Jana  III"  (Posen  1ST4);  Dzieje  paiiowania  Auguata  II  do  WHtfiiieua 
KvoU  XU  DB  ziemie  pohk^"  (Pobcd  1874). 


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gg  VierteB  E&pitel.    Die  Poleo. 

Bchen  FarlamentaTisintis ,  auf  dem  weBteuropäischen  Gontinent 
den  Sieg  der  königlichen  Gewalt,  in  Polen  den  des  adeligen 
Volksrecbts.  In  Europa  bilden  sich  die  absoluten  Monarchien  aus, 
die  persönliche  Selbständigkeit  wird  in  die  engsten  Grenzen  ein- 
geschlossen, die  Freiheit  verkürzt,  den  Gewinn  trägt  die  Gleich- 
heit davon;  die  Politik  wird  ausschliesslich  zu  einer  Sache  der 
Regierung,  des  Cabinets;  gEinz  ebenso  specialisirt  sich  auch  die 
Wissenschaft,  indem  sie  in  der  Einsamkeit  und  fem  von  den 
politischen  Dingen  die  Fortschritte  des  Wissens  vorbereitet, 
welche  den  Charakter  der  neueren  Zeiten  bilden.  Vermittels 
dieser  strengen  Dressur  des  Individuums  wurden  die  demokrati- 
schen Lebensbedingungen  der  damaligen  Gesellschaft  aufgebaut. 
Polen,  welches  nach  manchen  Seiten  sowol  in  den  Institutionen 
als  auch  in  der  Bildung  die  westeuropäischen  Staaten  überholt 
hatte,  bewegte  sich  in  diametral  entgegengesetzter  Rtcbtung, 
dem  Stillstand,  der  Verknöcherung ,  dem  Verfall  entgegen.  Die 
grösste  Freiheit  für  jedes  Glied  des  Szlacbta -Volkes  war  er- 
reicht, das  Ideal  verwirklicht,  es  erübrigte  nur  noch,  das 
Erworbene  festzuhalten.  Das  politische  Leben  verschlingt  alle 
Fähigkeiten  und  Kräfte,  aber  es  fehlt  ihm  an  Aufgaben ;  ausser- 
halb desselben  interessiren  Wissenschaft  und  Kunst  wenig; 
man  sieht  sie  als  blossen  Zeitvertreib  an.  Der  conservative 
Zug  in  den  Verhältnissen  führt  zu  demselben  Zug  auch  in 
den  Ideen,  zu  einer  Bückkebr  zum  Kirchlichen,  zu  einer  Re- 
ligion, welche  auf  Autorität  beruht,  ein  Anhängsel  des  Szlachta- 
Regiments  bildet,  das  Rituelle  für  die  Hauptsache  hält  und 
keinen  freien  Gedanken  duldet. 

Es  gab  keine  grossen  Männer  mehr,  die  Charaktere  verflach- 
ten ,  das  Vaterland  des  Copernicus  kann  sich  keines  einzigen 
Gelehrten  rühmen,  der  Puls  schlägt  immer  langsamer  und  lang- 
samer, 6s  gibt  ganze  Regierungszeiten  (z.  B.  die  August's  lU.), 
die  von  Tag  zu  Tag  lebten  ohne  Historiker,  die  das  Geschehene 
bedacht  und  klargelegt  hätten.  Infolge  einer  solchen  Stagnation 
stand  Polen  auch  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhundorts  als 
ein  kolossaler  Anachronismus  im  damaligen  Europa  da,  zwischen 
den  grossen  westeuropäischen  centralisirten  Organismen  und  dem 
heranwachsenden  Hussland.  Seine  Institutionen  waren  dem  uion- 
arcbischen  Regierungssystem  direct  entgegengesetzt.  Eine  fast 
chinesische  Verknöcherung  in  den  Begrifl'en  der  an  diese  Insti- 
tutionen gebundenen    Gesellschaft  stiess   revolutionäre    Denker 

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Die  jesnitisobe  Periode.  g9 

Ton  sich.  Der  Geiet  der  Neuerung  drang  in  diese  OeselUcbaft, 
ftber  zo  spät,  ala  sie  Bchoa  am  Rande  des  Verderbens  stand. 
Wir  haben  die  Stufen  zu  verfolgen,  auf  welchen  sie  dieeem  ver- 
bängnissTolIeD  Verderben  zuschritt,  und  dann  die  Merkmale  eines 
Sb^bess  zum  Bessern  zu  verzeichnen,  welche  in  der  folgenden 
Periode  grosse  Bedeutung  erlangen. 

Schlimm  sind  die  Resultate  der  Regierung  König  Sigismund's  UI. 
Wsaa.  Er  ahmte  Philipp  II.  nach,  war  von  der  Idee  der  Ilerr- 
Echad  nach  göttlichem  Recht  durchdrungen;  ans  politischen 
Motiven  verband  er  sich  mit  Oesterreich,  gewährte  diesem  die 
Hülfe  der  polnischen  Lisowczyken  oder  Elearen  (1619)  zur  Unter- 
drückung der  Cechen  und  Magyaren  (im  Dreisaigjährigen  Kriege). 
Seme  Politik  gegenüber  Russland  zog  eine  blutige  Furche  zwi> 
Beben  den  zwei  slavischen  Völkern.  Die  unter  seiner  Theilnahme 
aDgestiftete  Union  von  Brest  (1595)  blieb  unfertig,  ohne  Rechts- 
gleichheit mit  dem  Katholicismus,  ohne  ausreichende  Unterstützung 
nnd  Rückhalt  in  den  Laien  gewöhnlichen  Standes  und  im  Adel, 
der  es  vorzog,  direct  zum  Katbolicismus  überzugeben.  Seine  Be* 
liehnngen  zu  Schweden  verwickelten  Polen  in  einen  Krieg  mit 
Gustav  Adolf,  wobei  Riga  und  Livland  verloren  gingen  (1621). 
Trotzdem  sich  der  König  aus  religiösen  Motiven  mit  dem  Ge> 
danken  eines  Türkenkrieges  trug,  machte  doch  unter  seiner 
Segierung  die  Lelbeigenmachung  des  ukrainischen  Volkes  und 
die  Cuterdrükung  der  Kosaken  trotz  ihrer  Züge  gegen  die  Türkei 
und  die  Tatsren  rasche  Fortschritte.  Seine  absolutistischen  Be- 
strebungen machten  seine  Regierung  unpopulär,  und  diese  Un- 
popularität  und  der  Argwohn  der  Szlaohta  wurden  zu  einem  Stein 
des  Anstoeses ,  an  welchem  die  weiten ,  aber  äusserst  phantasti- 
schen Pläne  seines  Sohues  Wladyslaw  IV.  (1632 — 41)  scheiterten. 
Der  neue  König  schloss  lGii4  mit  Moskau  und  1635  mit  Schwe- 
den Frieden ,  und  plante  unter  der  Mitwirkung  des  Italieners 
Tiepolo  im  Bunde  mit  Venedig  einen  Krieg  gegen  die  Türken. 
Ad  diesem  Unternehmen  sollte  das  von  Wladyslaw  nach  Gebühr 
gewürdigte  Kosakenthum  Antheil  nehmen.  Zwischen  dem  König 
und  den  Kosaken  kamen  geheime  Abmachungen  zu  Stande,  auf 
Kosten  des  Königs  wurden  Truppen  geworben.  Die  Opposition 
auf  dem  Reichstag  1646  machte  das  Begonnene  zu  nichte,  der 
König  musste  die  Truppen  entlassen  und  die  Ausländer  ent- 
fernen. Ein  Türkeukrieg  war  das  einzige  Mittel,  der  schon 
lange   reifenden  Volksbewegung   in    der    Ukraine    zu   begegnen; 

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90  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

jetzt  brach  diese  Bewegung  aus  unter  Führung  tod  Bohdan 
Chmelnicliij  fast  gleichzeitig  mit  dem  Tode  des  Königs  (1648). 
Sie  spielte  sich  unter  seinem  Nachfolger,  dem  letzten  der  Wasa, 
Johann  Kazimir,  mit  erschreckender  Schnelligkeit  ab  und  legte 
mit  Toller  Augenscbeinlichkeit  die  Ungeheuerlichkeit  des  so- 
cialen und  die  Haltlosigkeit  des  politischen  Organismus  an 
den  Tag. 

Die  Bewegung  war  der  Hauptsache  nach  eine  sociale,  Natio- 
nalität und  Religion  kamen  nur  als  secundäre  Motive  mit  in 
Betracht;  sie  brachte  nicht  nur  das  ganze  niedere  Volk  der 
Ukraine  auf  die  Beine,  sondern  hallte  auch  in  den  Karpatiachen 
Bergen  und  in  Grosspolen  in  Gestalt  von  Bauernaufständen  wieder; 
selbst  Chmelnickij  vermochte  nicht  mit  ihr  fertig  zu  werden,  und 
unterwarf  nach  einem  Schwanken  zwischen  Polen,  der  Türkei  und 
dem  moskauischen  Reich  schliesslich  dem  letztem  die  Ukraine. 
Durch  seine  leichten  Siege  öffnete  er  fast  gleichzeitig  (1655)  den 
Truppen  des  Kaisers  Aleks^j  Michajlovi6  und  dee  kühnen  Aben- 
teurers Karl  Gustav  von  Schweden  den  Weg  in  das  Herz  Po- 
lens; letzterer  kam  als  ungebetener  Beschützer  der  Dissidenten, 
indem  er  sich  als  Vertheidiger  gegen  Moskau  und  die  Kosaken 
aufdrang.  Der  König  musete  nach  Schlesien  fliehen,  die  Schweden 
hielten  Krakau  und  Warschau,  die  moskanischen  Truppen  Wilna 
and  Minsk  besetzt,  Chmelnickij  belagerte  Lemberg.  Ebenso  schnell 
wie  der  Verfall  vollzog  sich  auch  die  Restauration  mit  Hülfe  von 
Parteigängern  und  der  Conföderation  von  Tyszowce,  die  zum 
Schutjfe  des  Glaubens  und  des  Vaterlandes  gebildet  wurde.  Die 
ganze  Bewegung  der  Szlachta,  welche  den  König  wieder  einsetzte, 
war  durch  einen  religiösen  Charakter  und  patriotischen  Hass  gegen 
den  Ausländer  roarkirt.  In  der  schweren  Stunde  der  Prüfungen 
ward  die  Nothwendigkeit  erkannt,  die  Regierungsform  zu  ändern, 
es  wurden  Verheissungen  gemacht,  das  schwere  Los  des  Banem- 
standes  zu  verbessern.  Diese  edlen  Absichten  wurden  aber  ver- 
gessen, als  sich  die  Verhältnisse  wieder  änderten;  ihnen  war  es 
ebenso  wenig  beschieden,  ins  Leben  zu  treten,  vrie  dem  Vertrag 
von  Hadja£  mit  den  Kosaken  unter  Vjhovskij  (1658),  nach  wel- 
chem man  gedachte,  die  griechisch-orthodoxe  Kirche  mit  dem 
Katholicismus  in  gleiche  Rechte  zu  setzen,  indem  man  ihm  die 
Union  opferte,  in  den  Senat  griechisch-orthodoxe  Bischöfe  einzu- 
führen, zuletzt  die  Kosaken  und  Russland  (RuS)  zum  dritten  Gliede 
im  polnisch-litauischen  Staate  zu  machen.   Es  wurden  wieder  fiied- 


Die  JMDitisohe  Periode.  91 

liebe  Beziehungen  zu  den  Kachbarn  bergeBtellt  (der  Vertrag  von 
OUwa  1660,  von  Andrusow  1667,  noch  früher  von  Wehlau  1657, 
durch  welchen  der  Kurfürst  von  Brandenburg  von  der  Vasallen- 
whaft  befreit  nnd  zum  vollen  Herrn  Oetpreussene  wurde);  allein 
die  innere  Verwirrung  erneuerte  sich  aus  Anlass  der  von  dem 
Uoderlosen  König  und  seiner  Gemahlin,  der  Französin  Maria 
Louise  ins  Auge  gefaseten  Pläne  einer  Reform  nach  französiechem 
Master,  wozu  als  erster  Schritt  die  Sicherung  der  Wahl  des  be- 
rühmten Prinzen  Cond6  zum  König  dienen  sollte.  Dem  Gericht 
ond  der  Verurtheilnng  auf  dem  Reichstage  hatte  sich  das  Haupt 
der  Opposition,  welches  diese  PUine  zerstörte,  Fürst  Lubomirski 
ZQ  unterwerfen;  für  ihn  trat  die  Szlachta  ein;  um  der  privaten 
Beleidigung  eines  Magnaten  willen  begann  ein  hartnäckiger 
Bürgerkrieg,  der  mit  einer  Niederlage  der  königlichen  Gewalt 
endete.  Der  König  dankte  ab.  Bei  der  Neuwahl  zerstörte  die 
Silacbta  alle  Intriguen  der  Royalisten  aowol  französischer  als 
österreichischer  Färbung,  indem  sie  einen  bis  dabin  von  nie- 
mand gekannten  Candidaten,  einen  Piasten,  Bein  von  ihrem  Sein, 
Michael  WiSniowiecki ,  den  Sohn  des  enragirtesten  Feindes  der 
Kosaken,  Jeremiae,  zum  König  wählte;  in  seine  pacta  conventa 
mirde  die  Clausel  aufgenommen,  dass  er  dem  Thron  nicht 
entsagen  dürfe. 

Der  Neuerwäblte  erwies  sich  als  eine  vollständige  Null. 
Während  seiner  Regierung  erfuhr  Polen  bei  der  das  Reich 
zerrüttenden  Confoderstion  von  Gol^b  för  den  König  gegen 
die  Magnaten  und  der  Heeresconfoderation  für  die  Hetmane 
gegen  die  Szlachta  im  Jahre  1672  den  grössten  Schimpf  in  sei- 
ner Geschichte:  den  Verlust  von  Kamieniec  (37  Jahre  lang  bis 
lam  Vertrag  von  Karl owitz,  1690),  die  Abtretung  desselben  nebst 
der  Ukraine  und  Podolien  an  die  Türken  nach  dem  Frieden  von 
Baczacz,  die  Trihutpflichtigkeit  des  polnischen  Königs  an  den 
Padischab.  Dieser  Schimpf  wurde  von  dem  darauffolgenden 
Piasten,  Johann  III.  Sobieaki  (1674 — 96)  abgewaschen.  Die 
ionern  Verhaltnisse  in  Polen  besserte  Sobieski  nicht;  seine  Siege 
waren  in  dieser  Beziehung  unfruchtbar;  sogar  seine  äussere  Politik 
ist  nicht  frei  Ton  eigennützigen  dynastischen  Combinationen  und 
Schwankungen  zwischen  Oesterreich,  mit  dem  er  seine  dynasti- 
schen Interessen  verband,  und  Frankreich,  zu  dem  er  sich  durch 
Beine  Erziehung  hingezogen  fühlte;  selbst  der  Feldzng  nach  Wien 
1633  war  zwar  eine  christliche  Tbat,  aber  zugleich  ein  Schlag, 

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92  Viertes  Kapitel.    Die  Poleo. 

welcher  der  Politik  Ludwig's  XIV.,  der  auf  der  Seite  des  Siil- 
taDB  stand,  an  der  Donau  versetzt  wurde.  Nichtsdestoweniger  ist 
die  ganze  Reibe  der  Kriege  mit  der  Türkei  und  der  Feldzüge 
im  Laufe  von  anderthalb  Jahrzehnten  nicht  Mobs  das  persön- 
liche Werk  des  Königs,  sondern  auch  des  gaozen  Volkes,  das  mit 
Begeisterung  und  Selbstbewusstsein  seinen  Beruf  eriiillte,  für  das 
Ghristenthum  einzutreten  und  die  Schutzwehr  desselben  (antemu- 
rale christianitatis)  zu  sein.  Die  Motive  dieser  Begeisterung  waren 
vorwiegend  religiös,  in  ihr  kam  die  positive  Seite  jener  Wieder- 
belebung des  römischen  Katholicismus  zur  Erscheinung,  durch 
den  in  Polen  das  17.  Jahrhundert  bezeichnet  ist;  ihr  verdankt  es 
auch  die  letzten  Seiten  seiner  Geschichte,  welche  eine  welthisto- 
rische  Bedeutung  hatten,  denßuhm,  der  schrecklichen  Macht  der 
Türken  die  entscheidenden  Schläge  versetzt  zu  haben,  mit  welchen 
auch  der  Verfall  der  Türkei  beginnt.  Dieser  Ruhm  verdeckte 
jedoch  andere  beklagenswerthe  Erscheinungen  nicht:  nach  dem 
Urtheilsspruch  des  Reichstags  von  1689  fand  in  Warschau  ein 
Auto-da-fe  statt:  der  Szlachcic  JCijszczyliski  wurde  wegen  Atheis- 
mus verbrannt.  Der  lorbergekrönte  König  verlor  alles  Ver- 
trauen beim  Volk,  unterwarf  sich  seiner  eigennützigen  Frau 
Maria-Kazimira,  das  Ende  seiner  Regierungszeit  ist  erfüllt  mit 
Sestechungskünsten,  dem  Streben  Geld  aufzuhäufen,  um  den  Kin- 
dern den  Thron  zu  sichern,  und  mit  Familienzwisten.  EineCandi- 
datur  der  Sobieski  wurde  unmöglich,  aber  zugleich  damit  gelangte 
die  Krone  in  vollem  Sinne  des  Wortes  zur  Veraoctionirung;  der- 
jenige von  den  ausläDdischen  Bewerbern  musste  sie  erhalten, 
welcher  mehr  Parteigänger  werben  und  den  andern  in  der  Besitz- 
ergreifung des  Thrones  zuvorkommen  konnte.  Als  ein  solcher  ge- 
wandter Käufer  erwies  sich  der  Nachahmer  Ludwig's  XIV,,  der 
sächsische  Kurfürst  August  IL,  welcher  den  Katholicismus  an- 
nahm und  die  pacta  conventa  unterschrieb  in  der  Absicht,  sie 
durchaus  nicht  zu  halten.  Kein  einziger  von  den  Königen  be- 
wies soviel  Verachtung  gegen  die  Constitution  eilen  Formen, 
kein  einziger  strebte  so  offen  nach  der  Selbstherrschaft,  in- 
dem er  sich  auf  seine  sächsischen  Truppen  stützte,  welche  er 
gegen  die  Constitution  in  den  Grenzen  der  Republik  hielt.  Er 
BCbloss  Verträge  ohne  Vorwissen  der  Bepublik  ab,  verwickelte 
sie  in  den  Nordischen  Krieg,  verhandelte  über  ihre  Theilung 
mit  Bussland  und  Preusseu.  Der  Hauptschauplatz  des  Nordi- 
schen Krieges,  Polen,    ward  von  einem  Ende  zum  andern  durch 

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Die  jesnitUche  Periode.  93 

fremde  Truppen  verwüstet.  Nach  der  Niederlage  Karl's  XII. 
bildete  die  Szlachta  1715  die  Confoderation  von  Tarnogröd,  um 
den  König  zu  zwingen,  die  Bächsischen  Truppen  aus  Polen  zu 
liehen.  Sie  wendete  sich  zur  Erhaltung  der  Freiheiten  der 
Szlachta  an  die  Vermittelung  Peters  des  Grossen.  Unter  dieser 
Vennittelung  kam  der  Warschauer  Vertrag  zu  Stande  (1717), 
womach  sich  nicht  nur  der  König  Terpfiichtete,  die  Sachsen  ans 
dem  Lande  zu  ziehen,  sondern  auch  die  Zahl  der  regulären  Trap- 
pen der  Repahlik  auf  24000  heachränkt  wurde.  Von  diesem  Mo- 
ment an  hört  Polen  factisch  auf,  ein  selbständiger  Staat  zu  sein. 
—  Die  nächste  Wahl  und  alle  folgenden  kamen  unter  actirer 
Betheilignng  einer  ausländischen  bewaffneten  Macht  zu  Stande. 
Der  neue  König  August  III.,  der  für  die  Beseitigung  des  franzö- 
sischen Candidaten  Stanislaus  Leszczyäski  russischen  Bajonetten 
rerpflichtet  war,  befolgte  den  Grundsatz  voller  Nachgiebigkeit 
gegen  Rnssland,  womit  er  freilich  Polen  den  Frieden  gab,  aber 
um  den  Preis  der  Würde  und  der  Selbständigkeit  des  Volkes. 
Was  man  nicht  bei  dem  allmächtigen  königlichen  Minister  Brüht 
erkaafen  konnte,  das  konnte  man  durch  Protection  über  Peters- 
bnrg  erwirken.  Dahin  begannen  sich  auch  die  ehi^eizigsten  und 
unternehmendsten  der  Stellen-  und  Äemterjäger  zu  begeben. 
Der  pathologische  Process  der  Zersetzung  des  Staates,  (in  den 
Spitzen  der  Gesellschaft  begonnen,  ging  rasch  vorwärts. 

Wir  haben  darzulegen  gesucht,  warum  die  Stagnation  im  Leben 
der  polnischen  Gesellschaft  eine  vollständige  war  und  sich  gleich- 
massig  BOwol  auf  das  Gebiet  des  politischen  und  socialen  Lebens 
als  auch  anf  das  der  geistigen  Entwickelung  ausbreitete.  Auf 
dieser  ganzen  Periode  liegt  wie  ein  schwerer  Stein  der  Druck  der 
jesuitischen  Erziehung.  Um  die  Erfolge  der  Jesuiten  auf  diesem 
Gebiet  zu  erklären,  müssen  wir  zurückgehen,  zur  Epoche  der  Re- 
formation, und  auf  die  Umstände  hinweisen,  welche  diese  Erfolge 
erleichterten.  Die  Akademie  zu  Krakau  mit  ihren  zahlreichen 
FiUalschulen  befand  sich  im  Zustande  der  Erstarrung,  des  Still- 
standes, des  Verfalles;  aus  Furcht  vor  Neuerungen  brach  sie  alle 
Beziehungen  mit  ausländischen  Gelehrten  ab;  ihre  materiellen 
Mittel  verringerten  sich,  weil  viele  einträgliche  Stellen  in  die 
Hände  von  Protestanten  übergingen.  Es  entstand  eine  Menge 
protestantischer  Schulen,  niedere  und  mittlere,  in  welchen  meist 
ans  dem  Auslande  berufene  Gelehrte  im  neuen  Geiste,  nach  neuen 
Methoden  lehrten,  aber  in  denen  der  Unterricht  den  Zielen  und 

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94  Viertes  Kapitel.    Difi  Polen. 

Zwecken  einst  einseitigen,  BektireriEchen  Propaganda  unterworfen 
war.  Die  lutheriscben  Schulen  kamen  hauptsächlich  im  Norden 
zur  Blüte,  in  den  preussischen,  einet  dem  deutgehen  Orden  ge- 
hörigen Ländern,  als  Kalm,  Thorn,  Dauzig.  Unter  Sigismund 
August  gelang  ee  dem  Vasallen  Polens,  dem  Herzog  Albrecht  Ton 
Preussen,  zu  Königsberg  eine  Akademie  oder  Unirersitat  zu  er- 
richten; diese  war  dem  Geiste  nach  latheriscb,  der  CnterridiU- 
aprache  nach  ursprünglich  polnisch,  ward  aber  alsdann  im 
17'  Jahrhundert  deutsch  und  übte  fast  gar  keinen  Einduas  mehr 
auf  den  Gang  der  Bildung  in  Polen  aus.  Die  Mähriscben  (Böhmi- 
Bcben)  Brüder  hatten  ihre  berühmten  Schulen  in  den  grosspolni- 
Bohen  Städten  Lissa  und  Koiminek,  die  Calvinisten  in  Wilna. 
Die  Arianer  oder  Socinianer,  welche  vorwiegend  in  Kleinpolen 
ihren  Sitz  hatten,  errichteten  ihre  hohem  Schulen  und  Drucke- 
■  reien  anfangs  in  Pificzöw  (an  der  Nida),  alsdann  in  Lewartöw 
(am  Wieprz)  und  insbesondere  vom  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
an  in  Raköw  (unweit  Sendomir).  Diese  Stadt,  speciell  für 
sie  von  der  Familie  Sienieäski  erbaut,  ward  zum  Mittelpunkt 
aller  extremen  protestantischen  Sekten,  welche  den  reinen  Theis- 
mus predigten  oder  sogar  bis  zum  Atheismus  gingen  (Uni- 
tarier, Antitr initarier,  Anabaptisten  u.  a.),  und  stand  bei  ihnen 
in  dem  Rufe  eines  Earmatischen  Athens.  Die  Akademie  zu  Kra- 
kau  war  nicht  im  Stande,  mit  den  sich  mehrenden  protestanti- 
schen Unterrichtsanstalten  zu  kämpfen.  Zum  Kampfe  mit  ihnen 
berief  die  polnische  höhere  Geistlichkeit  den  Orden  der  Je- 
suiten und  acclimatisirte  ihn  in  Polen.  Der  Bischof  von  Erme- 
land,  Cardinal  Hosius,  errichtete  in  Polen  das  erste  jesuitische 
„Collegium"  zu  Braunsberg  1564;  gleich  darauf  errichtete  der 
Bischof  von  Plock,  Noskowski,  ein  zweites  solches  zu  Pultusk, 
der  Bischof  Valerian  Protasowicz  ein  drittes  zu  Wilna.  Dem 
Beispiel  der  Bischöfe  folgten  weltliche  katholische  Eiferer,  Män- 
ner und  Frauen,  indem  sie  bedeutende  Schenkungen  und 
Vermächtnisse  zu  Gunsten  der  Jesuiten  machten;  in  solcher 
Weise  entstanden  die  Coltegien  zu  Jaroslaw  (in  Roth-Russland), 
zu  Posen,  Kaliscb,  Lublin,  Lemberg,  Kiga,  Dorpat,  Danzig,  Polock, 
Nie^wieä,  Warschan.  Bei  allen  Collegien  bestanden  Schulen,  denen, 
der  Orden  eine  besondere  Aubnerksamkeit  zuwendete.  Die  Ein- 
richtung dieser  Schulen  ist  das  Beispiel  einer  bis  dahin  uner- 
hörten Centraljsirung.  Sie  waren  ganz  uniform  eingerichtet; 
die  geringste  Abweichung  vom  allgemeinen  Plan  bedurfte  eiatt 

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Die  jesuitische  Periode.  ■95 

besondern  Entscheidung  des  in  Born  weilenden  uiid  mit  dictato- 
ri&cher  Gewalt  bekleideten  Ordensgenerals.  Der  Unterricht  war 
in  vollem  Sinne  des  Worts  koBmopolitiscl) ,  ohne  RückGicht  auf 
Bedingungen  des  Orts  und  der  Zeit,  vollständig  nur  der  einen 
Idee  der  Welthern»chaft  der  tömisch-katholiscliea  Kirche  unter- 
worfen —  und  ganz  der  gleiche  in  Itahen,  Spanien,  Oesterreich 
und  Polen;  wie  er  von  dem  Begründer  der  jesuitischen  Pädagogik 
nnd  dein  Miturbsiter  Lojola's,  Peter  Canisius,  erdacht  worden 
war,  so  blieb  er  auch  fast  bis  zum  Verfalle  des  Ordens.  Kr 
igoorirte  die  volksthümliche  locale  Literatur  und  die  neuere 
Qesdiichte,  die  Staatswissenschaften  und  die  Naturkunde.  Der 
HanptgegeuBtand  seiner  Sorge  war  die  Sprache  der  römisch- 
katholischen  Kirche,  d.  i.  das  Latein,  und  die  römische  Lite- 
ratur, sorgfältig  gesäubert  von  allen  Ideen,  welche  mit  der 
kirchlichen  Orthodoxie  nicht  übereinstimmten  (alle  Glassiker 
wurden  nach  den  sogenannten  editiones  castigatae  studirt).  Der 
Schüler  lernte  in  den  zwei  niedern  Klassen  (infima  und  gramma- 
tica)  die  Elemente  der  lateinischen  Sprache  nach  dem  berühmten 
Lehrbuch  des  Jesuiten  Alvar;  in  der  dritten  Klasse  (sy ntasis)  ab- 
solvirte  er  die  Grammatik;  in  der  vierten  Klasse  (poesis)  lernte 
«r  die  -schwierigem  lateinischen  Prosaiker  (besonders  Cicero)  und 
Dichter  geläufig  lesen  und  veniteben;  in  der  fünften  Klasse  (rhe- 
torica)  beschäftigte  er  sich  mit  der  Theorie  der  Beredsamkeit, 
mit  den  Hülfewissenschaften  und  mit  Uebungen  in  der  Stilistik. 
Aiuser  diesen  fünf  Klaasen  bestanden  bei  einigen  bedeutenderen 
Collegien  noch  zwei  höhere  Curse:  der  philosophische  (die  Philo- 
sophie wurde  vorwiegend  nach  Aristoteles  gelehrt)  und  der  theo- 
logische (worin  die  Autorität  des  heihgen  Thomas  von  Aquino 
herrschte).  Indem  sie  den  Untetricht  in  den  engsten  Rahmen 
einschlössen,  gaben  sich  aber  die  Jesuiten  Mühe,  dass  sich  die 
Schäler  dieses  Wenige  vollständig  aneigneten  (non  mnlta,  sed 
mnltum),  verwendeten  die  grösstmöglichste  Sorgfalt  auf  die  Aus- 
bildung guter  Lehrer;  jeden  jung^iMann  von  glänzenden  Fähig- 
keiten sachten  sie  in  ihren  Orden  zu  ziehen,  und  jeder,  der 
in  denselben  getreten  war,  musste,  bevor  er  den  höhern  Grad 
eines  Professors  erlangte,  seine  Thätigkeit  mit  dem  Amte  eines 
Lehrers  begiiinen.  Die  Jesuiten  suchten  unter  den  Schülern 
durch  Belohnungen,  Bangabstufungen,  Disputationen  Wetteifer 
n  wecken  and  zu  unterhalten,  behandelten  sie  mild  und  human, 
besonders  die   Kinder  vornehmer  und  reicher  Aeltem,    gegen 


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96  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

deren  AuBgelaseenheiten  sie  oftmals  Nachsicht  übten;  über- 
haupt webte  in  ihren  Schalen  der  Geist  der  Aristokratie  and 
es  wurde  von  frühen  Jahren  an  das  Princip  der  Ungleich- 
heit der  Stände  beobachtet.  Obgleich  der  Orden  seine  Ver- 
breitung in  Polen  hauptsächlich  der  Macht  des  Königs  zu  dan- 
ken hatte,  erkannte  er  doch  sehr  bald,  dass  diese  nicht  die 
Hauptsache  im  Staate  war,  und  suchte  sich  an  das  Magnaten- 
tbam  anzuschliesaen,  sowie  yon  dieser  Seite  Unterstützung  zu 
erlangen.  Um  die  Volksbildung  kümmerte  sich  der  Orden  gar 
nicht  und  errichtete  überhaupt  keine  Elementarschulen.  Seit 
der  Einführung  des  Ordens  in  Polen  strebte  dieser  darnach, 
hier  seine  eigene  Universität  zu  gründen,  mit  dem  Rechte, 
gelehrte  Grade  zu  verleihen,  was  er  auch  im  Jahre  1579  er- 
langte, als  Stephan  Bator;  die  Urkunde  zur  Errichtung  der 
jesuitischen  Akademie  zu  Wilna  unterzeichnete;  sie  hatte  zwei 
Facultäten,  eine  philosophische  und  eine  theologische.  Diesen 
wurde  durch  die  Bemühungen  des  Unterkanzleru  von  Litauen, 
KazimirLeo  Sapieha,  und  mit  von  ihm  gespendeten  Geldmitteln 
im  Jahre  1634  noch  eine  dritte  Facultät  beigefügt,  die  juristi- 
sche, welche  sich  übrigens  nicht  lange  hielt  und  gleich  nach 
dem  Tode  ihres  Gründers  verfiel.  Die  Jesuiten  untefhielten 
vier  Collegia  nobilia  —  in  Warschau,  Ostrog,  Lemberg  und 
Vfitebsk  und  55  Mittelschulen. 

Nachdem  sie  tiefe  Wurzeln  im  Volke  gefasst,  eröffneten  die 
Jesuiten  an  allen  Punkten  des  Reichs  einen  hartnäckigen  Kampf 
gegen  die  protestantischen  Schulen.  Sie  suchten  auf  das  Publi- 
kum einzuvrirken  und  fesselten  es  durch  die  Pracht  feierlicher 
Processionen,  durch  die  Mannichfaltigkeit  scenischer  Vorstellun- 
gen, durch  öffentliche  Disputationen,  zu  denen  sie  die  Protestan- 
ten aufforderten.  Was  die  Propaganda  nicht  zu  thun  vermochte, 
ward  mit  Gewalt  vollführt;  in  vielen  Städten  worden  die  pro- 
testantischen Kirchen  vom  Volke  auf  Anstiften  der  Jesuiten 
zerstört,  die  Schulen  von  Jesuitenzöglingen  auseinandergetrieben, 
and  gegen  diese  Gewaltthätigkeiten  gab  es  weder  Gericht  noch 
Polizei.  Ein  grosser  Theil  der  lutherischen  und  calvinistischen 
Schulanstalten  verfällt  vollständig;  eine  Menge  Elementarschulen 
für  das  Volk,  deren  Zahl  im  IG.  Jahrhundert  Joseph  £ukaBzewicB 
(„Historya  szköt  w  Koronie  i  W.  X.  Litewsk.",  1, 1849)  auf  1500 
mit  30000  Schüler  anschlägt,  verschwindet  spurlos.  Die  Schule 
der  Arianer  za  Raköw  ward  1638  auf  Anordnung  des  Reichstags 

D,9:.z.u.,  Google 


Die  Jesnitiacbe  Periode.  97 

gescblMBen ,  zuletzt  warden  alle  Ariacer  durch  das  Gesetz  TOm 
Jahre  1658  aas  der  Repnblik  vertrieben.  Uraprünglich  waren 
die  Jesuiten  der  Akademie  zn  Krakau  willkommen,  da  sie  in 
iliDen  thätige  Vorkämpfer  des  Eatholicismus  fand,  aber  bald  er- 
schrack  die  gelehrte  Körperschaft  über  die  echnetlen  Fortschritte 
ihrer  Bundesgenossen  und  begann  ihnen  das  Recht  streitig  zn 
machen,  Schalen  an  solchen  Orten  zu  gründen,  wo  schon  An- 
stalten bestanden,  die  der  Akademie  zu  Erakan  sabordinirt 
waren.  Die  Akademie  gestattete  den  Jesuiten  nicht,  in  Posen 
dne  höhere  Schule  neben  der  akademischen  Schule  Luhraäski's 
za  errichten,  doch  gelftng  es  den  Jesuiten  1622  eine  eigene  Schule 
des  heiligen  Petrus  in  Krakan  selbst  zu  griinden.  In  der  leiden- 
Bchaftiichen  Polemik',  welche  dieser  Streit  Teranlasste,  war  die 
Akademie  nicht  im  Recht  und  nur  durch  egoistische  Misgunst 
geleitet;  mit  den  Jesuiten  kämpfend,  ahmte  sie  selbst  in  wissen- 
schaftlicher Beziehung  diesen  nach  und  führte  in  ihren  Lelir- 
anstalten  die  jesuitischen  Unterrichtsmethoden  ein.  Der  Etnäuss 
der  Jesuiten  war  so  gross  nnd  so  allgemein ,  dass  er  sich  sogar 


'  Das  bemerkenBwertheBte  von  den  'Werken,  die  ans  dieser  Polemik 
hervorgingen  and  gegen  die  Jesaiten  gerichtet  waren,  iat  „Gratis  albo 
ditcnre  ziemianina  z  plebanem"  („Gratis  oderDisoura  zwisehea  einem  Edel- 
iDiniL  und  einem  Pfarrer",  1626),  verfasst  von  dem  bernhmten  Matbema- 
liker  Johann  Brzoski  (Brosoios).  Wir  fuliren  daraaa  eine  Stelle  an: 
Bie  j««iiiten  verwenden  die  ganze  Zeit  auf  den  Unterricht  der  Kinder  in 
der  zn  schweren  Grammatik  dos  Alvar  aus  folgenden  Gründen:  a)  um  den 
Aeltem  so  viel  wie  möglich  Geld  abzunehmen;  b)  um  auf  ihre  Art  die 
josgen  Wölfe  zu  drcssiren;  c)  nm  die  Charaktere  der  Kinder  verstehen  zu 
lernen;  d)  nm,  im  Falle  die  Aeltem  das  Kind  zurücknehmen  wollten,  die 
fertige  Einrede  za  haben,  man  eolle  es  wenigstens  die  Grammatik  erlernen 
l*Men  —  die  Grundl^e  alles  Wissens;  e]  um  die  Lernenden  bis  znm  reifen 
Alter  in  der  Schnle  zn  behalten;  dann,  wenn  der  erwachsene  Schüler  klug 
um]  anständig  ist,  und  Hoffnung  hat,  ein  Erbe  oder  eine  Unterstützung  von 
Verwandten  zn  erhalten,  suchen  die  Patres  jedesmal,  ihn  in  ihren  Orden  za 
ziehen;  wenn  der  Schüler  aber  dumm  ist  und  nicht  lernen  oder  nicht  bei 
ihnen  bleiben  will,  so  lassen  sie  ihn  frei.  Was  soll  aber  der  bärtige 
Schäler  anfangen?  Bei  einem  vornehmen  Herrn  in  Dienst  treten?  Dazu 
ist  er  zn  einfaltig  nnd  dumm.  Irgendwelche  Wissenschaften  stndiren? 
Dun  ist  es  zu  spät.  Ein  Handwerk  lernen?  Davor  schämt  er  sich.  Er 
wmdet  sich  wieder  an  die  Patres  nnd  bittet  sie,  dass  sie  ihn  unterbringen. 
Sie  geben  ihm  auch  eine  Stelle  als  Aufseher  oder  Schreiber  bei  irgend- 
einem ihrer  Wohlthäter,  oder  als  Schlosskaplau,  oder  als  Pfarrer,  worauf 
«ie  ihn  dann  als  Werkzeug  für  ihre  Ziele  und  Interessen  benatzen. 
H'H,  aiKTliche  Lltenitatta.   II,  1.  7 


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98  Viertes  Kapitel.  'Die  Polen. 

auf  ihre  religiösen  Gegner' erstreckte.  Alle  bedeutenden  grie- 
chiscb-orthodoxen  Gegner  der  Union  gingen  aus  Jesuitenschulen 
hervor,  ja  sogar  der  Unterrichtflplan  in  der  Kiever  Akademie, 
die  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  von  Feter  Mogila 
(Mohyta)  gegründet  wurde  und  als  Muster  für  alle  geistlichen 
Lehranstalten  in  Knseland  diente,  war  rein  jesuitisch.  Die  Ein- 
seitigkeit der  jesuitischen  Erziehung,  die  gar  keine  Verbindung 
mit  dem  gesellschaftlichen  Lehen  hatte  und  nicht  Bürger,  son- 
dern Vorkämpfer  des  Katholicismns  heranbildete,  musste  natür- 
lich die  bessern  und  schärfer  blickenden  Leute  in  Polen  besorgt 
machen ;  übrigens  blieben  alle  Versuche,  das  System  des  Ordens 
zu  erschüttern,  bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  ohne  Erfolg.  Zu 
solchen  Versuchen  gehört  die  Gründung  der  Akademie  Zamojski's 
und  das  Auftreten  eines  neuen  erzieherischen  Ordens  in  Polen,  der 
Piaiisten.  Der  Kanzler  Johann  Zamojski  gründete  1595  aus  eigenen 
Mitteln  eine  besondere  Akademie  auf  seinem  Stammsitz  Zamoä6. 
Obgleich  er  ein  sehr  reicher  Mann  war,  so  reichten  doch  seine 
Mittel  allein  nicht  aus,  um  die  ganze  Akademie  in  gehöriger 
Weise  zu  unterhalten;  das  ist  der  Grund,  weshalb  sie  gleich 
von  der  Gründung  an  bei  der  Dürftigkeit  des  Gebalts  für 
die  Lehrer  und  dem  Mangel  an  Lehrmitteln  nicht  prosperircn 
konnte.  Die  Professoren  litten  Hanger,  die  Schüler  waren  nicht 
untcrzubiingen.  Erfahrene  Leute  riethen  dem  Kanzler,  nur  eine 
philosophische  Facultät  zu  eröfCnen;  er  eröffnete  deren  drei:  eine 
philosophische,  medicinische  und  juridische,  von  denen  er  be- 
sonders fiir  die  letztere  sorgte.  Die  Ansicht  des  Kanzlers  über 
die  damalige  Jurisprudenz  war  sehr  gesund  und  lichtig;  er  war 
unzufrieden  mit  dem  Vorherrschen  des  kanonischen  und  der  Ver- 
nachlässigung des  römischen  Rechts  auf  der  Universität  Krakau; 
ferner  wollte  er  die  Vorträge  über  vaterländische  Gesetzgebung, 
die  sich  nur  auf  das  Landrecht  (der  Szlachta)  erstreckten,  erwei- 
tem, indem  er  auch  das  Stadium  des  Stadtrechts  hineinzog-  Die 
Hauptperson  in  der  juristischen  Facultät  war  Thomas  Dresner, 
ein  vorzüglicher  Kenner  des  römischen  Hechts,  der  die  Recbts- 
knnde  nach  vergleichender  Methode  lehrte.  Die  Zamojski'sche 
Akademie  wirkte  nur  sehr  kurze  Zeit  mit  Erfolg  und  kam  bald  nach 
dem  Tode  Zamojski's  in  vollständigen  Verfall,  ward  der  Akademie 
zu  Krakan  unterstellt  und  eine  FiÜale  der  letztern.  Der  Gründer 
des  Ordens  der  Plansten  (patres  scholarum  piarum)  war  Jose- 
phus  de  Calasanza  oder  Casalanza  (gestorben  zu  Kom  1648).    Der 

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Die  jfHuitisülie  l'.Tioile.  ,  ()9 

Oriieo  war  ausschliesslich  der  Erziehung  dor  Jugend  gewidmet, 
hatte  om  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  gegen  28  Schulen  und 
lebrte  iast  dasselbe  wie  die  Jesuiten,  d.i.  die  lateinische  Sprache 
und  Literatur,  »her  die  Fiaristen  hielten  die  Schüler  in  weit 
blrengerer  IHsciplin,  lehrten  unentgeltlich,  und  nahmen  gan?: 
arme  Leute  hereitwillig  auf.  Die  Jesuiten  verhielten  sich  aus 
Misgunst  so  gegen  die  Fiaristen,  wie  sich  ihnen  seihst  gegen- 
über einst  die  Akademie  zu  Krakan  verhalten  hatte,  d.  h.  sie 
begannen  die  Piaristen  in  der  gewissenlosesten  Weise  zu  Tcr- 
fiilgen,  eigene  Schulen  üherall  da  zu  errichten,  wo  Piaristenschulen 
■  waren,  die  Schüler  der  letztern  ru  sich  zu  locken  und  'die  Mit- 
glieder des  Ordens  zu  ruiniren,  indem  sie  gegen  dieselben  endlose 
Processc  vor  Gericht  anstrengten.  Sonach  war  die  Erziehung 
eine  fast  ausschliesslich  mönchische  in  zwei  Formen-,  fiir  die 
äöbne  der  Heri-en  in  den  Convictcn  jesuitisch-mönchisch,  und  fih- 
Jie  gewöhnlichen  Leute  piaristisch-mönchisch. 


Ilnuptdnten  der  diitten  Veviode. 
1610.    Sieg  boi  Ktuszyn.    Die  Einnahme  Uoakaua  durch  die  polniachen 

IC19.     Schlacht  an  der  Cecors.     Tod  ^ötkiewski's. 
leSl.     Der  Feldzug  von  Chotin  rettet  Polen  vor  den  Türken.  —  Der 
Schwedische  Krieg;  der  Verlust  Riga's. 

1633.  Die  Thionbesteigung  Wladyslan'a  IV. 

1634.  Der  Friede  von  Polanow  mit  Moskau.  ; 

1635.  Der  Stuiiisdorfer  Waffeuatill stand  mit  Schweden. 

16-14.     (Jolloi|uium  charitntiviim  zwischen  den  ConfossLonen  in  Thorn. 

1646-  Die  Pläne  Wladyslaw'a  IV.,  einen  europäischen  Feldzug  gegen 
die  TQrkei  zu  Stande  zu  bringen. 

1648.  Beginn  der  Kosakankriege.  Sieg  Cbmeluickij's  bei  den  „Gelben 
Gewässern",  Tod  Wladyslaw'a  IV.  —  Die  Katastrophe  von  Pilawce. 
Die  Wahl  Johann  Kazimir's. 

16.'i7.    Daa  Treffen  bei  Beresteczko.     Der  Vertrag  von  Bialocerkiow. 

1651.  Der  Reichstag  zu  Warschau  wird  zum  ersten  mal  inittela  des 
liberum  voto  gesprengt.  —    Die  Niederlage  bei  Batok. 

1654>     Cbmelnidcij  geht  mit  dem  Kosnkenthum  zu  Moskau  Ober. 

1G55.  Der  schwedische  Krieg.  König  Gustav  in  Warschau  und  Kra- 
kan, die  Truppen  des  Alexi^j  Michajioviö  in  Wilna.  CbmelDickjj 
bei  I^emherg.  —  Vertheidigung  von  Cü^istochowa,  —  Die  Confiide- 
ration  von  Tyszowce. 

1657.  Der  Wehlauer  Vertrag  Polens  mit  dem  Grossen  Kurfürsten,  wel- 
rfiec  PreoBsen  von  der  Irfjhnaabhängigkeit  beTrcit. . 


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100  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

1668.     Vertreibnng  der  Arjaner  ans  Polen.     Der  Vertrag  tod  Hadjac 

mit  den  Kosaken. 
1660.     Der  Vertrag  von  Oliwa. 
1664.     Das  Reichstagsgericbt  Über  Lubomireki. 
1665 — 66.    Der  Lubomiraki'sche  Rokosz. 

1667.  Der  Waffenstillstand  von  Andmsow  mit  Moskau. 

1668.  Johann  Kaiimir  dankt  ab. 

1669.  Die  Wahl  Wiäniowiecki's  mm  König. 

1672.  Die  Einnahme  von  Kamieniec-Podolski  durch  die  Türken.  Polen 
wird  der  Türkei  tributpflichtig  durch  den  Vertrag  von  Buczacz ; 
abgetreten  werden  PodoKen  und  die  Ukraine. 

1674.     Johann  III.  Sobieski  wird  König, 

1683-     Be&eiung  des  von  den  Türken  belagerten  Wiens  durch  Sobieski. 

1 686.  Friede  mit  Hoskau  oder  der  sogenannte  Vertrag  Grzymultowski'a. 
Die  definitive  Abtretung  von  Smolensk  und  Kiev. 

1696.  Der  Tod  Sobieski's. 

1697.  Doppelte  KönigawahL     August  II.  behält  die  Oberhand. 

1698.  Der  Rarlowitzer  Friede  der  europäischen  Mächte  mit  den  Türken. 

1699.  Die  Vertr&ge  Augnst's  11.  mit  Peter  dem  Grossen  gegen  Schwe- 
den; 6eg;inn  des  Nordischen  Krieges. 

1704.     Entthronung  AugUBt's  IL     Die  Wahl  Stanislaw  Leszczydski's. 

1706.     Der  Friede  von  Altranatädt. 

1709.     Nach  der  Schlacht  bei  Poltawa  kommt  August  II.  wieder  auf 

den  polnischen  Thron. 
1715  — 17.    Die  Taniogroder  ConfSderation  -  der   Szlachta   gegen    den 

König. 
1733.    August  III.  wird  zum  König  gewählt. 


Die  unmittelbare  Tolge  der  jesuitiEchen  Erziehnng  war  eine 
Bclireckliche  Verderbniss  des  Geschmacks  und  eine  Entwerthung 
des  innem  Gehalts  der  Literatur  bei  ungewöhnlicher  Fruchtbar- 
keit und  einem  scheiabar  grpBsen  Eifer  der  Gesellschaft  für  die- 
selbe. Der  Geist  der  Kritik,  der  alte  Feind  der  Autorität,  war 
niedet^eschlagen,  die  Wissenschaft  trennte  sich  vom  Leben,  ver- 
wandelte eich  in  eine  unbrauchbare  Schulgelehrsamkeit:  auf 
diesem  Boden  konnten  nur  Mittelmässigkeiteu  aufkommen  und 
gedeihen.  Die  Literatur,  welche  sich  der  Beschäftigung  mit  den 
öffentlichen  Fragen  entwöhnte,  hörte  auf  eine  ernste  Angelegen- 
heit zu  sein,  wurde  bei  den  einen  ein  Handwerk,  bei  den  andern 
eine  Unterhaltung,  ein  Luxus,  ein  Spielzeug.  Je  unfruchtbarer 
die  Literatur  ward,  desto  pedantischer,  desto  weniger  der  Volks- 
masse  zugänglich,  desto  mehr  ward  sie  für  die  witzigen  Köpfe 
jener  Zeit  zu  einem  Mittel,  mit  ihrer  Gelehrsamkeit  grosszutban, 

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Die  jeanitiMilie  Periode.  101 

aber  die  unbedeutendsten  Dinge  yiele  Worte  zu  machen  und  mit 
dieser  Kunst  zu  überraschen,  durch  unerwartete  Einfalle,  durch 
spasshaft«  ZuBammenstellungen  der  Mythologie  und  Geschichte 
mit  den  Vorgängen  des  täglichen  Lebens  zum  Lachen  zu  bringen. 
Ein  groeser  Theil  der  Szlacbta  sprach  geläufig  lateinisch,  die 
rümische  Literatur  war  die  einzige  Quelle  der  Gelehrsamkeit, 
daher  entstand  die  Gewohnheit,  nicht  nur  die  polniGcho  Sprache 
mit  einzelnen  lateinischen  Ausdrucken  zu  durchsetzen,  sondern 
aucli  ganze  lateinische  Phrasen  in  sie  einzuschieben  und  sie  mit 
solchen  Maccaroniamen  so  zu  überschütten,  dass  auf  jeden  pol- 
nischen Satz  immer  ein  lateinischer  folgen  muaate  und  umgekehrt. 
Das  erste  Bcipiel  einer  solchen  Mischung  bietet  ein  Gedicht,  das 
Johann  Kochanowski  zum  Scherz  verfasste: 

Carmen  maccaronicum. 

Est  prope  wyaoknm  celeberrima  sylva  Erakovum 
Qaercnbua  inBignia  inulto  miranda  iol^dzio 
latuleam  spectans  wodam  Gdaäskumque  go£ciiicam, 
D^bie  nomen  habet,  D^bie  dixere  priores. 

Uanc  ego,  cum  sucboe  torreret  Syrina  agros 
Et  rozganiaret  non  m^dra  canicula  takoe, 
Ingredior  multam  de  conditione  t.yvrota. 
Deqne  statu  vitae  mecum  myilando  futurae  etc.  etc. 

Was  bei  Kochanowski  ein  Scherz  war ,  geschah  im 
17.  Jahrhundert  im  Ernst,  mit  der  vollen  Ueberzeugung ,  dass 
gerade  hierin  die  Schönheit  des  Stils  bestehe.  Da  das  Band 
zwischen  der  Literatur  und  dem  Leben  zerrissen  war,  und  sich 
die  Meinung  befestigte,  dass  die  Kunst  zu  reden  etwas  an  sich 
Bestehendes  und  um  ihrer  selbst  willen  da  sei,  so  trug  man  kein 
Bedenken,  andere  zu  rühmen,  sie  mit  den  überschwängUohsten 
Lobeserhebungen  zu  überschütten,  da  man  wohl  wusste,  dass 
niemand  solche  Worte  für  haare  Münze  nehmen  werde.  Pane- 
gjriken  fielen  wie  Platzregen,  der  widerliche  Dunst  brennenden 
Weihrauchs  verpestete  die  Luft  anderthalb  Jahrhunderte  lang. 
Die  Jesuiten  lobten  ihre  Wohltbater,  die  Geistlichen  ihre  Patrone, 
die  Szlachta  die  Magnaten,  die  Senatoren  einander  selbst.  Für 
die  werthvollste  Eigenschaft  eines  Mannes  im  adeligen  Poldu  des 
n.  Jahrhunderts  galt  Tornehme  Geburt.  Die  Vornehmheit  der 
Herkunft  wurde  durch  Stammbäume  und  Wappen  bewiesen,  daher 

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102  Vierten  Kapitel.     Die  Polun. 

die  Leidenschaft  für  die  Heraldik,  welche  fast  an  die  Stelle  der 
GeBcliichte  trat,  und  die  ungewöhiilicli  hohe  Bedeutung  der  Wap- 
pen in  der  panegyrischen  Literatur.  Jeder  suchte  nachzuweigea, 
dass  sein  Wappenkleinod  sehr  alt  sei,  und  bemühte  sich,  es  aus 
Italien,  Deutschland,  Spanien,  womöglich  von  Noah,  und  wenn  das 
nicht,  Bo  doch  wenigstens  von  den  griechisctien  Helden  oder  den 
römischen  Kaisern  herzuleiten.  Es  erscheint  eine  unzählige  Menge 
falscher  Stammbäume;  jeder  Fanegjriker  hält  es  für  unerläss- 
liche  Pflicht,  zum  Thema  das  Wappen  der  zu  lobenden  Person  za 
nehmen  und  dieses  Thema  soviel  wie  möglich  zu  variiren.  Die 
Namen  der  Wappen  gelangen  als  Hauptelement  in  die  Titel  der 
Lobreden,  Gedichte  und  Werke.  Die  Titel  werden  so  gesucht, 
kraus  und  geschraubt ,  dass  dabei  schliesslich  aller  gesunder 
Menschenverstand  verloren  geht.  • 

Alle  schöpferischen  Kräfte  des  Volkes  gingen  in  der  Bered- 
samkeit auf,  sie  ward  zu  einer  Kunst,  die  alle  andern  Künste 
und  Literaturgattungen  überragte,  ebenso  national,  wie  die 
Bildhauerkunst  bei  dtn  Griechen,  die  Vocalmusik  bei  den  Italie- 
nern, das  Theater  bei  den  Franzosen.  Die  republikanische  Re- 
gierungsform  nöthigte  die  ganze  Szlachta,  an  den  mündlichen  Ver- 
handlungen über  die  öffentlichen  Angelegenheiten  theilzunehmen ; 
jeder  einigermaesen  gebildete  Mann  übte  sich  von  frühen  Jahren 
an  in  der  lebendigen  Rede  und  im  Disputiren.  Nachdem  sie  sich 
infolge  dessen  in  die  Redekunst  verliebt,  führte  die  polnische 
Gesellschaft  sie  nicht  nur  in  den  Kreis  des  öffentlichen,  sondern 
auch  des  privaten  Lehens  ein,  und  erfand  eine  Menge  von  For- 
men und  Arten  derselben,  mittels  aller  möglichen  Anwendungen 
auf  verschiedene  Erscheinungen  und  Gelegenheiten  des  häus- 
lichen und  Familienlebens.  Die  Beredsamkeit  bestand  aus  zwei 
Hauptarten,  der  weltlichen  und  der  geistlichen.  Die  weltliche 
zerfiel  wieder  in  die  parlamentarische  (auf  den  Land-  und 
Reichstagen),  die  tribunale  (vor  Gericht),  die  militärische,  mit 
welcher  die  Führer  ihre  Armee  vor  dem  Kampfe  anfeuerten ,  die 


'  Wir  fühi'cn  zar  Probe  einige  solche  Titel  in  ücbersetzung  &n:  „Die 
von  ilun  irdiBohcn  lllütcn  in  den  himmliaclien  Bienenitook  fliegenden  Bie- 
nen" ....  Oder:  „Beilo,  gesäubert  vom  Orabesstaub"  ....  „WiBCblappea, 
um   dem  ycretockten  Sünder   den  Mund   zu   wiHchca"  ..'.   n^in  GarteD, 

aber  nicht  gejätet,   ein  Schober,    aber  jede  Gai'be  von   anderem  Getreide, 
ein  Laden  vcrBuhicdcncr  Waarcu"  u.  b.  w. 


....,  Google 


Die  jegnitiBohe  Periode.  103 

fbnerale,  endlicli  die  des  Hauses  und  der  Familie  znr  BegrüBsang 
«Des  hoben  Gastes,  zu  Gratulationen  bei  Empfang  von  Äemtem, 
in  Kiodtanfen,  Hochzeiten  and  andern  bochfeierlicben  Gelegen- 
heiten. Nach  dem  Gesagten  vird  es  klar,  dass  die  Kunst  zu 
reden  den  Prüfstein  desWerthes  eines  Menschen  bildete  and  die 
DiiDingängliche  Bedingung  seiner  öffentlichen  Carriere  irar,  so- 
dass Starowolski ,  ein  Schriftsteller  des  17.  Jahrhunderts,  mit 
ToUem  Recht  sagen  konnte:  „es  kann  in  Polen  niemand  ein  Bär- 
ger, ja  ich  darf  sagen,  ein  Pole  heissen,  der  nicht  schön  und 
koDstToll  über  jeden  beliebigen  Gegenstand  nicht  nur  lateinisch, 
soDdem  ancb  in  der  Muttersprache  zu  reden  weiss"  („De  claris 
oratoribus  Sarmatiae",  1628).  Um  zu  zeigen,  worin  die  Beredsam- 
keit nach  den  Begriffen  des  17.  Jahrhunderts  bestand  und  bis  zn 
welchem  Grade  die  polnische  Sprache  von  Maccaronismen  strotzte, 
seien  zwei  Bruchstücke  angeführt,  das  eine  aus  der  Rede  eines 
seinerzeit  berühmten  Redners,  des  Wojewoden  von  Minsk,  Krzy- 
Btof  Stanislaw  Zawisza  an  König  August  H.,  die  im  Jahre  1697 
gehalten  wurde;  das  andere  aus  dem  Jahre  1660,  den  vorzüg- 
Uchen  Memoiren  Fasek's  entnommen,  die  noch  später  za  erörtern 
sein  werden.  Zawisza  hegrüsst  in  folgender  Weise  den  König 
ans  Antass  seiner  Krönung:  >  „Unsere  polnische  Niobe,  die, 
noch  Tor  kurzem  effusa  in  lachry mas,  hodie  concrescit  in 
gemmas;  nach  finstem  Nächten  der  Trauer  Candida  mundi 
sidera  currunt,  weil  du  den  polnischen  Thron  bestiegen  hast 
Toltn  sidereo  discutiens  nnbila.  Es  kehren  wieder  cum 
foeuore  die  Terlorenen  Hofinungen.  Das  Vaterland  cum  suis 
ordinibuB,  indem  es  in  seinem  Schosse  primnm  majestatis 
ordinem,  d.  i.  Eure  königliche  Gnaden  in  diademate  sno 
erblickt,  erscheint  nicht  mehr  wie  eiue  klagende  Turteltaube, 
sondern  legt  Adlerfedern  an.  Es  schaut  in  einen  günstigen 
Himmel  mit  heitern  Augen,  und  schwebt  auf  die  Höhe,  von 
der  es  gewohnt  ist,  contra  superbum  orientis  tyrannum 
ignea  vibrare  tela;  es  ruft  zum  ganzen  Erdkreis  mit  jubeln- 
der Stimme:  Ol  qni  nominibus  cum  sis  generosus  aritis 
exsuperas  morum  nobilitate  genus"  ....  Johann  Fasek 
hatte  die  Grabrede  zu  Ehren   seiner  verstorbenen  Kameraden 


'  Wybor  möw  staropoUkich  jwieckich,  acjmovych  i  !nii;ch  zebrauych 
pr»z  Autoniego  Matcckiego    (in  TurovBki'E  Biblioteka  Fohka,  Krakan 


....,  Google 


104  Viert«H  KapiUl.    DioPolen, 

Eubieszowski  und  WojnowBlri  zu  halten:  „Mit  welchen  Voltt- 
mina  soll  man  eicli  vor  dieBer  Constitution  Bcbiitzen,  wetcben 
Farlatnenten  Klagen  überreichen,  bei  welchem  von  den  mäch- 
tigsten Monarchen  dieser  Welt  Kettung  suchen  vor  der  un- 
entrinnbaren Drangsal,  die  das  menschliche  Geschlecht  von  dem 
Tode  zu  erdulden  hatV  Ich  weiss  es  nicht,  ich  finde  kein  Mittel, 
aber  ich  bin  überzeugt,  dass  ein  Gesetz  nicht  im  Stande  ist, 
jemand  darin  zu  helfen,  wenn  ich  das  Hieroglyphicum  der  Re- 
publik Genua'lese:  parcam  falcem  tenentem  minaci  maua 
snperham,  welche  auf  die  lolgende  Inschrift  zeigt:  leges  lego, 
reges  rego,  judices  judico.  Wer  vermag  einer  solchen  Ge- 
walt zu  widerstehen?"  ....  Weiterhin  tröstet  sich  der  Redner 
damit,  dass  auf  Grund  der  Constitution,  des  Bündnisses,  das  von 
Ewigkeit  her  zwischen  Himmel  und  Erde  geschlossen,  uns  ver- 
sprochen sei,  morte  renasci  und  ad  communem  socicta- 
tem  zurückzukehren.  ...  Dann  erwähnt  er,  dass  nach  atheni- 
schem Gesetz  der  verstorbene  Krieger  durch  eine  Lobrede  des 
beredtesten  seiner  Mitbürger  geehrt  werden  musste.  Fosek  be- 
kennt, dass  die  Pflicht,  seine  Genossen  zu  preisen,  seine  Ki^fte 
übersteige,  aber  „da  der  eiserne  Mars  die  goldschimmernde 
Fracht  verachtet,  so  hat  sich  deshalb  die  ihm  freundlich  gesinnte 
Minerva,  geschwärzt  vom  Rauche  des  Salpeters,  entschlossen,  die 
Fflicht  zu  übernehmen,  seine  Commilitonen  zu  loben.  Von  Kind- 
heit, ja  man  darf  sagen,  von  der  Wiege  an  sind  sie  bei  der  rauhen 
Bellona  in  die  Lehre  gegangen,  ohne  sich  durch  die  Lieb- 
kosungen der  zarten  Pallas  und  des  Apollo  verleiten  zu  lassen. 
Kach  der  Gewohnheit  der  alten  polnischen  Krieger  erwählten  sie 
eich  als  die  junge  Brut  eines  edlen  Aars  zum  Leiter  den  rauhen 
Mars  und  weihten  sich  ihm  zeitlebens  zum  Opfer  ....  u.  s.  w." 
Einer  geringern  Verderbniss  des  Geschmacks  als  die  weltliche 
war  die  geistliche  Beredsamkeit  unterworfen,  wovon  der  Grund 
zuni  Theil  darin  liegt,  dass  sie  nicht  in  solchem  Grade,  wie  die 
weltliche,  Beispiele  aus  der  heidnischen  Mythologie  verwenden 
konnte,  andererseits  darin,  dass  in  ihr  die  Traditionen  des  Peter 
Skarga  fortlebten.  Ein  würdiger  Nachfolger  des  letztem  war 
sein  l''reund,  der  Dominikaner  Fabian  Birkowski  (1566 — IG36), 
der  mehrmals  die  Mühen  des  Lagerlebens  der  polnischen  Armee 
als  Prediger  des  Prinzen  Wladyrfaw  (Sigismnnd's  Sohn)  in  den 
Feldzügen  von  Moskau  und  Chotin  theilte.  Seine  Predigten 
riechen  nach  Fulverdampf,  athmen  kriegerischen  Enthusiasmus, 

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Die  jetnitiBohe  Periode.  105 

doch  Elud  Bie  zugleich  den  Protestanten  gegenüber  Ton  dem 
gaozeD  fonatischen  Hasse  des  katholi&clieii  Mönches  der  Zeit 
des  Drei ssigjähri gen  Kriege»  getränkt.  Aber  auch  bei  Bir- 
kowski  ist  Künstelei,  Gespreiztheit,  Haschen  nach  Witzen 
und  Wortspielen  zu  bemerken,  was  dann  von  den  Predigern 
zu  Ende  des  17.  und  zu  Anfang  des  18>  Jahrhunderts  auf  die 
Spitze  getrieben  wurde.  Wenn  ein  Prediger  dieser  Epoche  einem 
König  oder  einem  Magnaten  eine  Grabrede  zu  halten  hatte, 
Bo  gab  er  ihr  den  Titel  „Blumenkranz"  und  zählte  dann  alle 
Blumen  einzeln  auf,  indem  er  unter  denselben  die  Tugenden 
Terstand,  oder  stellte  diese  Tugenden  als  Perlen  in  einem  Rosen- 
kränze dar  oder  schickte  sich  an,  dem  Seligen  ein  Mausoleum 
lu  errichten,  und  theilte  seine  Predigten  in  Säulengänge,  Pyra- 
miden und  Säulen  ein.  Der  Grundplan  jeder  Predigt  verliert 
üch  unter  einer  unzähligen  Menge  von  Episoden;  dem  Prediger 
genügt  das  kleinste  Wort  aus  der  heiligen  Schrift  z.  B.  „war", 
oder  „zu  jener  Zeit",  um  der  Phantasie  die  Zügel  schiessen  zu 
lassen;  er  läset  sieb  in  Gespräche  mit  Gott  ein,  mit  den  Heiligen, 
and  kleidet  die  ganze  heilige  Geschichte  in  polnisches  Costüm; 
die  Midianiter  treten  bei  ihm  als  Tataren  auf,  die  Israeliten  haben 
Starosten,  Bischöfe,  halten  Reichstage  ab,  kämpfen,  machen 
Rokosze  und  Confoderationen ,  wie  die  Polen,  sogar  Christus 
nimmt  die  Gestalt  eines  Königs  der  Schlachta-Republik  an,  ganz 
wie  auf  den  alterthümlichen  Bildern  der  ältesten  vlämischen 
Maler. 

Die  Geschmacklosigkeit,  welche  die  allgemeine  Regel  und 
dag  Hauptmerkmal  der  Epoche  bildet,  reäectirte  sich  am  aller- 
stärksten  in  den  sceuischen  Vorstellungen.  Der  Hof  liebte  Mas- 
keraden und  Ballete.  Unter  Johann  Kazimir,  der  mit  der  Erau- 
ZÖÖH  Maria  Louise  verheirathet  war,  gab  eine  französische  Hof- 
truppe  grosse  auf  den  Effect  berechnete  Vorstellungen  von  Schlach* 
ten  und  Erstürmungen.  Im  Jahre  16G1  ward  in  Warschau  um 
Hofe  Corneille's  „Cid"  in  der  Uebersetzung  von  Morsztyn  auf- 
geführt. In  den  Städten  reisten  wandernde  Schauspielertruppen 
umher,  welche  die  Menge  mit  Possen  aus  dem  Volksleben  unter- 
hielten. Aber  diese  Vorstellungen  fanden  keine  Unterstützung  bei 
der  Szlacbta,  welche  selten  die  Städte  besuchte  und  gewöhnlich 
dem  Hof  Opposition  machte.  In  den  Memoiren  Fasek's  hat  sich 
folgende  charakteristische  Nachricht  erhalten:  im  Jahre  1664 
führten  die  Hofschauspieler  eine  Schlacht  der  Eranzosen  mit  den 

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106  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Deutschen  und  die  Gefangennalime  des  Kaisers  auf.  Dieses  Schau- 
spiel gefiel  der  anweBenden  Szlachta,  die  nach  ihrer  Gewohnheit 
bewaffnet,  erschienen  war  und  die  Habsburger  nicht  sonderlich 
liebte.  Sie  begann  den  Franzosen  auf  der  Bühne  zuzurufen,  sie 
sollten  mit  dem  Kaiser  keine  Umstände  machen  und  ihn  schnell 
umbringen.  Die  Schauspieler  standen  ganz  verdutzt  da,  als  einer 
von  den  stürmischen  Zuschauern  den  Bogen  spannt«  und  den 
Kaiser  mit  einem  Pfeil  durchbohrte,  andere  folgten  diesem  Bei- 
spiel und  schössen  auf  beliebige  Schauepieier.  Die  Vorstellung 
wurde  aufgehoben;  die  Zuschauer  gingen,  nachdem  sie  das  Ihre 
gethan,  auseinander;  trotz  aller  Untersuchungen  wurden  die 
Veranstalter  des  Blutvevgiessens  nicht  entdeckt  noch  bestraft. 
Weit  mehr  wurden  von  der  damaligen  Gesellschaft  die  Dialoge 
geistlichen  und  weltlichen  Inhalts  geschätzt,  welche  von  den 
Schulvor&tehern  veranstaltet  vmrden,  und  in  denen  todte  Alle- 
gorien an  die  Stelle  realer  lebendiger  Figuren  traten,  Personi- 
ficationon  abstracter  Begriffe  auf  der  Bühne  erschienen,  im 
Verein  mit  den  Heiligen  der  Kirche  und  den  Gottheiten  des 
Olymp.  Die  Jesuiten  waren  Meister  in  der  Veranstaltung  solcher 
Vorstellungen,  deren  Pracht  sie  zum  Theil  auch  den  Erfolg  ihrer 
religiösen  Propaganda  zu  verdanken  hatten.  Beispielsweise  fuh- 
ren wir  das  Programm  des  Festes  an,  welches  von  ihnen  zu  WÜna 
(4.  März  1604)  aus  Anlass  der  Kanonisirung  des  heiligen  Kazimir 
veranstaltet  wurde.^  Eine  feierliche  Procession  mit  der  Fahne 
des  heiligen  Kazimir  zog  durch  die  Stadt,  an  allen  Hauptpunkten 
stehen  bleibend.  Am  Rudniker  Thor,  das  in  Gestalt  eines 
riesigen  Vogels  aufgeputzt  war,  erschien  eine  Frau  in  tiefer 
Trauer,  die  Stadt  Wilna  darstellend,  welche  bekanntlich  häufig 
von  Seuchen  heimgesucht  wurde.  Diese  Frau  tröstet  sich  damit, 
dass  sie  nach  der  Kanonisirung  des  heiligen  Kazimir  im  Himmel 
einen  zuverlässigen  Fürsprecher  und  Schutzpatron  erhalten  werde. 
Zwei  Engel  mit  Lilien  in  den  Händen  verkünden  ihr,  dass  sich 
ihre  Hoffnungen  erfüllt  haben,  und  dass  die  Heiligsprechung 
vollzogen  sei.  Da  verwandelt  sich  die  Frau  —  Wilna  — 
augenblicklich  in  eine  Kaiserin  mit  Purpur,  Krone  und  Scepter, 
setzt  sich  in  einen  Wagen  und  begibt  sich  nach  der  Stadt,  ihr 
voran  die  Stawa  (RnhmesgÖttin)  mit  einer  goldenen  Posaune  in 
den  Händen.    In  der  Nähe  des  Rathhauses  wird  ihr  Weg  durch 


1  M.  Bftlifiski,  „Dawna  Akademia  Wilonska",  S.  103  (1862). 

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Die  jesuitisohe  Periode.  107 

ein  grosses  Schlo&s  von  Pappe  mit  hoheu  ThürmeQ  gebemnit. 
Vier  Eogel  und  vier  Tugenden:  Tapferkeit,  Massigkeit,  Ge- 
«andheit  und  Gerechtigkeit  führen  nntereioauder  vor  dem 
Schlosse  ein  Gespräch,  womach  dasselbe  anbrennt  und  unter 
Flammen ,  Lärm  und  Flintenschüssen  verschwindet.  Vor  der 
Akademie -Kirche  (des  heiligen  Johannes)  fordert  die  dem  Auf- 
zag vorangehende  Stawa  die  Akademie  auf,  an  der  Feier  theil- 
zanehmen.  Dieee  erscheint,  hegleitet  von  der  Theologie,  Phi- 
losophie, Geschichte,  Beredsamkeit,  Poesie,  Philologie  und  Gram- 
matik, endlich  den  nenn  Musen,  welche  den  Olymp  verlassen 
und  sich  an  den  Ufern  der  Wilia  angesiedelt  haben.  Den  letz- 
ten Theil  des  Festes  bildete  ein  Dialog,  an  dem  sieben  Jünglinge 
theilnahmen,  welche  die  sieben  Hauptkirchen  Wilna's  repräsen- 
tirten. 

Wir  gehen  nun  zu  einem  Ueberblick  der  hervorragenden 
poetischen  Erzeugnisse  der  langen  Uebergangsperiode  über.  Es 
bestand  die  Meinung,  dass  -während  derselben  kein  einziges 
poetisches  Talent  aufgetreten  sei  und  nur  talentlose  Leute  ge- 
wirkt und  geschrieben  hätten.  Von  dieser  Meinung  ist  man  aber 
jetzt  abgekommen;  für  poetisch  unfruchtbar  kann  nur  die  erste 
HäUle  des  18.  Jahrhunderts  gelten,  aber  während  des  ganzen 
17.  Jahrhunderts  hat  die  Poesie  Vertreter,  die  über  dem  Mittel- 
gut stehen,  bemerkenswerth  sowol  durch  die  Kraft  und  den 
Keichthum  der  Gedanken  wie  durch  die  Schärfe  des  Colorits. 
Es  gab  auch  noch  eine  Kritik,  die  Schriftsteller  kennen  ein- 
ander. Merkwürdig  ist  nur,  dass  ihre  Werke  entweder  nicht 
herausgegeben  wurden  (vgl.  „Wojna  Chocimska"  —  „Der  Krieg 
TOQ  Chotin")  oder,  wenn  dies  auch  geschah,  den  Zeitgenossen 
nicht  sonderlich  gefielen,  oder  endlich,  wenn  sie  auch  einige 
Bekanntschaft  erlangten,  dann  doch  von  den  folgenden  Gene- 
rationen vollständig  vergessen  wurden,  als  die  Verderbniss  des 
Geschmacks  die  äusserste  Grenze  erreichte ,  und  die  Gesell- 
schaft nur  am  Gespreizten,  Gekünstelten,  Garricirten  und  Häss- 
Uchen  Vergnügen  fand.  Von  einigen  Dichtern  sind  nur  nackte 
Kamen  übriggeblieben  mit  Angaben,  dass  sie  einmal  hoch- 
geschätzt waren  (Skarszewski  nach  den  Mittheilungen  Kochow- 
Bki's,  Grotkowski  nach  denen  Morsztyn's  u.  a.)  Vielleicht  fin- 
den sich  auch  noch  ihre  Werke.  Von  denen,  die  auch  ihren 
Werken  nach  bekannt  sind,  erscheinen  drei  als  die  haupt- 
rächlichsten;    Wa(Jaw   Potocki,    Vespasian  Kochowski    und 

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108  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

Andreas  Morsztyn;  sie  umgibt  eine  Menge  Dichter  zweiten 
Ranges.  Zwei  Brüder  Zimorowicz,  lemberger  Bürger  arme 
nischer  Herkunit;,  ahmen  im  bukolischen  Genre  den  Szymono- 
wicz  nach.  Der  jüngere  von  ihnen,  Simeon  (1604 — 29),  starb 
früh  und  konnte  sein  Talent  nicht  zur  Eutwickelung  bringen 
(„Roxolanki").  Der  ältere,  Joseph  Bartholomäus  (1597  — 
1628)  verfasate  17  Idyllen,  die  sehr  bemerkenswerth  sind,  weil 
sich  in  ihnen  viele  der  Natur  entnommene  Skizzen  finden,  die 
Sprache  malerisch  und  voller  Provincialismen  ist  (solowej,  whi- 
dyka,  spas,  praznik,  derewnia).  Zwei  Idyllen  („Kozaczyna", 
,, Burda  ruska")  stellen  sich  fast  als  Geschichtsblätter  dar, 
weil  in  ihnen  von  einem  Augenzeugen  der  Feldzug  Chmol- 
nickij's  mit  den  Tataren  nach  ßothrussland,  die  Schrecken  der 
Belagerung  und  Verwüstung  von  Lemberg  dargestellt  werden. 
Zu  derselben  idyllischen  Schule  gehört  Johann  Gawi6ski  aus 
Krakau  (seine  Gedichte  gab  1843  2egota  Pauli  in  Lemberg  her- 
aus). Die  hauptsächlichsten  Kriege  des  17.  Jahrhunderts  und 
die  Gcsandschaftcn  sind  in  ziemlich  schwerfälligen  Versen  in 
zahlreichen  epischen  Gedichten  des  fruchtbaren  Samuel  von 
Skrzypna  Twardowski  (geb.  um  1600,  gest.  nach  1660)  er- 
zählt. Bissige,  gallige  Satiren,  die  sich  nicht  durch  sonderliches 
Talent  auszeichnen,  schrieb  Krzystof  Opaliüski  (1609 — 55), 
Wojewode  von  Posen,  der  sich  tbatsächlich  nicht  um  ein  Haar 
besser  erwies  als  die  von  ihm  verspottete  Gesellschaft;  er  war 
ein  stolzer  Mann,  boshaft,  selbstgefällig,  käuflich,  und  vcr- 
rieth  das  Vaterland,  indem  er  Grosspolcn  in  die  Hände  des 
Schweden  Karl  Gustav  auslieferte.  Fast  alle  polnischen  Dichter 
dieser  Periode  beherrschen  auch  den  lateinischen  Vei-s,  doch  gab 
es  einen  Lyriker,  den  Jesuiten  Matthias  Kazimir  Sarbiewski 
(gest  1640),  einen  Litauer,  Professor  der  Akademie  zu  Wilna 
und  Hofprediger,  der  nur  lateinisch  schrieb,  und  ein  an  Feuer 
und  Kraft  bedeutendes  poetisches  Talent  auf  lyrische  Dichtungen 
in  einer  Sprache  verschwendete,  die  zu  einer  todten  geworden 
war,  naclidem  die  neuern  Nationalsprachen  aufgeblüht  waren. 
Sarbiewski  nimmt  die  erste  Stelle  unter  den  Latinisten  des 
17.  Jahrhunderts  in  Europa  ein;  man  stellte  ihn  mit  Horaz  in 
eine  Reihe  und  studirte  ihn  als  Classiker  lange  Zeit  in  den 
Schulen,  besonders  in  England;  Papst  Urban  VIIL  krönte  ihn  in 
Kom  mit  einem  Lorberkranze.  Die  von  ihm  besungenen  Gegen- 
stände waren   der  Glaube,    die  Kirche  und  der  Krieg  mit   den 

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Die  jesnitiBohe  Periode.  109 

Türken;  wie  alle  polnischen  Dichter  des  17.  Jahrhunderts  ruft 
er  ßein  Volk  und  Europa  zum  Kreuzzug  gegen  die  Türken  auf.' 

Das  charakterigtischste  Dichterwerk  des  17.  Jahrhunderte 
ist  ohne  Zweifel  ein  grosses  Gedicht  in  10  Gesängen:  „Wojna 
Chocimska"  —  „Der  Krieg  von  Chotin",  dae  sich  in  Handschrift 
erhalten  hat  und  erat  1850  herausgegeben  wui-de.' 

Ursprünglich  schrieb  man  diese  Dichtung  dem  Andreas 
Lipski  zu,  Unterwojewoden  von  Sandec,  alsdann  dem  Achatius 
Pisarski,  Starosten  von  Wolbrom;  jetzt  hat  Szajnocha*  nach- 
gewiesen ,  dass  die  Dichtung  Waclaw  P o t o cki ,  Untermund- 
Gchenk  Ton  Krakau,  verfasst  hat,  gehören  um  1622,  gestorben 
um  169G  oder  1697  *,  Verfasser  von  Werken,  die  für  unbedeutend 
galten:  eines  allegorischen  Romans  in  Versen,  entlehnt  aus  Bar- 
clay's  Argenis  (Barclay  schrieb  sie  1582—1611,  die  Bearbeitung 
Potocki'a  ist  1697  herausgegeben),  eines  zweiten  ebensolchen  Ro- 
mans  aus  der  alten  Geschichte  „Syloret",  witziger  Gedichte  unter 
dem  Titel  „Jovialitates",  einer  massigen  religiösen  Dichtung  aus 
dem  Leben  Christi  („Neue  Werbung  zur  alten  Fahne  des  über 
Welt,  Teufel,  Tod  und  Hölle  triumphirenden  Jesu,  des  Sohnes  Got- 
tes" —  „Nowy  zaci^g  pod  cbor^iew  8tar%"  etc.,  herausgegeben 
1690),  eines  Wappenbuchs  in  Versen  („Poczet  herböw")  und  end- 
lieh des  „Krieges  von  Chotin".  —  Die  Schönheiten  des  letztern 
Werks  lenkten  die  Aufmerksamkeit  auch  auf  die  vorhergehenden; 
es  erwies  sich,  dass  in  seinem  Wappenhuch  und  in  der  freien 
Cebcrsetzung  von  Barclay's  Argenis  eine  überaus  grosse  Menge 
werthvoUer  Andeutungen,  Urtheile  und  spitzer  Bemerkungen  über 
Leute  und  Einrichtungen  Polens  im  17.  Jahrhundert  verstreut 
änd.  Der  Verfasser  hasst  die  Wasas,  ist  ein  Feind  Oesterreichs 
und  der  Aasländer,  ein  warmer  Verehrer  Sobieski's  und  seiner 
aotitürkischen  Politik,  ein  entschiedener  Gegner  des  Wahlkönig- 


'  Die  latciniauhe  Poesie  Polens  wäre  ein  todtee  Kapital  geliiiebeo, 
"enn  nicht  ihre  beesem  Werke  in  den  fünfziger  Jahren  von  Ludwig  Kon- 
aratowicz  (Syrokomla)  in  prächtigen  Versen  ülieractzt  worden  wären. 

'  Wojna  Chocimskn,  poemat  Irohatcrnki  jir/x?.  Aiidrzeja  Lipskirgo, 
wjikna  przez  Stnniglawa  Przyleckiego  (Lcralierg  l&'iO). 

'  Szajnouha,  Szkice  HistoFjczne,  IWil. 

'  Ad.  Belcikowski,  „WaoJaw  z  Potoka  Potocki"  (Krakau  1868;  in 
nFnegl^d  polski"). 


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110  Vierte»  Kapitel.    Die  Pol« u. 

thums.'  Was  den  „Krieg  von  Cliotin"  betrifft,  so  bildet  das 
Thema  dieser  Dichtung  eine  der  Episoden  des  Kiesenkampfes 
der  Christenheit  mit  dem  Islam ,  welcher  den  rranzösischeu 
Volksepen  des  karolingischen  Sagenkreises  und  der  Kunst- 
dichtung  Tasso's  den  Uräprung  gab,  und  dessen  letzter  Act  sich 
vor  Wien  in  der  Befreiung  desselben  von  den  Türken  durch  Jo- 
hann III.  Sobieski  abspielte.  Im  Jahre  1620  wurde  den  Polen 
auf  der  Kbene  von  Cecora  bei  Jassy  von  den  Türken  eine  schreck- 
liche Niederlage  beigebracht;  es  fiel  der  Gross-Hetman  Xol- 
kiewski ,  der  Unter-Hetnaan  Koniecpolski  wurde  gefangen  genom- 
men. Im  folgenden  Jahre  1621  schwebte  über  Polen  die  schreck- 
liche Gewitterwolke  eines  türkisch -tatarischen  Einfalls,  Sultan 
Osman  hatte  die  A^bsicht,  in  Krakau  eine  Moschee  zu  errichten 
und  theilte  schon  Polen  in  Paschaliks  ein;  seine  ungeheure  Ar- 
mee umfasste  300000  Mann  aller  Ra^en  und  aller  Nationen  des 
Orients,  150  Kanonen,  eine  Menge  Elephanten,  10000  Last- 
kameele.  Den  türkisch-tatarischen  Ileerhaufen  traten  65000 
Mann  polnischer  und  zaporogischer  Truppen  entgegen,  unter 
Führung  des  altersschwachen  und  todtkranlien  Chodkiewicz.  An 
diesem  Heer,  das  sich  am  Dnestr  an  den  Mauern  des  Cbotincr 
Castclls  verschanzt  hatte,  zerschlug  sich,  wie  an  einem  Felsen, 
in  40  Tagen  die  Woge  des  Heereszugs,  und  ging,  ohne  etwas  aus- 
gerichtet zu  haben,  zurück.  Das  ist  der  Stoff  —  der  nicht  fern- 
lag, sich  noch  frisch  im  Gedüchtniss  erhalten  hatte,  und  sehr 
umständlich  in  den  Memoiren  einer  Menge  von  Zeitgenossen  und 
Augenzeugeu  beschrieben  ist.  An  die  Bearbeitung  des  Gegen- 
standes machte  sich  Potocki  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  zwi- 
schen 1662 — 72  während  der  Ilegierang  Wiäniowiecki's,  als  über 
Polen  wieder  die  drohende  Wolke  eines  Türkenkrieges  schwebte 
und  das  Volk  wieder  von  dem  ritterlicli-religiüsen  Geiste  der 
Kreuzzüge,  welche  sich  bis  zum  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
hinzogen,   beseelt  war.    Sein  Werk  (in  10  Gesängen)   hat  nur 


'  Wie  Chriatua  mit  der  Kirche  und  der  Mann  mit  der  Frau,  so  moss 
mit  dem  König  die  Kepnblik  verbunden  acin.  (Wappeubuch).  „Wonn  hier 
der  König  aue  der  Welt  acheidet,  so  öffnet  man  der  Anarchie  dleThore  des 
InterrefrnuTns;  wer  dann  der  Stärkste  iat,  linfa  am  Beaten,  ...  Bis  die 
Wntil  kommt,  da  laufen  die  Concurreiiteu  Bcbnrenweia  uud  adineiden  die 
Krone  in  Stücke;  die  einen  besticht  man  mit  Veraprechungen,  die  anderu 
mit  baarem  Geld  u.  e.  w." 


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Die  jeBuitiBohe  Periode.  Hl 

die  Form  einer  epischen  Dichtung,  kann  aher  durchaus  nicht 
mit  dem  Volkscpos  verglichen  werden.  Die  Dichtung  ist  oline 
jede  Fabel,  ohne  einen  epischen  Plan,  ohne  jede  Beimischung 
der  beiden  nothwendigen  Elemente  eines  jeden,  classischen  sowol 
wie  mittelalterlichen  Epos:  des  Wundci's  und  der  Frauenliehe. 
Wie  Fotocki  ia  der  Argenis  die  fertige  Arbeit  Barclay's  als 
Grundlage  nahm,  so  halt  er  sich  im  „Cbotiner  Krieg"  blind  an 
die  Memoiren  des  Jakob  Sobieski  (des  Vaters  von  König  Jo- 
hann 111.:  „Gomroentariorum  belli  Cbotinensis  libri  tres")  und 
Terfasste  in  Versen  eine  malerische  Geschichte  des  Krieges,  wo- 
bei er  nichts  hinzuerfand,  sondern  nur  die  Lücken  der  Berichte 
crgÜDzte.  Obwol  der  „Cbotiner  Krieg"  eigentlich  kein  Produkt 
der  Poesie,  sondern  nur  poetisirte  Geschichte  genannt  werden 
kann,  ist  doch  das  Talent  Potocki's  so  gross,  dass  die  von 
ihm  reproducirte  Vergangenheit  lebendig  wieder  aufersteht  mit 
Personen  voll  Leben  und  Bewegung,  in  Bildern  von  schärfstem 
Colorit,  in  originellen,  fesselnden  oder  unterhaltenden  Skizzen, 
sodass  diese  Bilder  in  der  Seele  des  Lesers  die  Gefühle  er- 
wecken, welche  die  Vertheidiger  von  Chotin  beseelten,  und  dass 
wu  einen  der  dramatischsten  und  glänzendsten  Momente,  der 
polnischen  Geschichte  von  neuem  durchleben.  Die  vorwiegenden 
liÜgenscbaften  des  Autors  sind  Humor,  lebhafte  Kmp&ndung  und 
feine  Beobacbung;  deshalb  ist  das  Gedicht  reich  an  prächtigen 
Beschreibungen,  pathetischen  Stellen ',  und  bei  allem  Ernst  seines 
Stoffes  bricht  darin  doch  zuweilen  die  Satire  durch.  Von  Po- 
tocki,  als  eifrigem  Katholiken  des  17.  Jahrhunderts,  darf  man 
freilich  auch  nicht  jene  Objectivität,  jene  vollständige  Unpartei- 
lichkeit gegen  die  Feinde  der  Christenheit  erwarten,  zu  der  einige 
Männer  der  Rennaissancezeit  gelangt  waren.  Bei  ihm  sind  die 
NichtChristen  fast    gar  keine  Menschen,    sie    sind    insgesammt 


'  Wir  fahren  eine  Stelle  &as  der  Apostrophe  dea  Dichten  an  Oott  an 
(pieiiu  I  D.  IL):  „Schaue  her&b,  o  ewiger  Gott,  der  du  einst  den  gerechten 
Zorn  hemmteBt  durch  einen  festeD  Gurt  üher  den  Himmel  und  für  immer 
deia  Arsenal,  von  wo  deine  Donner  über  die  Welt  erdröhDeu,  mit  einem  bunten 
Bcifen  Bohloaaest.  .  . .  Sieh  auf  die  Leuchte  deines  Ruhmes,  die  in  diesem 
Beithe  DnverlöschUch  zu  deinem  Preise  Sammt.  Uud  wenn  auch  dichte 
Schnuppen  durch  unser  böses  Wesen  und  unsere  Laster  sie  in  deinen  Angen 
Terdonkeln,  so  putze  sie  ah,  du  hast  die  Schecre  der  Gnade  in  der  Handj 
diu  du  sie  nicht  auslöschest,  hoffen  wir  bei  den  Leiden  Christi." 


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112  Vierte«  E&piUl.    Die  Polen. 

Uebelthätor  und  Taugenichtse,  ihi-e  Leiden  and  ihr  Untei^ang 
erwecken  kein  Mitleid;  der  Dichter  beschreibt  mit  Ei^Ötzen 
{6.  Gesang),  wie  Schlachtrosse  in  Haufen  von  Menschenfleisch 
stecken  bleiben,  wie  geronnenes  Blut  wie  Gallert  zittert,  wie  sich 
Sterbende  in  ihren  eigenen  Gedärmen  yerwickeln,  Potocki  thut 
sich  überhaupt  auch  seinen  eigenen  Landsleuten  gegenüber 
keineQ  Zwang  an,  er  bemitleidet  ironisch  den  Königssohn 
Wladyeiaw,  der  am  Fieber  litt  und  die  ganze  Zeit  im  Zelte  lag, 
und  die  von  ihm  geworbenen  deutschen  Söldlinge,  welche  Tom 
übermässigen  Genuss  moldauischer  Melonen  erkrankt  waren:  „wirf 
das  Fieber  ab",  ruft  er  Wtady^aw  zu,  „gedenke,  du  Alexander, 
dass  Darins  an  deinem  Kopfkissen  steht,  lege  den  Eisenpanzer 
an,  besteige  den  Bucephalus,  der  vor  dem  Zelte  steht,  Mars 
wird  dich  heilen  durch  Blut  oder  Schweissl  Es  ist  eines 
Führers  unwürdig,  mit  fremden  Federn  zu  prunken,  ohne  das 
Pferd  bestiegen  oder  den  Türken  gesehen  zu  haben."  Potocki 
spottet  giftig  über  die  verweichlichten  Stutzer,  denen  der  Panzer 
zu  schwer  ist,  und  die  nicht  mögen,  dass  der  Helm  ihre  poma- 
disirte  Fiisur  drucke;  er  verhöhnt  die  Buchpolitiker  und  die 
Stubenhocker.  Sigismund  IH.  schonte  er  weniger  als  andere; 
mit  wenig  Strichen  ist  die  dürre,  schweigsame,  hochmüthige  Fi- 
gur des  eigensinnigen  Königs  vorzüglich  gezeichnet,  der  sich  in 
der  Gegend  von  Lemberg  mit  der  Jagd  vergnügt,  ohne  sich 
irgendwie  zu  beeilen,  seinem  erschöpften  Kriegsheer  Hülfe  zu 
bringen. 

„Eile,  eile,  Sigismund,  in  vier  Wochen  kannst  du  deine  Trup- 
pen an  der  Dooan  aufstellen!  Eile,  wie  ein  Adler  schwebe  über 
Podolien  hin,  im  Herbst,  so  Gott  will,  wirst  du  schon  in  Kon- 
stantinopel sein."  Aber  der  König  vernimmt  es  nicht,  er  fährt 
fort  Krieg  za  führen  nicht  mit  den  Händen,  sondern  mit  den 
Ohren  (9.  Gesang):  „Das  ist  eben  die  Krankheit  aller  Könige, 
dass  sie  am  liebsten  die  Hathschläge  der  Maitressen,  der  Zwerge, 
der  Geiger,  der  Schmeichler  und  überhaupt  solcher  Personen 
hören,  die  nicht  drei  Worte  reden,  ohne  dass  ein  Privat- 
interesse damit  verknüpft  sei."  Das  vom  König  im  Stiche  ge- 
lassene Heer  schloss  einen  Wafl'cnstillstand  mit  den  Türken;  mit 
dem  Original  dos  Vertrags  ward  der  Priester  Szoldrski  zu  Sigis- 
mund gesandt,  „der,  eben  mit  der  Hasenjagd  beschäftigt,  die 
Nachricht  über  den  Krieg  wie  ein  Märchen  anhört,  an  einem 
Orte  mit  hunderttausend  jungen  Sannaten  still  sitzt  und  wartet 


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Die  jesuitisclie  Periode.  113 

laf  die  Grosspolen,  wie  eine  Ente  mit  jiingen  Küchlein  ihre  Noth 
hat  und  nicht  mit  ihnen  übereinkommen  kann,  da  sie  schwimmt, 
während  jene  laufen."  ....  Als  ihm  Szoldrski  den  Vertrag  vor- 
gelesen, wurde  der  König  zornig,  und  rief,  den  Säbelgriff  fassend, 
ärgerlich  aus:  „mich  haben  sie  nicht  erwartet  mit  diesen  Trnppen 
hier,  haben  eich  erkühnt,  ohne  mir  mit  Oeman  in  Unterhandlung 
in  treten,  den  Herrn  zu  spielen  ohne  den  Herrn  zu  fragen!  (Hier 
Hi^hlug  er  ärgerlich  mit  dem  Hut  auf  den  Tisch).  Ich  weiss  nicht, 
Toroit  sich  Wladyslaw  und  Lubomii'ski  vor  mir  entschuldigen  wer- 
den? Ich  eile  den  Türken  nach,  es  werden  sie  weder  die  Donau 
noch  die  schneeigen  Balkanketten  vor  mir  verbeten;  wenn  der 
Szlachta  der  Krieg  nicht  hehagt,  wie  ich  mich  davon  überzengt 
habe,  so  gehe  ich  selbst  und  wäre  es  nur  mit  einem  Söldnerheer." 
—  In  solcher  Weise  wiithet  der  König,  im  Zimmer  auf  und  ah 
schreitend,  aber  eigentlich  ist  er  innerlich  über  die  Massen  froh, 
dass  er  morgen  nach  dem  beliebten  Warschau  zurückkehrt, 
Uebrigens  verbirgt  er  diese  Freude  sorgfältig,  ruft  Friedrich,  be- 
fiehlt ihm,  die  Landsknechte  zum  Marsche  bereit  zu  halten,  nach- 
Tosehen,  ob  jeder  von  ihnen  &lbel,  Pulver,  Flinte  und  Lunte  hat. 
„Länger  darf  nicht  gezögert  werden,  ich  raste  nicht,  bis  ich 
mm  Hellespont  gelange".  Halt,  König,  jetzt  ist  Zeit  zu  schlafen, 
nicht  Krieg  zu  fuhren.  Bald  war  der  König  in  seinem  Zorne 
Ton  Bobola,  dem  königlichen  Unterkämmerer,  in  Schlaf  ge- 
lullt 

Helden,  auf  welche  sich  das  Interesse  der  Dichtung  concen- 
trirte,  gibt  es  nicht;  als  hervorragende  Personen  erscheinen  der 
Cnter-Hetman  (Sahajdaßnyj)  mit  seinen  Zaporogem,  der  ergraute 
Chodkiewicz,  der  tapfere  Lubomirski  und  besonders  die  alte,  kräf- 
tige Szlachta  mittleren  Ranges,  die  sich  beim  König  nicht  um  reiche 
Stsrosteien  bewarb,  unentwegt  den  altväterlicJien  Gewohnheiten 
folgte,  and  immer  bereit  war,  aus  Pflicht  gegen  Gott,  für  den 
Glauben  und  für  das  Vaterland  das  Leben  zu  opfern.  Den  schönen 
Typus  einer  solchen  Szlachta  hat  der  Dichter  in  dem  alten  Husaren- 
rottmeister  Johann  Lipski  dargestellt,  der  mit  vier  stattlichen 
Söhnen  unter  einem  Fähnlein  kämpft,  der  Chodkiewicz  räth,  alle 
IM  hängen,  die  an  einen  Rückzug  denken,  und  der  so  zerstochen 
nnd  zerhauen  ist,  dass  or  von  vorn  keine  neue  Wunde  mehr  em- 
pfangen kann,  die  nicht  einen  der  vielen  Hiebe  gestreift  hätte, 
mit  welchen  sein  Körper  bedeckt  ist.  Dieser  Johann  Lipski 
spricht,  mit  Stolz  auf  seine  Wunden  weisend:   „das  sind  meine 

Pim,  BUTlHh*  LltwatSHB.    11,1.  g 

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114  ViertcB  Kapitel.    Die  Polen. 

Wappen,  das  sind  meine  rothen  Srzemawen ',  mit  ihnen  verde 
ich  AUS  dem  Grabe  aufergtehen  auf  das  Signal  der  Posaune  des 
Erzengels  zur  Generalrevue  aller  Verstorbenen,  und  wenn  ich  sie 
zeigen  werde,  80  wird  mir  der  heilige  Heerföbrer  (d.  i.  Gbristus) 
das  Indigenat  im  Himmel  verleihen." 

Wir  Bcbliessen  die  WUrdigung  der  Dichtung  mit  den  troffeDdon 
Worten  Belcikowski's  (S.  59):  „Das  strenge  Gewissen  Hess  keine 
willkiirlicben  Erfindungen  zu;  alles,  was  auf  den  Blättern  der 
Geschichte  geschrieben  war,  nahm  der  Dichter  zu  Herzen,  er- 
wärmte es  durch  die  Phantasie  und  sang  nicht  eine  Epopöe,  der 
seine  Kräfte  nicht  gewachsen  waren,  sondern  eine  Siegeshymue, 
eine  Art  Findar'schen  Faean,  etwas,  was  Epos  und  Lyrik  in  sich 
fasst.  Mit  diesem  doppelten  Sinne  hat  Potocki  den  Grundfehler 
seines  Werkes  gutgemaclit  und  das  unpoetisch  Begonnene  ward 
von  ihm  poetisch  ausgeführt." 

Es  ist  nicht  lange  her,  dass  man  W.  Potocki  überhaupt  noch 
nicht  kannte;  sein  Zeitgenosse,  Hieronymus  Vespasian  Mieczuja- 
Kochowski^  war  bekannt,  kam  aber  dann  in  Vergessenheit, 
weshalb  er  auch  nicht  nach  Gebühr  gewürdigt  worden  ist.  In 
der  letztern  Zeit  hat  man  ihm  besondere  Aufmerksamkeit  zu- 
gewandt, nnd  in  ihm  den  allseitigen,  charakteristischen  Ver- 
treter des  17.  Jahrhunderts  erkannt,  der  ausserdem  noch  die 
Keime  der  Ideen  und  Cicbtungeu  hegte,  die  in  der  Literatur 
ci'st  hundert  Jahre  später  in  der  poluischen  Romantik  zu  Tage 
traten.  Geboren  in  der  Landschaft  Sendomir  (zwischen  KiSO 
und  1633),  studirte  Kochowski  auf  der  Akademie  zu  Krakau, 
vertauschte  aber,  ohne  den  Cursus  beendet  zu  haben,  die  Feder 
mit  dem  Säbel  und  führte  (1651— C3)  das  abenteuerliche  Leben 
eines  Soldaten,  nahm  an  allen  Kosaken-  und  Schwedonkriegen 
theil.  Die  Verwegenheit  des  Kriegers,  seine  Entschlossenheit 
und  Ungebundenheit  im  Verkehr,  seine  Geschicklichkeit,  alle 
Vergnügungen  des  Lebens  im  Fluge  zu  erhaschen,  kamen  in  küh- 
nen Liedern  zum  Ausdruck,  die  immer  fröhlich  und  scherzhaft, 
oft  sehr  ausgelassen  waren.  Die  freien  Stunden  und  die  Lange- 
weile des  Lagerlebens   versUsste    die  Muse,   „nicht  die  attische 


'  Srzeniawn  igt  ein  weisser  Fluas   in   i'othem  Felde,    einn  der   hckann- 
testen  poloisoheii  Wappen. 

*  Adam  Kz^iewski,  „Hieroüjm  Wespazyan  Kieoiujn  z  Koohowa  Ko- 
.chowski"  (Warschau  ,1871,  U(i  S.) 


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Die  jesuitiBche  Periode.  115 

JuDgfrsu,  sondern  die  Slavin",  übrigens  wird  diese  Muse  nur 
ans  fiescheidenheit  schlicht  genannt,  nicht  nmsonst  hatte  er 
Mythologie  studirt;  er  prunkt  damit,  dase  er  fast  jedes  Stück 
mit  Bnchgelehraamkeit  beginnt,  indem  er  I'höbus,  die  Fieriden, 
den  ganzen  classiscben  Olymp  vorführt.  Der  unterschied  zwi- 
schen ihm  und  den  Humanisten  des  16.  Jahrhunderts,  z.  B.  Ko- 
chanowski  besteht  darin,  daas  sich  die  letztern  den  Inhalt  und 
nicht  blo8  die  Formen  der  antiken  Poesie  aneigneten,  und 
sich  zu  den  Göttern  des  Olymp  wie  zu  realen  Glaubenswesen 
Terhielten,  die  eben  mittels  des  Studiums  wieder  erweckt  wur- 
den, während  bei  Kochowski  diese  Gottheiten  nur  Worte  sind, 
conveationelle  Zeichen ,  trockene  Allegorien ,  die  jedoch  die 
Poesie  nicht  entbehren  darf,  weil  sich  diesen  Leuten  die  Poesie, 
eine  gelehrte  Unterhaltung,  gewissermassen  als  eine  Festung 
darstellte,  statt  der  Wälle  und  Kanonen  mit  den  Namen  der 
Götter  Griechenlands  und  Roms  ausgerüstet  (llzi{Kewski,  71), 
—  zu  der  nur  Zutritt  hatte,  wer  diese  Mythologie  verstund. 
Diese  poetische  Phraseologie  ohne  realen  Inhalt  verbindet  sich 
in  der  sonderbarsten  Weise  mit  den  christlichen  Glaubens- 
Tor»tellungen  des  Dichters.  Kochowski  ist  römischer  Katholik, 
nnd  zwar  ein  Katholik  des  17.  Jahrhunderts,  welcher  der  Auto- 
rität der  Kirche  wie  ein  Soldat  dem  Commando  folgt,  jede 
Freisinnigkeit  vie  eine  Sünde  meidet,  sich  der  Ketzerei  gegen- 
über wie  ein  Spanier  verhält.  lu  der  Schlacht  verwundet,  schrieb 
er  diese  Wunde  der  Kleingläubigkeit  zu,  die  er  dem  blutr 
schwitzenden  Kreuze  im  Dome  zu  Gnesen  gegenüber  bewiesen 
hatte  (Lirjki ,  16,  16).  In  seinen  „Liryki"  {II,  25)  findet  sich 
eine  Ode  auf  eins  der  beklagenswerthesten  Ereignisse  —  die 
Vertreibung  der  Arianer  („Bando  na  Aryany";  hebe  dich  weg, 
babylonische  Kupplerin,  liederliches  Weib,  Verderben  des  sar- 
matischcn  Thrones,  ewige  Schande  des  Vaterlandes  ,  .  .),  Dieser 
Glaube  ist  sinnlich,  macht  sich  den  Menschen  nicht  durch  ab- 
Btracte  Begriffe  unterfchan,  sondern  durch  starke  Bilder,  welche 
auf  die  Nerven  wirken.  Ein  beträchtlicher  Theil  der  Gedichte 
Kochow&ki's  ist  religiösen  Inhalts.  Er  verfasste  einen  „Garten  der 
Jungfrau"  zu  Ehren  der  Gottesmutter  („Ogrod  panienski  etc."), 
schreibt  die  „Leiden  Christi"  („Chrystus  cierpi^cy"),  eine  lange 
Dichtung  von  ÖOOO  Versen  nach  dem  Evangelium  —  ein  grob- 
triviales Epos,  das  leidenschaftlich  alle  Wunden  und  Narben  am 
Körper  des  Gekreuzigten  dai-stellt,   aber  gleich   daneben  auch 


.....Gooj^lc 


1  IG  Viertes  Kapital.    Die  Polen. 

PhöbuB,  die  ErinDyen,  Acheron  und  den  ganzen  Plunder  der  clas- 
sischen  Gemeinplätze  in  die  Dichtung  einführt.  Satirische  Kleinig- 
keiten (Fraszki),  Bilderchen  voll  Witz  und  Bcherzendcr  Fröhlicb- 
keit,  erotische  Verse  und  religiöse  Gedichte  bilden  den  kleinern 
Thcil  der  Werke  Kochowski's ;  er  war  ausserdem  auch  Burger  nnd 
Patriot  und  es  ging  kein  Sieg,  keine  Königswahl,  kein  Feldzug, 
kein  Reichstag,  keine  Contoderation  vorüber,  ohne  dasB  er  in  kräf- 
tigen und  klangvollen  Versen  die  Gefühle  der  mittleren  Szlachta 
ausgedrückt  hätte,  die  in  den  Momenten  patriotischer  Begeisterung 
noch  fähig  war,  grosse  Dinge  zu  verrichten  und  durch  vereinte« 
Wirken  die  Bepublik  aus  den  sie  von  allen  Seiten  bedrohenden 
Gefahren  zu  retten.  Er  stand  tapfer  auf  der  Seite  Johann  Kazi- 
niir's  und  hasste  das  kosakische  Leibeigenen-Gesindel  mit  seinem 
ukrainischen  Spartacus — Chmel  (Chmelnickij),  nannte  dies  Volk 
ein  Kainsgeschlecht  („Lyricorum  epodon",  12).  In  der  Folge 
wirkte  Kochowski  sammt  der  Mehrheit  der  Szlachta  dem  König 
und  der  französischen  Partei  am  Hofe  entgegen,  die  sich  be- 
mühten, die  Wahl  Conde's  zum  König  im  voraus  zu  sichern.  In 
der  Sache  Lubomirski's  betrachtete  er  diesen  als  Märtyrer  und 
schrieb  zu  seiner  Vertheidigung  ein  ganzes  episches  Gedicht: 
„Der  Stein  des  Zeugnisses"  („Kamiei'i  swiadectwa").  Er  er- 
wartete das  Heil  für  Polen  von  der  Wahl  der  beiden  Piasten; 
nachdem  er  sich  augenscheinlich  in  Wiäniowiecki  verrechnet, 
wurde  er  bis  zum  Ende  seines  Lebens  der  treucste  Anhänger 
Johann  Sobieski's,  der  ihn  zur  Belohnung  für  seine  historichen 
Arbeiten  („Annalium  Poloniae  ab  obitu  Vladislai  IV.  climacte- 
rcs  tres")  zum  königlichen  historiographus  privil^iatus  machte. 
Den  König  vereinte  mit  Kochowski  das  gemeinsame  Gefühl  des 
Hasses  gegen  die  Türken  und  das  Bewusstsein  der  religiösen 
Pflicht,  Krieg  gegen  die  Muselmanen  zu  fuhren.  Schön  ist  der 
Gram  des  Dichters  über  den  Verlust  von  Kamieniec.  Es  war 
ihm  vergönnt,  die  Befreiung  von  Wien  mit  eigenen  Äugen  zu 
sehen,  die  er  auch  mit  Greisenhand  in  seiner  letzten  Dichtung 
darstellte  („Das  Werk  Gottes  oder  Lieder  des  befreiten  Wien" 
—  „Dzi^o  Boskie  n.  s.  w.").  Kochowski  starb  1699,  nachdem  er 
die  Rückgabe  von  Kamieniec  durch  den  Karlowitzer  Vertrag  noch 
erlebt  hatte.  Ehe  wir  von  ihm  scheiden,  muss  noch  eins  seiner 
Werke  erwähnt  werden,  das  aus  einzelnen  Stücken  bestehend, 
nnter  dem  Einfiuss  häuslicher  sowol  als  politischer  Ereignisse  der 
letzten  Lebensjahre,  als  der  Verfasser  zu  Ende  der  sechziger  und 

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IM«  jesaitiaohe  Periode.  i\^ 

AnfaDg  der  siebziger  Jahro  stand,  geBchrieben  ist;  es  ist  dies  die 
sogeBannte  „Polnische  Psalmodie"  („Psalmodya  polska",  1693), 
35  Psalmen,  in  Prosa,  in  biblischem  Stil  mit  Nachahmung  der 
Psalmen  Davids.  Um  dieses  Werk  zu  verstehen,  wollen  wir  uns 
im  Geiste  auf  das  Stammgut  des  Dichters,  das  Dorf  Goleniewa 
im  Krakauiscfaen  versetzen;  hier  schreibt  er  seine  Annalen,  baut 
ein  Armenhaus  für  seine  Bauern,  hier  besingt  er  das  bescheidene 
Leb«n  des  Landmanns:  „Ich  danke  dir,  Herr,  dass  du  mir  Brot 
lor  Genüge  gegeben  hast  etc."  In  dieser  Einsamkeit  beobachtete 
der  Dichter  •  Historiker  den  Verlauf  der  Öffentlichen  Angelegen- 
heiten, schalt  die  Landboten,  welche  die  Reichstage  sprengten,  die 
Verweichlichung,  die  Völlerei  und  den  Luxus  der  Zei^enossen,  kam 
za  dem  für  seine  Zeit  merkwürdigen  Schluss,  dass  der  Ueberfluss 
selbst  eines  Gutes  wie  die  Freiheit,  schädlich  sein  könne.  •  Je  älter, 
desto  melancholischer,  desto  ernster  wurde  Kocbowski;  er  trennte 
nch  von  der  Mythologie,  entsagte  allen  weltlichen  Motiven,  be- 
geisterte sich  allein  an  der  Bibel  und  schüttete  in  Nacbafamungen 
da  alttestamentlichen  Propheten  alle  seine  Leiden  und  Besorg- 
lÜBse  und  sprach  zugleich  seine  Auffassung  der  Zukunft  seines 
Volkes  aus.  Er  fühlt,  dass  man  den  Staat  nicht  auf  den  frühem 
Stand  bringen  könne;  „wir  sind  zusammengeschrumpft",  sagt  er, 
„wie  die  Haut  am  Feuer  oder  wie  Blut,  das  sich  zum  Herzen 
ergiesset"  (VIII).  Er  stellt  sich  die  Frage,  worin  die  Schuld 
Polens  bestehe,  und  findet  keine  Erklärung  (XIV);  daraus  ent- 
springt sofort  die  Annahme,  dass  die  vollendete  Freiheit,  wie 
sie  bestehe,  Hass  erzeuge,  und  dass  die  freiheitsliebende  Ge- 
sdlscbaft  von  Feinden  umgeben  sei,  die  darnach  streben,  diese 
Freiheit  zu   unterdrücken,  über  die  nichts  in  der  Welt  gehe; 


'  LjT.  I,  16:  Lieb  üt  mir  die  Freiheit,  ich  bin  in  ihr  geboren,  ich 
e  mich  mit  ihr  and  bin  atolz  aof  sie,  aber  ich  muBS  sie  so  brauchen, 
du9  ich  nicht  dem  Vaterlande  schade.  .  .  .  Freund  deines  Vaterlandes, 
Sirmat«,  gehe  mit  diesem  Edelstein  so  um,  jetzt  nnd  später,  dass  sich  die 
Arniei  nicht  in  Gift  verwandle. 

„Fraezki";  Diiit  et  facta  sunt:  Gott  erschuf  durch  ein  Wort  (es  werde) 
"üe  Welt,  aber  auch  wir  zerstören  durch  ein  Wort  (veto)  Polen. 

nPiertcten  wolnoici"  („der Ring  der  Freiheit");  Im  Binge  ist  Gold,  im 
CoHe  die  berühmte  Perle  der  Kleopatra,  aber  in  dieser  Perle  iet  Gift  ver- 
bargen.  Daa  Gold,  das  ist  die  (polaiscbc)  Krone,  die  Perle,  das  ist  die 
Freiheit  dieses  Vaterlandes;  hütet  euch,  dass  sich  in  dieser  Perle  nicht 
Gift  finde. 


.....(^lOOglc 


118  Vii-rle3Kfti>itpl.    Die  Polen. 

aber  die  Freiheit  sei  Gottes  Werk,  und  da  Gott  für  dieselbe 
sorge,  gestatte  er  nicht,  dass  sie  untergehe  (VII).  In  diesen 
mystischen  Prophezeiungen  und  Lehren  stecken  schon  alle  Keime 
des  polnischen  Messianismus,  der  eich  in  der  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts zu  einer  vollständigen  religiös-pliilosophisehen  Theorie 
entwickelte. 

üiis  Geschlecht  der-Morsztyn  stammt  von  krakauer  Bür- 
gern ab.  In  der  polnisclien  Literatur  des  17.  Jahrhunderts  ßndeu 
sich  mehrere  Personen  dieses  Namens;  eine  von  ihnen,  Hicro- 
Qymns,  Trucheess  von  Biala,  schrieb  eine  allegorische  Dichtung 
in  erotischem  Genre  „ftwiatowa  rozkosz"  („Die  Wonne  der  Welt", 
160*V);  ein  anderer,  Stanislaw,  Wojewodc  von  Mazuren,  über- 
setzte Raciue's  „Andromache" ;  aber  weit  tiilentvoller  und  bedeu- 
tender als  diese  war  Andreas  Morsztyn  (geb.  um  1(120,  ge- 
storben zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts),  ein  gewandter  Hof- 
manu,  Liebling  der  Marie  Louise,  welcher  von  Jobann  Kaziiiiir 
1608  auf  den  wichtigen  und  eiulriiglichen  Porten  eines  Kronunter- 
sühatzmeistcrs  (Finanzmini^tcrs)  erhoben  wurde.  Alle  Moi-sztyus 
waren  der  Erziehung,  dem  Geschmack  und  den  Neigungen  nach 
stark  französisirte  Polen,  Vorläufer  der  Itichtung,  welche  in 
der  folgenden  Periode  zur  herrschenden  wurde.  Morsztyn  war 
eine  der  kräftigsten  Stützen  der  französischen  Partei,  die  bei 
der  Szlachta  sehr  unpopulär  war.  Im  Jahr  Iü84,  als  die  Be- 
ziehungen des  Königs  Sobieski  zu  Ludwig  XIV.  die  schlechtesten 
waren,  ward  Morsztyn  angeklagt,  dass  er  fast  im  Dienste  des  fran- 
zösischen Königs  stehe;  infolge  dessen  musstc  er  Polen  verlassen 
und  siedelte  sich  in  l'rankieich  an,  wo  er  sich  ein  Gut  kaufte 
und  den  Titel  eines  Grafen  de  CItateauvillaiu  trug,  Moi-sztyn 
druckte  seine  Werke  nicht,  er  scliiekte  sie  nur  an  seine  Bekann- 
ten herum;  ein  grosser  Theil  seiner  Gedichte  ist  bisjetzt  noch 
nicht  herausgegeben.  Als  echter  Vertreter  seiner  Zeit,  die 
das  Galaute  mit  dem  ßcligiösen  zu  vereinigen  wusstc,  bietet 
er  in  seinem  schönen  ascetischen  Gedicht  „Die  IJusse"  („Po- 
kutii")  ein  Beispiel  von  Zerknirschung  und  Sclbstgeissclung. 
Ausser  einer  Uebersetzung  von  Corncille's  „Cid"  (die  noch  jetzt 
für  nmstorhaft  gilt)  schrieb  er  in  leichtem  Vers  mit  eleganter 
Einfachheit,  fern  von  jeder  Pedanterie,  die  einen  Hauptmangel 
der  Werke  Kocbowski's  und  seiner  Zeilgenossen  bildet,  die  schöne 
Erzählung  „Psyche".  Als  Grundlage  diente  ihm  der  griechische 
Mythos   iu  der    italienischcu  Bearbeitung,    welche  derselbe   iu 

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Die  jeauitisehe  Periode.  119 

einem  Gesänge  von  Marini'e  Dichtung  „Adonis"  empfangen  hatte. 
Aber  Morsztyn  arbeitete  das  italienische  Master  um,  und  wasste 
TJele  witzige  Anspielungen  einzufügen,  die  sich  auf  die  Gesell- 
scliafl  jener  Zeit  und  die  damaligen  politischen  Ereignisse  be- 
zogen.' 

Wir  gehen  zur  Prosa  über.  In  der  gegenwärtigen  Periode 
kamen  nur  die  Zweige  derselben  zur  Blüte,  welche  die  engste  Ver- 
bindung mit  dem  sehr  activen,  wenn  auch  ziemlich  unfruchtbaren 
politischen  Leben  des  Volkes  hatten.  Die  polnische  Geschichts- 
schreibung des  17-  und  der  ersten  Hälfte  des  18-  Jahrhunderts 
wendet  wie  in  frühem  Zeiten  zwei  Sprachen  an:  die  lateinische, 
und  die  polnische  und  umfasst  zweierlei  Arten  von  Werken:  Ver- 
suche von  pragmatischen  Darstellungen  ganzer  Regierungen  oder 
g&Dier  Perioden  aus  dem  politischen  Leben  des  Volkes  in  zusam- 
menhängender Erzählung  nach  den  Quellen  und  Memoiren  über 
einzelne  Zeitabschnitte.  Die  Werke  der  erstem  Art  sind  alle, 
ohne  Ausnahme  lateinisch  geschrieben;  die  polnische  Geschichts- 
schreibung, welche  bei  Bielski  und  Stryjkowski  polnisch  zu 
sprechen  begann,  legte  wieder  lateinisches  Gewand  an.  Die- 
Hemoiren  sind  fast  sämmtlich  in  polnischer  oder  besser  gesagt 
in  einer  maccaroniscben  Mischsprache  geschrieben.  Die  be- 
lunntesten  Schriftsteller,  welche  den  Namen  von  Historikern 
verdienen,  waren:  Paul  Piasccki  (1580 — 1649),  Bischof  von 
Przemysl,  bemerkenswerth  durch  seine  religiöse  Toleranz  und 
Feindschaft  gegen  die  Jesuiten;  er  beschrieb  die  Regierung. 
SigiGmnnd's  III.  und  Wladyslaw's  IV.;  ferner  der  uns  schon  als 
Dichter  bekannte  Vespasian  Kochowski,  der  die  Regierung  Jo- 
hann Kazimir's  und  Michael  Wiäniowiecki's  in  vior  Büchern  be- 
schrieb, welche  er  „Climacteres"  nannte,  weil  jedes  dieser  Bücher 
die  Ereignisse  von  7  Jahren  in  sich  fasst.  Dieses  grosse  Work, 
isü  lebhaft  und  gefällig  geschrieben  ist,  bildet  die  Hauptquelle 
fdr  die  zweite  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Laurentius  Ru- 
dawski,  ein  in  den  Adelsstand  erhobener  Bürger,  Kanonikus 
in  Warschau,   ein   so   grosser  Anhänger  Ocsterreichs ,    dass    er 


'  .^uilrzoj  Muntztj'U,  uiu  Aul'autz  vuu  Pi-uftiSBur  Autun  Malecki  ia  J. 
Otrjzku'u  „PiBiuu  zbiuruwe",  I,  aW.  St.  Ptturabtii-g  1859.  Eiu  Aufsatz  von 
PrufcBsur  Sehriug  iu  der  „Bililiulcka  Waraziiwskii",  1Ö7G.  -  Die  Artikel 
von  Titus  äwideraki  im  lemberger  Jonmiil  „Przewodnik  iiaukowy  i  lite- 
«eki-  fnr.1878. 


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120  Vieites  Kapitti.    Diu  l'olcn. 

bereit  war,  ganz  Polen  den  Interessen  des  Hauses  llabsbiu^, 
vor  dem  er  sich  knechtisch  beugte,  zu  opfern,  beschrieb  die  Er- 
eignisse von  der  Xhionbesteigung  Johann  Kazimir's  biü  znm 
Frieden  von  OHwa  (1648— GO);  sein  Werk  ist  dadurch  wichtig, 
dasa  es  eine  Würdigung  derjenigen  Ereignisse  vom  monarchiBcheu 
Standpunkte  aus  enthält,  welche  Kochowski  vom  altadeligeu  Stand- 
punkte beschrieben  hat.  Mit  Kochowski  ueigt  sich  die  Kunst 
dee  historischen  Erzählens  sichtlich  dem  Verfall  zu.  Das  Niveau 
der  politischen  Bildung  sinkt  schnell,  die  Charaktere  verflachen, 
die  politischen  Ereignisse  werden  weniger  interessant,  zugleich 
nimmt  das  Verständniss  für  den  allgemeinen  Zusammenhang 
derselben  und  ihre  Abhängigkeit  voneinander  ab.  Statt  einer 
historischen  Erzählung  hinterliess  der  Bischof  von  Ermelaod 
und  Kanzler  Andreas  ChrjBostomus  Zaluski  (gest.  1711)  fiinf 
grosse  Bände  seiner  Correspondeuz  („Epistolae  historico-&milia- 
res"),  ein  werthvoUes  aber  ganz  rohes  Material.  Der  Mangel  au 
historischer  Kritik  wird  theilweise  durch  eine  überaus  grosse 
Fülle  der  mannichfaltigsten  Memoiren,  Tagebücher  und  Be- 
merkungen ersetzt,  in  denen  die  Zeitgenossen  alles  das  auf- 
Bcbrieben,  was  sie  persönlich  betraf  oder  was  mit  ihnen  selbet 
vorgegangen  war,  wobei  sie  auf  Schritt  und  Tritt  auch  die  allgemei- 
nen politischen  Ereignisse  berühren.  Diese  überaus  reiche  Fund- 
grube der  Geschichte  ist  erst  vor  kurzem  entdeckt  und  erst  zu 
einem  kleinen  Theil  ausgegraben;  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
liegt  die  grösste  Hälfte  derartiger  Memoiren  noch  verborgen, 
um  das  ganze  Interesse  derselben  in  dieser  Periode  zu  verstehen, 
muss  man  sich  vergegenwärtigen,  dass  freie  Institutionen,  wie  die 
polnischen,  eine  bedeutende  Lebensfähigkeit  haben,  dass  der  be- 
harrliche Glaube  an  sein  politisches  Ideal,  die  erstaunliche  Stand- 
hafligkeit  in  den  schwierigsten  Verhältnissen,  die  Uebung  der 
Individuen,  auf  jeden  Aufruf  im  Namen  des  bedrohten  Vaterlandes 
sich  in  Massen  zu  gruppiren,  den  Sitten  des  Szlachtastandes  einen 
in  hohem  Grade  epischen  Charakter  verlieh.  Stellen  wir  uns 
vor,  dass  auf  diesem  Untergrunde  des  Bildes  die  herrschsüchtigen 
Pläne  der  Könige,  die  Ränke  der  nach  Popularität  haschenden 
Magnaten,  die  ins  Innere  der  Republik  dringenden  Einflüsse  aus- 
wärtiger Staaten  gezeichnet  sind;  dass  sich  das  öffentliche  Leben, 
höchst  geräuschvoll  und  geschäftig,  in  endlosen  Landtagen, 
Reichstagen,  Conföderationen ,  beim  Klange  der  Becher,  beim 
Rasseln  der  Säbel  und  beim  Klirren  des  Stahls  abspielt,  —  und 


ü,g :.._..  .,(^iÜOglC 


Di«  jofniitisohe  Tetiode.  121 

wir  werden  leicht  begreifet),  welch  reicheB  Material  fiir  den  Zu- 
Ecbaner  die  polnische  Gesellschaft  des  17.  Jahrhunderts  bot. 
Die  Aufgaben  des  Lebens  waren  bei  weitem  geringer  als  im 
16.  Jahrhundert,  die  Ziele  der  Menschen  beschränkter  und  egoisti- 
scher, aber  das  Leben  floss  in  breitem  Strome  geräuschvoll, 
maiiDichEaltig  dahin.  Mit  dem  Verfall  der  Bildung  verüchwaud 
du  Geschlecht  der  grossen  Beobachter,  welche  das  Leben  der  Go- 
BcUschaft  in  allen  seinen  bis  ins  Unendliche  mannichialtigeu  Er- 
scheinungen hatten  verstehen  können,  dafür  trat  aber  eine  grosse 
Uenge  Ton  Erzählern  auf,  die  vom  Standpunkte  ihrer  Partei, 
ihns  Kreises  diejenigen  landschaftlichen  und  staatlichen  Ereig- 
nisse beschrieben,  an  denen  sie  selbst  unmittelbar  theilgenom- 
men  hatten.  Solcher  Erzähler  gibt  es  so  viele,  dass  mau  mit- 
tels derselben  den  Zustand  Polens  in  der  anschaulichsten  Weise 
ia  seiner  ganzen  überraschenden  Buntheit  reproduciren  kann. 
Die  wichtigsten  von  den  entdeckten  und  bisher  herausgegebenen 
Denkschriften  gehören  folgenden  Personen  an:  dem  Kanzler  Alb- 
redit  Radziwill  (gest.  1656);  Nikolaus  Jemiolowski  (geat.  um 
1693),  Joachim  Jerlicz,  einem  Kleinrussen  und  volynischen 
Silachcic  (gest.  um  1673);  dem  Primas  Johann  Stephan  Wyd2ga 
(gest.  1636);  Adalbert  Dgbol^cki,  einem  Franziskaner,  Kaplan 
der  Elearen  oder  Lisowczyken,  welcher  die  Thaten  dieser  Genossen- 
Echafteu  in  Deutschland  und  Polen  beschrieb;  Erasmus  Otwi- 
uowski,  der  sehr  umständlich  die  Ereignisse  fast  der  ganzen 
B^enmg  August  II.  beschrieb;  Christoph  Zawisza,  Wojewode 
Ton  Minsk,  zu  Anlang  des  18.  Jahrhunderts.  An  der  Spitze  aller 
Hemoirenschreiber  steht  der  durch  sein  umfassendes  literarisches 
Talent  und  unerschöpfUchen  Humor  überraschende  Johann  Chry- 
soetomus  Pasek,  vom  Wappen  Doliwa*,  ein  mazurischer  Szlach- 
äc,  tapferer  Soldat,  ein  Haudegen  durch  und  durch,  der  unter 
dem  Oberbefehl  Czamecki's  mit  den  Schweden  in  Polen  und 
Dänemark,  mit  Moskau  in  Litauen  kämpfte,  sehr  viele  Aben- 
lener  erlebte,  die  polnischen  Gesandten  aus  Moskau  nach  War- 
schau begleitete,  einstmals  im  Streit  Mazeppa,  den  nachmaligen 
Hc^an  der  Kosaken,  prügelte,  der  Liebling  der  Könige  Johann 
Kazimir  und  Johann  Sobieski  war,  und  sich  zuletzt,  als  er  alles 
dorchgemacfat,   im  krakauer  Lande  niederliess,  wo  er  ein  hohes 


'  fironirtaw  Chl^bowski,  „Jan  Chrysostom  PfMek  i  jego  Pami^tDiki" 
0  wtnchauer  TygCHluik  illustrowany,  Jahrg.  1S79). 


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122  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Alter  erreichte  (er  starb  zwischen  1699  unci  1701;  vergl.  Ate- 
neum  1878,  Juli).  Pasek  schrieb  seine  Memoiren  ohne  den 
geringsten  Anspruch  auf  Autorruhm,  aber  er  gab  die  Physio- 
gnomie seiner  Zeit  so  anschaulich  wieder,  dass  er  auf  lange  als 
unerschöpfliche  Quelle  tüT  Historiker  und  Romanschriftsteller 
dienen  kann. 

Das  Ende  der  Periode  wird  noch  grelJer  durch  einen  sehr 
bedeutenden  Schriftsteller,  Matuszewicz,  beleuchtet,  dessen 
werthvolle  Memoiren  vor  kurzem  herausgegeben  wurden  (,,Pa- 
migtniki  Marcina  Matuszewicza ,  kasztclana  brzesko  -  litewsldego, 
1744 — 65",  herausgegeben  von  A.  PawiAski,  4  Bde.  Warschau 
1B7G)-  Dieser  Matuszewicz,  aus  dem  mittlereu  Adel,  ein  durch- 
triebener Mensch  und  Intriguant,  wusste  sich,  nachdem  er  bei 
den  Czaitoryski's  nicht  angekommen,  bei  deren  Gegnern,  den 
ItadziwiUs  und  bei  Branicki  zu  insinuiren  und  erlangte,  trotz 
seiner  Talente  erst  gegen  Ende  seines  Lebens,  Ehrcnstellen  uud 
das  Amt  eines  Castellans  fiir  seine  Betheiligung  au  der  Con- 
föderatioQ  zu  Radom,  welche  mit  allen  Merkmalen  des  Lnndes- 
Terraths  behaftet  war.  Seine  Memoireii  reichen  nicht  bis  zu 
diesem  bässlichen  Ereigniss;  sie  brechen  bei  der  Krönung  Ton 
Stanislaw  Poniatowski  ab,  aber  in  ihnen  ist  fast  photographisch 
genau  die  ganze  Epoche  August's  III.  aufgenommen,  mit  er- 
schreckender Wahrheit,  in  aller  Nacktheit  der  Yerderbniss  und 
des  Vei-falls.' 

Ein  ganzer  Abgrund  trennt  Pasek  von  Matuszewicz,  das  mo- 
i'alisclie  Niveau  ist  schrecklich  gesunken,  das  Gemeinwohl  zur 
Phrase,  die  constitutionclle  Regierung  eino  Blusion  geworden,  es 
gibt  fast  kein  unbestechliches  Tribunal  mehr,  alle  Landtage  werden 
ganz  nach  Willkür  zusammengesetzt  und  wenn  berufen,  ebenso 
wieder  aufgelöst,  die  Trunkenheit  herrscht  epidemisch,  bei  Ge- 
richt und  bei  den  Wahlen  siegt  derjenige,  welcher  die  Brüder 
Szlachüicen  am  besten  traktirt,  die  Szlachta  tobt  anf  den  Land- 
tagen, aber  kriecht  vor  den  Magnaten  und  bewirbt  sich  bei  ihnen 
um  Dienste;  von  den  Magnaten  ist  am  mächtigsten,  wer  am 
reichsten  und  wer  mit  ausländischen  HÖfen  verbunden  ist.  Ma- 
tuszewicz, der  an  dieser  schmuzigen  Wirtbschaft  unmittelbar  An- 
theil  gcnummeu,  crzilhlt  nuiv  von  allen  Einzclnhciten  derselben 


'  W.  Si>a30wieK,  „M.  Matus^ewiuz  jako  paniittnikarz"  (im  Atem 
IH76). 


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Die  jesUili'che  Po.rioile.  123 

ohne  Gewissensbisse.  Seine  Memoiren  geben  ein  Bild  des  Zu-' 
Standes  tou  Polen  in  der  ersten  Uiilfte  des  ly,  Jalirhunderts,  das 
sfbr  wabrheitsgetreu,  aber  einseitig  ist:  wenn  man  nach  ibm  ur- 
IhfÜt,  könnte  man 'zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass  es  im  ganzen 
Slaatekörper  keine  gesunde  Stelle  gegeben  habe.  Die  l<aulniss 
breitete  sich  aus,  doch  gab  es  auch  eine  Ucaction  dagegen;  das 
nationale  Bewnsstwein  erwachte,  Reformideen  wurden  geboren  und 
vuchsen,  wenn  auch  selir  langsam,  im  Kampfe  mit  gewaltigen 
Hindernissen. 

Es  galt,  die  Gewalt  zu  ergreifen  und  einen  gewaltigen 
politischen  Umschwung  auf  einmal  eu  vollziehen,  die  Ab- 
hrbaffang  des  liberum  veto  zu  decretiren,  das  ßeichstagswesen 
ZB  ordnen,  die  Oericbtsbarlteit  zu  reforrairen,  die  Macht  der 
Uelmane  und  Minister  zu  beschränken,  das  Heer  und  die  Steuern 
m  Tergrosscrn.  Die  Reform  führte  unvermeidlich  zu  einer 
Kräftigung  der  monarchischen  Gewalt,  zur  Erblichkeit  der- 
selben; sie  wird  ursprünglich  von  den  Königen  mit  ihren 
nächsten  Räthcn  geplant  und  verborgen  gehalten,  wie  ein  ge- 
fahrhches  StaatsgebcimuiEs.  Aber  bei  der  offenen  Abneigung 
des  letzten  Königs  aus  sächsischem  Hause  dagegen  tritt  die 
l'eberzeuguDg  ein,  sie  allmählich  ohne  Vorwissen  des  Königs  für 
die  nächste  Königswahl  vorbereiten  zu  müssen.  Als  Trägerin 
iler  Reform  erachien  die  sogenannte  „Familie"  —  das  fürstlich- 
litauische  Geschlecht  der  Nachkommen  Gedjmin'a,  die  Czarto- 
ryskis,  welche  hcharrlich  ein  klar  prÜcisirtes  Ziel  verfolgten,  in- 
dem sie  auf  ihre  Verbindungen,  auf  die  äussere  materielle  Unter- 
stützung Russlandg  und  auf  die  Mitwirkung  aller  wohlgesinnten 
Leute,  die  von  den  Aufklärungsideen  des  18.  Jahrhunderts  be- 
seelt waren,  rechneten.  —  Die  politische  Reform  in  Polen  war 
aufs  engste  mit  dem  Rationalismus  des  18.  Jahrhunderts  ver- 
bunden. Auf  ihrer  Seite  standen  Leute,  die  sich  entweder,  sogar 
in  Sprache  und  Kleidung,  französisirt  oder  wenigstens  gewöhnt 
luttcu,  französisch  zu  denken,  sich  der  einbeimischen  Barbarei, 
der  nationalen  Geschichte  gegenüber  ablehnend  zu  verhalten, 
die  polnischen  Institutionen  und  Verhältnisse  von  einem  ausser- 
nalionalen,  kosmopolitischcu  Standpunkt  zu  betrachten.  In  die 
l'olnische  Gesellschaft  brachte  die  Idee  der  Reform  einen  noch 
nie  dagewcBeueu  Zwiesi>alt.  Um  auf  die  Zeitgenossen  mit  Erfolg 
zn  wirken,  erzeugte  sie  eine  ganze  politische  Literatur,  welche 
auch  iu   der   Literaturgeschichte  das  Bindeglied    zwischen    der 

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124  Viortes  Kapitel.    Die  Polen. 

jesuitisch -maccaronischen  Periode  und  der  glänzenden  Periode 
Poniatowski's  bildet. 

Wir  wollen  diese  politisclic  Literatnr  in  ihren  Hauptycrtretern 
betrachten.  Gewöhnlich  stellt  man  an  die  Spitze  dieser  Reihe' 
Johann  JablonowBki,  Anhänger  des  Königs  Stanislaw  Lesz- 
czyAaki,  der  1730  /u  Lemberg  eine  anonyme  BroEchiire  heraus- 
gah,  die  viel  Lärm  und  dem  Verfasser  so  viele  Feinde  machte,  dass 
er  die  Schrift  selbst  aufkaufte  und  nach  Möglichkeit  vernichtete. 
Der  Titel  lautet:  „Skrupul  bez  skrupulu  w  Polsce"  („Was  in 
Polen  ohne  Gewissensbisse  geschieht  —  eine  Darlegung  der  Sün- 
den, die  dem  polnischen  Volke  am  meisten  eigen  sind,  abernicht 
für  Sünden  gelten,  ein  Tractat,  geschrieben  ron  einem  Polen, 
welcher  derselben  Sünden  schuldig  ist,  aber  sie  bereut,  und  her- 
ausgegeben zu  dessen  eigener  und  Andrer  Besserung").  Eigentlich 
ist  dieses  Buch  kein  politischer,  sondern  ein  etliischer  Tractat,  es 
schlägt  fast  keine  Reformmassregeln  vor,  ausser  der  sittlichen  Er- 
neuerung, aber  geisselt  überaus  treffend  und  schonungslos  die 
kleinen  alltäglichen  Unredlichkeiten  und  Laster,  mit  denen  die 
Gesellschaft  stillschweigend  Nachsicht  hatte,  weil  alle  mit  ihnen 
mehr  oder  weniger  behaftet  waren:  das  systematische  Anschwärzen 
der  Minister,  die  Neigung,  dem  König  Hindemisse  in  den  Weg  zu 
legen  und  ihn  zu  ärgern,  das  Aussprengen  falscher  Gerüchte,  um 
den  Geist  der  eigenen  Partei  zu  heben,  die  Nntzniessung  ver- 
schiedener unberechtigter  Einnahmen  seitens  der  Hüter  der 
Staatscasae,  die  Chikane  und  Parteilichkeit  der  Gerichte,  endlich 
die  ordnungslose  Weise  der  Keichstagsverhandlungen,  welche 
„wogen  wie  ein  stürmisches,  hodenloses  Meer  durch  Gott  weiss 
woher  ausbrechende  Stürme  menschlicher  Leidenschaften  und  In- 
triguen".* 

Zwei  Jahre  nach  der  Broschüre  JaWonowskl's  erschien  ano- 


'  Eigentlich  steht  in  der  Zahl  der  Rcforraatoroii  Earwiuki  voran. 
Sein  sehon  1709  verfassteB  Werk  ist  zuerst  in  Krakau  1871  gedruckt  („De 
ordinandn  republica").  Krawicki  schilt  eine  Beschränkung  der  Houarohie 
vor,  in  der  Weise,  dass  dem  König  die  Yei^ebnng  der  Aemter  entzogen 
werde,  die  durch  Wahlen  zu  besetzen  seien. 

*  Wie  unpraktisi:h  Jabfonowski  als  Reformator  ist,  sieht  man  daraus, 
dasB  er  vorschlägt,  der  Untersebatzmeister  solle  Bochensohaft  über  die  Ein- 
nahmen und  Ausgaben  nicht  vor  dem  Reichstage,  sondern  vor  den  Land- 
tagen ablegen. 


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Die  jeeuitieclie  Periode.  12,> 

njim  zu  Nancy  ia  Frantreicli  ein  zweites,  bei  weitem  gehalt- 
ToUeresWerk;  „Ein  freies  Wort,  die  Freiheit  zu  sichern"  („Glos 
Yolny,  woloos^  ubezpieczajqcy " ).  Es  war  von  dem  ehemaligen 
Künig,  der  sich  zam  zweiten  mal  anschickte,  die  Krone  zu  ge- 
vinneD,  Stani8}aw  Leazczyt'iski  (1677  — 1766)  verfasst.'  Der 
Verfasser  gesteht,  dass  das  alte  Gebäude  Btürze  (mole  sua  ruit) 
veges  Uebennase  an  Freiheit  (summa  libertas  etiam  perirc 
Tolentibne);  er  snchi  den  Stand  zu  gewinnen,  der  in  Polen  die 
Obei^ewalt  hat,  bekennt  „ohne  Schmeichelei",  dass  der  Szlachta 
alta  Tugenden  und  Talente  angeboren  seien,  schlägt  aber  folgende 
Maasregeln  vor,  um  der  Constitution,  ohne  sie  zu  yernichten,  die 
gebühreade  Form  (debitam  forniam)  zu  geben:  Die  Königswiilil 
wird  nicht  aufgehoben,  aber  sie  soll  zunächst  in  den  Landtagen 
stattfinden,  welche  nur  Candidaten  vorschlagen;  alsdann  auf  dem 
Reichstage  so,  dass  einer  der  vier  ersten  von  den  Landschaften 
beieichneten  Candidaten  mit  Stimmenmehrheit  gewählt  werde. 
Aach  vor  dem  liberum  veto  hat  der  Verfasser  scheinbar  den 
grÖGBten  Respect,  in  Wirklichkeit  reducirt  er  es  aber  fast  auf 
Null;  weder  auf  den  Landtagen  noch  auf  dem  Iteichstage  sollte 
die  Wahl  der  Präsidenten,  d.  i.  der  Marschälle,  oder  die  Gültig- 
keit der  BeichstagsbeschlüsBe  von  der  Willkür  einer  einzelnen 
Person  abhängen.  Der  YerEasser  entzieht  das  Recht,  an  den 
Landtagen  tbeilzunehmen ,  den  Militärpersonen  und  denen,  die 
bei  irgendjemand  in  Frivatdienst  stehen.  Unter  Beibehaltung 
des  Zweikammersystems  im  Reichstage  verlegte  Leszczynski 
den  Schwerpunkt  der  Volksvertretung  aus  den  allgemeinen 
Versammlungen  der  Kammern  in  die  von  ihm  vorgeschla- 
genen Ministercollegien ,  d.  i.  in  ReichstagBcomites,  die  aus 
einer  gewissen  Anzahl  von  Senatoren  und  landschartlichen  Ab- 
geordneten, der  Zahl  nach  vier,  mit  Bezug  auf  die  vier  Haupt- 
Refrenstände;  Krieg,  Finanzen,  Justiz  und  Polizei,  bestehen.  Die 
CottegieD  sollten  während  des  Reichstags  Gesetzvorschläge  aus- 
arbeiten and  in  der  Zwischenzeit  von  einem  Reichstag  zum  andern 
als  höchste  Gerichtunstansen  wirken.  Die  Starosteien  (pania  hene 
merentium)  schlägt  der  Verfasser  vor,  auf  die  Staatscasse  zu 
nehmen  und  zu  den  Quellen  der  Staatseinnahmen  hinzuzufügen, 
die  Minister  nicht  auf  Lebenszeit  zu  ernennen,  sondern  auf  sechs 


'  Alexander  Rembowski,  „Stanislftw  Lewoiynaki  jako  statystg"  (in 
H'w»,  1878,  Heft  80-96). 


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126  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Jahre  durch  Abstimmung  auf  dem  Reichstage,  an  der  beide  Kam- 
mern und  der  König  theilzuuehmen  hätten;  sie  für  alle  Re- 
gicrungshandlungen  verfintwortlich  zu  machen,  sie  der  Aufsicht 
der  Ministercollegien  zu  unterstellen,  in  den  Wojewodschaften 
"Wojewodencollegien  zu  bilden,  bestehend  aus  den  Wojewoden 
und  vier  landschaftlichen  Abgeordneten,  die  richterlichen  Aemter 
aus  Wählämtern  in  lebenslängliche  umzuwandeln.  Ohne  in  sein 
Programm  die  Betheiligung  der  niedem  Volksklassen  an  der 
Volksvertretung  aufzunehmen,  legt  der  königliche  Philosoph  doch 
den  Finger  an  die  kranke  Stelle  Polens  —  das  anomale  Ver- 
hältniss  der  Szlachta  zum  gewöhnlichen  Volke.  „Alles,  dessen 
wir  uns  rühmen",  sagt  er,  „sind  wir  dem  gemeinen  Volke  schul- 
dig. Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  ich  kein  Szlacbcic  sein  könnte, 
wenn  der  Bauer  nicht  (leibeigener)  Bauer  wäre.  Die  Plebejer  tof- 
schaffen  uns  Brod,  sie  fördern  für  uns  die  Schätze  aus  der  Erde, 
durch  ihre  Arbeit  haben  wir  Vermögen,  von  ihrer  Mühe  kommt 
der  ßeichthum  des  Staates.  —  Sie  tragen  die  Last  der  Abgaben, 
stellen  die  Rekruten;  wenn  sie  nicht  wären,  müsstfin  wir  selbst 
den  Acker  bestellen,  sodass  man  statt  des  Sprichworts:  der  Herr 
aus  den  Herren,  sagen  müsste:  der  Herr  aus  den  Bauern." 
Diese  halben  Massregeln  waren  in  einer  Form  voll  diploma- 
tischer Reserve  vorgeschlagen,  doch  übte  der  Regent  vod 
Lothringen  Jahrzehnte  laug  einen  grossen  persönlichen  Ein- 
tluss  auf  die  öffentliche  Meinung  in  Polen  aus.  Ihm  machten 
die  Eiferer  für  die  Reform  ihre  Aufwartung;  sein  Hof  zu  Lune- 
ville  war  der  Sammelpunkt,  an  dem  sich  die  leitenden  Persön- 
lichkeiten Polens  mit  der  intellectuellen  Bewegung  in  Frank- 
reich bekannt  machten,  französische  Cultur  einsogen,  und 
indem  sie  eine  leidenschaftliche  Neigung  für  dieselbe  fassteu, 
sie  dann  auf  polnischen  Boden  übertrugen.  Die  Kinder  der 
höhern  polnischen  Aristokratie  wurden  in  der  von  Leszczyi'iski 
zu  Lunovillo  errichteten  Kriegs -(Ritter-)  schule  erzogen.  Die 
Patrioten  neuer  Prägung,  welche  ihr  Vaterland  liebten,  wie  es 
künftig  sein  sollte,  aber  französisch  dachten  und  fühlten,  wenn 
sie  sich  auch  in  einer  von  ihnen  umgebildeten,  verfeinerten,  von 
Liitinismen  gesäuberten  polnischen  Sprache  ausdrückten,  gingen  in 
ihren  Plenen  bedeutend  weiter  als  Leszcuyiiski,  waren  weit  radi- 
calrr  in  ihren  Ansichten  über  die  veralteten  und  ihren  Ideen 
nach  baibarischen  Institutionen  der  Heimat.  Aus  der  Scliar  der- 
selben i.igon  besonders  zwei  Personen  geistlichen  Standes  hervor, 

D,9:.z.a.,  Google 


.    Die  jöBuitiacho  Periode.  127 

Behr  ungleich  an  Verdiensten,  aber  eng  miteinander  verbunden 
sowol  ihrer  Thatigkeit  nach,  als  durch  ilire  nahen  Bezielmngen 
lum  Hofe  von  Lunerille:    Zatuski  und  Eonarski. 

Joseph  AndrcaB  Zatueki  (1701 — 41)' war  Bischof  von  Kiew, 
ein  Mann  voll  aristokratiBclier  Vorurtheile,  und  bis  zu  dem 
Grade  Frankomane,  dass  er  der  warschauer  schönen  Welt  Fre- 
■ii^n  in  französischer  Sprache  hielt;  auBserdem  gewaltiger 
Bibliomane,  brachte  er  die  reichste  Büchersammlung  über  pol- 
nische Geschichte  zusammen  (gegen  300000  Bücher,  15000  Hand- 
schriften), die  er  dann  in  seinem  Testamente  der  Kation  ver- 
machte (sie  ward  als  russische  Beute  von  Warschan  weggeführt 
oad  legte  den  Grund  aar  kaiserlichen  öfTentlicben  Bibliothek  in 
Petersburg).  Unter  seiner  Anleitung  bildete  sich  der  erste  pol- 
uieche  Bibliograph  Jenisch  aus,  der  seinen  Namen  in  Janocki 
nmändcrto  (seine  Werke:  Jauociana);  auf  Anregung  Zahiski's 
liefasste  sich  mit  der  Herausgabe  alter  lateinisch-polnischer  An- 
naien  der  Arzt  Laurentius  Mizler  de  Kolof.  Stanislaw  Ko- 
närski  (1700 — 1773)  stammte  aus  einer  vornehmen  Familie,  trat 
mit  17  Jahren  in  den  Orden  der  Piaristen,  beendete  seine  Bil- 
dung in  Rom  und  Luneville,  kehrte  1730  nach  Tolen  zurück 
und  vollbrachte  drei  Aufgaben,  die  glänzend  gelangen  und 
reich  an  Folgen  waren:  eine  Keforra  der  Erziehung,  die  Heraus- 
gabe einer  vollständigen  Gesetzsammlung,  und  eine  völlige  Auf- 
klärung der  öffentlichen  Meinung  über  den  Bankerott  des  libe- 
rum Veto.  Mit  Hülfe  und  Unterstützung  Zaluski's  gab  Konarski 
in  6  Bänden  die  sogenannten  „Volumina  legum",  eine  vollstän- 
dige Gesetzsammlung  Polens  vom  Wislicer  Statut  an  heraus.' 
Zuerst  Rector  des  Piaristenseniinars  in  Rzeszöw,  alsdann  Provia- 
zial  dieses  Ordens,  eröffnete  er  1740  zu  Warschau  ein  Muster- 
Internat  (Convict)  für  Kinder  aristokratischer  Häuser,  das  col- 
legiuoi  nobilium ;  später  gelang  es  ihm  überhaupt  alle  Pia- 
rislenschulcn  zu  reforuüren.  Der  Alvar  wurde  aus  dem  Unter- 
ridit  verbannt,  eine  grössere  Ausdehnung  empfingen  die  Ma- 
thematik, Geschichte,  Geographie;  neben  dem  Latein  wurden  die 
neuem  europäischen  Sprachen  und  die  Volkssprache  gelehrt. 
Konarski  und  seine  Mitarbeiter  sorgten  für  vorzügliche  Lehr- 
bücher auf  allen  Gebieten  der  Wissenschaft.    Die  von  ihm  ein- 


'  Zweit«  Auagabe  der  Volumios  legura  in  8  Bänden  mit  Invenlnr,  ver- 
wWallct  von  Josaphat  Ohrysko  (Peteraburg  1859— IJO). 


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128  Viertes  Kapitel.    Die  Pnlen. 

geführten  Oonvicte  waren  zwar  keine  Schulen  -  für  das  Volk ,  ja 
nicht  einmal  für  die  Szlachta,  Rondem  modische  Institute  für  die 
Jugend  der  vornehmen  Welt,  in  denen  diese  eine  glänzende  welt- 
liche, wenn  auch  nicht  sonderlich  tiefe  Bildang  in  französischem 
Gcschmacke  erlangte;  aber  man  darf  auch  nicht  vergessen,  datm 
Knnarski's  Thätigkeit  mehr  eine  politische  als  wissenschaftliche 
war,  dass  er  die  Wissenschaft  nicht  um  ihrer  selbst  willen  liebte, 
dasB  er  mittels  der  Erziehung  nicht  sowol  Gelehrte  als  einänss- 
reiche  Leute  heranbilden  wollte,  welche  im  Stande  wären,  die  Ini- 
tiative in  der  politischen  und  in  deren  weitem  Folge  aach  der 
socialen  Reform  zu  übernehmen.  Als  Publiciet  ersten  Ranges  er- 
weist er  sich  in  der  vierbändigen  anonymen  Schrift:  „0  skutccz- 
nym  rad  sposobie"  („Ueber  die  wirksame  Art  der  Berathungen", 
1769 — 73),  worin  er  bei  der  Analyse  der  Geschäftsordnung  des 
Reichstags  den  grossen  Schaden  des  liberum  veto  darlegt  und 
einen  Modus  der  Lösung  der  Fragen  nach  Stimmenmehrheit 
vorschlägt.  Der  Verfasser  packte  sozusagen  das  Uebel  bei  den 
Hörnern  und  brachte  es  zum  Wanken,  mit  unwiderleglicher 
Logik  und  grosaartiger  Belesenheit.  Konarski  möchte  den 
Thron  erblich  sehen ,  dem  König  die  Verleihnng  vacanter  Aem- 
ter  nehmen;  er  meint,  die  auswärtigen  Mächte  würden  sich  einer 
Abschaffung  des  liberum  veto  und  sonach  einer  Einschränkung 
der  Anarchie  nicht  widersetzen;  auch  hält  er  die  Forderung 
des  Parlamentarismus  für  möglich  unter  vereinter  Anstrengung 
der  der  Reformidee  ergebenen  Patrioten;  seine  Thätigkeit  war 
nicht  durch  die  Politik  des  Hauses  der  Czartoryski  bedingt,  aber 
förderte  dieselbe  nicht  wenig.  Dieses  Buch  übte  einen  unge- 
wöhnlich starken  Eindruck  ans,  riss  die  ganze  vornehme  Welt 
mit  fort,  wirkte  auch  auf  die  Szlachta',  sodass  als  der  länget 
erwartete  Moment  des  Todes  des  letzten  Königs  ans  sächsischem 
Hause  eintrat,  sich  Leute,  welche  jenen  Augapfel  der  Adelsfrei- 
heit vertheidigt  hätten,  fast  gar  nicht  mehr  vorfanden. 

Am  Ende  dieser  Periode  zeigen  sich  die  ersten  Versuche  einer 
kritischen  Bearbeitung  der  polnischen  Geschichte.  Die  Preussen 
Hartknoch  (gest.  1687),  Lengnich  (1689—1774),  Brann 
(gest.  1737)  machen  sich  mit  deutscher  Beharrlichkeit  und  Ge- 
nauigkeit an  den  schwierigsten  und  dunkelsten  Gegenstand  im 
Leben  des  Volkes,  an  die  Geschichte  des  polnischen  Rechts. 


'  Pamistniki  Matuazewicza  IT,  ', 


.,Güoj^lc 


Die  Periode  PoDJatoweki's.  ]29 

Ceberans  fruchtbar  war  der  Historiker,  FubliciBt  und  Alterthums- 
forscher  Simon  Starowolski,  Kanonikus  zu  Krakau  (gest.  1656), 
der  gegen  60  Werke  hinterlassen  hat;  die  Zeitgenossen  nannten 
ihD  seicer  utnränglichen  Belesenheit  halber  den  polnischen  Varro. 
Der  Jesuit  Kaspar  Niesiecki  (gest.  1744)  hlnterliess  werthrolles 
Uaterial  fiir  die  polnische  Geschichte  in  einem  heraldiechen 
Werke,  in  welchem  er  die  Geschichte  aller  irgendwie  bedeutenden 
SiUcbtafamitien  sammelte  und  darstellte.  Dieses  Werk,  in  vier 
grossen  Bänden,  wurde  zu  Lemberg  1728 — 48  unter  dem  Titel 
^Korona  Polska"  („Die  polnische  Krone")  herausgegeben.' 


4.  Die  Periode  des  Königs  FoniatAwski  (1764 — 1796)  und  die  Zeiten 

nach  der  Theüimg  bis  zum  Auftreten  der  polnisohen  Romantik 

(17B5— 1822). 

Hauptdaten. 

1764,  7.  (18.)  October.     Wahl  Stau.  Aug.  Poniatowski's  zum  Kilnig. 

1766.  Conföderationen  der  DissidenteD,  unterstützt  von  Ruasland, 

1767.  Die  Confoileratioii  you  Rodom.     Die  Verbaunung  der  Senatoren 
nach  Kaluga. 

1768.  12.   (23.)   Februar.     Der    Vertrag    mit    RuBsland,    weicher    die 
Beichs-gruadgeaetze  garantirte. 

1768.  29.  Februar  (11.  M&rz).     Bildung  der  ConfCderation  von  Bar. 

1769.  Die  KoIiiwazcKyzna. 

1770.  Die  Conföderirteu  von  Bar  setzen  Poniatowski  ab. 

17(1,    3.   (14.)  November.     Attentat    der  Conföderirten    von    Bar  auf 
den  König. 

1772.  Die  erste  Theilung  Polens. 

1773.  Beichstag.     Die  Opposition  Rejtan's. 

1714.     Aiifhebung  des  Jesuitenordens.     Errichtung  der  Educationscom- 

misaion. 
1775.     Errichtung  des  Beständigen  Ratha. 

1787.  Die  Zusainmenkunfl  Katharina's  IE.  mit  Poniatowski  zu  Kaniow. 

1788,  5.  (16.)  October.     Eröffnung  des  vierjährigen  Reichstags. 

1791,  3.  (14.)  Mai.     Die  neue  polnische  Constitution. 

1792,  14.  (2&.)  Hai.     Der  Abscblnss  der  Couföderation  von  TargowiciL 

1793,  24.  Not.  (5.  December).     Der  König  echliesst  sich  derselben  au. 


'  Die  Arbeit  Niesiecki'ti,  bedeutend  vervollständigt,  wai-d  neu  hemus- 
^e^ben  von  Johann  Neponiuk  Bnbrowicz  (10  Bdi;.,  Leipzig  1839). 
fmg,  sUTboba  Lltantnnn.    II,  I.  '  y 


.....(^lüoglc 


130  ViertM  Kapiti?!.    Die  Polen. 

1793-     Die  eweite  Theilnng  Polens;   der  ataniBie  Reicliattg  an  Gradno. 

1794,  2i.  März  (4.  April).     Dot  Anfstend  Koiciuizko's  is  Krakau. 

1794,  J7.  (28.)  April.     Der  Umschwung  in  Waraclmu. 

1794,  8-  (19.)  November.     Die  Einnahme  WarscLsus  durch  Savorov. 

1795.  Die  dritte  endgaltige  Theilung  Polens. 
1807.     Die  Bildung  des  Hentogthnins  WarschMU. 
1815.     Die  Bildung  des  Königreichs  Polen. 


Mit  SchwierigkeiteD  aXlei  Art  iet  die  richtige  Dar^llnog 
und  Würdigung  der  uDruhigen  Epoche  verbanden,  welche  mit 
der  Wahl  Poniatowski's  beginnt  und  sich  bald  durch  stossweises 
Streben  nach  radicaler  Refoim  bald  durch  die  Bacchanalien  der 
Echonaogslosesten  Reaction  auszeichnet.  Alle  Ereignisse  dieser 
stürmischen  Zeit  haben  einen  doppelten  Sinn  and  Charakter. 
Erstlich  stellen  sie  den  mislungenen,  verspäteten  Versuch  einer 
eiligen  Ausbeseerung  des  zerfallenden  politischen  Gebäudes  dar. 
Die  Eigentbiimlicbkeit,  dass  die  Verwirklichung  des  Unterneh- 
mens durch  äussere  Einflüsse  gehindert  wurde,  läset  angeuBcbeia- 
lieh  die  Frage  nicht  zur  Entscheidung  kommea,  invieveit  das 
Volk  die  schwere  Aufgabe  bewältigt  hätte,  wenn  jenes  Hinderaiss 
überhaupt  nicht  existirt  hatte;  andererseits  ^eilicb  war  diese  äus- 
sere Einmischung  das  verhänguissvolle  Resultat  eines  Beharrens  in 
chronischer  Anarchie,  deren  Unterstützung,  da  sie  ein  wesent- 
liches Interesse  für  die  Nacbbun  hatte,  auch  als  ein  weamtlicher 
Bestandtheil  in  deren  Politik  überging  and  zu  einem  leitenden 
Princip  der  letztem  wurde,  sodass  jede  innere  Reform  in  dam 
Polen  des  18.  Jahrhunderts  in  verhängnissToUer  Weise  mit 
einem  äussern  Krieg  verwickelt  und  das  Schicksal  des  Volkes 
im  höchsten  Grade  tragisch  wurde.  Zweitens  aber  nimmt  Ton 
«besdenselbeu  Ereignissen  der  letzten  Katastrophe  die  sociale 
sowol  wie  die  literarische  Wiederbelebung  ihren  Anfang,  die 
durch  den  besonderen  Gang  der  Dinge  bei  den  Polen  früher 
eintrat,  als  bei  den  andern  slaviscbeo  Völkern,  der  aber  einige 
typische  Züge  aufgeprägt  sind,  welche  bisweilen  biBdem,  das 
Znsammentreffen  und  die  Aehnlichkeit  zn  erkennen,  wvgea  der 
äussern  Verschiedenheit  in  den  Erscheinungsformen.  Mitben  im 
Kampfe  für  die  untei^ehende  politische  Selbständigkeit  kläroi 
sich  bei  den  bessern  Leuten  des  18.  Jahrhunderts  in  Polen  die 
Bedingungen  von   dessen  künftiger  Ezistenz,  —  Bedingungen, 


....,  Google 


Die  Periode  Poniatowski'B.  131 

wdcfae  im  alten  Polen  überbaupt  nicht  vorhanden  waren  und 
gut  nea  geschaffen  werden  muBBten.  Alle  diese  Leute  haben 
ein  Behr  bestimmtes  und  rein  politisches  Ziel  vor  sich,  für  ihren 
ntrmen  Patriotismus  existirt  nichts  Unmögliches,  sie  sind  stark 
im  Irrtbom  rücksichtlich  der  Möglichkeit,  die  Aufgabe  auf  einmal 
uuxnfiihren ,  and  hoffen  plötzlich  die  Bedingungen  und  Voraus- 
setzongen  zu  schaffen,  von  denen  die  Verwirklichung  ihres  Ideals 
ftbhängt;  bei  den  unTermeidlichen  Miserfolgen  solcher  Versuche 
Uten  ihre  Bestrebungen  in  politische  Phantasterei  aus,  aber 
ni^eich  damit  rückt  das  politische  Ziel  immer  mehr  in  uuer- 
■easlicfae  Feme,  und  in  den  Vordet^rund  treten  die  Sorgen  des 
Ta^,  die  Ausarbeitung  der  Voraussetzungen  und  Bedingungen 
einer  schon  nicht  mehr  poUtisdien,  sondern  nur  einer  beson- 
den  nationalen  Existenz.  Obgleich  es  den  Leuten  der  Ton  uns 
betrachteten  Periode  noch  fremd  war,  die  polnische  Frage  so  zu 
atelleu,  wie  sie  sich  erst  vor  kurzem  nach  einer  Menge  vonMis- 
geschicken  und  Enttäuschungen  klärte,  sie  aber  doch  in  ihrpoU- 
tiscbee  Ideal  Ideen  hineintrugen,  die  zu  leitenden  Principien  der 
geg^irärtigen  Demokratien  wurden,  die  Gleichheit  der  Menschen, 
die  Redite  des  Individuums,  eine  radicale  Aenderung  nicht  nur 
der  nnbehoUenen  politischen  Maschine  des  Mittelalters,  sondern 
uch  der  Gesetze  und  nicht  dieser  allein,  sondern  auch  der  Sit- 
ten, so  erscheinen  sie  als  Lieblingshelden  iur  die  künftigen  Ge. 
tcblechter,  und  wenn  auch  nicht  als  die  Schöpfer,  so  doch  als 
die  Propheten  der  spätem  Renaissance. 

Von  dieser  Seite  gewährt  die  Literatur  der  Zeit  des  Königs 
Stui^w  August  ein  grosses  Interesse;  sie  ist  ganz  mit  Politik 
dBTchflocbten.i 


■  SzQJBki,  „Dzieje  Polski",  IV.  Bd.  —  HeiDr.  Szmitl,  „Paaowanie 
8UnMhwa  Au^ets"  (2  Bde.,  Lemberg  1868—70).  —  W.  Kaiinka,  „ObUI- 
■ic  kta  panowmma  Stanialawa  Angiuta"  (SBde.,  in  Pamiftaiki  z  XTUL  w., 
V<ri^  Ton  2opaä*ki,  Fosea  1868).—  J.  1.  Kraazewaki,  „PoUka  w  ozaaie 
ln«ch  roibioröw  1772—99,  Studia  do  luBtorji  ducha  i  obyczijöw"  (3  Bde^ 
Posen  1873— 7B).—  S.  SoloTJey,  „Istorija  padenija  PolSi"  (Moskau  1865); 
Jrtorij«  BoBsii",  {B.28,  Ebend.1878).  —  N.  KostomaroT,  „PoslSdnie  gody 
Rtti  Poipoiitoj"  (Petereborg  1870).  —  Roepell,  „Polen  nm  die  Mitte  des 
IS.  ikbrinmderta"  (Gotha  1876).—  Brflggen,  „Polens  Auflöinng"  (Leipzig 
U78).—  D.  Angeberg,  „Becneil  des  trait^B  et  Conventions  ooncernant  U 
Pologne,  1762—1862"  (Paria  1862). 

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132  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Wie  die  Politik,  so  tmgt  anch  die  Literatur  ein  franzÖBisches 
Gepräge.  Die  polnische  Reform  bewegte  sich  in  der  welt- 
historischen, nach  der  Reformation  grossartiggten  Strömung  der 
Aufklärungsideen  des  18.  Jahrhunderts.  Die  Gewalt  des  Kö- 
nigs hatte  sie  allerdings  nicht  zu  verkleinern,  sondern  zu  ver- 
grössern;  den  dritten  Stand,  den  es  überhaupt  nicht  gab,  hatte 
sie  künstlich  zu  schaffen;  von  der  französischen  Philosophie  des 
18.  Jahrhunderts  entlehnte  sie  die  Begriffe  der  Menschenrechte 
und  die  Negation  aller  Kasten.  Noch  sehr  gering  war  der  Pro- 
centsatz von  Leuten,  die  sich  von  den  neuen  Reformideen  leiten 
Hessen,  und  doch  war  es  nicht  möglich  zu  zögern,  das  Staats- 
Echiff  sank  und  war  schon  bis  an  den  Bord  mit  Wasser  gefüllt. 
Es  blieb  nur  der  Weg  einer  heimlich  geplanten,  kühn  durchge- 
führten Staatsumwälzung  oder  der  Weg  der  sogenannten  politi- 
schen Intrigue  übrig.  Diese  Aufgabe  übernahm  die  „Familie", 
d.  i.  die  Partei  der  Gzartoryski  (die  Brüder  Michael,  Kanzler 
von  Litauen,  und  August,  Wojewode  von  Rothrussland),  welche 
grosse  Reichthümer  hatten  (infolge  der  Vermählung  August's 
mit  der  letzten  Tochter  aus  dem  Geschlecht  der  Sieniawski)  und 
im  Besitz  weiter  Familienverbindungen  waren  (mit  den  Ponia- 
towskis,  dem  Hetman  Clemens  Branicki).  Von  allen  Magnaten- 
programmen zeichnete  sich  der  Plan  der  Gzartoryski  dadurch  aus, 
dass  ihm  eine  vollständig  staatliche  Idee  zn  Grunde  lag.  Die 
Stützpunkte  zur  Bewältigung  der  Anarchie  suchten  sie  ausser- 
halb Polens;  indem  sie  den  Schein  der  schon  nicht  mehr  be- 
stehenden politischen  Selbständigkeit  opferten  und  eine  russische 
Partei  in  Polen  bildeten,  nahmen  sie  au,  dass  es  in  den  Inter- 
essen RuBslands  liegen  werde,  ganz  Polen  ohne  Theilung  zu  er- 
werben, und  dass  es  diesem  dann  unter  den  Fittigen  Russlands 
möglich  sein  werde,  seine  innern  Verhältnisse  zu  ordnen.  Der 
Moment  der  Wirksamkeit  trat  für  die  „Familie"  mit  dem  Tode 
König  August's  lU.  1763  ein;  unter  dem  Schutze  ruseiacher  Ba- 
jonnete  trat  der  Reichstag  zusammen,  auf  welchem  die  Czar- 
toryskis  die  Opposition  in  der  Person  des  Hetmans  Branicki 
und  Karl  RadziwiU's  nöthigten,  sich  zu  entfernen,  den  Reichs- 
tag selbst  in  eine  Gonföderation  umwandelten  (d.  i.  in  eine 
Versammlung,  welche  nach  Stimmenmehrheit  entscheidet),  eine 
Militär-  und  Finanzcommission  errichteten,  bestimmt  die  Macht 
der  Hetmane  und  des  Unterscfaatzmeisters  zn  beschränken,  das 
Gerichtswesen  reorganisirten,  das  liberum  veto  antasteten.  Nicht 

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Die  Periode  Poniatowaki's.  133 

gue  nach  ihrem  Willen,  aber  auf  Anweisung  der  russischen  B«- 
giening  ward  1764  ein  Mann  ihrer  PaHei  und  Familie  auf  den 
Thron  gehobeu,  der  mit  der  Kaiserin  Katharina  II.  persönlich  be- 
kannte Stanislaw  August  Poniatowski ;  er  war  ein  Enkel  des  Dich- 
ters Andreas  Morsztyn  und  Sohn  des  feinen  Diplomaten  und  Ge- 
nerals Stanislaw  Poniatowski,  eines  fast  ahnenloBen  Emporkümm* 
lings,  welcher  Genosse  Leszczynski'a  und  Karl's  XII.  gewesen  war, 
nod  damit  endete,  dase  er  unter  den  Sachsen  den  ersten  Sitz  im 
polnischen  Senate  innehatte.  >  Der  Erfolg  der  Czartoryski  machte 
die  benachbarten  Regierungen  stutzig,  in  deren  Combinationeu 
tsdurchaus  nicht  paeste,  Polen  sich  orgauisiren  und  erstarken  zu 
lissen;  sie  verloren  plötzlich  ihren  äussern  Stutzpunkt,  und  ihre 
g&Dze  schlaue,  langjährige  Arheit  war  zerstört.  Kussland  ver- 
langte Gleichberechtigung  für  die  Dissidenten  und  brachte  die 
Curtorfski  in  eine  unmögliche  Lage;  unterstützen  konnten  sie 
diese  Forderungen  nicht,  ohne  ihre  ganze  Popularität  zu  ver- 
lieren, ohne  in  den  Ruf  von  Verräthern  zu  kommen.  Anderer- 
seits liefen  die  polnischen  Anarchisten  nach  Berlin  und  Peters- 
borg,  und  auf  dem  Reichstag  von  1766  ward  seitens  Russlands 
und  Preussens  ein  Protest  gegen  die  Aufhebung  des  liberum  veto 
eiogebracht.  Der  Bewahrung  dieses  „Augapfels"  der  Adelsfrei- 
heit  klatschte  die  Mehrheit  der  im  Conservativismus  erstarrten 
Szlachta  Beifall  zu.  Schwieriger  war  es,  den  Reichstag  zu  einem 
udem  Schritt  zu  bringen,  der  ihm  widerwärtig  war  gegenüber 
dem  Reste  von  Gefühl  für  die  nationale  Unabhängigkeit  und  wegen 
der  religiösen  Begriffe  —  nämlich  die  Dissidenten  zu  politischen 
Rechten  zuzulassen.  Doch  wurde  auch  dieses  Ziel  durch  die 
nusiEche  Politik  erreicht.  Auf  ihre  Veranlassung  wurden  dissi- 
dentische  Conföderationen  zu  Thorn  und  Danzig  gebildet,  und 
später  (1767)  die  GeneralconfÖderation  zu  Radom.  Die  aus  der 
Be^emng  entfernten  Oligarcheu  mit  dem  von  der  Kaiserin  be- 
gnadeten Exulanten,  dem  „litauischen  Bären",  Fürsten  Badziwit] 
an  der  Spitze,  griffen  unter  Mitwirkung  russischer  Soldaten  zu 
den  Waffen  für  die  ihnen  moralisch  widerwärtigen  Rechte  der 
Andersgläubigen,  um  sich  den  verlorenen  EinÖass  wieder  zu 
schaffen  und  den  König  vom  Throne  zu  stürzen.  Diese  Hoff- 
DQDgen  des  erbitterten  Magnatenthums  gingen  nicht  in  Erfüllung, 
nur  die  Czartoryskis  traten  von  der  Bühne  ab;   der  durch  die 

'  Kanteoki,  „Ojciec  Stanielawa  Äugaeta"  (im  Ateneam,  Jahrg.  1876). 

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134  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

UDfreiwillige  Unterzeichnung  der  Conföderation  von  Badom  ge- 
schwächte und  erniedrigte  König  blieb  auf  seinem  Platze  ohne 
Bedeutung  und  Macht,  während  zum  wirklichen  Vermittler  der 
Parteien  und  Entscheider  der  Geschicke  der  russiBcfae  Gesandte, 
Fürst  Repnin,  wurde.  Die  Versuche  der  Reichstagsopposition 
worden  dadurch  paraljsirt,  dass  der  Bischof  Ton  Krakau,  Sot- 
tyk,  und  einige  andere  Senatoren  nach  Kaluga  verbannt  wurden ; 
yom  Reichstag  wurden  angenommen  und  in  einem  besondem 
Vertrag  vom  12.  (23.)  Februar  1768  durch  Russland  garantirt  ao- 
wol  die  Rechte  der  polnischen  dissidentischeu  Unterthanen  als 
auch  die  Grundrechte  des  polnischen  Volks,  darunter  das  liberum 
Teto  in  allen  wichtigem  Fragen  der  innem  und  äussern  Politik 
(den  sogenannten  materiae  Status). 

Die  directe  Folge  der  Conföderation  von  Radom  und  dee 
Reichstagsrertrags  über  die  Garantie  war  die  Conföderation  tod 
Bar.  Das  von  diesem  Ereigniss  empfindlich  berührte  National- 
geflihl  rief  eine  freiwillige,  plötzliche,  religiös-patriotische  Be- 
wegung hervor.  Das  ganze  Land  bedeckte  sich  mit  fli^enden 
Abtheilnngen  von  Parteigängern,  den  „Cavalieren  des  Kreuzes", 
den  „  Marienrittem ".  Die  Führer  der  Bewegung  wurden  zn 
legendenhaften  Personen:  der  podoÜBche  Bischof  KrasiAski,  die 
Pntawskis,  der  KarmelitermÖDch  Pater  Marcus,  der  Kosak  Sawa; 
die  Bewegung  riss  selbst  den  Marschall  der  Conföderation  von 
Radom,  Radziwilt,  mit  sich  fort.  Im  Süden  rief  me  das  blutige 
Hajdamakentbum  hervor,  ein  Aofruhr,  der  unter  dem  Namen  der 
„KoliiwBzczyzna"  bekannt  ist.  Die  angeregelte,  sich  von  Ort  za 
Ort  wälzende  Bewegung  entsprach  ihrer  politischen  Aufgabe  nicht 
im  geringsten.  Die  ConfÖderirten  betraten  den  Weg  weitsichti- 
ger diplomatischer  Intriguen,  setzten  den  König  als  Verräther  ab, 
und  versuchten  ihn  sogar  mit  bewaffneter  Hand  aus  Warschau 
zu  entführen,  verwickelten  Russland  in  den  türkischen  Krieg  und 
beschleanigten  nur  die  Theilang  der  Republik;  die  Versuche  des 
Nachfolgers  Repnin's,  des  Fürsten  Volkonskij,  wieder  eine  rus- 
sische Partei  zu  bilden  und  sie  mit  dem  König  an  der  Spitze 
den  Confoderirten  gegenüberzustellen,  erwiesen  sich  als  ver- 
fehlt; es  war  nicht  möglich ,  dafür  auch  nur  einigenuassen 
angesehene  und  ehrliche  Leute  zu  finden.  Damals  neigte  sich 
die  Kaiserin  Katharina  den  schon  lange  gemachten  Vorschlägen 
Friedrich's  des  Grossen  zu;  Oeaterreich  betheiligte  sich  ebenfalls 
an  der  Theilang,   der   zufolge  Russland   die  jetzigen  weisarussi- 

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Di«  Periode  Poaifttonski's.  135 

Bdteu  GonTemements,  Oest^rredcli  Galizieu  ansBer  Erakau  und 
amn  Tbeil  des  Lnbliner  GonvememeDts,  Prenssen  ErmelaDd 
ud  das  sogenannte  Königreich  Preueaen  vom  Meere  and  den 
Mudimgen  der  Weichsel  an  bis  jenseits  des  Flusses  Netze  mit 
Anechlass  der  bei  Polen  verbleibenden  Städte  Danzig  und  Thorn 
empfing.  Von  13000  Qnadr&tmeilen  verminderte  aich  der  Flächen- 
ruua  der  Bepublik  auf  9438  Quadratmeilen,  mit  einer  Bevölke- 
nmg  von  8  Millionen  Einwohnern.'  Die  Nachgiebigkeit  des 
Königs  unterlag  keinem  Zweifel,  es  war  nur  uötbig,  den  Reichs- 
tag sor  Annahme  des  TheUangsvertrags  zu  zwingen.  Die  Haupt- 
n^e  in  diesem  Act  der  Selbstvemichtung  fiel  auf  den  bestech- 
lichen nnd  schamlosen  Gyniker  Adam  PoniAski  (Protest  T. 
Bqtan's  auf  dem  Reichstage).  Eine  Regierung  auf  neuen  Prin- 
äpien  einzurichten,  ward  der  Reicbstagsdelegation  überlassen, 
welche  sich  mit  der  Arbeit  nicht  beeilte  und  sie  bis  zum  Jahre 
1775  hinzog.  Die  neue  Form  d«r  Regierung  war  vollständig 
oUgarchisch,  dem  König  wurde  sogaf  die  Verleihung  von  Aem- 
ten  and  Starosteien  genommen;  die  vollziehende  Gewalt  wurde 
dem  Beständigen  Käthe  (Rada  Nieustaj^ca)  aus  36  Mitgliedern 
(18  Senatoren  nnd  Ministem  und  18  Mitgliedern  aus  dem  Adels- 
stände, vom  Reichst!^  auf  zwei  Jahre  gewählt)  übei^eben,  der 
in  Departements  eingetheilt  war  (answärtige  Angelegenheiten, 
Krieg,  Polizei,  Justiz  und  Finanzen).  In  Warschan  ging  es  hoch 
ker,  es  vollsog  aich  die  geräuschvolle  Tbeilung  der  Aemter, 
Gelder  nnd  Besitzungen  seitens  der  Theilnehmer  an  der  Gewalt. 
Gegenstände  der  Beute  waren  die  ehemaligen  Güter  der  Jesuiten, 
die  nat^  Aufhebung  des  Ordens  durch  Papst  Clemens  XIV. 
(21.  Juli  1773)  für  die  Zwecke  der  Volksbildung  bestimmt  wur- 
den, nnd  die  Starosteien  oder  Krongüter.  Diese  sowol  wie  jene 
wurden,  sehr  niedrig  abgeschätzt,  von  zwei  Vertheilnngscommis- 
nonen  nach  emphyteutischem  Recht  an  Leute  vergeben,  welche 
ihren  Verbindungen  nach  für  würdig  daza  erachtet  wurden.  Der 
König  wurde  dadurch  gewonnen,  dass  man  seine  Schulden  be- 
nhlte  and  es  ihm  überliess,  fürs  erste  den  Beständigen  Rath  zu 
erj^üizen.  Die  Entscheidung  der  Geschicke  hatte  von  da  an 
weder  der  König  noch  der  Rath,  sondern  der  Vertreter  Russ- 
luds  in  Warschau,  Stackelbei^.  Dieser  Moment  des  grössten 
nicht  nur  politischen,  sondern  auch  moralischen  VerEalls  der  Na- 

'  Korzon,  im  Äteoeum  1877,  Nr.  5. 

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136  Viertea  Kapitel.    Die  Polen. 


tion  war  der  Anfang  der  ganzen  zwanzigjährigen  Periode  (1772 — 
93),  auf  welcbe  die  Persönlichkeit  des  Königs  Stanislaw  Äagust 
einen  grossen  Eiiifluee  ausübte,  sodass  sie  mit  seinem  Namen  be- 
nannt wird.  Bei  dieser  Persönlichkeit,  die  in  der  Literaturge- 
schichte noch  bemerkenswerther  ist  als  in  der  politischen,  naiissen 
wir  etwas  verweilen.' 

Stani^aw  August  Foniatowski  war  unbestreitbar  einer  der 
gebildetsten  Philosophen  des  18.  Jahrhundert«,  dabei  ohne  Zweifel 
ein  Mann  mit  guten  Intentionen,  fleissig  und  erostlich- bestrebt, 
mit  Würde  und  in  möglichst  guter  Art  die  sehr  schwierige 
Rolle  eines  polnischen  Königs  zu  spielen.  Er. hatte  einen  feinen, 
kritischen,  durchdringenden  Geist,  einen  ungemein  durchbildeten 
Geschmack;  er  wasete  Leute  und  Verhältnisse  erstaunlich  richtig 
zu  schätzen,  war  überlegend  und  berechnend,  ohne  Feuer  der 
Leidenschaft,  ohne  Poesie  und  Enthusiasmus.  Man  bann  ihm 
auch  Ausdauer  bei  der  Durchführung  seiner  Pläne  nicht  ab- 
sprechen, aber  es  fehlten  seiner  Thätigkeit  alle  moralischen 
Stützpunkte,  jegliche  sittliche  Grundlage;  es  fehlte  jene  Kraft 
des  Willens,  welche  den  Menschen  veranlasst,  das  fast  Un- 
mögliche zu  erstreben,  das  Leben  auf  eine  Karte  zu  setzen,  fü^ 
eine  Idee  zu  sterben.  An  der  Spitze  der  Consorvativen  unter 
der  alten  erprobten  Fahne  der  Szlachta  zu  stehen  und  das  alte 
Polen  im  Verein  mit  den  Conföderirten  Ton  Bar  zuvertheidigon, 
daran  hinderten  ihn  seine  philosophischen  Ueberaeugungen.  An 
die  Spitze  der  Neuerer  zu  treten,  der  letzten  Katastrophe  ent- 
gegenzugehen und  änsserstenfalls  sogar  die  revolutionären  Ele- 
mente zum  ncitionalen  Kampfe  gegen  die  Nachbarn  aufzurufen 
- —  vermochte  er  nicht  wegen  Mangel  an  Energie  und  Charakter 
und  weil  es  ihm  an  kühner  Initiative  gebrach.  Aber  er  war 
auch  nicht  einmal  so  tapfer,  dass  er  seine  Ueberzeugungstreue 
dnrcb  passiven  Widerstand  besiegelt  hätte,  durch  Weigerung, 
seine  Hand  an  das  zu  legen,  was  er  setbet  geschaffen  und  auf- 
gebaut hatte.  Als  nach  seinem  Dafürhalten  die  Mittel,  das  un- 
vermeidliche Ereigniss  abzuwenden,  erschöpft  waren,  söhnte  er 
sich  mit  demselben    aus,    indem  er  seine  Hände  in  Unschuld 


'  Die  beste  Charakterietik  des  Königs  StanielikW  AuguBt  fiodet  eich  in 
der  üben  angeführten  Schrift  Ealinka's,  „Ostiit.  lata"  etc.  Vgl.  auch  „Cor- 
respondancc  du  Roi  St«n.  AuguBte  PoniatoWBki  et  de  M-tne  Geoffrin ,  par 
Charlea  de  Mony"  (Paris  1875). 


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Diti  Periode  PDuUtowBki'g.  137 

wusch,  Dshm  das  Gebotene  an,  beugte  sich  anter  das  Joch  der 
FoideraDgen,  so  erniedrigend  sie  auch  im-  ihn  waren,  und  fiihi' 
fort  zu  heucheln,  als  ob  gar  keine  Veränderung  vorgegangen 
wäre.  Ohne  diese  Nachgiebigkeit  wäre  es  leicht  möglich  ge- 
wesen, dass  Polen  schon  1772  endgültig  gelheilt  worden  wäre; 
ihr  haben  daher  die  Literatur,  die  Bildung  und  die  politi- 
echen  Ideen,  welche  sich  in  den  zwanzig  Jahren  der  Abhängig- 
keit und  unsichern  KxistenK  entwickelten,  als  die  Hauptperson 
JD  Warschau  nicht  der  König,  sondern  Stackelbei^  war,  ihre 
Erfolge  zu  danken.  Trotz  seines  oligarcbischen  Ursprungs  war 
der  Beständige  Rath  das.  erste  organisirte.Centralinstitut,  das 
nach  den  Gesetzen  der  Arbeitstheilung  in  Departements  nach 
der  Art  der  Geschäfte  zerfiel  und  grossen  Nutzen  brachte. 
Ul«ch  nach  Uebergabe  der  ehemaligen  Güter  der  Jesuiten  für  die 
Zwecke  der  Volksbildung  wurde  im  Jahre  llTd  die  Educationscom* 
mission  errichtet,  der  die  gesamrate  Volkserziehung  übertragen 
Torde,  und  welche  das  erste  Unterrichteministerium  in  Eu- 
ropa war. 

Diese  Einrichtung  brachte  ein  unvergleichlich  festeres  Werk 
m  Stande,  als  alle  politischen  Reformen,  weil  sie  den  Unter- 
gang Polens  überlebte  und  im  19.  Jahrhundert  in  hohem  Grade 
ZOT  Erhaltung  des  polnischen  Volksthums,  zur  Kräftigung 
seines  allseitigen  moralischen  Eintlusees  in  allen  Ländern  bei- 
tmg,  welche  einen  Bestandtheil  der  ehemaligen  Republik  ge- 
bildet hatten,  ja  sogar  über  die  Grenzen  der  letztern  hinaus. 
Die  Educationscommission  bestand  aus  acht  Personen,  unter 
denen  sich  besondere  Verdienste  erwarben:  Chreptowicz,  Unter- 
kanzler von  Litauen ;  Ignaz  Potocki ,  Secretär  von  Litauen ; 
Adam  Gzartoryski,  General  der  podolischen  Landschaften;  An- 
dreas Zamojski,  Kanzler;  Secretär  der  Commis^on  war  Gregor 
Hramowicz,  der  Hauptverfasser  ihrer  Statuten.  Die  Commission 
hatte  ihren  Sitz  in  Warschau,  sandte  zur  Inspicirung  der  Schu- 
I«n  besondere  Visitatoren  aus  und  legte  dem  Reichstag  über  ihre 
lliätjgkeit  Rechenschaft  ab.  Nachdem  sie  die  beiden  Akademien 
zu  Krakau  und  Wilna  von  Grund  aus  reorganisirt  und  bei  ihnen 
sowol  Plan  als  Methode  des  Unterrichts  verändert  hatte,  bildete 
^ie  ans  ihnen  Verwaltungscentren  —  aus  der  krakauer  ein  sol- 
ches für  Polen,  aus  dör  wilnaer,  deren  Name  in  den  einer  Haupt 
»^nle  umgewandelt  wurde  —  für  Litauen.  Die  Republik  wurde 
in  Bezug  auf  das  Unterrichtswesen  in  neun  Bezirke  getheilt;  in 

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1S8  Tiertee  Kapitel.    Die  Polen. 

jedem  derselben  wurde  eine  biUiere  Schale  mit  Qymiuuialciirsiu 
und  einige  Unterkreisschalen  errichtet  Das  tod  der  Cosudis- 
Bion  aoBgearbeitete  allgemeine  Statut  fiir  die  p«lniaGb«n  md 
litauischen  Unterrichtaanstalten  trat  1783  in  Kraft.  Um  die 
Schulen  mit  gutOu  Lehrbüchern  zu  versehen,  ward  bei  der 
Gommission  eine  Gesellschaft  für  Elementarbücber  errichtet,  in 
welcher  die  gelehrtesten  Polen  der  damal^ea  Zeit  Baascoi  (Hugo 
Kofi%taj,  Jobann  Sniadeoki,  Onuphrius  Kopczyäski).  Die  Ge- 
sellschaft eröffnete  Goocurse  fiir  die  Bearbeitoag  d^  besten 
Lehrbü(^er  und  infolge  dieser  Hassregel  bereicherte  sich  das 
polnische  Sehriftthom  durch  eine  gaose  j^Ötslich  entetandsiu 
pädagogische  Literatur.  Am  ecbweräten  war  es,  fiUiige  Lehrer  ru 
finden,  zunächst  mosste  man  sich  mit  fkjesuiten  begnügen,  die 
bei  ihren  bisherigen  Gewohnheiten  für  die  in  den  Unterricht  ein- 
geführten Veränderungen  keine  Sympathie  haben  konnten;  die 
Lehrerseminarien,  welche  zu  Krakau,  Wilna,  Kielce,  £owicz  eröff- 
net worden,  konnten  nicht  gleich  Früchte  tragen.  Uebrigens  glich 
sich  auch  dieser  Mangel  gegen  den  Beginn  des  grossen  Tierjäfari- 
gen  Reichstags  hin  ans;  die  krakauer  Akademie  erwachte  ans 
ihrem  jahrhundertelangen  Schlafe  nnd  die  Hauptscbate  zu  Wilna 
entwickelte  sich  rasch  unter  der  energischen  Leitung  ihres  oner- 
müdlichen  Reotora,  des  Exjesniten  Martin  Odlanidci  Foczobat 
(geb.  1728,  legte  1799  sein  Amt  nieder,  starb  1810). 

Auf  Grund  seiner  pacta  conventa  machte  sich  der  König  ver- 
bindlich, aus  eigenen  Mitteln  eine  Kriegsschule  za  errichten. 
Ohne  Kosten  zu  scheuen,  errichtete  er  176Ö  zu  Warschau  (im 
Karimirskiscben  Palast,  wo  sich  jetzt  die  Universität  befindet) 
das  Cadettencorps  oder  die  Bitterschule,  deren  Chef  der  König  und 
deren  Commandant  Adam  Czartoryski  war.  In  dieses  Corps  Ixaten 
schon  erwachsene  Jünglinge  (16 — 18  Jahr  alt)  ein,  die  Zahl  der 
Cadetten  ging  nicht  über  80,  die  Tendenz  des  Unterrichts  war 
nicht  so  sehr  technisch  als  vielmehr  philosophisch,  human,  man 
sachte  in  den  Zöglingen  soviel  wie  möglich  die  Gefühle  der  Ehre 
und  Vaterlandsliebe  zu  wecken.  Aus  dieser  Sdiole  gingen  Ko- 
sciuezko  und  Niemcewicz  hervor. 

Von  allen  äoitcn  beschränkt  and  abhängig,  hatte  der  König 
die  volle  Möglichkeit,  sich  in  den  Mnssestunden  mit  der  Lite- 
ratur zu  be£assen,  sich  mit  auserlesenen  Dichtem  and  Könst- 
lem  zu  umgehen,  sie  durch  sein  Wort  anfzumantem,  durch  Geld 
anzuspornen,  seine  Donnerstagsdiners  zu  veranstalten,  und   er 


Die  Periode  PoDJBtowski's.  139 

sachU  mit  dem  Ruhm  eines  Besctiätzers  der  Wissensch^en  «od 
Köoite  den  Schimpf  einer  auf  die  Hälfte  redodrten  Krone  zn 
«erdedcen.  Zu  einem  zweiten  dem  königlichea  ähnlichen  Gen- 
tram ward  PuUiTf ,  das  gastfreundliche  Magnatenhaas  der  Für- 
iiea  Czartorfski. 

A.   Die  letEtss  mhlgen  Jahr«  vor  der  Katastrophe. 

Id  der  polnischen  Gesellschaft  des  19-  Jahrhunderts,  nach 
Mickiewicz,  ward  es  zur  Gewohnheit,  auf  die  Literatur  der  Re- 
giemngszeit  Poniatowski's  Terächtltcb  berabzublicken.  Auf  ihr 
lastet  schwer  die  Anklage  der  Nachahmung  der  Franzosen, 
des  Verratha  am  Geiste  der  Nation.  Es  ist  merkwürdig,  dass 
diese  Beschuldigung  erst  im  19-  Jahrhundert  auftrat,  dass 
seinerzeit  die  alten  Elemente  in  Polen  dieser  Nachahmung  nur 
dm  ptuaiven  'Widerstand  des  Beharrens,  nnr  eine  stumpfe, 
gedankenlose  Negation  jeder  Neuerung  entgegensetzten;  im  ent- 
scheidenden Augenblick,  von  dem  Leben  oder  Tod  der  Nation 
äbbing,  rafften  sich  die  alten  Elemente  mit  aller  Kraft  nur 
dizu  auf,  dass  sie  ihr  veto  aussprachen  und  selbstmörderisch 
an  die  Existenz  des  Staates  selbst  die  Hand  legten  (die  Tar- 
gowicer  Conföderation).  Als  Polen  fiel,  die  Szlachta  in  die 
Ferne  gerückt  war  und  schon  Moos  und  Schimmel  über  sie  wuchs, 
da  eist  Hessen  eich  Stimmen  remebmeo,  welche  ihr  Bedauern 
ausdrückten,  dass  jenes  Alterthum  vereohwunden  sei;  das  im 
Leben  Untergegangene  begann  im  Gesänge  wieder  an&ner- 
«tehen,  wobei  die  Anforderungen  und  Farben  der  Gegenwart  sehr 
häufig  den  Bildern  der  Vergangenheit  untergelegt  wurden.  Das 
alte  Szlacbtawesen  war  schon  im  18.  Jahrhundert  erschöpft, 
seine  Ideale  erwiesen  sich  als  unhaltbar,  die  Gesellschaft  vor- 
langte  eine  Erneuerung,  die  Bahnung  nener  Wege  zur  Poesie. 
Für  ihre  Regeneration  musste  sie  zu  Entlehnungen  ihre  Zu- 
flacht  nehmen.  Aus  Frankreich  wehte  damals  auf  ganz  Europa 
der  trockene,  scharfe  Wind  des  Rationalismus.  Die  populäre 
Philosophie  der  französischen  Encyklopädisten ,  die  mit  dem 
Werkzeug  des  gesunden  Menschenverstandes  im  Namen  der  uu- 
Terti^baren  Rechte  des  IndiTiduums  wirkte,  kam  der  polni- 
schen Gesellschaft  des  18-  Jahrhunderts  wie  gerufen  und  half 
ihr  die  eigenen  Lebensverhältnisse  mit  kritischem  Auge  be- 
trachten, die  eigenen  unklaren  Bestrebnngen  präoisiren  und  zn 

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140  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

einer  beeseru  Ordnung  der  Dinge  formulireu.  Alle  herrorragen- 
den.  Leute  jener  Zeit  sind  Bationalieten ,  Verehrer  Voltaire's 
und  BouaBeau's,  Freunde  der  französischen  Cultur;  sie  sind 
von  ihr  durchtränkt  bis  aufs  Mark  und  stehen  deshalb  mit 
Verachtung  den  alten  Einrichtungen  Polens,  seiner  „Bar- 
barei" gegenüber,  mit  einer  Verachtung,  die  um  so  begreif- 
licher ist,  weil  jene  Leute  den  Beruf  in  sich  fühlten,  alle 
Schöpfungen  des  Mittelalters  schonungslos  zu  bekämpfen.  Die 
Entlehnungen  begannen,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  mit  Aeusser- 
lichkeiten,  mit  einfachen  Nachahmungen  der  Mode,  der  Coatume, 
der  Redeweise.  Alsdann  trat  allmählich  au  ihre  Stelle  die  be- 
wusste  Aneignung  dessen,  was  der  polnischen  Gesellschaft  ua^h 
Temperament  und  Art  homogen  war,  sowie  die  allmähliche  Ver- 
arbeitung des  Fremden  ins  eigene  Fleisch  und  Blut.  Beide 
Momente  begegnen  sich  in  der  polnischen  Poesie,  welche  die 
verschiedenartigsten  Typen,  sowol  leichtsinniger  Verachtung 
des  Heimischen,  als  auch  eines  aufgeklärten  Patriotismus,  der 
das  Eigene  zu  schätzen  weiss,  aufweist.  Diese  Literatur,  welche 
den  Namen  der  classischen  trägt,  ist  ein  Echo  und  eine 
Copie  der  französischen  Aufklärungsliteratur,  und  diese  letztere 
trägt,  so  fern  sie  auch  dem  Hofclassicismus  ihren  innern  Tenden- 
zen nach  steht,  doch  in  der  äussern  Form  und  in  den  Manieren 
lüufig  den  Stempel  ebenderselben  Trockenheit  und  Kälte,  die 
dann  in  den  Nachahmungen  mit  doppelter  Stärke  hervortraten. 
Durch  ebensolche  Eigenschaften  zeichnet  sich  sonach  auch 
ihre  polnische  Copie  aus;  sie  ist  arm  an  Poesie,  aber  glänzt 
durch  Scharfsinn,  zeichnet  sich  durch  eine  ausgesuchte  Feinheit 
der  Form  aus,  feilt  sorgfältig  und  fein  jeden  Vers  and  jede 
Phrase.  Ihre  Hauptkraft  liegt  in  der  Satire.  Diese  geisselt  die 
gesellschaftlichen  Mängel  und  Laster  schonungslos  und  erhebt 
sich  in  patriotischem  Unwillen  zum  Pathos,  überrascht  durch 
ihre  finstere  Tiefe  und  durch  die  Wahrheit  des  Gefühls.  Im  künst- 
lich bepflanzten  Blumenbeet  des  polnischen  Classicismus  gibt  es 
allerhand  Gewächse,  giftige  sowol  als  heilsame;  zu  den  giftigen 
kann  man  W^gierski  und  Trembecki,  zu  den  gesunden  und  heil> 
samen  Krasicki  und  Naruszewicz  rechnen;  wenn  wir  dazu  noch 
zwei  Sterne  dritten  Banges:  Karpiäski  und  Knia2nin,  zuletzt  den 
Dramendichter  Zablocki  hinzufügen,  so  kann  durch  diese  sieben 
Personen  fast  der  ganze  polnische  Pamass  in  der  Periode  der 
Ruhe,   zwischen  der  ersten  Theilung   und  der  definitiven  Kata- 

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Die  Periode  PoniBtowski'B.  141 

slrophe   yertreten  werden.     Wir    haben  jeden  von  diesen  Dich- 
tem näher  zu  betrachten. 

Thomas  Cajetan  Wegierski  (1755—87)  repräsentirt  das  Bei- 
spiel eines  vollständigen  Enthusiasmus  für  das  Ausländische,  der 
»ich  zu  knechtischer  Verehrung  steigert  und  damit  endet,  dass 
der  Dichter,  bei  der  Schilderung  seiner  Uerzensträume , -  seines 
Wansches  Paris  zu  besuchen  und  sich  dann  in  der  Heimat  Roub- 
uMtn's,  im  Wohnort  Voltaire's,  an  den  prächtigen  Ufern  des 
(ionfersees  niederzulassen,  ausruft:  „Wo  reisst  du  mich  hin, 
inPiD  unstäter  Sinnl  ich  muBS  im  Vaterlande  bleiben  in  der  Zahl 
der  Unglücklichen,  unter  den  Barbaren,  die  sich  kaum  aus  der 
FiDstemiss  erhoben  haben,  und  unter  dem  Joche  der  gröbsten 
Vonu-tbeile  seufzen."  Sohn  nichtvornehmer  Aeltern,  mit  glän- 
zendem poetischem  Talente  begabt,  drängte  sich  Wegierski 
an  den  Hof,  ward  königlicher  Kammerherr,  doch  war  er  allen 
lästig  wegen  seiner  bösen,  scharfen  Zunge,  die  selbst  den  König 
nicht  schonte  und  W§gierski  eine  zahllose  Menge  von  Feinden 
machte.  Im  Jahre  1779  musste  er  infolge  eines  Pasquills  aaf 
die  Kaiserin  den  Hof  verlassen,  begab  sich  ins  Ausland,  fahrte 
ein  sehr  lustiges  Leben,  wozu  ihm  Glück  im  Kartenspiel  die 
Hittel  gab,  besuchte  Italien,  Frankreich,  Amerika,  England,  end- 
lich starb  er  nach  Erschöpfung  seiner  Kräfte  in  allen  möglichen 
AnBEchweifungen  im  33.  Lebensjahre  za  Marseille  an  der  Schwind- 
BQcht.  Wfgierski  betrachtete  das  Leben  als  eine  lärmende  Orgie, 
als  eine  onaufhörliche  Maskerade;  er  war  Epikuraer  und  be- 
sang nur  die  Philosophie  des  Genusses.  Ein  Meister  im  Witz, 
kommt  er  hierin  Voltaire  am  nächsten.  Er  spottet  über  die 
heUigsten  Gegenstände  S  seine  Muse  liebt  unsittliche,  wollüstige 
Erzählungen,  zuletzt  erreicht  er  die  äussersten  Grenzen  des 
Cynismus  in  einer  Menge  scbmuziger  Gedichte,  die  im  Manu- 
»cript  von  Hand  zu  Hand  gingen,  unveröffentlicht  blieben  und 
mit  den  berüchtigsten  französischen  Erzeugnissen  ähnlicher 
Art  aus  dem  letzten  Viertel  des  18.  Jahrhunderts  concurriren 
können. 


'  „Gern  möchte  ich  den  Herrgott  gehen,  wie  er  ernst  anf  dem  Diaman- 
t^Dthrone  litzt,  wie  er  geechickt  ohne  Minister  die  Maaohine  reg^iert,  denn 
w  weit  ich  nach  meinem  aohwaohen  Vorstände  artheilen  kann,  ist  es  schwer, 
ein  Stnckchen  Land  zu  verwalten,  noch  schwerer  die  Welt  u.  s.  w." 


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143  Vierte«  Eftpitel.    Die  Polen. 

Der  äatterhaftp,  leichtsinnige  Wggierski  irar  bei  all  seinea 
Mängeln  doch,  waB  man  Bagt,  ein  guter,  rechtschaffener  Kerl; 
er  feilschte  mit  seinem  Talent  nicht,  und  stand,  wenn  auch 
nicht  in  der  Kunst,  wohltönende  Verse  zu  schreiben,  doch  dem 
sittlichen  Charakter  nach  bei  weitem  höher  als  ein  anderer  Kam- 
merherr des  Königs,  ein  ebensolcher  Atheist  und  Epikuräer,  Sta- 
nislaw Trembecki,  in  welchem  man  das  Muster  eines  schmeich- 
lerischen Hofdichters  sehen  mag  (geb.  um  1726,  gest.  1812). 
Trenibecki  hatte  eine  kühne  Feder,  einen  feinen  Geschmack 
und  war  mit  den  lateinischen  GlasBikem  und  sogar  mit  den  da- 
mals wenig  gelesenen  alten  polnischen  Dichtern  der  Zeit  der 
Sigismnnde  gut  bekannt.  Ihm  gebührt  ganz  unbestreitbar  der 
Ruhm  des  ersten  Stilisten  seiner  Zeit,  seine  Verdienste  um  die 
Sprache  sind  gross;  als  Purist  märzte  er  nach  Möglichkeit  in  ihr 
fremde  Worte  und  Wendungen  aus  and  erfand  eine  Menge  neuer, 
die  durch  Kraft  und  treffenden  Ausdruck  überraschten.  Selbst 
Mickiewicz  galt  er  im  Versbau  für  einen  Meister  ersten  Banges, 
und  er  lernte  viel  tod  ihm.  Uebrigens  bat%  sich  hinter  den 
grossartigen  Bildern  und  feierlichen  Accorden  Behr  oft  nur  ein 
ärmlicher  und  gewöhnlicher  Gedanke.  Treonbecki  unterschied 
die  Poesie  nicht  you  der  Versmacherei ,  sah  hinter  der  Form 
den  Inhalt  nicht,  er  war  ^n  Priester  der  reinen  Kunst,  liir 
die  jeder  Inhalt  indifferent  ist.  Wenn  er  vom  Schicksal  in 
eine  uidere  sociale  Lage  gestellt  wäre,  würde  er  sich  wahr- 
scheinlich auch  auf  Galanterien  mit  Damen,  auf  Verse  aua- 
kreontischen  Inhalts  und  andere  ähnliche  Tändeleien  in  der 
Art  der  franzöeischen  Ters  de  societe  jener  Zeit  beschränkt 
haben;  aber  er  be&.nd  sich  am  Hofe  des  Königs,  mitten  in  der 
stärksten  Glat  der  politischen  Leidenschaften,  man  nöthigte  ihn 
auch,  politische  Pamphlete  über  gegebene  Themen  zn  schreiben, 
auf  Befehl  zu  loben  oder  diejenigen  zu  schmähen,  die  er  vorher 
in  den  Himmel  erhoben  hatte.  Trembecki,  der  sich  durch  voll- 
ständige Gesinnungslosigkeit  auszeichnete,  war  zu  allen  Dien- 
sten bereit.  Seiner  Würde  achtete  er  so  wenig,  dass  er  sich 
in  einem  seiner  Gedichte  mit  dem  Hündchen  des  Königs  Fonia- 
towski  verglich.  Er  verschwendet  vor  dem  König  die  gemeinste 
Schmeichelei,  indem  er  ihn  einen  „Vater  des  Vaterlandes"  nennt. 
„Von  dir",  sagt  er,  „kommt  das  Licht,  das  unter  uns  leuch- 
tet, and  uns  wieder  des  Namens  der  Slaven  würdig  macht.  Der 
durch  deine  Bestrebungen  erleuchtete  Pole  weiss  den  schönen  Tod 

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Die  Periode  Pooiatowiki's.  143 

flioen  nilimloBea  D&sfiin  Yorzuziehen.  ...  Du  hast  uns  unter- 
neeen,  berühmt  gemacht  uod  geschmückt,  firsoheiae,  Furie, 
Dud  Bftge:  was  hat  er  than  können  und  nicht  gethan."^  Der 
Kösig  war  wiriclich  ein  kluger,  liebenswürdiger  Mann  und  ein 
Wohltfaäter  Tremb«eki'B;  man  könnte  glauben,  die  Dankbarkeit 
kibe  den  Dichter  geblradet,  ihm  die  Mängel  dee  Königs  rer- 
boiffln  nnd  ihn  veranlasst,  die  nötliige  Sclücklicfakeit  ausser  Acht 
la  laasen.  Aber  nicht  dem  König  allein  schmeichelte  er;  es  gibt 
mle  Eneagnieae  toq  ihm,  die  sich  nicht  anders  als  durch  seine 
IHeiarische  Käuflichkeit  erklären  lassen.  Als  der  Jesuitenorden 
TOB  Papst  Clenene  XIV.  aufgehoben  wurde,  schreibt  Trembecki, 
Atheist  der  Gesinnung  nach,  eine  Elegie  auf  den  üniet^ang  des- 
selben.' Als  er  ZQ  denen  gehörte,  vetche  aus  Petersburg  Pessio- 
nea  enpfingen,  feierte  er  in  eriiabenem  Tone  die  Tugenden  der 
srndisdien  lünerra  und  ihrer  Helfershelfer,  welche  die  Liebene- 
wärdigkeit  Versailles  mit  der  Verwegenheit  der  Skythen  vweinig- 
ten.  Er  besingt  den  «ner  Ceder  Ton  Damaskus  ähnlichen  Po- 
t^kin  und  BumjiwooT,  der  die  zweibömige  Lnna  «einer  Befebls- 
htberin  zu  Füssen  gelegt  habe.  Ganz  und  gar  Kosmopolit,  jedes 
Patriotismns  bar,  lobt  Trenbecki  dennodi  mit  patrioUschMi 
Versen  den  Schmied,  der  einige  Wagen  Tür  die  Truppen  der 
B^nblik  gespendet  hatte,  aber  als  der  Donner  erscholl  und  auf 
AoB  Beicfastag  m  Grodno  nach  der  berühmten  stummen  Sitzung 
die  zwdte  TbeÜnng  Polens  unterschrieben  wurde,  fand  sich  bei 
Trembecki  Kühnheit  und  Stimmung,  die  aus  Grodno  zurück- 
gekehrten Beichsboten  zu  trösten  und  sie  für  ihre  Soi^e  uin 
die  BepaUik  zu  loben.  Um  seinen  VerraUi  einigermassen  m 
msbtfertigen ,  erfiand  er  auch  eine  ganse  panslaristische  Theorie 
and  auf  dem  friechen  Grabe  des  Vatu^andes  üngt  er,  der 
Kaenopolit,     von    brüderlicher   Einbog  d«r    blutsverwandten 


'  Wiens  do  St.  AiguaU  powrao)g$Oego  c  podrö^  Wolpid^j  1767  r. 
(Gediekt  von  St.  Angnat  bei  sejoer  Rüokkelir  voa  der  voljmiBoheD  Reise  in 
Jihr  1787.) 

*  „Die  Söhne  Loyol&'s  haben  den  Rahm  vor  der  Welt,  dosa  tausende 
Ton  ihnen  HArtyrer  wuen,  keiner  ein  Henker.  Um  den  uralten  Tempel  zu 
itbMn,  niiMt«ii  («erat  üe  Pfeiler  ratgeworfen  werden.  Gabst  du  in  der 
AhricU  de»  Orden  dem  fltarken  SoUag,  so  glaube  ich,  Clemeni,  dan  du 
■rftklbw  biet  I  . . .  Wenn  ihr  die  Steineheu  von  dieeen  gestürzten  Stalen 
momelt,  *o  könnet  ihr,  Könige,  Bohöne  HoBaiken  haben." 


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144  TierteB  Kapitel.    Die  Polen. 

Stämme.'  In  der  Ode  an  Fürst  Repnin  aus  AiiIhss  des  geplnti- 
ton  Krieges  mit  der  Türkei  spricht  er  sich  folgendermassen  auK: 
„Bald  werden  wir  mit  stark  gewaohseuen  Kräften  die  Gittor 
des  Harems  zerbrechen  und  in  Stambal  mit  den  bezaubern- 
den Töchtern  der  Sonne  tanzen."  Zur  VerTollBtändigung  der 
Charakteristik  Trembecki'e  sei  noch  bemerkt,  dass  seine  Epi- 
gramme roh  und  flach  waren  und  die  politischen  Stücke  an 
poetische  Denunciation  streifen.  Eine  der  widerwärtigsten  De- 
nuQciationen  solcher  Art  trägt  den  Titel:  „Joannes  Sarcasmus" 
and  ist  gegen  den  des  Jakobinerthums  verdächtigen  Publicisten 
Adalbert  Turski  gerichtet,  dem  Trembecki  die  Ruthe  in  einer 
BeBsernngsanstalt  verspricht,  und  darnach  räth,  ihn  in  ein  Irren- 
haus zu  bringen. 

Trembecki  nahm  ein  klägliches  Ende.  Als  es  keinen  König 
mehr  gab,  fand  er  am  Hofe  eines  der  stolzesten  Magnaten  und 
der  finstersten  Politiker  jener  Zeit,  Felix  Potocki,  des  Anstifters 
der  Targowicer  Confoderatioo ,  ein  Unterkommen.  Potocki  war 
mit  einer  Griechin,  Sophia,  verheirathet ,  die  auf  dem  Sklaven- 
markte  zu  Stambul  gekauft  und  in  ganz  Europa  durch  ihre 
Schönheit  und  Ausschweifung  bekannt  war;  ihr  zu  Ehren 
legte  Potocki  einen  Garten  bei  HumaA  in  Podolien  an,  der 
MilHonen  kostete,  und  nannte  ihn  Zofijöwka.  Um  die  Mu&se- 
stunden  seines  neuen  Herrn  zu  versussen,  verfasste  der  siebzig- 
jährige Trembecki  eine  lange  beschreibende  Dichtung  nach  dem 
Muster  Delille^s,  welche  alle  Reize  Zofijöwka's  besingt  und  mit 
einer  dem  Lucrez  entnommenen  philosophischen  Weltbetrach- 
tnng  der  hinsterbenden  Civilisation  schHessi:  „Das  Gewfebe  der 
Dinge  ist  ohne  Ende  und  An&ng,  es  nimmt  weder  zu  noch  ah, 
sondern  erscheint  immer  in  neuer  Gestalt.  In  mir  iöt  kein  -ein- 
ziges von  den  Atomen  mehr,  welche  vor  einem  halben  Jahrhun- 
dert meinen  Körper  bildeten,  sondern  ich  habe  mir  an  ihrer 
Stelle  durch  Nahrung,  durch  Speise  und  Trank  Theilchen  an- 
derer Wesen  angeeignet.  Indem  ich  jede  Minute  Theilchen  aus 
mir  ausscheide,  nähre  ich  andere  Geschöpfe.  Wenn  der  all- 
mählich  verfallende  Bau  unscrs  Körpers    aufhört  zur  Aufnahme 


'  „AuH  demselben  Reis,  wie  wir,  ist  der  Busse  (geboren,  ein  K'eioher 
Muth  lästt  aicb  ihm  uiobt  absprechen.  Aber  das  volkreiche,  weite  und  dem 
MoDarohen  treue  Land  hat  aus  diesen  drei  QrüDdeu  eineu  ungelieuern  Tor- 
zug vor  una." 


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Ignaz  Krasiclii.  ]45 

des  himmlischen  Feuers  fähig  zu  sein,  bo  tritt  das  ein,  was  wir 
Tod  nenneo,  aosere  Ueberreste  aber  vertheilt  der  Leib  der 
grossen  Mutter  an  die  andern  lebendigen  Wesen." 

In  seinen  alten  Tagen  kam  Trembecki  sichtlich  herunter, 
er  verfiel  in  Armuth;  dieser  einst  glänzende  Ca  valier,  der  gegen 
30  Duelle  hatte  meist  wegen  Damen,  ward  ein  schrnuziger  Gy- 
niker  und  nienschenscheuer  SonderHog-,  er  starb  unbeachtet  und 
von  allen  vergessen  zn  Ende  des  denkwürdigen  Jahres  1812- 

Der  Erfolg  Trembecki's  bei  der  innem  Nichtigkeit  seiner 
Werke  ist  eine  pathologische  Erscheinung,  das  krankhafte  Pro- 
doct  der  Fäulniss.  Aber  der  gesellschaftliche  Organismus  trieb 
bei  all  seiner  Verderbniss  gesunde  und  kräftige  Triebe,  die  das 
Vorhandensein  sittlicher  Kräfte  bekundeten.  Der  einflussreichste 
Süd  getreaeste  Vertreter  des  18-  Jahrhunderts  in  Polen  —  in 
ftllem,  was  dasselbe  an  Edlem,  Humanem,  AllgemeiD-menscblichem 
begase  —  war  Ignaz  Krasicki ',  Bischof  von  Enueland  (geb.  in 
RotbruBsland,  zu  Dubiecko  1735,  gest.  zu  Berlin  1801).  Von  Kind- 
heit an  befand  er  sich  in  den  günstigsten  Verhältnissen ,  sowol 
der  Herkunft  als  dem  Reich  thum  und  der  gesellschaftlichen  Stel- 
lung nach.  Sein  Geschlecht  war  sehr  alt  und  vornehm  und  hatte 
einst  die  Grafenwürde  von  den  deutscheu  Kaisern  erhalten. 
Seine  Aeltem  besassen  bedeutende  Güter  im  Gebiet  von  Sa- 
Dok;  da  sie  nicht  wünschten,  diese  Güter  unter  ihrer  zahlreichen 
Nachkommenschaft  zu  zerstückeln,  bestimmten  sie  von  frühen 
Jahren  an  Ignaz  und  drei  jüngere  Brüder  desselben  zum  geist- 
hchen  Stande,  in  der  Hoffnung,  dass  bei  den  Verbindungen  der 
Familie  ihre  Kinder  höhere  Stellen  in  der  kirchlichen  Hierarchie 
erlangen  würden.  Man  kann  nicht  sagen,  dass  die  Neigungen 
d^  lebendigen  und  empfänglichen  Knaben  dem  Berufe  entspro- 
chen hätten,  zu  dem  man  ihn  bestinunte,  er  betrachtete  das 
Priesterthum  nur  als  Carriere.  Er  studirte  zu  Lemberg  bei  den 
Jesuiten  und  als  er  schon  einige  einträgliche  geistliche  Stelleu 
innehatte,  begab  er  sich  zum  Abscbluss  seiner  Ausbildung  nach 
Itom.    Hier  (1760 — 61),   in   der  Hauptstadt  des  Katholicismus, 


'  J.  I.  Kraszenski,  „Enuicki,  tycie  i  dzieta,  kartka  z  dziejöw  litcra- 
twy  (in  der  Zeitocbnft  AteneurD,  1878,  Nr.  2,  3,  5,  7);  Ad.  Mieleszko  Ma- 
liizkiewicz,  „Kilka  szczegolöw  do  biografii  Krasii-kiego"  (ia  Ktos;  1878, 
!4r. 688-691);  P.  Chmielowski,  „Cbarakterystyka  1.  Kraaickiego"  (in  der 
Zeitochrift  „Niwa",  1879). 

trm,  31>TlMhs  UteniDien.    H,  I.  Kj 


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146  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ward  der  Geist  des  jungen  Priesters  am  meisten  ergriffen,  nicht 
von  dein  Glanz  des  Gottesdienstes  und  den  kirchlichen  Traditio- 
nen, sondern  von  den  grossen  ReminiBcenzen  des  antiken  Roms- 
Er  selbst  sagt  von  sich,  dass  er  mit  Ehrfurcht  den  Boden  be- 
rührt habe,  anf  welchem  einstmals  die  Catone  wandelten;  das 
Lieblingsziel  seiner  Spaziergänge  war  das  Forum  romanum. 

Die  Phantasie  malte  ihm  auf  diesem  Platz  die  Rostra-Tribüne, 
er  hörte  im  Geiste  die  Reden  derGraccben,  Hortensier,  Cicerone; 
die  Bernhardiner  Mönche,  die  Inhaber  der  Ueberreste  des  Tem- 
pels des  olympischen  Jupiters,  erschienen  ihm  als  alte  Augnm; 
sogar  die  Gänse  auf  dem  tarpejischen  Felsen  galten  ihm  für 
Nachkommen  jener  Gänse,  welche  Rom  vor  den  Galliern  retteten. 
Der  wissbegierige  Wanderer ,  entzückt  von  der  Vergangenheit, 
lässt  auch  praktische  Ziele  nicht  aus  dem  Auge,  denkt  daran, 
wie  er  sich  versorge,  sein  Geschlecht  erhöhe,  schmucke  und 
verwandten  Personeu  helfe.  „Du  wirst  durch  die  Wirthin  Geld 
haben",  schrieb  er  scherzweise  an  seineu  Bruder,  „und  ich  werde 
durch  weibliche  Cbarlatanerie  zu  Rang  kommen  und  sobald  nur 
einer  von  diesen  Wegen  von  Erfolg  begleitet  ist,  wird  es  viel- 
leicht dem  Hause  zu  Gute  kommen."  Nach  seiner  Rückkehr 
.nach  Polen  im  Jahre  1762  traf  der  gebildete  junge  Abbe,  der 
durch  seine  Predigten  in  der  Kirche  und  noch  mehr  durch  sei- 
nen funkensprühenden  Witz  in  den  Salons  berühmt  war,  in 
Warschau  mit  dem  Trucbsess  von  Litauen  zusammen,  der  in 
ihm  sofort  den  künftigen  polnischen  Voltaire  erkannte;  infolge 
dessen  wurde  Erasicki,  als  der  Truchsess  König  geworden,  sein 
Vertrauter  und  Liebling,  dem  er  in  den  Briefen  an  Frau  GeofF- 
rin  den  familiären  Namen  Miuet  gibt.  Die  Freundschaft  des  Könige 
kam  Krasicki  schon  in  sehr  kurzer  Zeit  zu  statten.  In  demjenigen 
Tlieile  des  Königreichs  Preussen,  welches  Ermeland  heiest,  ver- 
brachte der  alte  Bischof  Grabowski  seine  letzten  Lebenstage.  Es 
war  ein  Coadjutor  (Vicar)  iilr  denselben  ausfindig  zu  machen, 
der  nach  seinem  Tode  seine  Stelle  übernähme.  Vom  Coadjutor 
des  Bischofs  wurde  verlangt,  dass  er  preussischer  Bürger,  Mit- 
glied des  Kapitels  sei,  dass  er  von  Grabowski  dem  Kapitel  vor- 
geschlagen und  von  diesem  gewählt  werde.  Freunde  halfen  Kra- 
sicki, den  erstem  beiden  Bedingungen  zu  genügen,  d.  h.  das 
preussischc  Indigenat  zu  erlangen  und  einen  der  Kanoniker  des 
Kapitels  zu  bewegen,  dass  er  seine  Stelle  an  Krasicki  abtrat. 
Schwerer  war   es,  dem   alten  Grabowski   beizukommen,    einem 

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IgnM  Kraaicki.  147 

altmodischen  Mann ,  dem  Krasicki  mit  seinen  Maniereu  der 
grosseo  Welt  und  seinem  Geist  als  eine  für  die  bischöfliche 
Würde  nicht  taugliche  Person  erscheinen  musste.  Krasicki  he- 
fasste  sich  auch  wirklich  mehr  mit  Versen  als  mit  dem  Messhuch, 
liebte  Damengesellschaft,  trug  in  den  Pamphleten  jener  Zeit  den 
Nunen  Gladysz  (der  Coquette)  oder  UmizgaUki  (Stutzer)  und 
es  drcalirte  sogar  eine  Carricatur,  welche  ihn  eine  Messe  lesend 
darstellte,  umgehen  von  Damen  in  Reifröcken,  welche  die  Dienste 
des  Küsters  verrichteten.  Die  Bitten  des  Königs  waren  ahcr  so 
eindringlich,  das»  der  Greis  nicht  widerstehen  konnte  und  seine 
Zuttimmung  gab.  Der  von  ihm  vorgeschlagene  Krasicki  wurde 
im  Jahre  1766  zum  Coadjutor  des  Bischofs  von  Ermeland  ge- 
wählt. In  demsdben  Jahre  starb  Grahowski  und  der  dreissig- 
jährige  Krasicki  ward  sein  Kachfolger.  Der  Bischof  von  Erme- 
land galt  für  den  ersten  Senator  Freussens;  seit  Krmeland  dem 
Deutschen  Orden  angehörte,  trug  er  den  Titel  eines  Fürsten 
des  heiligen  römischen  Reichs,  hatte  eine  umfangreiche  richter- 
liche Gewalt,  ein  prächtiges  Schloss  zu  Heilsherg,  und  den  Ein- 
kooReD  nach  stand  der  Bischofssitz  von  Ermeland  in  dritter 
Linie  —  er  brachte  gegen  400000  poln.  Gulden  ein  und  stand 
nur  dem  Erzbiethum  zu  Gnesen  und  dem  Bisthum  zuKrakau  in 
dieser  Hinsicht  nach.  Gleich  nach  der  Erhöhung  Krasicki's  folgte 
eine  grosse  Abkühlung  der  Gefühle  des  Königs  gegen  ihn.  Der- 
selbe hatte  auf  thätige  Hülfe  und  Dienste  des  ihm  verbundenen 
Hannes  in  der  Politik  gerechnet;  statt  dessen  erwies  sich  Kra- 
sicki als  das,  was  er  immer  war,  —  als  ein  Weltmann,  der 
in  Warschau  ein  offenes  herrschaftliches  Haus  führte ,  und 
als  Literat,  der  sieb  abseits  aller  Intriguen  und  Parteien  hielt. 
htolge  dessen  finden  sich  in  der  Correspondenz  des  Königs 
mit  Frau  Geo£Frin  fortwährend  Klagen  über  Minet,  dass  er 
ein  Faullenzer',  dass  er  ein  Egoist^  sei,  er  wird  gescholten, 
ja  zuletzt  direct  schwarzen  Undanks^  beschuldigt,  wahrscbein- 
Ueh  w^en  der  unbedingten  Neutralität,  die  er  in  der  für 
den  König  schweren  und   betrübenden  und  hässlichen  Periode 


'  13  IHM  1767:  Mioet  est  nlle  faire  la  retraite  du  rat  dune  son  fro- 
Oage.  FM  grande  peur  que  ce  Minet  si  ainiablc,  ni  apiriiuel,  si  applique 
H  qui  Die  doit  tant,  ne  devieone  an  faiueant  qui  ae  xe  Houcie  de  rien. 

'  24  »ept.  1767:  le  defaut  de  Minet  et  d'etre  i^rsounei. 

*  27  ocL  1771 :  ingTBtitade  etfroyahle. 

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148  VierteB  Kapitel.    Die  Polen. 

seiner  Isolining  während  der  Confiideration  von  Bar  beobach- 
tete. Das  Schicksal  selbst  schnitt  alle  geschäftlichen  Be- 
ziehungen zwischen  dem  enttäuschten  Protector  und  seinem 
ehemaligen  Liebling  ab,  als  (1772)  nach  der  ersten  Thei- 
lung  Polens  ganz  Ermeland  zu  Preussen  kam,  Krasioki  jen- 
seits des  Grenzcordons  blieb,  und  sich  aus  einem  Senator 
der  Republik  in  den  Unterthanen  einer  selbstherrlichen  Mon- 
archie verwandelt^,  noch  dazu  mit  gehörig  beschnittenen  Ein- 
künften, da  ein  beträchtlicher  Theil  derselben  auf  Anordnung 
Friedrich's  des  Grossen  an  die  Staatscasse  überging.  Der  ge- 
wöhnliche Aufenthaltsort  Krasicki's  wav  jetzt  das  altertbüm- 
liche  bischöfliche  Schloss  zu  Heilsberg,  zuweilen  besuchte  er 
Berlin  und  Sanssouci,  wohin  ihn  der  königliche  Reformator 
berief,  der  es  liebte,  zu  zwangloser  Unterhaltung  Literaten 
und  Philosophen  um  sich  zu  sammeln.  Der  Fürstbischof  ward 
ein  aufrichtiger  Verehrer  des  Königs:  sie  waren  beide  Rationa- 
listen, durchdrungen  von  den  fortschrittlichen  Ideen  des  18.  Jahr- 
hunderts. In  einen  andern  Staat  Übergegangen,  zeigte  Krasicki 
erst  von  da  an  sein  hervorragendes  Talent  in  der  Verbreitung 
aufklärender  Ideen  in  seinem  wirklichen  Lichte,  indem  er  im 
Namen  der  Vernunft  und  der  Freiheit  eine  radicale  Reform 
der  gesammten  Menschheit  predigte,  ohne  Blut  und  Gewalt- 
tbätigkeit,  ganz  allein  vermittels  des  Wissens  und  der  Fort- 
schritte der  Bildung.  Den  Ideen  des  18.  Jahrhunderts  dient« 
er  nur  als  Literat,  aber  bei  dem  Umfang  und  der  Universalität 
seiner  Kenntnisse,  bei  der  Mannichfaltigkeit  der  in  Angriff  ge- 
nommenen Aufgaben  und  einer  vor  ihm  nicht  dagewesenen  Frucht- 
barkeit und  Schönheit  der  Form  übertraf  er  alle  Zeitgenossen 
und  that  für  die  Philosophie  des  18-  Jahrhunderts  in  Polen  mehr, 
als  sie  alle  zusammengenommen.  Groell  in  Warschau  druckte 
Dichtungen,  Sammlungen  von  Versen,  Romane,  nur  mit  den  Buch- 
staben X.  B.  W.  bezeichnet,  die  sich  aber  schnell  verbreiteten  und 
im  Publikum  unter  dem  Namen  Nowalie  warmiäskie  (Erst- 
linge aus  Ermeland)  bekannt  waren:  „Myszeis"  („Der  Mäuee- 
krieg")'  „Monacbomachia"  (1775),  „Przygody  Doäwiadczy^skiego" 
(„Abenteuer  Doöwiadczynski's",  1776),  „Satyry"  („Satiren",  1778), 
„Pan  Podstoli"  („Der  Herr  üntertruchsess",  1778)  u.  ß.  Jedes 
Werk  persiflirte,  belehrte,  die  Belehrung  war  in  eine  unterhaltende 
Form  gekleidet,  der  Roman  hatte  alle  Eigenschaften  eines  poli- 
tischen Pamphlets,  der  Vers  war  zierlich  und  elegant,  satirisch, 

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Toll  attiscbeo  Salzes  und  gutmUthigsteD,  nicht  beleidigenden  Hu- 
mors. Man  darf  in  diesen  Werken  weder  Tiefe  noch  Kraft  der 
GeföUe,  noch  echte  Poesie  sucbm,  aber  die  Pfeile  trafen  sicher, 
die  Anspielungen  waren  sofort  zu  erratben,  die  glücklichen  Wen- 
dungen wurden  auswendig  gelernt  und  gingen  in  Sprücbwörter 
über;  keiner  von  den  Zeitgenossen  beackerte  so  sorgfältig  die 
»erwilderte  Flur  der  geistigen  Bildung  des  zurückgebliebenen  Vol- 
kes, niemand  trug  mehr  als  Krasicki  zur  Läuterung  des  Ge- 
schmacks, zur  Zerstreuung  von  Vorurtheilen  bei.  Der  Fürst- 
irischof  von  Ermeland  verwandelte  sich  in  einen  „Fürsten  der 
Dichter"  und  Trerobecki  sprach  keine  Schmeichelei  aus,  sondern 
das  aufrichtige  Gefühl  des  Volkes  in  den  Worten:  „Von  der 
würdigen  Kunst  witzig  und  geschmackvoll  zu  schreiben,  gabst 
du  das  erste  Muster  zu  unsers  Äugust's  Zeit." 

In  dem  Verbältniss  wie  der  Ruhm  des  Dichters  wuchs,  bes- 
serten sich  auch  seine  Beziehungen  zum  König;  von  Undank  war 
keine  Rede  mehr;  im  Gegentbeil  der  Dichter  bezahlte  die  frühem 
Schulden  mit  Wucher,  kämpfte  in  der„MyBzeia"  für  dieselben  Ideen, 
die  der  König  beförderte,  schlug  in  den  Satiren  die  geraein- 
samen Gegner,  pries  die  Umgänglichkeit  des  Königs,  seine  Liebe 
zur  Bildung,  seine  Beschützung  der  Wissenschaft  und  Kunst. 
Der  König  begann  auf  den  Dichter  stolz  zu  sein,  der  wenn  auch 
nicht  seine  Schöpfung,  so  seine  Entdeckung  war;  er  nahm  ihn 
1782  grossartig  auf,  liess  ihn  in  seinem  Palast  wohnen  und 
ehrte  ihn  mit  einer  ihm  zu  Ehren  geprägten  Medaille;  musa 
vetat  mori.  Nacbdem  er  nach  dem  Aufenthalt  in  Warschau  das 
schon  österreichische  Bothmssland  und  sein  heimatliches  Du- 
biecko  besucht,  kehrte  Krasicki  nach  Heilsbei^  zurück,  von  wo 
er  immer  häufiger  an  eine  Uebersiedelung  nach  Polen  zu  denken 
begann.  Dahin  zog  ihn  nicht  nur  der  Wunsch,  dem  geistigen 
Centrom  des  Landes,  Warschan,  nahe  zu  sein,  sondern  auch  ein- 
gehe ökonomische  Erwägungen.  Er  schränkte  sich  in  nichts 
gern  ein,  sein  Haus  war  stets  voll  von  Verwandten  und  Gästen, 
sein  Tisch  war  vorzüglich,  theure  Sammlungen  von  Kupferstichen 
nnd  Büchern,  die  Passion  für  den  Gartenbau  verschlangen  alle 
Einkünfte;  dieser  Inhaber  eines  der  einträglichsten  Bischofssitze 
gelangte  zuweilen  zu  dem  Schluss,  dass  er  Noth  und  Mangel  leide, 
er  und  die  Verwandten  liefen  nach  Warschau,  um  ihm  den  Weg 
mm  Primat  oder  wenigstens  zum  Bischofssitz  von  Krakau  zu  er- 
öffnen.    Diese  Hoffnungen  veranlassten  ihn,  eine  erfolglose  Reise 

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150  Viertes  Kapitel.    Die  Puleu. 

Bach  Warschau  zu  machen  (1789),  gerade  während  der  stür- 
mischsten Zeit  des  vierjährigen  Reichstags,  und  in  den  ihm  tief 
widerwärtigen  Abgrund  der  erregten  demokratischen  Leiden- 
schaften am  Vorabend  der  Katastrophe  zu  tauchen.  Die  Lage 
der  Dinge  benrtheiltc  er  richtig ',  der  Znknnft  gegenüber  verhielt 
er  sich  skeptisch  und  zog  sich  wieder  in  sein  Heilsberg  zurück, 
um  sich  mit  den  Büchern  zu  beschäftigen,  in  klarer  und  ziemlich 
ruhiger  Voraussicht  des  grossen  Zusammenbrncbs.  Aber  als  das 
verhängnisBvolle  Ende  eintrat,  begann  dieser  scheinbar  gleich- 
gültige Mann  mit  ebenderselben  Frische  ja  sogar  Fröhlichkeit 
die  unversehrt  gebliebenen  Ueberreste  der  glänzenden  Gesell- 
schaft um  sich  zu  sammeln  und  lenkte  seine  Thätigkeit  darauf, 
in  ihr  das  geistige  Leben,  die  literarische  Bewegung  zu  unter- 
halten. Infolge  der  letzten  Theilungen  Polens  waren  nicht  nur 
Posen,  sondern  auch  die  Hälfte  des  jetzigen  Königreichs  Polen 
zu  Preussen  geschlagen  worden.  Der  König  von  Preussen  ernannte 
in  der  Absicht,  Ermeland  für  einen  Deutschen  freizumachen, 
Krasicki  1795  zom  Erzbischof  von  Gncsen;  dies  war  aber  be- 
kanntlich der  erste  Bischofssitz  in  der  polnischen  Kirche  und  es 
blieb  ihm  selbst  nach  den  Theilungen  noch  ein  Rest  des  frühem 
Glanzes  und  der  frühem  Bedeutung. 

In  dem  verwaisten  und  verödeten  Warschan,  in  seiner  Resi- 
denz zu  Skierniewice,  zu  Lowicz  sammelte  er  unter  seine  Flügel 
die  Schriftsteller,  welche  sich  aus  dem  grossen  Schiflfbruch  ge- 
rettet hatten,  und  arbeitete  mit  seiner  Greisenband  an  der  Erhal- 
tung der  Leuchte  einer  nationalen  Literatur,  in  der  er  das  Pfand 
einer  künftigen  Wiedergeburt  der  Nation  sah.  In  Lowicz  begann 
er  die  Zeitung  „Co  tydzieü"  (Wochenblatt)  herauszugeben,  in 
Warschau  munterte  er  einen  Freund,  dem  er  die  Heransgabe 
einer  Sammlung  seiner  Werke  übertrug,  Fr.  Xaver  Dmochowski, 
zur  Herausgabe  einer  wissenschaftlich-literarischen  Zeitschrift  auf, 
auch  entstand  unter  seiner  Mitwirkung  nicht  lange  vor  seinem 
Tode  die  Gesellschaft  der  Freunde  der  Wissenschaften  (Towa- 
rzystwo  przjjaciöt  nauk)  in  Warschau,  in  der  sieb  fast  die  ganze 


'  „Willst  da  wiasen",  sagt  er,  „was  die  ReitihBstände  eigentlich  sind; 
mit  einem  Worte  erwidere  ich:  es  ist  eine  Orgel,  in  welcher  jede  Taste  tont, 
wenn  man  sie  berührt  wie  sichR  gehört,  und  es  spielt  auf  ihneu  der  Orga- 
nist Lueubesini,  die  Dalge  voll  UofTnung  auf  künftigeu  Glück,  werden  von 
Uebermuth  und  Rache,  die  einander  die  Hand  reichen,  getreten." 


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IgDsz  Ki'ssiuki.  151 

getstige  Thätigkeit  des  polnischen  Volkes  im  ersten  Viertel  des 
19.  Jahrhunderts  coucentrirte. 

Indem  wir  an  die  Analyse  der  Werke  Krasicki'e  gehen,  be- 
räliren  wir  seine  TJebersetziingen  und  NachahmuDgen  nur  im 
Vorübergehen  und  bleiben  bei  seinen  Original  werken  länger 
stehen.  Krasicki  war  mit  dem  classisehen  Alterthum  wohlbekannt; 
er  übersetzte  den  ganzen  Flutarch  nnd  Lacian  von  Samosata. 
Die  bessern  Leute  des  18.  Jahrhunderts  begeisterten  sich  für  die 
repablikanischen  Tugenden  der  grossen  Männer  des  Plut&rch  und 
znEchen  dem  bosbaften  Spötter  Lucian  und  Krasicki  war  sehr 
TJel  Gemeinsames.  In  Nachahmung  Plutarch's  und  Lucian 's 
Ter&sste  er  eine  Menge  Biographien  von  grossen  Männern  der 
neneni  Zeit  nnd  von  „GesprucheD  im  Reiche  der  Todten".  Sehr 
Terdient  machte  er  sich  durch  Heraasgabe  einer  umfangreichen 
Eacykiopädie  aller  Wissenschaften  in  alphabetischer  Ordnung 
QDter  dem  Titel:  „Zbior  wiadomosci"  („Sammlung  der  Wissen- 
schaften", 2  Bde.,  1781—82)-,  er  unternahm  auch  den  in  Polen 
in  seiner  Art  ersten  Versuch  einer  Geschichte  der  allgemeinen 
poetischen  Literatur  Europas  unter  dem  Titel:  „Ueber  die  Dichte 
konst  und  die  Dichter"  (das  Buch  erschien  nach  seinem  Tode). 
Die  Aufgabe  war  gewaltig,  das  Buch  überrascht  nicht  so  sehr 
durch  seinen  Umfang,  als  durch  die  grosse  Belesenheit  Krasicki'B, 
der  sich  behufs  der  Zusammenstellung  dieser  Chrestomathie  mit 
der  ganzen  Welt  der  Dichter  von  Orpheus  und  Bidpai  an  bis 
Voltaire  und  Gessner  bekannt  machen  musste  —  aus  jedem  Dich- 
ter mussten  nach  einer  kurzen  Charakteristik  desselben  Bruch- 
Btiicke  in  Uebersetznng  angeführt  werden.  In  seineu  Urtheilen 
ober  die  poetische  Production  ist  Krasicki  ein  Anhänger  des  Ari- 
stoteles und  steht  nicht  über  Boileau ;  die  Poesie  ist  ihm  eine  an- 
genehme Fiction,  im  Drama  fordert  er  die  alte  Beobachtung  der 
drei  Einheiten;  vom  Epos  verlangt  er,  dass  es  einen  Helden 
habe  und  dass  dieser  ausserdem  in  jeder  Beziehung  Achtung  ver- 
diene (Milton  ist  nach  der  Meinung  Krasicki's  darin  unpassend 
verfahren,  dass  er  sich  zu  seinem  Haupthelden  den  Satan  ge- 
wählt bat).  Ueber  Shakespeare  urtbeilt  Krasicki  in  Voltaire'soher 
Weise:  „in  diesem  Schriftsteller  wird  der  Mangel  an  Wissenschaft 
durch  die  Grosse  des  Geistes  ausgeglichen;  seine  Werke  athmen 
eine  gewisse  ßohheit,  unter  den  gröbsten  Fehlern  schlagen  bei 
ihm  zuweilen  Glanzpunkte  durch,  die  ihn  über  die  Meister  stel- 
len." Vom  Volkstbümlicheu  in  der  Poesie  hatte  Krasicki  nicht  den 


X52  Vierlea  Kapitel.     Die  l'olcii. 

geringsten  Begriff:  die  Individualitäten  jedes  Volke«,  jedes  Schrift- 
stellern und  jedes  Zeitalters  werden  in  seiner  glatten  Uebersetzung 
vertuscht  und  verwiecht,  sie  gleicht  mehr  einer  Paraphrase,  mid 
der  Uebereetzer  kümmert  sich  gar  nicht  um  eine  genaue  Wieder- 
gabe des  Originals.  Der  Mangel  an  historischer  Kritik  und 
Volkstbümlichkeit  in  der  Poesie  hatten  zur  l'olge ,  dass  die 
epischen  Versuche  Kraaicki's  schwach  und  einige  unter  aller 
Kritik  sind.  Mau  veranlasste  ihn  zu  schreiben  und  drängte 
ihn  1782  herauszugeben  eine  nationale  heroische  Dichtung  in 
hohem  Stil  über  denselben  Gegenstand,  der  schon  Waotaw  Po- 
tocki  begeistert  hatte.  Wahrscheinlich  wusste  er  gar  nicht,  dass 
Potocki's  „Chotiner  Krieg"  überhaupt  existirte,  und  er  schrieb  in 
Octaven  ein  zweites  solches  Werk  unter  dem  gleichen  Titel  — 
eine  blasse  Copie  von  Voltaire 's  „Henriade"  mit  einer  Menge 
allegorischer  Fersonificationen ,  wie  Ruhm,  Glaube  u.  s.  w., 
eine  Dichtung,  in  der  sowol  Einsiedler  als  Schwarzkünstler, 
sowol  Teufel  als  Engel  auftreten,  der  aber  das  Colorit  der 
Landschaft  fehlt,  die  als  Schauplatz  der  Ereignisse  dient,  und 
die  bei  Potocki  so  wahrheitsgetreu  dargestellt  ist,  in  der 
nicht  lebendige  Personen,  sondern  nur  Puppen  auftreten, 
dem  endlich  jegliche  Achtung  vor  der  historischen  Wahrheit 
fehlt  —  sodass  z.  B.  der  Held  der  Dichtung ,  der  greise, 
secbzigjährige  Ghodkiewicz  in  einen  vom  Feuer  der  Liebe 
glühenden  Neuvermählten  verwandelt  ist  Die  maschinen- 
artige Künstlichkeit  und  die  Unwahrheit  der  Grundlage  wer- 
den nicht  wie  in  der  „Henriade"  durch  den  innem  Gebalt 
der  Dichtung  ersetzt;  es  mangelt  eine  philosophische  Idee, 
die  der  Epopöe  zu  Grunde  gelegt  wäre.  Wenn  in  ihrem 
Culminationspunkte  der  Geist  des  Wladyslaw  Jagiello,  des  bei 
Varna  gefallenen,  den  Ghodkiewicz  im  Traume  zum  Himmel 
emporzieht,  zu  dem  öden,  kalten  Himmel  des  18-  Jahrhunderts 
ohne  Bilder  und  Personen,  der  nur  mit  Planeten,  Sonnen  und 
Kometen  bevölkert  ist ,  so  läuft  der  ganze  Sinn  der  Reden 
des  führenden  Geistes  nur  darauf  hinaus,  dass  alles  Irdische 
Eitelkeit  der  Eitelkeiten  sei,  und  dass  man  sich  nicht  daran 
hängen  dürfe.  Bei  weitem  besser  als  das  heroische  gelang  Kra- 
aicki  das  scherzhafte  Epos,  das  in  der  Thierwelt  spielt  oder 
dem  Klosterleben  entnommen  ist.  Sowol  der  Art  seines  Geistes 
als  dem  Charakter  der  Zeit  nach,  die  sich  mit  der  Zerstörung 
jeder  Art  von  Götzen  beschäftigte,    war  Krasicki  Satiriker  und 

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Iguaz  Ki'asicki.  153 

fölilte  sieb  nur  dort  frei,  wo  seine  naive  Fröhlichkeit  und  feine 
Ironie,  die  sich  auf  eine  ungewöhnlich  ttcharfe  Beobachtungs- 
gabe stützte,  ihren  Spielraum  fand.  In  die  Kategorie  solcher 
scherzhafter  poetischer  Werke  gehören  die  drei  Dichtungen  „My- 
sieis"  (der  Mäusekrieg)',  „Monachomachia"  oder  der  Krieg 
der  Mönche'  und  „Autimonachomachia"  (1780).  Bei  dem  alten 
polnischen  Chronisten  Kadhibek  hat  sich  die  Ueberlieferung  von 
den  mythischen  König  Popiel  von  Polen  erhalten,  der  auf  einer 
lusel  des  Sees  Goplo,  nicht  weit  von  der  vorhistorischen  polnischen 
Residenz  Kruszwica,  von  Mäusen  gefressen  wurde.  Diese,  Polen 
und  Deutschland  gemeinsame  üeherliefening,  welche  der  neuem 
bistoriBchen  Kritik'  für  einen  Nachklang  der  Donnannischen An- 
griffe auf  die  elavischen  Stämme  in  fernen  heidnischen  Zeiten  gUt, 
nahm  Krasicki  zur  Grundlage  für  seine  poetische  Erzählung,  und 
beschrieb  darin  die  von  König  Popiel,  der  sich  den  Kater  Mru- 
czystaw  zum  Liebling  genommen  hat,  gegen  die  Mäuse  verhängte 
Verfolgung,  die  stürmische  Rathsversammlung  der  letztern,  die  blu- 
tige Schlacht  der  Kater  mit  den  aus  allen  Weltgegenden  zusam- 
mengekommenen Heerhaufen  der  Mäuse,  zuletzt  die  Verzweiflung 
nud  das  traurige  Ende  des  Königs  Popiel,  der  sich  vor  Leid  be- 
trinkt. In  der  Rathsversammlung  der  Mäuse,  in  den  Streitig- 
keiten zwischen  den  verschiedenen  Gattungen,  den  Mäusen  und 
den  Ratten,  wird  die  polnische  Art  der  Reichstagsverhandlnngen 
und  der  Antagonismus  des  Senatoren-  und  Szlachtastandes  per- 
siflirt.  In  der  Sitzung  des  königlichen  Rathes  sind  die  damaligen 
Politiker  carrikirt  dargestellt:  „Es  geht  die  weitere  Abstim- 
mung der  Reihe  nach  vor  sich,  es  erheben  eich  Streitigkeiten, 
die  nicht  ohne  Grund  sind;  der  Unterschatzmeister  rügt  die 
Meinung  des  Kanzlers,  der  Kanzler  beschuldigt  den  Marschall,  die 
Hetmane  rathen  zu  einem  schleunigen  Krieg,  der  Tumult  dauert 
gegen  vier  Stunden;  mancher  Anwesende  billigt  oder  tadelt,  was 
die  andern  sagen,  nur  um  nicht  miissig  dazusitzen.  Die  aus- 
ebandergeb enden  Stimmen  sind  nun  zu  sammeln,  um  zu  einem 
Schlüsse  zu  gelangen.  Die  Meinungen  sind  so  getheilt  wie  die 
Geister.    Es  erweist  sich,  dass  das  ganze  Geschwätz  unnütz  war; 


>  Deatsche  UeberseUaog  (Warschau  1790). 

>  Oenteohe  Uebersetzimi;  (Hamburg  1T82),  von  A.  WinkUwgki  (Ber- 
1  1870). 

*  SiaJQooha,  Cectücki  pocz^tek  Polski. 


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154  VierttB  Kapitel,    Die  Polen. 

um  zum  gewänscliten  Beeultat  zu  gelaugen,  fasst  man  folgende 
Resolution:  «Zar  Wahrung  der  Autorität  des  Thrones  mag  der 
Hemcber  alles  thun,  was  ihm  beliebt.i>"  Die  zweit«  scherzhafte 
Dichtung  Krasicki's,  die  grossen  Erfolg  hatte,  ist  eine  Nach- 
ahmang  von  Boileau'E  „Le  Lutrin"  und  auf  die  Aufforderung 
Friedrich's  des  Grossen  geschrieben,  der  den  Wunsch  aassprach, 
Krasicki  möge  seinen  Aufenthalt  in  Sanssouci  durch  irgendein 
poetisches  Werk  verherrlichen.  Dem  freigeistigen  König  zu  Ge- 
fallen that  Krasicki  etwas  sehr  Skandalöses  nach  dem  Begriff 
der  damaligen  Zeit:  er  verspottete  die  Klöster,  die  geistige 
Trägheit  der  Mönche  und  die  unendlichen  Trinkgelage',  ihre 
gelehrten  Dispute,  ihre  Anhänglichkeit  an  Aristoteles,  den  un- 
geheuerlichen Bombast  ihrer  Predigten.  „In  einem  von  den 
Flecken,  deren  es  in  Polen  so  viele  gibt,  wo  nur  Bauern  und 
Juden  nisten,  wo  Burg-  und  Landgericht  in  den  Ruinen  eines 
alten  Schlosses  ihren  Platz  haben,  wo  auf  neun  Klöster  drei 
Schenken  und  einige  Häuschen  kommen",  entsteht  ein  Wett- 
streit zwischen  den  Orden  der  Dominikaner  und  Karmeliter,  der 
die  Herausforderung  zu  einer  gelehrten  Disputation  herbeiführt. 
Diese  Disputation  endet  mit  einem  Faustkampf  der  Streitenden; 
die  Schiedsrichter  des  Kampfes,  der  Prior  und  der  Orts- 
advocat,  bringen  feierlich  auf  den  Kampfplatz  den  mit  Wein 
gefüllten  grossen  Klosterpokal,  das  „vitrum  gloriosum".  Der 
blosse  Anblick  dieses  ehrwürdigen  Gegenstandes  söhnt  die  Käm- 
pfer aus  und  stellt  augenblicklich  innige  Fjntracht  her.  Die 
Klöster  zur  Zielscheibe  des  Witzes  zu  machen,  war  nichts  neues 
im  18.  Jahrhundert,  aber  dieser  unerwartete  Schlag  kam  von  der 
Hand  eines  Fürsten  der  Kirche  und  erschütterte  das  alte  Polen 
stark,  in  d^  die  Klosterorden  mit  vielen  Wurzeln  eingewachsen 
waren.  Die  „Antimonachomachia"  hatte  den  Zweck,  die  Gereizten 
zu  beruhigen  und  sich  mit  ihnen  auszusöhnen,  indem  sie  die  „Mo- 
nachomachia"  als  einen  harmlosen  Scherz  hinstellte.  In  vollstem 
Glänze  kommt  das  satirische  Talent  Krasicki's  in  seinen  Fabeln, 


■  S.  z.  B.  die  ApoBtitiphe  an  Küoig  PoDialowuki  im  3.  Gesang:  „Von 
obeu  kommt  Oas  geblechte  Beispiel  in  jedem  Lande,  von  oben  konimt  die 
Uraaehe  unsere  Unglücks;  o  du,  der  dn  auf  dem  polaiscben  Throne  sitzest, 
verachtest  den  Meth  und  liebst  uieht  den  Wein,  du  läsat  die  TrunkBueht 
verschwinden,  von  dir  kommt  die  Lust  an  Büchern  und  der  UnteT^ang  der 
Keller,  du  hast  das  Volk  der  Krage,  (iläaer,  Fässer  u.  e.  w.  beraubt." 


....,  Google 


Ignax  Krasicki.  155 

^steln,  beBonders  in  den  Satiren  zum  Ausdruck,  die  voll 
feiner,  skeptischer  Ironie  über  die  Jahrhunderte  der  Barbarei 
und  des  Aberglaubens  sind,  als  „die  Gerichteschöffen  mit  dem 
Bürgermeister  Hexen  auf  dem  Marktplatze  brannten,  während 
der  Gehülfe  des  Starosten,  um  sich  vollständig  von  der  Schuld 
dereelben  zu  überzeugen,  sie  an  einem  Seile  in  den  Teich  warf; 
da  alte  Weiber  Besprechungen  am  Kinde  vornahmen,  da  der 
Teufel  als  deutscher  Junker  auf  dem  zerfallenen  Thorme  tanzte, 
als  der  Weichselzopf  infolge  von  Zaubereien  wüthete  und  dämo- 
niscbe  alte  Weiber  fraDzösisch  schwatzten  oder,  in  den  Vor- 
hallen der  Kirche  an  heiligen  Orten  niessend,  den  Zuschauern 
einen  unaussprechlichen  Schrecken  einjagten."*  Vollkommenden 
Vers  beherrschend  ist  Krasicki  zugleich  Publicist,  der  seine  Re- 
formtbeorie  predigt.  Zur  Verbreitung  von  Ideen  ist  keine  Form 
geeigneter,  fesselnder,  als  der  voluminöse  Tendenzroman  in  Prosa. 
Diese  Form  benutzte  Krasicki.  Seine  berühmtesten  Versuche 
in  dieser  Gattung  sind:  „Die  Geschichte",  „Die  Abenteuer 
des  Nikolaus  Doäwiadczyiiski"  (1776)*  und  „Der  Herr 
Untertruchsesa".'  Seine  „Geschichte"  ist  eine  boshafte  Verspot- 
tuDg  der  Gescbicbtsschreiber,  eine  Art  Memoiren,  geschrieben  von 
einem  Menschen,  der  nie  stirbt,  sondern  sich  mittels  eines  wunder- 
baren Balsams  verjüngt  und  wiederbelebt.  Dieser  unsterbliche 
Mensch  durchlebt  alle  wichtigern  historischen  Epochen,  schlaf 
sich  mit  Alexander  von  Macedonien  und  mit  Hannibal,  phi- 
losophirt  in  Athen,  befreundet  sich  mit  Fomponius  Atticas, 
lebt  später  an  dem  Hofe  Otto's  des  Grossen,  und  erzählt 
dasselbe  wie  die  Geschichtsschreiber,  aber  nicht  in  derselben 
Weise.  Die  Ereignisse  werden  bei  ihm  gewissermassen  nmge- 
siälpt.  Die  „Abenteuer  Doäwiadczynski's"  stellen  in  lebendiger, 
witziger  Erzählung  die  Modeerziehnng  dar,  wie  man  sie  durch 
französische  Betrüger,  die  sich  für  Marquis  ausgaben,  empfing; 
ferner  den  Luxus  und  das  Karteuspiel,  die  Leidenschaft  ins 
Ausland  zu  reisen,  die  Ränkesucht  der  Advocaten,  die  Käuflich- 
keit der  Gerichte  und  die  politischen  Parteien.  Sdiliesslich  hebt 
Krasicki,  der  in  der  Satire  so  stark  ist,  im  „Doäwiadczyüski" 
den  Schleier    von    seinen   eigenen   Idealen    und    zeichnet    sein 

'  IMe  2.  Satire  des  zweiten  Theils:    Lob  des  JabrbundertB. 

'  Dentsehe  üebersetzuag  (Warachan  ITTÜ). 

*  Deutsch  von  J.  Ä.  MiguU  (.Waracbau  1779). 


.,GüOJ^If 


156  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Utopien.  Der  Held  wird  nach  Erduldung  eines  Schiffbruchs 
auf  die  Insel  Nipa  aaBgeworfen ,  wo  ihn  die  Wilden  Vernunft 
lehren.  Sie  kennen  kein  EiHen,  folglich  auch  keine  Kriege, 
weder  Silber  noch  Gold,  essen  kein  Fleisch,  lesen  keine  BUcher,  . 
verachten  jede  Wohlredenheit,  heschäftigen  sich  mit  Ackerhan, 
haben  weder  privaten  Grundbesitz  noch  politische  Institutionen 
ausser  der  älterlichen  Gewalt,  noch  Gerichte  ausser  dem  Friedens- 
gericht, und  bekennen  eine  blosse  Naturreligion ,  d.  i.  einen 
trockenen  verstandesmässigen  Theismus  im  Geiste  des  „Glaubens- 
bekenntnisses des  savojardi sehen  Vicars".  Das  Utopien  Krasicki's 
ist  eine  Gesellschaft,  nur  aus  Philosophen  und  Rationalisten  des 
18.  Jahrhunderts  bestehend,  die  in  denjenigen  fabelhaften  Zustand 
versetzt  sind,  der  dem  Gesellschaftsvertrag  und  der  Geschichte 
vorausgegangen  sein  soll,  eine  leere  Phantasie  ohne  Ideen,  ein 
seiner  Nichtrealisirbarkeit  halber  langweiliges  Gebäude,  das  nur 
ans  lauter  Negationen  der  ganzen  vorhandenen  Ordnung  der  Dinge 
besteht.  Noch  wichtiger  als  die  beiden  vorhergehenden  und  das 
bedeutendste  von  den  prosaischen  Werken  Krasicki's  ist  „Der 
Herr  Untertruchsess"  („Pan  Podstoli")  mit  dem  Motto  „mori- 
bus  antiqnis",  worin  die  Hauptfrage  des  18.  Jahrhunderts  gestellt 
wird:  wie  man  die  Forderungen  der  Vernunft  mit  der  Ueber- 
lieferung  in  Uebereinstimmung  bringen  soll,  was  aus  der  Ver- 
gangenheit zu  bewahren  sei  mit  Erneuerung  und  Reformirung? 
Der  Autor  hat  den  idealen  Typus  eines  Bürgers  gezeichnet, 
wie  er  sein  muss  zu  Hanse  und  in  der  Kirche,  bei  Gericht, 
in  seinem  Kreise  und  unter  den  Bauern.  Der  erste  Theil  des 
„Untertruchsess"  wurde  1778  herausgegeben,  der  zweite  1784;  ehe 
der  dritte  Theil  1798  geschrieben  war,  war  der  polnische  Staat, 
der  Magnaten-  und  Szlachtastaat,  schon  zerfallen;  unter  den  Triim- 
mem  blieb  als  Bewahrer  der  nationalen  UeberlieferoDgen  der 
polnische  Gutsbesitzer,  beschränkt  durch  den  engen  Kreis  sei- 
ner Beziehungen  zu  andern  ganz  ebensolchen  Individuen  wie  er 
und  zu  der  häuerlichen  Bevölkerung.  Krasieki  stellt,  nachdem 
er  sich  in  philosophischer  Ruhe  mit  dem  Untergänge  des  Staa- 
tes ausgesöhnt  bat,  in  dem  „Herrn  Untertruchsess"  das  Muster 
eines  Gutsbesitzers  in  seinem  häuslichen  Leben  und  in  der  Wirtli- 
schaft,  in  Keinen  Beschäftigungen  und  Vergnügungen  dar  uuil 
legt  ihm  Lehren  voller  Lebensweisheit  in  den  Mund.  Kra- 
sieki ist  ein  vorzüglicher  Fabeldichter  und  ein  Satiriker  ei-sten 
Ranges. 

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Adam  H&niazewicz.  157 

Die  elegante  Satire  Krasicki's  ist  völlig  harmlosen  Charakters; 
sie  ist  in  Spitzen  gekleidet,  tragt  Pnder  und  Manschetten,  und 
»pottelt  in  unschuldiger  Weise,  indem  sie  die  allgemeinen  Laster 
und  Mängel  des  damaligen  Zeitalters  zur  Schau  stellt.  Zuletzt 
schrieb  er  von  1780  an,  indem  er  zu  Heilsberg  ein  Haus- 
tlieater  errichtete,  dramatische  Schauspiele  in  komischem  Genre 
und  gab  sie  unter  dem  Namen  Michael  Mowinski  heraus.  Der 
blosse  Titel  dieser  Stücke:  der  Weise,  der  Intrignant,  der  Lügner, 
der  Stutzer  u.  s.  w.  zeigt,  dass  dies  Cbarakterkomödien ,  nicht 
Intrigueu- und  Effectstücke  sind;  vorgeführt  werden  einige  Typen, 
sie  werden  in  Dialogen  skizzirt,  es  gibt  keine  Schürzung  noch 
Lösung  des  Knotens,  die  Fabel  selbst  ist  gezwungen,  und  der 
SchJubs  erscheint  unmotirirt,  zufällig.  Diese  Kleinigkeiten  wur- 
den gchneller  Hand  hingeworfen  und  sind  weniger  bekannt  als 
die  andern  Werke  Krasicki's. ' 

Den  vollen  Gegensatz  zu  Krasicki  bildet  ein  zweiter  Dichter 
und  Bischof,  Adam  Naruszewicz  (1733 — 96),  der  als  mürri- 
scher, galliger  Moralist  in  die  lärmende  Orgie  der  Zeiten  Po- 
niatowski's  hineinschaut  und  das  „memento  mori"  ausspricht, 
ohne  selbst  zu  ahnen,  wie  schnell  sich  seine  Unstern  Ahnungen 
tbatsächlich  bewahrheiten  werden.  Krasicki  war  eine  vollständig 
neue  Erscheinung  in  der  polnischen  Literatur,  die  sich  nur  durch 
die  Einflüsse  der  französischen  Cultur  und  Literatur  erklären 
lässt.  Naruszewicz  steht  auf  nationalem  Boden,  und  man  kann 
in  der  polnischen  Literatur  leicht  auf  seine  Vorgänger  hinweisen, 
mit  denen  er  sehr  viel  Gemeinsames  hat.  So  kann  er,  wenn 
auch  nicht  dem  Charakter  nach,  den  man  nicht  ganz  tadellos 
nennen  kann,  für  den  Nachfolger  des  Klonowicz  und  den  Fort- 
Betzer  des  von  diesem  begonnenen  Werkes  gelten.  Naruszewicz 
ist  sowol  als  Dichter  wie  als  Historiker  berühmt;  wir  beginnen 
mit  der  Würdigung  seiner  dichterischen  Thätigkeit.  Geboren 
in  Finsk,  Nachkomme  einer  angesehenen,  aber  verarmten  litaui- 
sehen  Familie,  trat  er  in  jungen  Jahren  in  den  Jesuitenorden, 
reiste  zur  Vervollkommnung  in  den  Wissenschaften  ins  Ausland 
■wai  nahm  den  Lehrstuhl  der  Poetik  ursprünglich  an  der  Aka- 


'  Die  erste  AtiB^be  der  Werke  KrBsioki'e,  nach  Beinem  Tode,  wnrde  von 
Dmochowski  Tentiutaltet  (10  Bde.,  Waraohau  180S].  Eine  Ergänzung, 
Band  11—18  (Warschau  1830—32).  Eine  neue  Ausgabe  (Waraohatt  1878— 
19)  von  der  Redaction  der  „Klosy". 


D,9:.z.u.,  Google 


158  TierleB  Kapitel.    Die  Polen. 

demie  zu  'Wilna,  aUdann  am  Colleginm  nobilium  in  der  Altstadt 
zu  Warschau  ein.  Die  jeBuitiache  Erziehung  schlug  tiefe  Wur- 
zeln, von  denen  sich  Naruszewicz  sein  ganzes  Leben  lang  nicht 
losmachen  konnte.  Von  den  Jesuiten  nahm  er  deren  schwülsti- 
gen und  übertrieben -pathetischen  Stil  an,  in  dem  alle  seine 
lyrischen  Werke  geschrieben  sind,  schwerfällig  und  geschmack- 
los.' Als  Professor  der  Poetik,  der  die  Regeln  des  Vers- 
baues vortrug  und  die  Zöglinge  in  der  Anfertigung  von  Versen 
auf  gegebene  Themen  praktisch  unterrichtete ,  gab  er  sieb 
auch  selbst  poetischen  Uebuugen  hin,  die  nur  durch  ihre  von 
Maccaronismen  freie  Sprache  höher  stehen  als  die  Fanegyriken 
des  17.  Jahrhunderts,  aber  im  Inhalt  kühn  mit  ihnen  wett- 
eifern können.  Naruszewicz  weint  am  Grabe  August's  III.  und 
freut  sich  über  die  Thronbesteigung  des  Truchsess  von  Litauen ; 
verherrlicht  seine  Gönner,  die  Czartoryskis,  ihre  Villa  Po- 
«%zki,  sogar  den  Schlitten  der  Frau  Adam  Czartoryski's, 
des  Generals  der  podolischen  Länder,  und  hält  es  für  seine 
Pflicht,  Hymnen,  Oden  und  Idyllen  bei  den  Heirathen  verschie- 
dener Magnaten  und  andern  ähnlichen  Gelegenheiten  zu  ver- 
fassen. Seine  poetische  Fruchtbarkeit  brachte  ihn  dem  König 
nahe,  weltfern  Naruszewicz  von  da  an  ohne  Mass  und  Zahl 
seine  lyrischen  Ergüsse  zu  widmen  begann,  bei  Gelegenheit  eines  - 
jeden  Besuches,  den  der  König  den  Schulen  abstattete,  aller 
Namenstage,  jedes  Jahrestags  der  Krönung  oder  bei  jeder  Ge- 
legenheit, wo  er  eine  Medaille,  oder  eine  Uhr,  oder  ein«i  Orden 
vom  König  empfing,  oder  wenn  er  diesem  das  Tintenfase  oder 
eine  Uebersetzung  aus  Horaz  überreichte.  Manchmal  ward  seine 
Muse  sogar  eine  zudringliche  Bettlerin;  als  der  Jesuitenorden 
vom  Papste  aufgehoben,  und  der  vierzigjährige  Dichter  brot- 
und  obdachlos  wurde,  schrieb  er  eine  gereimte  Bittschrift, 
in  der  er  unter  Aufzählung  seiner  Verdienste  die  Hoffnung  aue- 
sprach, dase  er  von  der  Gnade  des  Monarchen  nicht  verlassen 
werden  möge. 

'  Besonders  befremden  die  geküneteiteu  euBBrnmeiigeaelEten  AtUectiv«, 
wie  roiodoptyniie  etowa  (honigflieaBende  Woi-te),  wodogromna  Tetyda  (die 
waaserdoDiieriide  Thp.tis),  jgdze  plauzorode  (thränenHefniohtete  Furien), 
pseozote  ztotogwara  <  goldaumtuende  Biene  |,  tfeknosmutny  widok  (aehn- 
iuohUtrouriger  Anblick)  u.  x.  v.  In  der  Ode  an  die  Sonne  wendet  er  aioh 
folgeudermawes  an  das  Tagesgestirn:  „0  du  kostbarst»  Siegelring  an  der 
Rechten  des  Sohöpfersl'' 

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Adam  Naniszewicz.  159 

Allein  in  dieseiD  schwälstigen  Fanegyriker  wohnte  die  Seele 
eioes  grossen  und  tücbtigcn  Bürgers,  und  derjenige  würde  sich 
Btart  irren,  der  ihn  auf  Gmnd  seiner  lyrischen  Werke  in  eine 
Reihe  z.  B,  mit  dem  Speichellecker  Trembecki  stellen  wollte. 
Freilieb  zahlte  Naruszewicz  seinem  Zeitalter  einen  reichlichen 
Tribat,  watete  wie  die  andern  im  Schlamme  der  Abgeschmackt- 
heit, und  die  Spritzflecken  dieses  Sctimuzes  hefteten  sich  an  die 
Schösse  seines  Priestergcwandes,  aber  zu  seiner  Kechtfertigung 
tDDss  bemerkt  werden,  dass  die  damalige  Zeit  hinsichtlich  der 
Poesie  nicht  so  prüde  war,  wie  die  jetzige;  man  nahm  keine 
so  ernste  St«llung  za  derselben  ein,  hielt  sie  nicht  für  eine 
Dienerin  der  Wahrheit,  die  Achtung  vor  ihr  ging  nicht  bis  zum 
Cultas,  sondern  man  betrachtete  sie  einfach  als  eine  angenehme 
üerstrenug  und  feine  Unterhaltung.  Wir  fügen  noch  hinzu, 
dass  die  Feder  Naruszewicz'  nicht  einfach  von  der  Schmeichelei, 
ja  nicht  einmal  von  der  blossen  Dankbarkeit  gegen  den  König 
geiettet  wurde,  der  Naruszewicz  auszeichnete,  ibm  gnädig 
vnr,  ihn  zu  seinem  Vertrauten  und  Ratligcber  machte,  ihn 
schliesslich  auf  die  -Idee  brachte,  und  ihm  die  Mittel  dazu 
gab,  ein  colossales  Werk  zu  vollbringen,  das  seinen  Namen 
Terewigte  —  die  erste  kritische  Geschichte  Polens.  Narusze- 
wicz fühlte  sich  einfach  durch  den  König  bezaubert,  durch 
(einen  Geist  und  Geschmack,  durch  seine  Liebe  zum  Schönen, 
«eine  grossen  Pläne  zur  Erneuerung  und  Wiederbelebung 
Polens  geblendet.  Diese  Wiederbelebung  stellte  sich  ihm 
in  einem  andern  Lichte  dar  als  Krasicki;  letzterer  flüch- 
tete sich  aus  dem  WirrwaiT  der  Gegenwart  in  die  nebelhafte, 
leere  Tiefe  philosophischer  Abstractionen.  Naruszewicz  war  im 
Vergleich  zu  Krasicki  ein  positiver  Mensch ,  Pole  durch .  und 
darch  und  noch  dazu  ein  solcher  alten  Schlages.  Vor  seinem 
Geiste  entrollte  sich  das  glänzende  Bild  der  ruhmvollen  Ver- 
gangenheit Polens,  vor  der  die  Zeitgenossen  nur  Zwerge  waren. 
Sein  Sinn  strebte  in  die  Feme,  zu  den  Zeiten  der  Piasten,  zu 
derjenigen  Periode  der  polnischen  Geschichte,  wo  die  Sitten 
demokratischer,  wo  die  Stände  nicht  scharf  geschieden  waren 
nnd  wo  sich  unter  der  mächtigen  Rechten  der  noch  selbstherr- 
licben  Könige  der  polnische  Staat  bildete.  -Demokrat  im  Herzen 
tnd  deshalb  Monarchist,  begriff  Naruszewicz,  dass  die  Zeit  gekom- 
men sei,  mit  dem  Hochmuth  und  der  Exciusivität  der  Szlachta 
m  brechen,  und  die  Beform  hatte  für  ihn  den  Sinn  einer  Bück- 

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160  ViertcB  Kapitel.    Die  Polen. 

kehr  zum  Alten,  länget  Vergangenen;  mit  einem  Wort,  wenn  es 
möglich  wäre,  ein  Gleicbnise  anzuwenden,  das  einer  andern  ge- 
sellschaftlichen Sphäre  und  der  Gegenwart  entnommen  iet,  so 
müsste  man  Naruszewicz  den  ersten  Vertreter  derjenigen  Rich- 
tung nennen,  die  in  Russland  den  Namen  des  Slavophilenthams 
trägt.  In  dieser  Hinsicht  ist  er  der  Vorläufer  Lelewel's;  er 
hahnte  den  Weg  für  eine  ganze  Generation  von  polnischen  Histo- 
rikern und  Dichtem  des  19.  Jahrhunderts.  „Die  Regierang  war 
in  Polen  immer  schlecht",  ruft  er  ans,  ,,aher  die  Leute  waren 
besser.  Bezeichnet  mit  dem  Stempel  antiker  Tugend,  hatten  sie 
die  schönsten  Seelen  hei  äusserer  Einfalt.  Sie  standen  jenen 
glücklichen  Zeiten  näher,  wo  die  Geister  stärker  durch  das  Band 
des  Ruhmes  und  der  Ehre  gebunden  waren.  Die  veränderliche 
Welt  vollbringt  ihren  Kreislauf;  auf  das  goldene  Zeitalter  folgte 
ein  Zeitalter  aus  scblecbterm  Metall;  alsdann  trat  Kupfer  an  die 
Stelle  des  Silbers;  Gott  weiss,  ob  nicht  unsere  Söhne  von  Thon 
sein  werden  nach  eisernen  Aeltern.  Die  Züge  der  Jugendjahre 
haben  sich  verwischt  —  der  Rost  eines  lethargischen  Schlafes 
hat  sich  in  die  Waffe  eingefressen,  Uebörmässige  Freiheit,  zu 
Privatinteressen  ausgebeutet,  bedrückt  die  Schwachem,  bewirft  die 
Gleichen  mit  Schmuz,  tritt  die  Autoritäten  mit  Füssen-  Es  gibt 
keine  Strafe  mehr  für  Missethaten  ausser  etwa  irgendwo  im  Statut; 
■Gewalt  schmiedet  die  Gesetze,  welche  von  der  Bosheit  ungestraft 
übertreten  werden;  eine  bestechliche  Gerichtsbarkeit  neigt  die 
Wage  auf  die  Seite  hin,  wo  das  schwerwiegende  Gold  oder  der 
drohende  Stahl  liegt.  0  ihr,  die  ihr  einstmals  mit  mächtigem 
Scepter  das  Land  regiertet,  ihr  ruht  jetzt  in  eisernem  Schlafe  in 
der  dumpfen  Behausung  des  Todes;  eure  vergänglichen  Ueber- 
reste  liegen  auf  dem  Berge  Wawel,  der  sterblichen  Natur  des 
Menschen  den  schuldigen  Tribut  zahlend.  Erhebt  euch  eine 
'Minute  ans  dem  Staube ,  mächtiger  Wtadyslaw ,  kriegerischer 
Stephan!  —  sehet  her,  in  was  sich  das  alte  Land  verwan- 
delt" ...  *  Bei  einer  solchen  Auffassung  der  Vergangenheit 
Polens  ist  es  begreiflich,  dass  sich  Naruszewicz  zu  der  Gegen- 
wart desselben  als  ein  strenger  Richter  und  schonungsloser 
Satiriker  verhalten  musste;  sein  Herz  läuft  von  Unwillen  über 
und  im  Zorn  ergiessen  sich  bittere  Reden.  In  seinen  Satiren 
bekundet   sich    der  Prediger  und   der   Lehrer,    er  spricht   die 

'  Ode  an  die  Bilder  berühmter  Polen  aus  alt«r  Zeit. 

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Adam  Narntxewicz.  161 

Wahrheit  einfach  und  nngescbminkt  ans^  sodass  sich  aller  Bal- 
Iwt  der  Mythologie,  alles  Beiwerk  classischer  ReminiscenzeD  als 
miDÖthig  erweisen.  Wie  Klonowicz  wird  Naruszewicz  durch  die 
Ungerechtigkeit  bis  in  die  Tiefe  der  Seele  empört;  er  legt  sich 
vor  allem  eine  bestimmte  sittliche  Frage  vor,  beginnt  die  Ge- 
daDkenarbeit,  indem  er  Argumente  sammelt,  seine  Galle  er- 
giesBt  sich,  and  er  zeichnet  Bilder  in  scharfen  und  groben  Con- 
tonren,  die  aber  von  Leben  strotzen  und  durch  kräftiges  Co- 
lorit  überraschen.  Die  ganze  Welt  bewegt  sich  um  den  Satiriker, 
im  Wirbelwind  schweben  die  tanzenden  Paare  an  ihm  vorüber, 
eine  tolle  Maskerade  geht  mitten  in  den  grossen  Fasten  vor: 
„Die  Annath  bedeckt  sich  mit  Brocat,  die  Narren  haben 
dch  weisse  Philosophenbärte  angehängt,  Frauenzimmer  gallo- 
piren  zu  Pferde,  und  jeder  Mann  sieht  wie  ein  Weib  aus; 
Herz  gibt  es  nicht,  Ausdauer  wenig,  Verstand  und  Hände  sind 
kraftlos.  Greise  haben  sich  in  wilde  Pantalone  umgewandelt, 
änglinge  in  Harlekine  mit  Fucbsecbwänzen;  Bacchus-Beeren 
stehen  roth  auf  den  Wangen  der  Priester;  die  Nasen  sind  zu 
förmhchen  Trauben  geworden,  die  Leiber  zu  Trögen.  Leicht- 
sinn, Hoffart  und  Eigennutz  haben  einen  unaufhörlichen  Ball 
reranstaltet.  Der  Pole  hüpft  auf  einem  Beine  zu  der  Musik 
der  Fremden.  Man  braucht  die  Circe,  welche  Menschen  zu 
Thieren  machte,  nicht  in  den  homerischen  Erzählungen  zu 
EQchen;  willst  du  eine  Sammlung  von  allerlei  Gethier  sehen? 
Gehe  auf  die  Rathhäuser,  in  die  frommen  Klöster,  besuche  die 
Gerichtssäle  und  die  Amtslocale:  unter  Zobetmützen  uudPriester- 
gewändem  wirst  du  Wnnder  schauen:  rufe,  nachdem  du  die 
Kniee  gebeugt:  „Ochsen,  Esel  und  allerlei  Vieh,  tobet  den 
Herrn. " '  In  Seide  und  Gold ,  in  glänzender  Caroese ,  he- 
BpSDDt  mit  Vollblntrennem  fliegt  der  Herr  Borg-Geld  dahin, 
der  gestern  zehn  Thaler  beim  Lakai  geliehen,  heute  hun- 
dert beim  Schornsteinfeger  borgt,  und  zwölf  jener  alten  Frau 
aJ^elockt  bat,  die  bei  der  Kirche  des  heiligen  Johannes  Grütze 
verkauft.  Diesem  Herrn  ist  auch  nur  das  Dorf  Habenicht, 
das  Gut  Borgheim,  und  die  Schenke  Nimmerzahl  geblieben. 
Die  Menge  auseinanderstossend  und  zornig  die  Arme  ein- 
Btemmend  geht  der  brave  Bursche  Ranfkopf  einher,  aus  den 
Aagen  sprühen  Funken,   wie  unter  dem  Hahn   der  Pistole;  wir 


>  Reda^  (Maskenball),  Satire 

nm,  SUrlHha  LltanlnnD.    II,  I. 


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162  Viertes  Knpitel.    Die  Polen. 

wollen  wetten,  dass  er  nach  Marymont  eilt,  um  sich  im  Duell 
zu  schlagen.  Ich  war  selbst  Zeuge,  wie  er  mit  Steinen  Dohlen 
von  den  Dächern  trieb,  wie  die  Juden  ehrerbietig  vor  ihm  aus- 
einandertraten, wie  er  hundert  Distelköpfe  mit  einem  Schlage 
abhieb.  Aber  dieser  Paradeheld  mit  Achselbändern  bat  ein 
Hasenherz,  er  könnte  nur  unbewaffnete  Haufen  auf  den  Land- 
tagen auseinandertreiben  oder  mit  dem  ^bel  auf  dem  Pflaster 
rasseln;  er  ist  bereit,  am  Tische  bei  der  Weinflasche  den  Kopf 
fürs  Vaterland  zu  opfern,  da  er  wohl  weiss,  dass  niemand  die- 
sen Kopf  nimmt  ...  In  ceremoniellem  Marsch  wälzt  sich  eine 
glänzende  Schar  daher  —  der  Hof  des  ersten  Ministers  des 
Könige  Pharao:  zwei  Treff-Asse  in  einen  Triumphwagen,  klafter- 
lange Valets  stehen  auf  dem  Tritt  und  dalünter  zieht  sich  ein 
langer  Schwanz,  eine  Sammlung  von  allerlei  Lumpengesindel: 
die  barfussige  Armuth  ohne  Mütze  und  in  Lumpen,  der  schmu- 
zige  Fluch,  die  Verzweiflung  mit  gesenktem  Bhck,  die  Rauf- 
sucht mit  verbundenem  Kopfe  und  blauem  Auge,  Betrüger  und 
Spieler  in  seidenen  Handschuhen.  Eine  geputzte  Madame  fahrt 
auf  den  Ball  mit  einem  gepuderten  Abbe  und  unterhält  sich 
mit  dem  Herrn  Chamäleon,  der  mit  Gesinnung  bandelt,  wie 
der  Jude  mit  der  Waare:  gestern  war  er  Monarchist,  beute  Re- 
publikaner, schimpfte  auf  den  Hof,  was  er  nur  konnte,  und  jetzt 
lobt  er  ihn;  in  der  Hoffnung,  ein  ehemaliges  Gut  der  Jesuiten 
zu  erhalten,  schreibt  er  einem  Panegyrikus;  erlangt  er  aber  das 
Gewünschte  nicht,  so  wird  er  sagen:  hier  weiss  man  Verdienste 
nicht  zu  schätzen,  und  geht  davon  ~  nach  Italien. 

„Der  Heuchler,  der,  wenn  er  auf  der  Strasse  einem  Mönch 
begegnet,  ihn  auf  die  Schulter  küsst ;  dieser  Herr  ist  ein  Wolf  im 
Schafskleide,  er  betet  fortwährend  mit  den  Fingern  den  Rosen- 
kranz ab,  er  hat  mit  der  Zunge  den  ganzen  Lack  auf  den  Hei- 
ligenbildern abgeleckt,  der  Fussboden  der  Kirche  ist  durch  seine 
Verbeugungen  schadhaft  geworden.  Dem  Pöbel  gilt  er  für  einen 
heiligen  Gottesmann,  weil  er  einen  protestantischen  Prediger  ge- 
prügelt, weil  er  zwei  Hexen  ertränkt  hat  und  an  Vampyre  glaubt. 
Dieser  selbe  Herr  schliesst  die  Thür  vor  den  Schuldnern,  auf 
einem  und  demselben  Rosenkranz  zählt  er  sowol  Gebete  wie  Pro- 
cente,  betet  zehn  Vaterunser  und  nimmt  fünfzehn  vom  Hundert, 
schwärzt  den  Nächsten  an  gleich  nach  dem  Gottesdienst  und  stellt 
der  Frau  eines  Andern  nach.  .  .  . 

„Der  hagere  I^iterat   hat  nichts  zu  essen,    nichts  anzuziehen. 

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Adam  Naruszewicz.  163 

Mein  Freundt  die  Leute  werden  dich  fast  zu  Tode  quälen  mit 
Lobeserhebungen,  sie  preisen  dich  als  eine  Zierde  des  Volkes,  als 
eine  Biene  des  Helikon,  als  eine  Blume,  ab  eine  Perle,  als  einen 
Canarienvogel,  als  eine  Sonne  des  polnischen  Landes.  Aber  dei- 
nem Aussehen  nach  zu  schliessen  wohnst  du  auf  irgendeinem 
Ditnger-Parnass,  und  dein  Pegasus,  der  magere  Gaul,  den  dir  für 
blutsaure  Dienste  Apollo  zugetheilt  hat,  ist  nur  gewöhnt,  dich  zum 
heiligen  Lazarus  zu  fahren,  um  bei  dem  satt  zu  werden.  Dagegen 
welch  ein  Haufen  von  Kriechern  und  Parasiten  umgibt  den  hoch- 
geborenen Magnaten.  Der  eine  sagt  ihm:  Excellenz,  ich  habe  nie 
im  Leben  etwas  Aehnliches  gesehen,  wie  Ihren  glänzenden  Hof; 
ein  anderer  fügt  hinzu:  wer  könnte  sich  mit  einem  berühmtem 
Namen  brüsten?  Ihr  Geschlecht  mag  Decaden  von  Castellanen,  ein 
Dutzend  Wojewoden,  gegen  einen  Centner  Scepter,  Schlüssel  und 
Siegel  zählen ;  vor  tausend  Jahren  hatte  ihr  erster  Vorfahre,  nach- 
dem er  aus  der  Mongolei  im  Verein  mit  König  Krak  gekommen, 
die  Güte  ein  Pole  zu  werden.  Ein  dritter,  ein  wüthender 
Raufbold  in  Fechthandschuhen,  mit  einer  Narbe  auf  der  Stirn, 
mit  einem  mächtigen  Kapier,  versichert,  er  werde  jeden  mores 
lehren,  der  seinem  Herrn  nicht  die  schuldige  Ebre  erweise. 
Seine  Worte  haben  viele  andere  aufgegriffen:  befiehl  uns,  den 
Landtag  auseinander  zu  treiben  —  wir  sind  bereit;  befiehl,  ein 
fremdes  Haus  zu  überfallen,  den  Nachbar  mit  Knitteln  zu  prü- 
geln —  zu  deinem  Vergnügen  sind  wir  gern  bereit  zu  sterben. 
Mag  das  ganze  Land  in  Trümmer  sinken ,  wenn  nur  deine  Ehre 
gewahrt  bleibt!  .  .  ."  Naruszewicz  kommt  ausser  sich  beim  An- 
blick der  Gesetzlosigkeiten  und  bricht  auch  zuweilen  in  Ver- 
wünschungen aus:  „Es  ist  besser,  mit  den  Kosaken  in  der  Se( 
zu  leben,  als  mit  den  erlauchten  Panen,  den  Blutsaugern,  weil 
bei  jenen  Räubern  das,  was  jemand  in  der  Fremde  geraubt, 
weder  der  Hauptmann  noch  der  Oberst  nimmt.  Savka  kann  im 
Lager  ruhig  spazieren  gehen  mit  der  Pfeife  im  Munde,  in  den 
Hosen  des  Mundschenken  und  im  Amtskleid  des  Unterrichters, 
und  Mikita  darf  sich  kühn  auf  dem  Traber  des  adeligen  Panzer- 
reiters tummeln.  Bei  uns  aber  weiss  niemand,  für  wen  er  säet 
Dod  drischt,  jeder  kann  ihm  Tenne  und  Landgut  zerstören, 
gedungene  Banditen  auf  ihn  hetzen,  rauben,  niedermähen,  zer- 
hauen, den  Zaun  niederreissen,  verbrennen  und  wegschleppen. 
Wo  ist  aber  die  Gerechtigkeit'.'  Warte  auf  sie,  bis  die  Ent- 
schlafenen den  Schall  der  Posaune  des   jüngsten  Gerichts  hören 

11* 

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164  Vierte«  Kapitel.    Die  Polen. 

werden.'"  „Verrath,  Erpressung,  Ueberfälle  heissen  Tugenden, 
weil  die  Herreu  Räuber  Geld,  Wappen  und  Güter  haben,  und 
du,  armer  Bauer,  wirst  für  den  DiebBtaU  einer  Garbe  mit 
deinem  Leibe  huDgrige  Raben  ßährea,  weil  in  der  goldenen 
Freiheit  Polens  die  Regeln  gelten:  den  Bauer  hänge  an  den 
Galgen,  dem  Pan  sieh  durch  die  Finger  und  den  Szlacbcic 
stecke  ins  Gefängniss."  ^ 

Das  mächtige  Talent,  welches  Maruszewicz  in  den  Satiren  an 
Tag  legte,  glänzte  noch  heller  in  seiner  „Geschichte  des  pol- 
nischen YolkeE",  einem  Werke,  das  sowol  dem  Plan  als  der 
Ausfuhrung  nach  bemerkenswerth  ist,  und  ohne  jeden  Zweifel 
das  festeste  Denkmal  der  Regierung  des  Königs  Foniatowski  bildet. 
Der  König  wusste  die  grossen  Fähigkeiten  des  frühern  Jesuiten 
zu  würdigen,  gab  ihm  eine  Zuflucht,  indem  er  ihm  eine  Pfarre 
zu  Niemienczyna  erwirkte  und  später  das  Amt  eines  Coadjutors 
des  Bischofs  von  Smolensk,  und  bot  ihm  an,  königlicher 
Historiograph  Polens  zu  werden;  alle  Kosten  der  Materialien- 
sammlung, des  Copirens  der  Handschriften,  nahm  der  König 
auf  sich ,  viele  Gelehrte  wurden  ins  Ausland  gesandt,  um 
Quellen  zu  sammeln  im  Yaticanischen  Archiv,  in  den  Kanzleien 
in  Schweden,  Berlin  und  Wien;  es  wurden  die  Staatsprotokolle 
durchwühlt  und  die  Archive  der  vornehmen  polnischen  Ge- 
schlechter. Naruszewicz  gab  sich  ganz  der  grossen  Sache  hin, 
verliesB  Warschau  und  brachte  sechs  Jahre,  1774 — 79,  in 
stiller  Einsamkeit  mitten  unter  den  Sümpfen  Polesiens  hinter 
Ballen  alter  Papiere  zu.  Der  König  langweilte  sich  und  rief 
ihn  unaufhörlich  zu  sich.  Naruszewicz  kehrte  schliesslich  nach 
Warschau  zurück  mit  den  fertigen  ersten  Bänden  seiner  Ge- 
,  Schicht«.  Der  König  gab  ihm  eine  Wohnung  im  Schlosse  und 
verfolgte  den  Gang  der  Arbeiten,  die  rasch  vorwärts  gingen, 
trotzdem  der  König  Naruszewicz  von  der  Arbeit  abhielt,  in- 
dem er  ihn  nöthigte,  ihn  auf  seinen  Reisen  zu  begleiten, 
und  obgleich  der  Reichstag  Naruszewicz  1793  zum  Secretär  des 
Beständigen  Raths  erwählte.  Von  1780 — 86  wurden  alle  sieben 
Bände  der  Geschichte  Polens  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur 
Thronbesteigung  des  Hauses  der  Jagiellonen  herausgegeben.  Na- 
ruszewicz durchforschte  das  umfangreiche  Gebiet  der  Vergangen- 


■  Fragment  X. 

•  Salyra  2,  S7l8chetno»<!. 


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Adam  KariiHiewicz.  165 

heit  Polens  kritisch,  beseitigte  die  sagenhaften  Ueberlieferungen, 
prüfte  die  Quellen.  Seine  nüchterne,  inhaltreiche  Darstellung 
hatte  für  Polen  ganz  dieselbe  Bedeutung,  wie  für  die  russische 
Geschichte  das  Werk  Karamsin's.  Er  stellte  den  Rahmen  fUr 
die  künftigen  Forschungen  auf,  legte  den  Grund  zum  Gebäude 
der  künftigen  Wissenschaft  und  bot  eine  fertige  Methode.  Na- 
raszewicz  ahnte  nicht,  dass  der  von  ihm  herausgegebene  sie- 
bente Band  der  letzte  sein  werde  —  seine  Pläne  varen  umfäng- 
b'cb,  Material  gab  es  in  Menge.  Es  näherte  sich  die  politische 
Verwirrung,  es  begann  der  grosse  vierjährige  Reichstag,  der  ent- 
scheidende Moment,  in  welchem  die  junge,  in  fünfzehnjähriger 
Ruhe  erwachsene  Generation  unter  Todesgefahr  in  einem  Augen- 
bUcke  eine  radicale  Reform  vornehmen  oder  untergehen  musste. 
KaruBzewicz  sass  in  diesem  Reichstag,  zuerst  als  Bischof  von 
Smolensk,  dann  als  solcher  von  £uck;  er  glaubte,  dass  der  Ge- 
danke, den  er  im  Verein  mit  andern  Anhängern  der  Reform 
hegte,  sich  realisiren  werde,  allein  die  Wirklichkeit  enttäuschte 
den  Patrioten.  Die  Schwäche  der  Anbänger  der  Reform,  die  In- 
tr^en  der  Magnaten,  die  jahrhundertelange  Anarchie,  die  sich 
mit  ihrer  stumpfsinnigen  Opposition  erhob,  brachten  über  Narusze- 
wicz  finstem  Kummer,  er  fing  an  zu  zweifeln,  ob  es  möglich  sei, 
ein  Gebäude  aus  Schmuz  auf  lockerm  Sande  aufzubauen,  und  in 
nnem  Anfall  von  herzzerreissender  Verzweiflung  schrieb  er  das  be- 
Töhmte  Gedicht:  „Stimme  der  Todten",  worin  er  mit  einem 
Pathos,  das  eines  Skarga  würdig  ist,  der  Gesellschaft  den  Tod  ver- 
kündet, den  Grund  davon  aber  nicht  wie  dieser  in  der  reli- 
giösen Spaltung  sieht,  sondern  in  der  Schwächung  der  königlichen 
Macht.  Dieses  Gedicht  nennt  Bartoszewicz  *  mit  Recht  eine  Phi- 
losophie der  polnischen  Reform  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts. 
Folgendes  sprechen  zu  den  Nachkommen  die  grossen  Todten, 
welche  in  den  Katakomben  des  Domes  zu  Krakau  ruhen: 

„Nachdem  ihr  die  Bande  des  Friedens  und  der  Eintracht, 
welche  in  der  obersten  Gewalt  enthalten  waren,  gesprengt,  seid 
ihr  auseinandergelaufen  wie  eine  Heerde  ohne  Führer,  ohne  Ziel, 
ohne  Eath  und  Schutz.  Das  Herz  ist  erkaltet  für  das  Gemein- 
wohl: ihr  alle  seid  entweder  Schmeichler  oder  Verleumder. 

„In  keinem  einzigen  Lande  gab  es  einen  Fortschritt  von  da 
an,  wo  sich  die  Glieder  vom  Haupte  trennten;  der  Bauer  hörte 


i  mviuaiu  I'olBi-y  XVIII.  wiiiku",  I,  130. 

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166  Viertes  Kapitfl.    Die  Pulen. 

auf  betriebBam  zu  sein,  die  Gewerbe  kamen  in  Verfall,  —  die 
Themis  steckte  das  scharfe  Schwert  in  die  Scheide,  der  Priester 
wurde  ein  Schaffer  und  Raffer,  der  Pan  ein  Störer  der  Ordnung, 
der  König  ein  Scheinkönig,  der  Soldat  ein  Paradesoldat. 

„Das  heilige  Erbe  der  Jagiellonen  und  Piasten  dient  zur  Be- 
friedigung gemeinen  Hochmuths;  an  den  müssigen  Höfen  uiästeu 
sich  Haufen  von  goldstrotzenden  Parasiten,  —  das  zusammenge- 
raffte Gut  der  Könige  wurde  zerstreut,  der  Wind  herrscht  in 
den  Schlössern  und  wirft  die  Thürme  um. 

,, Zahllos  waren  die  unter  einem  Scepter  vereinten  bewaffneten 
Reihen  kriegerischer  Scharen.  Vor  ihnen  imitierten  die  Küsten 
zweier  Meere,  denen  der  Dnepr  und  die  Weichsel  ihre  Erzeug- 
nisse zuäössten.  Heute  gibt  es  weder  Ritter  noch  Kriegsruhm, 
wenn  auch  die  Zahl  der  Hetmane  grösser  geworden  ist. 

„Arme  Küchlein  bergen  sich  unter  die  ausgebreiteten  Flügel 
der  Mutter,  wenn  auf  sie  der  Geier  mit  ächarfeu  Krallen  von 
oben  herab  stösst;  ihr  habt  dieser  Mutter  die  Federn  au^erupft, 
—  womit  soll  sie  euch  uun  bedecken? 

„Solange  das  Licht  leuchtet,  gibt  es  unter  der  Sonne  keine 
Regierung,  in  der  grössere  Wunder  geschehen  waren.  Warum 
soll  die  Majestät  des  Königs  strahlen,  wenn  sie  nur  eine  Maske 
für  die  Unthätigkeit  ist?  Warum  Könige  um  hohen  Preis  suchen, 
wenn  man  überzeugt  ist,  dass  sie  unsere  Feinde  sind? 

„Wenn  der  König  Vater  ist,  warum  vertrauen  ihm  denn  die 
Kinder  nicht?  Wenu  der  König  Herr  ist,  womit  bezeugen  deun 
die  Unterthaneu  ihre  Ergebenheit?  Wenn  der  König  oberster 
HeerTübrer  ist,  warum  .ist  er  denn  ohne  Soldaten?  Wenn  der 
König  Richter  ist,  wo  ist  denn  sein  Schwert  und  Gesetzbuch? 
Unverständiges,  armes  und  wildes  Land,  wo  die  Gekrönten  nur 
dem  Namen  nach  herrschen! 

„Irrende  Heerde  adeliger  armer  Schluckerl  Auf  deine  schlauen 
Führer  blickend,  weisst  du  selbst  nicht,  wie  sie  dich,  unter 
Verspottung  deiner  Einfalt,  nur  zu  ihrem  eigenen  Nutzen  ge- 
brauchen ,  indem  sie  käufliche  Landtage  zusammenscbweissen 
oder  zerbrechen.  Du  suchst  Freiheit,  Freiheit  haben  nur  sie 
allein. 

„Du  verkaufst  das  Palladium  der  ererbten  Freiheiten  für  ein 
Glas  Wein,  für  ein  höfliches  Gompliment;  du  wählst  erlauchte 
Abgeordnete,  nachdem  du  heiser  geworden  bist  von  den  Auto- 
fallen gegen  die  selbstherrliche  Regierung ;  nicht  für  dich  angeln 

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Die  Periode  PoniatowBkiV  167 

sie  mit  deiner  eigenen  Äuget ;  du  ackeret  mit  dem  Ptluge ,  gib 
werden  mit  dir  ackern." 

Der  strenge  Moralist  suchte  Rettung  in  der  Monarchie,  horte 
auf  au  das  Volk  zu  glauben,  und  setzte  seine  ganze  Hofihung 
aaf  den  König.  Dieser  letzte  Rettungsanker  ging  verloren. 
Der,  welcher  Naruszewicz  für  einen  Helden  galt,  hielt  nicht 
aas  und  verrieth  kleinmüthig  die  Sache  des  Volkes.  Zum 
letzten  mal  hatte  er  eine  Zusammenkunft  mit  dem  König  im 
December  1793,  als  dei'selbe  vom  Reichstag  zu  Grodno  zurück- 
kehrte; der  König  rietb  Naniszewicz,  die  begonnene  historische 
Arbeit  fortzusetzen.  Naruszewicz  bemerkte  mit  Unwillen,  er 
«crde  keine  Feder  mehr  anrühren,  er  habe  niemand,  für  den  er 
schreiben  könne.  Sein  Herz  brach,  seelische  Leiden  beschleunig- 
ten seinen  Tod,  der  in  ländlicher  Einsamkeit  zu  Janöw  am  Bug 
erfolgte;  er  überlebte  den  Untergang  Polens  nicht  lauge.  Unter 
den  Arbeiten  von  Naruszewicz  verdienen  noch  Erwähnung  die 
l'ebersetzung  des  Tacitus  und  die  Biographie  des  Chodkiewicz, 
eine  Tortreffliche  Monographie,  worin  die  Hauptmomente  der 
Regierung  Sigismund's  III.  dargestellt  sind,  endlich  „Taurica", 
eine  Geschichte  and  Beschreibung  der  Krim,  welche  Katha- 
rina 11.  zur  Zeit  ihrer  Zusammenkunft  in  Kaniow  mit  Fonia- 
towski,  in  dessen  Gefolge  sich  Naruszewicz  befand,  gewidmet 
wurde. 

Gleichzeitjg  mit  den  grossen  Sternen  der  Literatur,  wie  es 
Krasicki  und  Naruszewicz  unbestreitbar  waren,  und  denen  zwei- 
ten Ranges,  wie  Trembecki,  traten  einige  kleine  dritten  Ranges 
auf,  deren  einst  ziemlich  populäre  Namen  traditionell  in  den 
Lehrbüchern  wiederholt  werden,  während  ihre  Werke  fast  ganz 
vei^essen  sind ;  dahin  gehören  die  Dichter  Karpiüski  und  Knia^- 
nin,  Franz  Karpinski  (geb.  in  Rothrussland,  1741  — 1825), 
ein  sentimenfaler  Elegiker  und  Idjllendichter  („Laura  i  Kilon"), 
Toll  fjgendünkels ,  der  nur  dadurch  unter  die  Berühmtheiten 
gelangte,  dass  er  im  geeigneten  Moment  auftrat,  als  die  Czar- 
toryskis  und  der  König  Talente  suchten,  und  man  sich  be- 
nibint  machen  konnte,  wenn  man  zwei,  drei  gelungene  Verse 
geschrieben  hatte.  Mit  ausgesuchter  Zuvorkommenheit  in  War- 
schau aufgenommen,  brachte  sich  Karpii^ski  durch  eine  Elegie  in 
Erinnerung:  „Rückkehr  aus  Warschau  aufs  Land",  deren  Haupt- 
inhalt ist,  dass  er  arm  abgereist,  aber  noch  ärmer  zurückge- 
kehrt sei,  weil  ihn  die  Mäcene  mit  Gunstbezeugungen  gefüttert, 

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168  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

aber  mit  niclits  Kealerem  bedacht  hätten.  „Der  Sänger  des 
Herzens"  erlangte  zuletzt  sein  Ziel  und  erhielt  eine  Arende 
im  Gouvernement  Grodno.  Seine  Lieder  gingen  von  Hand  zu 
Hand,  insbesondere  in  der  Sphäre  der  kleinen  Szlachta,  und  fes- 
selten zarte  Seelen  nicht  sehr  wählerischer  Leute  durch  die  Ein- 
fachheit eines  von  jeder  Gelehrsamkeit  gesäuberten,  widerlich- 
süBslichen  Verses.  Sie  führten  das  französische  pseudoclassische 
galante  Pastorale  unter  die  Strohdächer  ein,  indem  sie  die  Poesie 
auf  das  Niveau  des  Verständnisses  wenig  gebildeter  Leute  er- 
niedrigten. In  seinen  alten  Tagen  widmete  Karpiäski,  schon 
nicht  mehr  armer  Gutsbesitzer,  dem  Kaiser  Alexander  l.  seine 
UebersetzuDg  der  „Dialoge  Plato's.'"  Der  Weissrusae  Franz 
Dionysius  Knia^nin  (geb.  1750)  stammt  aus  demselben  Geschlecht 
der  smolenskischen  Szlachta,  welches  den  russischen  Dramen- 
dichter Jakob  Borisovi^  Knjaznin  hervorbrachte,  studirte  bei  den 
Jesuiten,  arbeitete  in  der  Bibliothek  bei  Zaluski,  ward  dann  Se- 
cretär  des  Fürsten  Adam  Czartoryski  und  Hausbarde  dieses 
Geschlechts  und  seines  Hofes  zu  Pulawy.  Mehr  an  der  alt- 
griechischen als  an  der  französischen  Poesie  genährt,  besang 
er  die  ländliche  Natur,  verfasste  Dramen  und  Opern  („The- 
mistokles",  „Hektor",  „die  Zigeuner").  Die  patriotische  Saite, 
welche  bei  Karpidski  fehlt,  tönt  kräftig  bei  Kniainin,  ihren 
Klang  mit  republikanischen  Reminiscenzen  des  classischen  Alter- 
thums  mischend  (die  Tragödie-.  „Die  spartanische  Mutter"). 
Der  Untergang  Polens  brachte  ihn  um  den  Verstand.  Elf  Jahre 
(1796 — 1807)  brachte  er  in  dieser  traurigen  Lage  zu  und  starb 
in  Koäska  Wola  bei  Putawy  *  in  den  Armen  seines  nächsten  Freun- 
des, des  Ortspfarrers,  des  frühern  Literaten  Franz  Zablocki,  der, 
nicht  weniger  als  Kniainin  nach  dem  Verlust  des  Vaterlandes 
von  unheilbarem  Gram  niedergeschlagen ,  Beruhigung  in  den 
Armen  der  Religion  unter  dem  Priesterkleide  suchte. 

Das  Schicksal  Zablocki's  (1754 — 1821)  ist  mit  den  Anfängen 
der  dramatischen  Kunst  und  des  Bühnenwesens  in  Polen  unter  der 
Regierung  Poniatowski's  verbunden.  Die  Schöpfung  einer  stehen- 
den Bühne  gehörte  zu  den  Plänen  des  Königs,  der  1765  mit  grosser 


I  Seine  Werke  herausgegeben  von  Dniocbowski  inWartchau,  4  Bde., 
1806.    Eine  Biographie  »ehneb  Ä.  Korntlowicz  (Wilna  1827). 

•  Werke  herausgegebeu  von  F.  Dmochowaki  in  WarBL'hau  (7  Bde., 
1828  —  20). 


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Die  FeL'iode  Pouiatowski'fl.  169 

Feierlichkeit  ein  solcheg  erstes  öffentliclies  ständigee  Theater  zu 
Warschau  eröffnete,  aber  den  Erfolgen  desselben  dadurch  schadete, 
dass  er  die  Fortführung  der  Anstalt  seioem  Eammerdiener  Bix  zum 
anggchliesslichen  Privilegium  gab,  und  sie  somit  einem  Monopo- 
listen aushändigte,  der  sich  mehr  seinen  Geldbeutel  als  die  Kunst 
»ngelegen  sein  liess.  Die  Vorstellungen  begannen  mit  einem  Stück 
Bielawski's  (1739  —  1809):  „Natrgci"  („die  Zudringlichen"). 
Für  diese  Bühne  verfasste  der  Exjesuit  Franz  Bogomolec 
(1720—90)  Opern  und  Komödien.  Von  1780—94  lieferte  für 
sie  gegen  80  Stücke,  meist  übersetzt  oder  entlehnt,  der  Se- 
cretär  der  Educationscommission,  Zablocki,  der  sich  jedoch  mit 
Uebersetzungen  und  Entlehnungen  nicht  begnügte,  sondern  auch 
den  Versuch  machte,  eine  zeitgenössische  Originalkomödie  zu  schaf- 
fen; seine  bekanntesten  Originalstücke  sind".  „Der  Abergläubische" 
(,^abobonnik"),  „Die  Liebeshändel  eines  Gecken"  („Fircyk  w 
zalotach"),  „Sarmatismus".  Die  Absicht  war  sehr  schön;  es  lag 
wirklich  ein  überreiches  Material  für  die  Komödie  vor,  das  Alte 
mischte  sich  mit  dem  Neuen  in  der  Gesellschaft  wie  auf  einem 
Maskenball;  das  Alte,  Zurückgebliebene  war  carricaturenhaft, 
die  Nachahmung  des  Fremden  ging  in  Aefferei  über.  Allein 
das  kleine  Talent  Zabtocki's  entsprach  der  Aufgabe  nicht,  es 
war  nicht  selbständig  genug;  er  übertrug  auf  die  polnische 
bnhn«  in  Bausch  und  Bogen  das  Theater  Moliere's  mit  dessen 
Liebhabern,  die  gegen  das  Verbot  der  Aeltem  Rendezvous 
halten,  mit  den  unvermeidlichen  raisonnirenden  Lakaien  und 
schelmischen  Soubretten,  ohne  die  es  damals  keine  Posse  gab, 
in  Costüm  und  Sprache  lächerlichen  Aerzten  und  Advocaten; 
mit  einer  Menge  freigebig  ausgetheilter  Prügel.  Auf  diesem 
ganz  und  gar  conventionellen  und  ausländischen  Canevas  sind 
die  vom  Ver^ser  beobachteten  zeitgenössischen  Typen  ausge- 
führt und  eingeflochten,  in  ziemlich  flachen  Garricaturen,  wie 
der  Modestutzer,  der  bald  Karte  spielt,  bald  den  Damen  den 
Hof  macht;  der  geizige  Alte,  der  auf  Prophezeihungen  när- 
risch ist  und  den  man  zum  Narren  hat;  dumme  Schnurr- 
bartträger, Sarmaten  alten  Schlags,  die  sich  mit  den  Nach- 
barn herumfaauen  (Guronos,  Zegota),  während  sich  ihre  Frauen 
betrinken  (Byksa);  in  diese  breitgetretenen  Farcen,  in  diese 
Mischung  von  Eigenem  und  Fremdem  ist  ziemlich  viel  Pfeffer 
hineingestreut  —  Anspielungen  auf  zeitgenössische  Personen  und 
Vorgänge-     Das  ist  der  Charakter    der  Komödie  Zablocki's,    die 


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170  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ebrenwertb  in  der  Teudenz,  aber  scliwach  in  der  Ausführung 
war.'  —  AI»  wirklicher  Schöpfer  der  polniechen  Bühne  trat  ein 
Mann  auf,  der  keine  königlichen  Gnaden  genoss,  ein  Schauspieler 
von  Beruf,  Wojciech  Boguslawski,  dessen  Uauptthätigkeit  in 
die  Zeiten  nach  der  Theiluiig  fällt. 


B.   Di«  politiaohe  Literatur  d«a  vierjälirigen  Beiohsta^. 

Die  dem  Geist  iiach  französische  Nachahmungsliteratur  in 
der  mittlem  Periode  der  Regierungszeit  des  Stanislaw  Ponia- 
towski  diente  fast  ausschliesslich  der  Politik  und  kümmerte  sich 
wenig  um  die  Regeln  der  Kunst.  Sie  hat  nur  das  eine  wichtige 
Verdienst  für  sich,  dass  sie  fast  ausnahmslos  mit  allen  Kräften 
die  Reform  förderte  und  Oel  ins  Feuer  goss,  die  Liebe  zum 
Vaterland  entflammte  und  das  Volk  dazu  aufrief,  eine  unverzüg- 
liche, plötzliche,  radicale  Reform  in  Angriff  zu  nehmeu,  die  ohne 
Schwanken  oder  Suheu  vor  irgendwelchen  Opfern  zu  vollbringen 
war,  falls  nicht  ein  unvermeidlicher  Untergang  eintreten  sollte. 
Der  Einfluss  dieser  Literatur  auf  die  Sitten  der  Gesellschaft  und 
in  noch  weit  höherm  Grade  auf  die  Ideen  war  in  Wahrheit  ein 
gewaltiger;  man  kann  ihn  nur  würdigen  durch  Gegenüberstellung 
der  folgenden  Ereignisse.  Im  Jahre  1775  wurde  der  Beständige 
Rath  errichtet,  den  die  öffentliche  Meinung  mit  dem  Namen 
des  „Beständigen  Verraths"  (zdrada  nieustaj^ca)  brandmarkte, 
eine  oligarchische  Regierung,  die  durch  Stackelherg  von  Peters- 
burg abhängig  war,  und  bei  welcher  das  Phantom  eines  Königs 
bestand,  der  sich  in  'Wirklichkeit  in  einen  Statthalter  der  Kai- 
serin umgewandelt  hatte,  —  eine  Regierung,  welche  gleichwol 
einigen  Nutzen  brachte,  weil  sie,  wenn  auch  eine  schlechte,  doch 
immerhin  eine  Organisation  nach  völliger  Unordnung  und  An- 
archie war.  Der  Geist  der  Reaction  war  so  stark,  dass,  als  auf 
Anordnung  des  Reichstags  von  1775  die  Codificirung  der  Gesetze 
einem  der  aufgeklärtesten  Männer  jener  Zeit,  dem  Exkanzler 
.Andreas  Zamojski,  übertragen  wurde,  der  auch  (1778)  einen 
durchaus  nicht  radicalen  Entwurf  dieses  Codex  veröffentlichte, 
an  dessen  Zusammenstellung  der  König,   der  Bischof  Szembek, 


'  Seine  Werke  gab  Dmochowski  heraus,  Warechau  1829— 30,  Keuest« 
Ausgabe,  WarschHU  1877. 


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tStanistaw  Stasaic.  171 

der  Kanzler  Chrebtowicz  thätigen  Antlieil  genoiumeu  hätten, 
dieser  Entwurf  in  einer  für  den  Verfasser  verletzenden  Weise 
verworfen  und  auf  dem  Reichstag  1780  begraben  wurde,  blos 
deshalb,  weil  darin  ein  schüchterner  Versuch  enthalten  war,  den 
Bauern  ein  gewisses  Quantum  persönlicher  Freiheit  zu  geben.' 
Fünf  Jahre  darauf  erscheint  das  stärkste  politische  Pamphlet 
jener  Zeit,  das  wie  ein  elektrischer  Schlag  wirkte :  „Die  Betrach- 
tungen" („Uwagi")  von  Staszic;  und  1788  beginnt  der  vierjährige 
ßeichstag,  der  einen  vollständigen  wohldurchdachten  Plan  einer 
zwar  nicht  gelungenen,  aber  bis  in  die  kleinsten  Details  conse- 
quent  und  logisch  durchgearbeiteten  Reform  schuf.  Plötzlich, 
mit  Eröffnung  des  vierjährigen  Reichstags,  ward  die  Gesellschaft, 
von  einer  unzähligen  Menge  von  Büchern,  Blättern,  Broschüren 
überschwemmt;  diese  politische  Literatur  bildete  nach  derAeus- 
serung  Pilat's  („0  literaturze  polit.  sejmu  czteroletniego",  S.  5) 
einen  förmlichen  zweiten  Reichstag  neben  dem  wirklicheu,  einen 
freien  Reichstag,  wo  jeder,  der  da  wollte,  Stimmrecht  hatte. 
Wir  müssen  in  diese  Werkstatt  der  Reform  eintreten,  in  der  alle 
Tagesfragen  bearbeitet  wurden,  bevor  sie  auf  dem  Reichstag  zur 
Verhandlung  kamen.  In  Bezug  auf  Tiefe  der  Gedanken,  Stärke 
der  Begeisterung,  Glanz  des  Talents  hat  die  sogenannte  „patrio- 
tische" Partei  das  entschiedene  Uebergewicht  sowol  auf  dem 
Ueichstag  als  in  der  Literatur,  und  es  stehen  hier  zwei  Personen 
in  erster  Linie:  zwei  Priester,  die  als  Sterne  erster  Grösse  er- 
scheinen, der  eine  nur  Schriftsteller,  obgleich  er  mit  allen 
£jgeDschaften  eines  Volkstribuns  begabt  war,  der  andere  Schrift- 
steller nnd  Redner,  aber  mehr  noch  Staatsmann.  Es  sind  Staszic 
ond  Eol}%taj. 

Der  Priester  Stanidaw  Staszic  (1755—1826)',  von  bürger- 
hcher  Herkunft,  Sohn  des  Bürgermeisters  der  Stadt  Schneidc- 
mühl  (Pi)a)  in  Grosspolen,  war  durch  den  Zwang  der  Verhält- 
nisse, nicht  aus  innerm  Beruf  Geistlicher,  und  hatte  diesen  Stand 
nur  gewählt,  weil  dem  Nichtadligen  alle  Wege  verschlossen  waren. 


'  Zbiür  praw  a|dowyi;h  przez  Aodr.  Ord.  ZamoJHkiego,  wydany  przcz 
W.  Dntkiewiuzft  (WarBubau  1Ö74). 

'  Jüsef  Szujeki,  „St.  Staaziu  jako  piearz  polityuzny*'  (in  Eoztrz%samä 
i  opuwiadania  historyczne.  Krakau  1876)-  —  Juetyn  'Wojewodzki,  „Sta- 
nistaw  Wawrzyniet;  Stasziu"  (Warachau  lfi79).  —  .,SI.  Staszic"  (im  Journal 
Niwa,  1875). 


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172  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

Als  junger  Mann  reiste  er  um  zu  studiren  ins  Ausland,  nach 
DeutBchland ,  alsdann  nach  Paris,  befreundete  Bicb  mit  den  En- 
cyklopädisten,  erwarb  sich  grosse  Kenntnisse  in  den  Naturwissen- 
scbafteii,  besonders  in  der  Geologie.  Sein  Aufenthalt  im  Auslände 
fiel  der  Zeit  nach  mit  der  Bewegung  der  Confoderatjon  von  Bar 
zusammen  und  als  sich  die  Agenten  der  letztem  an  die  be- 
rühmten europäischen  Philosophen  und  Publicisten  wendeten  um 
Consultationen  und  Kecepte.  Einer  dieser  Agenten,  Wielhorshi, 
wandte  sich  an  den  Verfasser  des  „Contrat  social"  (1768)  und 
an  den  Abbe  Mably,  und  empfing  von  dem  erstem  die  „Con- 
sid^rations  sor  le  gouvernement  de  la  Pologne"  und  von  dem 
andern  die  Schrift  „De  la  Situation  politique  de  la  Pologne", 
1776-  —  Der  damals  fast  vergötterte  Verfasser  der  politischen 
Bibel  des  18.  Jahrhunderts,  Rousseau,  behandelte  die  Aufgabe 
von  seinem  französischen  Standpunkte  aus  und  stark  doctrinär; 
aus  Hass  gegen  den  Absolutismus  schlug  er  Decentralisation  vor, 
rieth  zu  einer  föderativen  Regierungsform,  Hess  sogar  die  EÖnigs- 
wahl  besteben,  konnte  sich  nicht  dazu  entschliessen,  das  liberum 
Veto  aufzuheben,  sondern  beschränkte  es  nur,  predigte  mit  einem 
Worte  die  Demokratie  in  solchen  politischen  Formen,  die  sich  für 
Polen  nicht  eigneten,  und  seine  Ideen  dienten  später  den  unver- 
hesserlichen  Anarchisten  der  Szlachta,  den  künftigen  Conioderirten 
von  Targowica,  als  theoretische  Motive  ihrer  Politik.  Mably  sah 
die  Dinge  veit  praktischer  und  einfacher  an,  zweifelte  an  der  Ret- 
tung, rieth  aber  eine  erbliche  constitutionelle  Monarchie.  Der 
junge  Staszic  war  ein  warmer  Verehrer  Bousseau's,  durchdrungen 
von  den  Ideen  des  „Contrat  social",  und  behielt  zeitlebens  eine 
gewisse  Dosis  republikanischen  Doctrinarismus.  Aber  nach  seiner 
Bückkehr  nach  Polen  kam  er  durch  eine  glückliche  Fügung  der 
Verbältnisse  (1772)  in  das  Haus  des  Andreas  Zamojski,  der  ihm 
die  Erziehung  seiner  Söhne  und  den  Unterricht  in  der  französi- 
schen Literatur  an  der  Akademie  zu  Zamoä6  übertrug.  Bei  dem 
polnischen  ,, Lykurg"  heimisch  geworden,  und  in  fortwährendem 
Verkehr  mit  den  Mitarbeitern  an  dem  Project  des  Codex,  nahm 
er  von  diesen  die  Ansichten  über  den  Zustand  Polens  an,  schöpfte 
dabei  aus  dem  reichen  Archiv  zu  Zamog^  historische  Daten  und 
schüttete  alsdann  alles  das,  was  er  so  über  das  Schicksal  des 
Vaterlands  gedacht  hatte,  in  einem  anonymen,  ziemlich  planlos 
angelegten  Pamphlet  (1785  zu  Warschau  herausgegeben)  aus, 
das    auf   den    ersten  Blick    einen    zufälligen  Titel    trug,    der 


SUDiitaw  StasKio.  173 

mit  dem  Inhalt  venig  gemein  hat:  „Betrachtungen  über  dns 
Leben  des  Johann  Zamojski"  („Uwagi  oad  2yciem  J.  Zamoj- 
skiego"  u.  8.  w.).  >  Das  Pamphlet  geht  von  der  Psychologie 
der  Sensualisten  aus,  zerfallt  ohne  strengen  Plan  in  meh- 
rere Abhandlaugeu  (die  Erziehung,  die  Gesetzgebung,  die 
Tollziebende  Gewalt  u.  s.  w.),  benutzt  den  Namen  Zamoj- 
std'g,  über  den  der  Autor  überhaupt  nur  wenig  genaue  Nach- 
richten hatte,  nur  dazu,  um  die  Erniedrigung  und  den  Ver- 
fall seiner  Zeit  der  ruhmvollen  Grösse  der  Epoche  Batory's 
g^eoüberzustellen.  Der  Umstand,  dass  die  groBse,  freie  Ver- 
gangenheit der  Republik  als  ein  unaufhörlich  im  Auge  zu  br- 
baltendes  Ideal  hingestellt  wird,  verlieh  dem  Pamphlet  Zauber- 
kraft; es  hebt  Staszic  heraus  aus  der  Zahl  der  gewöhnlichen 
Rerolntionäre ,  die  alles  in  der  Vergangenheit  mit  Schmuz  be- 
warfen. Sein  Buch  rief  22  Entgegnungen  hervor,  erzeugte  eine 
ganze  Literatur,  Bald  darauf  begannen  sich  die  Träume  des 
Patrioten  zn  verwirklichen,  in  Frankreich  brach  die  Revolu- 
tion aus,  in  Polen  trat  der  vierjährige  Reichstag  zusammen. 
Seine  nichtadelige  Herkunft  brachte  Staszic  um  die  Möglichkeit, 
direct  an  der  Gesetzgebung  theilzunehmen,  und  den  Reichstag 
nin  den  kräftigsten  Redner,  aber  er  diente  dem  Gemeinwohl  mit 
der  Feder  und  gab  1790  seine  „Warnungen  lur  Polen,  wie  sie 
sich  aus  den  jetzigen  politiBchen  Verwickelungen  Europas  und  aus 
den  Rechten  der  Natur  ergeben"  („Przestrogi  dla  Polski  etc.")* 
heraus.  Dieses  Buch  ist  nur  eine  weitere  Entwickelung  und  aus- 
führlichere Darlegung  dessen,  was  in  den  „Betrachtungen"  ent- 
halten war.  Beide  Werke  waren  ein  fertiges  Reformprogramm 
and  ihr  gemeinsamer  Gedanke  ist  der  folgende.  Staszic  ist  Republi- 
kaner, aber  mehr  noch  Patriot,  Über  alles  stellt  er  die  Existenz 
seiner  Nation:  „erst  das  Volk  —  dann  die  Freiheit;  erst  das 
Leben  —  dann  die  Bequemlichkeit".  Der  Existenz  des  Volkes 
opfert  er  alles,  sogar  die  Doctrin,  rath  von  den  Uebeln  das  klei- 
nere zu  wählen,  entschliesst  sich  von  der  grossen  Vergangen- 
heit, die  bei  ihm  in  einem  etwas  nebelhaften,  idealen  Lichte  er- 
scheint, zu  einer  ebenfalls  freien  Zukunft  zu  gehen,  und  wäre  es 


'  AosEüge  daraus  denUch  in  Steiner's  Poluischer  Bibliothek  (9  Hefte, 
WwMhan  1187-88). 

*  Deotach  heran^egeben  (Oliva  1794)  und  in  KsuBCh'e  Nachrichten  über 
Polen,  n,  51—100  (Brealaa  1193). 

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174  Viertes  Kapitel.    Die  Wien. 

durch  deu  Absolutismus-,  ist  nötbigenfalls  bereit,  selbst  die  Au- 
tokratie herzustellen,  wenn  es  nicht  anders  möglich  wäre,  sich 
gegen  die  autokratischen  Staaten  um  Polen  herum  zu  schützen, 
deren  erster  Grundsatz  es  sei,  die  Nachbarn  auf  alle  Art  zu 
schwächen.  Er  räth,  das  Heer,  die  Abgaben  zu  vergrössem, 
einen  erblichen  König,  einen  permanenten  Reichstag  einzuführen, 
die  Executivgewalt  in  Commissionen  zu  concentriren.  Aber 
ausser  dicgen  sehr  verständigen  Rathschlagen  enthielten  seine 
Bücher  auch  noch  etwas  weit  Neueres  und  WerÜiYolleres.  Sie 
hatten  einen  Mann  zum  Verfasser,  der  nicht  auf  dem  Wege  der 
Abstraction  zu  der  Ansicht  gekommen  war,  es  sei  notbwendig, 
das  Volk  zu  heben,  zu  befreien  und  es  mit  der  Szlachta  in  gleiche 
Rechte  zu  setzen,  sondern  der  ein  wirklicher  Demokrat  war,  der 
alles  das  persönlich  erprobt,  was  die  Nichtadeligen  von  der  jahr- 
hundertelangen Ungerechtigkeit  zu  leiden  hatten,  und  der  für 
die  enterbten  Elemente  Raum  zu  Bchaffen  suchte  in  rauher 
aber  stürmischer  Rede,  mit  Worten,  die  unwiderleglich  waren, 
wie  eine  tiefe  üeberzeugung,  und  brennend,  wie  glühende  Lava. 
Er  legt  sich  keinen  Zwaug  an  und  nennt  die  Diuge  beim 
rechten  Namen;  die  Schuld  des  VerfeUs  wälzt  er  ohne  Um- 
schweife auf  die  Magnaten^;  er  hatte  berechnet,  dass  die  Hälfte 
des  F^chenraums  Polens  Monopolgüter  waren  (Starosteieu,  geist- 
liche Güter,  Tafelgüter  des  Königs),  dass  von  der  übrigen  Hälfte 
nach  Ausschluss  des  Bauei-nantheils  nur  800  Quadratmeilen  auf 
10000  wirkliches  Eigenthum  war.  300000  Mann  Truppen  lassen 
sich  nicht  ohne  Steuern  halten;  man  kann  weder  Truppen  noch 
Steuern  haben  ohne  Aufhebung  des  Frohndienstes  und  ohne  dass 
man  das  Recht  des  Eigenthums  auf  das  ganze  Land  ausdehnt. 
„200  Millionen  Morgen  Land  und  7  Millionen  Menschen  —  das 
ist  das  Material,  aus  dem  die  300000  Soldaten  und  einige  hun- 
dert Millionen  Steuern  zu  beschaffen  sind.  Die  Erde  wird  ihre 
Ertragsfähigkeit  vergrössern,  wenn  sich  die  auf  ihre  Behauung  ver- 
wendete Arbeit  mehrt;  und  nur  diejenigen  Leute  werden  mehr  ar> 


'  „Wer  lehrt  auf  Jen  Landtagen  Verratb,  Gemeinheit,  Gewoltthat?  wer 
betrügt  die  Szlauhta,  besticht  sie,  macht  sie  trunken?  die  PaDe. — ^IVerpara- 
lysirt  die  geaetzgobende  Gewalt,  sprengt  die  Reichstage?  die  Pane. —  Wer 
hat  das  Gerieht  in  einen  Markt  verwandelt?  die  Pane.  —  Wer  hat  die  Krone 
verkauft?  die  Pane.  —  Wer  hat  die  Krone  gekauft?  die  Pane.  —  Wer  bat 
fremde  Truppen  ins  Laod  gebracht?  die  Pane." 


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Stttnistaw  Staazic.  175 

beiteu,  welche  in  den  Stand  gesetzt  werden,  Ginindbeeitz  zu  er- 
werben." Vom  Verfasser  wird  das  Wort  hingeworfen,  die  Bauern 
seien  mit  Land  zu  verseben  in  ferner  Zukunft,  zu  der  man  durch 
politische  Reformen  gelangen  müsse,  durch  Gleichberechtigung,  Auf- 
hebung der  Privilegien,  durch  Beseitigung  des  Schmarotzerthums 
nnd  derjenigen  Classen,  welche  von  fremder  Arbeit  leben,  und  durch 
SoUiesEung  der  Noviziate  der  geistlichen  Orden.  Staszic  erscheint 
als  erster  Apostel  der  echten  polnischen  Demokratie.  Er  vereint 
iwei  neue  nnd  seltene  Eigenschaften  in  sich:  er  erkennt,  dass 
der  Schwerpunkt  der  Gesellschaft  in  den  rechtlosen  Massen 
U^t,  die  man  heben  müsse;  aber  er  ruft  sie  nicht  zur  That 
durch  Aufreizung  ihrer  thierischen  Instinkte,  sondern  im  Sinne 
der  Pflicht  znr  Arbeit  und  im  Geiste  einer  strengen  Bisciplin. 
In  seinen  Plänen  ist  er  radicaler  als  irgendjemand  von  seineu 
Zeitgenossen;  aber  alle  Neuerungen  projiciren  sich  von  oben  nach 
«Bten  nnd  haben  die  Aufgabe,  die  zu  socialer  Thätigkeit  aufge- 
mfeuen  Massen  moralisch  zu  erziehen.  In  literarischer  Beziehung 
brachte  er  nichts  weiter  hervor,  was  den  „Betrachtungen"  und 
den  „Warnungen"  gleichgekommen  wäre,  aber  in  der  zweiten 
gleich  fruchtbaren  Hälfte  seiner  politischen  Thätigkeit  zeigte  er, 
wie  ernstlich  er  um  die  Bauern  und  das  Wohlergehen  der  Massen 
besoi^  war.  Mit  einem  durch  Arbeit  erworbenen  und  bei  den 
Zamojskis  verdienten  Kapital  kaufte  er  1801  die  umfängliche 
Herrschaft  Hrubieszöw  in  der  Wojewodschaft  Lublin,  brachte 
hie  in  Stand  und  befreite  die  Bauern,  indem  er  alle  gutsberr- 
hchen  Grundstücke  an  die  Gemeinde  schenkte.  Alle  seine  Mittel 
verwendete  er  zu  philanthropischen  Zwecken,  ging  im  Theater  auf 
den  billigsten  Platz  und  zahlte  70000  poln.  GuMen  an  Thorwaldsen 
für  das  Denkmal  des  Gopernikus  in  Warschau  vor  dem  Hause  der 
Gesellschaft  der  Freunde  der  Wissenschaften  (jetzt  dem  ersten 
GjmDasinm),  deren  Präsident  er  von  1808  an  war;  er  schuf  den 
Beigbaa  im  Königreich  Polen,  war  actives  Mitglied  der  Com- 
DÜssion  für  Unterricht  und  Cultus,  Ebrenstaatsminister  mit  einem 
Sitz  im  Staats-  und  Administrationsrath  des  Königreichs.  Im 
Jahre  1812  schützte  er  im  Staatsrath  des  Herzogthums  Warschau 
den  Educattonsfonds,  der  stark  in  Gefahr  war  geplündert  zu 
»erden  infolge  der  Streitfrage,  ob  die  Schulen  ein  Vorrecht 
lütten,  aus  den  ehemaligen  Gütern  der  Jesuiten  befriedigt  zu 
werden,  oder  ob  sie  diese  Befriedigung  erst  nach  Auseinander- 
Ktzuug  mit  den  andern  Gläubigem  der    Inhaber  dieser  Güter 

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176  ViftTtCf  Eapitel.    Die  Polen. 

zu  empfangen  hätten.  Die  Stimmen  gingen  in  dieser  Frage 
auseinander,  aber  die  Vertheidiger  der  Gläubiger  verBtummten, 
als  der  alte  Staszic  aussprach:  „unser  Volk  boffe  nicht  auf 
Wiedergeburt;  unsere  Kinder  werden  es  vemicbten,  von  ihren 
Vätern  zur  Unwissenheit  verurtheilt."  In  politischer  Beziehung 
war  er  ein  Verehrer  des  Kaisers  Alesander  I.,  als  des  'Wieder- 
herstellers Polens,  und  Panslaviet,  der  das  Heil  des  polnischen 
Volkstbums  in  einem  engen  Anschluss  an  Bussland  fand.  ^ 

In  Staszic  hatte  die  Reformidee  ihren  Theoretiker,  in  KoH^- 
taj  erlangte  sie  ihre  lebendige  Verkörperung.  Hugo  Kotl^taj 
(1750 — 1812),  ein  Nachkomme  der  Emigranten  aus  dem  Smo- 
lenskischen  Adel,  welche  sich  nach  dem  Andrusower  Waffenstill- 
stand im  Sandomirskischen  Gebiet  niedergelassen  hatten,  trat  in 
den  geistlichen  Stand  nur  deshalb,  weil  dadurch  die  Carriere  er- 
leichtert wurde,  und  er  einen  unermesslichen  Ehrgeiz  besass, 
begleitet  von  einem  glänzenden  Talent  ersten  Ranges  and  von 
einer  überwallenden  Thatkraft.  Alles  gelang  dem  jungen  Ge- 
lehrten, was  er  nur  mit  seiner  kundigen  und  gewandten  Hand 
anfasste.  Die  vermoderte  Akademie  zu  Erakau  war  zu  refor- 
miren;  Kott^taj  wurde  1777  von  der  Educationscommiseion  als 
Visitator  dahin  gesandt,  säuberte  diese  Augiasställe  der  Scho- 
lastik trotz  heftiger  Opposition  und  war  dort  drei  Jahre  Rector 
(1782 — 85).  Darauf  kehrte  er  nach  Warschau  zurück,  ine  eigent- 
liche Centrum  der  politischen  Bewegung  und  in  eine  Sphäre,  in 
der  sich  dieser  gefügige  Geist,  diese  mächtige  Natur,  dieses 
revolutionäre  Temperament,  das  direct  oder  auf  Umwegen 
seinem  Ziel  zustrebte,  ohne  sehr  wählerisch  in  den  Mitteln  zu 
sein,  wie  in  seinem  Element  bewegte.  Das  bescheidene  Amt 
eines  litauischen  Referendars  gab  ihm  keinen  Zutritt  zum  Steuer- 
ruder der  Regierung,  auch  in  den  Reichstag  war  es  nicht  mög- 
lich ohne  Verbindungen  zu  gelangen;  KoH^taj  wählte  die  Fresse 
als  Stufe  zur  Macht,  und  gab  heraus:  „Briefe  eines  Anonymus 
an  Stanislaw  Malachowski"  („Do  St.  Malachowskiego  o  przy- 
B^m  seymie  anonyma  listöw  kilka"),  eine  Broschüre,  worin  mit 


'  „Oatalnie  da  wspc'itrodaküw  atowo"  („Letztes  Wort  an  meine  Land«* 
leute",  Warschau  1814);  „Mjbü  o  röwnowndze  pulitycznej  w  Europie"  („Ge- 
danken über  dag  europäifli-he  Gleichgewicht",  Warschau  1815).  Vergl.  Per- 
Wolf,  „Slovanake  hnuti  mezi  Poläky  1800—1830"  (im  fechiichen  Journal 
Otvita,  1879). 


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Hugo  Koll|t^.  177 

uDgewöhulioher  Genauigkeit  und  Klarheit,  mit  staunenerr^euder 
Lopk,  iD  Toriiigliolier  Sprache  die  Aufgaben  der  Iteform  formu- 
lirt  wnrden.'  1d  dieeer  firosehure  zeigte  sich  Kott^taj  als  ge- 
«iJtiger  Dialektiker  und  als  der  erste  Prosaiker  des  ansgebenden 
IS-  JahrbimdertB.  Er  sammelte  eine  ganze  Partei  in  der  Litera- 
tor  lun  sich,  stand  an  der  %itEe  der  äussersten  ProgreBsisten; 
eine  Menge  ßlätter  nnd  Pamphlete  gingen  nach  einem  damaligen 
&QBdniek  „ans  der  Schmiede  KoU^taj's"  hervor.  Sein  uner- 
aüdlichster  Mitarbeiter  auf  diesem  Gebiet  war  ein  bissiger  Sa- 
tiriker, der  Priester  F.  S.  Jezierski,  Verfasser  von  „Go- 
vorek"  (1789),  „Rzepioba"  (1790),  des  „KatechiBmus  von  den 
Geheimnissen  in  der  polniBchen  Regierang"  (1790).  Die  Auto- 
rität Koli^taj's,  die  er  sich  sozusagen  im  Kampfe  erobert  hatte, 
war  80  Btark,  daes  man  ihn,  der  Icein  Mitglied  des  Reichstags 
*u,  1790  in  eine  besondere  Reichstagsdeputatioo  zur  Reform 
iei  Verwaltung  wählte.  Als  er  da«  Gesetzesproject  auf  dem 
Beichstag  vertheidigte,  zeichnete  er  sich  als  Redner  aus;  endlich 
BBsste  man,  wenn  man  das  Gesammtergebniss  der  Reichstags- 
thstigkeit  einer  Person  zuschreiben  könnte,  Koll^taj  den  Haupt- 
nrhaber  der  Constitution  vom  3.  Mai  nennen;  alle  Übrigen  Per- 
woen  waren  thatsächlioh  nur  seine  Gehüifen;  die  Idee  der 
Iteform  legte  er  selbst  iBX  in  dem  motivirten  Plan  der- 
Belben,  der  1790  unter  dem  Titel:  „Das  politische  Recht  des 
polnischen  Volkee"  („Prawo  polityczne  naroda  polskiego")  her- 
uigegeben  wurde.  Der  Gulminationspunkt  der  Laufbahn  K<4- 
iqtaj's  war  der  Moment,  als  ihn  nach  Publicining  der  Cousti- 
tioD  vom  3.  Mai  1791  der  ihm  nicht  gewogene  König  zur  Beloh- 
mrag  fHr  seine  snzweifelbaften  Verdienste  zum  Minister  erhob, 
iftdem  er  ihn  z«m  Unterkanzler  machte.  Jetzt  kam  aber  die 
Vtnachimg  und  es  zeigte  sich,  dass  der  Charakter  KcJl^taj's 
s^er  Genialität  nieht  entsprach,  die  Probe  nicht  bestand.  Am 
24.  JiK  1792  in    der  Sitzung  des  Ministerraths  aus  Anlass  der 


'  Wir  fiUlren  eine  Probe  an;  „Was  ist  detm  unser  Land?  £b  ist 
kedne  Monarchie,  da  eine  eolcbc  mit  dem  ALIebeo  des  Haufe»  der  Ja^el- 
Ionen  aofgehört  hat.  Ea  ist  keioe  Rcpiililik,  weil  diese  nur  alle  Tiwei  Jahre 
laf  sechs  'Wochen  eintritt.  Was  ist  es  denn  nun  eigeutlicli?  Es  ist  eine 
MsUechl«,  verdorbene  Maschine,  die  Einer  nicht  im  Stande  ist  eu  bew^eo, 
all«  tniammen  nicht  bevegen  wollen,  aber  jeder  für  sich  allein  zum  Stocken 
bringen  kann." 

FiTO,  StoTlwh«  LlisrtiureD.   tl,  1.  1  j 


....,  Google 


178  Viertea  Kapit«!.    Die  Polen. 

Forderung  der  Kaiserin,  uttverznglidi  von  der  Constitiition  zarück- 
zutreten  nnd  sich  mit  den  der  Conföderation  von  Tsrgovica 
zu  vereinigen,  gab  K<^taj  seioe  Stimme  für  den  Eintritt  in 
die  Conföderation  ab  und  eohloss  sich  dereelben  perBöolicb  an, 
indem  er  sich  mit  der  unerfüllbaren  Hoffnung  schmeichelte,  viel- 
leicht auf  die  Conföderation  einzuwirken,  d.  h.  sich  mit  den  Tod 
feinden  der  Reform  zu  versöhnen  nnd  etwas  von  der  Constitution 
zu  retten.  Er  reiste  nach  Schlesien,  schrieb  1793  ein  Pamphlet 
über  die  Constitution  in  der  Form  eines  historischen  Werkes 
(„Vom  Entstehen  und  Untergänge  der  polnischen  Constitution  vom 
3.  Mai"  —  „0  nstanowieniu  etc.")',  worin  er  unter  Verdrehung 
der  Wahrheit  in  rabulistischer  Weise  seine  Partei  weiss  wusch 
und  alle  Schuld  auf  den  König  wälzte,  den  er  ebenso  als  Ver* 
räther  darstellte  wie  die  Conföderation  von  Targowica;  darauf 
(1794)  trat  er  wieder  im  Lager  Eoäciuszko's  und  in  Warschau  als 
enragirter  Demagog  auf,  der  mit  der  Bewegung  des  Pöbels  sjm- 
pathisirte,  gegen  den  Volksrührer  intriguirte,  und  sich  den  W^ 
zum  Dictator  bahnte.^  Später  folgte  seine  lange  Haft  inOImUtz 
und  ein  vagirendes  Leben  in  Volynien  und  im  Herzogthum  War- 
schau. Weder  Genie  noch  Qeistesfrische  noch  Unternehmungs- 
lust, noch  die  Freundschaft  mit  Czacki  und  Sniadecki  vermochten 
die  Erinnerungen  an  die  Ereignisse  von  1793  und  1794  zu  ver- 
wischen ,  wo  sich  K(^%taj  von  so  schwacher  Seite  gezeigt  hatte. 
Die  Partei  der  Patrioten  war  gemäss  den  von  Rousseau  ent- 
lehnten Lehren  republikanisch;  entschieden  auf  die  Seite  der 
erblichen  Monarchie  und  einer  grössei'n  Centralisirung  überzu- 
gehen, ward  sie  durch  eine  andere  nicht  weniger  zahlreiche  Gruppe 
von  Leuten  veranlasst,  die  in  einer  gemässigtem  Richtung  wirkt^i, 
den  sogenannten  Monarchisten  oder  Parteigängern  des  Königs;  sie 
hatte  ihre  Schriftsteller  und  Dichter  in  Namszewicz  und  Trem- 
becki.  Endtich  antworteten  und  veiiheidigten  sich  in  der  Lite> 
ratur  die  Conservativen,  die  Anarchisten,  die  künft^en  Gooföde- 
rirten  von  Targowica,  die  in  zwei  Abstufungen  zerfielen,  in  die 
einfach  adelige  und  die  magnatische.-  Ein  einflussreicher Schrift- 
steller in  diesem  Lager  war  der  Hetman  Severin  Rzewnski  (1743 
— 93),  der  auf  Anordnung  Repnin's  nachKaluga  verbannt  wurde, 
über  die  Schmälerung  der  Hetmansgcwalt  erzürnt  war,  und  damit 


I  Deutseh  (von  S.  G.  Linde,  a.  1.  1793). 

'  Krftsi-i- wslt i.  ..Pdlskn  w  czaeie  3  rozbioröw", 


...,  Google 


J'ulian  fiiemoewioz.  179 

endete,  dass  er  eioe  Säule  der  Targowicer  CoofoderatioD  warde 
(„Deber  die  Thronfolge  in  Polen"  —  „0  sukcessyi  trouu  w 
P(rfsee",  1789).  Unter  den  Pnblicisten  venoerken  wir  einen  sehr 
oiigineUeii  nnd  zaweilen  witzigen  Sonderling,  Jacek  Jezierski, 
Otetellan  von  Lnköw,  welcher  die  Confiscation  der  Kircbengüter 
forderte,  aber  mch  der  Freiheit  der  Städte  und  der  Verleihung 
von  Rechten  an  die  städtiachen  Bürger  widersetzte-,  den  wüthen- 
de&  Rerolntionär  in  der  Art  der  franzöaiBchen  Jakobiner  Adalbert 
(Wojciech)  Tureki,  dem  der  Monarchist  Trembecki  eine  Eesse* 
rnngsanstalt  in  Aussicht  stellte,  und  eine  Menge  anderer.  Diese 
ganse  dem  umfang  nach  gewaltige  Literatur  fand  ihre  Verbrei- 
toDg  in  fliegenden  Blättern,  Versen  und  Broachüreu,  aber  nicht 
mittels  der  Zeitungen,  die  damals  ganz  ohne  Werth  waren  und 
nur  die  trockenen  Thataachen  ohne  jede  Benrtheilang  ent- 
hielten. Als  nothwendige  Ergänzung  zu  dieser  rein  politischen 
Literatur  des  Tierjährigen  Reichstags  diente  das  Theater;  es 
gibt  Stöcke,  die  von  der  Erinnerung  an  gewisse  Momente  des 
grossen  Todeskampfes  untrennbar  sind,  und  in  bester  Weise 
die  gegebene  Situation  in  ihrer  ganzen  Vollständigkeit  cbarakte- 
areo.  Dahin  gehört  „Die  Rückkehr  des  Landboten"*,  eine 
dreiaetige  hochpatriotische  Komödie,  die  den  livländischen 
Reicbstagsabgeordueten  Julian  Ursin  Niemcewicz,  einen  frucht- 
baren Schriftsteller  mit  guten  Intentionen  aber  sehr  mittel- 
mäßiger Begabung,  zum  Verfasser  hatte  (geb.  1754,  Adjutant 
Koäcioszko'B,  dann  dessen  Genoase  in  der  Gefangenschaft  za  St 
Petersborg,  dann  Staatssecrettü:,  letzter  Präsident  der  Freunde 
der  Gesellschafi  der  Wissenschaften,  gestorben  1841  als  Emigrant 
zu  Paris).  Dieses  Stück,  zum  ersten  mal  16.  Januar  1791  in  War- 
schau aufgeführt,  erlangte  eine  grosse  Popularität,  obgleich  es  dem 
Inhalt  nach  sehr  achwach  ist.  Es  spielt  auf  dem  Lande  und  stellt 
dieFandlien  zweier  Gutsbesitzer  dar:  einen  fortschrittlichen,  pa- 
tiiotjscben  Unterkammerer  and  einen  in  adeligen  VorurtheUen 
Teiknöcherten  Starosten,  der  mit  Schmerz  der  sächsischen  Könige 
gedenkt,  als  „man  ass,  trank,  nichts  that  nnd  die  Taschen  yoll 
hatte";  als  „ein  einziger  Abgeordneter  ohne  Intrigue  und  ohne 
den  geringsten  Verrath  einen  ReichstagsbeschlusH  sistiren  konnte; 
all  er  die  Wage  des  Vaterlandes  in  den  Händen  hielt,  sagte:  ich 


)h  (ron  9.  0.  Linde.    Strasaburg  17d2),  eine  andere  AoBgube 
I.  Leipzig  1792). 


.....Güot^lc 


180  Vierten  Kapil«].    Die  Polen. 

bewillige  nicht,  ja  auf  Praga  losiog  .  .  .  «od  für  eein  Vorgcfa^ 
Beförderung  und  bisweilen  auch  noch  einige  Dörfer  enpfiog." 
Der  Sohn  deB  Unterkämmerers,  landschaftlicher  Abgeordneter  aaf 
dem  Reichstag  und  ganz  von  den  grossen  politischen  Fiagen 
eingenommen,  kommt  nach  Hause  v&hrend  einer  Vertagung  der 
Sitzungen ,  Terliebt  sich  in  die  Tochter  d«s  Starosten,  aber  ihre 
Stiefmutter,  eine  sentimentale  Dame,  vwlobt  sie  mit  einem 
neumodischen  Stutzer,  der  es  jedoch  nur  auf  die  Mit^ft  ab- 
gesehen hat  und  eich  lossf^t,  als  er  erfährt,  dasa  eine  aolobe 
nicht  vorhanden,  während  sein  imeigenntitziger  Nebenbuhler  die 
Braut  ohne  Mitgift  nimmt.  Die  patriotischen  Stellen  in  diesem 
Stück  brachten  das  Publikum  in  EotzÜokm,  der  leichte  und 
spielende  Wits  traf  sein  Ziel;  die  ßeacüonäre  fühltan  sich  belei- 
digt, und  im  Jahre  1792  deutete  in  einem  UniversaJe  der.Targo- 
wicer  ConfÖderation  Felix  Potocki  auf  NiemoewicH  mit  den  Wor- 
ten hin:  „bald  werden  sich  die  Hi^rionen  auf  den  Theatern  er^ 
frechen,  die  frühere  Regierung  und  die  jahrhundertealten  Rechte 
der  Nation  zu  verspotten."  Ein  anderes  Stuck  unter  dem  Titel 
„Das  Wunder  oder  die  Krakowiaken  und  Göralen"  ist  gleichfalls 
eng  mit  dem  Aufstände  Koäciuszko's  verbunden;  es  enthält  niohtc 
Politisches  und  ist  eine  Mischung  von  Schauspiel,  Posse  und  Ballet 
Indem  e«  in  gelungener  Weise  die  beliebtes  Motive  der  künftiges 
Romantik  anticipirt,  bringt  es  das  lebendige  volksthümliche  Ele- 
ment in  seinen  Gostümen,  in  seinen  typischen  Redensarten  und 
Hochz ei ts gebrauchen  auf  die  Bühne;  es  geschah  dies  En  derselben 
Zeit,  als  der  Bauer  zur  Waffe  gerufen  wurde,  als  sich  AbtheUaa^ 
gen  von  Sensenmännern  bildeten,  und  der  Volk^ilhrer  den  weis- 
sen  Bauemrock  anlegte.  Verfasser  dee  Stückes  war  ein  dam^s 
sehr  populärer  Mann,  dessen  Name  schon  oben  erwähnt  wurde, 
verabschiedeter  Offizier ,  dann  Schauspieler  und  dramatischer 
Schriftatelier  Adalbert  (Wojciecb)  Boguslawski  (1760— 1829),  der 
nach  dem  Untergang  des  Reichs  fast  alle  irühern  Gebiete  detnel- 
ben  mit  seiner  Truppe  bereiste  and  1811  eine  dramatische  Scknle 
in  Warschan  errichtete  und  so  zum  virkllchon  Begründer  der 
polnischen  Bühne  und  ihrer  Traditionen  wurde.*  Endlich  ver- 
zeichnen wir  zum  Schluss  der  XJebersioht  der  {polnischen  Lita- 
ratur  im  18.  Jahrhundert  eine  ungewäbnliche  Fülle   sehr  inter- 


>  Eine  Sanutüuiig  der   Werke  fiogiuttiwHki'a,   meirt  Udbenettnngen, 
Verlag  von  Glücksberg  in  Warschau  (12  Bie.,  1880—38). 


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Der  politinobi;  Zusanimtüibrucli.  Igl 

essuiter  Memoiren,  von  denen  foTtwährend  mehr  aufgefunden 
werden.  Den  ersten  Rang  unter  ihnen  in  Bezag  anf  Reich- 
thuin  an  Einzelheiten  zur  Charakteristik  der  Sitten  nehmen  die 
AAeiteD  des  Andreas  Kitowicz  (1728—1804)  ein,  eines  frühem 
Conföderirten  von  Bar,  dann  Priesters,  eines  erfahrenen  Hannes, 
Hamoristen,  Sonderlings,  der,  wenn  er  auch  zuweilen  mit  Partei- 
Hcbkeit  und  ohne  Kritik  klatscht  nnd  übertreibt,  doch  das  leben- 
digste Bild  der  polnischen  Republik  zeichnete.' 

Nachdem  die  Kterariscfae  Bewegung  des  18.  Jahrhunderts  in 
Polen  in  ihren  Hanptinomenten  bis  zu  der  Terhängniss^oUen  K&- 
tutrophe  dargestellt  ist,  velebe  dem  Staate  ein  Ende  machte 
Dod  die  geütige  Entwickelong  der  Gesellschaft  auf  lange  Zeit 
nn  Stillstand  brachte,  gebührt  es  sich,  diese  Katastrophe  selbst 
n  berühreo,  am  dann  zu  bestimmen,  inwiefern  sie  auf  die  weitern 
(icschioke  der  polnischen  Nation  and  besonders  auf  die  polnische 
Literatur  als  den  Auedmok  dee  Selbstbewustseins,  das  fortfuhr, 
n  den  noch  nicht  erschöpften  Aufgaben  des  Volkslebens  zu  ar- 
beiten, eingewirkt  bat 

Infolge  der  poUtiscb  abhängigen  Lage,  in  der  sich  Polen  sei- 
nen Naohbam  gegenüber  befand,  war  seine  Restaurimng  und 
Beorganiairung  nicht  nur  durch  die  innere  Bereitschaft  bedingt, 
sondern  aacb  besonders  durch  günstige  äussere  Verhältnisse. 
Dieser  Zeitpunkt  kam,  als  1787  Russland  auf  langehin  mit  dem 
Eriege  gegen  die  Türiien  besohäftigt  war,  wobei  ihm  Oesterreicb 
half,  als  sieb  gegen  beide  Staaten  ein  englisch -niederländisch- 
jirmsaiscbee  Bündniss  bildete  und  der  neue  preussische  König 
Aiiediiob  Wilhelm  Polen  seine  Unterstützung  gegen  Kuesland  an- 
bot Alle  sogenannten  Patrioten  waren  dafür,  von  diesem  Aner- 
bieten Gebrauch  zu  machen.  Die  sich  bietende  Gelegenheit  war  so 
verlockend,  dass  es  der  Patrioten-Partei  gelang,  wenn  auch  nicht 
ohne  Mühe  und  Schwankungen,  die  Partei  der  Monarchisten  und 
selbst  den  König  anf  ihre  Seite  zu  bringen.  Letzterm  fehlte  es 
Teder  an  guten  Absichten,  noch  an  Consequenz,  noch  an  dem 
Wünsche,  sich  der  öffentlichen  Meinung  zu  acconimodiren,  es 
fcUte  ihm  nur  an  Heroismus  im  kritisohen  Moment.  Diese  An- 
näherung der  beiden  Parteien,  die  über  die  Zukunft  der  Reform 


'  Seine  yertchiedenen  Werke  herausgegeben  von  Graf  E.  Rai 
in  Posen  lSlO-15. 


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\S2  Viertem  Kapitel.    Die  Polen. 

eatBcbied,  ToUzog  eich  in  der  übermässig  lange  ftosgedebnien 
SeasiODsperiode  dee  Reichstage,  welcher  im  October  1788  in 
der  Absicht  berufen  wurde,  die  Uoterstübnmg  Roeslands  im 
türkiscben  Kriege  gemäss  der  Confereuz  su  Kaniöw  1767  zu  to- 
tireo,  aber  mit  der  Aufbebnog  des  Beständigen  Batbes  begann 
und  zu  einer  Älliance  mit  Preussen  schritt,  zu  welcher  der 
Bchlane  Italiener  und  preussische  Gesandte  Lnoche&ini  (von  Kra- 
sicki  als  Organist  dargestellt)  lockte.  Auf  der  Seite  Rnsslands 
blieben  nur  wenige  ConservatiTe  mit  den  Oligarchen  Xaver  Bra- 
nicki  und  Felix  Fotocki  an  derSpitse.  Diese  Partei  von  Eiferern 
für  die  Privilegien  und  für  die  „goldene  Freiheit",  die  ohne  äus- 
sere Unterstützung  nicht  denkbar  waren,  konnte  sich  nicht  direct 
widersetzen,  aber  hemmte  den  Gang  der  Refonnen,  unter  Be- 
nutzung aller  constitutionellen  Mittel  za  Verschleppungen.  Der 
Reichstag  zog  sich  in  die  Länge  und  Hofamolz  znsammen;  um 
seine  Existenz  zu  verlängern,  bescbloss  er  1790  Neowahlen  vor- 
zunehmen, damit  die  neugewähltau  Al^eordneten  den  frühem 
Abgeordnetenbestand  verstärkten  und  das  Abgeordnetenhaus  in 
verdoppeltem  Bestand  tage.  Die  Grundpjincipien  der  Reform 
waren  schon  fertig,  der  Plan  der  Constitution  aosgearbeitet. 
£e  hob  das  liberum  veto  und  die  Conföderation  auf,  machte  den 
Thron  nach  dem  Tode  des  kinderlosen  Königs  im  Bächsiscben 
Hause  erblich,  auf  das  dann  der  Thron  übergeben  sollte, 
händigte  dem  Abgeorduetenhause  die  gesetzgebende  Gewalt  ein, 
gab  dem  Senat  nur  das  Recht,  ein  vom  Abgeordnetenhanse  an- 
genommenes Gesetz,  wenn  er  es  nicht  bestätigte,  dem  folgenden 
Reichstag  zur  Revieion  vorzulegen.  Mit  der  vollziehenden  Ge- 
walt ward  der  König  bekleidet  im  Verein  mit  dem  Hinister- 
rath.  Die  MiniBter  waren  verantwortlich;  die  Erlasse  des  Kö- 
nige mussten  von  den  Ministem  bestätigt  sein.  Die  Gerichte 
wurden  durch  Wahlen  ergänzt.  Die  Vertreter  der  Städte  wur- 
den in  städtischen  Angelegenheiten  zum  Reichstag  zugelassen;  die 
Städte  erhielten  Selbstverwaltung,  die  städtischen  Bürger  das 
Privilegium:  neminem  captivabimus,  und  das  Recht  adelige  Güter 
zu  kaufen,  womit  ihnen  ein  weiter  Zutritt  zur  Szlachta  eröffnet 
wurde.  Den  Bauern  vrurde  der  Schutz  der  Gesetze  versprochen 
und  für  die  Zukunft  ein  Uebergang  aus  dem  Frohndienst  in  das 
Verhältniss  der  Zinspöicbtigkeit  und  der  persönlichen  Freiheit  in 
Aussicht  genommen.  Die  Umstände  drängten  zur  Eile,  dasBijnd- 
nisR  mit  PreusGCn  kam  ins  Schwanken,  letzteres  söhnte  sich  mit 

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Der  politiaehe  Zutammenbmoli.  183 

Oesterreich  aus,  und  forderte  offen  als  Preis  für  die  Alliance 
die  Abtretang  von  Danzig  und  Thorn.  Damals  wurde  zwischen 
dem  König  and  dem  Führer  der  Patrioten  in  grÖEster  Heimlich- 
keit derUmschwnng  vom  3>  Mai  1791  verabredet;  in  einer  nenn- 
rtöndigen  Sitznng  wurde  das  fertige  Project  der  Constitution  vor 
den  Beichstag  gebracht,  der  Discnssion  unterzogen,  angenommen 
UDd  dnrch  den  Eid  des  Königs  und  der  Mitglieder  des  Reichs- 
tagg  bestätigt.  Dae  Ereigniss  überraschte  durch  seine  Unver- 
hofftheit,  ond  wurde  mit  einer  so  allgemeinen  Sympathie  auf- 
genommen, dass  die  Opposition  in  der  ersten  Zeit  ganz  ver- 
Rtommte  nnd  die  polnische  Regierung  ein  ganzes  Jahr  Freie  Hand 
behielt.  In  diesem  Jahre  bereitete  sie  sich  nicht  vor,  sich  zu 
schützen,  Tereah  sich  weder  mit  Truppen  noch  mit  Geld-, 
währenddes  zogen  drohende  Wolken  heran:  am  6.  Januar  1703 
Bchlosfl  Rassland  mit  der  Türkei  Frieden,  es  kamen  Abmachun- 
gen zwischen  den  Höfen  von  Petersburg,  Berlin  und  Wien  zu 
Stande,  im  Mai  desselben  Jahres  rückten  russische  Trappen 
in  Polen  ein  ond  es  bildete  sich  die  Targovricer  Conföderation 
gegen  die  Constitution  vom  3.  Hai,  welche  eine  Wiederherstellung 
der  alten  Ordnung  mit  Hülfe  Rnsslands  forderte.  Der  Reichstag 
bielt  seine  Angabe  für  beendet  und  ging  auseinander,  nach 
Uebertragnng  aller  Vollmachten  auf  den  König.  Der  König  er- 
gab räch  auf  die  Anforderung  Russlands  und  trat,  nachdem  er 
och  von  der  Constitution  losgesagt,  der  Targowicer  Confödera- 
tion bei.  Ende  1793  folgte  die  zweite  Theilung  Polens  auf  dem 
Beidistag  zu  Grodno,  alsdann  1794  der  Aufstand  Ko^ciuszko's, 
die  Einnahme  WarBchau's  und  die  dritte  definitive  Theilung 
donsh  die  Verträge  des  Jahres  1795.  Rnssl&nd  empfing  seine 
jetdgen  westlichen  Landstriche,  ausser  dem  Königreich  Polen 
ond  dem  Bit^jstoker  Bezirk  am  Niemen  und  Bug;  in  das 
jetzige  Königreich  Polen  mit  einem  Theil  des  Gouvernements 
Grodno  theilten  sich  Oesterreich  und  Prenssen  mit  den  Grenz- 
flÖBseD  Pilica  und  Bug;  Warschau  kam  zum  Antheil  Preussens. 
Mit  der  polnischen  Gesellschaft  ereignete  sich  das,  was  sich 
dann  bei  jedem  der  folgenden  Aufstände  wiederholte,  nämlich 
diBs  die  obere  Culturschicht,  wenn  auch  nicht  weggeschnitten,  so 
doch  wenigstens  tief  durchpflügt  wurde;  die  politischen  Persönlich- 
keiten fielen  oder  schmachteten  in  der  Verbannung  oder  flohen  ins 
Ant^and  and  legten  den  Grund  zur  polnischen  Emigration,  die 
einen  beträchtlichen  und  nicht  immer  nützlichen  Einfluss  auf  die 

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184  Viertes  Kapitel.    Di«  Polen. 

Schicksale  des  Volke  und  der  Lit«rator  f(u«übte.  i^a  grosser 
Theil  der  Magnaten  ti«t  bei  den  Höfen  von  Petersbarg,  Wien 
und  Berlin  in  Dienste.  Einer  der  veretiijidigst«n  polnieclieB  Pa- 
trioten in  der  Zeit  nach  dir  Theilung  und  ihr  ejnflussreichatei! 
Schriftsteller,  Johann  Sniadecki,  brin^  in  folgender  Wwee 
die  Stimmang  aller  nüchtern  denkenden,  urtbeilsfähigen  Zeit>> 
genossen  der  eben  zusammengebrochenen  GesellBchaft  ■Hkta 
Ausdruck:  „Nach  dem  Verlust  des  Vaterlandes,  des  höthsten 
Gutes  edler  und  den  allgemoinen  Interessen  ei^ebener  Seelen, 
sind  wir  durch  einen  harten  Spruch  Ternrtheilt,  in  uns  selbst 
grade  die  Bewegungen  zu  Temichten  und  zu  unterdrnofaeo, 
welche  in  uns  erzengt  worden  durch  die  Erziehung,  Gewohn- 
heit und  durch  die  Sehnsucht  nach  dem  Gemeinwohl,  die  alle 
unsere  geistigen  Kräfte,  Fähigkeiten  und  Talent«  belebt  habCfo. 
Jetzt  musg  der  Pole  sich  selbst  überleben,  in  sich  eine  andere 
Seele  erzeugen  und  seine  Gefühle  in  die  engen  Grenien  des  p^r- 
aönlicben  Seios  einschliessen ;  diese  Bestimmung  ist  hArt,  aber 
sie  ist  ein  Gesetz  der  durch  nichts  zu  überwindenden  Wii^ich- 
keit,  dem  man  sieb  unterwerfen  musg.  Laest  ans  aber  die  Früchte 
der  Bildung  benutzen,  um  das  uns  hart  drückende  Schicksal  er- 
träglich zu  machen."  ^  Die  durch  das  Gefühl  der  Nationalität 
verbundenen  Mengchen  verloren  ihre  gewohnte  gesellschaftliche 
Sphäre  und  fühlten  sich  in  Elementen,  die  ihnen  ganz  fremd 
waren;  nickt  gleich  fanden  sie  sich  in  den  neuen  Verhält- 
nissen und  —  gewohnt  sich  zu  gruppiren  —  in  den  itenen 
Verbindungen  zurecht.  In  der  ersten  Zeit  war  gewisseimasBeR 
ein  Stillstand  in  den  organischen  Lebensfunctionen  eingetreten, 
sodass  sich  in  der  Geschichte  der  Literatur  ein  ziemlioh  grosser 
Riss,  etwas  in  der  Art  eines  grauen  Streifens  bildet,  der  den  Mo- 
ment des  politischen  Untergangs  von  dem  B^nn  der  literarischeB 
Wiederbelebung  trennt.  In  dieser  Zwischenperiode  sind  die  Vor- 
gänge in  der  Literatur  wenig  zahlreich  nnd  ärmliob,  aber  in  ättr 
europäischen  Welt  gehen  gewaltige  Umwälzungen  vor,  welche  die 
Epoche  der  Revolution  und  Napoleons  bezeichneten.  Das  Leben 
der  polnischen  Gesellschaft  gestaltet  sich  in  jedem  der  nach 
1795  getrennten  Theile  der  ehemaligen  Republik  anders.  Eine 
detaillirte  Betrachtung  dieser   Verschiedenheiten   gehört  in   die 


'  Briof  vora  12.  Jan.  1804    iu    dem  Buche:    ,,l,Iaty  Jaiia  l^oiaaccTriepn- 
1788— IKW  i  autogfaföw"  (Posüq  1878). 

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Die  Zeitan  na*h  Jer  ThsiluUg.  185 

tiwfdiwhte  der  Staaten,  w^lolie  ttn  der  'fheituDg  partloipii-tei) ; 
flerLittratorhiskoriktsr  hatniir  di«  igem^iDsaiim  ZügedeeLeliäiis 
4er  eiozelneoi  Tbeäle  an  verzeickaeo ,  insoweit  sie  sich  im'  uuven- 
sdiTton  VolksbeTUsstsein  uad  ui  dessto  Organ ,  der  Literatur, 
reäectirteii. 


0.  Die  TTebergangszeit  nach  der  dritten  Tbeilung. 

Am  tchiräoIiBteD  sobiBiDiwtQ  die  Lenölite  der  Literatur  in  den 
fiebieten,  welt^e  öBterreicbiat^  gencirdeB  vaien-  Für  Gralimen 
bc^aim  eine  fiut  funfiagjäloige  (Tom  Jahre  1772  an  giarecbnet) 
Periode  tiefen  geistigen  SeUafes,  «ährend  welcher  der  Versnch  ge- 
madt  wurde,  die  BevolkeruDg  dnrcfc  eingewanderte  Beamte  «ad 
joreh  deutsche  ünterrioht^praöhe  in  der  Schale  an  germauisim). 
Die  1784  zu  Laaiberg  errichtete  UinTerBität  war  .der  Bpradie  nach 
(bvtich.  Die  galisische  Tomebme  Wjelt  Eeddbnete  sich  dureh  -ihre 
Eidfrandung  tob  äM  Sprache  lind  den  Sitten  der  Heimat  ans  nnd 
M^ng  eine  frastsösiscibeSalöBarai^iing.*  Weit  coBaequeafr^r -und 
Bjftem^iBc^r  ward  dawelbe  STstem  der  GermaniBiruDg  in  den 
Tlieilen,  welche  an  PreuBseu  kamen,  durofagelubrt,  iadem  hser 
Boeh  eiae  Beibe  von  Begienutgemassregeln  dazu  kam,  die  darauf 
gericUet  mreo,  daa  Land  mit  Deuteohen  zu  colonisireti  und  an 
die  Stelle  der  polnifichea  Grundbesitzer  deutsche  zu  setxen.  Die 
pcdräche  Geeellsohaft  mied  den  Staatsdienet.  In  'Warsobaü  wurde 
em  Ljoeum'  errlt^tet,  die  Gesellscfaaft  der  Freunde  der  Wit-sen- 
sehaftea  bewilligt,  die  für  müeaige  Geister  als  eine  unacbuldige 
UHterhaltoiig  dieoen  sollte.  Die  benem  Ueberreste  der  polm- 
sdien  GeeeilsehaftiieseeB  sich  in  Warschau  nieder,  aber  hier  in 
eiBcai  Flügel  des  kdni^icheii  SchltraseG,  den  Fürst  JosephPooia- 
toireki,  eÖB  Neffe  dee  ehemahgen  Königs,  innehatte,  zechte  die  mü&- 
^Jagend  der  eogenaimien  wackeria  Barschen  {t^tyz&a),  fortge^ 
nsBen  dnrcb  das  Beispiel  des  tapfern  Soldaten,  der  eich  im  Verein 
Biit  EoieioBsko  aosgezeiebBei  halte  und  zur  Untbätigkeit  veriirtheüt 
nr,  bis  moh  ihm  die  Möglichkeit  eröfEiiete,  zu  Pferde  zu  steigen, 
nd  ä^  in  den  NapoleoniEchen  Kriegui  für  die  Ehre  des  Itationa" 
\n  NaraoM  (bonor  Polaköw)  zu  schlagen.-  Weit  weniger  gcoae  war 
^  Verändern^,  weLobe  die  polnische  Gesellschaft  inneiliailb  der 
Grenzen  Kusslands,  erfuhr.    Es  lag  nicht  in  den  Plänen  der  Re- 

'  Zawadzki,  Literatura  w  Galk-ji  (iu  rmcwodu.  nauk.  i  lit.  1»77). 

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186  Vierte«  K»piteL    Die  Polen. 

gierung,  das  polniache  Element  za  isoliren,  das  dem  nusiedien 
Element  dem  Blute  nach  verwandt  war  ond  deshalb  nahestand 
trotz  des  Verlaufs  der  Geschichte.  Nach  Petersbo^  richteten 
sich  sogar  die  Blicke  vieler  Patrioten.  Eine  der  Personen,  welche 
dem  jnngen  Kaiser  Alezander  I.  nahestanden,  war  der  Fürst 
Adam  Czartoryski,  Mitglied  des  kaiserlichen  Comites,  18(@ — 1806 
Minister  des.  Answärtigen  nnd  Cnrator  der  Universität  Wilna.* 
Er  setzte  die  traditionelle  Politik  seines  Hanses  offen  fort  nnd 
tränoite  von  der  WtederberBtellnng  seines  Vaterlandes  unter 
dem  Schatten  der  russischen  Macht.  Der  Kaiser  verhielt  sich 
zu  dieser  Idee  nicht  ablehnend,  aber  ehe  sich  die  Bedingnn- 
gen  ihrer  Verwirklichung  fanden,  griff  Napoleon  sie  anf  und 
brachte  sie  in  Gang  zur  Erreichang  seiner  herrschsüchtigeD 
Zwecke.  Dieser  war  mit  ihr  dadurch  bekannt  geworden,  dass 
zuerst  unter  den  Fahnen  der  französist^en  Republik  nnd  alsdann 
nnter  seinen  Adlern  Emigranten  kämpften,  die  ihre  Hofhnngui 
nicht  anf  den  Osten,  sondern  anf  den  Westen  setzten,  and  auf 
eine  Wiederherstellung  Polens  durch  europäische  Umwälnmgm 
rechneten,  welche  von  Frankreich  ab  dem  Centrum  der  gesararat- 
enropäischen  revolutionären  Bewegung  ansgingen.  Nachdem  er 
Prenssen  bei  Jena  zertrümmert,  schuf  Napoleon  nach  dem  Til- 
siter  Vertrag  von  1807  die  freie  Stadt  Danzig,  gab  Bussland  daa 
Gebiet  von  Bialystok  nnd  bildete  aas  den  Theilen,  die  von  Preus- 
sen  bei  den  zwei  letzten  Theilangen  incorporirt  worden  waren, 
das  kleine  Herzogthnm  Warschau,  das  er  seinem  Bundeegenoesen, 
dem  Eön^[  von  Sachsen,  zntheilte.  Die  neue  Schöpfung  der  Po- 
litik empfing  eine  Scheinconstitution,  eine  Armee,  eine  Venral- 
tang  nach  französischem  Master,  den  Code  Napoleon  und  die 
persönliche  Freiheit  der  Bauern;  ihr  Zweck  war,  dem  Kaiser 
der  Franzosen  soviel  Geld  und  Soldaten  als  mißlich  zu  liefern. 
Sie  kitzelte  das  NationalgefiihI  mit  den  onbeetimmteiten  Ver- 
sprechungen. Im  Jahre  1809  ward  das  Herzogthnm  der  Schan- 
platz  des  Krieges  zwischen  Frankreich  and  Oesterreich.  War- 
schau wurde  von  den  österreichischen  Trappen  eingenommen, 
während  die  polnischen  unter  Joseph  Poniatowski  Westgalizien, 
Krakan,  Lnhlin  eroberten  -~  Erwerbungen,  die  dem  HerzogUiom 
nach  dem  Wiener  Frieden  von  1809  einverleibt  wurden.    Wäh> 


I  „Alexander  I  ot  le  princc  Czartoryski,  correspondanoe  et  converaations, 
BDeo  QUO  introdnctioa  do  Ch.  do  Uazade"  (Paris  1665). 


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Die  Zeiten  nach  der  Theilong.  187 

nad  dw  Vorbeituii^  za  dem  denkwördigoi  FetdzDg  nach  Roeslaad 
(1812)  wurde  nach  dem  'Willen  Napoleon's  za  Warscbaa  eine 
polnisebe  nnd  litaoieche  Generalconföderation  gebildet,  an  deren 
SptM  Adam  Czartorfslu,  der  Vater,  gestellt  wurde,  der  noch 
TOT  korzem  öeterreichischer  Generalfeldzei^meister  gewesen  war, 
während  gleichzeitig  sein  Sobn,  Adam,  in  eine  unbequeme  Lage 
geliracht,  Alexander  I.  seine  Demission  einreichte,  die  jedoch 
aidit  angenommen  wurde.  Rassland  siegte,  die  Betheil^ang  der 
Polen  am  Napoleoniscbeu  Feldzag  rief  keine  Repressalien  her-  ' 
vor,  aber  musste  natürlich  dem  rassischen  Volke  feindselige  Ge- 
föUe  einpflanzen.  Der  Kaiser  Alexander  warde  in  seiner  Ab- 
ndit,  Polen  wiederberzneteUen,  nocb  mehr  bekr^gt,  aber  diese 
Absieht  stiees  aaf  HindemiBae,  sowol  bei  der  enropäischen  Diplo- 
matie auf  dem  Wiener  Congrese,  die  es  nicht  gestattete,  alle 
Tbdie  Polens  unter  rassischer  Herrschaft  zusammenzufassen,  als 
uoh  in  den  Gefühlen  der  mesischen  Patrioten,  die  nicht  znliessen, 
dtw  die  Wiederherstellung  die  1795  in  den  Bestand  Rasslands 
äbogegangeneo  Gebiete  berühre  („kein  Fubb  breit  Landes  weder 
dem  Feinde  noch  dexß  Freunde",  sind  die  Worte  einer  Denk- 
tehiift  Karamzin's  vom  19.  Oct.  1819).  Das  Resultat  dieser  ver- 
wickelten Sitaation  war:  die  Rückgabe  eines  Tbeils  des  Herzc^- 
tlmiiu  Warsdiaa  an  Prenssen,  eines  Tbeils  Galiziens  an  Oester- 
löch,  die  Errichtung  der  freien  Stadt  Krakau,  die  Bildung  eines 
Congreeskönigreichs  Polen  mit  einem  aus  zwei  Kammern  be- 
stehenden Reichstag,  das  durch  die  Lage  der  Dinge  von  seinem 
Hertscher  getrennt  mit  diesem  durch  einen  Statthalter  ver- 
k^rte.  Dieser  ganze  künstliche  Bau  war  locker  und  schwan- 
kend; er  ruhte  auf  dem  onaicbem  Boden  eines  unversöhnlichen 
0^  unklar  empfundenen  nationalen  Gegensatzes  und  IHstraaens; 
er  förderte  in  den  Gebtem  die  Erhaltung  unbestimmter  Hoff- 
nnagen  auf  etwas  grösseres  in  der  Zukunft,  vereinte  in  einer 
Hand  zweierlei  Regime,  dae  autokraüsohe  und  constitutionelle, 
foa  welchen  das  letztere  unvermeidlich  dem  erstem  weichen 
aosite  bei  einem  Gonflict  der  nationalen  Interessen  and  bei 
den  allgemeinen  Hauche  der  Reaction,  der  in  Eoropa  nach 
da  Napoleonischen  Kriegen  wehte.  Obgleich  die  Constitution 
eine  verhängnissvoUe  Gabe  war  und  ihr  aller  AYahrBcheinlicbkeit 
nach,  in  Anbetracht  der  weitem  Folgen,  eine  provinciale  Au- 
tonomie mit  politischer  Incorporirung  des  ehemaligen  Herzog- 
thums  in  Ruseland  vorzuziehen  gewesen  wäre,  so  ward  sie  nichts- 

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188  Viertes  Kapitel.     Die  Polun. 

destewenigw  in  der  errsten  Zeit  mit  aUgemeisem  Jube)  begrügat. 
Er  kun  der  HomeBt  der  Freude  ali  der  Ctegenwirt^  de«  6e- 
tinsses  der  Wohitbaten  dee  Friedens  nach  so  -riol  UiigeMaeh,  es 
Btellte  sich  daB  Sti-elMn  uach  geistiger  Eat#icke)uiig  ein ;  die 
Schulen  wurden  reorganisirt,  am  7.  Nov.  tSlÖ  die  Alexander- 
UniTersitst  inWarsobaa  erriobtet.  Noofa  eiQ  ^ug,  der  gans  nen 
ist,  macht  sich  bemerklieb:  die  Bemilhiiiig  um  AnnaberuDg  und 
Gemeinschaft  mit  den  östlichen  Btuttmeegmossen  a»{  iem 
'  Boden  der  slaTischen  Idee.  ^  Unerwartet  erscheinen  auf  diesem 
Gebiet  bedeutende  Arbeiten.  Ein  geborener  Thoner,  Dentsdier 
von  Herkunft,  ßasonel  G«ttlieb  Linde -(l}71  — 1847).  Directot 
des  Lyceums  bu  Warschau  gab  (1807—14)  in  »eebs  Bänden  ein 
polnisches  Wörterbuch  heraus,  worin  er  die  polnische  Sprache  in 
leiicaler  Beziehung  mit  den  andern  elavlschen  Sprachen  Tergbofa 
nnd  die  Wörter  mit  Beispielen  aus  den  SiAriftstellern  erläuterte. 
Adam  Czarnocki,  bekannter  nnter  dem  Kamen  Zoryan  Dot^ga 
Chodakowski  (1784—1825),  unternahm  seine Beiseo  Jn  die  »la- 
Tischen  Länder  in  der  Absicht,  das  vorhistorische  Leben  des 
Stammes  zu  entdecken  und  aufzuklären.  Ignaz  Rakowieoki 
iintersuchte  die  ,,Pr&TdaRus6lca"  („Das  russische  Hecht",  Wateten 
18S0).  Endlich  bereitete  sein  umfangreiches  Werk  im  Gebiete 
der  vergleichenden  Geschichte  der  slavischen  Gesetsgebungen  der 
letzte  von  den  noch  lebenden  Slavjsten  jener  Zeit,  Alexander 
Wachiw  Maciejowßki  (geh.  1793)  vor,  die  erste  Ausgabe  in 
4  Bänden,  1^3—36*,  die  Eweite  in  6  BändAi,  l^—65. 

Auf  dem  Gebiete  der  Poesie  war  der  Vertreter  dieser  slkTÖphilen 
Richtung,  die  nicht  lange  dauerte  und  fast  spurlos  Terschwanden 
ist,  eine  in  jeder  Beziehung  herrorragebde  Person,  die  nach  jetner 
Seite  hin  noch  nicht  genug  gewürdigt  ist  —  Johann  Paul  Wo- 
ronicz  (1759—1829).  Dieser,  Volynier  von  Geburt,  ^noniktiB 
in  Warschau,  dann  1816 — 27  Bischof  von  Kntksu,  suletst  Ton 
18S7  an  Primas  von  Warschau,  hatte  eine  Irinreissende  Gftbe 
des  Wortes,  die  an  Skarga  erinnerte.  Er  hatte  wie  dieser  Ge- 
legenheit zu  predigen,  wenn  auch  nicht  aus  Anlass  grosser  J>eig- 
nigse,  so  doch  an  den  Gräbern  grosser  Männer:  b^  O^egenlüeit 
des  feierlichen  Leichenbegängnisses  Joseph  Poniatowski's  1817  und 


'Deutsch    voü   l\   r.  BuBs    uuil    M.    Nswrocki    (lüde,    Stuttgart 
1835-39). 


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Eoadnsiko'B  1S18  in  Krskaa,  bei  G^genheit  des  Todes  von 
Mam  Gtattoiyski,  dem  Vater  (1833),  des  Kaigers  Alexandec. 
Ab  Didito:  at^ilägt  er  den  Weg  ein,  den  niobt  lange  nadi  ihm 
£e  roma&tisc^  Foctie  betreten  sollte,  dem  aber  auch  Johann 
fiollär  mit.  seiner  „Slavy  Doera"  („Der  Sl&va  Todiier")  .1821 
folgte.  In  seiner  Poene  läset  sich  leicht  rerfolgcn,  irie  sich  sein 
warmer  nationaler  Patriotkmafl  zu  geoeralisiren  und  in  d«Q  Fani- 
diriBnoB  iiberzagehen  socht.  Der  Donnev  war  erdröhnt,  die  Pro- 
phaeiaDgen  vom  Untergang,  wie  ae  von  Sharga  angefinDgen  er- 
töaten,  waren  in  Erfülluhg  gegangen,  an  die  Stelle  der  boshaft 
geifiulnden  Satire  traten  Geföhle  unbegrenzter  Trauer,  die  Weh- 
klage des  Jerfflnias  auf  den  Tiiimmera  JenieaJem'a.  Der  Dichter 
bnn  die  Ströme  Bluts,  die  Leute  nicht  vergesaen,  welche  auf  dem 
Sdilachtfeld  ron  Maciejowice  starben,  nicht  Axa  Kämpfer,  der  si(^ 
mit  don  Bruchstück  einer  Sense  vom  Wawel  auf  die  Feinde 
itönte,  noch  den  enttbronten  König,  „der  hin-  nnd  berschwankte, 
fOB  macbiedenen  Seitan  ein  Terst^iedenee  Gesiebt  hatte,  allen 
gat,  «ir  sioh  selbst  BchädHoh  war,  den  man  in  die  Fremde  in 
GefangtDscbaft  föhrt  und  hinter  ihm  den  gebandenen  Troes."^ 
„Wo  sollen  wir  bin,  wir  verirrten  Waisen,  wie  Bienen  ohne  Wei- 
sel, vertrieben  a«8  dem  Bienenstock,  beraubt  dsi'  Bedeutung,  des 
Weseas,  der  Sprache,  des  Nfunens?  Wo  bist  da,  Land,  das  du 
mich  BeimatliOBen  aufnehmen  nnd  mir  den  stiseen  Namen  dednee 
Sohnes  und  Bürgers  geben  wirst?  Vergebens  wird  jedes  von 
tjuii  mich  mit  solchen  Hofhungen  täneohen  -~  ich  werde  dir 
«1  Sliefisobn  sein  nnd  du  mir  eine  Stieftautter.  Stelle  mich 
mit«  deine  Satrapen,  das  ist  mir  nichts  werth,  wenn  ich  anf- 
h^rea  muss  Pole  zu  sein.  Der  hat  mobt  im  himmlischen  Feuer 
der  Lidie  zum  Vaterlande  geglüht,  noch  ist  er  von  deesea 
Snist,  die  Ueldenmaih  einflösst,  genährt  worden,  wer  sich  bereit- 
«ilUg  mit  dem  neuen  Zustande  aoasöhnt  auf  dem  Grabe  des 
Vaterlandes.  Was  nätst  mir  die  Luft,  die  ich  in  der  Gefengen- 
Bchaft  atjiue?  Und  das  Licht,  welches  mein  elcatdeB  Schicbeal 
heknchtat?"^  Der  Gram  fuhrt  mm  Nachdenken,  ee  erbeben 
«ich  ethische  Fragen,-  welche  die  ganze  folgeade  Generation  von 
Siogem  nsabläsng  erregen:  Wozu  das  Leid?  aas  walohem 
Omode   und   dordh  wessen  Schuld?     Weder  Woronira  noch  die 


'  Sjbilla,  3.  Gesang. 
'  Sfbilla,  4.  Ge8BI^;. 


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190  TiertM  Kftpitet.    Die  Polen. 

ihm  folgeade  Generation  vermocliten  diese  Fragen  xa  lösen, 
noch  niemaDd  hatte  diese  G«sefaidite  Im  iraf  ihre-  Wurwh  er- 
forscht, m&n  kannte  sie  nur  nach  der  letzten  Katastrophe  und 
nach  der  grossartigen  aber  verspäteten  Anstrengung,  deren  Krön« 
die  Arbeiten  des  vierjährigen  Reichstags  waren.  Der  Dichter 
beschreibt  mit  Entbasiasmas,  wie  die  „rostigen  Thore  des  Inter- 
regnums" geschlossen  wurden,  wie  die  mit  Füssen  getretenen 
alten  Gesetze  wieder  auferstehen  und  neue  auftauchen,  geschmie- 
det mit  dem  Hammer  einer  seltenen  Eintracht,  wie  sich  die  Kin- 
der einer  Mutter,  die  einander  nicht  kannten,  Terhrüdem  und 
umarmen.*  Bei  der  Unmöglichkeit  die  innere  Ursache  des  Dnter- 
ganga  zu  entdecken,  leitet  sie  Woronicz  aus  der  Vwlnn- 
dung  äusserer  Umstände  her;  er  schleudert  donnernde  FIfiohe 
auf  das  „Drachengeschlecbt"  der  Verräther,  auf  die  gedun- 
genen Diener  fremder  Politik,  er  schmäht  das  egoistische  Al- 
bion seiner  Herzlosigkeit  halber,  aber  die  Hauptschuld  schiebt 
er  fast  ganz  auf  die  Deutschen,  auf  den  Erben  des  Deutschen 
Ordens  —  Prenssen.  Er  kann  den  Gimbem  ond  Teutonen  die 
Vernichtung  der  ruhmvollen  Stammverwandten  der  Haveler, 
Lnticer,  Obotriten  nicht  vetgessen.  Sigismund  I.  verzeiht  er 
nicht,  dass  er  Preussen  seinem  NefFen  zu  Lehen  gegeben  bat; 
am  meisten  beschuldigt  er  Prenssen  wegen  des  hinterlistigen 
Bündnisses,  weil  „es  mit  s;ÜB8er  Miene  die  SchöpAing  lobt,  mit 
deren  Urhebern  fratemisirt,  mit  der  einen  Hand  die  Alliance 
unterzeichnet,  mit  der  andern  aber  den  verboi^enen  Dolch 
zückt  und  nach  einem  Druck  auf  die  Feder  das  Herz  trifft,  stolz 
auf  die  Gewandtheit,  mit  der  es  sich  Vertrauen  zu  erwerben 
gewusst  hat."'  Diese  Erklärungen  reichen  nicht  ans,  die  De- 
ductioB  ist  nicht  vollständig,  die  Thatsache  des  Unterganges 
nicht  motivirt;  der  Geist  des  Dichters  beruhigt  sich  damit, 
dass  er  diese  unentschiedene  Frage  in  Zusammenharg  mit  zwei 
grossen  Geheimnissen  bringt:  dem  Geheimniss  der  Vergangen- 
heit und  dem  der  Zukunft;  wie  jene  Vei^angenheit,  so  ist 
auch  die  Zukunft  eine  gesammtslavisohe.  Indem  er  die  mythi- 
sche Abkunft  aller  Slaven  oder  Sannaten  von  einem  bibluofaen 
Urahn,  Simon  Sarmoth  oder  AsBarmot  (1.  Mos.  10) ,  annimmt, 
hatte  Woronicz  den  Plan,   die  Schicksale  des  SlavMithnms  und 


»  Sybilln,  IT. 

•  Sybiii«,  m. 


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lobxan  WoroBiob  191 

det  polniacheD  Volkes  in  einem  ganzen  Gyclos  epischer  Sagen 
dunstollen,  die  ein  Buch  Gedichte  (pieänioksi^)  bilden  80II- 
tn.  Dieser  Plan  kam  nicht  zur  Auafühmng,  nur  Brnchstücke 
and  übriggeblieben:  „ABsarmot",  der  Patriarch  der  sannati- 
Kben  Volker,  der  unter  Prophezeinngen  die  kommenden  6e- 
icUechter  B^net  (gesohriebeu  180&);  „Lech"  der  mythiache  Be- 
grönder  des  polnischen  Beicha  (1807);  drittens  der  „Reichstag 
na  Wiälica".  In  unmittelbarer  Verbindung  mit  diesen  Gedich- 
ten steht  die  einzige  von  ihm  zum  Abschlusa  gebrachte  histori- 
sch Dichtung:  „Sjrhilla",  in  vier  Gesäugen.  Die  Urväter  er- 
KbeÜMu  in  einem  vranderbaren  Gtanee.  Schon  im  Lande  Senaar 
pbt  ihnen  Aasarmot  unter  Verheissung  der  nördÜcben  Länder 
das  folgende  Vermächtniss :  „wenn  ihr,  Eahlloa  wie  die  Sterne,  und 
ii  Herzen  und  Sprache  einig  das  Grenzland  zweier  Welten  (Eu- 
rqtss  und  Asiena)  bilden  «erdet,  so  betmchtet  als  eine  Erbschaft 
rm  mir  das  folgende  ewige  Gesetz:  euer  Element  sei  die  Tugend 
utd  ener  Handwerk  der  Ruhm."  Der  Ankömmling  Lech  setzte 
üch  nnter  die  nördlichen  Slaveu  nicht  als  Eroberer,  aondem  ab 
Bra^:  „wir  sind  Bein  vom  Bein  unserer  Väter,  wir  sind  ein 
Beschlecht,  überall  athmen  wir  einen  Geist."  Wenn  sich  die 
Slaven  vereinigen  wollten,  ao  würden  sie  die  ganze  Welt  zer- 
mahnen. Aber  die  Brüder  haben  sich  gegen  einander  erhoben 
oad  leben  in  Zwist.  Der  Dichter  ermahnt  Sigismond  III.:  .andern 
da  das  Mistranen  mit  dem  Bande  ewiger  Eintracht  ausgteiobat, 
Tneinige  die  beiden  blatsTerwaudten  aUvischen  Völker." 

Der  Rath  iat  nicht  in  Erfüllung  gegangen,  aber  was  sich 
bnher  nicht  verwirklichte,  wird  in  der  Zukunft  geschehen.  Die 
Gegenwart  ist  nur  eine  Zwischenstufe  zu  dieser  Zukunft,  eine 
Zeit  der  Prüfung.  Die  Klage  der  Kleinmüthigen  nnd  das 
Murren  der  Kleingläubigen  wird  durch  die  Donnerstimme  dei' 
Gottheit  erstickt:  „0  ihr  bedauemswerthes  Gemisch  von  Grösse 
nnd  Niditigkeit,  wie  lange  werdet  ihr,  ohne  eure  Bestimmung 
IQ  kennen,  ans  derselben  ein  Spinngewebe  von  Klagen  zusanuuen 
qnnnen  statt  in  den  festen  Grund  eures  Wesena  einzudringen! 
Wenn  aof  euem  Vater  und  Lenker  (Gott)  die  Schuld  nicht  fällt, 
M>  mnss  nnter  euch  seibat  die  Quelle  nnd  Ursache  von  allem  sein. 
Du  Uenechheit  steht  eine  Verwandlung  bevor;  der  neue  Phönix 
wird  dch  vielleicht  aus  eurer  Asche  erheben.  Sobald  ihr  euch 
iorch  einen  neuen  Bund  (mit  Gott)  vereinigen  werdet  and  es  ver- 
dient, dass  euer  Ruhm  wieder  auferstehe,  wird  euer  Geschlecht 

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1^  Viertw  Kapitel.     Di«  t>oleii. 

:voii  diesem  Grabe  niciit  verBehlonge»  verde«:  Troja  ging  vntor, 
tÜamitauB  ihm  Rom  geboren  werde."  Diese  ProphezeiVDgeD  äb«r' 
rasohen  mit  etwas  ganz  Neuen.  Eau-gisobee  Lebenebewusstsän 
erwacht  mitten  im  To4e  in  der  eich  seraetiMKieD  Maeee,  dabei 
ist  es  mit  «inem  erstaunlich  niiohterDen  V«rsta»dniBS  dafür  tot- 
bnnden,  dass  das  neue  Leben  keine  Forteetanng  des  alten,  keine 
Beetanriruog  desaelben  sei,  sondern  seine  vollständige  Metamor- 
phoBe.  „Theiloben  des  Vergangenen  vinnelB'  in  den  Trtlm- 
luern  und  werden  offenbar  in  anbekannten  Gewächsen  wieder- 
geboren werden."  -  Aber  dieses  frische  und  neue  Oeföhl  EitJet 
bei  'Woronicz  keinen  passenden  Ansdmck;  es'ergieset  eich  in 
alten  nnd  abgenutzten  Formen.  Manches  —  und  dabei  doe  Beste 
~  hat  er  den  alttestamenUiohen  Propheten  entlehnt;  dieses  re~ 
ligiös -biblische  (}efühl  war  etwaS'  senee  nach  den  Philosophen 
des  18.  Jahrhunderte;  ihm  verdanken  seine  Werke,  di6  er.zn 
Le1t«eiten  nicht  herausgab,  ihre  schnelle  Verbreitung  in  Hand- 
schriften.' In  allem  übrigen  ist  er  ein  Pseudo-Gtassiker,  der  m 
wie  Narnszewicf  liebt,  gekünstelte  Worte  zu  gebfauohen,  Pbriea, 
Najaden  und  alle  Gottheiten  dos  Olymps 'voTEuführen.:  äelbat 
die  Dichtung  „Sybilla"' ist  nichts  weiter  als  eine  nach  ^em  Matter 
von  Delille  und  Trembeeki  ansgefüfarte  Beschreibung  des  Paläates 
und  de«  Gartens  zu  Futawy  und  des  Tempels  der  Sybilla  das^bs^ 
der  nach  Art  des  Tempels  2n  Tivoli  gebaut  war,  und  anderer 
Gebäude,  wo,  wie  in  einem  Museum,  die  von  den  Ciartoryakit 
gesammelten  Denkmäler  des  polnischen  Alterthums  aufbewahrt 
wurden. 

Die  zu  einem  unabänderlichen  Katwn  gewordenen  f'onnen  er- 
drückten den  Inhalt.  Diese  Formen  waren  die  pBcudotJaesf  Bofaen ; 
die  polnische  Literatur  ahmte  der  fVanzÖBiscben  neich  und  dieftc 
war  ihrerseits  wieder  eine  schwache  Nat^alaioBg  der  antlkeu 
Muster  und  erneuerte  dieselben  nicht  durch  anmittelbare  An- 
schauung und  Studium,  wie  es  Kochanowski  und  in  aeuerer  Zeit 
Lessing,  Goethe  und  Schiller  in  ihrer  AusbiMuDg  (orderte.  Die 
Schriftsteller  jener  Zeit  —  meist  bedachtsame,  systematische  Leote, 
dabei  warme  Patrioten,  aber  der  Möglichkeit  bM^ubt,  einen 
Staat  zu  errichten  —  wandten  sich  gänzlich  der  Gultivimag  des 
Reiches  der  Schönheit  zu,  das   sie  zu   bearbeiten  nod  ia  eines 


'  Erste  Ausgabe  in  Krakaii  1833,  2  Bde.    Beaondem  ttuhm  genoBs  dii 
„Hymne  anf  Gott". 


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Die  Zeiten  noch  der  Theiloiig.  ]93 

Garten  ainziiwandeln  begannen  nach  der  Art  des  Parkes  vou 
Versailles  mit  Blumenbeeten  und  Bosqnets,  mit  geraden  Alleen, 
mita  fieobachtung  des  Gesetzes  der  Arbeitstheilnng  und  der 
DiNnplin  politischer  Parteien,  anter  Einführung  strenger  poli- 
leilicher  Ordnnagen,  die  keine  villkürliche  Abweichung  Ton  den 
Begehl  der  Kunst  zoliesBen,  wie  sie  ein  fUr  allemal  von  Aristo- 
teles und  Boiteaa,  Horaz  und  Laharpe  gelehrt  waren.  Die 
Arbeit  war  coltectiT.  Die  Gesellschaft  der  Freunde  der  Wissen- 
schaften, deren  erster  Präsident  der  compilirende  Historiker, 
Bischof  Albertrandi  (1731-1808),  der  zweite  Staszic,  der 
dritte  und  letzte  Niemcewicz  war,  stellte  eich  die  Aufgabe,  in 
diesem  Garten  keinen  einzigen  Winkel  brach  liegen  zu  lassen, 
und  d&fnr  zu  sorgen,  dass  jede  Gattung  der  Literatur  ihren  Ver- 
treter habe:  die  einen  compilirten  Geschichte,  die  andern  culti- 
firten  das  Epos,  das  Drama  oder  den  Roman.  Niemcewicz  ver- 
fiksste  historische  Lieder  („Spiewy  historyczne",  1816),  denen  es 
ah  jeder  Wahrheit  und  Talent  mangelte-,  Kajetan  Koimian 
(I7?l — 1856)  reproducirte  Virgil'e  Georgica  in  der  Dichtung 
„Ziemiaüstwo  poUkie"  („Der  polnische  Ackerbau",  Pulawy 
1830),  und  schrieb  eine  Epopöe  „Stephan  Gzamiecki",  die  nicht 
nnr  nach  dem  Tode  des  Verfassers,  sondern  auch  nach  der 
Epoche  der  Romantik  im  Druck  erschien  (Posen  1858).  Es 
wucherte  von  Romanen,  sentimentalen  und  tendenziösen  („Lejbc 
i  Siora",  1821  Ton  Niemcewicz),  pseudobistorischen  und  Walter- 
Scott'schen  („Pojata",  1826,  von  Bernartovdcz).  Die  Mehrzahl 
der  Versemacher  versuchte  sich  in  den  schwierigsten  Gattungen 
der  Dichtkunst  und  übte  sich  in  der  Anfertigung  schwülstiger, 
im  Stile  fein  ausgearbeiteter  Oden  und  Tragödien  im  Geiste 
Radne's,  die  unter  strenger  Beobachtung  der  conrentionellen 
Schiddichkeitsformen  und  der  drei  Einheiten  (der  Zeit,  des  Ortes 
and  der  Handlung)  alles  historischen  Colorits  ermangelten,  und 
den  Zweck  hatten,  nicht  wirkliche  Charaktere  und  lebendige 
Personen  darzustellen,  sondern  nur  den  Kampf  der  Gefühle 
Bod  den  Conflict  der  einzelnen  Leidenschaften  im  idealen  Men- 
schen, angeschaut  ausserhalb  der  Zeit  und  des  Raumes.  In 
dieser  Gattung  thaten  sich  hervor  der  General  Ludwig  Kro- 
pinski  (1767—1844;  „Ludgarda" ').  Franz  W§2yk  (1785—1862) 
und  besonders  der  Dlrector  des  Lycenms  von  Kremenec  Aloi- 


roD  J.  Maliseli  (Krakun  1829). 


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t9 1  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

8iu8  FelinBki  (1771 — 1820),  der  eine  Tragödie  „Barbara  Radziiri}- 
towna"  '  Bchrieb,  die  bei  ihrem  Erscheinen  mit  unbeschreiblichem 
Jubel  aufgenommen  wurde-  Hißtorisch  ist  in  diesem  Werke  gar 
nichts  ausser  den  Namen  der  handelnden  Personen:  Sigismnnd 
August,  Barbara,  Bona  Sforza,  Tarnowski;  auf  die  historischen 
Charaktere  ist  keine  Sorgfalt  verwendet,  es  ist  ein  vollBtändiger 
Mangel  an  Verstäiidniss  für  die  Institutionen  bemerkbar.  Da- 
gegen findet  sich  darin  eine  Ueberfülle  von  pathetischen  Phrasen, 
gelungenen  Ausdrücken,  die  grossen  Gedankenreicfathnm  in  weni- 
gen Worten  enthalten;  es  ist  nach  dem  Muster  Alfieri's  mit  einer 
Menge  von  Anspielungen  überschüttet,  welche  die  innersten  Ge- 
danken der  damaligen  Gesellschaft  über  die  Liebe  zum  Vater- 
lande, über  die  Pflichten  des  Monarchen,  über  die  Empörungen 
und  den  Hochmuth  der  Magnaten  berührten.  Die  Zeit^enosaen 
waren  nicht  anspruchsvoll;  durch  wenige  Verse  mit  rein  äussern 
Vorzügen  konnte  man  unter  die  Genies  gelangen,  es  kam  nur 
darauf  an,  die  Regeln  zu  beachten,  kein  Neuerer  zu  sein. 
Selbstverständlich  befand  sich  die  Poesie  in  einer  gedruckten 
Lage,  nur  mittelmässige  Talente  tauchten  auf,  und  die  hohem 
Ehren  besassen  nicht  wirkliche  Dichter,  sondern  Kritiker  und 
Recensenten.  Um  zur  Gilde  der  zünftigen  Kunstkenner  zu  ge- 
hören, bedurfte  es  keiner  tiefen  und  vielseitigen  Kenntnisse  noch 
Methoden  der  Wissenschaft,  es  war  genug,  wenn  man  nurAplomb 
hatte,  ein  angenehmer  Gesellschafter  in  den  warschauer  Salons 
war,  eine  klang-  und  effectvolle  Diction  besass.  Die  Literatur  bildete 
eine  Art  Gesellschaft  zu  gegenseitiger  Ehrenerweisung;  in  diesem 
Bunde  genoss  fast  die  höchste  Autorität  der  Professor  der  polni- 
schen Literatur  an  der  Universität  Warschau,  Schwiegersohn  Bo- 
guslawski's,  und  nach  diesem  von  1814  an  Director  des  polnischen 
Theaters,  Ludwig  Osifiski  (1776—1838).  Zur  Vervollständigung 
des  Bildes  fügen  wir  noch  hinzu,  dass  die  Leidenschaft  zurSchrift- 
stellerei  sehr  verbreitet  war,  dass  die  literarischen  Verdienste  mit 
den  bürgerlichen  vermischt  wurden;  zuletzt,  daäs  bei  dem  Mangel 
an  kritischem  Geiste  und  positiven  Kenntnissen  diese  ganze  war- 
schauer Literatur  äusserst  schal  wurde.  Als  ihr  Mickiewicz  1828 
den  Handschuh  hinwarf  (im  Artikel :  ,,0  krytykach  i  recenzentaoh 
vrarszawskich"  —  „Ueber  die  warschauer  Kritiker  und  Recensen- 
ten") hatte  er  vollen  Grund  unter  Anführung  Byron's  zu  s^en, 


'  Deutücli  von  Orion  Julius  n.il.T.  „Fflrfitiii  Radriwill"  (Bpriin  1831). 

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Jobann  Soikdecki.  JSS 

im  mit  einem  der  anerkannten  warschauer  Kritiker  (z.  B.  .Fr. 
S.  DmochowBki)  zn  rechten,  dasselbe  bedeute,  wie  in  der  flE^gift 
Sc^hi«  die  Ungereimtheiten  des  Koran  zu  erörtern  im  Vertr^ue^ 
uf  die  Anflcläning  und  die  Toleranz  der  Ulemas.  |'..|[ 

Weit  günstiger  gestalteten  eich  die  VerhältnisBe  des  geir 
lägen  Lebens  in  den  russischen  wcEtlicben  nnd  südwestlii^i«];^ 
TOD  Polen  entnommenen  Gebieten  des  Reichs.  Obgleich  dio^uAfT 
getragene  Schicht  französischer  Cultur  und  Manieren  hier-4$^ 
Anschein  nach  dänner  war  und  die  typischen  Eigenschaften  .^^ 
thadeligea  polnischen  Wesens  nicht  verwischt  hatte,  so  g^qg 
t»  doch  den  bessern  Leuten,  welche  nach  dem  Zusammeixbrj^f^ 
gtbbeben  waren,  in  den  Grenzen  Rasslands  die  Schulea  jq 
ihre  Hand  zn  bekommen,  eine  Universität  und  einen  Uu,7«Er 
ätitstirkel  zn  gründen,  dem  Unterrichtswesen  alle  orgifnisif 
torisdien  Ideen  und  Motive  der  Edncationscommission  'aufuL^ 
impfen  und  in  die  Schule  sowie  durch  diese  in  die  Gesellschaft 
die  Weite  der  Anecbannngen  und  den  Geist  wissenBchaftlicl^ef 
FMBchong  einzuführen,  die  der  Gesellschaft  im  Köiö^f^cb 
Polen  f^ten.  An  der  Spitze  dieser  Leute  steht  d^f^  rbfr 
deotendste  Mann  der  Uebergangsperiode,  Johann  Sniaid^ck;^, 
drdbch  berühmt,  als  Organisator,  Professor  und  Scfariftf^ellep. 
Bei  dem  gewichtigen  Einfluss,  den  er  auf  die  folgende  Gwiera,? 
tion  ausübte,  ist  es  nöthig  bei  ihm  zu  verweilen.'  Die,Bi;i:f(i)er 
Johann  (17ö6— 1S30)  und  Andreas  (1768—1838)  Sniadecki,  b^idf' 
Profesfioren,  beide  Naturforscher,  waren  von  Geburt  Grmspoleo.. 
Johann  war  Astronom,  empfing  seine  Erziehung  in  der,  Liibc^Pr 
iki'Bohen  Schule  so  Posen,  studirte  auf  der  Universität  Kralfau, 
«0  er  die  Aufmerksamkeit  des  Visitators  Koit^taj  auf  sich  Ißnkt^ 
vonuif  er  von  der  Kdacationscommission  zur  weitern  A^sbildnpg 
(1778—81)  nach  Göttingen  nnd  Paris  gesandt  wurde.  Mit  defl 
Deutschen  harmonirte  ^niadecki  nicht,  die  sich  vorb^^eiten^^ 
ptnse  Bewegung  in  der  Kunst  und  Philosophie  bemerkte. er 
licht',  und  trug  die  Ueberzeugung  davon,   man  könne  von,  defi 


■  H.  Balinski,  „Painietoiki  o  Janie  l^aiadeckim"  (2  6<ie„  Wiln«,  ISC)); 
U.  Straazewski,  „Jan  Saiadecki,  jogn  stanowUko  w  diiejach  oswiaty  i 
'GloEofii  w  PolBce."  '■   --^     '  ■  ■' -'■ 

'  Leemag  und  Herder  standen  achon  damala  in  voller  Kraft  und  vollem 
Kahm.  Kant  wirkte  seit  1771  als  Professor,  Goethe  gab  1773  drnO^tf  und 
1771  d«n  Werther  heraQs. 

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196  Vieite«  Kapitel.    Die  Polen. 

Deutschen  nichts  entlehnen;  aber  er  befreundete  sich  mit  Laplace, 
d'Alembert,  Condorcet,  rersenkte  sich  rollständig  in  die  Prio- 
cipien  der  empiristischen  Philosophie,  deren  Stammväter  die 
Italiener  und  Baco,  deren  Forteetzer  nach  und  darcfa  Newton 
und  Locke,  die  französischen  EncykloiÄdisten  vareo,  und  eig- 
nete sich  deren  Maximen  an.  „Wiesen",  äusserte  sich  äoia- 
decki  1781,  „bedeutet  in  einer  einheitlichen  Anschauung  die 
feinsten  und  rerschiedenartigaten  Beziehungen  und  EinzelnheiteD 
umfassen,  den  verwickeltsten  Wahrheiten  nachgehen,  um  das 
Ganze  zu  beherrschen  und  aus  ihnen  sichere  und  augeoscbeinliche 
Principien  hen^uleiten."  ^niadecki  war  niemals  reiner  Sensn&liBt, 
er  gab  zwar  aprioristische,  fertige  Formen  des  Denkens  nicht  za, 
meinte  aber,  dass,  obgleich  die  Quelle  dea  Wissens  durch  die 
Natur  gegeben  sei,  doch  der  Verstand  eine  gewisse  Eigenschaft 
abstrahire,  die  in  der  ganzen  Natur  ausgegossen  sei  (s.  B.  die 
Grösse),  und  indem  er  mit  ihr  operire,  zu  weitern  Resultaten  und 
Combinationen  gelange,  deren  Schöpfer  er  selbst  sei.  Im  Besitze 
eines  lebhaften  und  in  vollem  Sinne  des  Wortes  philosophischen 
Geistes,  der  kräftig  und  schnell  generalisirte,  glaubte  Sniadeckd  an 
die  Erkenntniss;  ihn  interessirte  die  Methode  des  UntersacheiiB 
fast  ebenso  sehr  wie  die  Resultate;  er  strebte  in  der  WissenEchaft 
zu  dem  absolut  Klaren  und  Sichern,  aber  fühlte  sich  bei  weitem 
mehr  in  seinem  Element,  wenn  er  seine  Gedanken  in  die  Weite  der 
Erscheinungen  der  grossen  Natur  versenkte,  als  wenn  er  vor  der 
unergründlichen  Tiefe  des  Gebietes  der  Gesetze  des  menschlichen 
Geistes  verweilte.  In  dieser  Hinsicht  war  Sniadecki  nicht  selbst- 
ständig. Indem  er  sich  vor  dem  Skepticismas  und  Materialis- 
mus bewahrte,  schtoss  er  sich  der  schottischen  Philosophie  des 
gesunden  Menschenverstandes  von  Reid  an.'  Ausser  dieser  gab 
es  noch  eine  zweite  Stütze  —  die  Religion,  äniadecki  war 
selbst  religiös  und  lebte  in  einer  Epoche,  wo  sich  nnter  dem 
grossen  nationalen  Zusammenbruch  die  Herzen  jnstinctiv  an  das 
hefteten,  was  am  allerfestesten  ist,  an  den  Glauben  an  eine  sitt- 
liche Weltordnung,  an  die  Religion,  nicht  von  ihrer  dogmati* 
sehen  Seite,  die  seine  Aufmerksamkeit  wenig  fesselte,  sondern 
von  der  rein  praktischen,  als  dem  Anker,  auf  den  sich  der 
ganze   gesellschaftliche  Bau    und  die   sittliche   Ordnung   stützt. 


■  Mit  dieser  Philoaopliie  vrurde  er  1787  bekannt,  als  er  nacb  England 
gin^,  UTn  mit  IlerHi^kel  zu  nrlieili^n. 


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Johuin  äDiadeoki.  197 

Der  eigentliche  Beruf  Sniadecki's  war  aber  augeuecheinlich  das 
Katheder,  das  er  auch  in  Krakau  einnahm,  aber  die  Ereignisse 
ntriasen  ihn  fortTäbrand  der  WisBCnschaft.  Die  Angelegen- 
beitan  der  Universität  erforderten  Bemühungen  in  Warschau. 
£8  war  der  Reichstag  za  Grodno  zu  besuchen,  mit  der  Gewandt- 
beit  des  Diplomaten  zu  arbeiten,  um  das  Vermögen  und  Kapital 
der  Universität  vor  Beraubung  zu  schützen ,  da  sich  die  Führer 
der ConfÖderation  von  Tai^owica  in  dieselben  theilen  wollten.'  Als- 
dsDD  riss  man  den  Aetronooien  vom  Observatorium,  als  KoScinszko 
nKiakau  einen  Aufstand  veranstaltete;  er  musste  Truppen  werben 
lud  sie  verproviantiren.  Sniadecki  nahm  seinen  Abschied,  be- 
raste  1803 — 1805  Europa  als  Tourist,  studirte  die  nicht  schöne 
Gesellschaft  der  Zeiten  des  Kaiserreichs,  in  welcher  es,  wie  er 
ugt,  „Salons  gibt,  aber  nnr  Spielsalons;  von  den  Umwälzun- 
ga  haben  nnr  die  Bauern  nnd  die  Gelehrten,  die  zu  krie- 
chenden Scbmeichlem  geworden  sind ,  einen  Gewinn  gehabt." 
Säue  Verehrer  suchten  ihn  nach  Wilna  zu  ziehen;  indem 
er  Kott%tiu,  Gzacki,  Adam  Czartoryski,  dem  Vater,  nachgab, 
nahm  er  den  ihm  mit  Zustimmung  des  Ministers  Zawadowski 
von  dem  Curator  von  Wilna  Adam  Czartoryski,  dem  Sohn,  ge- 
muhten Vorschlag  an,  und  trat  contractmassig  in  die  durch 
Poczobnt  vacant  gewordene  Stellung  eines  Astronomen  ein.  Gleich 
nach  seiner  Ankunft  in  Wilna  ward  er  zum  Rector  gewählt 
(1807);  dieses  Amt  bekleidete  er  bis  1815  unter  den  schwierig- 
sten vsd  plötzlichen  Veränderungen  unterworfenen  Verhältnissen. 
Iflt  April  1812  hatte  er  sich  mit  der  gelehrten  Körperschaft  dem 
Kaiser  Alexander  vorznstellen ,  im  Juni  Napoleon ;  musste ,  um 
die  Universität  vor  Beraubung  zu  schützen,  an  der  provisori- 
schen Regierung  in  den  von  den  Franzosen  occupirten  Ge- 
bieten theilnehmen,  und  bald  d&rauf  wieder  den  Kaiser  Alexan- 
der b^rüssen.  Um  seine  Thätigkeit  als  Rector  zu  verstehen, 
mnBB  man  in  Betracht  ziehen,  was  diese  Universität  in  den  ersten 
Jahren  des  19.  Jahrhunderts  war.  Die  jesuitische  Akademie, 
QDter  Pouiatowski  äicnlarisirt,  und  unter  Leitung  der  Educa- 
tionBcommission  durch  die  unermüdlichen  Bemühungen  Poczo- 
hnt'B  reformirt,  war  unter  Kaiser  Paul  der  grossen  Gefahr 
ausgesetzt ,    vrieder    in    die    Hände    der    Gesellschaft    Jesu    zu 


'  In  diew  Epoche  fallen   der  Hauptseohe   Dach   die  „Liaty"  (Briefe) 
'DB  Sniideoki,  1878  zu  Posen  von  KrasEcwski  herttnsgegeben. 


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196  Viert«H  Kapit«!.    Die  Polen. 

fkllen.*  Der  Ordensgenersl  Graber  verwaltete  schon  die  A)n- 
demie,  aber  nacli  der  Thronbesteigung  Alexander's  scheiterten 
seine  Pläne;  der  nach  Petersburg  berufene  Bector,  der  PiariBt 
Hieronymus  Strojnowski,  erreichte,  dass  der  UniversitÄt  nach 
dem  Statut  vom  18.  Mai  1803  ihre  frühere  Organisation  rer- 
hlieb,  die  auch  den  Statuten  anderer  Universitäten  der  Jahre 
1803  und  1804  zum  Muster  diente.  Die  Universität  war  sowol 
eine  höhere  Lehranstalt  als  das  Gentrum  der  SchuWerwaltung  - 
des  Kreises,  sowie  femer  eine  Corporation  von  Gelehrten  in  der 
Art  einer  Akademie  der  Wissenschaften,  welche  der  geistigen 
Thätigkeit  der  Gesellscbafl  die  Richtung  gab.  Als  Lehranstalt 
rausste  sie,  da  man  damals  auf  Universitäten  überhaupt  nicht 
russisch  las,  der  Yortragssprache  nach  entweder  deutsch  oder 
polnisch  sein.  Strojnowski  zog  Deutsche  nach  sich,  Sniadeoki 
(Pami^niki  I,  358)  sah  voraus,  dass  diese  deutsche  Colonie,  wenn 
sie  auch  berühmte  Leute  enthielt,  keinen  Nutzen  bringen  werde: 
sie  weiden  gelehrte  Bücher  schreiben,  aber  nicht  solche,  die 
sich  für  das  Land  eignen,  im  Interesse  des  eigenen  Ruhmes,  aber 
nicht  der  allgemeinen  Bildung.  Der  Vortrag  war  sowol  der  Sprache 
als  dem  Geiste  nach  polnisch,  aber  es  mass  bemerkt  werden, 
dass  zwischen  den  Nationalitäten  noch  nicht  die  Zwietracht  und 
Verdächtigung  bestand,  die  in  den  folgenden  fünfzig  Jahren  er- 
wachsen^, und  dass  zwischen  den  Gebildeten  beider  Nationen 
ein  Verkehr  bestand,  welcher  bis  zu  den  Zeiten  dauerte,  wo 
Mickiewicz  in  Petersburg  und  Moskau  verweilte.  Der  wilnaer 
Bezirk  war  sehr  gross,  er  umfasste  die  westlichen,  südwestlichen 
und  weissrussischen  Gouvernements.  Die  Universität  ernannte 
die  Directoren  der  Schulen,  inspicirte  die  Schuten  durch  Visita- 
toren,  und  machte  sich  alle  Schulen  der  geistlichen  Orden  untere 
than,  ausser  denen  der  Jesuiten.  Durch  die  Bemühungen  des 
Grafen  Joseph  de  Maistre  erwirkten  sich  die  Jesuiten  eine  un- 
abhängige Akademie  in  P<^ock.  Einer  dieser  Universitiltavisita- 
toren  war   der   berühmte  Gelehrte  Felix  Czacki  (1765 — 1813), 


'  Mich.  Moroikin,  „Jezoity  v  HoaBÜ",  I,  450  jöt.  Petenba^  1863). 

'  Pami^niki  II,  258.  Brief  dea  UnterrichUmiiuBterB  Grafen  Zaw«dow»ki 
an  !^niadecki  1607:  „iuh,  wie  auch  Sie,  habe  das  Yergnägen,  roioh  in  der 
Mutterspracbe  auszudrücken,  die  der  polnischen  so  äbnlieh  ist,  daai  es 
dem  Bussen  nioht  scliwer  wird,  den  Puleii  zn  verstellen,  noeh  dieeeon  den 
Russen." 


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Johann  äuiadeokt  .  199 

«elclter  aus  freiwUligeD  Beitragen  des  Adels  der  südwestlichen 
GoQTeniements  lif06  das  rolynische  Gymnasium  zu  Kremeoec 
gründete,  das  später  in  das  kremenecer  Lyceum  umgewandelt 
vurde.  Dieses  Lycenm  suchte  Czacki  mit  der  UniTersitat  auf 
einen  Foss  zu  stellen  —  ein  Beginneo,  das  seine  alte  Freund- 
schaft mit  äuiadecki,  der  mit  dieser  Idee  nicht  sympatbisirte, 
einer  schweren  Prüfung  unterwarf.  Die  Ereignisse  des  Jahres 
1812  hatten,  obgleich  sie  Sniadecki  nicht  um  das  Vertrauen  des 
Kaisers*  brachten,  doch  auf  seine  Beziehungen  zum  Unter- 
richtsminister Einflnss,  bei  dem  die  Feinde  Sniadecki's,  die  deut- 
«cheu  Professoren,  welche  vor  den  Franzosen  nach  St.  Petersburg 
leSohen  waren  (Bojanus,  Lobenwein),  die  Handlungsweise  des- 
selben verdiuihtigteD.  Im  Jahre  1815  gab  er  sein  Bectorat  auf, 
nnd  Terlebte  nun  die  leteten  hellen  Tage  seines  Alters,  nur  mit 
der  Wissenschaft  nnd  der  Literatur  beschäftigt  und  bei  festlichen 
Gelegenheiten  als  berufener  Redner  auftretend,  wobei  er  irgend- 
wdche  abstracte,  aber  allgemein  wichtige  Fragen  der  Zeit,  wie 
über  die  Methoden  der  Wissenschaft,  über  die  Philosophie,  über 
die  Religion  zum  Thema  nahm.  Jeder  Satz  dieser  Reden  ist  ge- 
feilt, der  Stil  gewichtig,  ein  wenig  pomphaft;  um  sich  von 
dem  Eindruck  dieser  Reden  auf  die  Zuhörer  einen  Begriff  zu 
machen,  mnss  man  bedenken,  dass  sie  mit  etwas  theatralischer 
AuBstattang,  in  der  Aula  gehalten  wurden,  die  mit  den  Fresken 
TOD  Smuglewioz  (jetzt  im  Museum  in  der  Kirche  des  heiligen 
Johannes)  ausgemalt  war;  die  Professoren  sassen  in  rothem 
Ornat,  vor  dem  Bector  lag  ein  silbernes  Scepter ,  ein  Oe- 
Bchenk  Batory's  an  die  UniTersitat.  In  diesen  Reden  und  in 
seinen  letzten  Werken  verhielt  sich  Sniadecki  zu  zwei  grossen 
Erscheinungen  des  geistigen  Lebens,  die  er  nicht  zu  schätzen 
WHssto,  verneinend:  zum  deutschen  Ideatismus  und  zu  der 
eben  entstehenden  Romantik.  Um  dieser  beiden  Kämpfe  wil- 
len kam  er  bei  der  folgenden  Generation  nicht  nur  in  den 
Bnf  eines  Pedanten,  sondern  fast  eines  Obscuranteu,  wäh- 
rend ihn  neuere  positivistische  Schriftsteller  fast  zu  dem  Vor- 
lauter Auguste  Comte's  und  des  Positivismus  erheben.  Beide 
Urtheile  sind  äusserst  ungerecht.  Es  lässt  sich  leicht  be- 
greifen,  dass  sich  Sniade^  zu  jenen  zwei  neuen  Richtungen 


'  Famifbiiki  II.  Bd.    „J'ai  du  ploisir  ä  voub  voir,  M.  Suieiducki",  sind 
üe  Worte  dos  Kaisers  Äloxandci-,  als  ihm  dereelbo  vurgestollt  wurde. 


:..,  Google 


200  •  Vici-tea  Kapitel.    Die  Polen. 

darchaus  nicht  andere  verhalten  konnte,  und  ihnen  bewasat 
entgegentreten  musBte,  wenn  auch  nicht  mit  Gluck.  Er  als 
Rationalist  und  experimentirender  Naturforscher '  lleee  sich 
auf  die  Erforechung  der  Procosse  im  Geiste,  vermöge  deren 
sich  die  Empfindungen  in  Begriffe  umwandeln,  nicht  ein,  bod- 
dern  es  galten  ihm  sohliesslich  diese  Art  Untersucbiingen  ftir 
eine  ebenso  vergebliche  Arbeit,  wie  das  für  die  Wissenschaft 
unmögliche  Begreifenwolleu  der  letzen  Gründe.  Und .  indessen 
war  eine  Philosophie  aufgetreten,  die  ganz  in  der  Erforschung 
der  Formen  und  der  aprioristischen  Principien  des  Denkens 
aufging:  die  Vorlesungen  Kant's  zu  Königsberg  wurden  von 
Polen  besucht,  Fichte  brachte  einige  Zeit  in  Warschau  zu,  und 
unter  den  Gelehrten  in  Wilna  übte  Ernst  Groddeck,  Profeasor 
der  classiscben  Philologie  und  Kantianer,  einen  starken  Einäuss 
aas.  Die  jungen  Leute  begannen  von  Metaphysik  und  zugleich 
von  Romantik  zu  schwatzen,  weit  zwischen  beiden  ErscheinuD- 
gen  eine  so  unzertrennliche  Verbindung  bestand,  wie  sie  zwi- 
schen dem  empirischen  Bationalismus  und  der  pseudoclaBsisohen 
Literatur  der  Perrükenzeit  besteht.  Das  philosophische  Denken 
und  die  Kunst  strebten  nach  dem  Unergründeten,  unklare  grosse 
Ideen  suchten  nach  Formen.  Suiadecki  fühlte  sich  gekränkt 
als  Philosoph,  der  nur  klare  Begriffe  liebte,  war  verwundert, 
dass  sich  im  19.  Jahrhundert  Geister  des  14.  fanden,  die  das 
einfach  Klare  mit  Dunklem  trübten ;  die  schwachen  Seiten  Kaofs 
fand  er  geschickt  heraus ,  aber  das  Wesen  und  die  Origi- 
nalität seiner  Lehre  verstand  er  nicht;  ihm  galt  sie  einfach 
für  einen  übertünchten  Aristotelismns.  Sniadecki  fühlte  sich 
auch  verletzt  als  Aestbetiker  und  puristischer  Schriftsteller; 
er  war  ein  Freund  Delille's,  Verehrer  von  Zirkel  und  Mass 
in  der  Kunst,  ein  strenger  Beobachter  der  Regeln  des  Horaz, 
Boileau  und  Dmochowski.  Endlich  war  noch  ein  Grund  vor- 
handen, der  ihn  veranlasste,  besonders  scharf  gegen  den  neuen 
Geist,  die  neuen  Wege  zu  polemisiren;  als  Freund  einer  allmäh- 
lichen Entwickelung,  als  Mann  eines  friedlichen  und  tadellos 
legalen  Fortschritts  fühlte  er  instinctiv  voraus,  dass  sich  in  den 
von  ihm  bekämpften  Erscheinungen  Stürme  bargen,  dass  darin 
Elemente  brodelten,  welche  die  Dämme  durchbrechen  und  wie 
elementare  Kräfte  die  für  sie  eingenommene  Gesellschaft  in  un- 
bekannte Wüsteneien  mit  fortreissen,  ihr  Ruinen  und  Leiden 
schaffen  würden.     Aus  Pflichtgefühl   suchte  er  der  gefährlichen 

ü,g:.z:...,GOOglC 


Alexftudor  Fredro.  201 

Krisis  EU  begegnen;  sie  kam  wirklich  in  vulkamscbeui  Glanz 
wä  Andrang.  — 

Aber  ehe  wir  zur  Darstellung  dieser  Krisle  in  der  folgenden 
Periode  übergehen,  müssen  wir  noch  bei  einer  und  zwar  der 
letiten  Eracbeinung  stehen  bleiben,  die  vor  der  Romantik  and 
&st  gleichzeitig  mit  den  Anfängen  derselben  ins  Leben  trat, 
aber  ihrem  Geiste  nach  su  den  Gewächsen  des  claseischen  Bodens 
geborte.  Die  echte,  nicht  nachgeahmte  polnische  Komödie  ward 
nimlich  in  dieser  fröhlichen,  sorglosen  und  relativ  glücklichen 
Epoche  der  kurzen  Erholung  in  der  Zwischenzeit  zwischen  der 
!{apoleoniBchen  Epopöe  und  dem  Vagabandenthum  der  Emi- 
^tion  geboren.  Ihr  Schöpfer  war  ein  Napoleonischer  Soldat, 
m  Galizier  aus  Przemyäl,  der  Nachkomme  eines  der  höchsten 
AriBtokratengeschlechter,  Graf  Alexander  Fredro  (1793—1876). 
Seiner  fast  gleichzeitig  mit  der  Romantik  erblühten  Komödie 
machte  man  den  Vorwurf,  dass  sie  salonmässig,  dass  sie 
MoUere'scher  Manier,  nicht  polnisch,  nioht  national  sei;  trotz- 
dem bat  sie  alle  ihre  Tadler  überlebt,  hält  sich  nach  einem 
halben  Jahrhundert  noch  auf  der  Bühne,  übertrifft  auch  jetzt 
alles,  was  nach  ihr  in  diesem  Genre  geschrieben  wurde;  ihre 
Formen  sind  etwas  veraltet,  aber  der  Inhalt  fesselt  noch  jetzt 
durch  nnverwelkliche  Jugendschönheit,  durch  scherzhaften,  haim- 
loien  Witz.  Nach  den  drei  Koryphäen  der  Romantik  gibt  es 
keinen  Namen,  der  beim  Volke  so  populär  wäre  wie  der  Fre- 
dro's,  und  sich  eines  solchen  Ansehens  erfreute.*  Die  Ursachen 
eines  so  nachhaltigen  Erfolgs  liegen  in  Folgendem. 

Als  sich  im  ersten  Viertel  des  19- Jahrhunderts  die  gebildete 
Gesellschaft  an  die  Pflege  der  Literatur'  als  an  eine  nationale 
Anfgabe  machte,  wobei  es  mehr  Eifer  als  Talent  gab,  drängten 
sich  zn  dieser  Arbeit  Mittelmassigkeiten  heran  und  machten  sich  in 
ihr  zn  schaffen,  und  je  mittelmässiger  die  Arbeiter  waren ,  nach 
desto  hohem  Gegenständen  griffen  sie,  nach  der  Tragödie^  der 
Epopöe  oder  der  Ode,  nur  die  Komödie  blieb  brach  liegen.  Die 
pohtische  Komödie  konnte  nach  der  Theilnng  nicht  existiren 
end  brach  mit  Niemcewicz's  „Rückkehr  des  Landboten"  ab,  die 
Genre-Komödie  bot  aber  bei  ihrem  Maogel  an  Tendenz  den  pa- 
triotischen Gefiiblen  der' Schriftsteller  offenbar  keine  Nahrung; 

'  Gr»I  TftrDonski,  „Komedye  Alekaaudra  hr.  Fredry,  trzy  oduzyty 
Pttbliüine"  (Warschau  1876). 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


303  VierlM  Kapitel.    Di«  Polen. 

sie  wurde  veroachläBsigt,  galt  Tür  etwae  Gleichartiges  mit  der 
Satire,  für  eine  Art  negativer  Poesie.  Indess  war  das  neue 
Leben  überreich  aa  Erscheinaogen  hoher  Komik;  neben  den 
Terfallenden  Ueberresteu  der  Szla«hta  prangte  das  Kriegertbum 
der  Napoleoniecben  Zeiten  mit  eeibei-  Ungebundenbeit  und  Lieder- 
lichkeit; neben  der  Ritterliobkeit,  Oalanterie  und  änsserUcheo 
Vei^ötterung  der  Frau  machte  sich  die  Begierde  und  Eitelkeit 
der  zur  Bedeutung  und  Herrschaft  gelangten  Bout^eoiaie  geltend, 
die  Prosa  des  Lebens  war  jedoch  mit  einem  leichten  Wölkchen  des 
Strebens  zum  Idealen  bedeckt;  man  fand  Geschmack  an  runden, 
glatten,  schönen  Formen  und  allem  mischte  sich  die  frische  Fröh- 
lichkeit des  sanguinischen  Yolkstemperaments  bei,  das  geneigt 
war,  in  ruhigen  Augenblicken  ohne  Rückhalt  zu  leben,  zu  lieben 
und  zu  gemessen. 

Diese  ganze  Frische  und  Fülle  des  Lebens,  von  keinen  Ten- 
denzen getrübt,  stellte  Fredro  wahrheitsgetreu  wie  in  einem  Spi^el 
dar.  Nichts  hatte  er  systematisch  studirt,  von  1809 — 35  führte 
er  ein  nomadisirendes  Soldatenleben,  war  1813  in  rassischer 
Gefangenschaft,  besuchte  alsdann  Paris,  faaste  dort  Vorliebe  für 
das  Theater,  aber  ward  erst  gründlich  mit  Moliere  bekannt, 
als  er  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Heimat,  nach  Galizien,  bei 
einem  hansirenden  Antiquar  die  Werke  des  grossen  französischen 
Lnstspieldicbters  kaufte.  Von  Moliere  begeistert,  begann  dieser 
ganz  urwüchsige  Dichter  selbst  Komödien  zu  schreiben,  als  Dilet- 
tant, nicht  nur  fem  von  den  politischen  Ereignissen,  sondern 
auch  von  den  literarischen  Parteien,  ohne  irgendwie  Antbeil  an 
dem  Kampf  der  Glassicisten  mit  den  Romantikem  zu  nehmen. 
Im  Jahre  1819  schrieb  er  die  erste  Komödie  „Geldbab",  die  1831 
in  Warschau  aufgeführt  wurde.  Dann  beschenkte  er  noch  in  der 
Zeit  von  1839 — 3ö  die  Bühne  mit  17  Werken,  die  sehr  gefielen, 
aber  1835  verstummte  der  etwas  zu  sehr  verimtschelte  Ditditer 
plötzlich  und  zog  sich  vollständig  zurück,  verletzt  durch  einen 
kritischen,  übrigens  aber  durchaus  nicht  scharfen  Artikel  im 
Journal:  „Pamigtnik  naukowy  Krakowski",  der  den  Romantiker 
Severib  Goszczynski  zum  Verfasser  hatte  und  den  nationalen 
Charakter  der  Werke  Fredro's  iu  Zweifel  zog.'  In  den  darauf 
folgenden  40  Jahren  schrieb  Fredro  nur  für  sich  und  hinterliess 


'  Die  bei  Lebzeiten  Fredio'e  verÖffeDtUohten  Komödien  deBeelben  siud 
1  4.  Auflage  zu  WftrEuhau  gedruckt   (5  Bde.,   1871). 


....,  Google 


Atezftuder  Fredro.  203 

in  Beinen  Papieren  dMThierdrama  „BrytanBiyä"  *  uud  15  noch 
mclit  gedruckte  Komödien,  die  allmählich  auf  die  Bühne  gebracht 
Verden  und  über  deren  AVerth  sich  noch  keine  festen  Urtbeile 
gebildet  haben.*  Es  finden  eich  anier  diesen  postbumen  Werken 
einige,  allem  Anechein  nach  sehr  talentvolle,  z.  B.  „Wielki  czlo- 
viek  do  mi^ch  interessöw"  („Ein  groeser  Mann  gegenüber 
kleinen  Interessen"),  aber  schon  in  diesem  Stück  ist  die  Ma- 
nier eine  andere,  die  Charaktere  sind  mehr  indiridaaliairt ,  es 
finden  sich  weit  mehr  iänBchiebsel  und  Episoden  und  weniger 
Ton  denjenigen  Eigenschaften,  welche  die  feste  Herrschaft  Fre- 
dro's  aof  der  Bühne  gesichert  haben.  Ohne  ans  mit  diesen  post- 
boiBen  Komödien  zu  befassen,  bleiben  wir  bei  den  18  stehen, 
die  TOD  ihm  zn  Lebzeiten  Teröffentlicbt  wurden.  In  einem  von 
diesen  Stöcken  („Pan  Jowialski"  —  „Herr  Jovialis",  2.  Scene, 
1.  Aci)  äassert  sich  IVedro  so  über  die  Komödie:  „Für  die  Ko- 
mödie Moliere's  ist  das  Ende  gekommen  .  .  .  jetzt  haben  sich  alle 
Ouuaktere  abgesdüitfen,  es  gibt  kein  Relief  mehr,  jeder  bedenkt, 
was  man  Ton  ihm  spreche.  In  frühern  Zeiten  ging  der  Geis- 
hsls  in  abgetragenem  Mantel,  mit  den  Händen  in  den  Taschen. 
JetEt  ist  der  Geizhals  nur  im  Winkel  ein  solcher,  und  er  wird 
SDch  dem  Bettler  geben,  nur  dasa  es  alle  wissen.  Der  Eifersüch- 
tige beiest  die  Zähne  zusammen,  aber  schweigt;  der  Feigling 
kriecht  in  die  Uniform,  der  Tyrann  wird  sanft,  alles  kleidet 
ach  in  anständige  Formen.  Die  Bühne  sollte  zwei  Seiten  haben, 
wie  die  Medaillen."  Eigentlich  haben  sich  die  Leute  nicht  geändert, 
Eondem  nur  die  Maximen  der  Kunst  sind  andere  geworden.  In 
d»  Hatnr  gibt  es  keine  Typen  und  jede  Person  ist  eine  unend- 
hcb  zusammengesetzte  Erscheinung  mit  unzähligen  Zügen  und 
Pi^ngen,  die  ihr  durch  ihre  Umgebung  aufgedruckt  wurden. 
Die  jetzige  realistische  Komödie  sucht  diese  leliendigen  Per- 
sonen zu  photographiren  im  Zusammenhang  mit  der  Sphäre 
nnd  dem  Moment,  die  sie  erzeugt  haben.  Ist  der  Moment  ver* 
gangen,  hat  die  Sphäre  sich  geändert,  dann  rücken  auch  diese 
ron  der  Kunst  geschaffenen  Personen  in  eine  grössere  Ferne, 
«erden  fremdartiger,  eben  weil  in  ihnen  mehr  vorübei^ehende 
Züge    einer    besondem   Gattung  als    gemeinsamer    Grund    der 


'  Gedruckt  in  „Biblioteka  Wftrazawaka",  1878.    2.  Bd. 
'  Vgl.  ^ronika  roarinna"  für  1877  und  1878  die  Artikel  v 
TtTDowgki,  „0  poimiertnych  komcd;»cli  Fredi?." 


.....Gooj^lc 


201  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

inenscblichen  Natur  eathalten  ist.  So  war  die  classiadie  Ko- 
mödie mit  ihren  eiDheitlicbeu,  abstracten  Typ^i  nicht  beschaf- 
fen: die  änasera  Umstände  der  Handlung  werden  nur  leicht 
angedeutet,  die  Handlang  selbst  ging  in  einer  oonventionel- 
len  Sphäre  vor  sich  unter  Ausschluss  aller  Complicationen  und 
Episoden  und  es  wurden  möglichst  ein&che  und  einheitliche 
Charaktere  TOrgefüfart,  die  in  Lagen  gebracht  wurden,  in  denen 
ihre  scharfen  typischen  Züge  am  markantesten  und  teliefmässig- 
sten  hervortreten  konnten.  Die  Komödien,'  welche  das  zu  Lebzei- 
ten geschaffene  Theater  Fredro's  bildeten,  gehören  sämmUich  dem 
classischen  üenre  an.  Von  den  Stücken  Bogustawski'a  und  deaeen 
Nachfolgers,  Johann  Nepomuk  Kamiäski  (1778 — 1855,  nach 
1833  war  er  Director  des  Theaters  zu  Lemberg)  unterscheiden 
sie  sich  dadurch,  dass  sie  nicht  eilig  zusammengeschrieben  sind, 
nur  um  das  Publikum  zu  unterhalten,  aondem  vollen  Kunstwerth 
besitzen;  von  denen  Zablocki's  dadurch,  dass  sie  keine  Repro- 
ductionen  Moiiere'scher  Typen  sind  mit  Beimiscbnog  von  Selbst- 
beachtetem und  in  Carricatur  Dargestelltem.  Sie  sind  vielmehr 
nur  im  Geiste  der  Moliere'schen  Komödie  geschrieben  und  brin- 
gen poetisch  reproducirte  Typen  nnd  Charaktere  der  eigenen 
einheimischen  Gesellschaft  zur  Darstellang,  wie  fast  ed  derselben 
Zeit  die  im  Stil  und  in  den  Motiven  ebenfalls  Moliere'sche  Ko- 
mödie Gribojedov's  (eines  Zeitgenossen  Fredro's,  da  Gribojedor 
1795  geboren  wurde)  das  bojans(^e  Moskau  der  zwanziger  Jahre 
reproduoirte.  Fredro  zog  die  Naebafamnng  des  Fremden  ins 
Lächerliche  in  der  Komödie  „Cndzoziemszczyzna"  („Fremdthü- 
melei"),  stellte  einen  reich  gewordenen  Emporkömmling  (Geld- 
hab), einen  Wucherer  (DoJywocie)  dar;  der  Liebe  sind  zwei 
Stücke  gewidmet:  .,M%4  i  Äona"  („Mann  und  Frau")  und 
,,Slaby  panieAski«"  („Mädchengelübde");  endlich  fand  die  ver- 
gehende alte  Welt  der  Szlachta  eine  vorzügliche  Darstellung  in 
,,Fan  Jowialski",  dem  lustigen  Patron,  dem  Liebhaber  von  Schnar- 
ren, Anekdoten  und  Sprichworten,  und  in  „Zemsta  £a  mur  gra- 
niczny"  („ßache  um  eine  Grenzmauer")  ist  der  Streit  eines  anf- 
brausenden  Handegens,  des  Herrn  Mundschenk,  mit  einem  ränke- 
süchtigen Juristen  nnd  Notar  dargestellt:  der  erstere  von  beiden 
verheirathet,  nm  den  andern  zu  äi^em,  dessen  Sohn  mit  seiner 
Nichte,  zum  vollen  Glück  des  liebenden  Paares.  In  den  Komö- 
dien Fredro's  ist  so  viel  Witz,  dass  dadurch  oftmals  die  Schwäche 
der  Handlung,  die  Unuatnrlichkeit  der  Lösung  des  Knotens  und 

ü,g :.._..  ..Google 


Die  Periode  MioinewiaB*.  205 

die  Eiuschiebung  Ton  Sitteolehren  und  tt^endhaften  Raisonne- 
mentB,  deBsen  eich  nicht  wenig  in  seinen  Komödien  findet,  aus- 
geglichen wird. 

In  der  Komödie  „Odlndki  i  poeta"  (,J)ie  Misantbrope  und  der 
Dichter")  klagt  Fredro  folgendermaesen  über  die  Lage  der  polni- 
Echen  Literatur:  „Rahm,  Bag&tdu,  aber  für  nne  iet  seine  Zeit  vor- 
über. Jetzt  iet  ganz  Europa  die  Heimat  eines  Autore,  die  Werke 
DeatBchlands,  Italiens,  Frankreichs  finden  Verbreitung,  indem  sie 
eich  kreuzen,  aber  die  ansem  bewegen  sich  in  schrecklich  engen 
Grenzen.  Zwei  bis  drei  Theater  und  der  BucbbaDdlerkarren  — 
du  ist  jetzt  die  Arena  fnr  den  polnischen  Schriftsteller."  Diese 
Worte  hörten  bald  auf  Wahrheit  zu  sein,  als  der  geniale  Dich- 
ter ersten  Ranges  auftrat,  der  den  Namen  der  polnischen  Lite- 
rstnr  Terherrlichte  nicht  nur  unter  den  Slaven,  sondern  auch  in 
Westeuropa,  derjenige  Schriftsteller,  mit  dessen  Namen  die  ganze 
fönende  und  noch  bis  heute  fortdauernde  Periode  der  polnischen 
Literatur  bezeichnet  werden  kann  —  Mickiewicz. 


5.  Die  Periode  Miokiewioz'  (1822—1863).» 

A.  Dia  Bomantik,    IKe  Vorgänger  und  Zeitganowen  Xickittwicx'. 
Bis  ThUigkflit  du  Istetern. 

Die  literarische  Bewegung,  welche  der  polnischen  Literatur 
einen  noch  nicht  dagewesenen  Glanz  und  weite  Verbreitung 
Terlieh,  mnss  betrachtet  werden  erstens  im  Zusammenhang  mit 
der  in  An&ng  des  19.  Jahrhunderts  eingetretenen  Erneuerung 
und  Wiederbelebung  aller  slarischen  Literaturen,  darunter  auch 
der  polnischen,  sowie  gleichzeitig  auch  der  russischen  (Mickie- 
wicz  war  nur  fünf  Monate  älter  als  Puskin  —  beide  waren 
die  Stammväter  einer  neuen  Poesie  bei  ihren  Kationen);  zwei- 
tens hatte  die  polnische  literarische  Wiederbelebung  in  den  zwan- 
nger  Jahren  noch  ihre  eigenen  speciell^n  Ursachen.    Es  gingen 


'  1822  iat  Aab  Jahr,  in  welchem  der  1,  Band  der  Gedichte  Mickiewiez' 
lierto^egeben  wnrde  („Poezye",  Wiln»).  Eb  waren  3  Binde  in  Aussieht 
Keaominen.    Der  3.  Wurde  1623  herausgegeben  und  der  3.  erschien  nicht. 


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206  Viertem  Kapitel.    Die  Polan. 

ihr  drei  Bedingungen  vorans,  nntar  denen  stets  an  neues  Auf- 
blähen der  Literatur  stattfindet:  eine  radioale  AeoderuDg  in  dem 
Bestände  der  Geselkcbaft ,  eine  Enveitemng  des  geistigen  Hori- 
zontB,  indem  nene  Ideen  ins  Leben  eisgefiihrt  worden,  endlich 
die  für  das  Aufkeimen  nöthige  Müsse  und  dahin  gerichtete  Sta- 
dien. Die  Gesellschaft  unterlag  in  ihrer  Znsammensetrang  einer 
tiefen  und  radicalen  Aenderung ;  die  nichtigste  Thatsache,  welche 
das  19.  Jahrhundert  sowol  in  Westeuropa  als  in  der  polni- 
schen Gesellschaft  nach  dem  Untei^nge  des  polnisdien  Staats 
kennzeichnet,  ist  ohne  Zweifel  der  Sieg  und  das  Vorherrschen 
des  demokratischeD  Elements.-  Die  alten  aristokratisohen  Ein- 
richtungen wurden  zerstört,  die  Stände  mischten  sich,  der  König 
mit  dem  glänzenden  Hofe  verschwand,  die  Tornehmen  Geschledi- 
ter  starben  aus  oder  wurden  vernichtet  oder  begannen,  gehrand- 
markt  mit  dem  Stempel  des  Verraths  an  der  Sache  des  Volkes, 
ihr  Glück  an  fremden  Höfen  zn  suchen,  mssificirteu  oder  ger- 
manisirten  sich;  die  dichte  Phalanx  der  mitÜem  Szlachta  war 
ebenfalls  in  Stücke  geschlagen,  in  die  Lücken  und  Fugen,  die 
sich  in  ihrer  berstenden  Masse  bildeten,  begannen  eich  von  allen 
Seiten  homines  noTi  einzudrängen  ohne  Wappen  und  Traditionen, 
getrieben  durch  die  Sucht  nach  Genuss  und  Wohlleben,  und  stark 
in  der  Ueberzeugang,  dass  man  durch  Verstand  and  beharrliche 
Arbeit  alles  auf  der  Welt  erreichen  und  in  die  Reihe  der  bekann- 
ten  und  einflussreichen  Leute  treten  könne.  In  dieser  neuen 
(iesellschaft,  die  weder  vor  einem  zum  Christenthnm  übei^etre- 
tenen  Juden,  noch  vor  einer  Person  nichtchristlichen  Bekennt- 
nisses, noch  vor  dem  ausgedienten  Kanzleibeamten,  noch  vor 
dem  Kaufmann  und  Handwerker  mehr  Abscheu  empfindet,  ward 
die  Lage  des  Schriftstellers  eine  ganz  andere.  Gebildeter  schrift- 
stellerischer Dilettanten  aus  der  Aristokratie,  in  der  Art  Kra- 
sicki's,  gab  es  immer  weniger;  dafür  mehrte  sich  die  Zahl  der 
Proletarier  und  Plebejer,  die  um  eines  Stückchen  Brotes  willen 
schrieben,  aber  diese  Plebejer  wurden  unvergleichlich  selbstän- 
diger, weil  sie  nicht  mehr  in  den  Vorsälen  und  Salons  bei  den 
Magnaten  zu  kriechen  brauchten.  An  die  Stelle  des  Häcens 
trat  der  Verlagsbuchhändler,  zum  Aristarch  wurde  der  einCache 
Joumalrecensent,  und  zum  Spender  des  Ruhmes  und  der  Erfolge 
—  das  vielköpfige  Collectivwesen,  das  lesende  Publikum.  Glei<Ä- 
zeitig  mit  dem  Demokratismus  in  den  Sitten  und  mit  der  Ver- 
änderung in  der  I^age    des  Schriftstellers  erweiterte  sich  auch 


Die  Periode  Micldewioi'.  207 

der  geiBÜge  Horizont  der  Leute  dee  19.  Jahrhunderte.  Das 
Deatschtbrnn  drang  in  das  ehemalige  Polen  Ton  Nord-  und  Süd- 
retten  ein  mittels  der  Verwaltungssysteme ,  der  Einrichtaagen 
nnd  der  Gesetee  Oeeterreichs  and  Preussens,  und  mittels  der 
Schnlen,  in  denen  das  Deutsche  die  TJnterrichtesprache  bildete. 
Di«  Heersäulen  Napoleons  durchfurchten  die  ehemaligen  polni- 
Bdten  Länder  nach  allen  Seiton  in  ihren  aahlreichen  Feldzügen, 
während  andererseits  die  polnischen  Legionen  in  Deutschland, 
Franlcreich  verweilten  und  sich  mit  dem  heissen  Himmel  des 
Sädens  in  Italien  und  Spanien  bekannt  machten.  Durch  den 
ZnsammenstoBS  so  vieler  Sprachen ,  Völkerschaften ,  Culturen 
Tergröseerte  sich  die  Masse  der  Kenntnisse;  die  grossen  Sterne 
der  deutschen  Poesie,  Schiller  und  Goethe,  wurden  gradezu  ein- 
bomisch',  Walter  Scott  ries  alle  mit  sich  fort  in  die  romantischen 
Bergschlachten  Schottlands;  das  mächtige  Genie  Bjron's  fand 
eine  unsählige  Menge  von  Anbetern;  in  der  Ferne  schimmerten 
Ossian  und  Petrarca,  Shakespeare  und  Dante,  und  noch  weiter 
im  Hintergrand  —  Rom  und  Griechenland  und  die  Reiche  des 
fernen  Orients.  Alle  diese  neuen  Welten  beleuchtete  mit  ihrer 
Fackel  eine  neue  historische  und  ästhetische  Kritik,  welche  lehrte, 
sich  in  eine  längst  entschwundene  Vergangenheit  hineinzudenken 
und  in  anschanlicber  Form  nicht  nur  die  äussere  Seite  des  Lebens, 
Bondem  auch  die  Gedanken  und  die  Gefühle  vergangener  Ge- 
Bcklechter  zu  reprodaciren.  Wissbegierigeren  GeiBtern,  die  in  das 
Wesen  der  Dinge  selbst  einzudringen  suchten,  bot  die  deutsche 
tnuiscendeatate  Philosophie  ihre  Dienste  dar  —  die  jüngere 
Schwester  der  Religion,  welche  von  aprioristischen  Pnncipien  im 
Denken  ausging,  mittels  der  Reflexion  arbeitete  und  von  der 
Möglichkeit  überzeugt  war,  auf  diesem  Wege  Wahrheiten  zu  ent- 
decken, die  ebenso  unzweifelhaft  seien,  aber  der  Wirklichkeit 
näher  ständen,  als  diejenigen,  welche  die  positive  Religion  in  dev 
Form  sinnlicher  Bilder  darbot.  —  Die  geistige  Entwickelung  ging 
frei  vor  sich,  ohne  durch  irgendwelche  politische  Gomplicationen 
und  Fragen  abgelenkt  zu  werden.  Der  Gesellschaft,  welche  durch 
die  Beimischung  einer  Menge  der  verschiedenartigsten  Elemente 
fln  buntes  Aussehen,  plebejische  Sitten,  einen  wissbegierigen, 
durch  keine  Autorität  beengten  Geist  und  eine  bewegliche  Phan- 
taaebesase,  fähig,  sich  in  alle  Jahrhunderte  zu  versetzen,  konnte 
die  magere  Satonliteratur  der  Zeiten  des  Königs  Poniatowski 
QDd  des  rierjährigen   Reichstage  —  eine   Literatur,   die  nicht 

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208  Vibrtes  Kapitel.    Die  Polen. 

selbständig  war  und  dabei  docb  uicbt  den  besten  bekannten 
Mustern  folgte  —  keine  ausreicbende  Nahrung  bieten.  Das  Be- 
dürfniss  einer  Erneuerung  war  so  dringend,  dasB  sieb  der  Um- 
Bcbwung  augenblicklich  vollzog,  mit  einer  Schnelligkeit,  wie  im 
Theater  die  Decorationen  wechseln.  Als  Präludien  sur  Wieder- 
belebung diente  das  Auftreten  der  Romantiker  und  ihr  Kampf 
mit  den  Glassicisten,  die  eich  gemächlich  auf  dem  polnischen  Par- 
nass  niedergelassen  hatten  und  jetzt  aus  ihren  Positionen  heran»- 
gedrängt  wurden;  alsdann  treten  plötzlich  und  gleichzeitig  auf 
Zaleski,  Goszczyäski,  die  ganze  Schule  der  ukrainischen  Dich- 
ter, Mickiewicz  mit  seinen  Litauern.  Herrorgerufen  durch  die 
allgemeinen  Bedürfnisse  der  Zeit,  tauchen  sie  auf  and  entwickeln 
sich  ohne  jeden  Einfluss  aufeinander,  während  dessen  Lelewel, 
der  Zeit  nach  älter,  aber  in  der  Richtung  verwandt,  der  histo- 
rischen  Wissenschaft  neue  Wege  bahnte. 

Die  ersten  Früchte  der  Romantik  waren  kindliche  Versuche, 
Uebersetzungen  aus  fremden  Sprachen,  Nachahmungen:  es  er- 
schien, eine  Menge  romantischer  Balladen;  die  ganze  Ausstat- 
tung der  Bühne  änderte  sich:  statt  der  Götter  des  Olymps 
und  der  Atriden  wurden  Hexen  und  Einsiedler,  Rittertumiere, 
Gespenstererscheinungen  vorgeführt.  Diesen  Weg  gingen  in 
Warschau  Witwicki,  in  Wilna  Zan,  Odyniec  und  viele  andere; 
selbst  Mickiewicz  begann  seine  Thätigkeit  mit  idyllischen,  senti- 
mentalen Balladen,  Romanzen  und  Märchen  („Switezianka",  ,,Kur- 
hanek  Maryli",  „To  lubi",  „Tukaj").  Die  Romantiker  machten 
viel  Lärm  und  Skandal,  sie  revoltirten  gegen  die  althergebrach- 
ten Regeln  und  Ordnungen,  und  vermochten  dabei  doch  selbst 
nicht  zu  bestimmen,  was  sie  denn  eigentlich  wollten  und  worin 
das  Wesen  der  Romantik  bestehe.^  Der  Gewinn  aus  der  Neue- 
rung wäre  nicht  gross  gewesen,  wenn  das  alles  damit  geendet 
hätte,  dass  man,  wie  früher  dem  Französischen,  so  jetzt  dem  Mittel- 
alterlichen und  Deutschen  nachahmte;  aber  die  Romantik  diente 
nur  als  Schale  für  eine  sich  durcharbeitende  neue  Poesie,  die  ganz 
eigenartig  und  dazu  in  höherm  Grade  national  war  als  irgendeine 
der  ihr  vorausgegangenen,  sogar  als  die  der  goldenen  Epoche  des 


'  Die  Abhandlungen  und  Vorlesatigen  von  Brodzinekl;  die Einlcitang 
zu  den  Gedichten  Mickiewicz':  lieber  romantiacbe  Poeiie;  die  Abhandlnng 
^niiiilei-ki'i',  1818:  0  piimnoh  klMB;rcxDycli  i  roiDantircznyob. 


.....Gooj^lc 


Die  Romantik.  209 

Zeitalters  der  Sigismunde. '  Es  finden  sich  darin  Züge,  welche 
die  glänzenden  Momente  des  grÖesten  Aufblühens  der  Kunst  cha- 
nkterisiren:  eine  vorzügliche  Technik  des  Verses,  Reichthum  an 
MotiTen  und  —  was  am  allerwichtigsten  ist  —  eine  kräftige  In- 
diTidaalität.  Dem  Reiche  der  pedantischen  Kritiker  wurde  ein 
Ende  gemacht;  die  Herrschaft  von  Paris  hörte  auf,  an  der  Spitze 
der  Bewegung  standen  wirkliche  Dichter.  Es  brach  sich  die  Er- 
keautniss  Bahn,  dass  man,  um  Dichter  zu  sein,  den  ganzen  Vor- 
rath  von  Kenntnissen  hesitzen  müsse,  über  den  die  Wissenschaft 
der  betreffenden  Zeitperiode  verfügt,  dass  man  aus  dem  Salon 
beranstreten  und  in  die  Volksmassen  hinahsteigen,  dass  man,  um 
nationale  Motive  der  Poesie  zu  finden,  um  die  Vergangenheit 
der  Nation  aufzudecken,  die  Kunst  und  den  Blick  des  Histo- 
rikers hesitzen  müsse,  sowie  die  Fähigkeit,  sich  an  derselben 
ta  begeistern.  Da  sie  sich  bewusst  die  Aufgabe  stellten,  na- 
lioDal  in  der  Poesie  zu  sein,  mussten  die  Romantiker  der 
zwanziger  Jahre  gleich  von  Anfang  an  auf  zwei  unerschöpfliche 
Quellen  stossen:  den  unberührten  Schatz  der  naiven  Volks- 
poesie, zu  der  sie  sich  infolge  ihrer  Leidenschaft  für  das  Ueher- 
uatürliche,  Wunderbare  hingezogen  fühlten,  und  die  frischen 
l'eberlieferungen  der  ehen  ins  Grab  gesunkenen  grossen  Ver- 
gSDgenheit,  welche  sie  auch  im  Liede  zu  restauriren  suchten  mit 
einer  den  Alterthumsforschem  eigenen  Genauigkeit,  mit  aller 
Schärfe  and  Rauheit  der  mittelalterlichen  Lebensformen.  In 
diesen  beiden  Richtungen  war  ihnen  als  Führer  ein  Mann  mit 
ongewöhnlich  richtigem  ästhetischem  Gefühl  vorausgegangen,  der 
selbst  Dichter  war,  aber  noch  mehr  als  Professor  der  Literatur 
und  Kritik  bekannt  ist,  Kazimir  BrodziAski,  den  man  mit 
Recht  nidit  nur  den  Vorläufer  von  Mickiewicz,  sondern  aller 
Kichtangen  der  polnischen  Poesie  des  19.  Jahrhunderts  nennt.' 
Brodzü&ski  war  ein  armer  galizischer  Szlachcic  (geboren  1791  in 
Krölöwka  bei  Bochnia,  gestorben  1835  zu  Dresden),  hatte  von 
froher  Kindheit  an  von  einer  bösen  Stiefmutter,  die  ihn  nicht  liebte. 


'  Am  b«Btea  ist  diese  Seite  der  liternriaeben  Bewegung  in  den  zwan- 
"i^T  Jahren  in  dem  talentvollsten  Werke  des  l)c»t«D  damaligen  Kritikers, 
Moritz  MochDaoki,  gewürdigt:  „0  literaturzo  polskiej  w  wieku  XIX" 
IWsrwhan  1830). 

'  Adun  Betoikowski,  „Kazimierz  Brodzinaki,  atudyum  literackic" 
lUmberg  1875). 

fna,  SUTiKbt  UMntiuan.   U,  1.  14 


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210  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

von  dem  Dorfschullehrer,  einem  Deutschen,  der  mittels  der  Ruthe 
in  einer  dem  Polen  unverständlichen  Sprache  unterrichtete,  zur 
Genüge  zu  leiden  gehaht.  Der  zarte,  schüchterne,  empfindsame 
Knahe  lief  vom  Hause  weg  zu  den  Bauern,  die  ihn  öfters  in  die 
warme  Stube  nahmen  und  ihm  zu  essen  gaben,  und  mit  deren 
Leben  und  Wesen  er  verwandt  wurde  von  den  ersten  Tagen  der 
Jugend  an.  Sein  bestes  Werk,  „Wie^aw",  ist  der  Anlage  nach  eine 
Nachahmung  von  Goethe's  „Hermann  und  Dorothea",  dem  Inhalt 
nach  aber  das  lebendige  Bild  einer  Dorfhochzeit  nach  der  Sitte 
der  Bauern  um  Krakau.  Dem  fähigen  Jüngling  suchten  deutsche 
Lehrer  in  der  Schule  zu  Tarnöw  Liebe  zur  deutschen  Literatur 
einzuimpfen.  Das  Lesen  polnischer  Bücher  ward  verboten,  ja 
es  war  sogar  sehr  schwer,  sie  überhaupt  zu  erlangen:  Bro- 
dziüski  hatte  es  nur  einem  Zufall  zu  verdanken,  dass  er  mit  Jo- 
hann Kochanowski  bekannt  wurde;  er  fand  ein  Exemplar  der 
Gedichte  desselben  bei  einer  Marktfrau,  welche  die  Blätter  zum 
Einwickeln  benutzte.  Als  der  nördliche  Tb  eil  Galiziens  zum 
Grossherzogthum  Warschau  kam,  trat  der  18jährige  Brodziiiski 
(1809)  in  die  polnische  Armee,  ging  mit  den  Franzosen  nach 
Moskau  1812,  erduldete  alle  Schrecken  der  Flucht  der  grossen 
Armee  aus  Russland  und  kam  1813  in  die  Gefangenschaft  der 
Preussen  bei  Leipzig.  Damit  endete  auch  seine  militärische 
Laufbahn,  seit  1815  Hess  er  sich  in  Warschau  nieder,  schrieb 
Verse,  gab  Unterricht  und  erhielt  zuletzt  den  Lehrstuhl  für  polni- 
sche Literatur  (1822—23)  an  der  Universität  Warschau.  Ueber 
diesen  Gegenstand  hielten  hier  gleichzeitig  zwei  Professoren  Vor- 
lesungen. Ludwig  Osiöski,  Dekan  der  philologischen  Facultät, 
herrschte  in  den  Salons  und  lockte  die  vornehme  Welt  haufen- 
weise in  sein  Auditorium,  die  von  seiner  klangvollen  Diction 
und  Beredtsamkcit  entzückt  war.  Kazimir  Brodziiiski  las  mit 
leiser  Stimme  nur  wenigen  Verehrern  der  Wissenschaft  seine 
gehaltvollen  Vortrage,  wo  er  die  Hörer  mit  Shakespeare,  Goethe, 
Schiller,  mit  den  neuesten  liichtungcn  der  ästhetischen  Kritik 
bekannt  machte.  Mit  dem  Geist  der  Lelire  Brodziiiski's  und 
seiner  Methode  können  am  besten  die  folgenden  Abschnitte  aus 
seinen  kritischen  Abhandlungen  bekannt  machen: 

„Wir  waren  ein  mächtiges  Volk,  einzig  in  der  Originalität 
seiner  Regierungsfonn ,  in  der  Raschheit  seines  Verfalls  und  in 
der  Schnelligkeit  seiner  Wiederbelebung.  Indem  wir  Europa 
zuvorkamen,    sind  wir  durch  alle  Extreme    seiner  gegenwärtigen 

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Kazimir  Brodziäski.  211 

Efllirickelung  hihdurchgegangeD.  Die  InstitutioDeo  unserer  Väter 
waren  erfreuliche  Reminiscenzen  an  das  Leben  der  freien  alten 
Völker  und  enthielten  im  Keime  alle  diejenigen  Principien,  auf 
denen  die  neuem  Staaten  ihre  Organisation  zu  begründen  Buchen. 
Nur  Engel  allein  würden  sich  bei  solchen  Freiheiten,  wie  wir  sie 
geoossen,  mit  Erfolg  regieren  können;  jedenfalls  muss  man  uns 
gote  Menschen  nennen,  wenn  bei  uns  unter  solchen  Freiheiten 
nod  solcher  Anarchie  so  wenige  Empörungen  und  Verbrechen 
Torgekommen  sind,  im  Verhältniss  zu  andern  Vülkera,  welche  in 
strengem  Gehorsam  gehalten  werden.  Wir  fielen  von  einem 
plötzlichen  Donnerschlag  getroffen  und  standen  ebenso  unverhofft 
wieder  auf,  nachdem  wir  die  Existenz  und  die  von  ihr  untrenn- 
bare Freiheit  aus  den  Händen  des  grössten  der  Monarchen 
(Alexander  I.)  empfangen  hatten.  Vom  Feuer  des  Blitzes  ge- 
sengt, trieb  der  Stamm  ein  neues  prophetisches  Zweiglein;  darin 
birgt  sich  unsere  Vergangenheit  und  unsere  Zukunft.  Wir  stehen 
jetzt  in  voller  Kraft  der  Jugend  und  sind  doch  zugleich  auch 
gekrönt  mit  der  grauen  Erfahrung  der  Jahrhunderte.  Unser 
Ziel  kann  nur  eins  sein:  ans  in  der  Welt  durch  sittliche  Bil- 
dnng  und  nationale  Würde  zu  bereichern.  Der  Schatz  unserer 
Mittel,  diesen  Weg  einzuschlagen,  ist  nicht  gross.  Zur  Zeit 
haben  wir  nur  Wünsche,  Fähigkeiten  und  Hoffnungen,  aber 
nichts  weiter.  Politisch  entartet,  sind  wir  auch  sittlich  ver- 
dorben. Politisch  in  Stücke  zerschlagen,  sind  wir  auch  in 
nnBem  Meinungen  und  (Jeschmacksrichtungen  ins  Unendliche 
auseinandergegangen.  Drcissig  Jahre  dauerten  unsere  unstäten 
Wanderungen  in  der  Fremde  im  Dienst  bei  verschiedenen  Völ- 
kern. Ohne  in  dieser  Zeit  bei  uns  zu  Hause  etwas  ausrichten 
,zn  können  und  zu  passiver  Betrachtung  der  grossen  Ereignisse 
in  Kuropa,  des  stärksten  Umschwungs  in  den  Meinungen  und 
Geschmacksrichtungen  verurtheilt,  indem  wir  alle  zehn  Jahre 
das  System  der  Erziehung  änderten,  aus  einer  Hand  in  die  an- 
dere übergingen,  —  bilden  wir  jetzt  kaum  etwas  Ganzes,  dessen 
ämmtliche  Theile  von  einem  Geiste  gelenkt  werden  könnten, 
bie  Gesetze,  die  Gewohnheiten,  der  Geschmack,  die  Literatur  — 
alles  ist  bei  uns  fremdländisch.  Wenn  sich  bei  diesem  baby- 
lonischen Tharrobau  die  Merkmale  unserer  Nationalität  nicht  ver- 
wischt haben,  so  ist  dies  ein  Pfand,  dass  sie  sich  auch  künftig 
nifiht  verwischen  werden.  Wir  sprechen  viel  von  der  Nationa- 
lität, aber  diese  Nationalität  ist  ein  Geist,  der  sich  bisher  noch 

1*" 

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212  Yiertea  Kapitel,    Die  Polen. 

nirgends  in  seiner  eigentlichen  Gestalt  gezeigt '  bat.  Das  Alter- 
thnm  kann  uns  in  der  Literatur  nicht  retten,  weil  wir  vorwärts 
gehen  müssen,  Hand  in  Hand  mit  dem  Geiste  der  Zeit.  Die 
Streitigkeiten  der  Classicisten  mit  den  Romantikern  sind  unfrucht- 
bar; der  ClassiciBmus  verlangt  einen  strengen  Sinn,  die  Roman- 
tik, oder  besser  gesagt  die  neuere  Literatur,  verlangt  neue  Ideen. 
Wir  müssen  den  Geist  der  Alten  achten,  aber  wir  können  ihm 
nicht  das  zum  Opfer  bringen,  um  vras  die  Bildung  seit  Quiuti- 
lian  reicher  geworden  ist.  Der  deutsche  Mysticismus  und  Idea- 
lismus können  für  uns  keine  ausreichende  Nahrung  sein,  weil  die 
göttliche  Wahrheit  immer  einfach  ist  nnd  nicht  in  einem  Gewirre 
von  Begriffen  bestehen  kann.  Im  Laufe  der  vielen  Jahrhunderte 
haben  die  Weisen  irren  und  streiten  müssen,  um  die  Wahrheit 
klarer  und  reiner  zu  machen;  sie  verwirren,  heisst  die  Arbeit 
von  Jahrhunderten  vernichten.  Wir  haben  Böses  und  Gutes  von 
den  Fremden  entlehnt.  Wie  sollen  wir  mit  diesen  Metallen 
verschiedenen  Kalibers  und  verschiedenen  Werths  verfahren  V 
Wir  haben  die  besten  Stücke  herauezusuchen ,  sie  umzuprägen, 
indem  wir  ihnen  den  nationalen  Stempel  aufdrücken;  wir  haben 
auch  unsere  eigene  alte  Münze  umzuschmelzen ,  indem  wir  ihr 
einen  Nominalwerth  geben,  welcher  der  jetzigen  Zeit  ent- 
spricht; all  dieses  Kapital  muss  sorgsam  auf  die  wirklichen  Be- 
dürfnisse des  Landes  verwendet  werden.  Nicht  darauf  kommt 
es  an,  dass  wir  die  Bibliotheken  mit  unsern  Werken  anfüllen, 
sondern  darauf,  dass  diese  Werke  einen  schnellen  Umlauf  haben, 
den  Bedürfnissen  der  Masse  entsprechen  und  bis  zu  dem  letzten 
Arbeiter  gelangen  können.  Ich  wünsche  meinem  Volke  nicht 
so  viele  Philosophen  wie  in  Griechenland,  noch  so  viele  Ge- 
lehrte wie  in  Deutschand,  noch  so  viele  Dichter  wie  in  Paris. 
Ich  bin  sogar  überzeugt,  dass  sich  einst  die  riesigen  Bücher- 
fabriken schliessen  werden,  welche  wir  jetzt  sehen,  und  dass  die 
Menschen,  zu  praktischen  Resultaten  der  Wissenschaft  gelangt, 
sich  von  jenem  massigen  rohen  Material  frei  machen  werden, 
das  eine  Menge  Hände  von  wirklicher  Arbeit  abzieht  und  die 
Völker  bald  verweichlicht,  bald  fanatisirt.  Alle  diese  Folian- 
ten, Gommentare,  philosophischen  Speculationen  und  gelehrten 
Streitigkeiten  werden  einstmals  in  Vergessenheit  kommen,  wie 
die  Ritterrüstungen,  die  jetzt  als  Curiositäten  in  alten  Schlössern 
gezeigt  werden.  Die  gelehrten  Arbeiten  müssen  den  Haupt- 
zweck   haben,   die   politischen,    religiösen  und  philosophischen 


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Kazimir  BrodzMski.  213 

Begriffe  so  eng  wie  möglich  mit  dem  Interesse  des  Volkes  zu 
ferknüpfen." ' 

Die  poetischen  Werke  Brodziiiski's  werden  ausser  „Wieslaw" 
gegenwärtig  wenig  gelesen;  sie  sind  lieblich  und  graziös,  aber 
blass  und  süßslich  im  Vergleich  zu  den  Werken  seiner  eigenen 
Hörer  und  den  Schöpfungen  von  Mickiewicz.  Brodzinski  war  es 
rei^ÖDut,  Fortechritte  in  der  Poesie  zu  erleben,  welche  seine 
köhiistcn  Erwartungen  übertrafen,  und  die  den  bescheidenen 
Vorläufer  und  Lehrer  iu  Vergesscnlieit  brachten,  aber  er  erlebte 
auch  den  beklagenswerthen  Aufstand  des  Jahres  1830,  welcher 
die  feurige  Ueberzeugung  zerstörte,  als  oh  es  genüge,  ein  starkes 
Gefühl  seiner  nationalen  Individualität  zu  haben,  um  das  Recht 
einer  politischen  Individualität  zu  erlangen,  als  ob  die  erstere 
Dicht  nur  die  hauptsächlichste,  sondern  auch  fast  die  einzige  Be- 
dingung der  letztern  wäre.  Die  Ereignisse  des  Jahres  1831  rissen 
deu  empfänglichen  Brodzinski  mit  fort  und  gaben  seinen  Gedan- 
teu  ein  seiner  nüchternen  Natur  sonst  durchaus  nicht  eigenes 
(ieprilge  von  Exaltation,  die  in  der  Rede  „Ueber  die  Nationa- 
lität der  Polen" ',  gehalten  am  3.  Mai  1831  in  der  Gesellschaft 
der  Freunde  der  Wissenschaften,  und  in  der  nicht  lange  vor 
seinem  Tode  in  Krakau  geschriebenen  „Botschaft  an  die  Brüder 
in  der  Verbannung",  herausgegeben  von  Bohdan  Zaleski  (1850), 
zam  Ausdruck  kam.  Hier  erscheint  Brodziüski  schon  als  voll- 
ständiger Messianist,  der  sich  über  die  Zukunft  des  Volkes  in 
nifEÜscben  Prophezeiungen  ergeht.  Brodzinski  ging  nicht  in  die 
Verbannung,  sondern  reiste  mit  einem  Pass  ins  Ausland.  Er 
starb  zu  Dresden  1835  in  den  Armen  von  A.  E.  Odyniec. 

Zn  derselben  Zeit,  wo  Brodzinski  iu  Warschau  durch  seine 
Vorlesungen  und  kritischen  Artikel  der  Romantik  den  Weg  bahnte. 


'  Vgl,  die  Werke  BrodzJDBki's  iu  Tarowski'a  Biblioteka  poleka:  Ueber 
die  Tendenz  der  polniaclien  Literatur,  S.  374—394;  Ueber  Classicität  und 
RomtHtik,  S.  1—105.  Heue  AuBgabe  der  Werke  von  Brodzinski  in  8  Bdn., 
Posen  1S72— 74,  verbesaert  von  Kraszewaki;  hiev  haben  auch  die  Uni- 
ver<ität«vorle Bulben  Brodziiiaki's  nach  einer  von  Dmochowski  aufbewahrten 
Handschrift  Platz  gefunden. 

'  „Das  polnische  Volk  ist  der  Copernikus  in  der  nioraliaeben  Welt, 
d.  h.  es  hat  das  Gesetz  der  Oravitation  aller  Volker  nach  dem  raoraliachen 
Ceütmm  —  der  Idee  der  Menschheit  entdeckt.  Ihm  war  es  vergönnt, 
die  Eechk  des  Thrones  und  des  Volkes  ins  Gleiebgewicht  zu  bringen  auf 
«Her  Wt^,  die  am  Himmel  seibat  bcfeatigt  war." 


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214  Vi«rtus  Kapitel.    Die  Polen. 

entstand  in  derselben  Stadt ,  theilweise  unter  seinem  EinHuss, 
theilweisc  aber  auch  ohne  jede  Beziehung  zu  ihm,  dem  Geiste 
der  Zeit  folgend,  eine  neue  Dichterschule,  die  unter  dem  Kamen 
der  polnisch -ukrainigchen  bekannt  ist.  Diese  Sänger  setzten 
die  einst  schon  von  Klonowicz  und  Szymonowicz  begonnene  An- 
eignung südrussischer  Motive  iur  die  polnische  Poesie  fort  und 
führten  in  diese  letztere  die  kosakische  Duma,  die  bald  melan- 
cholischen, bald  kühnen  Weisen  der  Volkslieder  und  das  leben- 
dige Gefühl  der  Berauschung  an  der  unübersehbaren  Weite  der 
ukrainischen  Steppen  ein. 

Der  früheste  dieser  polnisch -ukrainischen  Dichter,  Anton 
Malczewski  (1793—1826)  lebte  isolirt,  starb  fast  in  voll- 
kommener Unbekanntheit  und  schrieb  nur  eine  nicht  grosse 
Dichtung  „Maria"',  die  bei  ihrem  Erscheinen  (1825)  gar  keinen 
Erfolg  hatte,  die  Herstellungskosten  nicht  deckte,  und  erst 
nach  vielen  Jahren,  als  der  Verfasser  schon  langst  im  Grabe 
lag,  das  populärste  Dichterwerk  in  Polen  wurde.  Malczewski^ 
brachte  die  ersten  Jahre  seiner  Jugend  zu  Duhno  in  Volynien 
zu,  empfing  eine  glänzende  aristokratische  Bildung  in  französi- 
scbem  Geiste  im  Aelternbause.  Nachdem  er  das  Lyceum  zu 
Kremenec  besucht,  trat  er  in  den  Militärdienst  bei  den  Trup- 
pen Napoleon's,  ward  schwer  verwundet,  wanderte  dann  fünf 
Jahre  im  Auslande  herum,  liebte,  schoss  sich  im  Duell,  brachte 
sein  ganzes  Vermögen  durch,  leerte  sozusagen  die  Schale  der 
Genüsse  bis  auf  den  Grund,  machte  sich  aber  auch  mit  allem 
bekannt,  was  die  westeuropäische  Gesellschaft  an  Bestem  be- 
sass,  mit  Schriftstellern,  Gelehrten,  Künstlern.  Darauf  kehrte  er 
in  die  Heimat  zurück,  pachtete  ein  kleines  Gut  im  Gouverne- 
ment Volynien ,  schrieb  in  den  Mussestunden  seine  Dichtung 
in  der  Art  und  im  Geschmack  Byron's.  In  naher  Nachbar- 
schaft von  Malczewski  wohnte  eine  junge  Cousine  desselben, 
welche  nervenkrank  und  von  den  Aerzten  als  hoffnungslos 
aufgegeben  war;  es  zeigte  sich,  dass  der  Dichter  eine  grosse 
Kraft  zur  Einwirkung  auf  die  Nerven  besass  und  die  Dame  be- 


'  Deutsch  von  C.  R.  Vogul  (Leipzig  1845),  A.  WeiaB  (Leipzig  ISTII, 
.  Zipper  (Hamburg  187»)  und  in  Nitsuhmaiin'a  „ Polui»i.-facu  Par- 
iss",  S.  \m-Ui>  (4.  AuH.,  LeipziB  1875). 

'  Wöjcicki,  Cmentnrz  powijzkowgki,  I,  41  (1855);  Lucjan  Sie- 
ierteki,    Poitrety  literftckic,  IV,  57. 


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Anton  Maluzcwski.  SJIÖ 

mbigeD  konnte,  iadem  er  sie  wälirend  der  Paroxismea  magnetisirte. 
Ifie  Heilung  führte  zur  Liebe,  eio  verliess  ibren  Manu,  er  die  Wirth- 
scluft  and  beide  fanden  eich  in  Warschau  ein,  fast  ohne  Mittel,  iu 
einer  Gesellschaft,  welche  an  ihrem  Thun  Anstoss  pahm.  Den  Dich- 
ter hielt  die  Hoffnung  auf  de)i  Erfolg  seines  Werkes  aufrecht,  aber 
die  Kritik  verhielt  sich  unfreundlich  dagegen  ~  das  Gedicht  fand 
keinen  Absatz.  Hunger  und  Kotb  stellten  sich  am  Lager  des 
knoken  Dichters  ein;  als  er  starb,  fehlte  es  an  Mitteln,  ihn  zu 
begraben.  Malczewaki  war,  was  man  ein  Weisshändchen  nennt, 
uri,  schön  wie  ein  Mädchen;  in  hohem  Grade  nervös  und  reiz- 
bar, von  jedem  Miserfolg  krankhaft  mitgenommen,  trug  er  sich 
imiiier  mit  dem  bittem  Bodensatz  unerfüllter  Wünsche  in  der  Seele, 
Dam  kommt  seine  nahe  Bekanntschaft  mit  Byron.  Sie  lernten 
Eich  in  Venedig  kennen ;  nach  der  Tradition  soll  Malczewski's 
Enühlong  von  Mazeppa  Byron  begeistert  und  ihm  als  Thema  für 
seine  Dichtung  gedient  haben.  Andererseits  erlag  Malczewski  dein 
Zauber  der  dämonischen  Natur  Byron's  und  ward  in  der  Kunst 
sein  Nachahmer.  Bei  Byron  entlud  sich  der  Lebensüberdruss 
in  Haas  und  Menscheuverachtung,  sowie  in  einer  giftigen  Ver- 
spottung alles  dessen,  was  conventionell  für  heilig  galt;  bei 
Malczewski  kam  ebendieselbe  unheilbare  Enttäuschung  in  einem 
die  Seele  verzehrenden  grenzen-  nnd  hoffnungslosen  Kummer 
zum  Ausdruck.  „Ich  habe  viele  bittere,  vergiftete  Brote  ge- 
flossen", sagt  der  Dichter,  „mein  verwelktes  Gesicht  ist  blass 
geworden,  aus  meiner  verbitterten  Seele  ist  die  Freude  mit  der 
Wurzel  herausgerissen"  .  .  .  Von  Byron  entlehnte  er  die  Form 
seiner  poetischen  Erzählung,  und  den  Stoff  nahm  er  aus  einem 
io  der  Ukraine  sehr  bekannten  Crimiualprocess ,  dessen  Haupt- 
I>eraonen  Felix  Fotocki,  der  finstere,  öde  und  beschränkte 
Held  der  Confoderation  von  Targowica  und  dessen  Vater,  der 
Wojewodc  von  Kiew,  waren.  Felix  Fotocki  hatte  in  der  Jugend 
gegen  den  Willen  dcrAeltern  eine  junge  Adelige  nichtvornehmer 
Herkunft,  Gertrud  Komorowska,  geheiratbet.  Seine' Aeltern,  mit 
dieser  Misheirath  unzufrieden,  brachten  die  Frau  in  verrätherischer 
Wdse  um.  Felix  verwandelte  sich  bei  Malczewski  in  deu  schö- 
nen Waclaw  (was  er  freilich  durchaus  nicht  verdiente),  Gertrud 
in  Maria.  Der  herzlose  und  unbeugsame  Wojewodc,  schlimme 
.\bsichteu  in  der  Seele  bergend,  sendet  einen  Kosaken  mit  einem 
Briefe  an  den  alten  Kron-Schwertträger  (miecznik),  den  Vater  der 
Maria,  den  er  unter  Schmeicheleien  um  Versöhnung  bittet  nnd 

D,9:.z.a.,  Google 


216  Viertes  Kapitel.    Ke  Polen. 

dem  er  zugleich  das  Obercommando  in  eiuer  Expedition  gegen  die 
Tatareo  anträgt,  an  welcher  auch  Wactaw  thellnehmeii  soll.  Die 
Expedition  war  nur  ein  Vorwand,  um  Waclaw  und  den  Schwert- 
träger auB  dem  Uauge  zu  entferneu.  Während  sich  letztere  beide 
tapfer  mit  den  krim&chen  Räubern  schlagen,  wälzt  sich  auf  den 
Hof  des  Schwertträgers  ein  lärmender  Haufe  -von  Faschings- 
gästen in  Masken  und  Costuinen.  Vergebens  weist  der  alte 
Diener  die  ungebetenen  Gäste  vom  Hause  weg,  ihm  selbst  flim- 
mert es  vor  den  Augen,  als  vor  ihm  Zigeuner,  Hexen,  Harlekine 
und  Teufel  zu  tanzen  beginnen.  Alle  diese  Masken  sind  nichts 
anderes  als  die  von  dem  Wojewoden  abgesandten  Mörder:  sie 
ersäufen  Maria  im  Teiche.  Der  siegreiche  Waclaw,  durch  eine 
sonderbare  Ahnung  beunruhigt,  fliegt  dem  Schwertträger  voraus, 
zu  seiner  Frau,  galoppirt  des  Nachts  in  den  Hof  des  letztem, 
klopft  am  Hause  an,  steigt  zum  Fenster  bineiu  und  findet  den 
kalten,  geschwoUeuen  Leichnam  des  geliebten  Weibes.  Ein  ge- 
heim nissvoller  Page,  eine  phantastische  Persuu,  —  ob  der  gute 
oder  böse  Geist  Waclaw's,  bleibt  unentschieden  —  berichtet  ihm 
über  die  an  dem  Tode  seiner  Frau  Schuldigen;  Waclaw's  Herz 
ward  in  einem  Augenblick  vergiftet;  von  allen  Qualen  der  Hölle 
verfolgt,  verschwindet  er  mit  dem  Durst  nach  Blut  und  Rache, 
dem  Gedanken  an  Vatermord  in  der  Seele.  Das  Gedicht  schliesst 
mit  der  Darstellung  des  ergrauten  Schwertträgers,  der  still  ohne 
Thränen  und  Murren  auf  dem  Grabe  seiner  Tochter  verscheidet. 
Die  Hauptaufgabe,  welche  sich  Malczewski  stellte,  war  allerdings 
eine  psychologische;  er  wollte  dieEntwickeluug  der  Leidenschaft 
darstellen,  die  Verderbniss  und  Entartung  einer  edlen  Seele, 
welche  in  den  eisernen  Klammern  eines  unglücklichen  Verhäng- 
nisses vor  Gram  vergeht.  Wie  Byron  ist  er  vorwiegend  Lyriker, 
sein  Gedicht  ist  sozusagen  ein  ausgerissenes  Blatt  aus  seiner 
eigenen  Selbstbiographie,  eine  Wiedergabe  des  von  ihm  selbst 
Empfundenen;  seine  eigene  Persönlichkeit  führt  er  überall  auf 
die  Scene,  bald  in  der  Gestalt  des  vertrauensvollen  Wat^aw,  bald 
in  der  des  geheimnissvoltcn  Engels  oder  Dämons  —  des  jungen  und 
doch  dabei  untröstlich  bekümmerten  Pagen,  bald  in  der  herr- 
lichen Gestalt  der  bleichen  und  taubenreinen  Mana.*   Wie  Byron 

'         Es  zeigt 

Kein  Naea  das  Auge,  keim;  S(;hmcrzcuaregung ; 

l)a  sieht  tnau  uichts  von  Kämpfen,  längst  vergangen. 


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Antou  Malczewaki.  217 

terfällt  er  zuweilen  in  EfFecthasclierei  und  misbruucbt  die  Alle- 
gorie, indem  er  absUacte  Begriffe,  LeideoBchaftco  und  GefUlile 
[lersonificirt. '  Aber  trotz  dieser  Mängel  und  trotz  des  ungünstigen 
Imstandes,  dasE  das  Ergcheineii  dieses  Uedichts  gerade  iu  die 
Zeit  fiel,  wo  die  grossartigsteii  Werko  der  ersten  Epoche  der 
polDischeD  Romantik  ansLiclit  traten,  ward  „Maria,  eine  ukrai- 
DiEche  Erzählung"  docli  das  beliebteste  und  populärste  Werk, 
<las  durcb  die  Tiefe  und  die  Aufrichtigkeit  des  Gefühls  einer 
scbmerzlicb  leidenden  und  enttäuschten  Seele  anzog.  Dabei  hat 
Malczewski,  obgleich  die  Reproduction  der  Vergangenheit  ein  sehr 
secuodäres  Element  im  Plane  des  Gedichts  bildete,  es  doch  als 
grosser  Künstler  verstanden,  diese  Vergangenheit  mit  zwar  nur 
wenigen,  aber  sehr  typischen  >{ügeu  darzustellen.  Das  Habicht- 
profil  des  Wojewoden  erregt  Schrecken,  die  Riesengestalt  des 
alten  Schwertträgers  scheint  in  Stein  gehauen  zu  sein  und  wirkt 
episch.  Uebrigens  hat  Malczewski  nur  einige  Seiten  dieser  Ver- 
gangenheit herausgegriffen;  seine  Ukraine  ist  die  Ukraine  der 
Magnaten  und  der  Szlachta.  Das  Volk  erscheint  bei  ihm  nur 
als  malerische  Zuthat  zur  Landschaft  in  Gestalt  des  wojewodi- 
schen  Kosaken  und  Couriers,  der  mit  dem  Briefe  zum  Schwert- 
triger  galoppirt: 

Er  grUBset  kurz,  in  seiner  aulilichttin  Art, 
Zwar  üoterlhan,  gleicht  er  dem  Diener  nicht, 
Vom  Vater  erbt'  er  freien  Denkens  Licht 
Und,  wie  er  stolzen  Blicks  zum  Herrn  begehrt, 
Wird  er  vom  Führei'schwarm  als  Herr  geehrt.  .  ,  .  ^ 

Malczewski  war  seiner  Erziehung  nach  dem  ukrainischen  Volke 
ß^M  fremd,   er  sab  es  vor  dem  Adel  nicht,   aber  er  fasBte  mit 

Den  NachktaDg  nur  der  Hoffnung,  die  cntauhwand, 
Den  Blick,  vom  Licht  des  Glückes  einet  entbrannt, 
VoD)  Qualm  des  nun  erloschenen  umfangen. 

UebfinetiuDEf  voa  H.  NLUchuauD  a-  l  O. 

b8  Gcien  zur  Charakteristik  der  Manier  Malczeski  die  folgenden  vier 
^  '"Reführt,    welche  den  Kummer  der  Maria  nach  dem  Weggang  Wa- 
'  '"■ "  «larBtellen;  hier  ist  jedes  Wort  Allegorie : 

it       '**  ^*''  ^^  ***  ^^"^  allein  sitzt  traurig  sie  und  bleich, 
Jnr  Seofzen  stört  die  Ruhe  nur  im  einsamen  Bereich; 
^cr  Baum  des  Glückes  ist  verdorrt,  an  dem  der  Gram  verzagt 
"•■  Beine  Domenzweige  treibt,  der  Wurm  des  Schmerzes  n^t. 

i   Ij  UtbenatiiiDg  von  H.  Nluohiuiui  ».  «.  O. 

*">eraetzung  von  H.  Nitschmaon  a.  a.  0. 

ü,g :.._..  .,GOOg[f 


218  Viüi-tüs  Kapitd.    Dio  Poka. 

dem  Herzen  des  KünBtlers  die  Schöuheiteii  der  ukraiiiiscbeD 
Natur  auf  und  gibt  die  weiten  gradlinigen  Contouren  derSteppen- 
landscliaft  in  uunacbahmlicber  Weise  wieder: 

Woliia  das  Auge  blickt  In  weiter  Flur, 
Kann  es  kein  Leben,  keinen  Itastpunkt  finden; 
Die  Sonne  scheint  auf  grenzenlose  Leeren, 
Der  Dohle  Ruf  allein  durchbricLt  die  Stille, 
Und  hier  und  da  zirpt  im  Gestrüpp  die  Grille, 
Sonst  alles  durapf,  die  LiiFL  nur  scheint  zu  gären. 
Doch  wie?  darf  alter  Zeiten  Angedenken 
Auf  keinem  Monument  der  Väter  rasten, 
Sich  seiner  schweren  Aengste  zu  cu.tlBstenV 
Nein,  nein,  es  wolle  denn  hinab  sich  senken 
In  tiefe  Erde  dort,  wo  Waffen  liegen, 
Gebeine,  niemand  weiss,  wem  sie  gehört; 
Die  Asche  birgt  den  Keim  zu  neuen  Siegen, 
Doch  auch  den  Wurm,  der  an  den  Leichen  zebrt; 
Und  haltlos  irrt  der  alte  Geist  umher, 
Verzweifelnd  in  dem  Räume,  weit  und  leer. ' 

Gleichzeitig  mit  Malczewski  entdeckten  einige  junge  Ukrainer, 
bei  weitem  jünger  als  er,  gemeinsam  von  ilirem  künstlerischeu 
Gefühle  geleitet,  den  reichen,  von  allen  vernachlässigten  und, 
wie  es  schien  ^,  vergessenen  Schatz  der  kosakischen  Poesie.  Dies 
waren  Padura,  M.  Grabowski,  B.  Zaieski  und  S.  Goszczyäski. 
Sie  ulle  betrachten  das  Kosakentbum  als  einen  Bestandtheil  des 
polnischen  Volks  und  derpolnischenGescbichte.  Von  ihnen  plante 
Padura  {1801  —  72),  Zögling  des  Lyceums  zu  Kremenec,  ein 
kühnes  Untci-ncbmcn:  er  wollte  ein  Volkssänger,  ein  wandernder 
Uhapsode  werden,  indem  er  Lieder  in  volksthümlicher,  d.i.  süd- 
russischcr  Sprache  dichtete.  Er  durchwanderte  das  Land  kreuz 
und  quer,  besuchte  die  Orte,  wo  die  SeC  gewesen  war;  schloss 
sich  einem  der  extremsten  Sonderlinge  jener  Zeit,  Waclaw  Rze- 
wuski  (dem  Sohn  des  aus  der  Conföderation  von  Targowica  be- 
kannten Severin  Itzewuski)  an,  der  lange  im  Orient  gelebt,  sich 
wahrend   der  Zeit  mit  den  Arabern  verschwägert,   deren  Sitten 


'  Uclici-eotzung  von  IL  Nitsuhmann  a.  a.  ü. 

'  Vor  den  ersten  Auf^^aben  der  Dunicu;  vor  den  Werken  Kvilka'a  u.  a. 
iu  den  dreissiger  Jahren,  und  vor  dem  Auftreten  Scvteuko'a  während  der 
vierziger  Jahre. 


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T.  Pailura.     M.  Giabowski.  219 

imtl  Kleidung  angenommen  liatte  und  zeitlebens  Emir  'i'adz  ul 
Fahr'  blieb,  sogar  nachdem  er  auf  sein  Familieugut  Sawraii 
i\^'S>)  zurückgekehrt  war.  Hier  ward  Padura  einheimisch  und 
dichtete.  Seine  Lieder  fänden  dann  durch  den  Tlieorbenspieler 
Witorot  und  andere  mittels  mündlicher  Ueherlieferung  Verbrei- 
tung, wurden  aber  lange  nicht  gedruckt,  weshalb  Padura  selbst 
für  eine  Art  mythischen  Wesens  galt,  bis  er  1844  in  Warschau 
die  „Ukrainky  s  uutoju  Tymka  Padurry"  („Ukrainische  Lieder 
mit  Melodien  von  Tjmok  Padura";  der  Vorname  ist  verändert: 
er  biess  Thomas  und  nicht  Timotheus)  herausgab.  Später  ward 
l'adnra  last  ganz  vergessen,  starb  za  Kozjatyn  und  ward  zu 
Machnöwka  im  Gouvernement  Kiew  begraben.*  Die  im  Ganzen 
sdir  wenig  zahlreichen  Versuche  Padura's  sind  in  folgender  Be- 
ziebuDg  interessant.  Die  Gefühle  und  Gedanken  waren  bei  ihm 
rein  polnisch  und  nur  die  Sprache,  die  Formen  und  die  artisti- 
sclien  Mittel  ukrainisch  -  volksthümlicb.  In  seiner  Thätigkeit 
scliiraniorte  auch  eine  Tendenz  durch  —  ganz  dieselbe,  welche 
das  Kosakenheer  K.  Kö^ycki's  im  Jahre  1831  erzeugte.  Das  ist 
der  Grund,  weshalb  Padura  die  Lyrik  um  der  Dumka  willen 
TerUess  und  in  der  letzern  (z.  B.  in  der  über  Roman  Koszyrski, 
d.  i.  Sanguszko)  die  Helden  aus  der  Chronik  derjenigen  Epoche 
<les  Kosakenthums  besaug,  als  es  sich  noch  unter  den  Fittigen 
des  weissen  polnischen  Adlers  barg,   d.  i.  vor  Chmelnickij. 

Die  übrigen  drei  von  uns  genannten  Ukrainer  begaben  sich 
um  1820  nach  Warschau,  um  zu  studiren,  hörten  genieinschaft- 
Ücli  die  Vorlesungen  Brodzinski's  und  lebten  in  engster  Freund- 
«haft.  Der  eine  von  ihnen,  Michael  Grubowski  (1805 — 63), 
Wkannter  als  Verfasser  von  Erzählungen  in  der  Art  Walter 
Scotfs  und  als  Kritiker  („Literatura  i  krytyka",  Wilua  1837  — 
40;  die  Artikel  in  Aksakov's  moskauer  „Deii"  u.  s.  w.),  lebte 
ia  Kiew,  hatte  Einfluss  auf  Kulis  und  beschloss  sein  Leben  in 
Warschau  als  Director  der  Commission  für  Unterricht  und  Cul- 
tas  unter  Wielopolski.  Joseph  Bohdan  Zalcski  (geb.  1802;  bat 
stbon  lange  aufgehört  zu  schreiben)  und  Severin  Goszczynski 
(gest.  1876)  machten  sich  als  dichterische  Talente  ersten  Kanges 


'  äicmicnski,   Portitty  litcraekio,   4.  Bd.:    Emir  Taili  ol  Fabr.     Ein 
ror  Hämo,  unter  dem  ihn  Padura  vei'horrlicLtc,  war  „Goldbart". 
'  Der  Arlikcl    Pr/yborowski's    über  Padura    im  Tyguduik    illuslro- 
.V  1873,  Nr.  a21>,  und  in  Biblioti;k8  Warazawsk«  1S72. 


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220  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

berühmt,  gingen  aber  infolge  der  Eigeuthiimlichkeit  ihrer  Tem- 
peramente in  ganz  entgegengesetzten  Richtungen  auseinander. 
Zaleski'  ist  vor  allem  und  fast  ausschliesslich  Künstler,  in  der 
Poesie  nur  Lyriker  und  zwar  einer  der  subjectivsten ,  dabei  von 
solcher  Art,  dass  er  am  besten  fröhliche,  zarte  Gefühle,  nur  die 
graziöse  Seite  der  darzustellenden  Gegenstände  mit  unnachahm- 
licher Schärfe  der  Farben  und  Lebhaftigkeit  wiedergibt.  Der 
Inhalt  dieser  der  äussern  Form  nach  ausserordentlich  schönen 
Poesie  zeichnet  sich  weder  durch  Mannichfaltigkeit  noch  durch 
Tiefe  der  Ideen  und  Aufgaben  aus.  —  Zaleski  besingt  nur  sein 
Diieprland.  „Mich,  ihr  Schosskind",  schreibt  er,  „hat  die  Mutter 
Ukraine  mit  dem  Liede  gross  gezogen  .  .  .  und  zur  Rusalka  ge- 
sagt: pflege  mein  Kind,  nähre  es  mit  der  Milch  der  Dumen 
und  dem  Saft  der  Blumen,  lass  ihn  die  schönen  Bilder  meines 
alten  Ruhmes  träumen,  dass  um  ihn  herum  alle  Sagen  meines 
Volkes  erblühe»,  geschrieben  mit  Gold  undLazur.  0,  klangvoll 
wie  ein  Liedchen,  haben  die  Küsse  meiner  Amme,  der  Rusalka, 
mein  Blut  auf  immer  entflammt.'^  .  .  .  („Duch  od  stepu"  — 
„Geist  der  Steppe").  Wir  führen  noch  eine  Stelle  an,  in  welcher 
Zaleski  die  Quellen  seiner  Begeisterung  und  Poesie  aus  Beinern 
eigenen  Leben  darlegt:  „Mit  der  Theorhe  aufgewachsen,  sehe 
ich  den  Dnepr,  Ivangöra,  die  Hütte  im  Hain,  den  greisen  Traum- 
deuter, als  wenn  ich  mich  gestern  von  ihm  verabschiedet  hätte. 
Es  sangen  dort  die  Vögel  fast  den  ganzen  Tag  und  die  Mäd- 
chen sangen  auf  dem  Platze,  dann  ertönte  die  männliche  Stimme 
des  Kriegsruhms  der  Atamana  —  alles  Hoss  zusammen  in  ein 
lebendiges  Lied,  und  ich  trank  dieses  Lied  in  vollen  Zügen^'  .  .  . 
(„2jwa  pie^ü"  —  „Das  lebendige  Lied")- 

Ans  diesem  /auberkreis  von  Ideen,  die  er  sich  von  Jugend 
auf  angeeignet,  vermag  Zaleski  auf  keine  Weise  herauszukommen. 
Mitten  in  den  Alpen  denkt  er  an  die  Ros  und  Tjaämina,  in  der 
römischen  Campagna  sehnt  er  sich  nach  den  Steppen,  als  echter 
Barbar  schreitet  er  auf  dem  Capitol  einher,  aber  es  kocht  ihm 
das  Blut  beim  Anblick  eines  slavischen  Bruders  —  des  sterben- 
den Fechters  (,,Przechadzki  po  za  Rzymcm"  —  ,,Spaziergä.nge 
ausserhalb  Roms").     Als   dann  später  Zaleski    in  der  „Heiligen 


'  P.  Chmiulowski,  „Poezye  J.  B.  Zaieakiego"  {iu  Kiwa  1877,  Nr.  65, 
66).  —  Letzte  Auegabe  der  ticdiehte  Zaleeki'«  (3  Bde.,  Lemberg  1877).  Vgl. 
Przegl%d  Tygoduiowy  I«78,  Nr.  18—21. 


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Bohdw^ZiileBki.  221 

Familie"  („Przenajäwigtsza  Rodzina")  ^  den  Versuch  machte,  die 
Jngend  Ghrieti  darzustellen,  trug  er  auch  in  dieses  biblische 
Werk  seine  Heimat  hinein,'  sodass  sich  darin  wenig  von  Galiläa 
ud  dem  Jordan  findet,  sondern  die  nach  Jerusalem  zum  Feste 
eilenden  Volkshaufen  aufs  Haar  den  südrussischen  öumaken  (Salz- 
fahrleute)  gleichen,  die  ihr  Nachtlager  aufgeschlagen  haben, 
oder  Pilgern,  die  zu  den  heiligen  Orten  wandern,  nach  Foöajev 
oder  in  die  Peöerskaja  Lavra  (das  Höhlenkloster)  zu  Kiew. 

Das  „^nmakische"  Leben  des  Emigranten  —  Zaleski  begab 
sich  1831  ins  Ausland  —  trug  noch  mehr  zur  Entwickelung  die- 
KT  einseitigen  Ausschliesslichkeit  in  dem  von  seinem  Boden  los- 
gerissenen Dichter  bei.  Der  Kreis  der  Stoffe  seiner  Poesie  war 
nnd  blieb  beschränkt.  Das  Verfaältniss  derselben  zur  Phantasie 
des  Dichters  ist  so,  dass  alle  Strahlen  der  Wirklichkeit,  welche 
durch  diese  Phantasie  hindurchgehen,  ungewöhnlich  stark  ge- 
brochen werden,  chromatische  Bilder  geben.  Jeder  Strahl  ver- 
vandelt  sich  in  einen  Regenbogen,  unter  diesen  Regenbogen,  Tril- 
lern und  Coloraturen,  unter  dem  Niederschlag  der  subjectiTSten 
Ejnpfindungen  verschwindet,  durch  sie  verdeckt,  das  ursprüng- 
liche Motiv,  und  es  gibt  ganze  Diebtungen,  deren  Inhalt  nur  mit 
Uflhe  erklärt  werden  kann.  Dabin  gehört  z.  B.  das  erste  Werk 
des  Dichters,  welches  seinen  Namen  am  meisten  berühmt  gemacht 
hat,  „ßusaiki"  (um  1830),  worin  er  sich  selbst  in  der  Gestalt 
des  Kosaken  Ci^aw  Zorja  darstellt  und  alle  Peripetien  seiner 
Jagendliebe  zu  der  bezaubernden  und  launenhaften  Zorina,  seine 
Zirigte  und  Versöhnungen  mit  ihr  erzählt;  von  den  spätem 
Werken  ist  dahin  zu  rechnen  „Kaliuowy  most",  Phantasie  über 
die  Jugend  des  Dichters,  der  schon  graue  Haare  hat.  Da  die 
Bildung  Zaleski's  nur  eine  künstlerische,  aber  keine  philoso- 
phische war,  so  erklärt  sich  dadurch  auch,  warum  er  kein 
einziges  grosses,  einheitliches  Werk  geschaffen  hat,  wozu  eben 
eine  philosophische  Idee  als  Kitt  nöthig  ist.  In  der  Fremde, 
nnter  dem  Eindruck  bitterer  Verluste  und  der  Sehnsucht  nach 
der  Heimat,  verfiel  Zaleski,  wie  die  Mehrzahl  seiner  Zeitgenossen 
unter  den  Dichtem  der  Emigration,  in  den  Mysticismus  und 
ward  auf  kurze  Zeit  zugleich  mit  seinem  Freunde  Mickiewicz 
ein  Anhänger  der  religiösen  Sekte  Towialiski's ,  kehrte  aber 
bald  zum  strengen  kirchlichen  Katholicismus  zurück.    In  dieser 


'  Deutsch  von  A.  Zipper  (2.  Aufl.,  Leipzig  1 


.,GüOJ^Ic 


222  Viertes  KBpitel.    Die  Polen. 

zweiten  mystischen  Periode  seiner  dichterischen  Thätigkeit  ver- 
suchte er  mit  der  Dichtung  ,,Der  Geist  der  Steppe"  („Duch  od 
stepu")  in  einem  zusammenhängenden  Epos  die  Geschichte  der 
Menschheit  darzustellen,  aber  trotz  schöner  Einzelheiten  mislaDg 
das  Gedicht  doch  wegen  der  Armuth  an  Inhalt  und  an  manchen 
Stellen  überrascht  es  durch  seinen  Gegensatz  gegen  den  Fort- 
schritt der  Zeiten,  durch  das  negative  Verhalten  des  Verfassers 
zu  den  grossen  Entdeckungen  und  Ereignissen  der  letzten  Jahr- 
hunderte: der  Reformation,  der  UeTolution  des  18.  Jahrhunderts. 
Der  Dichter  erzählt  die  Geschichte  seiner  Seele  vor  der  Geburt: 
die  Mutter  Ukraine  hat  diese  Seele  den  ßusalken  zur  Erziehung 
gegeben;  auf  einen  Wink  Gottes  lässt  sich  das  luftige  Flatter- 
wesen herab,  wird  Fleisch,  sehnt  sich  nach  ihrer  Heimat  jen- 
seits der  Wolken  und  durchlebt  in  Gedanken  alle  Momente  der 
Entwickelung  der  Menschheit,  wobei  als  Urheber  aller  Uehel 
der  hochmUthige  Verstand  erscheint,  der  sich  gegen  den  Glau- 
ben empört ,  und  die  fleischlichen  Lüste  —  als  wenn  mau 
das  fiekenntuiss  eines  mönchischen  Asceten  aus  dem  Mittel- 
alter hörte.  An  manchen -^teilen  belebt  sich  die  Erzählung  und 
glänzt  durch  Schönheiten,  z.  B.  wo  der  Dichter  die  Völkerwande- 
rung und  Attila  darstellt,  aber  auch  dies  nur  aus  dem  Grunde, 
aus  dem  er  sich  dem  sterbenden  Fechter  gegenüber  nicht  gleich- 
gültig verhalten  kann,  d.  i.  weil  er  auf  einen  Barbaren  und 
auf  Scharen  gestossen  ist,  die  sich  gewissermassen  als  Froto- 
type  der  künftigen  Kosaken  darstellen.'  Besondere  Beachtung 
verdienen  wegen  ihrer  Vorzüge  und  Mängel  die  epischen  Rhap- 
sodien Zaleski's.  Das  kleinrussischc  Volk  hatte  zweierlei  Epen, 
die  volkstbümlichen  Bylinen  des  Vladiniir-Cyclus,  die  vom  Volke 


'  „l>er  in  Stahl  geschmietlpto  iletTfiilirer  i-citct,  führt  auf  wegelosen 
Sti'cukeu  —  di(!  R(>itci'atatuR  Atliuiiriuhs  (ilen  Kimiga  aller  Hunuen),  rauh 
wif  ein  Bür,  nelmig;,  niaffcr,  iinr  aus  Kniiulieii  liente)i(^nil ,  (iiittesgeiaBpl. 
das  (iesieht  drohen«!  nnil  wilil,  ilus  Antrc  ntemnlo  siwh  HelilipREPml,  weit  ilie 
Augenlider  aD  die  Stirn  gcwacliBfo  iind.  Wie  ein  Fluss,  der  sieh  zwischen 
Bteiien  Felsen  den  Weg  bi-iuht,  lärmen  die  hinter  ihm  herstrüinenden  Haufen: 
Rom,  Rom,  wo  iat  Rom? 

„Diu  Reiteratatue  —  der  nnKUgänglielic  Heerführer,  tau!)  und  slumni, 
i-eitet,  führt  auf  wegelosen  Strcekcn,  pliit/lich  hloilit  er  stehen;  Hier  ist  ein 
Halt.  Sollen  wir  nach  dieser  oder  jener  Seite  gehen  in  den  Steppen?  I>aH 
wird  unH  der  Komet  in  der  Naeht  sagen.  Rom,  Rum  itt  nicht  weit,  hinter 
sieben  Bergen,  hinter  neun  Klüaseul" 


....,  Google 


Bohdan  ZaleBki.  223 

selbst  fast  vergessen  sind  und  sich  nur  in  fragmentarischer 
üeberlieferung  erhalten  haben,  nod  die  in  späterer  Zeit  an 
ihre  Stelle  getretenen  kosakischen  Dumen,  ein  neues  historisches 
Volksepos,  das  sich  bis  zur  Gegenwart  lebendig  erhalten  hat, 
aber  von  einem  Geiste  durchdrungen,  der  für  Polen  durchaus 
nicht  freundlich  ist.  Zaleski  waren  die  kosakischen  Dumen  am 
meisten  bekannt.  Das  Kosakenthum  war  unter  den  Fittigen  Po- 
lens entstanden  und  zur  Entwickelung  gelangt;  erst  vom  17- Jahr- 
handert  an  wendete  es  die  Waffen  des  Bürgerkrieges  gegen  Polen. 
Diese  letzte,  mit  Blut  bespritzte  Seite  des  Kosakenthums,  ist  Za- 
leski zuwider,  sowol  wegen  seiner  heitern  und  weichen  Natur  als 
wegen  seiner  Nationalität,  als  Polen.  Kr  sah  sich  also  genöthigt, 
weiter  zurückzugreifen,  ins  16.  Jahrhundert,  und  Ereignisse  und 
Leute  zu  besingen,  über  die  er  dies  und  jenes  in  den  alten  polni- 
schen Chroniken  gelesen,  die  aber  dem  ukrainischen  Volk  seit  Bog- 
daii  Chmelnickij  schon  aus  dem  Gedächtniss  geschwunden  waren, 
z.  B.  die  Züge  der  Zaporoger  über  das  Schwarze  Meer,  des 
Enstatbius  Daäkovic,  des  Predslav  Lanckoronskij ,  des  Hetmans 
Kosinskij  und  des  tapfem  Sahajda6nyj ,  der  seine  Heerscharen 
vor  Chotin  unter  dem  Oberbefehl  des  Königsohnes  WJadyslaw 
führte.  Alle  vorgeführten  Personen  bewegen  sich  regelrecht, 
leicht,  schön,  malerisch  und  hannonisch,  aber  darin  eben  liegt 
die  Unwahrheit,  dass  sie  keine  echten,  sondern  Balletkosaken 
sind,  dass  sie  glatte  Frisuren  tragen,  dass  sie  nach  Parfüm  und 
nicbt  nach  Theer  duften,  und  dass  unter  ihrem  Stahl  das  Blut 
in  schönen  himheerrothen  Strömen  spritzt.  Es  sind  alles  kühne 
Burschen,  flotte  Wagehälse,  die  an  nichts  Anderes,  Ernsteres  den- 
ken, als  an  verwegene  Streiche.  Ausserdem  sind  ihnen  zum  offen- 
baren Nachtheil  der  historischen  Wahrheit  Gefühle  beigelegt,  die 
ihnen  durchaus  nicht  eigen  sind.  Es  ist  zweifellos,  dass  sowol  Ko- 
sinskij (zu  Ende  des  IG.  Jahrhunderts)  als  Sahajdacnyj  (m  Anfang 
des  17.  Jahrh.)  sich  der  Dienstpflicht  gemäss  treu  und  ehrlich  mit 
den  Tataren  und  Türken  unter  den  polnischen  Fahnen  geschlagen 
haben,  aber  ein  jeder  von  diesen  Heerführern  des  Kosakenthums 
hatte  seine  eigenen  Standes-  und  Stammesinteressen  und  -Berech- 
nnngen,  infolge  deren  er  seine  Beziehungen  zu  Polen  nicht  vom 
Standpunkt  des  polnischen  Szlachcic  und  Patrioten  betrachten 
konnte.  Kosinskij  konnte  zu  seiner  „Schwarzbrauigen"  nicht  sagen : 
„was  kann  es  helfen  die  Hände  zu  ringen,  wenn  uns  der  Wille  des 
Reichstags  und  des  Königs   befiehlt,   in  die  Schlacht  zu  gehen" 

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234  VierteB  KapiteL     Die  Polen. 

(„Dumka  hetmana  Kosinskiego").  Die  falsche  Note,  welche  in  den 
Dutnen  Zaleski's  klingt,  hat  dieselben  nicht  nur  nicht  zu  Fall  ge- 
bracht, sondern  war  die  Ui-sache  ihrer  übermässigen  Popularität, 
als  das  dem  Geist  der  Zeit  entsprechende  Streben,  das  Eosaken- 
thum  ästhetisch  zu  polonisiren.  M.  Grabowski  hat  das  Verhältniss 
der  ukrainischen  Dichter  zur  Ukraine  80  formulirt,  dass  Malczewski 
die  adelige,  Zaleski  die  kosakiscbe,  Goszczynski  die  hajdatnaki- 
Bche  Ukraine  gezeichnet  habe.  Auf  dem  gebahnten  Wege  folgten 
eine  Menge  Nachahmer,  die  Zaleski's  Manier  in's  Carricaturen- 
hafte  verzerrten  und  1838  die  folgende  Bemerkung  in  einem  Briefe 
Mickiewicz'  hervorriefen  (Korr.  1, 124):  „Die  Ukrainer  haben  sich 
auf  Bohdan  gesetzt,  und  reiten  auf  ihm:  hopp,  hopp,  hoppl  Sie 
machen  mich  rasend.  Man  muss  diese  Scribenten  von  ihrem 
ukrainischen  Pferde  herunterreissen."  Alle  Personen,  die  in  den 
Dumen  Zaleski's  vorgeführt  werden,  sind  lieblich,  aber  miniaturen- 
haft,  wie  durch  ein  VerkleinerungsglaB  gesehen.  In  dieser  Mi- 
niaturmalerei kann  man  den  „kundigen  Bojan"  nicht  von  Wemy- 
hora,  die  Fürsten  und  Bojaren  von  Kiew  nicht  von  Chmelnickij 
und  Mazeppa  unterscheiden.  Diese  Fähigkeit,  die  Gegensätze 
auszusöhnen  und  die  Dissonanzen  auszugleichen,  macht  aus  Boh- 
dan Zaleski  einen  echten  Pauslavistea.  „Ich  liebe  slavisches  Ge- 
tön", ruft  er  aus,  „ich  klatsche  in  die  Hände,  wenn  ich  auf 
einem  ukrainischen  Grabhügel  stehe.  Held  Safarik!  herrlich, 
Kopitar!  Immer  mehr  Lieder  Vuk  Karadiidl  Das  Uebrige  wer- 
den wir  Gusljare  hinzufügen"  („Gwar  slowiaöski").  Insbeson- 
dere tritt  uns  aber  diese  Fähigkeit  in  den  religiös-mythologischen 
Werken  Zaleski's  entgegen.  Er  hat  sich  so  in  den  kleinrussiscben 
Volksglauben  eingelebt,  dass  man  zuweilen  nicht  unterscheiden 
kann,  was  er  ist,  ob  römischer  Katholik  oder  griechisch  Ortho- 
doxer,  und  hinter  den  christlichen  Bildern  und  Vorstellungen 
schimmert  bei  ihm  eine  alte  slavisch-heidnische  Grundlage  aus 
alten,  dunkeln,  vorhistorischen  Zeiten  durch  („Ksig^na  Hanka"; 
„Podzwonne  ku  ojcom"). 

Der  letzte  der  Schrifteteller  aus  der  ukrainischen  Gruppe, 
Severin  Goszczyäski,  ist  ein  physisch  kräftiger  Mann,  von 
starken  Ueberzeugungen ,  energisch.  Sein  Lehen  ist  im  Ein- 
zelnen wenig  bekannt.  Er  gehörte  mit  zu  denen,  welche  den 
Aufstand  im  Jahre  1830  anstifteten,  indem  sie  durch  den  Ueber- 
fall  des  Belvedere- Palastes  in  der  Nacht  vom  29.  November 
das  Signal   zu  der  Volksbewegung  gaben.    Er  nahm   an  dieser 

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Severiu  Goazcz;Aski.  226 

BewegoDg  theil  als  Soldat  und  Sänger,  lebte  alsdann  einige  Zeit 
in  Galizien  und  endete  damit,  dass  er  ein  Mystiker,  ein  Anhänger 
Towianski's  wurde  und  zu  Anfang  der  vierziger  Jahre  fast  ganz 
»afliörte  zuschreiben.  Goszczynski  repräsentirt  in  seiner  Person 
denjenigen  Moment  der  Entwickelung  der  Romantik,  wo  es  galt, 
die  y&tur  und  ihr  Leben  im  Geiste  der  nationalen  Weltanschauung 
trea,  ernst,  realistisch  und  objectiv  zu  reproduciren.  Die  Eigen- 
tbümhchkeiten  seines  persönlichen  Temperaments  sprechen  sich 
nar  darin  aus,  dass  er  aus  der  Natur  und  der  Volksphantasic 
nur  kräftige  und  dunkle  Farben  entlehnt,  nur  das  Wilde,  Schreck- 
liche, Tragische,  Dämonische  nimmt:  die  Unglück  verkündenden 
Rufe  der  Eulen,  das  Knarren  des  Leichnams,  der  vom  Winde 
am  Galgen  geschvrenkt  wird,  und  die  schwarze  Nacht,  während 
»elcher  der  Fersenlose  (d.  i,  der  Teufel)  den  Menschen  schlimme 
Streiche  spielt.  Im  Colorit  ist  er  unvergleichlich  und  hat  den 
Pinsel  eines  Rembrandt  für  die  Darstellung  von  Feuerschein  in  der 
Finsterniss  der  Nacht.  Unter  den  Linden  am  Dnepr  sind  Bur- 
schen und  Mädchen  zur  Abendunterhaltung  zusammengekommen, 
singen,  tanzen  und  küssen  sich  um  den  flammenden  Scheiter- 
baufen,  und  etwas  weiter  davon  hat  sich  eine  andere  stillere  Ge- 
sellitchafl  Tersammelt:  dort  unterhalten  sich  ein  armer  Sünder, 
vom  bösen  Wirbelwind  getragen;  ein  rother  Vampyr,  der  um 
Mitternacht  aus  dem  Körper  das  Blut  schlafender  Kinder  saugt; 
eine  Hexe,  welche  mit  dem  Thau  der  Blumen  die  Sahne  be- 
sprengt; eine  nngetaufte  Seele,  die  auf  den  Höhen  stöhnt;  der  feu- 
rige Drache,  der  die  Weiber  dürre  macht  („Zamek  Kaniowski" 
—  „Das  Schloss  von  Kaniöw"). 

Aber  indem  er  unter  das  Volk  ging,  um  dessen  Sagen  und 
Aberglauben  zu  studiren,  erfüllte  sich  Goszczyäski  als  echter 
Romantiker  so  mit  dem  Erforschten,  dass  er  sich,  wenn  auch 
nicht  alles,  so  doch  das  Wesentlichste  aus  dieser  Weltanschauung 
^eignete,  welcher  der  Antbropomorphismus  eigen  ist  und  welche 
alle  Naturkräfte  beseelt  und  personiticirt.  In  seinem  eigenen 
Geiste  fanden  sich  unzweifelhaft  die  Grundtagen  eines  Mysticis- 
mos,  der  mit  dem  volkstbümlicben  verwandt  war:  er  glaubte 
selbst  au  die  Existenz  jener  geheimnissvollen  lebendigen,  dem 
JlatarforBcher  unbekannten  Kräfte  in  der  Natur,  denen  das 
Volk  bei  aller  Roheit  seiner  Begriffe  näher  steht  als  der  Ge- 
lehrte, weil  das  alte  Band  mit  der  Natur  für  den  civiliairten 
Menschen  zerrissen  ist,  während  es  für  den  gemeinen  Mann  noch 

Pwn,  BUtIkIu  LtlanlDTMi.    n,  1.  15 

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226  VierteH  Kapitel.    Die  Polen. 

besteht.  Mit  einem  Wort,  Goszczyäski  erging  es  so,  wie  vielen 
Humanisten  des  16.  Jahrhunderts,  welche  durch  die  Erforschung 
des  Alterthums  soweit  fortgerissen  wurden ,  dass  sie  sich  sogar 
die  antiken  religiösen  Glaubensvorstellungen  aneigneten.  „Uralte 
Erdel"  sagt  der  Dichter,  „zu  jener  Zeit  war  das,  was  heute  ein 
Wunder  ist,  kein  solches;  unsichtbare  Kräfte  spielten  sichtbar  und 
bewachten  den  Menschen  wie  ein  Kind.  In  der  Luft^  in  den  Bäu- 
men, im  Stein,  unter  dem  Wasser  fanden  die  Leute  blutsverwandte 
Sympathie;  weil  sie  die  Natur  nicht  verachteten,  kannten  sie 
dieselbe  und  liebten  sie  wie  eine  Mutter."  (Sobötka  —  Johannis- 
feier).  „Die  Natur",  sagt  Chmielowski',  „beschenkte  Goszczyiiski 
zur  Belohnung  für  seine  Liebe  mit  kiihnen  Gedanken  und  origi- 
nellen Ideen.  Die  Phantasie,  durch  nichts  zurückgehalten,  lebte 
auf,  erstarkte  und  Sog  hoch  hinauf,  diejenigen  ins  Zauberland 
mit  fortreissend,  welche  sich  ihrer  Führung  überliessen."  Un- 
regelmässigkeit und  Zügellosigkeit ,  aber  damit  zugleich  Frische, 
Wahrheit  und  Kraft,  das  sind  die  Eigenschaften  dieser  Poesie. 
Ihre  Motive  sind  andere  als  bei  allen  Vorgängern  GoszczyAski's, 
die  Fabel  ist  künstlicher  und  verwickelter,  die  Ereignisse  verflech- 
ten sich  unerwartet,  aber  verknüpften  sich  zu  festen  Knoten,  auf 
die  Scene  werden  wirkliche,  psychologisch  motivirte  Charaktere 
gebracht,  nicht  in  der  Art  von  Schattenspielen  oder  Silhouetten, 
wie  der  Wojewode  und  der  Schwertträger  bei  Maiczewski,  noch 
in  Email-Miniaturen  wie  bei  Zaleski,  sondern  in  lebendiger  Be- 
wegung, in  Kampf  und  Conäict.  In  dieser  Darstellung  der  Cha- 
raktere bekundete  Goszczynski  ein  gewaltiges  dramatisches  Talent, 
wozu  sich  weder  bei  Maiczewski  noch  bei  Zaleski  auch  nur  die 
Grundlagen  finden.  Blut  schreckt  ihn  nicht,  seine  Hände  zittern 
nicht,  wenn  er  die  lebendige  Brust  öffnet  mit  künstlerischer,  fast 
Shakespeare'scher  Ruhe,  mit  der  Gleichgültigkeit  eines  Anatomen. 
Goszczyäski  hat  nicht  viel  geschrieben ;  er  ist  ukrainischer  Dich- 
ter nur  nach  dem  ersten  und  hauptsäclilichsten  seiner  Werke, 
dem  jjSchloses  von  Kaniöw"  („Zamek  Kaniowski",  1828),  das 
einem  blutigen  Ereigniss,  dem  Bauernaufstand,  bekannt  unter  dem 
Namen  der  Koliiwszczyzna  (1768)  entlehnt  ist,  welcher  niederge- 
worfen wurde  und  die  schärfsten  Repressalien  seitens  der  polni- 


'  Sobötka.    Zeetawienie  dwoch  wieköw  etc.  (in  „Tygodn.  üluetr."  1875, 
Nr.  367—375). 


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Severin  Goszczynaki.  227 

Ecficn  Regierung  und  der  Gutsbesitzer  hervorrief.    Der  Inhalt  der 
Dichtung  ist  folgender: 

In  der  Gegend  von  Smila  ward  gehören  nnd  vuchs  auf  der 
Kosak  Nebaba,  ein  stattlicher,  kühner,  gewandter  Bursche,  der 
m  Mädchen,  Xenia,  aus  demselben  Dorfe  bethörte.  Xenia  wurde 
tjariiber  ganz  wirr  und  pflegte  jede  Nacht  einen  feurigen  Dra- 
clieii  —  den  Geliebten  —  zu  erwarten.  Nebaba  gab  sich  aus 
Spass  für  einen  solchen  Drachen  aus;  allein  als  sich  Xenia  wirk- 
lich an  ihn  hängte  und  ihn  mit  ihrer  zudringlichen  Liebe  zu  ver- 
folgen begann,  warf  sie  Nebaha  in  den  Dnepr  und  er  selbst  ent- 
floh: dies  hatte  sich  vor  Beginn  der  Dichtung  ereignet.  Xenia 
hatte  sich  irgendwie  aus  dem  Wasser  gerettet,  war  vollends 
irrsinnig  geworden  und  lief  von  Dorf  zu  Dorf,  zerzaust,  wild, 
wie  ein  Unglücksgespenst,  das  schlimme  Ereignisse  verkündet. 
Schreckliche  Dinge  bereiteten  sich  wirklich  vor:  die  Bauern 
»etzten  die  Messer  gegen  die  Pane,  der  Ausbruch  des  Gemetzels 
stand  bevor.  Xenia  erscheint  in  der  Umgegend  von  Kaniow, 
einem  Schlosse,  das  dem  durch  seine  Grausamkeit  berüchtigten 
Starosten  Nikolaus  Potocki  gehört.  Das  Schloss  liegt  auf  einer 
Anhöhe  am  Dnepr  und  beherrscht  ein  Städtchen  gleichen  Namens. 
Im  Schlosse  wohnt  auch  der  ehemalige  Geliebte  der  Xenia,  Ne- 
baba, der,  nachdem  er  in  den  Dienst  des  Starosten  getreten, 
für  seine  Umsicht,  Tapferkeit  und  Gewandtheit  zum  Anführer 
der  Schlosskosaken  des  Starosten  ernannt  ist.  Er  ist  leiden- 
schaftlich in  das  Kosakenmädchen  Orlika  verliebt,  welche  das 
Unglück  hatte,  die  Aufmerksamkeit  des  Schlossverwalters  auf  sich 
iQ  lenken.  Der  Schlossverwalter  will  sie  heirathen  und  erfindet 
folgende  List,  um  ihre  Zustimmung  zu  dieser  Heirath  zu  erpres- 
sen. Der  Bruder  der  Orlika,  ein  Kosak,  wird  des  Nachts  bei  einem 
Galgen  auf  Wache  gestellt;  der  Verwalter  lockt  ihn  von  seinem 
Posten  weg,  und  lässt  während  seiner  Abwesenheit  den  Leichnam 
vom  Galgen  nehmen.  Die  Schnld  des  fahrlässigen  Wachtpostens  ist 
so  gross,  dass  er  seihst  gehenkt  werden  soll.  Der  Verwalter  stellt 
Orlika  die  Alternative:  entweder  den  Tod  des  Bruders  zu  wählen 
oder  die  Ehe  mit  ihm.  Sie  entscheidet  sich  für  das  letztere.  Die 
Ehe  kommt  zustande,  Nebaba  ist  ausser  sich  vor  Wuth;  er  schwört, 
sich  an  der  Verrätherin  und  ihrem  Lechen  zu  rächen,  und  die  Haj- 
damaken  gegen  das  Schloss  zu  fuhren,  aber  auf  Schritt  und  Tritt 
hindert  ihn  die  aufdringliche  Xenia,  von  der  er  auf  keine  Weise 
Imkommen  kann.    Er  schlug  sie  in  die  Schläfe  und  verunstaltete 

15* 

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228  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

sie;  er  verwundete  sie  mit  dem  Messer,  allein  die  Unglückliche 
Hebt  ihn  nur  noch  mehr  als  früher.  Nebaba  begibt  sich  heimlich 
in  das  Lager  des  Bäubers  Szwaczka,  aber  dieser,  ein  Greis,  schwer 
in  Bewegung  zu  bringen  und  ein  Trunkenbold,  gebt  auf  das  von 
Nebaba  vorgeschlagene  Unternehmen  nicht  ein ;  während  Szwaczks, 
vom  Branntwein  berauscht,  ohne  Besinnung  daliegt,  fuhrt  Ne- 
baba dessen  ganze  Bande  mit  eich  fort,  zerstreut  die  Hajda- 
maken  in  den  Schluchten  und  Gebüschen  um  Kaniöw,  um  in 
der  folgenden  Nacht  einen  Angriff  zu  machen  —  das  Schloss  zu 
nehmen.  Als  sich  Szwaczka,  nachdem  er  nüchtern  geworden, 
von  allen  verlassen  sah,  durchschaute  der  schlaue  Alte  gleich 
den  Sachverhalt  und  beschloss,  Nebaba  zuvorzukommen;  er  eilt 
nach  Kaniöw  und  alarmirt  die  Bürger.  Weder  Szwaczka  noch 
Nebaba  wissen,  dass  sich  die  polnische  reguläre  Armee  Kaniöw 
nähert,  sie  von  allen  Seiten  umzüngelt,  und  eben  daran  ist,  sie 
einzuBchlieseen.  Zu  derselben  Zeit  fasst  Orlika,  der  das  Ehebett 
unerträglich  ist,  den  Entschluss,  ihren  Mann  des  Nachts  zu  er- 
morden. Am  frühesten  beginnen  Orlika  und  Szwaczka  ihreThä- 
tigkeit.  Letzterer  dringt  mit  den  Bürgern  ins  Schloss,  zündet 
es  an,  bricht  in  die  Gemächer  des  Verwalters  ein,  und  findet 
dort  einen  Leichnam  und  eine  wahnsinnige  Frau,  mit  Blut  be- 
sudelt. Orlika  flieht,  man  verfolgt  sie,  die  tolle  Jagd  dauert 
lange,  die  Verfolger  erbrechen  eine  Thür  nach  der  andern,  und 
erkennen,  wohin  die  Unglückliche  geflohen  ist,  an  dem  blutigen 
Abdruck  ihrer  Hand  an  den  Wänden,  Der  letzte  Zufluchtsort 
Orlika'e  ist  der  Hauptthurm  des  Schlosses;  die  Mörder  sind  eben 
daran,  dort  einzudringen,  aber  in  demselben  Moment  stürzen 
die  Sparren  des  brennenden  Gebäudes  ein,  und  unter  seinen 
Trümmern  kommen  sowol  die  Verfolgte  als  der  Pöbel,  wie  auch 
Szwaczka  selbst  am.  Inzwischen  rückt  Nebaba,  nachdem  er 
seine  Bande  gesammelt,  gegen  das  Schloss  Kaniöw  vor,  stösst 
aber  auf  die  reguläre  Armee.  Ein  schreckliches  Gemetzel  ent- 
steht, das  vom  Brande  des  Schlosses  beleuchtet  wird  und  damit 
endet,  dass  die  Polen  den  verwundeten  Nebaba  gefangen  nehmen. 
Das  Schloss  existirt  nicht  mehr,  aber  auf  seiner  rauchenden 
Brandstätte  foltern  die  Sieger  die  Gefangenen  und  vollziehen 
die  Strafen.  Den  Nebaba  spiesst  man  auf  einen  Pfahl,  und  wäh- 
rend er  in  Todeszuckungen  auf  dem  Holze  steckt,  kommt  Xenia 
zu  ihm  gelaufen,  und  drückt,  durch  nichts  mehr  zurückgehal- 
ten,  auf  die   sterbenden  Lippen   einen   leidenschaftlichen  Kuss. 

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Severin  GoGzuzynski.  229 

Der  Dichter  endet  seine  erschütternde  Erzählung  mit  dem 
grossärtigen  Schluss:  „Als  mein  Geist  die  Ufer  des  Diiepr  be- 
suchte und  auf  den  Buinen  von  Eaniöw  verweilte,  fand  er  noch 
Spuren  von  dem  schrecklichen  Tage  des  Untergangs  und  der  Zer- 
sföniDg.  An  den  Wänden  war  noch  Blut  zu  sehen  an  den  Stellen, 
welche  die  Frau  mit  ihren  vom  Blute  des  Mannes  gerötheten 
Händen  berührt  hatte,  als  sie  vor  den  sie  verfolgenden  Mör- 
dern floh;  nichts  auf  der  Welt  vermochte  dieses  Blut  wegzu- 
waschen,  an  der  Stelle  der  weggewaschenen  traten  neue  Flecke 
bervor,  aber  der  Körper  der  unglücklichen  Verbrecherin  selbst 
hatte  sich  in  Asche  verwandelt  und  war  von  den  Winden  ver- 
weht. In  einem  einsamen  Winkel,  bedeckt  mit  leichtem  Grase, 
fand  mein  Geist  Haare  der  zerzausten  Locken  der  Kenia,  in 
denen  sich  ein  Vögleiu  sein  Nest  gebaut  hatte.  Hier  lag  auch 
Stahl  von  der  Waffe  des  Nebaba,  verbrannt  und  geschwärzt  vom 
Feuer;  zuletzt  grub  mein  Geist,  zwischen  den  nackten  Schädeln 
herumirrend,  unter  den  Bruchstücken  des  Gebäudes  eine  Theorbe 
aas  und  auf  ihr  nur  eine  Saite.  Weder  die  Jahre  noch  die  Un- 
bilden des  Wetters  hatten  den  goldigen  Glanz  dieser  Saite  zu 
verdunkeln  vermocht,  und  ihr  Liebhaber,  der  Wind  aus  dem  be- 
nachbarten Hain,  wiederholte  jede  Nacht  mit  ihr  die  alte  Ge- 
schichte.    Mir  gefielen  ihre  heisern  Töne." 

Die  künstlerischen  Vorzüge  des  „Schlosses  von  Kaniöw"  sind 
gross,  aber  noch  grösser  ist  seine  nationale  und  sociale  Bedeu- 
tung. Zum  Gegenstand  der  Dichtung  ist  ein  historischer  Vor- 
gang genommen,  nicht  fernen  Datums,  äusserst  betrübend  für 
den  Polen,  und  dargestellt  mit  einer  erstaunlichen  Unpartei- 
lichkeit und  mit  einem  tiefen  und  ruhigen  Verständuiss  des  ver- 
hängnissvollen Charakters  des  blutigen  Gemetzels,  das  einen 
Historiker  neidisch  machen  könnte.  —  Einige  Jahre  später  ward 
dasselbe  Ereigniss  von  einem  Nachkommen  eben  jener  Helden, 
SevÖenko,  poetisch  bearbeitet,  aber  seine  Erzählung  vom  Ruhme 
der  Kosaken,  „wie  die  Hajdamaken  mit  heiligen  Messern  gingen", 
und  wie  Honta  vor  dem  Volke  seine  eigenen  Kinder  von  einer 
Katholikin  tödtete,  nur  weil  „sie  katholisch  waren"  (Honta 
'tt  Human),  widert  an  wegen  der  Roheit  und  Unmenschlichkeit 
dessen,  was  für  Heldenthum  ausgegeben  wird.  Wenn  nicht  die 
Sprache  wäre,  so  wäre  es  unmöglich  zu  erkennen,  auf  welcher 
Seite  die  Sympathien  Goszczyhski's  sind.  Für  ihn  sind  dietiegen- 
^tze  schon  ausgeglichen;   die  Szlacbta   und    das  Kosakenthum 

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230  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

haben  Bich  im  Reiche  der  Schatten  versöhnt,  „mit  dem  letzten 
Kauche'  der  erloschenen  Flamme  sind  die  Dämonen  der  Ver- 
wüstung in  die  Hölle  zurückgekehrt,  über  Siegern  und  Besiegten 
liegt  ein  grasbewachsener  Grabhügel  aufgeschüttet"  (UI,  29), 
und  auf  dem  Grabhügel  spielt  der  Dichter  auf  den  ehernen 
Saiten  seiner  Leier,  eine  humanere  Zukunft  verkündend.  —  Ein 
zweijähriger  Aufenthalt  unter  den  Bergbewohnern  der  Tatra 
gab  Goszczynski  das  Material  zu  einem  vorzügUcheu  Fragment: 
„Sobötka"  (Johannisfeier) ,  eines  Theils  der  unvollendeten  Dich- 
tung „Koäcielisko"  („Die  verfallene  Kirche",  1834).  Er  ver- 
fas^te  noch  in  Versen  die  Erzählung  „Anna  z  Nadbrzeto",  in 
Prosa  die  phantasiiscbe  Erzählung  „Kröl  zaniczjska"  („Der 
König  der  Schlossruine",  1842)  und  das  mystisch  -  religiöse 
,, Sendschreiben"  an  Polen  (1856,  herausgegeben  1869). 

So  gross  auch  die  Talente  der  Schriftsteller  der  ukrainischen 
Gruppe  waren,  so  fiel  doch  nicht  auf  ihren  Tlieil,  sondern  aaf 
Mickiewicz  und  die  Litauer  der  Ruhm  des  vollen  und  defiuittTen 
Sieges  über  die  engen  Kegeln,  über  die  Nacfaabmungssucht  in  der 
Poesie  und  über  die  alte  Routine  der  Classicisteu.  Mickiewicz 
bildete  sich  in  Wilna  unter  dem  Eiufluss  der  Universitäts vor- 
trage und  der  Gesammtbestrebungen  eines  ganzen  Kreises  von 
jungen  Leuten,  aus  dem  uocli  sehr  viele  andere  mehr  oder  we- 
niger talentvolle  Schriftsteller  hcrvorgingeu.  Von  den  Profes- 
soren ist  er  vor  allen  Ernst  Groddeck,  dem  deutschen  Philologeu  ', 
und  Leo  Borowski  vcrptlicbtet;  nicht  ohne  Einfluss  auf  ihn 
blieb  der  Begründer  der  neuen  historischen  Schule  in  Polen,  der 
Historiker  Lelewel.  Wir  haben  uns  nun  in  Gedanken  in  die 
Wälder  Litauens  und  in  das  Jagictlonische  Wilna  zu  versetzen, 
die  Bediugungcn  zu  untersuchen,  unter  denen  sich  die  poetische 
Erziehung  des  litauischen  Sängers  vollzog,  und  bei  dieser  Ge- 
legenheit auch  die  Persönlichkeit  Lelewel's  zu  skizziren,  welcher 
eben  bei  der  in  Wilna  studirenden  Jugend  eine  grosse  Autorität 
gewann. 

Die  im  Jahre  1803  reorganisirte  Universität  Wilna  gelangte 
zu  einer  hohem  Blüte  nach  dem  Untergange  Kapoleon's  und 
nach  dem  Wiener  Gongress,  unter  der  Herrschaft  einer 
liberalen     Regierung,     unter     dem    Curatorium    de»    Fürsten 


■   Zyg.    Wcclcwski,    „Wiftdorouäü   o    ijcia    i    iiismauh   Godfr.    £rn. 
tirodka"  (Biographii!  üroddock'a.     Krakau  1876). 


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Joachim  Leiewel.  231 

Ädara  Czartoryski,  unter  den  Rectoren  Johann  Sniadecki  and 
Simon  Maleweki.  Die  alten  Jesuiten -Professoren  waren  aus- 
gestorben, zur  Vervollständigung  des  Personals  wurden  aus 
dem  Auslande  in  den  ersten  Jahren  des  10.  Jahrhunderts  viele 
gelehrte  Deutsche  und  Italiener  berufen  (Bojanus,  Groddeck, 
Langdorf,  Frank,  Teronghi,  Capelli;  der  Orientalist  Münnich). 
Die  Vorlesungen  wurden  polnisch ,  lateinisch  und  französisch 
gehaltfin.  Die  beiden  Brüder  Sniadecki  zeichneten  sich  durch 
Keinheit  der  Sprache  und  Klarheit  der  Begriffe  aus;  die  Literatur 
tmgen  zwei  Classicisten  vor,  Eusebius  ^owacki,  der  Vater  von 
Julius,  und  LeoBorowski;  später,  von  1822  an,  fand  die  deutsche 
Iranscendentale  Philosophie  einen  begabten  Vertheidiger  in  dem 
Schellingianer  Joseph  Gohichowski.  An  Mannichfaltigkeit  war 
somit  kein  Mangel.  Auf  dieser,  wenn  man  so  sagen  darf,  bunt- 
scheckigen UniversitÄt  bestieg  zuerst  1814—18,  dann  zum  zwei- 
ten mal  (nach  einem  kurzen  Aufenthalt  in  Warschau  von  1820 — 
24)  das  Katheder  der  allgemeinen  Geschichte  Joachim  Leiewel, 
eio  ehemaliger  Zögling  eben  dieser  Universität,  geboren  zu  War- 
schau 1786  '  Der  ursprüngliche  Name  dieser  Familie  ist  Loel- 
beffel  und  Loewenspning,  und  sie  stammt  aus  Preussen;  der 
Grossväter  Joachim 's  war  königlicher  Leibarzt,  der  Vater  poloni- 
sirte  sich  schon  ganz,  erhielt  1777  das  polnische  Indigenat  und 
warCassirer  bei  der  Educationscommission;  der  Sohn  unterschrieb 
sirh  schon  nicht  anders  als  „Mazure".  Joachim  wurde  sozusagen 
als  Literat  geboren;  die  Leidenschaft  zum  Schriftstellern  und  zu 
originellem  Wesen  trat  bei  ihm  fast  von  Jugend  auf  zu  Tage. 
Der  zehnjährige  Euabe  fertigte  schon  Compilationen  an,  machte 
AnsEÜgc  und  Tabellen  aus  seinen  Schulbüchern,  und  setzte  es 
sich  in  den  Kopf,  trotz  der  Ruthe,  dem  Sonnabend  fortwährend 
den  seiner  Ansicht  nach  richtigem  Namen  „Sechster"  (szestek, 
gebildet  wie  pi^tek  =  fünfter  Tag,  Freitag)  zu  geben.  Seine 
ersten  Arbeiten  begann  er  herauszugeben ,  als  er  noch  Stu- 
dent  in    Wilna    war    („Historyka" ;    „Edda    Skandinawska"; 


'  Die  Selbstbiographic  Lelewel's:  „Przygody  w  pogzokiwaniaoh  i  ba- 
äitiin  rzeczy  narodowycb  polskiub,  pvzez  Joachima  Lelewela"  (Poaeo  1858, 
^panski).  Seine  Briefe  an  Groddeuk  in  „Przew.  uauk  i  Üter.",  1876.  Die 
Ueraiugabe  Beiner  Briefe  wurde  von  ^upanski  zu  PoBen  1878  begonnen. 
Stino  Correapondonz  mit  Sienkiewicz  (Poeen  1872),  mit  Th.  Bulgarin  in 
i3iljUoteka  Warszawaka",  1877. 


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232  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

„Rzut  oka  na  Herule"  —  „Ein  Blick  auf  die  Heruler",  1807, 
1808).  Alle  seine  Kräfte  und  Fälligkeiten  gingen  in  dieBer 
Blicberwelt  auf,  sodass  fürs  wirkliche  Leben  nichtE  übrig 
blieb.  Im  praktiBchen  Leben  war  er  der  unbeholfenste  Mensch 
und  ein  Sonderling;  aber  sein  Geist,  ungewöhnlich  lebhaft 
und  thätig,  arbeitete  unaufhörlich,  indem  er  alles  combinirte 
und  gruppirte,  was  er  gelesen  und  sich  durch  sein  umfassendes 
Gedäcbtniss  angeeignet  hatte,  sowie  eine  zahllose  Menge  küh- 
ner und  neuer  Hypothesen  aufstellte.  Sonach  waren  in  dieser 
in  wissenschaftlicher  Beziehung  glücklichen  psychischen  Orga- 
nisation fast  in  gleichem  Grade  zwei  seltene  Bedingungen  ver- 
treten, die  sich  gewöhnlich  nur  getrennt  finden;  ein  ungewöhn- 
licher Fleiss  bei  Aneignung  des  umfangreichsten  und  schniack- 
losesten  Materials,  der  trockensten  Einzelheiten  —  und  der 
inductivste  Geist,  fähig  nach  einigen  gegebenen  Strichen  einen 
Charakter  oder  ein  Ereigniss  zu  reconstruiren.  Dabei  machte 
sich  auch  noch  ein  vollständiger  Mangel  an  Kunstsinn  bemerk- 
bar und  eine  vollständige  Unfähigkeit,  die  erschlossenen  und 
vorzüglich  begriffenen  Vorgänge  historisch  zu  zeichnen.  Lele- 
wel  spielte  eine  sonderbare  Rolle  in  allen  berathenden  Versamm- 
lungen, z.  B.  auf  dem  Reichstag  im  Königreich  Polen  und  bei 
der  revolutionären  Regierung  im  Jahre  1831,  wo  er  als  Blitz- 
ableiter für  die  übrigen  Mitglieder  dieser  Regierung  diente ; 
dem  Publikum  galt  er  für  einen  Radicaleu,  während  er,  ohne 
im  Geiste  mit  seineu  Collegen  zu  harmonireu  und  unter  Achsel- 
zucken, mit  der  Autorität  seines  Namens  Massregeln  und  Mei- 
nungen sauctionirte,  für  die  er  zuweilen  durchaus  keine  Sym- 
pathie hegte.  Aber  auf  dem  Katheder  war  er  wie  in  seinem 
Element;  als  Stubengelehrter,  der  die  Welt  nur  aus  Büchern 
und  mittels  der  Bücher  kannte,  musstc  er,  um  sich  zu  begeistern, 
das  Bruchstück  einer  Chronik,  ein  altes  Pergament  oder  eine 
alte  Münze  zur  Hand  haben.  Er  hatte  stets  mehr  Gedanken 
als  Worte ;  um  das  Aeussere  seines  Vortrags  bekümmerte  er  sich 
gar  nicht,  sodass  er  es  nie  lernte,  mit  seinem  Stile  zurecht  zu 
kommen,  der  bei  ihm  ganz  barbarisch  und  verworren,  aber  da- 
bei zugleich  lakonisch  und  originell  war.  Die  Abneigung  vor 
der  Routine  und  vor  ausgetretenen  Wegen  veranlasste  ihn  sogar, 
sich  seine  eigene  Rechtschreibung  zu  erfinden.  Vollständiger 
ÄBcet,  ledig,  ohne  Familie,  stets  isolirt  wirkend,  den  Nutzen  der 
Collectivarbeit  und  der  gelehrten  Gesellschaften  leugnend,  arbei- 


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Joachim  Lelewel.  233 

t«te  Lelewel  mit  dem  Fleisse  eines  Bolluiidisteii ,  sowie  zugleich 
überaus  schnell,  und  producirte  erstaunlich  viel,  schrieh  über 
die  Terscbiedenartigtiteo  Gegenstände  —  über  das  Schicksal  des 
aiten  Indiens  und  über  die  Regierung  Stanislaw  August's,  über 
die  Handelspolitik  der  Karthager,  über  die  alten  Sluveu,  über 
kafieche  Münzen  und  über  polnische  Chronisten;  arbeitete  alte 
Lehrbücher  um  („Teodor  Waga  przerobiony"  —  ,.Der  umge- 
iirheitele  Theodor  Waga")  und  verfasste  neue  („Dzieje  pow- 
szechne"  —  „Allgemeine  Geschichte");  gab  eine  Anleitung  zur 
Bibliographie  („Bihliograücznych  Ksi^g  dwoje")  und  alte  Denk- 
mäler der  polnischen  Gesetzgebung  („Ksi§gi  ustaw  potskich  i 
mazowieckich"  —  „Bücher  polnischer  und  niazurischer  Gesetze") 
heraus.  Jede  nationale  Einseitigkeit  lag  ihm  fern,  mit  der- 
*lbeii  Liebe  behandelt  er  die  chersonische  Tbür  der  Sophien- 
kircbe  in  Nowgorod,  wie  das  Heiligthum  in  Gnesen,  Russland 
«ie  Polen.'  In  der  polnischen  Geschichte  bat  er  am  meisten 
über  die  Piastenzeit  gearbeitet.  Seine  Collegen  an  der  Uni- 
»ereität  Wilns  verstanden  ihn  nicht  gehörig  zu  würdigen  *,  was 
ihn  auch  1818  veranlasste,  Wilna  zu  verlassen  und  sein  Glück 
in  Warschau  zu  suchen;  aber  die  Herzen  der  Jugend  blieben 
dem  Forscher  zugethan.  Die  Gesellschaft  bedauerte  seinen 
Verlust,  sodass,  als  Lelewel  zum  zweiten  mal  im  Jahre  1821 
anf  dasselbe  Katheder  berufen  wurde,  sich  seine  Rückkehr 
m  einem  förmlichen  Triumphzuge  gestaltete.  Sie  ist  unter 
anderm  auch  durch  die  Verse  bemerkcuswerth ,  die  Mickiewicz 
zu  seiner  Ehre   noch   im   classischen  Stil   verfasste.^    Uebrigens 


'  Agf  die  Bitlc  BulgarJD's  üchrieb  er  1821  für  dns  „SJ^vernyj  Archiv" 
«ine  Kritik  der  Geschichte  Kai-amzin'B.  InteresBant  sind  die  Briefe  Bul- 
nnu's:  ;,T)ie  ganze  im  MiniBterium  herrsuhendo  Parlai  wÜDscht  Knramzin 
m  demüthigen  wegen  seiner  Gei'ingsehätzung  gegen  Griechenland,  Rom. 
Thnkjdides  und  Tacitus.  —  Der  Anfang  der  Kritik  hat  SeuBation  gemacht; 
ffheut  haben  sich  über  sie  Olenin,  Speranakij,  Golicyn.  Alle  sagen:  was 
macht  ihr  Lelewel,  warum  ist  er  verstummt?"  u.  s.  w. 

'  Johann  Sniadecki  schrieb  Aber  Lelewel  an  Czartoryski:  „Ea  ist  ein 
üOfh  nicht  dnrchbildeter  Mann,  etwas  Pedant  in  deutschem  GcBchmack." 

'  .,0,  der  du  lange  unser  Abgott  warst,  von  neuem  kommst  du  zu  uns 
gekrwni,  u  Lelewel."  In  der  folgenden  Stelle  ist  die  Richtung  der  Yor- 
irige  Lelewera  dargestclll:  .,Die  Sonne  der  Wahrheit  kennt  weder  Aufgang 
noch  Untergang,  gleich  geueigt,  den  Stänimen  eines  jeden  Volkes  und  willig 
finem  jeden  Vaterlande    den  Tag  zu   spenden   und   hält  alle  Länder  und 


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234  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

war  es  Lelewel  nicht  lange  vergönnt,  Professor  za  bleiben. 
Der  Senator  Novosilcov  wurde  zum  Curator  in  Wilua  ernannt: 
es  begannnen  strenge  Verfolgungen  der  studentischen  Gesell- 
schnftan ;  Lelewel  ward  seines  Amtes  enthoben  nebbt  Gohi- 
chowski  und  vielen  andern  Collegen.  Er  kehrte  nach  Warschau 
Kurück,  ward  im  Jahre  1829  zum  Abgeordneten  gewählt,  nahm 
an  allen  Arbeiten  des  Landtags  theil  und  war  bis  zum  Ende 
des  Aufstandes  Mitglied  der  Revolutionsregierung  und  Präsident 
des  Clubs  der  Radicalen.  Er  rausste  ins  Ausland  ftüchten,  und 
das  bittere  Leben  eines  Heimatslosen  führen  ohne  Geld,  ohne 
Bücher,  ohne  die  Notizen  und  Auszüge,  auf  die  er  so  viel  Ar- 
beit verwendet  hatte.  Aus  Frankreich  vertrieben,  Hess  er  sich 
1832  in  Brüssel  nieder,  wo  er  29  Jahre  in  trauriger,  aber  frei- 
williger Armutb  verbrachte,  indem  er  seine  alten  Werke  um- 
arbeitete und  vervollständigte  („Polska,  dzieje  jej  i  rzeczj"  —  , , Po- 
len und  seine  Geschichte",  12Bde.,'1851 — 64),  neueArbeiten  her- 
ausgab auf  dem  Gebiete  der  Numismatik  („La  numismatique  du 
moyen  äge",  1835)  und  Geographie  („Pytheas  de  Marseille", 
,, Geographie  du  moyen  äge"),  und  sich  von  den  kümmerlichen 
Honoraren  zu  einigen  zehn  oder  hundert  Francs  für  den  Band 
nährte,  sich  manchmal  Brennmaterial  uud  warmes  Essen  ver- 
sagte, um  sich  irgendein  Buch  oder  einen  Atlas  zu  beschaffen. 
Er  starb,  76  Jahr  alt,  im  Jahre  1861  zu  Paria,  wohin  er  kurz 
vor  seinem  Tode  von  seinen  Freunden  gebracht  worden  war. 

Dieser  Stubengelehrte  und  menschenscheue  Mann  gründete 
eine  ganze  historische  Schule,  deren  Ideen  bis  in  die  letzte  Zeit 
herrschten;  erst  vor  kurzem  hat  man  angefangen,  sie  zu  bestrei- 
ten und  zu  verwerfen.  Die  historische  Theorie  Lelewel's  be- 
wegte sich  im  Geiste  der  Zeit  und  stellte  sieb,  nur  in  einer  an- 
dern Sphäre,  als  eine  Aeusserung  jenes  Strebens  dar,  in  das 
eigene  Volksthum  einzudringen  und  den  Inhalt  desselben  zu  be- 
greifen, welches  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  die  Romantik  und 
die  literarische  Renaissance  hervorbrachte.  —  Das  Postulat  war, 
in  der  Vergangenheit  so  besondere  und  eigenartige  Charakter- 
züge zu  ermitteln,  die  in  der  Geschichte  keines  andern  Volkes 
zu  finden  wären,  die  Wurzel  dieser  Besonderheiten  im  vorhisto- 
rischen slavischen  Alterthum  zu    suchen,   das  Wachsthum    und 


Völlccr  fürNachatc.   Daher  rauss,  wur  eich  iu  ihr  heiligstes  Antlitz  vertiefen 
will,  den  reinen  Kern  des  Menschen  bownbrcn." 


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Joachim  Lelewel.  235 

die  Fortschritte  des  Volkes  von  der  grösetea  Treue  desselben 
legen  seinen  Beruf,  seine  urBprÜDglicheD  I'i-iucipieu  abhängig 
^  zu  lassen ,  sowie  andererseits  seinen  Verfall  aus  dem  Abfall 
lon  diesen  Principien,  aus  der  Unterwerfung  unter  von  auswärts 
Angewehtes,  Fremdes  herzuleiten.  Dieses  Streben  ist  auch  der 
rassischen  Gesellschaft  sehr  wohl  bekaunt;  iu  der  Historiographie 
brachte  es  Karamziu's  „Geschichte",  S.  Solovjev's  Epos  der  Zu- 
sunmenTiiguug  Kusslauds  in  der  Form  der  Autokratie,  die  An- 
üehten  der  moskauischen  Slavopbilen  hervor.  Ber  Unterschied 
zvischen  diesen  und  den  Uistorikern  der  Schule  Lelewel's  ist 
der,  dass  jene  aus  der  gesammtslavischeu  Quelle  ihr  siiecihsch 
KoEsisches  ableiteten  und  verherrlichten,  die  letztern  aber  — 
ihr  specifisch  Polnisches.  Als  ein  solches  specifisch  slavisch-pol- 
nisches  Prinvip  erscheint  bei  Lelewel  die  Volksversammlung,  die 
ilavische  Gemeinde,  das  Volksrecht.  Als  Demokrat  war  er  sehr 
betrübt  über  die  Knechtung  der  Bauern  im  11.  Jahrhundert, 
fiihlte  eine  besondere  Zuneigung  zu  den  grossen  Vereinigern  des 
pobiscben  Landes,  Boleslaw  Chrubry  und  Lokietek;  Republikaner 
io  der  Seele  sab  er  im  Landtag  nur  eine  Umformung  der  alt- 
slkTifichen  Volksversammlung  und  nahm  von  diesem  Staudpuukt 
aus  eine  verächtliche  und  kritische  Stellung  zu  allen  im  Umlauf 
befindlichen  Reformtheorien  des  18.  Jahrhunderts  ein,  die  dar- 
nach strebten,  Polen  nach  fremdem  Typus  umzuformen,  mit  Be- 
schränkung der  Freiheit  des  Individuums  und  unter  Einführung 
der  Central Lsatiou ;  — das  durch  die  Aristrokratie  eingeschränkte 
Volksrecht  habe  man,  seiner  Meinung  nach,  nur  zu  erweitern, 
am  die  Verwirklichung  des  Ideals  zu  erreichen,  das  schon  von 
dem  ehemaligen  Polen  in  seinen  glücklichen  Epochen  erkannt 
worden  sei.  Das  unschätzbare  Verdienst  dieser  Schule  war  die 
Erwerbung  geistiger  Selbständigkeit  in  den  Ansichten  über  die 
eigene  Vergangenheit;  ihr  positives  Uebel  die  Idealisirung  aller 
eigenartigen  Besonderheiten  in  der  Vergangenheit,  ja  sogar  der 
Ungeheuerlichkeiten,  und  ihren  unzweifelhaften  Irrthum  bildete 
die  Annahme  gewisser  aprioristischer  Principien,  die  einer  Nation 
gevbsermassen  von  ihrem  Ursprung  au  innewohnen  und  ihren 
Benif  bilden  sollten.  Solche  Principien  gibt  es  weder  in  irgend- 
einer slavischen  Nationalität,  einzeln  genommen,  noch  im  Ge- 
saniintslaventbum  der  vorhistorischen  Zeit  überhaupt. 

Im  geistigen  Leben  der  litauischen  Gouvernements,  das  sich 
in  Wilna  concentrirto,  hatten  nicht  nur  die  Universitätsvortrage 

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236  Viertes  Eapitel.    Die  Polen. 

eine  wichtige  Bedeutung,  sondern  auch  die  mannichfachen  dor- 
tigen Gesellschaften,  zu  deren  Errichtung  im  ersten  Viertel  des 
19,  Jährhunderts  eine  allgemeine  Neigung  bestand,  die  noch  nicht 
durch  die  spätem  strengen  gesetzlichen  Verbote  beengt  wurde. 
Die  aller  Orten  verbreitete  Freimaurerei  war  auch  dort  vertreten; 
es  bildeten  sich  Vereine  zur  Unterhaltung,  zur  Erholung,  zur  Ver- 
vollkommnung in  den  Wissenschaften,  in  der  Literatur,  die  ihre 
ernsten  oder  scherzhaften  Statuten  hatten.  Ein  solcher  Verein 
hatte  der  im  Jahre  1817  von  dem  Adjuncten,  Secretar  und 
Bibliothekar  der  wilnaer  Universität  Kazimir  Kontrym  (gest, 
1836)  herausgegebenen  Wochenschrift  ,,Brukowe  wiadomoäci"  seine 
Entstehung  zu  verdanken.  Kontrym  bildete  eine  Redaction,  ein 
Bedactionscomite  dieser  Pubtication  und  stiftete  die  Gesellschaft 
der  „Schelme"  (szubrawcy),  welche  von  1817  —  22  bestand,  seit 
1818  anter  dem  Vorsitz  des  berühmten  Chemikers  und  Physio- 
logen Andreas  Sniadecki,  des  Bruders  von  Johann.'  In  vielen 
Beziehungen  dem  „Arzamas"^  ähnlich,  hatte  diese  Gesellschaft 
ihre  Sitzungen  und  Protokolle,  ihre  Würdenträger,  ihre  symbo- 
lischen Zeichen:  einen  Krug  Wasser,  aqua  fontis,  vor  dem  Prä- 
sidenten und  eine  Schaufel,  mit  welcher  der  Wächter  klopfte  zur 
Herstellung  der  Ordnung.  Allein  unter  dem  Scherz  bargen  sich 
ernstere  Absichten,  mit  der  Peitsche  der  Satire  verfolgte  man 
die  Fehler  der  Gesellschaft,  die  Trägheit,  die  Unwissenheit.  Die 
„Schelme"  waren  die  Fortsetzer  der  satirischen  Richtung  des  Kra- 
sicki  und  Naruszewicz  und  Verbesserer  der  Sitten ,  und  unter- 
zogen sich  selbst  einer  bestimmten  Discipliu;  sie  waren  verpflich- 
tet, sich  der  Trunkenheit,  des  Spiels  zu  enthalten,  zu  lesen,  an  den 
,,Brukowe  wiadomosci"  mitzuwirken.  Temer  trugen  sie  mytho- 
logische Namen  der  litauischen  Gottheiten;  der  talentvollste  von 
ihnen,  Andreas  Sniadecki  (Sotwaros),  entlehnte  von  Swift's  Gul- 
liver die  Form ,  welche  später  in  der  russischen  Literatur  mehr- 
mals der  wilnaer  Senkovskij  nachahmte,  in  den  Erzählungen  des 


'  P.  ChmielowBki,  „Towarzystwo  Szubrawixiw  i  J^rzej  Sniftdecki 
(in  Tygodnik  illustrowany,  1878,  Nr.  KW— 114).  In  „Rusakij  Archiv",  1874 
ist  eine  officiellea  Quellen  entnommene,  aber  kritiklos  und  ohne  jede  Kennt- 
niss  der  Saube  ^usainmcDgeH teilte  Skizze  der  wilnaer  GeBellschaften  von 
Baruliatcev  abgedraukt:  „Iz  iBtorii  vileiiskago  utebnago  okruga". 

'  Die  Artikel  von  J.  Domcjku,  „List  o  Filaret4icb  i  Filomatach"  (in 
Roüznik  towarz.  biet.  lit.  w  Paryzn,  1870—72). 


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Die  Fhilomathen  und  Philareten.  337 

Barons  Brambeus.  Die  „Schelme"  ergänzten  sich  aus  Leuten  rei- 
feien  Alters,  waren  Puristen,  Rationalisten  und  Classicisten.  Fast 
gleidizeitig  mit  der  Bildung  des  fröhlichen  Kreises  der  bejahrtem 
„Schelme"  constituirte  sich  1817  in  der  Jüngern  Generation,  untei' 
den  Studenten,  ein  geselliger  Kreis  aus  einigen  Personen  (zuerst  5, 
daon  bis  14),  der  sich  von  allen  politischen  Zwecken  fernhielt  und 
sich  nur  die  geistige  und  moralische  Vervollkommnung  und  Eiit~ 
Wickelung  zur  Aufgabe  stellte.  Dieser  enge  Kreis,  der  fest  zusam- 
menhielt, aber  nicht  in  die  Oeffentlichkeit  trat,  diePhilomathen. 
diente  als  Leiter  und  Kern  für  eine  zweite,  umfangreichere  und 
gani  öffentliche  Organisation,  die  der  sogenannten-  Philareten. 
Kinige  hundert  Studenten  zeichneten  sich  bei  den  letztern  ein ;  die 
Statuten  dieser  Verbindung  wurden  im  Mai  1820  von  demRector 
S.  Malewski  bestätigt,  worin  sie  ,,eino  Brüderschaft  nützlicher 
Unterhaltung"  (bracia  po2ytecznej  zabawy)  genannt  werden.  Die 
Mitglieder  waren  nach  den  wissenschaftlichen  Disciplinen,  denen 
sie  oblagen,  in  Abtheilungen  eingetheilt.  Die  Gruppen  arbeiteten 
eiDzdn,  es  gab  auch  allgemeine  Versammlungen  und  Spaziergänge 
aauerhalb  der  Stadt.  Die  Seele  sowol  der  öffentlichen  Gesellschaft 
der  Philareten  als  auch  der  leitenden  der  Philomathen  war  Tho- 
mas Zan.  Der  Bund  der  Philareten  war  ganz  derselben  Art  wie 
die  studentischen  Tugendbünde  in  Deutschland;  die  Zeit  seiner 
Bildung  fiel  mit  den  Jahren  der  stärksten  Reaction  gegen  Bünde 
solcher  Art  in  Europa  und  gegen  alle  Arten  von  Gesellschaften 
überhaupt  in  Rnssland  zusammen.  Im  Jahre  1822  erfolgte  eine 
Anordnung  des  Garators  Czartoryski,  welche  die  Schliessung  der 
Gesellschaft  der  Philareten  zur  Folge  hatte,  was  jedoch  1823 
eine  Untersuchung  gegen  die  Theilnehmer  an  derselben,  welche 
dem  Senator  Novosilcov  übertragen  ward,  nicht  verhinderte.  Czar- 
torjski  nahm  seinen  Abschied  (1824),  an  seine  Stelle  trat  sein 
poUtischer  Gegner  Novosilcov',  abgesetzt  wurden  die  Professo- 
ren Lelewe),  G<^chowski,  Dani}owicz  —  die  glänzende  Epoche 
der  wilnaer  Universität  war  zu  Ende.  Von  so  kurzer  Dauer 
■Dch  die  Thättgkeit  der  Brüderschaft  der  Philomathen  war,  ihr 
£inflnss  erwies  sich  auf  ihre  Mitglieder  als  ausserordentlich 
gross  und   überaus  wohlthätig:   er  bestand   nicht  nur  in  einem 


'  Vgl,  die  ChsrakteriBtik  Novosiloov'a  im  Artikel  von  CyprinuB 
i.I'neclftWBki):  »Eia  Kaleidoskop  voa  RemiDiscenzen"  (in  „Rueskij  Archiv" 
1872,  Nr.  9). 


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238  Vierten  Kapitel.    Die  Polen. 

literarischen,  sondern  nuch  in  einem  allseitigen  moralischen  Aub- 
tauRch;  das  Volksthum  stellte  sich  infolge  seiner  oben  gezeigten 
Wiederbelebung  in  der  Romantik  von  einer  ganz  neuen  Seite 
dar,  als  etwas  Neues,  noch  nicht  scharf  Bestimmtes,  aber  un- 
säglich Hohes;  um  es  sich  ganz  anzueignen,  musste  man  sowol 
geistig  als  sittlich  wiedergeboren  werden,  und  sich  gänzlich  dem 
Dienste  der  Wahrheit  und  des  Guten  weihen.  In  der  Strenge 
ihrer  Moral  waren  die  Philomathen  noch  grössere  Puritaner,  als 
die  „Schelme",  aber  nicht  Satiriker,  sondern  Enthusiasten,  nicht 
Classicisten,  sondern  Lente,  die  nach  neuen  ästhetischen  Formen 
für  die  Wiedergabe  des  sie  begeisternden  Inhalts  suchten.  Dir 
Gesellschaft  der  Philareten  hatte  Zan  organisirt,  aber  gleich  von 
der  ersten  Zeit  an  ward  der  beliebteste  der  Genossen,  der  allen 
am  Herzen  lag  und  auf  den  alle  ihre  Hoffnung  setzten,  Mickie- 
wicz,  zu  dessen  Biographie  in  den  letzten  15  Jahren  sehr  viel 
Material  gesammelt  worden  ist.  Diese  Daten  legen  bis  ins 
Einzelne  das  Leben  und  die  Wirksamkeit  des  eigenthiimlichen 
Msnnes  klar,  der  bis  heute  den  Culminationspunkt  in  der 
polnischen  Literatur  bildet.'  Mickiewicz  gehört  zu  der  Zahl 
der  seltenen  Dichter,  die  als  ToUständig  fertig  auftreten,  in  der 
Gesammtrüstung  eines  vollständig  entwickelten  und  sehr  viel- 
seitigen Talents,  und  deshalb  auch  nur  eine  verhältnissmässig 
kurze  Dauer  ihrer  poetischen  ThÜtigkeit  haben.  Für  Mickiewicz 
reichte  diese  Zeit  von  der  Ausgabe  seiner  ersten  Gedichtsamm- 
lung, 1822,  bis  zur  Beendigung  des  „Pan  Tadeusz"  im  Jahre  1834, 
aber  sie  kann  in  zwei  Theüe  verschiedenen  Charakters  getheilt 


*  „KorreBpondencya  Adama  Mickiewioza"  (2  Bde.,  Paris  1870—72).  — 
„Wspötudxiat  A.  Mickiewicza  w  aprawie  Towianskiego "  (die  TheJInabnie 
Mickiewicz'  an  der  Sftcbe  Towiaüski'»,  2  Bde.,  Paris  1877).  -  A.  E.  Ody- 
niec,  „Liüty  z  podrözy"  („Briefe  von  der  fieiae".  4  Bde.  Warschau 
1875—78).  —  Der  Artikel  von  A.  Typrinua  über  Mickie\¥ica  in  Rueük. 
Arohiv,  1872,  Nr.  10.  Der  Artikel  der  Frau  DuohiÄska  im  1.  Bde.  der 
„Biblioteka  WarMawska",  1871,  in  der  Abtheiluiig  „Chronik  des  Aue- 
lande«".  —  Bemerkungen  und  Ergänzungen  in  M^lauges  poBthumes  d'  A.  M.. 
herauagegeben  von  dessen  Sohne  in  Paris:  1.  Serie  1872,  2.  Serie  1879. 
„Epiaode  ana  den  Memoiren  M.  Malinowski's  über  den  Aufenthalt  von 
A.  M.  in  Paria"  (in  Kronika  rndzinna,  1875,  S.  359,  377).  —  W.  Koro- 
tynski,  „Kilka  szczegölüw  o  rodzinie,  iniejscu  urodzenia  i  mtodofioiA. M" 
(Wilna  1861).  — Alb.  0%siorowski,  „Ad.  Mickiewicz  od  wyjazdu  z  Pe(«n- 
l>urga  i  Pan  Tadeusz"  (Wadowice  1874). 


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Adftm  Mitikiewiez.  239 

werden  durch  den  Aufstand  im  Jahre  1830 — 31.  Die  Haupt- 
momente  im  Leben  und  in  der  Wirkeawkeit  des  Dichters  waren 
folgende. 

Adam  Mickiewicz  wurde  im  Dorfe  Zaosie  hei  Nowogrödek 
im  GonTemement  Minsk '  gehören  am  Weihnachtsabend,  24-  De- 
cember  1798  (also  fünf  Monate  früher  als  Puäkin,  der  am 
2&  Juni  1799  geboren  ist),  und  stammte  aas  dem  alten  litaui- 
schen Geschlecht  der  Rymwid- Mickiewicz,  welche  das  Wappen 
Poraj  und  den  Fürstenbut  darin  führten.  Dem  Vermögen  nach 
gehörte  dieses  Geschlecht  dem  Kleinadel  an;  der  Vater  Adam's 
nr  anbegutert,  besass  nur  ein  Häuschen  in  Nowogrödek  und 
betrieb  die  Advocatur,  womit  er  eine  zahlreiche  Familie  von 
fünf  Söhnen  zu  erhalten  hatte,  von  denen  der  eine,  Alexan- 
der, später  Professor  des  römischen  Rechts  an  der  Universität 
Charkow  war.  Adam  war  von  den  Brüdern  der  Zweitälteste. 
Den  kränklichen  und  schwachen  Knaben  liess  die  Amme  un- 
Torüchtiger  Weise  zum  Fenster  hinausfallen,  seine  wunder- 
bare Rettang  schrieb  die  Familie  dem  Beistand  der  Mutter 
Gottes  der  Ostrabrama  (des  „Spitzen  Thores"  in  WÜna)  zu.* 
Im  zehnten  Jahre  gab  man  Adam  in  die  Schule,  zu  den  Do- 
minikanermönchen in  Nowogrödek.  Im  Jahre  1812  war  er  als 
Tierzehnjähriger  Knabe  Zeuge  des  grössten  Ereignisses  im  ersten 
Viertel  des  19.  Jahrhunderts  —  des  Feldzugs  Napoleon's  nach 
Rnssland,  der  sich  unter  den  regen  patriotischen  Hoffnungen 
vollzog,  welche  von  der  Mehrzahl  der  Polen  auf  Napoleon 
gesetzt  wurden,  während  eine  bei  weitem  geringere  Zahl  von 
ihnen  auf  Alexander  hoffte.  Dieses  Ereigniss  blendete  den  feu- 
rigen Jüi^ling  wie  eine  Lichterscheinung  und  prägte  sich  sei- 
nem Gedächtniss  auf  ewig  ein.  Das  Haus  seiner  Aeltern  wurde 
nun  Hauptquartier  des  Königs  von  Westfalen  genommen  (Od. 
III,  54).  Mit  Napoleon  gingen  polnische  Legionäre,  die  weissen 
Adler  zogen  vereint  mit  den  goldenen  Adlern  des  ersten  Kaiser- 
reichs.      Beide    Vorstellungen    verbanden     sich    untrennbar    in 


'  Eorreap.  AiJanii  Mick.  I,  328.    Brief  von  Alex.  Mickiewicz'. 

*  „PftD  TodeuBz",    1.  Gesang,  Ueberaetzung  von  S.  Lipiner: 
„Wie  mich  ala  Kind  dein  Wunder  einst  gesund  gemacht, 
Als  von  der  weiDenden  Mutter  in  deinen  Schntz  gegeben 
leb  du  eretorb'ne  Auge  erhob  zu  neuem  Leben." 

Vgl  Odyniec,  „Liety  z  podrö/y",  III,  69. 


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2^  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Mickiewicz'  Seele ' ,  der  sich  an  dem  Anblick  der  eclinurrbär- 
tigen  Heiden  berauschte,  indem  er  versteckt  hinter  dem  Zaune 
des  Aelternhauses  auf  sie  guckte,  und  der  von  da  an  Napoleonist 
wurde,  in  Rom  1829  (Od.  III,  4)  die  Rückkehr  der  Dynastie 
auf  den  Thron  prophezeite  und  für  den  Gefangenen  von  St.  He- 
lena eine  Art  von  Gultus  hegte,  der  gegen  das  Ende  seines 
Lebens  immer  mystischer  wurde.  Mickiewicz  lernte  gut,  und  da 
sein  Onkel  zu  Wilna,  der  Priester  Joseph  Mickiewicz,  das  Amt 
des  Dekans  der  naturwissenschaftlichen  Facultät  bekleidete,  ko 
schickte  man  ihn  1815  zu  diesem  Onkel,  in  der  Hoffnung,  er 
werde  an  der  Universität  ein  Staatsstipendium  erhalten.  Es 
war  nur  eine  Vacanz  vorhanden,  aber  zwei  Bewerber:  Adaoi, 
voi^escblagen  vom  Dekan,  und  Thomas  Zan,  vorgeschlagen  von 
Kontrym.  Beide  Bewerber  befreundeten  sich  gleich  hier,  bei  der 
ersten  Begegnung  in  der  Prüfung ;  das  Stipendium  empfing  Mickie- 
wicz und  Zan  wurde  von  Kontrym  aufgenommen  (Od.  I,  309). 
Beide  traten  in  die  philologische  Facultät  ein,  beide  schrieben 
Verse,  beide  gingen  durch  die  strenge  Schule  des  cla^Bischen 
Geschmacks  in  den  Vorlesungen  und  Uebungen  hei  Leo  Bo- 
rowski.  Mickiewicz  las  sich  in  die  Uebersetzung  Tasso's  von 
Peter  Kocbanowski  und  in  Trembecki  stark  ein,  machte  sich 
mit  den  alten  Römern  und  Griechen  durch  Groddeck,  mit  der 
allgemeinen  Geschichte  durch  Lelewel  bekannt,  aber  seine 
ersten  Versuche  in  der  Poesie  versprachen  nicht«  Besonderes 
—  es  waren  Versuche  im  didaktischen  Genre.  Dabin  gehört 
die  „Zyma  miejska"  („Der  Stadtwinter",  gedruckt  1818  in 
Tygodnik  Wilenski),  eine  Darstellung  der  Winterunterhaltungen 
und  -Vergnügungen  in  der  Stadt.  In  demselben  classiscben 
Stil  sind  später  die  Verse  an  Joachim  Lelewel,  an  Doctor  S-, 
die  Dichtung  „Das  Damenspiel"  geschrieben.    Der  Dichter  trug 


■  0  Frühlingl    Wer  dich  bei  aaa  geseh'ii  in  jener  ZeitI 
Denkwürdiger  Frühling;  des  Krieges,  Frühling  der  Fruchtbarkeit! 
0  Frühling,  wer  dich  geaeheo,  voll  üppiger  Blüten  hangend, 
Voll  Garben  und  Grün  —  und  hell  von  Menschenscharen  prangend, 
Reich  an  Begebenheiten,  voll  Hoffnungen  im  Schost 
Du  etehst  vor  mir  noch  heut,  du  Traumbild  schön  und  gross! 
In  Kneehtiohaft  geboren,  als  Säugling  schon  in  Ketten  gebannt 
Hab'  ich  im  Leben  nur  Einen  solchen  Frühling  gekannt. 

(Fu  Tid.  XI.  Q«.,  Uabtn.  Lipiaar^) 


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Adam  Mickiewici^.  241 

sich  lange  mit  dem  Plane  eines  grossen,  halb  epischen,  halb  be- 
ec^ibenden  Wertes:  „Die  Kartoffel"-,  er  wollte  im  heroischen 
Theil  die  Entdeckung  Amerikas  darstellen,  und  im  didaktischen 
einen  Umriss  der  Landwirthechaft  und  des  Landlebens  geben. 
Aber  diese  classischen  Uebungen  wurden  bald  bei  Seite  gelegt; 
die  Welle  der  Romantik  unterwühlte  den  Boden,  der  Anstoss  zum 
Streben  nach  etwas  Neuem  ging  von  Zan  aus ;  eine  der  Elegien 
des  letztem  überraschte  Mickiewicz  durch  die  Unmittelbarkeit  des 
tiefnhls  bei  Einfachheit  des  Inhalts  und  brachte  ihn  auf  den  Ge- 
danken, dass  man  die  Poesie  in  der  „Wahrheit"  des  Lebens  suchen 
müsse,  und  nicht  umgekehrt  (Od-  I,  356).  Sie  wohnten  im 
Jshre  1818  im  Universitätsgebäude ,  auf  demselben  Gorridor 
hatte  auch  der  Professor  der  russischen  Literatur  Cemjavskij  sein 
Quartier;  den  letztern  Sohn,  ein  von  jenen  beiden  geliebter  Knabe, 
declamirte  ihnen  einstmals  mit  Entzücken,  däs  auch  die  Hörer 
theilten,  eine  von  ihm  gelernte  eben  erschienene  Ballade  Zukov- 
skij's  vor  —  „Ludmila",  eine  Bearbeitung  von  Bürger'«  „Lenore". 
Beide  begannen  Balladen  zu  schreiben,  zuerst  Zan,  dann  Mickie- 
wicz. ■  Die  erste  Ballade  des  letztern,  „Die  Lilien",  ist  nach  einer 
Tolksthömlichen  Erzählung  geschrieben,  mit  Beimischung  der  un- 
vermeidlichen  Leichname    und  Gespenster.     Nach   „Den  Lilien" 


■  Mickiewicz'  Sohn,  Wlndyslaw,  hat  id  der  2.  Serie  (1879)  der  „Ue- 
langes  poBthumes  i\'  A.  M."  zwei  anonyme  Erzählungen  in  Prosa  abge- 
druckt, entnommen  auH  dem  Tygodnik  Wileiieki  für  das  Jahr  1819,  „2y  wi)a" 
aod  „Karylä",  als  von  »einem  Vater  verfaest,  whb  er  vcin  einem  (nicht  ge- 
oaDnMD)  Freunde  desselben  erfahren  haben  will.  Die  eiazigen  Beweise, 
duE  diese  Erzählungen  Hickiewioz  angehören,  beruhen  nebeo  jeuer  sehr 
unbeetioimteD  Tradition  auf  dem  Umstände,  dass  in  „Karyla"  ein  Ritter 
Paraj  aU  handelnde  Person  auftritt,  und  dies  der  Name  des  Mickiewicz'- 
'theL  Wippens  und  eine  von  deo  Personen  ist,  welche  in  dt^n  Fragmenten 
des  l.Theils  der  „Ddady"  vorgeführt  werden.  I'ieHo  Beweise  seheinen  uns 
nicht  genügend  und  übenteugend  zu  sein.  Beide  Erzählungen  verrathen 
weder  in  ihrem  ärmlichen  Inhalt  nouh  in  ihrem  cuorueen  Stil  auch  nur 
dnrch  einen  einzigen  Zug  Talent,  man  gewahrt  darin  weder  etwas  von  der 
Plastik,  die  Hickiewicz'  ersten  Versuchen  im  classischen  Genre  eigen  ist, 
noch  jenes  Wehen  eines  neueu  Geistes,  das  Vei-standuiss  und  die  Aneig- 
DDDg  der  Volk stbüni lieben  Poesie,  wovon  alle  seine  romantischen  Werke 
»Ht  1618  durchdrungen  sind.  Es  ist  unmöglich ,  dasN  Mickiewicz ,  der 
Odjniec  alle  Umstände,  die  das  Entstehen  seiner  Poesie  begleif«ten,  mit- 
tbeQte,  lowol  ihm  als  allen  andern  gegenüber  von  diesen  Erzählungen  ge- 
Khwiegen  haben  sollte,  wenn  sie  wirklich  von  ihm  verfasst  wäien. 
?ini,  SUilich*  Lltarktonn.    II,  I.  i  ii 


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242  Viorteg  Kapitel,    Die  Polen. 

folgten  andere  Balladen.  Als  er  sich  von  diesem  romantischen 
Zubehör  schon  beträchtlich  freigemacht  hatte,  theilte  Mickie- 
wicz  1829  und  1830  in  einer  Unterredung  Odyniec  seinen 
Standpunkt  in  der  Poesie  mit,  einen  Standpunkt,  der  einerseits 
vollständig  realistisch,  andererseits  religiös  war.  Die  Quel- 
len der  Poesie  sind  ihm  Wirklichkeit  und  Wahrheit.  Die  Poesie 
wird  geboren,  wenn  der  Dichter  sein  Eigenes  (d.  i.  das  Volks- 
thümliche)  empfunden  und  liebgewonnen  hat.  Gegenstände 
und  Empfindungen,  aus  Büchern  entnommen,  sind  dasselbe, 
was  getrocknete  oder  künstliche  Blumen  (1,  343).  Mickiewicz 
hatte  die  ungünstigste  Meinung  von  der  „Renaissance",  die  den 
Geist  der  KünBtler  in  ein  ganzes  Meer  der  Nachahmung  versenkt 
habe  (Od.  III,  22).  Die  Renaissance  bat,  seiner  Ansicht  nach, 
durch  jenes  Nachahmen  des  Heidnischen  die  christliche  Poesie, 
die  sich  schon  in  der  Wahrheit  des  mittelalterlichen  Gefühls 
entwickelt  hatte,  getödtet  (I,  139),  doch  vergöttei-te  er  auch 
die  Volkspoesie  nicht.  Diese  sei  nicht  die  Quelle  der  Poesie;  sie 
schöpfe  unmittelbar  und  zwar  mit  blosser  Hand,  wie  das  Dorf- 
mädchen das  Quellwasser,  das  alsdann  mittels  der  Wasser- 
leitungen nach  der  Stadt  in  die  Springbrunnen  geführt  werde 
(I,  343).  Das  Wesen  der  Romantik  bestehe  darin,  dass  die  Bo- 
mantiker  schrieben,  indem  sie  die  nackte  Wahrheit,  wie  einen 
lebendigen  Körper  vor  sich  hätten ,  die  Classicisten  aber  sich 
mit  Puppen  begnügten  (IV,  301).  Die  Classicisten  verstünden 
unter  Form  nur  die  Architektonik  des  Gedankens  und  die  Rhe- 
torik des  Stils-,  Mickiewicz  aber  verstand  darunter  die  Harmonie, 
den  Ton  und  das  Colorit  des  Wortes,  die  sogar  schon  unabhängig 
vom  Inhalt  einen  poetischen  Eindruck  machten.  Aber  er  trennte 
in  der  Poesie  nie  das  Aesthetische  vom  Ethischen.  Die  Eigenthüm- 
liebkeit  sowol  der  Zeit,  in  derem  Geiste  das  Streben  zu  allseitiger 
Wiederbelebung  lag,  als  des  Kreises  von  Jünglingen,  in  welchem 
sich  Mickiewicz  entwickelte,  bestand  darin,  dass  die  poetische 
Wahrheit  nur  als  eins  von  den  Mitteln  zur  sittlichen  Wahrheit 
angesehen  wurde,  nach  der  die  Welt  dürste,  und  zu  der  sie 
sich  den  Weg  durch  die  Kunst  bahne,  aber  nicht  durch  die 
abgelebte,  höfische,  manirirte,  nachäifende  Kunst,  sondern  da- 
durch, dass  aus  der  Wirklichkeit  neue  ästhetische  Formen  ab- 
geleitet würden.  Formen,  die  in  der  Volkspoesie  zu  suchen  seien, 
in  welcher  die  Natur  immer  über  die  Kunst  vorherrsche  (1, 138). 
Allein  auch  die  Volkspoesie  konnte  für  Mickiewicz  nicht  das  sein, 

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Adam  Mickiewicü.  24'j 

vi£  nie  fiir  Goszczyöski  war:  das  Alpha  und  Omega;  sie  hat 
einen  zu  eDgen  geistigen  Horizont  und  ist  zu  elementar.  Die 
Hanptquelle,  aus  welcher  die  höhere,  poetische  Begeisterung 
strümt,  ist  die  Religiosität,  die  Offenbarung  der  Wahrheit  für 
die  Seele,  die  von  Demutb  durchdrungen  und  geneigt  ist,  jene 
anfjnnehmen.  Von  Anfang  bis  zu  Ende  seiner  geistigen  Thätig- 
keit  war  und  blieb  Mickiewicz  der  tiefsinnigste  Dichter,  in  reli- 
giöser Beziehung.  Zu  dieser  Religiös! tut  disponirten  ihn  sowol  die 
enten,  stärksten  Eindrücke  derKindheit,  die  Verehrung  der  Gesund- 
heit spendenden  Mutter  Gottes,  die  Erinnerung  an  die  erste  Com- 
nrnuion  ',  als  das  eigene  Temperament,  die  Neigung  zu  ekstatischen 
Zuständen  der  Seele,  zu  plötzlicher  poetischer  Thätigkeit,  nach 
eiDer  plötzlich  eingetretenen  Begeisterung.  Er  war  ImproTisator, 
konnte  Stunden  lang  in  Versen  reden,  sein  Gesicht  glühte,  die 
Aageu  glänzten,  zuweilen  vermochte  er  sogar  nicht  den  Sinn 
alles  dessen  zu  erklären,  was  er  im  Augenblick  gesagt  hatte, 
wenn,  nach  dem  Ausdruck  Puskin's,  „der  schnelle  Schauer  der 
Begeisterung  die  Haare  auf  der  Stirn  aufrichtete."  Die  Kameraden 
kannten  und  achteten  diesen  mystischen  Winkel,  dieses  Heiligthum 
persöalicher  Empfindungen  und  religiöser  Gefühle,  über  die  Mickie- 
wicz nicht  einmal  zu  sprechen  liebte,  geschweige  denn  zu  dispu- 
tiren.  Die  damalige  Gesellschaft  zeichnete  sich  durchaus  nicht 
«lareh  Frömmigkeit  aus,  sie  stand  in  lebendiger  und  naher  Be- 
rühnmg  mit  den  Lehren  der  Encyklopädisten  und  den  Ideen 
der  französischen  Revolution,  allein  zu  gleicher  Zeit  sprach  sich 
Khon  damals  in  ganz  Kuropa  eine  lieaction  gegen  die  materia- 
lifttiachen  Lehren  des  18,  Jahrhunderts  aus:  in  der  polnischen 
Gesellschaft  veranlasste  diese  Reaction  die  Menschen,  sich  in 
ilie  conserrativsten  Principien  des  ^'olksgeistes  zu  versenken  — 
in  seine  Vergangenheit,  in  seine  Glaubensvorstellungen.  Wenn 
der  eingefleischte  Rationalist  Johann  ^niadecki  infolge  dieses 
Dranges  aufrichtig  religiös    wird,    wobei    er  vernunftgeraäss    die 


'  Gustav  iu  Dziady,  IV,  aacli  der  L<^Bart  der  iiRriHer  Ausgabe  viiu  Mitikie- 
"ira'  Werkeo,  ISGO,  llt,  IST;  „Weiset  iln  noch,  wie  du  ueun  oder  zehn 
Jibre  alt  warst  und  zum  ersten  mal  iu  Vf  rzückunft  des  (ieistes  am  (ieländ.'r 
Mt  den  Knieen  la^xt,  zerkntrscbt  ....  uud  sich  plnlzlbh  auf  dem  Altar  der 
Vorhang  öffnete,  der  Kelch  erglänzte,  die  lilöeke.hen  ertönten  und  der 
Priester  in  deinen  Muud  den  Leih  Uotlea  legte?  ...  —  Ach,  duinala  schien 
w  mir,  daBs  sich  meine  Seele  von  mir  trenue." 


16* 


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244  Tiertea  Kapitel.    Die  Polen. 

äu8sersteD  Gegeneätze  zu  versöhnen  suchte,  so  liessen  umgekehrt 
neben  der  vollen  Freisinnigkeit,  welche  die  TTniversitätsvorträge 
in  Wilna  auszeichtiete,  und  der  Indifferenz  der  Jugend  gegenüber 
der  Erfüllung  religiöser  Ceremonien,  die  jungen  Leute,  welche  als 
Romantiker  und  Antirationalisten  auftraten,  mit  einem  male  die 
reale  Existenz  von  Dingen  zu,  von  denen  sich  nach  den  Worten 
Hamlet^B  unsere  Philosophen  nichts  träumen  lassen,  hielten  es 
für  durchaas  möglich,  sowol  mit  dem  persönlichen  Gott  als  mit 
der  unsichtbaren  Welt  der  Geister  unmittelbar  zu  verkehren. 
Zwischen  den  beiden  Generationen,  von  denen  die  eine  von  den 
Sniadecki  geleitet  wurde  (der  Rationalismus  and  die  positive  Re- 
ligion), während  die  andere  von  jungen  Leuten  gebildet  wurde, 
welche  für  die  neue  Weltanschauung  einen  Ausdruck  suchten, 
trat  ein  Zwiespalt  und  Conflict  ein.  Diese  Spaltung  formulirte 
Mickiewicz,  indem  er  das  Kriegsprogramm  der  neuen  Richtung  in 
seiner  Ballade  „Die  Romantik"  („RomantycznoS^")  aufstellte, 
wo  ein  Mädchen  vorgeführt  wird,  welches  sich  einbildet,  mit  ihrem 
verstorbenen  Geliebten  zu  reden,  ferner  ein  Volkshäufe,  der  fiir 
die  Seele  des  Verstorbenen  betet,  in  dem  Glauben,  dass  diese 
ii^endwo  in  der  Nähe  der  Geliebten  weile,  und  ein  Weiser 
mit  einem  Stückchen  Glas  (obgleich  er  nicht  genannt  ist, 
so  hat  dem  Dichter  doch  offenbar  die  Gestalt  des  Johann 
äniadecki  vorgeschwebt),  der  mit  Selbstvertrauen  verkündet: 
glaubt  meinem  Auge  und  Glase,  ich  sehe  nichts;  Geister  sind 
eine  Frucht  des  Kneipenpöbels,  sind  gehämmei't  in  der  Schmiede 
der  Dummheit,  das  Mädchen  schwatzt  Unsinn  und  der  Pobel 
beschimpft  den  Verstand.  Der  Dichter  antwortet  dem  Weisen: 
„Das  Mädchen  fühlt  und  der  Pöbel  glaubt  tief,  Gefühl  und 
Glaube  sind  für  mich  stärker  als  die  Augen  und  die  Gläser  des 
Weisen.  Dir  sind  nur  todte  Wahrheiten  bekannt,  fremd  dem 
Volke,  du  siehst  sie  im  Pflänzchen,  in  jedem  Stemenfunken,  aber 
kennst  nicht  die  lebendige  Wahrheit,  siehst  nicht  das  Wunder: 
habe  ein  Herz  und  schaue  ins  Herz!'"  In  diesem  Appell 
an  das  Gefühl  birgt  sich  sowol  die  grosse  Kraft  als  die  ganze 
Einseitigkeit  der  polnischen  Romantik  im  allgemeinen  und  der 
Richtung  von  Mickiewicz  im  besondern.  Es  war  nöthig,  die  Rou- 
tine und  die  trockene  mathematische  Deduction   zu  überwinden. 


'  Dzittdy,  IV; 
den  Himmel.  . .  ." 


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Adam  Mickiewicz.  245 

sie  waren  auch  nirklich  durch  eine  neue  Art  der  Poesie,  durch 
iieae  Methoden  der  Untersuchung  und  durch  Vertiefung  des  For- 
schungsgebiets überholt;  aber  die  jungen  Kämpfer  hatten  das 
Bewusstsein  der  Kraft  ohne  den  BegrifT,  worin  sie  bestehe,  und 
die  oene  Kicbtung  wurde  definirt  im  Sinne  einer  Verneinung  der 
Reflexion,  im  Sinne  einer  Befestigung  der  Herrschaft  des  Gefühls 
über  den  Verstand,  dessen  Rolle  nur  eine  untergeordnete  sein 
sollte.  Nach  Mickiewicz's  Meinung  wäre  es  nicht  genug,  die  wirk- 
liche Wahrheit  zu  kennen,  man  müsse  sich  auch  von  ihrem 
Licht  und  ihrer  Wärme  durchdringen  lassen,  dann  erst  werde 
man  wirken  wie  die  Sonne  und  nicht  wie  ein  Spiegel,  der  die 
Strahlen  reflectirt  und  Lichtflecke  an  die  Wand  wirft  (III,  283). 
Bftllade  folgte  auf  Ballade';  die  stärkste  Froductivität  begann, 
als  Mickiewicz  nach  Absolvirung  der  Universität  Wilna  ver- 
lies« und  zum  Lehrer  der  lateinischen  Sprache  in  Kowno  er- 
imnot  wurde.  Zwischen  dem  Lehrer  in  Kowno  und  seinen 
Freunden  zu  Wilna  bestand  die  engste  Verbindung;  sie  besuch- 
teD  ihn,  sangen  seine  Lieder,  dachten  an  die  Beschaffung  von 
Mitteln,  ihn  zur  weitern  Ausbildung  ins  Ausland  zu  senden  und 
die  erste  Sammlung  seiner  Gedichte  zum  Druck  zu  befördern.  Er 
kmn  selbst  nach  Wilna,  um  die  „Ode  an  die  Jugend"  und  „Gra- 
^na"  zu  lesen.  In  ihrem  Kreise  wurde  es  zur  zweifellosen  That- 
sache,  dass  ein  grosser  Dichter  geboren  sei,  als  von  den  altern 
Leuten  noch  niemand  etwas  von  ihm  wusste.  Während  seiner 
Lehrtbätigkeit  in  Kowno,  welche  von  1820 — 23  dauerte,  ward 
die  Seele  des  Dichters  von  der  ersten  starken  Leidenschaft  er- 
regt, welche  nach  den  Worten  von  Freunden  (Korr.  II,  6)  Spuren 
hiuterliess,  wie  ein  Waldbrand.  Dieser  erste  Roman  ist  äusseret 
schlicht  und  einfach.  Im  Jahre  1818,  zur  Zeit  der  Hundstags- 
ferien,  brachte  Zan  seinen  Freund  Mickiewicz  zu  der  bekann- 
ten reichen  Gutsbesitzerfamilie  Wereszczak  im  Kreise  Nowo- 
grödek,  im  Dorfe  PluSany,  auf  dem  Gute  Tuganowice,  am 
Ufer  des  Sees  Öwitei.  Hier  verliebte  sich  Mickiewicz  in  eine 
schöne  Blondine,  Marie,  ein  gefühlvolles,  aber  entschiedenes 
Uädchen,  das  gern  mit  ihm  las,  Dame  spielte  und  schwärmte,  aber 
ohne  Schwanken  und,  wie  es  scheint,  ohne  jeden  innem  Kampf 
Hand  und  Herz  einem  sich  ihr  nähernden  Bewerber,  dem  jungen, 

'  Deutsoll  u.  d.  T.:    „Balladen    nud   Romaiizea   von  A.  M.    Aub   dem 
Poh.  von  A.  WeiBB"  (Leipzig  1874). 


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246  Vk-rluB  Kapitul.     Diu  PoIcd. 

wohlhabenden  und  sehr  gebildeten  Gutebesitzer  Laurentius  Putt- 
kammer gab,  der  noch  dazu  ein  grosser  Verehrer  von  Mickie- 
wicz'  poetischem  Talent  war.  Letzterer  befand  sich  in  derselbeu 
Lage  wie  Goethe  zwischen  Lotte  und  Kästner,  wollte  sich  mit 
dem  glücklichen  Nebenbuhler  schiessen,  litt  Höllenqualen,  die 
um  Bo  schrecklicher  waren,  als  das  gutherzige  und  tadellose 
Verhalten  des  glücklichen  Paares  gegen  ihn,  das  ihm  aufrich- 
tige Freundschaft  entgegenbrachte,  keine  Möglichkeit  bot,  auf 
„Maryla"  Ansprüche  zu  erbeben  und  sich  über  sie  zu  beklagen, 
da  sie  nach  seinem  eigenen  Geständtiiss  seine  Liebe  nicht  her- 
ausgefordert, noch  ihm  jemals  mit  einem  Worte  Hoffnung  ge- 
macht hatte. '  Vor  der  Verheirathung  sprach  sie  sich  mit  ihm 
aus  und  nahm  ihm  das  Versprechen  ab,  wenn  er  sie  auch  nicht 
vergessen  könne,  so  doch  seine  Gefühle  zu  beineistern.  Wie 
bei  Goethe  blitzte  auch  bei  Mickiewicz  der  Gedanke  an  Selbst- 
mord auf.  Er  war  auch  fernerhin  zeitweilig  bei  Puttkammer 
(Korr.  I,  4),  kränkelte,  mied  die  Menschen,  suchte  die  Ein- 
samkeit an  den  entlegensten  Stelleu  des  Kowuoer  Thaies  am 
Niemen,  in  Gram  und  Zerknirschung,  und  hielt  eich  nur  durch 
Übermässigen  Uenuss  von  Kaffee  und  Tabak  aufrecht.  Ueber 
die  Stärke  des  Gefühls,  das  ihn  zur  Vei'zweiäung,  zum  Wahn- 
sinn brachte,  kann  man  sich  ein  Urtheil  bilden  aus  der  langen 
Dauer  desselben.  Im  Herbst  1823,  als  ihn  Odyniec  in  Kowno 
besuchte,  kam  Mickiewicz  beim  Lesen  seiuer  Uebersetzung 
von  Childe  Harold's  Abschied  bei  den  Worten,  „warum  soll 
ich  weinen,  nach  wem  und  um  wen,  wenn  niemand  um  mich 
weint",  in  eine  solche  Erregung,  dass  er  todteublass  in 
Ohnmacht  üel.  Seine  nächsten  Freunde  durften  ihn  nicht  an 
Maryla  erinnern.  Viele  Juhrc  nach  diesen  Leiden,  nachdem 
er  „seiuer  Suliwester  Maryla"  den  zweiten,  1823  erschienenen 
Band  Gedichte  gewidmet  hatte,  worin  er  sie  bittet,  die  Er- 
innerungen des  Geliebten  aus  der  Hand  des  Bruders  zu  em- 
pfangen, öffnete  sich  die  Wunde  des  Herzeus  abermals  im  Jahre 


'  „Hat  sie  mich  durch   ein    zweideutigeB  Wörtuhcn    gelockt?    Hat    s 
mit   einem  heraanriirdemdeD  Lächeln   xn   fangen   gesutht?  Wo  -in 

ihre  Suhwürc,  welchou  ihre  Vtrspreehungen ?  Hat  wo  mu ,  »tnn  um 
nur  im  Tmam,  Hoffnung  gemacht?  Nein,  nein,  nm  n.h  Belbet  habe  Hir: 
guBpinustc  geuabrt;  iub  Belbel  habe  mir  dae  Gift  bereitet,  das  DUth  in 
den  Verstand  braohte.  .  .  ."     (Üziadj,  IV.) 


GooqIl 


Adam  Mickicwicz.  247 

1829.  Als  er  über  den  Splügen  fuhr,  tauchte  vor  dem  Dich- 
ter Msryla'a  Gestalt  auf  und  er  ucbrieb:  „Also  kann  ich  mich 
nicht  von  dir  trennen,  nieinale,  niemals^  du  schwimmst  mir 
auf  (lern  Meere  nach  und  folgst  mir  auf  dem  Lande;  ich  sehe 
auf  dem  Gletscher  deine  glänzenden  Spuren  und  höre  deine 
Stimme  im  Getöse  des  Wasserfalls  auf  den  Alpen."  Die  er- 
littene tiefe  Erschiitterung  entfiammte  und  beäUgelte  sein  Ta- 
teot.  Sobald  sich  nur  die  ersten  Zuckungen  des  gereizten  Ge- 
fühls gelegt  hatten,  trat  die  charakteristische  Eigentbümlich- 
keit  von  MickiewiCz'  psychischer  Organisation  zu  Tage,  eine 
auBsergewöhnliche ,  männliche  Empfindsamkeit ,  die  ihn  fähig 
machte,  unvergleichlich  stärker  als  andere  sowo!  Freude  als 
Leid  zu  fühlen  und  sie  auch  gleich  in  Kunstwerke  umzugicssen 
~  nicht  unter  Vermittelung  der  refiectireuden  Phantasie,  wie 
es  Goethe  machte,  sondern  mit  aller  Unmittelbai'keit  und  Wärme 
der  ersten  Empfindungen.  Dieser  Fähigkeit  war  er  sich  be- 
«usst  und  stellte  sie  in  dem  Erim'schen  Sonett  „Ajudah"  dar, 
worin  er  das  von  dem  Dichter  Durchlebte  mit  einer  Meeres- 
welle verglich,  die  nach  der  Strandung  Muscheln  und  Perlen 
am  Ufer  zurücklässt: 

So,  junger  iJiuliter,  steht  es  um  dein  Herz: 

Uie  Leidenschaft  bedroht  diel)  oft  mit  Kämpfen  — 

Du  greifst  zur  Leier,  ihre  Macht  zu  dämpfen; 

Der  sÜHH  Klang,  er  endet  allen  Schmerz, 

Und  horch,  unsterbliche  Gesänge  tönen, 

Die  dich  mit  ewig  grünem  Lorber  krönen. 

Sein  Enthusiasmus  für  jede  grosse  Idee  war  feurig,  activ, 
alle  Nerven  erschütternd,  alle  Muskeln  des  Willens  anspan- 
nend, weit  entfernt  von  der  idealen  Schwärmerei  Schiller's, 
der  niemals  die  Unrealisirbarkeit  des  absolut  Guten  vergass, 
niemals  vergass,  dass  „das  Dort  ist  nimmer  Hier".  Seine  Liebe 
lam  Guten  war  nicht  platonisch,  trennte  nicht  das  Wort  von 
der  That,  und  war  im  Glauben  sogar  auf  die  Erreichung  des 
NicbterTüllbaren  und  Unmöglichen  gerichtet.  Das  ist  der  Sinn 
seiner  bekannten  „Ode  an  die  Jugend"  (zuerst  gedruckt  1828, 
aber  viel  früher  geschrieben) ,  die  zu  einer  Marseillaise  der 
jungen  Generation  wurde: 

Wer  als  Kind  schon  die  Hydra  bezwang. 
Wird  als  JUngling  Centauren  bezwingen 


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248  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

Und  der  Hölle  iiir  Opfer  entringen, 
Im  Himmel  wird  ihm  der  Lorberdank. 

0  strebe  Dach  dee  Himmels  Licht, 
Zerbrich,  was  kein  Verstand  zerbricht! 
Jugend,  du  steigst  zn  des  Adlers  Stätte, 
Stark  ist  dein  Arm  wie  des  Donners  Gewalten, 
Läse  Arm  in  Arm  uns  mit  festen  Ketten 
Das  Erdeorond  umfangen  halten 
Und  glutentfadiend  unser  Denken 
Auf  einen  Heerd  des  Geistes  lenken. 
Damit  durch  uns  der  Klumpen  Erde 
In  neue  Balin  geleitet  werde, 
Dass  sie  Verderbtes  von  sich  streife 
Und  grünend  neue  Früchte  reife!* 

In  der  ersten  Zeit  nach  jenem  Vorgang,  der,  wenn  auch 
kein  Verratli  seitens  der  Maryla,  doch  das  Leben  des  Dichters 
vergiftete,  widerten  ihn  die  Bücher  an,  ea  fsEselte  ihn  nur  Byron, 
den  er  wegen  seines,  nach  Mickiewicz'  AuEicht  wahren  Bcalis- 
muE  vergötterte,  und  in  welchem  er  später  viel  Aehnliches  mit 
seinem  zweiten  Liebling,  Napoleon,  fand  (Korr.  I,  5;  Melanges, 
1,269).  Darauf  suchte  er,  wie  Goethe,  darin  Heilung,  dass  er  sich 
von  seiner  Liebe  durch  ein  eigenes  Werk  befreite.  Er  stellte 
den  Roman  dieser  Liebe  im  4.  Theil  der  weitangelegten,  aber 
niemals  vollendeten  Tetralogie  „Dziady"  dar,  deren  Plan  und 
Stoff  infolge  der  Nichtvollendung  des  üauzeu  immer  räthselhaft 
bleiben  werden;  Bedeutung  haben  nur  die  einzelnen  Theile, 
von  denen  1823  im  2.  Bändcheu  der  Gedichte  der  zweite  und 
vierte  herausgegeben  wurden.-  Der  Titel  der  Dichtung  ist  ein 
zufälliger  und  erklärt  ihren  Inhalt  nicht.  In  der  römisch-katho- 
lischen Kirche  ist  der  2.  November  (der  Allerseelentag)  dem  An- 
denken der  Verstorbenen  gewidmet.  Nach  einem  Gebrauch,  der 
in  die  heidnischen  Zeiten  zurückgeht  und  sich  trotz  der  Gegen- 
wirkung der  Geistlichkeit  hält,  versammelt  sich  das  Volk  an 
diesem  Tage  auf  dem  Kirchhofe,   stellt  Speisen    und  Getränke 


'  UebcrsetBung  von  H.  Nitschmann,  „Poln.  Pam." 
'  St.  Tarnowski,  „Lekcye  o  Diiadach"  (in  Biblioteka  War 
1877,11,1^1;  F.  Ohroielowski,  „Kobicly  Mickicwioza,  Slowackiego  i  Kra- 
sinskiego"  (Warschau  1873|;  W.  Cyliulski,  „Üiiady  Mickiewicza"  (Posen 
1863);  L.  Sicniioiitiki,  ..Religijnui'i  i  mystika  w  iiyoia  i  poezy ach  Mickie- 
wicza" (Krakau  1871). 


D,9:.zec.yGüOJ^Ic 


Adam  Miokiewicz.  240 

auf  die  Grabhügel  nud  bewirthet  damit  die  Todten.  Der  poeti- 
schen Verherrlichung  dieses  Gebrauchs,  der  wegen  seiner  Ver- 
bindung mit  der  Welt  der  Geister  und  um  seiner  Volkathiimlich- 
keit  willen  ganz  den  Anforderungen  der  Romantik  entsprach,  die 
an  eine  Erneuerung  der  Poesie  durch  Einführung  des  Elements 
der  Tolksthömlichen  Sagen  in  dieeelbe  glaubte,  ist  der  2.  Theil 
der  „Dziadf "  gewidmet.  In  einer  einsamen  Kapelle  auf  dem 
Kirchhof  haben  sich  die  Bauern  versammelt,  bei  deren  Darstel- 
luig  sich  der  Dichter  noch  nicht  von  den  Ueberlieferungeu  des 
dusbchen  Idylls  losgemacht  hat.  Der  Ton  ist  volkstbümlich, 
der  Stil  blühend,  und  die  handelnden  Personen  sind  Hirten,  Hir- 
tinnen, der  Chor,  und  die  Hauptperson  ist  ein  Geiger,  Traum- 
deuter and  Zauberer,  der  durch  Anfachen  eines  Feuers  in  der 
rin«tcmis8  und  durch  Beschvörungen  die  in  der  Holle  leidenden 
oder  im  Fegefeuer  irrenden  Geibter  citirt,  um  sie  zu  tränken, 
za  Bpeisen  oder  davonzujagen,  wenn  ihnen  schon  mit  nichts 
nehr  zu  helfen  ist.  Es  tritt  nach  und  nach  eine  Reihe  von  Ei- 
Echeinungen  auf,  bald  lichter,  bald  schrecklicher;  verzärtelte 
Kinder,  die  ein  Senfkörnehen  erflehen,  weil  niemand  in  den 
Himmel  kommt,  der  gar  keine  Bitterkeit  erfahren  habe;  ein 
«treoger  Herr  Gutsbesitzer,  an  dem  Krähen  und  Eulen  —  von 
ihm  gemarterte  Bauern  — hacken;  eine  herzlose  Schöne,  die  nur 
mit  der  Liebe  anderer  gespielt  bat.  Als  Uebergang  zu  den 
folgenden  Theilen  dient  das  Erscheinen  des  Geistes  eines  Selbst- 
'  norders  aus  Liebe,  der  sich  den  Beschwörungen  nicht  unter- 
wirft, und  erst  dann  verschwindet,  als  man  aus  der  Kapelle  die 
Frau  herausführt,  um  deren  Willen  er  Hand  an  sich  gelegt  hat. 
Diese  Reihe  schöner  und  anmuthiger  Scenen,  halbphantastisch, 
aber  mit  einer  Phantastik,  die  gemacht,  bis  zu  einem  gewissen 
tirade  maschinenhaft  ist,  dient  nur  als  Präludium  und  hat  die 
Bedeutung  eines  einfachen  Beiwerks,  eines  Hintergrundes,  eines 
Kahmens  für  das  Folgende.  Die  gleiche  Bedeutung  eines  Bei- 
werks, einer  romantischen  Hülle,  die  mau  als  unwesentlich  weg- 
werfen kann,  haben  die  nach  dem  Tode  des  Verfassers  heraus- 
^ebenen  Kownoer  Fragmente  des  ersten  Theils  der  ,,Dziady". 
Kn  Mädchen,  das  sich  an  dem  Moderoman  „Valerie"  der  Frau 
'on  Krüdener  überlesen  hat,  phautasirt  über  die  Verwandtschaft 
der  Seelen  und  über  die  Atome,  die  prädestinirt  sind,  sich  zu 
'ereinigen  und  die  sich  gegenseitig  suchen;  auch  ein  Gustav  ist 
'orhanden,  dessen  Name  jenem  Roman  der  Frau  von  Krüdener 

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250  Viertes  Kapitel.     Die  Polon. 

eiitletiiit  ist.  Der  vom  Geiger  geführte  Chor  des  Volkes  begibt 
sieb  auf  dea  Kirchhof.  Der  einzige  individuelle  Zug  ist  nur  iu 
der  eingeschobenen  Legende  von  Poraj  (dem  Ahnherrn  des  Ge- 
schlechtes Mickiewicz)  zu  bemerken,  dem  Liebhaber  der  Maryla, 
der  bis  zum  Gürtel  versteinert  ist,  aber  gerettet  werden  kann, 
wenn  er  einen  Zauberspiegel  zerschlägt^  Poraj  hat  sich  so  iu 
sein  Leiden  eingelebt,  dass  er  statt  den  Spiegel  zu  zerschlagen, 
ihn  küsst,  wodurch  er  ganz  zu  Stein  wird.  Einen  dritten  Theil 
der  „Dziady"  gibt  es  überhaupt  nicht,  sondern,  was  diesen  Titel 
tragt,  ist  später  geschrieben,  zu  Dresden,  und  stellt  die  Unter- 
suchung Novosilcov's  gegen  die  Philareten  dar,  die  Ereignisse 
des  Jahres  1824,  die  Umwandlung  eines  unschuldigen  Phantasten 
in  einen  Sänger  und  politischen  Agitator.  Der  eigentliche  Kern 
des  im  Jahre  1823  unter  dem  nichts  bezeichnenden  Namen 
,, Dziady"  herausgegebenen  Werks  ist  im  vierten  Bande  eut- 
lialten,  und  auch  hier  liegt  das  Interessante  durchaus  nicht  iu 
der  Fabel,  welche  die  Eigenschaften  einer  noch  jungen  Hand 
verrätb,  die  nicht  gewöhnt  ist,  die  Idee  vollkommen  zu  be- 
herrschen, das  Werk  völlig  verständlich,  den  Plan  durch  Voll- 
ständigkeit durchsichtig  zu  machen.  Am  AUerseelentag  setzt 
sich  ein  alter  Witwer,  Priester,  zum  Abendbrot  mit  seinen  Kin- 
dern. Es  tritt  ein  Pilger  berein,  in  Blätter,  Blumen  und  Lumpen 
gekleidet,  mit  einem  Dolch  im  Gürtel,  mit  wilden  Geberden. 
Man  nimmt  ihn  aus  Mitleid  auf  und  hewirthet  ihn.  In  diesem 
dem  Anschein  nach  irrsinnigen  Menschen  erkennt  der  Priestei' 
allmählich  seinen  geliebten  Schüler  Gustav.  Iu  dem  auf  Guetav's 
Lippen  wechselnden  Lachen  und  Stöhnen,  beissender  Ironie  und 
grenzenlosem  Kummer  ist  jedoch  Zusammenhang  und  Logik,  aber 
die  Logik  der  Leidenschaft.  Der  Jüngling  hatte  seine  Phantasie 
durch  Romanbücber  entzündet  und  suchte  nach  einer  idealen 
Geliebten,  die  es  unter  der  Sonne  nicht  gibt;  er  fand  sie  je- 
doch und  kostete  alle  Glückseligkeit  der  Liebe  (während  die- 
ser Erzählung  ist  die  erste  Stunde  der  Liebe  vergangen  und 
ein  Licht  im  Zimmer  des  Priesters  erlischt).  Aber  das  geliebte 
Weib  verlässt  den  Jüngling,  nimmt  ihm  das  Versprechen  ah,  sie 
zu  vergessen,  gibt  ihre  Hand  einem  andern.  Mit  zerrissenem  Her- 
zen besucht  Gustav  die  Laube  der  letzten  Begegnung,  schleicht 
sich  heimlich  unter  die  zechenden  Hocbzeitsgäste  und  fällt  besin- 
nungslos wie  todt  hin;  alsdann  will  er  sich  aufmachen,  das  ent- 
artete Wesen  zu  erschlagfin,  dann  wird  er  wieder  weicher,  indem 

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Adam  Mickicwiüz,  JJöl 

er  itifL-r  Gate  gedeukt,  uud  daran,  dasE  sie  ihm  durch  oicLts 
iloffnniig  gemacht  habe.  Der  Stolz  des  Mannes  gewinnt  Ober- 
haod  über  das  Leiden,  er  bittet  den  Priester,  ihr  mitzutheilen, 
dass  er  fröhlich  sei,  daes  er  sie  vergessen  habe,  dass  er  beim 
Tanz  ge&llen  sei,  sich  verletzt  habe  und  gestorbeu  sei  —  aber 
in  demselben  Moment  ersticht  er  sich  selbst  mit  dem  Dolche.  lu 
diesem  Augenblick  löscht  das  zweite  Licht  aus,  die  Stunde  der 
Verzweiflung  war  zu  Ende,  die  Erscheinung  sollte  verschwinden, 
aber  sie  bleibt  da,  noch  eine  ganze  dritte  Stunde,  die  der  War- 
nung. Gustav  ist  keilt  Mensch,  sondern  ein  Gespenst,  sein 
Oeist  ist  dazu  venirtheilt,  alljährlich  am  Allerseelentag  das, 
was  ihn  zum  Selbstmord  gebracht,  noch  einmal  zu  durchleiden. 
Den  Priester  sucht  er  zu  überreden,  dass  or  das  Volk  nicht  hiu- 
dere,  die  „Dziady"  zu  feiern.  Alles  rund  herum  ist  mit  solchen 
leidenden  Geistern  erfüllt,  in  einem  Kasten  hüsst  der  Geist  eines 
Geldgierigen  in  Gestalt  eines  bohrenden  Wurmes,  auf  ein  Licht 
ZD  fliegt  ein  dunkler  Schwärm  von  Nachtfaltern:  Ceusoren  und 
Finsterlinge.  Unverständlich  bleibt  in  dieser  Fabel,  wer  Gustav 
ist,  ob  ein  wahusinuiges  oder  nicht  wahnsinniges,  sondern  nur 
heftig  leidendes  Wesen,  uud  dabei  ist  auch  nicht  klar,  ob  er 
ein  Gespenst  oder  ein  lebendiger  Mensch  ist.  Etwas  Gespenster- 
haftes gibt  es  an  ihm  nicht,  alle  seine  Gefühle  sind  in  hohem 
Grade  real.  Er,  ein  unglücklicher  Dulder,  hat  eigentlich 
keinen  Grund,  zu  bussen  und  Hand  an  sich  zu  legen;  die 
Dichtung  fusst  überhaupt  nicht  auf  der  theologischen  Idee  von 
der  Sündhaftigkeit  des  Selbstmordes,  die  Aufgabe  besteht  in  der 
Motivirung  der  Unvermeidtichkeit  eines  verbängn  issvollen  Aus- 
ganges, und  das  poetische  Ziel  ist  erreicht:  das  stärkste  Mitleid 
für  den  Unglücklichen  erweckt.  Das  phantjistische  Element  ist 
vorbanden,  aber  es  ist  nicht  wesentlich,  —  entfernen  wir  es,  stel- 
len wir  uns  vor,  dass  es  ein  lebendiger  Mensch  sei,  der  seine  Lei- 
den tnittheilt  —  und  im  Resultat  werden  wir  ein  Werk  erhalten, 
das  farbenreicher  ist  als  die  Leiden  Werther's  und  noch  stärker 
erschüttert.  Die  Gespenster  und  das  Phantastische  ist  nach  dem 
Beispiel  von  Goethe's  „Faust"  eingeschoben  und  noch  mehr  un- 
ter dem  Einäusse  von  Byron's  „Manfred".  Auf  Byron  beschränkte 
sich  damals  Mickiewicz,  nachdem  er  sogar  Shakespeare  hatte 
liegen  gelassen,  durch  den  er  sich  vorher  hindurch  gearbeitet 
hatte  mit  dem  Le.xikon  in  der  Hand,  wie  der  Reiche  im  Evan- 
gelium durch  das  Nadelöhr  {Korr.  I,  7).    Wie  Goethe,  ist  sich 

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252  Vierte«  Kapitel.    Uie  Polen. 

auch  Mickiewicz  volletäDdig  der  krankbafteo  Gebrochenheit  seineB 
„Ich"  in  der  Vergangenheit  bewusst,  und  Dimmt  dem  unwieder- 
bringlich Durchlebten  gegenüber  die  St«llung  eines  Genesenen 
ein,  bei  dem  sich  nur  die  Erinnerung  erhalten  bat  Zur  unglück- 
lichen Liebe  hatte  den  Jüngling  die  Sentimentalität  der  Lite* 
ralur  geneigt  gemacht  —  „meiner  Jugend  ÜÖlle  und  Folter; 
ebendiese  Bücher,  haben  meine  Flügel  au^erenkt  und  mich 
unfähig  gemacht,  abwärts  zu  fliegen,  sondern  nur  aufwärts." 
Diese  Bücher  biessen :  Bousseau's  „  Neue  Heloise " ,  Schiller's 
Gedichte,  Wertber.  „Es  gibt  nur  einen  einzigen  Funken  im 
Menschen,  der  sieb  nur  einmal,  in  der  Jugend,  entzündet;  hat 
ihn  der  Hauch  der  Minerva  angefacht ,  so  geht  ein  Weiser 
hervor  und  wird  mit  dem  Sterne  Plato's  den  Weltweg  erleuch- 
ten; entflammte  der  Stolz  diesen  Funken  mit  seiner  Fackel, 
dann  ersteht  ein  Held,  macht  aus  dem  Hirtenstabe  ein  Scepter 
und  stürzt  die  alten  Throne  um;  wenn  den  Funken  der  Blick 
eincB  Weibes  entzündet,  so  wii-d  er  in  sich  selbst  verglimmen, 
wie  die  Lampe  in  einem  römischen  Grabe."  —  In  der  ersteu 
Zeit  bat  der  Dichter  wahrscheinlich  auch  wirklich  geglaubt,  dass 
in  ihm  alles  zu  Eude  sei,  dass  die  unglückliche  Leidenschaft  in 
ihm  alle  Grundlagen  der  Zukunft  vernichtet  habe,  dass  infolge 
derselben  in  ihm  sowol  „Gottfried  von  Bouillon"  als  „Johann 
Sobieski"  gestorben  sei;  wahrscheinlich  bat  auch  er  den  Freun- 
den geantwortet,  wie  Gustav  auf  die  Frage  des  Priesters:  und 
kennst  du  das  Evangelium?  mit  denWorteu:  and  kennst  du  das 
Unglück?  Aber  diese  Geistesverfassung  bestand  schon  nicht  mehr, 
als  er  die  wunderbare,  poetisch  wahrste  und  beste  Dichtung  des 
Liebesleids  schrieb,  die  es  in  der  polnischen  Literatur  gibt.  Zur 
Heilung  bedurfte  es  überhaupt  keines  Anstosses  von  aussen,  die 
Mittel  fanden  sich  in  der  Kunst  selbst.  —  Zu  derselben  Zeit,  als  die 
Freunde  fürchteten,  der  Dichter  sei  auf  Abwege  geratben,  und  auf- 
geregt „den  nicht  schmeichelhaften  Eindruck  der  unzeitgemässen 
Veröffentlichung  sei  nerLiebesgefäble"  (Korr.  II,  6)  verfolgten,  wurde 
eine  zweite  Dichtung  verfaast,  die  im  höchsten  Grade  objectiv  ist, 
das  einen  altlitauischen  Stoff  behandelnde  Epos  „Graiyna" ',  ein 
der  Formvollendung,  der  grossartigen  Ruhe  und  Einfachheit  nach 
so  classiscbes  Stück,  dass,  wenn  die  polnischen  Glassicistcn  nur 

'  lleutsvh  vou  A.  WcJBS  (in  „Bibliutliek  slavischer  Poesien",  2  Bde., 
Pr»g  1875),  von  II.  Nitsehmann  (in  dessen  „Iris",  I^eipzig  1880). 

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Adam  Mickiewioz.  253 

etwas  in  der  Kunst  Terstanden  hatten,  sie  sieb  vor  diesem  Werke 
hätten  tief  verneigen  müssen,  das  tadellos  ist  in  Anbetracht  der 
„Regeln",  aber  nicht  nach  den  „Regeln"  geplant  und  ausgeführt 
ist  Goethe  war  zu  einer  solchen  Art  der  Poesie  fähig,  aber 
ent  Dach  seiner  italienischen  Reise;  bei  Goethe  trat  bekanntlich 
eiDe  Richtung  langsam  an  die  Stelle  einer  andern,  hei  Mickiewicz 
sind  sie  schon  in  früher  Jugend  nebeneinander  vorhanden:  der 
sDbjectivBte  Lyriker  ist  zugleich  ein  Epiker  ersten  Ranges,  der 
ganz  hinter  seinem  Werke  zurücktritt,  das,  ohne  dem  Inhalt 
nach  etwas  mit  den  Fragen  und  Interessen  der  Gegenwart  ge- 
mein zu  haben ,  nur  durch  seine  ästhetischen  Schönheiten  an- 
zieht Die  Handlung  findet  im  heidnischen  Litauen  statt,  im 
SchloBs  zu  Nowogrödek  und  seiner  Umgehung.  Fürst  Litawor, 
nnzofrieden  mit  Witold,  hat  die  deutschen  Ritter  zu  Hülfe  ge- 
rafeu;  seine  Frau,  Graiyna,  als  sie  nicht  vermag,  ihn  von  die- 
sem Verrath  an  seinem  eigenen  Stamm  abzubringen ,  ordnet 
selbst  an,  den  Deutschen  die  Aufnahme  zu  verweigern,  und 
als  die  erzürnten  Bundesgenossen  ihren  Schlag  gegen  die  Resi- 
denz des  Fürsten  richten,  statt  gegen  Wttold  zu  ziehen,  legt 
liraiyua  die  Rüstung  ihres  Mannes  an,  gibt  sich  für  diesen 
aas,  zieht  in  den  Kampf  mit  den  Deutschen,  in  welchem, 
obgleich  der  Sieg  auf  der  Seite  der  Litauer  bleibt,  dank  dem 
ZD  rechter  Zeit  herbeigeeilten  Litawor,  doch  die  Fürstin  durch 
den  Schusa  einer  deutschen  Büchse  tödtlich  verwundet  wird. 
Indem  man  ihr  ein  Begräbntss  nach  heidnischem  Gebrauch 
Teranstaltet,  verbrennt  man  zugleich  mit  ihrem  Körper  den  ge- 
fangenen Befehlshaber  des  Ordens  --  ihren  Mörder,  aber  in  die 
Flamme  des  Scheiterhaufens  stürzt  sich,  den  Tod  suchend,  auch 
Litawor  seihst. 

„Graäyna"  schloss  den  Cyclns  der  ersten  Jugendwerke  ab,  mit 
deren  Erscheinen  sich  nicht  ohne  Kampf  und  nicht  ohne  äus- 
serste  Fjbitterung  der  Parteien  die  Krisis  in  der  Gesellschaft  zu 
Gunsten  der  Romantik  vollzog.  Die  Gereiztheit  ging  bis  zu  Per- 
sönlichkeiten über.  Nach  Erscheinen  des  ersten  Bändchens  Ge- 
dichte, 1822,  traf  der  greise  Johann  Sniadecki ,  der  in  dem  Ge- 
dichte „Romantycznoät"  in  der  wenig  schmeichelhaften  Gestalt 
des  Weisen  mit  dem  Stückchen  Glas  vorgeführt  war,  bei  einem 
t^ollegen  mit  Mickiewicz  zusammen,  that  als  ob  er  diesen  nicht 
kenne,  und  spottete  schonungslos  über  Werke,  die  er  nicht 
veretand,    schonte   auch    den  Verfasser  nicht,    wobei    ihm  sogar 

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254  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

der  Hausherr ,  ebenfalls  ein  Classicist ,  secundirte  und  half. 
Für  Mickiewicz  war  es  nicht  leicht  zu  antworten,  er  war 
Bchüchtern,  stand  dabei  als  Lehrer  zu  Kowao  in  dein  Ver- 
hältniss  eines  Untergebenen  zum  Vorgesetzten.  Er  schwieg, 
aber  vergass  die  Sache  nicht,  und  in  seiner  leideuscbaftlicben 
Seele  verwandelten  sich  die  Sniadecki  und  die  Classicisten  aus 
einer  literarischen  Partei  in  abgethane  Leute,  in  Gegner  der- 
jenigen Sache,  welche  die  Bestimmung  der  jungen  Generation 
war,  und  dieser  selbst. ' 

Zu  Ende  des  Jahres  1 823  schloss  sich  der  studentische  Freundes- 
kreis noch  fester  zusammen  und  belebte  sich  noch  kräftiger  als 
sich  die  wilnaer  Klöster,  die  in  Gefängnisse  umgewandelt  waren, 
mit  Pbilareten  anfüllten,  wobei  sich  der  Geist  der  Gesellschaft 
selbst  umformte;  es  kam  ein  neues  Princip  hinzu,  das  ätzende  Fer- 
ment der  Politik.  Dieser  Umschwung,  der  später  im  dritten  Theil 
der  „Dziady"  dargestellt  ist,  wurde  von  Mickiewicz  so  bezeichnet: 
calendis  Novembris  MDCCCXXIIl  ohiit  Gustavus.  Natus  est  Coa- 
radus.  Die  Haft  war  nicht  sonderlich  streng,  die  Gefangenen 
besuchten  einander  in  den  Zellen,  tausehten  ihre  Meinungen  aus, 
um  sich  die  ermüdende  Langeweile  des  Wartens  zu  vertreiben. 
Die  Sache  verlief  ohne  Urtbeilsspruch  gemäss  dem  am  U.August 
1824  bestätigten  Bericht  des  Novosilcov'schen  Comites:  einige 
Personen  wurden  verbannt;  stärker  als  die  andern  hatte  Zan 
zu  leiden,  der  alle  mögliche  Schuld  auf  sich  genommen  hatte. 
Mickiewicz  und  sein  Freund,  der  Sohn  des  frühem  Rectors, 
Franz  Malewski,  die  zum  Dienst  in  den  innem  Gouvernements 
bestimmt  wurden,  wählten  Odessa,  wo  Mickievricz  eine  Stelle 
im  Richelieu -Lyceum  zu  erhalten  hoffte.  Sie  begaben  sich 
nach  Petersburg  und  kamen  dort  im  November  1824  an,  gleich 
nacli  der  Ueberschwemmung.  In  Odessa  erhielt  Mickiewicz  die 
Stelle  nicht;  er  benutzte  aber  die  Gelegenheit  und  besuchte  (im 
Herbst  1825)  das  südliche  Ufer  der  Krim,  in  Gesellschaft  des  talent- 
vollen Erzählers,  der  das  alte  Polen  von  Grund  aus  kannte,  Grafen 
Heinrich  Rzewuski.  Ks  öffnete  sich  ihm  der  Orient,  wenn  aufb 
nicht  in  seiner  ganzen  Weite,  so  doch  immerhin  ein  Theil,  der 
durch  die  Lebhaftigkeit  der  Farben  überraschte;  er  begann  die 
orientalischen  Dichter  im  Original  zu  studiren  und  gab  in  Moskau 


'  A.  Malf  pki,  „Jdüubz  Slowncki,  jego  iycie  i  dziela",  I,  57  (Lemberg 

I- 

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Adam  Mickiewioz.  ^  255 

ein  KndcheD  Sonette  heraus,  worunter  sich  Nachahmungen  Pe- 
tnrca's  finden,  aber  prächtiger  als  die  andern  sind  die  im  bunten 
Stil  des  Orients  geschriebenen  „Krim'schen  Sonette".  —  Hier 
in  Moskau,  wo  Mickiewioz  dem  Personal  der  Kanzlei  des  General- 
gonvemeurs  zugetheilt  wurde,  ward  1827  ,,Konrad  Wallenrod" 
Terfasst  und  nach  Petersburg  zum  Druck  (1828  bei  K.  Kraj)  ge- 
eandt.  Diese  Dichtung  (wie  auch  die  Sonette)  wurde  mehrmals  ins 
Russische  übersetzt '  und  ward  gleich  damals  in  beiden  Literaturen 
löhmlicb  bekannt.  Es  ist  das  tiefsinnigste  von  seinen  Werken 
der  ersten  Periode  und  vielleicht  das  charakteristiBchste  fiir  die 
Bestimmung  der  Beziehungen  zwischen  ßussland  und  Polen  in  den 
dreissiger  Jahren.  Zum  Yerständniss  der  Dichtung  muss  man 
Folgendes  in  Betracht  ziehen.  Die  Untersuchung  Novosilcov's 
«är  keine  örtliche  Erscheinung,  sie  fiel  mit  der  Thätigkeit  eines 
Snniä,  Magnickij,  des  Ärchimandnten  Photius,  mit  der  allgemeinen 
BeactioD  zusammen;  sie  complicirte  sich  nur  durch  die  nationale 
Frage,  die  jedoch  nicht  auf  die  Spitze  getrieben  wurde,  nicht  aus 
der  Reihe  der  innern  Fragen  des  russischen  Lebens  hinausging. 
Die  «ilnaer  Studenten  waren  tief  betrübt  darüber,  dass  die 
Vorlesungen  verfolgt  wurden  und  dass  der  Pflanzstätte  des 
geistigen  Lebens,  der  Universität,  ein  schrecklicher  Schlag  ver- 
setzt worden  war;  wahrscheinlich  that  jeder  in  seinem  Innern 
das  Gelübde,  nicht  zuzulassen,  dass  das  in  Wilna  angezündete 
Licht  der  Bildung  verlösche,  doch  ging  man  nachher  nicht  Ubor 
diesen  Entschluss  hinaus  und  ging  nicht  zur  Agitation  über.  Ein 
beträchtlicher  Theil  der  ehemaligen  Philareten  erlangte  später 
einflnssreiche  Stellungen,  ehrenvolle  Aemter  und  stand  in  dem 
Rufe  von  wohlgesinnten  und  ruhigen  Leuten.  Einige  von  denen, 
die  im  Gefangniss  gewesen  waren,  gaben  sich  den  Anschein  von 
Märtyrern  und  Einsiedlern,  aber  Mickiewicz  machte  sich  über 
sie  hstjg;  nach  seinen  Worten'  war  es  möglich,  in  der  Gescll- 
schafl  7u  bleiben,  zu  tanzen,  zu  singen ,  sogar  Karte  zu  spielen, 
ohne  die  andere  neue  Geliebte  (das  Vaterland)  zu  beleidigen,  die 
überhaupt  nicht  verlange,  dass  ihr  Ritter,  wie  Don  Quichote,  die 
Vorbeireisenden  auf  der  Landstrasse  zum  Kampfe  herausfordere 


'„Die  Sonette",  deatach  von  Peter  CoroeliuB  (Reulam's  Univere.- 
Bibliothek,  Kr.  76,  Leipzig  s.  a.).  „Koniad  Walleurod",  ileutsch  von  E. 
L.  KBDDfgieiier  (Leipzig  1831),   von  A.  Weis»  (Bremen  1871). 

'  Korr.  I,  IB.    Brief  an  Czeczut  und  Zan  vom  5.  Januar  1827. 


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256  VierteB  Kapitel.    Die  Polen, 

oder  sich  in  die  Wüste  zurückziehe;  er  bekennt,  dass  er  sich 
nicht  scheue ,  daa  Trüffelbeefsteak  der  Moahiter  zu  essen  und 
sich  TOm  Fleisch  der  Altäre  Dagon's  und  Baal's  zu  nähren.  Der 
Dichter  behauptet,  daas  er  bei  den  Basilianern  (im  GefängniBs) 
heiter  geweeen,  dase  er  in  Moskau  ein  ruhiger  and  sogar  ver- 
ständiger Mensch  geworden;  doss  seine  Muse  träge  geworden 
sei.  Er  war  beständig  sehr  aufgeräumt,  weil  ihn  ansser  seiner 
polnischen  Gesellschaft  die  russische  nehr  bereitwillig  au&ishin 
und  fast  verzog.  Polevoj  bot  ihm  die  Mitwirkung  am  „Tele- 
graf" an;  der  Fürst  P.  A.  Vjazemskij  war  Bein  Freand;  der 
Kreis  der  Schriftsteller  —  darunter  die  Bruder  Kir^jevskij,  Bara- 
tynskij,  Polevoj,  Sevyrev,  S.  Sobolevskij  —  überreichten  ihm 
beim  Abschied  einen  Pokal  mit  eingravirten  Versen  von  J.  Ki- 
rejevskij*;  persönlich  herzliche  Beziehungen  zu  Russen  bewahrte 
Mickiewicz  auch  später  noch,  als  jeder  ruhige  Disput  über 
Nationales  zwischen  Polen  und  Küssen  unmöglich  geworden  war. 
Er  widmete  auch  den  dritten  Tlieil  der  „Dziady"  den  moskauer 
Freunden,  „deren  bekannte  Gesichter  das  Bürgerrecht  in  seinen 
Phantasien  haben",  und  denen  gegenüber  er  stets  „die  Rein- 
heit der  Taube  bewahrt  habe".  Aber  gemasB  seinem  exclnsiv 
nationalem  Standpunkte  trennte  Mickiewicz  Volk  und  Staat; 
ihm,  der  in  den  Traditionen  der  Selbstbestimmung  des  Indivi- 
duums aufgewachsen  war,  blieb  eine  dieser  entgegengesetzte 
Formel  der  Entwickelnng  unzugänglich  und  unverständlich. 
Die  Eindrücke,  die  pr  aus  Russland  mitgebracht,  stellte  er 
später  in  dem  bekannten  Fragmente  dar,  das  eine  Beilage 
zu  den  „Dziady"  bildet:  „Dieses  Land  ist  leer,  weiss  und 
ott'en ,  wie  ein  Blatt  Schreibpapier.  Wird  Gott  mit  seinem 
Finger  darauf  schreiben?  Wird  er  mit  Buchstaben  —  mit  guten 
Menschen  —  die  heilige  Wahrheit  darauf  schreiben,  dass  das 
Menschengeschlecht  durch  Liebe  regiert  wird  und  dass  die  Tro- 
phäen des  Friedens  Opfer  sind?  ....  Diese  Leute  des  Nor- 
dens sind  gesund  und  stark,  aber  drücken  nichts  durch  ihre 
Gesichtszüge  aus,  weil  sich  das  Feuer  ihrer  Herzen  wie  in  nnt«r- 
irdischen  Vulkanen  birgt,  nicht  in  die  Gesichter  gestiegen  ist, 
nicht  auf  den  entbrannten  Lippen  spielt,  nicht  in  den  Runzeln 
der  Stirn  erstarrt,  wie  auf  den  Gesichtszügen  der  andern  Völker 
des  Ostens  und  des  Westens,  über  die  so  viele  Ueberlieferungen 


'  Ruasliij  Ari-hiv  1874,  Nr.  7. 

Diglzec.yGOOgle 


Adam  Mickiewicz.  257 

Oll  Ereignisso,  Trübeale  und  Hoffnungen  hingegangen  sind,  dass 
jedes  Antlitz  zn  einem  Denkmal  des  ganzen  Volks  geworden  ist." 
Mau  trenn«  den  Staat  von  der  Nationalität,  bilde  sich  ein,  dass 
jener  etwas  fiir  eich  sei,  und  dase  das  Volk  ebenfalls  etwas  für 
neb  selbst  sei,  dann  wird  sich  jene  hundertarmige  Maschine  als 
etwas  zeigen,  das  mit  der  Ueberlegenheit  der  materiellen  Kraft, 
aber  die  sie  verfugt,  die  Individualität  erdrückt.  Die  Ungleich- 
heit der  Kräfte  ruft  die  Frage  nach  den  Kampfmitteln  hervor. 
Mickiewicz,  der  im  Jahre  1827  den  Freunden  schrieb  (Korr.  1, 17), 
dass  er  Scbiller's  Fiesco  und  und  den  Macchiavelli  läse,  betrat  in 
Gedanken  den  abschüssigen  Weg,  den  auch  der  italieniBche  Patriot 
genhlt  hatte,  von  dem  er  auch  das  Motto  lär  seinen  Wallenrod 
mtlehnte:  dovete  adunque  sapere  come  sono  due  generazioni  da 
combattere  ....  bisogna  essere  volpe  e  leone.*  Die  brennende 
ZeitErage  wurde  von  Mickiewicz  ganz  abstract  hingestellt,  als  eine 
eingebe,  noch  von  niemand  als  ihm  zu  ahnende  Möglichkeit  in  der 
Znknnit,  nnd  tauchte  bei  der  Bearbeitung  eines  Gegenstandes 
Ulf,  der  dem  Anschein  nach  nichts  mit  der  Gegenwart  gemein 
hatte.  Ea  war  dies  ein  zweites  Bruchstück  aus  der  Geschichte  des 
heidnischen  Litauens,  welcher  Mickiewicz  schon  die  „Graiyna"  ent- 
Dommen  hatte:  auf  der  einen  Seite  bildete  die  Scenerie  der  Or- 
den, auf  der  andern  das  durch  die  Brandung  der  Welle,  welche 
Schichten  fremden  Sandes  aufgetragen  hatte,  verschüttete  Litauen ; 
and  mitten  in  diesem  Kampfe  steht  eine  in  der  historischen 
Deberliefemng  räthselhafte  Person  —  der  grosse  Ordensmeüter 
Wallenrod,  ein  Trunkenbold,  fast  Ketzer,  der  durch  seine  schlechte 
Verwaltung  zum  Verfall  des  Ordens  beitrug.  Mickiewicz  erklärte 
diese  Person,  indem  er  sie  in  einen  verkappten  Litauer  um- 
wandelte. Dieses  vom  Orden  aufgefütterte  und  geschulte  Wolfs- 
JBiige  flieht  bei  erster  Gelegenheit  in  den  Wald  zu  den  Seinigen, 
heirathet  die  Tochter  Kejstut's,  aber  verlasst  sie  und  die  Heimat 
ood  verschwindet,  um  später,  wo  das  Andenken  an  ihn  verloren 
gegangen,  als  Ordensritter  aufzutreten,  die  Gewalt  an  sich  zn 
reiasen  und  dem  Orden  die  Wurzeln  abzuschneiden,  indem  er  ihn 
erschöpft  und  in  feindlicher  Weise  absichtlich  rninirt.  Die  Person 
Wallenrod's  war  im  Geiste  der  damals  herrschenden  Poesie  ge- 
dadit  —  in  Byron'scher  Manier;  es  ist  dies  ein  verbitterter  und 

'  Vgl.  die  Worte  des  Waideloten  in  Wallenrod:   „Du  Itist  ein  Skluve, 
—  Jie  einzige  Waffe  des  Sklaven  ist  der  Verrath," 
Poa,  BUiUci»  UMrMutn.   JI,  1.  17 

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258  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

verdorbtcr  Mensch  von  gewaltigen  VerhältnieBen ,  dessen  grosse« 
Herz  oinem  grossen  Bienenstock  zu  Tergleichen  ist:  „wenn  ihn 
nicht  Bienen  mit  Honig  füHen,  so  wird  er  ein  Nest  für  Eidechsen." 
In  den  Gcfülilen  Wallenrod'e  gegen  den  Orden  und  die  Deut- 
schen war  viel  Analogos  mit  den  Gefühlen  Mickiewicz'  seihst 
und  seiner  Zeitgenossen.  Indem  er  sich  mehr  und  mehr  mit  sei- 
nem Helden  identificlrte ,  hat  Mickiewicz  durch  die  BeimischoDg 
jenes  suhjectiven  Elements  in  künstlerischer  Hinsicht  seinem  Epos 
geschadet.  Im  Jahre  1829  erkannte  er  selbst,  dass  der  Wallen- 
rod  im  Ganzen  ein  mislungenes  Werk  sei  (Odyniec  I,  128).  Die 
Handlang  gebt  sprungweise  yor  sich,  vieles  Interessante  ist  nur 
angedeutet,  z.  B.  die  Hauptaufgabe  Wallenrod's  —  der  Feldzng 
nach  Litauen.  Der  alte  Alf  (Wallenrod),  ein  Mann  des  Blutes 
und  der  That,  in  welchem  alle  Gefühle  erstorben  sind  ausser 
einem  unTersöhnlichen  Hass  gegen  den  Orden,  sentimentali&irt  mit 
der  nicht  weniger  bejahrten  Aldona,  einer  Einsiedlerin,  die  sich 
in  einem  bemoosten  Thurme  in  der  Nähe  der  Stadt  niedergelassen 
hat.  Er  zögert  mit  dem  Feldzuge,  um  nicht  die  Möglichkeit  zu 
verlieren,  sich  mit  ihr  während  der  Nächte  zu  unterhalten;  vom 
Feldzug  zurückgekehrt,  in  welchem  er  Tausende  von  Deutschen 
vernichtet  hat,  erzählt  er  ihr  von  den  Weiden  und  Blümchen 
des  geliebten  kownoer  Thaies.  Aldona  weigert  sich,  den  Thurm 
zu  verlassen  und  mit  Alf  zu  fliehen,  aus  Furcht,  er  werde  sehen, 
dass  sie  alt  und  hässlich  sei.  Alle  diese  Anachronismen  vergisst 
man  beim  Anblick  der  Riesenfigur  Wallenrod's  in  dem  Augenblick, 
als  er  mit  stolzer  Verachtung  die  Maske  der  Heuchelei  abnimmt, 
das  Kreuz  des  Grossmeisters  mit  Füssen  tritt  und  in  das  höllische 
Lachen  befriedigter  Schadenfreude  ausbricht:  „Das  sind  die  Sünden 
meines  Lebens.  Ich  bin  bereit  zu  sterben,  was  wollt  ihr  mehr? 
Verlangt  ihr  Rechenschaft  über  mein  Amt?  Schaut  auf  die  tau- 
send Gefallenen ,  auf  die  ausgebrannten  Besitzungen  ....  Hört 
den  Sturm,  er  treibt  Scbneewolken  —  dort  erfrieren  die  Reste 
eures  Heeres!  Hört,  es  heulen  Heerden  hungriger  Hunde  —  sie 
beissen  sich  um  die  Reste  des  Mahles  I  ....  Alles  habe  ich  ge- 
tban;  ich  bin  stolz  darauf  und  rühme  mich  dessen:  wie  viel  Kopfe 
ich  der  Hydra  mit  einem  Schlage  abgehauen  habe;  wie  Simson 
habe  ich  durch  die  blosse  Erschütterung  einer  Säule  das  ganze 
Gebäude  zerstört  und  gehe  unter  ihm  unterl"  .  .  .  „Wallenrod" 
war  nach  der  Ansicht  des  Verfassers  niemals  ein  politisches  Pro- 
gramm, ja  er  stellte  ihn  nicht  einmal  als  Ideal    hin,  aber  er 

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Adam  Mickievricz.  2&9 

liebte  die  toh  ihm  geschaffene  Gestalt,  trug  sich  lange  mit  den 
Ideen  Walleiirod's,  und  in  ilinen  ist  eine  DosiB  Gift,  eine  gefähr- 
liche, schädliche  Lehio  enthalten,  die  nach  der  einen  Seite  volles 
Mistrauen  einflösst,  und  nach  der  andern  jedem  Renegaten  die 
Ui^lichkeit  gibt,  sein  Thun  zu  bemänteln,  sich  als  Wallenrod  auf- 
zuspielen.' Weder  die  eigenen  Landsleute  noch  die  Fremden  ver- 
standen die  praktischen  Consequeuzen  der  Idee,  die  tief  auf  dem 
Boden  des  Werks  verborgen  lag.  Die  Sonette  und  „Wallenrod" 
landen  in  zahlreichen  russischen  Uebersetzungen  Verbreitung  fast 
gleichzeitig  mit  dem  Original.^  Mickiewicz  galt  für  einen  Byro- 
uiEten.    E.  Baratynskij  schrieb  an  ihn: 

Seh'  ich,  Mickiewicz,  dich  zu  BjTon'e  Füssen 
Begeistert  liegen,  mahnt  mich  das  Gebot: 
Steh'  auf,  Btch'  anf,  erniedrigter  Verehrer, 
Erhebe  dich,  denn  du  bist  selbst  ein  Gott! 

(KuBBk.  Archiv  1872,  Hr.  lü,  S.  1906.) 

Mickiewicz  öffneten  sich  die  Salons  der  Aristokratie,  unter 
andern  auch  das  gastliche  Haus  der  Schriftstellerin  Fürstin 
Zeneidc  Yolhonskaja;  bald  darauf  erhielt  er  die  Frlaubniss, 
nach  Petersburg  zu  kommen  (Ende  1827),  und  siedelte  als- 
dann ganz  dahin  über.  Die  Zeit  vom  April  1828  bis  Mai 
1829  wurde  in  dem  geräuschvollen  Wirbel  der  verschieden- 
artigsten Vergnügungen  in  der  gewählten  und  intelligenten  Ge- 
seQschaft  der  nordischen  Residenz  verbracht.  Mickiewicz  befand 
uch  wie  zu  Hause  bei  einer  europäischen  Berühmtheit,  der  Pia- 
nistin Maria  Szymanowska,  geborenen  Wolowska  (1831  an  der 
Cholera  gestorben),  deren  Töchter  später  Malewski  und  Mickie- 
wicz heiratheten.  Es  umgaben  ihn  ergebene  Freunde,  Genossen 
der  Verbannung  und  enthusiastische  Verehrer,  für  welche  er 
am  Weihnachtsabend  1827  nach  einem  von  Nikolaus  Mali- 
nowski  gestellten  Thema   in  zwei  Stunden  ein   ganzes  ^histori- 


'  Julius  3IowEtcki,  „Bieniowski",  S.  11:  „Daa  Wallenrodenthnm  oder 
'ier  Wallen roüism US  haben  viel  Gutoa  gestiftet— sehr  viel!  Sie  haben  eine 
(fewisso  Methode  in  den  Verratli  gebracht,  haben  statt  eines  Eelmtanflend 
\erräthcr  geschaffen". 

'Die  beste  Ueheraetzang  ist  von  SerSeneviC,  18&8,  im  „Sovremen- 
iiit'';  ea  gibt  Uebersetzungen  von  Bevyrey,  VronCenko,  änigoukij, 
ll*nc4iktov.  Die  Sonette  übersetzten  Fürst  Vjazemskij,  Dmitriev, 
Koilov,  die  Füi-stin  Zeneide  Volkonskaja. 

17* 

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260  VierteB  Kapitel.    Die  Polen." 

Bches  Drama  inVerBen  improrisirte :  ,^Samuel  Zboroweki".^  Drei 
Tage  darauf,  während  eines  Diners  bei  Thaddäos  Bulgarin  *,  fiel 
Mickiewicz  stArk  über  Senkovskij  ber  wegen  tendenziöser  läit- 
Stellungen  der  Wahrbeit  in  deBsen  „CoUectanea"  in  Bezug  auf 
Details  der  polniscben  Oescbicbte.*  Er  liebte  Seokovekij  nicht, 
hielt  ihn  für  einen  Renegaten  und  gefährlichen  Menschen  (Kor- 
resp.  I,  33).  Herzlich  scbloss  sich  Mickiewicz  dem  Maler  Joseph 
Oleeztiewicz  an,  einem  Theoeophen  und  Mystiker,  einem  Men- 
schen Ton  evangelischer  Einfalt  und  Herzensgute  (er  starb  1830), 
der  bis  zur  Schliessung  der  geheimen  Gesellschaften  die  Frei- 
maurerloge des  Weissen  Adlers  leitete.  Mickiewicz  ward  von 
dem  ruBsiscben  Dichter  ^ukovskij  freundlich  aufgenommen  und 
besuchte  den  mit  einer  Polin  Terheiiatheten  Unterrichtsminister 
Siäkov.  Die  Schwester  Heinrich  Rzewuski's,  Frau  Sobaäska  (jetzt 
Frau  Lacroix,  Gemahlin  von  Jules  Lacroix)  veranlasste  ihn,  sich 
mit  Puskin  näher  bekannt  zu  machen,  der  sich  schon  im  Ver- 
gleich zu  seiner  Entwickelungsperiode  in  der  Zeit  Alezander's 
beträcbtUcb  in  seinen  Ansichten  geändert  hatte*,  aber  gutherzig 
offen  gegen  Leute  war,  zu  denen  er  in  nähere  Beziehungen 
trat.  Nach  den  'Worten  Frzecdawski's  ^  erkannte  Pugkin  in  Mickie- 
wicz die  Ueberlegenheit  der  Belesenheit  und  grösserer  systemati- 
scher Kenntnisse  in  der  Literartur  offen  an;  in  den  Aeusserungen 
über  Mickiewicz  ist  eine  unveränderlich  tiefe  Hochachtung  und 
Sympathie  zu  hören. ^    Auch  Mickiewicz  bezeugte,   dass  er  sich 


'  UbI^P  z  pami^ikön  M.  Mblinowskiego  (in  Kroailca  rodzinna  1875, 
Nr.  23-24). 

*  Id  den  Briefen  an  Lelewet  apricbt  sich  Bulgarin  dahin  tuia,  das«  er 
Polen  liebe,  aber  oomme  un  etre  metapbyBique  qui  n'exiate  qne  dana  la 
rtüaou,  aber  er  fürchtet,  man  könne  ihn  der  Polenfreundlichkeit  verdäch- 
tigen, was  soviel  zu  bedeuten  habe,  als  dem  Vertrauen  des  Publikums  ent- 
sagen (Biblioteka  Warazawska  1877,  1,  222). 

>  Echo,  Jahrgang  1848. 

<  MiokiewicE's  Artikel  überPnlkin  im  Qlobe,  25.  Mai  1837,  und  in  sei- 
nen „Vorlesungen  über  slavische  Literatur"  —  beide  in  M^langes  I,  277. 
'  Cyprinus,  in  Russk.  Arohiv,  1872,  Nr.  10. 

*  In  Mitte  eines  Stamme«,  der  ihm  fremd, 
Hat  er  nioht  Bosheit  gegen  uns  genährt; 
Wir  liebten  ihn  ... .  Mit  ihm 

Wir  tauschten  reine  Phantasien  sowol 
AU  Lieder  aus  (von  Gott  begeistert  ja 


.yCüOJ^Ic 


Adam  MiokiewicK.  261 

im  Herzen  mit  dem  grossen  Zeitgenossen  verbrüdert  habe.^ 
Beide  tauschten  ihre  Gedanken  nicht  über  die  Gegenstände 
der  Knnst  allein  aus;  beide  standen  einst  im  Regen,  bedeckt 
mit  Mickiewicz'  Mantel,  vor  dem  ehernen  Reiter  Falconet's*. 
and  es  ist  sogar  eine  Spur  ihrer  Unterhaltung  geblieben  einer- 
seits in  dem  Fragment  „Pomnik  Piotra  Wielkiego"  („Das  Denk- 
mal Peter'B  des  Grossen"),  anderseits  in  dem  posthumen  Werke 
Pnäkin's  „Der  eherne  Reiter"  („Mednyj  vsadnik").  Allerdings 
ist  in  den  Worten,  welche  yon  Mickiewicz  Puäkin  in  den  Mund 
gel^  werden,  Wahrheit  mit  poetischer  Fiction  durchflochteu. 
Es  war  für  Puäkin,  der  nie  im  Ausland  gewesen  war,  Qnmög> 
lieh,  die  Reiterstatne  des  Marc  Auret  mit  der  Peter's  zu  ver- 
glichen; Mickiewicz  konnte  den  eherneu  Marc  Aurel  auf  dem 
C&pitol  erst  im  Jahre  1829  bewundem,  sogar  der  Vergleich  von 
den  Zwillingen  —  den  beiden  AlpenhöheD  —  stellte  sich  wahr- 
Kheinlich  erst  nach  der  Reise  im  Ausland  ein  und  nachdem  die 
Ereignisse  der  Jahre  1830  zwischen  den  beiden  grössten  Dichtem 
des  Slaventhums  schon  einen  bodenlosen,  nicht  einmal  in  Gedanken 
za  äberbrückcnden  Abgrund  gerissen  hatten ',  aber  in  Wirklich- 
keit bekennt  auch  Puskin  in  seinem  spatem  „Ehernen  Reiter", 
daes  die  Idee  von  dem  Giganten,  der  „mit  eisernem  Zügel  Rassland 


War  CT,  Av.h  Leben  schant'  er  vou  der  Höh'). 

Hitibt  saltea  sprach  er  dann  von  kflniVgeii  Zeiten, 

Wo  sich  die  Völker,  allen  Zwist  vergesBend, 

Zu  einem  grosaen  Bund  vereinen  werden.  (tO.  Aug.  183{.) 

'  Nicht  nahe  waren  üe  bekannt,  doch  eng, 

Und  wenige  Tage  erst  währt  ihre  Freundeobaft, 
Der  Erde  Schranken  überragt  ihr  Herz, 
Gleich  tweien  Alpenhöhen  nebeneinander, 
Die,  ewig  zwar  dnrob  einen  Strom  getrennt. 
Doch  kaom  daa  Rauschen  ihres  Feinds  vemebmen, 
Die  hohen  Qipfel  zueinander  neigend. 

(Ponalk  Ploln  Wltlklcga.) 

'  Der  spaniscbe  hell  zimmtfarbige  Mantel  von  Hiokiewioz,  den  er  spä- 
ter Odjnieo  schenkte  (Od.  II,  177). 

*  Der  8(d>lnsB  des  oben  angeführten  Gedichts  PnSkin's: 

Einst  Gast  ans  friedlich  ward  er  uns  zum  Feind, 
0  Gott,  gib  ihm  zorilcfc 
Den  Frieden  dein  in  «ein  erbittert  Herzt 
Kozlov  schrieb  Odjuieo   über  Miakiewicz:    „Vous   nous   l'avei   donne 
fort  et  nous  vous  le  reudoDS  puissant"  (Od.  I,  66). 


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262  Viertes  Kapitel.    Die  Poleo. 

in  die  Höhe  riss",  von  MicltiewJcz  herrühre,  eine  Idee,  welche 
der  Rede  PuSkin'K  zu  Grunde  liegt,  die  er  in  der  Unterhaltung 
am  Denkmal  in  Mickiewiez'  Fragment  hält. 

Der  (unQährige  Aufenthalt  in  Russland  wirkte  auf  Mickiewiez 
in  doppelter  Beziehung  ein;  er  lieferte  ihm  eine  groBSC  Masse 
neuer  Eindrücke,  machte  ihn  mit  einer  Menge  von  Leuten  und 
Verhältnissen  bekannt,  machte  ihn  universeller.  Aus  einem  be- 
fangenen Provinzialen  wandelte  er  ihn  in  einen  Weltmann  um. 
der  bei  den  Damen  beliebt  war.  Aber  diese  Zerstreuungen  nah- 
men Zeit  weg,  Mickiewiez  producirte  wenig  (auf  das  ganze  Jalir 
seines  Aufenthalts  in  Petersburg  kam  nur  der„Farys",  eine  Dich- 
tung in  orientalischem  Geschmack),  die  poetische  Thätigkeit  ging 
im  Ephemeren,  in  der  Improvisation  auf;  er  stand  in  Gefahr, 
träge  zu  werden ,  im  Epicuräerthum  der  grossen  Welt  zu  ver- 
seicbten.  Der  Dichter  sehnte  sich  nach  dem  Auslande,  nach  einer 
Kunstreise,  die  seine  poetische  Bildung  vt>rvol]ständigen  sollte; 
mit  Hülfe  einflussreichcr  Freunde  und  Protectoren  gelang  es  ihm, 
wenn  auch  nicht  ohne  Mühe,  einen  Fass  ins  Ausland  zu  erlangen^, 
mit  welchem  er  am  13.  Mai  von  Kronstadt  aus  in  See  ging, 
nachdem  er  seinem  wilnaer  Freunde,  dem  Vollblutromantiker  A. 
E.  Odyniec,  versprochen,  mit  ihm  in  Dresden  zusammenzutreffen 
und  dann  gemeinschaftlich  die  Reise  in  das  classischc  Land  der 
Kunst,  nach  Italien,  fortzusetzen.  Fünf  Jahre  jünger  als  Mickie- 
wiez verhielt  sich  Odyniec  zu  diesem  wie  der  Schüler  zu  seinem 
Lehrer  und  verzeichnete  Tag  für  Tag  in  seinen  Reisebriefen 
(4  Bände)  alle  Abenteuer  der  Reisenden  in  den  Jahren  18'<i!>— 30. 
Sie  begaben  sich  zu  allererst  mit  Empfehlungsschreiben  nach 
Weimar  zum  greisen  Goethe,  um  ihm  ihre  Verehrung  zu  be- 
zeugen, und  verblieben  zwei  ganze  Wochen  in  seiner  Gesellschaft. 
Trotz  der  Liebenswürdigkeit  und  Zuvorkommenheit  des  Wirthes 
und  seiner  reichen  Geschenke  zum  Andenken  kann  man  kaum 
sagen,  dass  zvrischen  Goethe  und  Mickiewiez  eine  Annäherung 
stattfand.  Der  80jährige  Greis  kannte  die  Mickicwicz'sche  Muse 
nur  nach  den  Fragmenten,  die  aus  dem  „Wallenrod"  von 
einer  Bekannten  des  letztern  zu  Moskau,  Carolina  Jänisch,  nber- 


'  Miekicwicz  ward  um  seines  Wallenrod  willen,  der  schun  eine  zu 
gi'oHsu  Verbreitung  in  der  i-usHischen  Gesellsclial't  gefunden  halte,  nicht  ver- 
folgt, aber  der  Censor  Änastasevif ,  der  das  Werk  hatte  durchgehen  lassen, 
ward  auf  einen  üerieht  NovobiIcov'b  hin  abgesetzt.    {Cyiirinue,  a.  a.  O.) 


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Adam  Miukiemicx.  263 

setzt  wordca  waren.  lu  tlem  jungen  byronisircndeu  Roman* 
tiker  mochte  ibm  daa  Phantom  seiner  eigenen  Jugendjahre 
und  unwiederbringlich  dahingegangenen  Ideen  und  Gefühle  ans 
der  Stürm-  und  Drangperiode  vor  Augen  treten.'  Andererseits 
ghch  Mickiewicz  fast  in  nichts  dem  grossen  Heiden,  nicht  nur 
weil  er  bei  all  seiner  Freisinnigkeit  doch  eine  religiöse  Weltan- 
schauung besass,  sondern  auch  weil  sie  in  ihren  Ansichten  über 
die  Methode  der  Poesie  und  der  Erfoi'schung  der  Wahrheit  aus- 
einandergingen. Der  bejahi-te  Goethe  war  ein  Koloss  an  posi- 
tivem Wissen,  gleich  gross  in  der  Philosophie,  Natui'wissen- 
Grhaft,  Kunst;  es  gab  keinen  Gegenstand,  den  sein  nüchternes, 
allumfassendes  Verständniss  Ternachlässigt  hätte.  Im  Vergleich 
zu  ihm  erschien  Mickiewicz  als  ein  junger  Mann,  noch  nicht 
endgültig  durchbildet,  noch  dazu  auf  falschem  Wege,  der  ihn 
auch  später  in  einen  extremen  Mysticismus  führte;  er  negirte 
alles  todte,  trockene,  systematische  Wissen  und  wollte  nur  den 
Eingebungen  eines  naiven  Gefühls  bedingungslos  gehorchen. 
Seine  Kenntnisse,  wenn  auch  bedeutend  im  Vergleich  mit  denen 
pDskiu's,  waren  doch  nichts  im  Vergleich  zu  denen  Goethe's; 
in  Kowno  hatte  er  Kaut  und  Schelling  gelesen,  aber  sich  die 
Resultate  der  transcendentalen  Philosophie  nicht  angeeignet; 
er  war  Pbilolog,  aber  ohne  Kritik,  liebte  Niebubr  nicht  (Od. 
IV,  61)  um  seines  Kriticismus  willen,  glaubte,  der  echte  Histo- 
riker sei  nicht  der  Chronist,  sondern  der  Dichter,  dem  sich  die 
Wahrheit  offenbare  nicht  durch  die  Anstrengungen  des  analysi- 
renden  Verstandes,  sondern  im  glücklichen  Moment  der  Begeiste- 
rung (Od.  I,  137).  Es  ist  begreiflich,  dass  bei  einer  solchen  Dis- 
IHisition  selbst  das  Studium  der  Kunst  in  ihrer  Heimat,  in  Italien, 
kein  systematisches  sein  konnte,  wie  es  seinerzeit  bei  Goethe 
war,  und  insbesondere  konnte  es  nicht  fruchtbar  seiu.  Mitten 
unter  den  Schätzen  der  Kunst  ergötzte  er  sich  mehr  an  den 
Formen  und  Manieren  oder  „gedachte  seines  Litauens".  Der 
Gegenstaud,  an  welchem  neben  der  Philologie  und  Kunst  sein 
lieist  arbeitete,  war  die  Politik,  aber  auch  hierin  phantasirte  er 
nnr,  nachdem  er  schon  in  Petersburg  in  französischer  Sprache 
auf  30  Bogen  eine  phantastische  „Geschichte  der  Zukunft", 
die  mit  dem  Jahre  2000  beginnt,  geschrieben  und  in  diesem  nie 
Eur  Veröffentlichung  gelangten  Werke  den  Triumph   des  rein 

'  r.  Chmieluwaki,  „Listy  Odyi'ica"  (iu  Ateucuiu  107«,  Kr.  0). 

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264  Viertes  Kapitel.    Dio  Polen, 

«goistiBchen  VerEtandce,  der  mit  alleu  ErrungenscLaften  der  Ci- 
vilisatiou  bewaffnet  ist,  über  Glaube,  Gefühl  und  Geist  als  die 
wabi-Echeiiilicfae  Zukunft  Europas  biugestellt  hatte  (Od.  I,  57). 
In  Italien  erklärte  Mickiewicz  seinem  Freunde  Odyniec  (IV,  149): 
es  gibt  eine  gewöhnliche  Vernunft,  die  Vernunft  des  Bauern  — 
der  gesunde  Sinn,  ausreichend  für  diejenigen,  welche  in  den 
Souterrains  wohnen;  es  gibt  eine  weise,  von  oben  erleuchtete 
Vernunft,  eigen  den  Bewohnern  der  obern  Etagen;  aber  im 
Entrcsol  hat  die  Schulvernunft  ihr  Unterkommen,  welche  die 
Gasaruie  anzündete,  und  Fabriken,  Läden  und  Auditorien  er- 
richtete. Der  Lärm  und  däs  Gerassel  im  Entresol  gestattet 
den  Bewohnern  der  Souterrains  nicht,  die  Stimmen  aus  der 
obern  Etage  zu  hören,  es  gei  denn,  daSB  ein  Gewitter  oder 
Erdbeben  eintritt,  da  laufen  die  Werkleute  auseinander  und 
verstummen,  und  die  Bewohner  der  Souterrains  machen  sich 
daran,  die  Fundameute  des  Gebäudes  nach  den  Anweisungen 
der  Leute  aus  der  obern  Etage  zu  festigen.  —  Beide  Reisende 
empfanden  während  ihres  Aufenthalts  bei  Goethe  einen  eisigen 
Eindruck  bei  ihrer  Berührung  mit  diesem  klaren  Geiste,  bei 
dem  sie  nicht  die  von  ihnen  in  Wahrheit  gesuchte  Wärme 
fanden,  mit  dieser  ruhigen  Selbstbeherrschung,  in  der  sie  eine 
für  sie  unbegreifliche  Abtödtung  des  religiösen  Gefühls  ge- 
wahrten (Od.  I,  153—240).  Die  Reisenden  fuhren  den  Rhein 
entlang,  stiegen  über  den  Splügen  nach  Italien  hinab,  be- 
suchten Mailand,  Venedig,  Florenz,  und  fanden  sich  in  Rom 
ein,  unter  Bekannten,  in  der  aiisgewähltesten  kosmopolitischen 
Gesellschaft  von  Gelehrten,  Künstlern,  Aristokraten  und  Damen 
aus  allen  Nationen.  Die  Gesellschaft  hatte  drei  Gentren:  das 
Haus  der  Fürstin  Z.  Volkonskaja,  deren  Sohn  von  Sevyrev  unter- 
richtet wurde,  wo  Brülow  und  Bruni  zu  verkehren  pflegten,  das 
Haus  der  Familie  Chljustin  (die  Freundin  von  Mickicvricz,  Thor- 
waldsen  und  Bonstetten,  eine  der  geistreichsten  Frauen,  Nastasja 
Chljustina,  verheirathcte  sich  bald  nachher  mit  dem  französischen 
Grafen  deSurcours);  endlich  auf  der  ViaMercede  das  Haus  des 
polnischen  Magnaten  Graf  Ankwicz-Skarbek,  der  sich  zur  Wieder- 
herstellung seiner  kränklichen  Tochter  Henriette  Eva  in  Italien 
niedergelassen  hatte.  Henriette  hatte  eine  Freundin,  Marcellina 
l^empicka,  die  sich  anschickte,  ins  Kloster  zu  gehen.  Hier  unter 
Routs,  Spaziergängen  in  und  ausserhalb  Roms  mit  Archäologen 
und  Kunstkennern  erlebte  Mickiewicz   den   letzten  Liebesroman 


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Adam  MiokiewIcE.  265 

icines  Lebens,  der  zwei  Jahre,  1829 — 31,  dauerte.  Die  Tochter 
des  Grafen,  eine  zarte  Jungfrau,  die  in  vielem  an  Mar;1a  er- 
innerte, hatte  ihn  durch  seine  Gedichte  liebgewonnen,  ohne 
itin  noch  zo  kennen,  und  liebte  ihn  noch  mehr,  als  sie  in 
ihm  Dicht  einen  Riesen  in  der  Art  von  Michel  Angelo's  MoseK, 
vie  sie  sich  ihn  vorgestellt,  Bondem  einen  melancbolisclien, 
reuig  sprechenden  jungeu  Mann  kennen  lernte,  in  dessen 
Bhcken  sich  das  heilige  Feuer  der  Genialität  entzündete,  wenn 
eilebhan,  wurde  und  in  Begeisterung  kam.  Beide  Freundinnen 
waren  religiös,  sie  berührte  unangenehm  das  harte  Lächeln 
des  byron'schen  Sarkasmus  und  die  zuweilen  anehrerbietigen 
Aensserungen  des  Dichters  über  heilige  Gegenstände.  Sie  bete- 
teo  Dud  fasteten  für  die  Bekehrung  des  in  ihren  Augen  Klein- 
gläubigen. Die  Motter  war  Mickiewicz  günstig  gestimmt,  aber 
der  stolze  Mi^nat  wollte  von  Mickiewicz  als  Bräutigam  nichts 
hören,  da  er  ihn  für  eine  ganz  unpassende  Partie  für  Beine 
bochgebome  und  reiche  Tochter  hielt.  Bald  trennten  Bich 
Aokwicz  und  Mickiewicz  (Ankwicz  reiste  mit  seiner  Tochter 
aas  Rom  fort,  und  Mickiewicz  besuchte  Neapel  und  Sicilien), 
bald  kam  Ankwicz  aus  Besorgniss  um  die  Gesundheit  seiner 
Tochter  wieder  mit  Mickiewicz  zusammen,  —  so  wurde  der 
Herbst  1830  gemeinsam  in  der  Schweiz  verbracht,  in  der  Gesell- 
schaft der  Familien  Ankwicz  und  Chljustin.  Hier  ward  mit 
Mickiewicz  der  Sohn  des  Generals  Vincenz  Krasii'iski,  Sigismund, 
bekannt,  der  schon  damals  Hoffnungen  als  Dichter  gab.  Auf 
dem  Rückwege  nach  Kom,  zu  Mailand,  brach  die  Krisis  aus; 
der  Vater  fuhr  auf  und  erklärte,  er  wolle  die  Tochter  lieber 
im  Grabe  sehen,  denn  als  Mickiewicz'  Frau.  Letztem  trieb  es, 
in  den  Orient  zo  reisen,  aber  in  Ancona  brachte  ihn  Heinrich 
Rzewnski  von  diesem  Vorhaben  ab  und  brachte  ihn  nach  Born, 
*o  die  Famüie  Ankwicz  den  Winter  verlebte,  und  wo  der  Graf 
Mickiewicz  wieder  bei  sich  empfing,  indem  er  that,  als  ob 
er  von  den  gegenseitigen  Gefühlen  seiner  Tochter  und  des 
Oicbt«rs  nichts  wisse.  Im  Laufe  dieses  römischen  Winters,  den 
er  in  häufigem  Umgang  mit  Heinrich  Rzewuski^  dem  Priester 
Choloniewski ,  Montalembert,  Lameunats  verbrachte,  brach  der 
in  seinen  Folgen  verhängnissvolle  Aufstand  vom  29.  November 
1830  aus,  welcher  das  constitutionelle  Regime  im*  Königreich 
Polen  und  die  polnische  Sprache  in  Schule  und  Gericht  in 
den  westlichen  Grenzmarken  Busslands  sowie  die  Universitäten 

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266  Viertes  KBpitel.     Die  Polen. 

Wiliia  und  Warschau  mit  fortschwemmte.  Der  Dichter  folgte 
den  KreigniBScn  von  ferne,  fühlte  keinen  Deruf,  sich  in  den 
Wirbel  derselben  zu  stürzen,  da  er  in  sich  weder  die  Fähig- 
keiten eines  Soldaten  noch  die  eines  StaatsinaunB  verspürt«. 
Dabei  ward  Mickiewicz  jetzt  religiöser.  Die  heissen  Wünsche 
der  Fräulein  Ankwicz  und  l'^empicka  gingen  in  Erfüllung,  es  ver- 
schwand die  philosophische  Freigeisterei,  die  sich  niemals  auf 
das  Wesen  des  Glaubens  bezogen  hatte,  sondern  nur  auf  die  Ce- 
remonien,  die  Liebe  selbst  bekam  einen  Anstrich  religiöser  MjBÜk. 
Nachdem  er  viele  Jahre  nicht  zur  Beichte  gewesen,  genoss  Mickie- 
wicz das  Abendmahl,  ohne  jemand  etwas  davon  zu  sagen;  an 
demselben  Tage  theilte  ihm  Frau  Ankwicz  mit,  ihrer  Tochter  sei 
Mickiewicz  im  Traum  erschienen  in  einem  weissen  Kleide  und 
mit  einem  Lamm  auf  den  Armen.  Mickiewicz,  der  an  Ahnungen 
glaubte,  Erscheinungen  hatte  und  schon  mehrmals  sich  und  an- 
dern die  Zukunft  prophezeit  hatte,  war  wie  vom  Donner  ge- 
troffen. Auf  einmal  trat  im  Frühling  l8'i\  eine  plötzliche  und 
ganz  unerwartete  Losung  ein.  Gerade  zu  der  Zeit,  wo  Henriet- 
ten'» Vater  dem  Anschein  nach  in  seinem  Widerspruch  gegen  die 
Neigung  der  Tochter  nachzulassen  begann,  reiste  Mickiewicz  am 
19.  April  1831  plötzlich  von  Rom  ah,  und  traf  Zeit  seines  Lebens 
nicht  mehr  mit  der  Familie  Ankwicz  zusammen,  sondern  schickte 
an  Henriette  nur  ein  Exemplar  des  „Fan  Tadeusz",  worin  die 
Seiten  mit  Bleistift  bezeichnet  waren,  auf  welchen  die  Liebe  des 
Jacek  Soplica  zu  der  Tochter  des  stolzen  Tnicbsess  dargestellt 
wird. ' 

Mickiewicz  verliess  den  Gegenstand  seiner  Liebe  ohne  ge- 
nügenden Grund.  Einige  Jahre  später,  als  derselbe  schon  ver- 
hoiratliet  war,  sagte  der  alte  Ankwicz  zu  Odyniec:  „Herr  Adam 
hat  in  dem  Truchsess  mich  dargestellt;  aber  ein  Vater  hat  doch 
das  Kecht  zu  fordern,  dass  man  um  seine  Tochter  bei  ihm  bitte" 
(aby  si^  o  cörkg  klanialo).  Der  Stolz  des  Dichters  gestattete 
ihm,  dem  armen  Manne,  der  keine  andern  Mittel  hatte,  als  die 
bescheidenen  Honorare  von  seinen  Werken,   nicht,   für   sich  zu 


'  Der  vuu  Frau  Duuhinakn  mitgetlieUte  eigcue  Bericht  der  vor  kor- 
KCm  voi'Ktorbcneii  Heuricttu  Eva,  vcrwitwctcu  S/cnibck  nauli  dem  cratcn,  noil 
Kuezkuwska  naeh  dem  üwciten  Maunc,  iu  Ifibiiulcka  Wnitiziiwska,  1871,  1. 
445.  Ebenda  im  2.  Bde.  der  Ai-tikd  von  Odyuief.  Des  IctzlerD  Brief  an 
Kiemici'iski,  iu  due^en  „Rcligijuoeii  i  mjstyka". 


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Adam  Miokiewicz.  267 

reden  und  uro  die  Hand  der  Tochter  des  Aiikwicz  zu  bitten. 
Mit  Mickiowicz'  Abreise  aus  Rom  beginnt  die  zweite  Epodie 
seines  Lebens,  Bctiwer  und  voller  Kntbehrungen  und  Leiden:  der 
Weltmann  verschwindet,  es  bleibt  nur  der  warme  Patriot  und 
freiwillige  Verbannte;  sogar  seine  Genialitiit  unterliegt  einer 
Verdunkelung  in  dem  dichten  Nebel  des  Mysticismus,  zu  dem  er 
loD  Kindheit  an  neigte,  vor  dem  ihn  aber  in  der  Jugend  andere 
f;inÖü3se  bewahrten.  In  diesem  Niedergang  seiner  Tage  schreibt 
er  noch  zwei  gewaltige  Werke:  den  dritten  Thcil  der  „Dziady" 
niid  „Pan  Tadeusz".  Wir  wollen  nun  den  Hauptmoroenten 
dieser  trüben,  leidensvoUcn  Periode  im  Leben  des  Dichters 
DAcbgeheu. 

Mickiewicz,  den  Nastasja  Chljustina  im  August  1830  ah  Pro- 
pheten feierte',  weil  er  die  Julirevcdution  vorausgesagt  hatte, 
und  der  damals  auch  die  Rückkehr  der  Napoleonide»  prophe- 
zeite, hatte  nicht  das  geringste  Vorgefühl  von  der  Katastrophe 
zo  Warschau,  dem  Anschein  nach  wünschte  er  sie  nicht  und 
hfgte  keine  Hoffnung  auf  ihren  Erfolg;  er  beeilte  sich  nicht,  in 
die  Heimat  zu  reisen,  wohin  Mich  von  seinen  römischen  Freunden 
Stephan  Garczynski,  früher  Student  zu  Berlin  und  Hegelianer, 
begab,  tim  am  Kampfe  theilzunehmen.  Die  Nachrichten  aus  der 
Heimat  regten  Mickiewicz  stark  auf:  „das  nasse  Blatt  einer  deut- 
schen scbniuzigen  Zeitung",  schrieb  er  an  den  Maler  Stattler, 
als  er  sich  zur  Reise  rüstete,  „entzückte  mich  mehr  als  alle 
Vincis  und  Rafaels."  ^  Die  Bewegung  griff  um  sich  und  hatte 
im  April  1831  sogar  einigen  Erfolg.  Aus  Gewissenspflicbt  fühlte 
seil  Mickiewicz  dabin  gezogen,  aber  so  lange  er  noch  über  Paris 
reiste',  war  im  Grossfürstentbum  Posen  der  Aufstand  schon  zu 
Ende,  ward  Warschau  am  8.  September  an  Paskevic  über- 
geben, und  am  5.  October  hatten  die  Ueberreste  des  polni- 
schen Heeres  mit  den  beiden  Landtagskammern,  den  Stäben, 
den  Clubs  und  dem  gesammten  Personal  der  Constitution  ei- 
len Revolutionsregierung  die   preussische  Grenze  überschritten. 


'  Gloire  au  propheto.    Odyniec  IV,  257. 

'  Korr.  I,  50, 

'  Kacli  einer  handscbiiftlichcD  Kotiz  von  S.  Sobolcii-ski  reisten  sie  nm 
19.  April  von  Rom  ob  und  trennten  sicli  nach  einer  zweiwiielieDtlichcn 
Rei»e,  nachdetn  eie  in  Florenz,  Bologiia  und  nn  nndem  Oi-ten  verweilt,  am 
2.  Mai  zu  Fanna, 


....,  Google 


268  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Mickiewicz,  der  sich  vom  Atifetaud  ferngehalten,  solaoge  der- 
selbe dauerte ',  identiGcii'te  eich  ganz  bewusst  mit  der  schon  ver- 
lorenen Sache  der  Polen,  als  alle  Chancen  und  Hoffnungen  in 
der  Gegenwart  verloren  waren,  und  trat  als  Publicist,  Redner 
und  Politiker  der  polnischen  Emigration  auf,  die  auch  ferner- 
liin  eine  hartnäckige  Ideenpropaganda  gegen  die  unvermeid- 
lichen Folgen  deB  Aufstandes,  gegen  die  RepressivmasBregeln 
und  gegen  die  Entnationalisirung  führte.  Diese  in  den  Wolken 
schwebende  Politik  rechnete  mehr  auf  den  lieben  Gott,  als  anf 
irdische  Mittel,  wodurch  sich  auch  die  schon  in  Bom  vollbrachte 
allmähliche  Kräftigung  der  Religiosität  bei  Mickiewicz  erklart  ^ 
der  nun  Demonstration  mit  seinem  Katbolicismus  machte,  sich 
freute,  wenn  man  ihn  deshalb  tadelte,  und  sich  balcl  darauf,  1834 
am  19.  December,  an  der  Gründung  einer  besondern  polnischeD 
religiösen  Gesellschaft  zu  Paris,  der  Gesellschaft  der  „Vereinigten 
Brüder"  betheiligte  (Korr.  1, 1 15).  Diese  Politik  Hess  sich  nicht 
durch  die  Verhältnisse  der  Zeit  beengen,  construirte  e^n  selbst- 
ständiges  Polen  in  alterthümlicher  Gestalt  mit  den  nationalen 
Zügen  der  Vergangenheit  vor  der  Theilung,  und  sah  das  Mittel 
zur  Herbeiführung  der  Restauration  in  der  Erhebung  Westeuropas 
durch  eine  in  der  Zukunft  zu  erwartende  Revolution,  die  ihre 
Spitze  gegen  Russland  richten  sollte.  Die  Uebertragung  der  pol- 
nischen Frage  auf  den  Boden  der  äussern  Politik  zerriss  aof  ein- 
mal die  Verbindungen,  welche  sich  zwischen  Mickiewicz  und  der 
russischen  Gesellschaft  geknüpft  hatten.  Persönliche  Freunde  und 
Gönner  behielt  Mickiewicz  auch  fernerhin  unter  den  Russen', 
aber  das  Nationalgefübl  fing  auf  beiden  Seiten  an  zu  sprechen, 
und  die  beiden  Älpenhöhen  trennte  schon  keiu  blosser  Gebirgs- 
bach  mehr;  vorher  neigten  sie  sieb  einander  zu,  jetzt  aber  wen- 


■  Korr.  II,  83.  Der  Brief  an  die  Fürgtin  Z.  Volkouekaja,  20.  Mars  183S: 
,VouB  avez  de  la  religioQ.  ...  Voyez  te  oiel:  il  u'y  a  lä.  oi  diviaioo  ni 
irontierea." 

'  Hierin  liegt  die  Erkläruug  und  eicht  in  dem  Umgang  mit  kaüioli- 
Bohen  Theologen  in  Rom.  Vgl.  in  Korr.  I,  120:  Lamenniis  gründete  alles 
auf  Polemik  uud  Intriguen.  Kb  ist  dies  ein  trockener  rationalistischer 
Theolüge. 

>  Der  Brief  an  seinen  Bruder,  29.  April  1833.  Korr.  I,  69.  —  Ich 
kann  nichts  vum  Comite  erlangen,  da  ich  nicht  iu  die  jetzige  Revolulion 
verwickelt  bin.  ...  Ich  werde  niemfüe  unter  die  rassische  R^snuig 
zurückkehren,  niemals,  niemals. 


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Adsm  MickiewioE.  269 

deten  sie  sich  Toneinander  ab,  nnd  hörten  auf,  einander  zu  ver- 
stehen.   So  schrieb  z.  B.  Pnlkin: 

Einst  Gast  niu  frenudlicb,  ward  er  unser  Feind. 

Und  jetzt,  dem  UngeBtUm  des  Pöbels  schmeichelnd, 

Singt  er  in  seinen  Uedem  Hsss.  . . . ' 

Diese  Verse  enthalten  nicht  die  Wahrheit.  Mickievicz  war 
nisaals  ein  Schmeichler  und  Liebediener  des  ungeBtümen  Pöbels ; 
er  fand  sich  nach  der  Katastrophe  im  Herzogthume  Posen  ein 
und  dann  in  Dresden  anter  den  kleinmüthig  gewordenen  er- 
bitterten Emigranten,  die  fortfuhren,  sich  gegenseitig  die  Ver- 
antwortung für  das  Misgeschick  zuzuschieben.  Der  Gram  über 
das  Geschehene  erzeugte  eine  verstärkte  Erregung  des  patrioti- 
schen Gefühls  und  beflügelte  die  poetische  Thätigkeit  des  Dich- 
ters. Seine  Produotivitat  war  nach  „Wallenrod"  überhaupt  er- 
schlafft in  der  bunten  Gesellschaft  der  grossen  Welt,  in  der 
er  sich  in  Rom  bewegte.  Zu  ihrer  Erweckung  hatte  auch 
die  Betrachtung  der  Schätze  der  westeuropäischen  Kunst  wenig 
beigetragen,  aber  jetzt  tauchte  er  in  der  nationalen  Strömung 
nnter  und  erkannte,  dass  ihm  die  Begeisterung  mit  noch  nicht 
dagewesener  Kraft  zurückkehre.  In  Dresden  ging  er  auf  Ody- 
niec'  Rath  daran,  Byron's  „Giaur"  zu  tibersetzten,  stellte  aber 
diese  Arbeit  ein,  als  er  während  des  Gebets  in  der  Kirche  em- 
pfanden, dass  sich  über  ihn  eine  Schale  mit  Poesie  förmlich  ent- 
laden and  ergossen  habe.'  Er  arbeitete  schnell,  and  las  das  Ge- 
schriebene abends  seinen  Freunden  in  Dresden  vor:  Odyniec,  Gar- 
Cijliski,  Domejko.  Dies  und  jenes  entlehnte  er  den  Erzählungen 
lon  Augenzeugen  über  die  letzten  Ereignisse,  z.  B.  den  Worten  Gar- 
c^ski's  die  Erzählung  des  Adjutanten,  „von  der  Ordon'- 
schen  Redoute",  welche  von  den  sich  darin  vertbeidigenden  pol- 
nischen Truppen  selbst  während  des  letzten  Sturmes  auf  die 
Befestigung  von  Warschau  in  die  Luft  gesprengt  wurde.  Aber 
seine  Uauptsoi^e  bestand  darin,  die  polnische  Frage,  wie  sie 
danials  lag,  in  der  Form  eines  phantastischen  Dramas  aaf- 
mtellen,  in  welchem  lebendige  PerBonen,  körperlose  Geister, 
Gott  selbst,  irgendwo  hinter  den  Wolken  versteckt,  auftreten, 
and  auch  der  Dichter  aus   dem  Geschlechte  der  aufständischen 


■  Datselbe  Gedicht  10.  Aagust  1834  in  der  AuBgabe  1874,  I,  470. 

'  Der  Brief  an  Odyniec  bei  SiemieÖBki,  „KeligijnoSö  i  mistjka",  S.  146, 


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270  Vierfos  Kapitel    Die  Polen. 

Titanen,  der  im  Gedanken  sogar  zum  Himmel  emporsteigt  und 
I)oi  Gott  im  Namen  des  verletzten  Gefühls  Rechenschaft  fordert 
für  die  offenbaren  Unvollkommenheiten  der  Schöpfung,  für  die 
zugelassenen  Ungerechtigkeiten,  für  die  Leiden  der  Unschul- 
digen. Was  die  Grundidee  der  Herausforderung  zum  Kampfe 
und  der  Ablehnung  der  Anerkennung  hetrifft,  so  hatte  Mickic- 
Vicz  sehr  berühmte  Vorgänger — den  unbekannten  Verfasser  des 
Buches  Hiob,  Aeschylus  im  „Prometheus",  den  er  sorgtältig  in 
Rom  studirt  hatte  (Odyniec,  HI,  82),  Goethe  im  „Faust"  und 
besonders  Byron  in  „Manfred"  und  ,,Kain".  Der  Einfluss  Byron's 
auf  Mickiewicz  war  noch  von  1822  her  lebendig  und  kräftig:  er 
herrscht  im  „Wallenrod " ,  er  ist  auch  noch  in  dem  Drama  be- 
merkbar, welches  Mickiewicz  ausserlich  mit  seinem  wilnaer  und 
kownoer  Werken  verband  und  den  dritten  Theil  der  „Dziady" 
nannte.  Er  selbst  theilte  Odyniec  mit  (S.  148  bei  Sicmiei'iski), 
dass  er  die  Hauptscene,  die  der  Improvisation,  in  diesem  Theil 
der  „Dziady"  für  den  Wendepunkt  der  Byron'schen  Richtung 
.  in  der  Poesie  halte.  Sie  war,  wie  wir  sehen  werden,  auch 
die  definitive  Lossage  vom  Byronismus  in  der  Thätigkeit  des 
Dichters.  Die  Scenerie  des  Dramas  ist  real,  seine  Grundlage 
dem  wirklich  Erlebten  entnommen ,  das  aber  schon  in  ge- 
vrisser  Feme  lag,  den  Zeiten  des  Studentenlebens,  den  Um- 
ständen der  Untersuchung  und  jener  Haft  bei  den  Basiliancr- 
mönchen,  in  welcher  sich  der  Dichter  nach  einem  seiner 
frühem  Briefe  geistig  gestärkt  und  erheitert  hatte.  Der  Haupt- 
grundlage sind  eingeschobene  Scenen  beigefügt,  dargestellt  ist 
ein  Bauernhaus  in  der  Gegend  von  Lemberg,  wo  für  den 
Dichter,  ohne  ihn  zu  kennen,  zwei  Mädchen,  Eva  und  Mar- 
cellina (Änkwicz  und  tempicka)  beten,  ferner  die  Salons  von 
Warschau  mit  ihren  classicistischcn  Gewohnheiten,  mit  ihrer 
Oede  und  Fäniniss.  Die  Grundlage  selbst  besteht  aus  einer 
Reihe  von  Scenen,  welche  in  Wilna  vorgehen,  bald  im  Gefäng- 
niss,  wo  die  Genossen,  lauter  bekannte  Personen,  des  Nachts, 
mit  Unterstützung  eines  alten  Soldaten,  eines  guten  katholischen 
Corporals,  zur  Unterhaltung  beim  Thee  solange  zusammen- 
kommen, bis  sie  sich  auf  ein  Zeichen,  dass  die  Patrouille  naht, 
in  die  Zellen  zerstreuen;  bald  in  den  Salons  und  im  Schlaf- 
gemach eines  Senators,  eines  alten  Wüstlings,  der  unter  aus- 
getrunkenen Weinpokalcn  in  den  Pausen  zwischen  den  Figuren 
des  Tfmzes,  unter  den  Tönen  des  Menuets  aus  „Don  Juan"  über 


Adam  Miokiewicz.  271 

l'DtersuchungBDiassregebi  und  Verhöre  Anordnungen  trifft.  Mickie- 
«icz  wandte,  der  dichterischen  Freiheit  gemäss,  die  kräftigsten 
Farben  zur  Darstellung  dieser  Leiden  und  Qualen  an.  Wie 
Hiiite  Bcfaent  er  sich  nicht,  in  den  untersten  Raum  dieser  Hölle 
bekannte  Leute  zu  setzen,  denen  er  ohne  Gewissensscrupel  den 
ätempel  ewiger  Verdammniss  aufprägt.  Vor  dem  Senator  spie- 
len zwei  Personen,  die  einander  ein  Bein  stellen,  ihre  Bolle  zu 
Rode:  der  Bector  der  Universität  und  ein  Doctor,  den  plötzlich 
am  Ende  des  Stücks  in  seinem  Quartier  in  der  Universität  der 
Blitz  erschlägt;  beide  sind  wirkliche  Personen.  Sowol  die  per- 
^nlichen  Charäkterzüge  als  die  Art  des  Todes  weisen  darauf  hin, 
dasB  der  Dichter  auf  jenen  Professor  Beku  anspielte,  in  dessen 
IUdbc  er  von  ^niadecki  um  seiner  Poesie  willen  so  abgefertigt 
wurde.  Beku  war  Conservativcr  und  ClasBicist,  über  Um  waren  Lcle- 
wel  und  die  Professoren,  welche  die  Universität  verlassen  hatten, 
ergrimmt,  weil  er  sich  mit  einer  Gruppe  alter  Herren  den  neuen 
Ton  Novosilcov  eingeführten  Begulativen  unterworfen  hatte,  aber 
er  blieb  bis  an  sein  Lebensende  ein  rechtschaffener  Mann,  wofür  ■ 
als  Büt^schafl  die  unveränderte  Freundschaft  der  beiden  Snia- 
decki  mit  ihm  dienen  konnte.  Wilna,  die  Orgien  und  die  Unter- 
BQchung  —  das  ist  nur  die  Scenerie  für  das  Monodrama,  als 
dessen  Held  ein  Mann  auftritt,  der  einst  Gustav  hiess,  aber  sich 
jetzt  in  Konrad  umgetauft  hat  (der  Name  ist  entweder  Byron's 
„Korsar"  entlehnt,  oder  weisst  auf  eine  Ideenverbindung  mit 
..Vr'allenroä"  hin,  auf  die  Identität  des  Gefangenen  mit  dem  gros- 
»n  Ordensmeister  und  dem  Dichter  selbst,  der  wie  Alf-Wallenrod 
»za  Hause  kein  Glück  fand,  weil  es  keins  im  Vaterlande  gab"). 
Der  Dichter  ist  schrecklicli  unglücklich,  sein  Gram  erschüttert 
alle,  weil  er  die  ganze  Kraft  eines  persönlichen  Grames  hat  und 
ntgleicU  einen  von  allen  getheilteii  Grund:  „Mein  Name  ist  Million, 
■eil  ich  für  Millionen  liebe  und  leide.  Ich  liebe  das  ganze  Volk, 
ich  habe  seine  vergaugenen  und  künftigen  Geschlechter  umarmt 
and  sie  alle  an  die  Brust  gedrückt  als  Freund,  Liebhaber,  Mann, 
Vater.  .  .  ."  Die  Atmosphäre,  von  welcher  der  Gefangene  umgeben 
ist,  ist  nicht  die  wilnaer  der  zwanziger  Jahre,  sondern  eine  spä- 
tere, durch  die  Folgen  des  Aufstandes  geschaffene,  schwer,  er- 
stickend, voll  finsterer  Verzweiflung  and  Zähneknirschen.  In  der 
Seele  des  Gefangenen  tobt  ein  ganzer  Sturm,  ein  Kampf  guter 
und  böser  Gedanken,  personificirt  in  den  Schwärmen  guter  und 


.....Gooj^lc 


272  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

böser  Geister,  die  ihn  umscbwebeD.'  Die  EmpÖrang  der  Ge- 
danken  ist  ausgebrochen,  in  Wirklichkeit  ist  das  eigentliche 
Feld  aller  Entscheidungsschlachten  nor  die  Seele:  „0  wÜBateBt 
du,  Mensch,  wie  gross  deine  Macht  ist,  wenn  der  Gedanke  im 
Kopfe  auiblitzt,  wie  ein  Funke  in  der  Gewitterwolke.  .  . .  'Wüss- 
test  da,  dass  du  kaum  einen  Gedanken  gefaest  hast  und  auf  ihn 
schon  wie  die  Elemente,  wenn  sie  des  Donners  harren,  Satan 
und  Engel  warten,  ob  dn  in  die  Holle  einschlagen  oder  am 
Himmel  erglänzen  wirst.  ...  0  Menschenl  jeder  Ton  euch  könnte 
ganz  allein,  in  Fesseln  geschmiedet,  Throne  stürzen  und  aufrich- 
ten durch  den  Gedanken  und  durch  den  Glauben  I"  Der  grosse 
Unterschied  zwischen  Mickiewicz  einerseits  und  Goethe  und  By- 
ron andererseits,  welche  dasselbe  Thema  eines  innern  Kampfes 
mit  der  Gottheit  bearbeiteten,  ist  der,  dass  bei  den  letztem 
beiden  der  um  den  Glauben  gekommene  forschende  (Faust) 
oder  erbitterte  Geist  (Manfred)  sich  dem  Gegner  gegenüber  skep- 
tisch verhält,  das  hinter  der  Vorstellung  Verborgene  zu  erfor- 
schen Bucht  und  eine  Art  bodenloser  Leere  vermuthet  Im 
Gegensatz  dazu  steht  Mickiewicz  auf  vollkommen  religiösem 
Boden,  ihm  stehen,  wie  hei  Dante,  der  persönliche  Gott  und  die 
Unsterblichkeit  der  Seele  anschaulich  vor  Augen;  er  ist  voller  Ka- 
tholik und  sogar  in  einem  höhern  Grade  als  die  Kirche,  in  ihm 
lebt  etwas  von  dem  Geiste,  welcher  die  Propheten  und  die  Häre- 
siarchen  beseelte,  einem  Geiste,  der  unmittelbar  und  ausserhalb 
der  Synagoge  und  Kirche  die  Gemeinschaft  mit  Gott  sucht. 
Er  ist  in  Wirklichkeit  in  den  „Dziady"  ganz  derselbe,  wie  in 
einem  Briefe  an  Goszczyüski  vom  Jahre  1843  (Korr.  I,  200):  „wir 
sind  kein  Zweig  der  Kirche;  wir  wachsen  aus  ihrem  Stamme 
empor  durch  ganz  dasselbe  Mark;  wir  sind  kein  Arm  und 
keine  Bucht,  sondern  das  eigentliche  Strombett  des  Lebens  der 
Kirche."  Konrad  wendet  sich  an  Gott,  ausgerüstet  mit  der  gan- 
zen Kraft  des  Gedankens,  der  die  Geheimnisse  des  Weltalls  ent- 


'  In  dem  Fragment  „Widzenie"  („die  Eracheinong")  1,  253  legt  Micbie- 
wicz  seine  Aneiehten  über  dieie  körperlose  Welt  lo  dar: 

i^nnd  herum  standen  schwarze  Geister,  weiMO  Engel,  Feinde  nndVer- 
theidiger  der  Seelen,  mit  den  Flügeln  das  Feuer  kühlend  oder  anfaohend, 
lachend,  weinend,  aber  immer  dem  gehorsam,  den  sie  in  den  Annen  halten, 
wie  die  Würterin  dem  Kinde  gehorsam  zu  sein  pflegt,  daa  ihr  der  Vater  dea- 
Belbeu,  ein  vornehmer  Herr,  anvertraut." 


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Adam  Mioklewioz,  §73 

deckte,  aasgerüstet  mit  einer  Eenntniss  von  Gott,  welche  die  der 
Ereengel  übertrifft,  aber  er  besitzt  noch  ein  stärkeree  Werkzeug 
—  die  unbegrenzte  Macht  des  Gefühls,  das  sich  selbet  nährt  wie 
m  Vulkan,  die  Worte  sind  nur  sein  Rauch.  „Diese  Macht",  sagt  er, 
„habe  ich  nicht  von  den  Früchten  des  Banmes  im  Paradiese  her- 
gmommen,  ich  habe  sie  nicht  aus  Büchern,  ans  Erzählungen,  aus 
der  Lösung  von  Aufgaben  erworben ;  ich  ward  als  Schöpfer  ge- 
boren". Getren  dem  Ausgangspunkte  der  Romantik,  zweifelt  der 
Dichter  nicht,  dass  dieses  Gefiihl  allmächtig  und  wnnderthätig, 
dass  es  nicht  entlehnt,  sondern  von  ihm  selbst  erarbeitet  sei  — 
dass,  wenn  er  mit  der  ganzen  Kraft  der  Seele  auf  eine  vorüber- 
fliegende Schar  Vögel  oder  einen  Kometen  blicke,  er  sie  zum 
Stillstand  bringen  werde.  Diese  Macht  kennen  aber  die  Menschen 
nicht,  sie  kennen  uns  beide  nicht,  Ö&gt  der  Gefangene:  an  ihnen 
sucht  er  Genugthuung  und  erbittet  sich,  dasa  ihm  verliehen  werde, 
so  über  die  Seelen  der  Menschen  zu  heri'schen,  wie  er  über  die 
Xatur  herrsche,  nicht  dnrch  Waffen,  nicht  durch  Wissenschaft, 
nicht  durch  Lieder  und  nicht  durch  Wunder,  sondern  durch  das 
liefnhl,  das  in  ihm  lebt;  zu  herrschen,  wie  man  sagt,  dass  Du  herr- 
schest, beständig  und  verborgen.  „Dass  die  Menschen  für  mich 
wären,  wie  Gedanken  und  Worte,  aus  denen  sich,  wenn  es  mir  be- 
liebte, der  Bau  eines  Liedes  zusammenfüge.  Ich  würde  mein  Volk 
schaffen,  wie  ein  lebendiges  Lied,  und  würde  ein  grösseres  Wun- 
der vollbringen  als  Du,  ich  würde  das  Lied  des  Glückes  anstim- 
Een.  Ein  kleiner  Theil  dieser  Macht  genügt;  gib  mir  den,  wel- 
chen der  Hochmuth  besass,  wie  viel  Glückseligkeit  würde  ich  mit 
diesem  einzigen  Theilchen  hervorbringen."  —  Eine  Antwort  er- 
folgt nicht,  dem  Gefangenen  scheint  es,  dass  er  das  Geheimniss 
erfasst  habe:  „Ein  Lügner  ist,  wer  Dich  die  Liebe  nannte,  Du 
bist  nur  die  Weisheit;  nur  wer  sich  in  Bücher,  in  Metall,  in  die 
Zahl,  in  den  Leichnam  vergraben  hat,  wird  vermögen,  sich  einen 
Thal  Deiner  Macht  anzueignen;  nur  dem  Denken  hast  Du  be- 
stimmt, die  Welt  zu  geniessen,  das  Herz  hast  Du  zu  ewiger 
Busse  verurtheilt.  Warum  hast  Du  mir  das  kürzeste  Leben 
und  das  kräftigste  GefUhl  gegeben?"  Es  folgen  schmerzliche 
Bitten:  „Antworte,  wenn  es  wahr  ist,  dass  Du  liebst,  wie  ich 
es  gehört  habe  mit  dem  Glauben  eines  Sohnes;  wenn  ein  füh- 
lendes Herz  unter  den  Thieren  war,  die  in  der  Arche  aus  der 
Sündflnt  gerettet  wnrden,  wenn  Du  auf  eine  Million  nach  Bet- 
tnng  Schreiender  nicht  schaust,   wie  auf  eine  verwickelte  Glei- 

^ra,  SUTlHh«  LlleritDisiL    U,  1.  lg 

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274  VierteB  Kaphel.    Die  Polen. 

chung".  . . .  Auf  die  Bitten  folgt  Drohung;  „Das  Gefühl  wird 
verbrennen,  was  der  Gedanke  nicht  zerbricht;  dieses  Gefühl  werde 
ich  zusammeDpreseen,  mit  ihm  die  eiserne  Waffe  meines  Willens 
laden  und  sie  abschiessen  gegen  Deine  Natur-,  wenn  ich  de  nicht 
zerschmettere,  so  werde  ich  doch  Dein  Reich  erschüttern,  weil 
ich  in  alle  Gebiete  der  Schöpfung  schreien  werde,  mit  einer 
Stimme,  die  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  dringen  wird,  dass 
Du  nicht  der  Vater  der  Wetten,  sondern  nur  ein  Despot  bist." 
Der  Gefangene  ist  in  Ohnmacht  gesunken,  ohne  das  letzte  dieser 
Worte  vollendet  zu  haben,  das  statt  seiner  schon  von  den 
Teufeln  gesprochen  wird.  Ein  Corporal  führt,  um  dem  bewusst- 
losen  Gefangenen  Hülfe  zu  bringen,  den  Priestermönch  Peter 
herbei;  es  folgt  alsdann  eine  Scene  des  Ezorcismus,  die  in  scherz- 
hafter Weise  erdacht  ist,  wie  bei  Dante  oder  in  den  mittel- 
alterhchen  Mysterien.  Der  die  kopfüber  hinstürzenden  Teufel 
austreibende  Mönch  Feter,  ein  Prophet  und  Geisterseher,  ist 
vielleicht  von  Oleszkiewicz  copirt,  oder  stellt  einen  zweiten  Zwil- 
lingsbruder  des  Dichters  dar  (der  erste  war  Konrad),  d.  i.  den 
Zustand  seines  Geistes,  der  einen  neuen  Messias  schon  voraus- 
schaute, und  dem  Schicksal  ergeben  auf  die  Ankunft  des- 
selben hofEt.  Dieser  ganze  Theil  ist  äusserlich  mit  den  frühem  ' 
„Dziady"  durch  eine  Scene  verbunden,  worin  eine  Frau  auftritt, 
welche  den  Geist  des  Geliebten  vergebens  durch  Vermittelung 
eines  Zauberers  citirt,  aber  ihn  in  einem  der  Verbannten  er- 
kennt, die  auf  der  Strasse  anweit  einer  Kapelle  fortgeführt 
werden.  Von  solcher  Beschaffenheit  ist  das  verwickelte  und  nicht 
ganz  organische  Aeussere  des  Werkes,  in  welchem  die  haupt- 
sächlichste Bedeutung  und  zwar  eine  solche  ersten  Ranges  nnr 
die  stark  hei-vortretende  und  erschütternde  Scene  der  „Impro- 
visation" des  Gefangenen  hat.  Sie  ist  ganz  in  einem  Sitz  ge- 
schrieben,  in  einer  Nacht,  nach  der  Odyniee  den  Dichter  bleich, 
halb  bekleidet,  in  Ohnmacht  auf  dem  Fussboden  schlafend  fand 
(Relig.  i  mistyka,  S.  148).  In  ihr  hat  sich  Mickiewicz  ganz  aasge- 
sprochen mit  der  stolzen  Verachtung  eines  Adlers,  welcher  auf 
deu  Fittigen  des  Gefühls  dahin  schwebt  und  die  Fährten  und 
Pfade  des  inductiv-analytischen  Verstandes  verschmäht,  der  nur 
mit  Anstrengung  und  Vorsicht  die  Bergeshöhen  zu  erklimmen  sucht. 
Die  „Improvisation"  steht  in  engster  Verbindung  mit  den  ersten 
lyrischen  Versuchen  in  Wilna,  aber  der  glückliche  Instinkt,  der 
in  Wilna  half,  die  Forderungen  der  Routine  zu  zerbrechen,   ist 

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Adam  Mickiewicz.  275 

aim  Princip  der  Allmacht  des  Gefühk  erhoben,  und  auf  diesem 
ungezügelten  Roebb  Siegt  der  Reiter  dahin  und  zerschelU  an  dei' 
ehernen  Wand  des  Unmöglichen.  Eine  unmittelbare  Macht  über 
die  That«n  der  Menschen  erbat  sich  der  Dichter  nicht,  aber  üIjcu 
ibre  Gefühle  erlangte  er  sie  unbeschränkt  und  voll.  Sein  stürmi- 
scher Enthusiasmus  hielt  den  Geist  aufrecht,  bewahrte  vor  Vcr- 
iteiflung,  gab  den  Gefühlen  einiger  Generationen  ihre  Richtung, 
die  wie  rasend  hinter  ihm  herflogen  und  ganz  ebenso  an  der 
ehernen  Wand  zerschellten,  indem  sie  dem  Nutzlosen  nach- 
jagten und  in  der  revolutionären  Propaganda  untergingen,  bis 
ach  das  verachtete  Reptil  —  der  analytische  Verstand  —  zu 
der  Wand  hinanschleppte,  an  der  die  Phantasten  zerschell- 
ten, und  zeigte,  wie  man  sie  zu  umgehen,  wie  man  sich  den 
nenen,  unvermeidlichen  Lebensbedingungen  zn  accomodiren  und 
sie  mit  den  alten  Verpflichtungen  und  Erinnerungen  in  Ein- 
klang zu  bringen  habe.  Die  Wand  ist  jetzt  umgangen,  der 
dritte  Theil  der  „Dziady"  selbst,  sammt  dem  mit  ihm  zusammen 
herausgegebenen  Fragment  „Petersburg",  das  den  „Freunden  in 
Moskau"  gewidmet  ist  (Paris  1833) ',  erscheint  gegenwärtig  als  ein 
überwundener  Standpunkt,  als  ein  historisches  Denkmal,  als  ein 
poetischer  Ausdruck  der  Stimmung,  in  der  sich  eine  gewisse  Gc- 
sellBchaft  in  dem  kritischsten  Moment  ihrer  Esi&tenz  befand,  aber 
auch  als  eins  von  den  wenigen  grossen  Werken,  deren  sich  nicht 
jede  Literatur  rühmen  kann  (wie  ,, Prometheus",  „Faust",  „Man- 
fred"), in  denen  die  tiefsten  und  schwierigsten  Probleme  des 
Seins  und  des  Gewissens  gestellt,  wenn  auch  nicht  gelöst  wer- 
den. Im  dritten  Tbeil  der  „Dziady"  sagt  sich  Mickiewicz  definitiv 
vom  ßyronismus  los,  sogar  die  begonnene  Uebei-setzung  des 
„Oianr"  ward  ihm  zum  Ueberdruss  und  kam  nur  mit  Muhe  zu 
Ende.  Wie  gleichzeitig  mit  dem  vierten  Theil  der  „Dziady" 
die  mit  diesem  nicht  zusammenhängende  „Gra2yna"  geschrieben 
wnrde,  so  entstand  gleich  nach  der  Vollendung  des  dritten 
Theils  aus  längst  vorhandenen  Materialien  und  Motiven  ein 
anderes  Werk,  das  vollendetste,  reifste,  das  jetzt  über  alle 
andern  Werke  des  Dichters  gestellt  wird,  ein  Werk,  das  die 
neoere  Kritik  unmittelbar  der  lüas   an  die  Seite  setzt  ^,    ein 


'  DentBch  von  A.  Zipper  (2.  Aufl.,  Hamburg  1878). 
'  Hugo  Zatbey,   „Uwagi  nad  Poiicm  Tndeuazem"  (Posen  1873);   W. 
*l""ing,  „Pan  TftdeuBz  MickiewicKa"   (im  Ateneum  1877,  Nr.  11),    Dio 


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27G  Vierten  Kapitel.    Die  Polen. 

ruhiges,  klares  Szlachta-Epos  in  12  Gesängen  —  der  „Pan 
Tadeusz"  („Herr  Thaddäus").  Es  seien  zunächst  die  äussern 
Umstände  dargelegt,  welche  die  Entstehung  dieser  Dichtung 
hegleiteten.  Mickiewicz  befand  sich  zu  Dresden  und  dann  Ton 
Mitte  des  Jahres  1832  an  zu  Paris  in  einer  sehr  gedrückten  Lage; 
anter  seinen  Leiden  hildete  den  kleinsten  Theil  die  Noth,  die 
bei  ihm  eingekehrt  war,  und  seine  unablässige  Begleiterin  bis 
ans  Ende  des  Lebens  wurde.  Der  Markt  für  den  Absatz  seiner 
VTerke  beschränkte  sich  jetzt  auf  die  verarmte  Emigration  und 
das  Grossherzogthum  Posen,  und  auch  dieses  ärmliche  Stückchen 
Brot  nahm  noch  der  dresdner  Nachdruck  weg  (Korr.  I,  84). 
Der  Dichter  bemühte  sich,  das  Eigenthurasrecht  auf  alle 
Werke  für  eine  lebenslängliche  Pension  von  1000  poln.  Gulden 
(500  Mark)  zu  verkaufen,  um  sie  seinem  Bruder  Franz,  einem 
Emigranten,  zu  geben:  „und  ich  selbst",  schrieb  er,  „werde 
mich  schon  irgendwie  durchschlagen"  (Korr.  I,  71);  „hast  du 
mich  je  um  den  morgenden  Tag  sorgen  sehen?"  (I,  66).  Rund 
umher  waren  lauter  Leidende  und  Bettler,  die  sieb  noch  oben- 
drein um  dag  Vergangene,  um  Schlagwöi-ter,  wie  Aristokratie  und 
Demokratie,  Conservativismus  oder  Revolution,  Katholicismus 
oder  vollständige  Glaubenslosigkeit  zankten.  Er,  der  Pole,  der 
sein  eigenes  nationales  Princip  in  sich  trug,  das  allen  andern 
Parteien  und  Strömungen  des  westeuropäischen  Lebens  fern- 
lag, empfand  einen  tiefen  Widerwillen  gegen  Intriguen,  Zän- 
kereien ,  Klatschereien ,  ja  sogar  gegen  das  eitle,  „verfluchte" 
Paris  mit  seinen  Barrikaden.  („Wovon  soll  man  hier  singen 
-  mitten  unter  der  ewigen  Eitelkeit  des  pariser  Pflasters,  oder 
dem  Schmuz  und  den  Flüchen,  den  unstillbaren  Thranen  und 
Wehklagen  der  Genossen").  Zu  diesen  täglichen  Erbitterun- 
gen gesellte  sich  noch  die  Erkrankung  an  der  Schwindsucht 
und  der  Tod  eines  poetischen  Zöglings  von  Mickiewicz,  des 
jungen  Dichters  Stephan  Garczyiiski  (geb.  1805,  gest.  1833). 
Garczyrtski,    ein  Schüler  Hegel's,    hatte   zweifellos   poetisches 


nicht  pnblioirten  Öffentlichen  Vorlesungen  über  Pan  TadeuBz  von  St  Tar- 
nowaki,  gehnUeu  im  Jahr  1878  in  Wai-sohan.  Ales.  Pechnik,  „Goethe'i 
Hermann  und  Doi-otbea  und  Herr  Thadd&us,  eiue  Parallele"  (Leipzig  1879). 
UeberBetznngen ;  deutsch  von  R.  0.  Spazier  (2  Thle.,  Leipzig  1836),  von 
A.  Weis»  (Leipzig  1882),  von  S.  Lipiner  (1.  Bd.  der  Poetischen  Werke 
des  Ä.  M'ft.,  Leipzig  1883);  rnssiBeh  Ton  N.  Berg  (Warsohan  1875). 


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Adam  MickiewicB.  277 

Tftleot,  das  in  ihm  bei  der  Lecture  von  Mickiewicz'  Wer- 
ken eiTi-achte;  er  reiste  nach  Kom  und  scbloss  sich  Mickiewicz 
an,  trotz  der  nnaufhörlichen  Streitigkeiten,  die  zwischen  ihm, 
Mickiewicz  und  Odyniec  um  seines  philosophischen  Pantheis- 
mus willen  statt&nden.  In  Dresden  kamen  sie  1833  wieder  zu- 
sammen; Mickiewicz  bedauerte  es  von  Henen,  dass  er  nicht  wie 
(iarczyüski  in  die  aufständische  Armee  getreten  war;  Anfang 
Mü  1833  schickte  Oarczynski  das  Manuscript  der  Dichtung 
„Waclaw"  nach  Paris  zum  Druck,  die  Mickiewicz  in  unbe- 
sclireiblicbes  Entzücken  versetzte.'  Mickiewicz  war  überhaupt 
Dicht  immer  ein  guter  Beurtheiler  von  Kunstwerken:  im  vor- 
Ü^eoden  Falle  hatte  er  sich  stark  getäuscht,  weil  „Waclaw" 
nicbts  weiter  als  eine  verwässerte  Paraphrase  seiner  Ode  an  die 
Jugend  und  des  „Wallenrod",  hauptsächlich  aber  des  dritten  Theils 
deT„Dziad7"  ist.^  Mickiewicz  hat  sich  offenbar  durch  seine  eige- 
nen ans  der  Dichtung  wiedertöneuden  Motive  bestechen  lassen, 
ohne  auf  das  Geschraubte  und  Garricaturenhafte  zu  achten. 
Wacta«  ist  ein&ch  ein  Phantast  mit  zerrütteten  Nerven;  er 
stürDit  am  Cbarfreitag  in  die  Kirche  und  fordert  den  Priester 
nun  Streit  heraus,  indem  er  die  Religion  eine  Charlatanerie  nennt, 
dann  wird  er  durch  den  Patriotismus  zu  einem  neuen  Leben  ge- 
boren, als  er  die  Burschen  singen  hört:  „Jeszcze  Polska  nie- 
Jiginjla"  (Noch  ist  Polen  nicht  verloren),  endlich  verwandelt  er 
sich  in  einen  Verschwörer.  Mitte  1832  wurde  Garczyüski  schon 
ganz  hinfallig;  Mickiewicz  brachte  ihn  zugleich  mit  der  barm- 
herzigen Protectoriu  der  Emigranten,  Clandia  Potocka,  aus  der 
Schweiz  nach  Avignon,  wo  Garczyüski  am  HO-  September  in 
seinen  Annen  starb,  womach  Mickiewicz  schrieb:  „ich  bin  wie 
ein  Franzose  auf  dem  Bückzug  von  1812,  demoralisirt,  schwach, 
abgerissen,  fast  ohne  Stiefel"  (Korr.  I,  94).  Versauert,  finster, 
gealtert,  sogar  nachlässig  geworden,  lebte  Mickiewicz  nur  in  einem 
kleinen  Kreise  engerer  Freunde  und  Verehrer,  verschloss  seine 
Ohren  für  das,  was  um  ihn  herum  vorging,  und  floh  vor  der 
bittem  Gegenwart  und   vor  der  Unruhe  Europas   in  Gedanken 


'  Sorr.  I,  6:  „NiuhtB  he.i  mich  seit  der  Zeit,  nU  ich  Schiller  und  By- 
ron goleaeo,  eo  eingenommen.  Wenn  der  nWactaw»  nicht  dein  Werk  wäre, 
»  würde  ich  vielleicbt  den  Autor  beneiden." 

'  SL  Tarnoweki,  „Stefana  Garczjnskiego  Waclaw  i  drobne  puezye" 
(uk  Pneglfd  PoUki  1872,  März). 


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278  Vierles  Kapitel.    Die  Polen. 

in  das  Land,  „wo  es  inif  leichter  ist,  meinen  Kummer  zu  ver- 
gessen, wo  wenigstens  ein  kleiner  Trost  für  den  Polen  vorhanden, 
in  das  Land  der  Kinderjabre;  ....  wo  ich  einstmals  so  fröblicli 
Biiiclte,  wo  ich  gelten  betrübt  war  und  sehr  wenig  weinte"  .... 
(die  Einleitung).  Je  düsterer  alles  um  ihn  herum  wurde,  desto 
häufiger  zog  sich  der  Dichter  dahiu  zurück  und  desto  länger 
weilte  er  dort:  die  in  kleinen  Verhältnissen  angelegte  Dich- 
tung wuchs  gewaltig  an.  Die  erste  Nachriclit  über  dieselbe  fin- 
den wir'  in  einem  Briefe  vom  8.  December  1832  (Korr.  I,  66): 
„ich  schreibe  eine  ländliche  Dichtung  in  der  Art  von  Hermann 
und  Dorothea,  habe  schon  über  1000  Verse  zusammeugesloppelt." 
Er  schrieb  sie,  warf  sie  beiseite  uiid  kehrte  wieder  zu  ihr  zurück, 
weil  „es  mir,  wenn  ich  schrieb,  so  war,  als  wenn  ich  in  Litauen 
süsse" ;  „das  Schreiben  machte  mir  unaussprechliches  Vergnügen, 
indem  es  mich  in  die  geliebte  Heimat  versetzte"  (Korr.  1, 74, 100). 
In  dem  Moment,  wo  Garczyüski  starb,  waren  schon  vier  Gesänge 
geschrieheu,  und  dem  Verfasser  schien  es,  dass  die  Dichtung 
schon  zu  drei  Vierteln  fertig  sei;  endlich  wird  in  einem  Briefe 
an  Odyuiec  im  Februar  1834  geschrieben:  „Gestern  beendigte 
ich  den  Tadeusz  —  zwölf  grosse  Gesäuge ;  viel  Oedes,  aber  auch 
viel  Gutes.  .  .  .  das  Beste,  was  darin  ist,  siud  die  Bilder  aus  der 
Natur,  aus  uuseriu  Lande  und  aus  unseru  heimischen  Gebräuchen. 
—  Meine  Feder  werde  ich,  wie  es  scheint,  nie  mehr  auf  Narrens- 
possen  richten,  —  fügt  er  hinzu  —  vielleicht  hätte  ich  auch  den 
Tadeusz  beiseite  geworfen,  aber  er  war  schon  dem  Ende  nahe. 
Ich  bin  mit  Mühe  zu  Ende  gekommen,  weil  mich  der  Geist  nach 
einer  andern  Seite  riss,  zu  weitern  oDziady«,  aus  denen  ich  mein 
einziges  lesenswerthes  Werk  zu  machen  beabsichtige."'  lu  Be- 
treff des  „Tadeusz"  hat  sich  Mickiewicz  gründlich  getäuscht:  die 
„Dziady"  sind  bald  veraltet,  und  das,  was  ihm  für  Narrens- 
possen  und  Tändelei  galt,  glänzt  in  unverwelklichcr  Jugend,  weil 
in  dieser  Dichtung  die  ganze  krystallisirte  vergangene  Cultur 
eines  wirklichen  historischen  Volkes,  nach  allen  Seiten  lebendig, 
vollständig,  rcliefartig,  malerisch  niedergelegt  ist,  angefangen 
von   den   Speisen,  dem  Getränk   und  der  Kleidung,   der  Jagd, 


'  Eb  bi^sleht  tliu  Auualimu,  Mickiewicz  habe  sie  schon  in  I^uköw  iin 
tiroasherzogthum  ToBen  zu  schreiben  bcgoiiuuu,  in  der  ersicu  Häirtc  Üi" 
Jaht'CB  1832,  aber  diese  Kachi-ichlen  sind  zweifelhaft. 

'  Korr.  I,  86,  88,  f9. 


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Adam  Mickiewioz.  279 

der  Schlägerei,  dem  Landban,  dem  häuBlicben  Heerd,  der  Fa- 
mOie,  bis  zum  Gebet,  bis  zu  den  nnvertilgbaren  Erinnerungeu 
and  intimsten  WünBcben  und  Hoffnungen.  Der  Teppich  ist 
Faden  für  Faden  mit  peinlicher  Sorgfalt  gewoben,  grell  und 
bnnt,  an  handelnden  Personen  sind  viele  Dutzende  vorgeführt; 
die  Farben  sind  harmonisch  gewählt  und  aneinander  gepasst; 
kein  einziges  Muster,  keine  einzige  Person  läast  sich  herausneh- 
meo,  ohne  das  Ganze  zu  verderben;  Pathetisches  verschmilzt  mit 
HamoristiBcbem ;  nicht  nur  das  Aeussere  des  Lebens  ist  in  der 
reaUstiBcheten  Weise  gemalt,  sondern  auch  seine  innerste  Seele 
ist  fixirt.  KrasiAski  äusserte  sich  1840  über  „Fan  TadeuBz" 
D  folgender  Weise  (Dodatek  do  Czasu,  1859):  „Don  Quicliote 
st  mit  der  Iliade  verschmolzen.  Der  Dichter  stand  auf  der 
(irenzscheide  zwischen  einer  verschwindenden  Generation  und 
uns,  er  sab  sie  noch  vor  ihrem  Tode,  aber  jetzt  sind  sie  nicht 
mehr  da,  das  ist  gerade  der  epische  Standpunkt;  er  hat  das 
todtc  Geschlecht  verewigt;  es  wird  nicht  sterben."  Das  Haupt- 
und  Gmndmotiv  und  die  Achse,  um  die  sich  das  ganze  Werk 
dreht,  ist  die  jahrhundertelange  nationale  Feindschaft  der  Po- 
len und  Bussen,  die  so  objectiv  dargestellt  ist,  dass  man  die 
^te,  tapfere  und  biedere  Natur  des  Kapitäns  Rykov  liebt  und 
acbtet;  man  begreift,  dass  an  dem  alten  Streit  nicht  Men- 
schen schuld  sind,  sondern  die  verhängnissvoUe  Vergangenheit 
niid  die  Verschiedenheit  der  politischen  Ordnung.  Dag  Herz 
des  Dichters  bleibt  freilich  bei  seinen  politisch  todten,  aber 
Dicht  entmnthigtenLandsleuten;  vermerkt  sind  ihre  guten  Eigen- 
schaften, nicht  übergangen  ihre  schlechten:  Bürgerkriege,  Pro- 
cesse,  Zwiste  um  privater  Interessen  und  persönlicher  Parteiun- 
ijeii  willen.  An  der  Seite  der  wohlhabenden  Gutsbesitzer  mittlem 
Schlags  verbringt  ihre  letzten  Lebenstage  das  Volk  der  Szlacbta 
—  die  vrilde  Armee  der  Anarchie  vor  der  Theilung,  bereit,  sich 
mit  jedermann  zu  schlagen,  wenn  nur  die  Aufforderung  mit  dem 
Vorwand  geschmückt  ist,  dass  es  pro  publico  bono  geschähe, 
uDd  eine  Verehrung  für  die  Brüder  Szlachcicen  damit  verbunden 
ist  Es  werden  die  Ursachen  des  Verfalls  berührt,  aber  es  gibt 
auch  eine  Arznei  für  das  Uebel,  die  polnischen  Ereignisse  werden 
in  die  gesammteuropäischeu  verflochten,  —  dieselben,  welche 
anch  Goethe  zum  Hintergrunde  seines  bürgerlichen  Epos  ge- 
nommen hatte.  Hinter  der  Scene  steht  jener  „  wunderbare 
Führer,   dar    Gott  des  Krieges,   der  kühne   Genius....   gol- 

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280  Viorte»  Kapitel.    Die  Polen, 

(Icnc  neben  den  silbernen  Adlern  in  den  Siogeswagcn  gti- 
bpannt ,  und  mit  der  drohenden  Recliteu  gegen  den  Norden 
aaslioleud"  (1.  Gesang).  Seiner  Ankunft  harrt  man,  wie  einer 
ErlöauDg,  bei  seinem  Erscheinen  küssen  sich  in  einem  Augen- 
blick im  Feuer  patriotischen  Enthusiasmas'  die  Soplicas  und 
die  IIoreszkoB,  umarmen  sich  die  Szlachciceu  und  der  deutscliu 
Ductriuär  Buchmann  und  der  patriotische  Jude  Jankiel,  dem 
Gemeinwohl  sollen  alle  Privilegien  zum  Opfer  gebracht,  auch 
die  Bauern  sollen  befreit  werden,  aber  zur  Bewahrung  der  Tra- 
dition verleiht  mau  auch  ihnen  adelige  Wappen  (12.  Gesang). 
Napoleon  wird  als  die  Verkörperung  des  grössten  Welteieignisses, 
der  französischen  Revolution,  und  ah  ein  Manu  aufgefasst,  der 
den  Beruf  empfangen,  die  veraltete  Gesellschaft  zu  zcrtrüni- 
niern  und  zu  erneuernj  unter  seiner  Vcrmittclung  vollzieht  bich 
die  Vermäldung  in  der  allgemeinen  Verschmelzung  der  neuen 
grossen  Weltideen  mit  der  nationalen  Ueberlieferung.  —  Pro- 
fessor Nehring  hat  die  bei  der  Schöpfung  des  Epos  angewende- 
ten Methoden  und  Motive  rocht  gut  dargestellt.  Mlckiewicz  war 
nach  der  Natur  seines  Talents  ebenso  sehr  Epiker  wie  Lyriker; 
von  den  frühesten  Jugendjahren  au  verschmähte  seine  Muse  die 
Gegenstände  alttäglichston  Inhalts  nicht  („Warcaby",  der  Plau 
einer  Dichtung  über  die  Kartoffel);  schon  in  Wilua  studirte  er 
die  Iliade  eingehend;  von  den  damaligen  Kritikern  achtete  er 
A.  W.  Schlegel  sehr  (der  eine  ganze  Theorie  des  Epos  in  der 
Jenaer  Allgem.  Literatur- Zeitung,  1797,  gegeben  hatte,  aus 
Aulass  von  Goethe^s  Hermann  und  Dorothea).  Mickiewicz  selbst 
schrieb,  dass  er  anfangs  die  Absicht  gehabt  habe,  etwas  in  der 
Art  von  Hermann  und  Dorothea  zu  schi-eiben;  in  beiden  Dich- 
tungen tritt  als  entscheideuder  Factor  eine  geistliche  Person 
auf;  in  beiden  ist,  nach  der  richtigen  Bemerkung  Schlegel's,  das 
Alltägliche  dadurch  gehoben,  dass  es  auf  die  Unterlage  gros- 
ser Weltereignisse  gestellt  wird.  In  Uebereinstimmung  mit  deu 
Batbschlägen  Schlegel's  ist  aus  der  Ilias  nur  der  Geist,  nicht 
aber  die  Form  entnommen;  der  Dichter  hatte  sie  durchgelesen, 
und  geradezu  vergessen,  nachdem  er  sich  nur  die  Objectivität, 
die  Ruhe  und  den  gemessenen  Gang  der  sich  atlmäblich  ent- 
faltenden Erzählung  angeeignet.  Endlich  gelang  dem  Dichter 
die  organische  Regelroässigkeit  dieses  vollständig  classischeu 
Werkes  zum  Theil  wol  auch  infolge  seines  unmittelbaren  Ver- 
kehrq  mit  dem  classischen  Italien  und  mit  den  Werken  der  an- 


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Adam  Miokiewicz.  281 

tikeo  KuDBt.  Unzweifelhaft  ist  aucb,  das»  Mickicwicz  dicü  und 
jeoes  entlehut  bat,  nicht  sowol  im  Stoffe  ais  in  der  Manier, 
(OD  dem  begabtesten  £i'zäh]er ,  den  die  polnische  Literatur 
besitzt  und  der  etvaä  später  weit  berühmt  wurde,  dem  Grafen 
Heinrich  Rzevnski.  Sie  traten  in  der  Krim  einander  näher,  hu- 
sucht«u  einander  in  Petersburg,  verlebten  den  ganzen  Winter  1830 
in  Rom.  Rzewuski  begann  auf  Miokiewicz'  Andrängen  seine  Er- 
zihltiDgen  „Pamigtuiki  Seweryna  Sophcy"  (,,Mcmoiren  den  Scveriu 
SopHca",  1839)  zu  schreiben,  in  denen  Rejtan,  Wofodkowicz  und 
andere  Personen  auftreten,  die  im  „Pan  Tadeusz"  erwähnt  wer- 
den, der  denselben  Familiennamen  Soplica  tragt.  Man  sieht  nicht, 
dws  Mickiewicz  die  Fabel  von  I^cwucki  entlehnt  habe,  aber 
CT  var  von  der  Manier  und  der  äussern  Form  derselben  eiit- 
iückt,  and  hielt  Rzewuski,  iils  [lumoristeu,  für  den  letzten 
und  cigenthUmlichsten  Nachfolger  des  Rej  von  Naglowice  (Odyu. 
11,  Ä)).  S^  wenig  ist  von  Mickiewicz  aus  Gelesenem  oder  Ge- 
liürtem  entnommen,  doch  gehört  zu  solchen  Entlehnungen  die 
Episode,  die  der  Dichtung  den  zweiten  Titel  gegeben  hat  („Pan 
Tadeusz  albo  Ostatui  Zajazd  na  Litwie"  —  „Herr  Thaddäus  oder 
der  letzte  Kiuritt  in  Litauen");  „Zajazd"  (Einritt)  ist  nämlich 
eine  eigenmächtige  Geltendmachung  seines  Hechts  oder  der  Voll- 
nig  einer  gerichtlichen  Eutecheidung  durch  Privatpersonen,  ohne 
Mitwh-kuDg  des  Gerichts.  In  Mickiewicz'  Jugendzeit  gehörten 
«tlcbe  Zajazdy  schon  der  Geschichte  an.  Der  grös^te  Theil  dua 
Stoffes  war  durch  unmittelbare  persönliche  Erinnerungen  gegeben ; 
die  ganze  Dichtung  ist  aus  Bekannten  des  Dichters  zusammen- 
ge«etzt,  ans  wirklichen  Porträts:  Assessor  und  Notar,  Gervasius 
uoil  ProtasiuB,  Ulanen  and  schnurrbärtige  Szlachcicen;  der  ro- 
mantische und  wunderliche  Graf  und  der  Cymbalspieler  Jankiel. 
Die  demoralisirte  und  französisirte  Kokette  aus  der  Hauptstadt, 
Telimene,  stellt  eine  von  den  Schönheiten  der  grossen  Welt  zu 
Odessa  oder  Petersburg  dar;  in  Sophien,  obgleich  sie  im  allge- 
meinea  schwach  gezeichnet  ist,  finden  sich  einige  Züge  von  Ma- 
rjla,  mit  den  Zusatz  ländlicher  Einfachheit  und  Naivetät.  Ueber- 
kanpt  gelang  die  Darstellung  weiblicher  Charaktere  und  Typen 
veder  Mickiewicz  noch  seinen  andern  grossen  Zeitgenossen,  und 
in  der  Poesie  nimmt  die  polnische  Frau  nicht  die  entsprechende 
Stellung  ein,  die  ihr  wegen  ihrer  Verdienste  im  Leben  ge- 
bührte. Eine  kräftige,  selbständige  Frau,  die  Frau  als  Staats- 
bürgerin, haben  sie  nicht  dargestellt.     Bei  weitem  reicher  sind 

ü,g :.._..  .,(^iÜOglC 


282  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

die  männlichen  Typen,  aber  auch  unter  ihuen  ist  am  wenigsteii 
typisch  Tudeusz  selbst,  ein  guter,  gerader,  aber  etwas  unbedeu- 
tender Bursche: 

Jung  war  er,  flink  und  stattlich  . . . 
Er  hiess  Soplica  —  und  alle  die  Soplica's  sind 
Bekunntliuli  gut  bei  Luibü  und  voll  gesunder  Kraft, 
Zum  Waffoubaudwct'k  uüizig,  nicbt  so  zur  Wissenscbalt. 

(I.  Ges.,  Uebers.  Lipiner's.) 

Er  ist  nebst  Sophie  nur  als  ein  äusseres  Band  hingestellt,  das 
die  feindlichen  UäuEcr  der  Iloresüko  und  Soplica  verbindet.  Der 
Held  der  Dichtung  ist  nicht  er,  sondern  sein  Vater,  ein  büsscn- 
dcr  Sünder,  der  unter  der  Müncbskutte  und  unter  der  Kapuze 
des  Priesters  Robak  seinen  frühern  Namen  Jacek  Soplica  ver- 
birgt, der  einst  mit  einem  wohlgezielten  Schuss  den  vornehmen 
Herrn  Stoluik  (Truchsess)  Horeszko  getödtet  hat,  «ur  Zeit  als 
dieser  eben  die  russischen  Truppen  abwehiie,  und  deshalb  in 
den  Ruf  eines  Büttels  der  Russen,  eines  Verräthers  und  Targowica- 
ners  gekommen  war.  Als  Priester  Robak  sühnte  er  die  Schuld  su 
viel  er  nur  konnte,  tiess  die  Enkelin  des  Truchsess  erziehen,  in 
der  Hoffnung,  seinen  Sohn  mit  ihr  zu  verheirathen ,  diente  der 
Sache  Polens  als  napoleonischer  Agent,  bereitete  einen  umfang- 
reichen Aufstand  vor;  aber  seine  eigene  Vergangenheit  vereitelt 
seine  Plane,  seine  Winke  werden  falsch  gedeutet,  ein  alter  Die- 
ner des  Hauses  Horeszko,  Gervaeius,  benutzt  die  Erregung  der 
Szlachta,  um  sie  gegen  die  Soplicae  zu  hetzen  und  einen  „Za- 
jazd"  gegen  das  Haus  dieses  Gescblechtshauptes,  des  Richter  So- 
plica, des  Bruders  von  Robak,  zu  veranlassen.  Der  Triumph  der 
Horeszko'schen  Partei  dauert  nicht  lange,  es  kommen  rassische 
Soldaten  und  binden  die  betrunkenen  schlafenden  Szlachcicen 
wie  Widder.  Da  befreit  Robak  die  Gefangenen  aus  der  N'oth, 
die  Parteigänger  der  Soplica  fallen  im  Verein  mit  denen-  der 
Horeszko  über  die  Soldaten  her  und  hauen  nach  heftigem  Kampfe 
die  Russen  nieder,  worauf  jeder,  der  kann,  über  den  Kiemen 
unter  die  Fahnen  Napoleon's  flieht.  Im  Kampfe  wird  Robak 
tödtlich  verwundet,  und  seiner  Beichte  vor  dem  Tode  ist  der 
ganze  zehnte  Gesang  gewidmet.  Der  stolze  Truchsess  hatte  die 
Dienste  des  gewandten  Jacek  auf  den  Landtagen  und  Tribunalen 
benutzt,  aber  als  sich  Jacek  in  die  Tochter  desselben  leiden- 
schaftlich verliebte,  und  diese  seine  Liebe  erwiederte,  gab  sich 

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Adam  Mioliiewice.  «283 

der  vornehme  Herr  doii  Anschein,  als  ob  er  gar  nichts  bemerke, 
s|»ter  jedoch  wies  er  Jacek  ab,  und  verheirathete  seine  unglück- 
liche Tochter  an  einen  Wojewoden.  Dieee  kalte  Grausamkeit 
trieb  Jacek  zu  dem  Verbrechen,  das  er  dann  durch  Thaten  pa- 
triotischer Aufopferung  zu  verwischen  suchte.  Bei  der  Beichte 
Jaeck's  briclit  eigentlich  auch  die  Handlung  ab;  alles  Uebrige: 
die  Legionäre,  das  Jahr  1812,  das  Kreuz  der  Ehrenlegion,  das  auf 
Jacek's  Grab  geheftet  wird,  das  Gastmahl  und  Jankiel's  Spiel  auf 
^em  Cymhal  —  ist  nur  ein  prachtiger  Epilog  mit  den  letzten 
Accorden.  Aber  eben  diese  Figur  Jacek's,  welche  den  Mittel- 
punkt im  Werke  einnimmt,  ist  eine  Dissonanz  im  ganzen:  so 
»ehr  ist  sie  ihrem  Charakter  nach  anepisch  und  so  wenig  passt 
äe  in  Tou  und  Rhythmus  zu  allem  übrigen.  In  Jacek  sind  zwei 
Persönlichkeiten  gemischt:  die  alte  zügellose  und  eine  neue, 
die  jene  mit  übernatürlicher  Kraft  bekämpft.  Die  zwei  Per- 
sönticbkeiten  vertrugen  sich  nicht ,  ihr  Gonflict  ist  ein  hoch 
dramatischer,  aber  kein  epischer,  weil  sowol  die  fieberhafte 
Heiligkeit  der  einen,  als  die  übernatürliche  Kraft  der  andern, 
iu  gleicher  Weise  aus  der  einfachen  Norm ,  aus  den  das  Epos 
charakterisii'enden  Eigenschaften  der  Einfachheit,  Menschlichkeit, 
Fasslichkeit  hinausgehen.  Itobak  ist  die  letzte  Metamorphose  des 
frühem  Ideals  des  Dichters,  ein  reumüthiger  Byronist  und  Ro- 
mantiker, der  Busse  thut  und  mit  unbegrenzter  Selbstverleugnung 
and  praktischen  Werken  die  früheren  Ausbrüche  seines  Gefühls, 
seinen  sündhaften  Stolz  und  seine  Eigenliebe  sühnt.  Aber  Jacek 
Soplica  ist  in  der  Dichtung  nicht  nur  das  verwandelte  ursprüng- 
liche Ideal  des  Dichters,  er  ist  auch  noch  ein  Theil  seiner  eigenen 
Seele:  seine  Beichte  ist  die  eigene  Selbstbiographie  des  Mickiewicz. 
Diese  Eigenthümlichkeit  wurde  lange  geheim  gehalten,  sogar  noch 
nach  dem  Tode  des  Dichters,  bis  zu  Anfang  der  siebziger  Jahre 
einerseits  die  Briefe  des  Odyniec,  andererseits  die  von  der  Frau 
Duchinska  mitgetheilte  Erzählung  der  Henriette  Eva  Ankwicz- 
Skarbek  (verwitweten  Szembek,  in  zweiter  Ehe  Kuczkowska)  an 
den  Tag  brachten,  dass  Jacek  —  Mickiewicz  selbst,  dass  Eva 
—  Henriette  und  der  Truchsess  —  Graf  Änkwicz  ist,  der  mit 
tödtlicher,  unerschütterlicher  Höflichkeit  den  selbstbewussten 
Bewerber  abweist.  .  .  .  Den  Eindruck,  den  „Pan  Tadeusz" 
auf  die  polnische  Gesellschaft  ausübte,  war  ein  überaus  ge- 
waltiger und  von  sehr  langer  Dauer;  die  Vorzüge  wurden 
anfs  vollste   anerkannt.    Zu  jener  Zeit  schon   fühlte   sich   der 

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2g4  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Dicbter  im  Geiste  zu  etwas  Andenn,  Höherni  gedräagt,  es 
lag  in  Heiner  Xatur,  dass  er  die  ethischen  Ideale  unendlich 
hülier  stellte  als  die  ästhetiechen.  An  Odyniec  schrieb  er  in 
dem  schon  angeführten  Briefe  vom  Jahre  1834  (Korr.  I,  99): 
„Mein  Grundsatz  ist,  mich  nach  niemand  zu  richten,  nur  auf 
mich  selbst  zu  sehen,  ohne  mich  gross  um  die  Welt  und  um 
die  Leute  eu  bekümmcru.  .  .  .  Ich  komme  zu  der  Ueberzeugung, 
dass  viel  zu  viel  für  diese  Welt,  für  eitlen  Kuhm  und  kleine 
Zwecke  gelebt  und  gearbeitet  worden  ist.  Nur  das  zu  schreiben 
ist  werth,  vermöge  dessen  sich  der  Mensch  bessern  und  Weisheit 
lernen  kann."  —  Aber  das  Geplante  verwirklichte  sich  nicht  und 
sogar  die  „Dziady"  blieben  unvollendet,  weil  Mickiewicz  nur 
dann  schöpferisch  thätig  war,  wenn  die  Begeisterung  über  ihn 
kam,  und  das  geschah  immer  seltener  und  seltener.  Zum  letzten 
mal  wurde  er,  so  viel  man  weiss,  von  ihr  heimgesucht  1840,  als 
ihm  seine  Freunde  am  Weihnachtsfest  ein  Gastmahl  gaben,  und 
er,  von  Slowacki  zu  einer  Improvisation  aufgefordert,  mit  einem 
Feuer  antwortete,  wie  er  es  seit  dem  Verfassen  des  dritten 
Tbeils  der  „Dziady"  nicht  empfunden  hatte  (Korr.  I,  174).  In 
Mickiewicz'  häuslichem  Leben  ging  eine  Aenderung  vor.  Mitte 
des  Jalires  1834  verheirathete  er  sich  {Korr.  1, 103).  Als  er  ein- 
mal hörte,  wie  man  in  lobender  Weise  von  Seiina  Szymanowska, 
der  Tochter  der  Pianistin  sprach,  die  er  als  muntres,  capriciöses, 
aber  liebenswürdiges  Mädchen  in  Petersbui^  gekannt  hatte,  äus- 
serte sich  Mickiewicz  vor  seinen  Freunden  dahin,  dass  er  sie  gern 
heirathen  würde.  Diese  nahmen  die  Sache  in  die  Hand,  luden 
Seiina  nach  Paris  ein  —  die  Ehe  kam  zu  Stande,  und  obgleich  sie 
nicht  aus  Liebe  vollzogen  wurde,  so  war  Mickiewicz  doch  einige 
Zeit  vollkommen  glücklich  mit  seiner  Frau,  die  heiter,  mit  dem 
Geringsten  zufrieden  war  (Korr.  103).  Es  kamen  Kinder,  die 
Sorben  um  das  tägliche  Brot  wuchsen ;  die  Frau  wai-d  vom  Jahre 
1839  an  bis  zu  ihrem  Tode  im  Jahre  1855  dreimal  irrsinnig.  — 
Im  Jahre  1837  versuchte  Mickiewicz  seine  Kräfte  an  einer  ganz 
neuen  Gattung  der  Dichtkunst,  er  gab  zur  Au^hruug  auf  dem 
Theater  Porte  Saint  Martin  ein  Drama  in  französischer  Sprache ' 
„Les  coufederes  de  Bar",  welches  von  George  Sand  kräftig  unter- 
stützt wurde.     Das  Drama  wurde  trotzdem   nicht  angenommen, 


'  „M^lBDgcs  poslhumcs  d'  Ad.  M.  par  Ladislaa  Mickiewicz."    L  Serie 
is  1872). 


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Adam  Miokiewioz.  285 

als  Dicht  bühnengerecht;  es  ist  ein  schwaches  Product;  seine  drei 
letiten  Acte  sind,  Ton  Hand  zu  Hand  gehend,  irgendwo  verloren 
gingen,  nur  die  ersten  zwei  haben  sich  erhalten.  Im  Jahre  1839 
oidnetw  sich  Mickiewicz'  Verhältnisse,  als  er  trotz  seines  reli- 
giösen Bekenntnisses  den  Lehrstuhl  der  lateinischen  Literatur 
in  der  sehr  protestantischen  Universität  in  Lausanne  erhielt; 
bsld  darauf,  zu  Ende  des  Jahres  1840,  eröifnete  sich  ihm  ein 
"iel  weiterer  Wirkungskreis;  die  französische  Regierung  Über- 
trag ihm  den  Vortrag  über  die  slavischen  Literaturen  iu  franzö- 
dscher  Sprache  auf  dem  neu  errichteten  Lehrstuhl  am  College 
de  France.  Die  Stellung  war  in  hohem  Grade  ehreiiToll,  das 
Publikum  seiner  Bildung  nach  ohne  Gleichen,  die  Landsleute 
hegten  sehr  grosse  Erwartungen  von  dem  unstreitig  ersten  Dich- 
ter Polens  und  des  Slaventhums  (Pu§kin  war  1^37  gestorben), 
allein  die  an  bestimmte  Stunden  gebundene,  systematische,  ver- 
driesslicbe  Arbeit  eines  Lehrers  passtc  für  sein  Naturell  nicht; 
sie  erschöpfte,  aber  befriedigte  ihn  nicht.  Zu  einem  Gelehrten 
eignete  er  sich  nicht,  aber  von  den  slavischen  Literaturen  kannte 
er  genau  die  zwei  hauptsächlichsten,  die  russische  bis  zu  den 
dieissiger  Jahren  und  die  polnische.  Er  konnte,  wenn  auch 
nicht  seinen  Gegenstand  vollständig  beherrschen,  doch  auf 
jeden  Fall  die  Hörer  begeistern ,  indem  er  ihnen  zwar  nicht 
aber  das  Slaventhum,  aber  über  Polen  viele  tiefe  und  poetische 
Gedanken  mittheilte.  Allein  gerade  zu  der  Zeit,  als  er  den  zwei- 
ten Theil  seiner  Vorlesungen  (im  Juli  1841)  begann,  kam  er  geistig 
Mf  Abwege,  verlor  sich  in  den  Mysticisnius ,  wozu  sich  reich- 
liche Kmme  in  seiner  psychichen  Organisation  fanden;  statt  der 
Wissenschaft  fing  er  an  Religionslehre  und  Politik  vorzutragen, 
nnd  zog  sich  die  Absetzung  vom  Katheder  zu  (die  letzte  Vor- 
lesung fand  28.  Mai  1844  statt)  infolge  offener  Abweichung  von 
seinen  Vortragspflichten.  Dieser  beklagenswerthe  Umschwung 
ward  durch  das  Erscheinen  des  Theosophen  Andreas  Towiaüski 
in  Paris  und  durch  die  Stiftung  einer  besondem  Dissidenten- 
kirche im  Schosse  des  Katholicismus  oder  des  sogenannten  „To- 
wianismos"  hervorgerufen.  Mickiewicz'  Betheiligung  an  dieser 
Sache'  ist  mehr  in  pathologischer  Beziehung  von  Interesse,  sie 
beeinllusate  aber  auch  den  Inhalt  der  Vorlesungen  über  die  sla- 

'  Waputudzii^  A.  Mlukieuicza  w  üprawie  Andrzejii  Towiannkiego,  Linty 
i  preemowenia  (2  Bde.,  Paris  1877). 


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286  Vierte»  Kapitel.    Die  Polen. 

Tischen  Literaturen. '  Sie  lasst  «ich  nur  erklären  durch  eine  Zu- 
sammenstellung dessen,  was  Mickiewicz  nach  1841  geschaffen  bat, 
mit  den  Ideen,  die  in  seinen  Artikeln  im  Journal  „Fielgrzym" 
zerstreut  sind,  und  mit  der  Schrift,  die  er  schon  in  Dresden  und 
Paris  schrieb  und  hier  1832  herausgab:  „Kaiggi  uarodu  pol- 
skiego  i  pielgrsymstwa  polskiego"  („Die  Bücher  des  pol- 
nischen Volks  und  der  polnischen  Filgerachaft"). 

Diese  Schrift  scheute  er  sich  zu  verkaufen  und  yertheilte  sie 
gratis  (Korr.  I,  173):  sie  ist  im  biblischen  Stile  geschrieben,  in 
Prosa,  ward  fast  gleichzeitig  in  viele  europäische  Sprachen  über- 
setzt^ und  diente  als  Muster  für  die  evangelisch -socialistischen 
Betrachtungen  Lamennais'  in  den  „Parolea  d'nu  croyant".    Sie 

—  GenestB,  Exodus  und  Katechismus   des    polnischen   Pilgers 

—  schildert,  wie  schön  es  die  christlichen  Völker  nach  den 
Kreuzzügen  hatten,  „als  sich  die  Freiheit  langsam  ausbrei- 
tete, aber  bestandig  und  massvoll,  vom  König  auf  die  grossen 
Herren,  von  diesen  auf  den  kleineren  Adel,  vom  Adel  auf  die 
Städte;  bald  sollte  sie  auf  das  ganze  Volk  herabsteigen,  und 
mit  ihr  die  Gleichheit."  Aber  die  Könige  haben  alles  ver- 
dorben und  errichteten  Götzenbilder,  das  letzte  und  hässlichste 
von  diesen  war  das  „Interesae".  Der  Untergang  Polens  wird 
dadurch  erklärt,  dass  sich  dieses  Volk  vor  dem  Götzen  des 
Interesses  nicht  gebeugt  und  uneigennützig  Gutea  geatiftet  habe; 
wird  Polen  wiederhergestellt,  so  wird  ea  keine  Kriege  mehr 
geben.  In  Erwartung  dieser  Wiederherstellung  sollen  die 
Pilger  zusammenhalten,  sich  nicht  streiten,  den  Streit  nicht 
aus  dem  Hause  tragen,  nicht  Schutz  bei  den  Füraten  dieser 
Welt  suchen,  nicht  bei  den  Weisen  lernen  wollen  (hei  den  fal- 
schen Lehrern  Voltaire  und  Hegel,  bei  den  Schwätzern  Guizot 
und  Cousin).  Mickiewicz  sowol  als  seine  Landsleute  sahen  nur 
die  eine  Seite  der  Sache,  nur  die  Tugenden  der  Vergangenheit 
ohne  ihre  Mängel,  ohne  die  innem  Ursachen  der  beiden  Kata- 
strophen von  1795  und  1830.  Sie  hatten  kein  richtiges  Ver- 
ständoiss,   um  so  weniger  waren  sie  im  Stande,  sich  praktische 


'  Auszuge  daraus  in  „Politique  du  XIX  n^cle  p&r  Adam  MickiewioE" 
(Paria  1870).  Die  Vorlerengen  Bind  io  französischer  Sprache  gedruckt  (5  Bde., 
Paris  1849;  neue  Ausg.  4  Bde.,  18&'i)  und  ins  Deatsohc  QberBetzt  (4  Bde., 
Leipzig  184(1);  pulniseh  von  K.  AVr.itnowski  (4  Bde.,  Posen  ISWi). 

»  Deutsch  „im  Jahre  der  Gnade  1883"  (Paris,  Heideloff). 


Adam  Mickiewicx.  287 

Auswege  aus  einer  zweifellos  schwierigen  Lage  auszudenken, 
äe  gaben  auch  keinen  andern  zu  ausser  der  ReEtauration, 
d.  b.  der  Aufhebung  einer  vollendeten  Thatsachc,  auf  der  sich 
schon,  wie  auf  einem  Fundament  von  Stein,  das  politische  System 
der  Staaten  jener  Zeit  befestigt  und  eingerichtet  hatte.  Das 
energische  Bewusstsein  der  Lebensfähigkeit  des  Volkes,  welches 
m  nährten,  und  die  vollständige  Machtlosigkeit,  die  Erregung  der 
Geföhlsnerven  und  die  Lähmung  der  Bewegungsnerven  führte  in 
TeihängniBsvoller  V'^eise  zu  dem  mystischen  Glauben  an  eine  Bet- 
famg  auf  unbekannte  Weise,  durch  Wunder.  Die  Leiden  der 
Gegenwart  wurden  durch  die  herrlichsten  Phantasien  über  das 
Eeich  des  Ruhmes  in  der  Zukunft  entschädigt,  wenn  das  Volk, 
das  seinen  Beruf  noch  nicht  ereilt  hat,  wieder  als  Verwirk- 
ticher  der  christlichen  Ideen  in  den  bürgerlichen  und  inter- 
utionalen  Verhältnissen  auftreten  werde.  Wie  kann  ein  Hau- 
fen von  Menschen,  schwach,  unverträglich,  wenig  befähigt  zur 
Aosfuhrung  der  einfachsten  Unternehmungen,  dazu  gebracht 
Kerden,  ganz  Europa  zu  reformiren?  Als  Antwort  auf  diese 
Frage  diente  einerseits  der  Hinweis  auf  die  Erschütterung  des 
europäischen  Bodens,  auf  die  Vorboten  des  Jahres  1848  (die  Um- 
nlznng  hat  das  monarchische  Princip  nicht  geschwächt,  sondern 
gestärkt,  aber  zu  jener  Zeit  nahm  man  an,  seine  Tage  seien  ge- 
äUt,  und  Aihrte  die  Worte  Napoleon's  an:  dans  cinquante  ans 
l'EuTope  sera  republicaine  ou  cosaque);  zweitens  die  zu  einer 
Ceberzengung  gewordene  Hypothese  von  dem  bevorstehenden 
Auftreten  eines  grossen  Mannes,  eines  „lebendigen  Gesetzes", 
mt»  neuen  Moses,  Christus,  Napoleon,  in  welchem  die  Idee  der 
Zukunft  ihre  entsprechende  Incarnatiou  finden,  und  darauf  ihrer 
Bealisation  entgegengeben  werde.  Zufällig  trat  auch  eine  Per- 
son auf,  die  sich  für  einen  solchen  von  Gott  gesandten  „Mann 
des  Schicksals"  ausgab,  und  vor  der  sich  Mickiewicz  sofort 
beugte,  indem  er  in  die  Stellung  eines  gehorsamen  Jüngere 
wa  „Meister"  trat,  worauf  er  dann  durch  sein  Wort  und  durch 
»ein  Beispiel  viele  andere  Genossen  unter  den  Emigranten  mit 
forbiss.  Diese  Person  war  ein  gewisser  Andreas  Towiaüski 
(geb.  17d8,  gest.  13.  Mai  1878),  ein  ehemaliger  Richter  am 
litauischen  Obergericbt  (in  Wilna),  ein  in  sich  concentrirter 
Phantast,  der  wenig  gelesen  hatte,  wenig  gebildet  war,  a'ber 
TOD  frühen  Jahren  an  über  eine  religiöse  Reform  nachgedacht 
Mte,  und  zu    einer    solchen  Vollendung  im   religiösen  Lel)Gn 


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288  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

gelangt  war,  dass  es  ihm  schien,  als  erhalte  er  für  alles  Be- 
fehle Ton  Oben.^  Wie  viele  seiner  damaligen  Landsleute  var 
Towiaiiski  Napoleonist,  ein  abergläubischer  Verehrer  des  Geistes 
Napoleon's;  er  forschte  nach  den  und  jenen  Resultaten  der  Ent- 
deckungen in  den  Naturwissenschaften,  besonders  nach  dem 
Hellsehen  und  dem  Magnetisiren ,  und  bildete  sich  besondere 
Begriffe  über  die  Kraft  des  "Willens  und  über  die  onsicM- 
bare  Welt,  welche  die  sichtbare  umgibt  —  etwas  in  der  Art, 
wie  die  Lehre  von  der  Seeleawanderung.  Er  war  zu  der  Ueber- 
zeugung  gekommen,  dass  die  Zeit  da  sei,  die  Principien  des 
Christenthums  zu  verwirklichen,  indem  man  sie  in  die  Praxis 
des  privaten  und  gesellschaftlichen  Lebens  einführe,  womit 
auch  die  Zukunft  Polens  verbunden  sei.  Mit  diesem  Beiiife 
begab  er  sich  ins  Ausland  (Juni  1840)-  Da  er  durchaus  nicht 
beredt  war,  nicht  die  Gewandtheit  besass,  in  grossen  Versamm- 
lungen aufzutreten,  ja  sich  sogar  in  der  Schrift  unklar  und  mit 
grosser  Mühe  ausdrückte,  so  konnte  die  einzige  Art,  das  Beab- 
sichtigte auszuführen,  nur  darin  bestehen,  dass  er  zu  seiser 
Lehre  einen  oder  einige  fähige  und  einfinssreicbe  Leute  bekehrte, 
durch  die  er  dann  die  Bewegung  leitete,  selbst  sozusagen  hinter 
den  Wolken  stehend.  Towiaiiski  behauptete  stets  aufs  beharr- 
lichste, er  sei  rechtgläubiger  römischer  Katholik,  nur  verstand 
er  dieee  Religion  auf  etwas  eigene  Art;  in  der  Auswahl  der 
Adepten  und  in  der  Einwirkung  auf  dieselben  bewiess  er  un- 
gewöhnlichen Scharfblick,  Ausdauer  und  Gewandheit.  Er  suchte 
fiie  nur  unter  den  Gläubigen.  Die  ersten  Versuche  mialangen: 
der  Erzbischof  Dunin  von  Posen  und  der  frühere  Hauptcom- 
niandant  des  Aufstandes  Skrzynecki  in  Brüssel  hörten  ihn  an, 
aber  traten  zurück,  als  sie  Ketzerei  witterten.  Daraufmachte 
sich  im  Juli  1841  Towiatiski  auf  einmal  den  Mickiewicz  unter- 
than,  nachdem  er  ihm  einige  Umstände  seines  vergangenen  Le- 
bens offenbart,  die,  wie  Mickiewicz  annahm,   niemand  bekannt 


'  „Manchmal  dachte  ich  ganze  Tage  lang  nach,  wie  Stiefel  genibt 
werden  müBien;  mehrere  Stunden  betete  ich,  wie  Nagel  eu  kaufen  seien 
rur  BefettiguDg  des  DaohcB  für  den  Vater,  damit  das  alles  lu  Wahrheit 
■ei."  —  „Als  ich  Richter  war,  pflegte  ich  in  den  Morgenstunden  in  der 
Eii'che  zu  sitzen,  worauf  ex  mir  schwer  nard,  muh  von  einem  Resultat  ah- 
Kubringcu,  das  ich  mir  in  irgcu deiner  ßoelilniache  im  Geliel  gehildi>t  linttc'' 
{Wbi>ö1u<1z.  I,  196). 


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Adam  Miokiswioz.  3g9 

taren,  and  zur  Heilung  der  damals  in  einer  IrreuiingtaU  be- 
findliclien  Fran  des  Mickiewicz  dadurch  beigetragen  hatte,  daas 
er  ihr  einige  kräftige  Worte  sagte ,  die  auf  sie  sofort  eine  Wir- 
knng  ausübten.*  Das  Rüthselhafte  in  den  Mitteln  der  Bekehrung 
erklärt  flieh  sehr  einfach:  Towianski  hatte  in  Wilna  viele  Ein- 
zelheiten über  Mickiewicz  gehört,  von  den  dortigen  Freunden 
desselben,  von  Maryla,  Puttkammer,  von  dem  Maler  Waiikowicz; 
aosBerdem  stellt  es  sich  heraus,  dass  er  zwei  Winter,  1835  und 
1S36,  in  Dresden  verbracht  hat,  wo  er  täglich  mit  Odyniec  zu- 
sammenkam und  .endlose  Gespräche  über  Mickiewicz  führte  (Sie- 
mienski, Beligijnos^,  S.  149).  Der  Same  fiel  auf  vollständig  vorbe- 
rateten  Boden.  Die  sehnsüchtigen  Erwartungen  des  Emigranten 
eilten  der  Zeit  voraus,  veranlassten  ihn  das  Wunderbare  zu  glau- 
ben; die  Wirkung  der  unmittelbaren  Gewalt  über  die  Seelen,  die 
er  im  dritten  Theil  der  „Dziady"  von  Gott  verlangte,  erfuhr  er 
in  sich  in  der  neuen  Offenbarung.  ...  Da  er  sich  niemals 
Ton  der  oföciellen  Kirche  gängeln  Hess,  so  beseitigte  er  alle 
Einwände  von  dieser  Seite  mit  den  Worten:  „wenn  eich  das 
Volk  im  Grabe  bewegt,  weit  ein  höherer  Geist  den  Stein  ab- 
gewälzt hat,  80  fragt  ihr  diesen  Geist,  ob  er  ein  Mechaniker- 
pitent  habe  und  die  formelle  Erlaubnis»,  den  Kirchhof  zu  be- 
breten."'  Mickiewicz  berief  seinen  Freund,  den  Professor  Do- 
mejko,  im  October  1842  aus  Chili  nach  Europa:  „bis  du  nach 
Europa  kommst,  werden  schon  die  Ereignisse  beginnen,  und  unsere 
Fahne  wird  im  Feldzug  nach  Polon  flattern"  (1, 44).  Der  Schüler 
ging  eifrig  ans  Werk  und  riss  den  Lehrer  mit  sich  fort.  Selbst 
Towi^ski  wäre  geneigter  gewesen  zum  Warten,  seine  Ideen  waren: 
ein  Sendschreiben  an  den  Kaiser  Nikolaus  zu  richten  (I,  189), 
sich  nach  Rom  zu  begeben,  um  auf  den  Papst  zu  wirken,  zu 
Tersuchen  Rothschild  zu  bekehren,  aber  wahrscheinlich  auf 
Mickiewicz'  Andrängen  begannen  Gottesdienste  in  den  Kirchen 
«tt  Paris  mit  Reden  von  Mickiewicz  und  Towiai'iski,  die  Skandal 
hervorriefen  und  zum  Änlass  dienten,  dass  Towiai'iski  aus  Frank- 
reich ausgewiesen  wurde  (Juli  1842),  worauf  Mickiewicz  der 
hauptsächlichste  Vertreter  des  Towianismus  in  Paris  blieb,  in  dem 
doppelten  C3iarakter  eines  „Führers  der  heiligen  Sache",   eines 


'  Vgl.  den  Artikel:    Z  powodu   wapomnieniB  o  Mickiew.    (im  Journal 
Kiwa  1819,  Nr.  118). 

'  Wspötudz.  I,  22:    Der  Brief  an  Skrzynecki,  7.  April  1843. 

Pim,  SUilHbo  LIWnttntBD.   U,I.  19 


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290  Tierteg  Kapitel.    Die  Polen. 

Organisators  der  neuen  Religionegemeinde  zu  Gruppen  von  je 
sieben  Mann,  und  eines  Professors  am  College  de  France,  der  die 
Principien  des  neuen  GlaubensbelienntniBses  in  seine  VorieBnngen 
hin«ntrug.  Die  Erfolge  des  Towianismus  waren  nicht  sonderlieh 
glänzend,  nicht  einmal  unter  der  Emigration.  Ooszczyfiski  und 
Slowacki  echloBsen  sich  der  Bewegung  an,  B.  Zaleski  hielt  sich  fern, 
Witwicki  und  die  polnischen  Priester  (Hieronymus  Kajsiewicz) 
traten  als  scharfe  Gegner  der  neuen  Lehre  auf;  die  Propoganda 
ward  weiter  ausgebreitet  und  ausser  den  Polen  auch  unter  den 
Juden  und  Franzosen  betrieben.  Um  so  eifriger  wurden  Unter- 
redungen, Predigten,  Gebete  abgehalten;  das  Ziel  der  geist- 
lichen Hebungen  bestand  darin,  sich  auf  den  richtigen  „Ton" 
zu  stimmen,  der  durch  keine  Merkmale  bestimmbar,  nur  durch 
das  Gefiihl  erkennbar  war,  und  die  ganze  Kraft  und  das  ganze 
Verdienst  des  Bekenners  bildete.  Die  letzten  Yorlesungnn  über 
die  slarischen  Literaturen  am  Collage  de  France  bildeten  eine 
äusserste  Idealisirung  der  Eigentbümlichkeiten  des  altpolnischen 
Lebens,  sogar  solcher,  wie  das  Wahlkönigthum  und  das  libe- 
rum veto;  die  Geschichte  Polens  wird  als  eine  Ordnung  dar^ 
gestellt,  die  durch  einen  fortwährenden  Enthusiasmus  aufrecht- 
erhalten wurde;  der  slavische  Stamm  wird  als  etwas  Einziges 
geschildert,  in  dessen  Entwick«lung  zwei  einander  diametral 
entgegengesetzte  und  sich  gegenseitig  ausschliessende  Ideen 
wirken :  die  russische  und  die  polnische  (Oesterreich  wurde 
als  eine  vollsfändige  Anomalie  ganz  ausser  Betracht  gelassen). 
Der  polnischen  Idee  ward  der  Sieg  prophezeit  bei  einer  bewaff- 
neten Erhebung  des  europäischen  Westens,  d.  i.  eigentlich  nur 
Frankreichs,  das  im  christlich-napoleonischen  Tone  und  Geiste 
wirke,  gegen  den  nordischen  Kolose.  Die  herben  Worte  vom 
Katheder  herab  gegen  die  Seellosigkeit  und  den  Mangel  an  That- 
kraft  bei  der  officiellen  Kirche  brachten  einen  Riss  zwischen 
Mjckiewicz  und  der  Mehrzahl  der  Emigraten  hervor,  welcher 
zur  Folge  hatte,  dass  er  das  Amt  eines  Präsidenten  der  polni- 
schen historisch -literarischen  Gesellschaft  in  Paris  niederlegte 
(April  1B44).  Der  Lehrstuhl  selbst  ward  ihm  entzogen,  als  er 
anfing,  sich  ans  Publikum  mit  der  Frage  zu  wenden,  ob  die 
Hörer  schon  die  Fleisch  gewordene  Offenbarung  gesehen  hätten, 
und  den  Geist  Napoleon's  anzurufen,  um  mit  ihm  in  geistigen 
Verkehr  zu  treten.  Von  da  an  dauerten  Mickiewicz'  Beziehun- 
gen   zu    seinem    in    der    Schweiz    lebenden    Lehrer    noch   drei 

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Adain  Mickiewicz.  291 

Jahre  (bis  zum  Mai  1847),  nach  und  nach  erkaltend  and 
inmer  gespannter  werdend.  Mickiewicz'  Lage  war  wahrhaft 
tragisch.  Trotz  der  in  seiner  Natur  wurzelnden  Hinneigung 
zDm  Mysticismus  war  er  berühmt  und  atark  durch  aein  Wis- 
sen; wenn  er  sich  nicht  fortreissen  liese,  erkannten  seitie 
Landsleute  zuweilen  bei  Ihm  einen  scharfen  Blick  und  eine 
liditige  Schätzang  der  VerhältoiBse  an.  Analyse  und  Mysticis- 
mus  hielten  eich  in  dieser  Natur  die  Wage,  und  alle  seine 
poetischen  Werke  waren  tief  durchdacht.  Jetzt  galt  es,  sich 
Ton  diesem  Verstände  und  vom  Willen  loszusagen,  nach  derjeni- 
gen „Yerdummung  um  Christi  willen"  (Wspöludz.  I,  235)  zu  stre- 
ben, welche  der  Lehrer  empfahl,  Visionen  zu  suchen,  diese  Vi- 
sionen and  Vorzeichen  zu  erwarten.  Zu  Anfang  waren  in  der- 
Sede  des  Dichters  nur  Klagen  gegen  sich  selbst:  ,,Üu  gabst  mir 
dis  Stöhnen  zum  Herrn,  aber  die  Kraft  beschattet  mich  nicht, 
ich  habe  keinen  Aufschwung".  .  .  .  (Wspöl.  I,  39,  40:  der  Brief 
tom  11.  Sept.  1840).  Alsdann  verlor  er  alles  Vertrauen  zn  dem 
Ldrer,  der  von  den  beiden  Aufgaben,  der  praktischen  Realisirung 
ia  polnischen  Frage  und  der  geistigen  Uebungen,  die  erstere  ganz 
bUen  gelassen  hatte  und  sich  auf  die  ruhigere  zweite  beschränkte, 
w^irend  Mickiewicz  nur  die  erstere  theuer  war,  und  er  gegen 
die  zweite  erkaltete,  ja  sogar  Widerwillen  empfand:  „mit  dem 
Erbeben  des  Geistes  haben  wir  geprahlt",  schrieb  er,  „in- 
dem wir  es  zur  Schau  stellten.  .  .  .;  jeden,  der  nicht  unser 
Echo  sein  wollte,  schrien  wir  als  Rebellen  aus.  Wir  nahmen 
den  Brüdern  die  letzte  Freiheit,  die  sogar  in  Despotien  ge- 
achtet wird:  die  Freiheit  des  Schweigens.  Alle  Misbraucbe 
der  alten  Synagoge,  und  alle,  welche  von  der  kirchlichen  Ge- 
w^t  getrieben  wurden,  fassten  unter  uns  Wurzel  und  brachten 
Früchte"  (Wspöl.  II,  88).  Nach  diesem  Brief  vom  12.  Mai  1847 
brach  die  Correspondenz  ab,  der  Lehrer  hörte  nicht  auf,  den 
Schäler  bei  passender  Gelegenheit  zu  tadeln,  dass  er  „nicht  genug 
das  Kreuz  trage".  Zum  Wortführer  und  Stellvertreter  des  Leh- 
rers in  Paria  ward  Karl  Roiycki  gemacht.  Mickiewicz  ward  wieder 
selbständig,  und  begab  sich  bei  den  ersten  Bewegungen  der  Februar- 
revolution nach  Italien  in  der  Absiebt,  eine  polnische  Legion  zu  bil- 
den'; dann  kehrte  er  wieder  nach  Paris  zurück,  wo  sich  die  Rtlck- 

'  „Memorial  de  la  l%ioii  poirmaite  d&  1848." ,  (Heransgegeben  von  La- 
lUsL  MickiewiM,  Paris  1877.) 

19* 

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292  Vierte«  EApitel.     Die  Polen. 

kehr  der  Napoleoniden  znr  Herrechaft  vorbereitete,  und  eich  in- 
folge dessen  die  HoflFmingen  für  ihn  belebten.  Hier  gründete  er  die 
Zeitung  „Tribüne  des  peuplee",  die  nacb  einjährigem  Beeteben 
im  Juni  1849  verboten  ward.  Anf  jene  Zeit  beziebt  sieb  das  wohl- 
getroffene Portrait  des  Miclciewicz,  das  Iskander  (Alexander  Her- 
zen), der  an  dem  Diner  bei  Gelegenheit  der  Gründung  der  Zeitnog 
tbeilnahm,  in  wenig  Worten  binvrarf.  Der  unverbesserlicbe  Träu- 
mer Mickiewicz  liese  von  seinen  Napoleoniscben  Ideen  sogar  auch 
nacb  jenem  Blutbad  nicht  ab,  in  welches  der  neue  Küser  der 
Franzosen  trat,  als  er  aicb  des  Thrones  bemächtigte.  Er  konnte 
nicht  begreifen,  dass  die  seiner  Meinung  nach  einzige  Regie- 
rung, der  ein  Pole,  ohne  sich  zu  erniedrigen,  dienen  konnte', 
die  Polen  nur  zu  Handlangerdiensten  benutzte  und  mit  ihnen 
nur  wie  mit  Schachfiguren  spielte,  um  sie  nach  dem  Gebrauch 
bei  Seite  zu  werfen.  Sobald  der  Krimkrieg  entbrannte,  gab  der 
inzwischen  verwitwete  Mickiewicz  das  bescheidene  Amt  eines 
Bibliothekars  am  Arsenal,  das  er  unter  Napoleon  erhalten  hatte, 
auf  und  begab  sich  nach  Konstantinopel ,  mit  dem  Auftrag  der 
französischen  Regierung,  an  der  Bildung  von  polnischen  Legio- 
nen in  der  Türkei  theilzunehmen.  Die  Mühen  und  Beschwerden 
der  Heise  und  des  Aufenthalts  im  Orient  beschleunigten  seinen 
Tod.  Er  starb  am  28.  November  1856  zu  Konstantinopel  und 
ist  zu  Montmorency  bei  Paris  begraben. 

Das  waren  die  sonderbaren  Schicksale  des  genialen  Mannes, 
der,  so  lange  er  lebte,  unstreitig  für  den  ersten  Dichter  der  Polen 
galt,  obgleich  schon  zu  seinen  Lebzeiten  andere  selbständige  Ta- 
tente auftraten,  die  in  ganz  neuen  Richtungen  gingen.  Von  sei- 
nen Irrthümem  und  von  dem  Einfiuss,  den  seine  Poesie  sowol  in 
gutem  als  in  schlechtem  Sinne  auf  seine  Zeitgenossen  und  die 
folgenden  Generationen  ausübte,  wird  weiter  unten  die  Bede  sein, 
hier  vermerken  wir  nur  das  hauptsächlichste  und  ihm  unge- 
theilt  zukommende  Verdienst,  dass  er  die  polnische  Poesie  natio- 
naler machte  und  sie  von  der  vasallenbaften  Abhängigkeit  von 
fremdem  Literaturen  befreite.  Schön  hat  dieses  Verdienst  der 
russische  Kritiker  Ivan  Kireevskij '  in  folgenden  Worten  gevQr- 
digt;   „die  polnische   Literatur,   wie   auch  die  mssiscbe,    war 


•  Korr.  II,  27y,  Brief  vom  11.  Sept.  186B. 

•  Obeor   russkoj  Blovegnosti  s:a  1829  g.  |in  KirSerskij,  SQvioenija  I, 
42.    Motlutu  laei). 


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Die  Emigration.  293 

nicht  Dar  ein  Abglanz  anderer  Literaturen,  sondern  bestand 
eiDzig  und  allein  durch  die  Kraft  des  fremden  Einflusses. 
Damit  beide  in  eine  unmittelbare  Beziehung  tniten  und  einen 
festen  Bund  scblÖSBen,  musste  wenigstens  eine  von  ihnen  einen 
BeTollmächtigt«»  in  dem  Keicbstag  der  Männer  ersten  Ran- 
ge»  haben,  welche  die  Geister  in  Europa  leiten,  denn  nur  das 
iD  Europa  herrschende  kanu  einen  Einäuss  auf  die  ihm  bot- 
■üsngen  Literaturen  haben.  Mickiewicz,  der  den  Geist  des 
polnischen  Volkes  in  eich  concentrirte,  gab  zuerst  der  polni- 
schen Poesie  das  Recht,  ihre  Stimme  unter  den  geistigen  Depu- 
tirten  Europas  zu  haben,  und  gab  ihr  zugleich  damit  auch  die 
M^chkeit  auf  die  russische  Poesie  einzuwirken."  Wir  unserer- 
seits bemerken  noch,  dass  Mickiewicz'  Rolle  in  der  polnischen 
der  Rolle  Fulkin's  in  der  mssischen  Literatur  entspricht  und 
dagB  eine  künftige  Kritik  wahrscheinlich  noch  mehr  die  Aehn- 
liehkeit  dieser  beiden  Vertreter  verwandter  Stämme  —  wenn 
neb  nicht  dem  Charakter,  der  bei  Mickiewicz  fester  und  reiner 
nr,  so  doch  dem  Talent  nach  —  mit  zwei  benachbarten,  sich 
lanander  zuneigenden  Berggipfeln  bestätigen  wird. 


B.    Di»  SpaltoDf  der  Uteratnr  in  eine  Bmigrantenliteratux 
und  in  eine  einheiinisdie.    <1880— 48.) 

Die  Uebersiedelung  des  intelligentesten  Theile  der  Gesellschaft 
niich  dem  Aufstände  vom  Jahre  1830  ins  Aueland,  besonders 
nach  Frankreich,  wohin  sich  auch  solche  Schriftsteller  begaben, 
die  nicht  in  die  Bewegung  verwickelt  waren,  sich  aber  von  den 
Bedrückungen  eingeengt  fühlten  und  die  Freiheit  des  Worts  vor- 
zogen, brachte  die  anomale  und  unnatürliche  Erscheinung  hervor, 
dasB  ach  die  Literatur  in  eine  solche  der  Emigration  und  in  eine 
einheimische  spaltete,  und  dass  die  erstere  als  die  glänzende,  be- 
wegnngBYotle  und  freie,  vor  der  letzteren,  welken,  farblosen,  furcht- 
sunen,  in  blinder  Anhänglichkeit  an  der  altnationalen  Ueberliefe- 
rang  erstarrenden  und  jede  Neuerung  abwehrenden  den  Vorrang 
hatte.  Mit  Ausnahme  des  Grossfaerzogthums  Posen  durfte  man  in 
den  andern  Gebieten,  wo  es  Polen  gab,  keine  Fragen  des  prak- 
tischen Lebens,  z.  B.  die  der  Bauernbefreiung  berühren;  sogar 
tine  Neuerung  in  der  Wissenschaft  oder  Kunst  zog  von  einer  Seite 
die  Verdächtigung  der  Freigeieterei  nach  sich,  und  stiess  nach 
der  andern  als  ein  Verrath  am  Altnationalen  an.    Der  Schrift- 


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294  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

steiler  lUusBtc  Bta,rk  mit  dem  KatechiBmas  rechnen,  sicli  vor  jeder 
unehrerbietigeu  Aeusseniug  über  die  alte  Zeit  hUten,  um  nicht 
das  Heiligthum  der  Dationalen  Geechicbte  zu  verletzen.  Die  Ge- 
sellechaft  suchte  sieb  gegen  Entnationalisirung  zu  schätzen,  in- 
dem sie  sich  kritiklos  an  das  nationale  Alterthum  heftete;  aus 
Furcht  vor  PansläTismuB  mied  sie  jede  Blarische  Gegenseitigkeit, 
Bei  solchen  Verhältnissen  eines  dauernden  Stillstandes  konnten  die 
Früchte  des  heimatlichen  Bodens  weder  nahrhaft  noch  schmack- 
haft sein;  die  heranwachsenden  Generationen  bildeten  sich  nickt 
an  ihnen  heran,  sondern  an  den  verbotenen  Werken,  welche  a.h 
Coutrebande  vom  Auslande  eindrangen.  Es  verbreiteten  sich  so- 
nach erstens  die  intellectuellen  Froducte  der  faulen  europäischen 
Bewegung,  welche  dem  Jahre  184S  vorausging,  die  Theorien  des 
Socialismus  und  Gommunismus,  die  Ideen  der  materialistischen 
Philosophie,  Werke  äusserst  negativer  Tendenz;  aber  es  verbrei- 
ten sich  zweitens  auch  die  „Dziady"  sowol  als  „Pan  Tadeusz" 
und  die  poetischen  Schöpfungen  der  Emigration.  Diese  letztere 
befand  sich  im  Auslände  in  dem  Zustande  einer  von  ihrem  Fun- 
dament losgerissenen  Regierung,  die  aus  Leuten  aller  Parteien 
und  ScLattirungen  bestand  und  fortfuhr,  sich  als  die  Nation 
zu  geriren  und  zu  wirken ,  als  wenn  sie  die  Macht  hätte ,  in- 
dem sie  bald  durch  Hinterthüren  an  die  europäischen  Hofe 
zu  gelangen  suchte,  bald  in  die  Heimat  EmisBäre  sandte,  um 
einen  Aufstand  anzustiften,  bald  sich  an  allen  möglichen  revo- 
lutionären Bewegungen  in  Europa  betheiligte,  in  der  Erwartung 
eines  allgemeinen  europäischen  Umschwungs.  Es  war  dies  eine 
politische  Romantik  eigener  Art,  die  statt  reale  Politik  zu  trei- 
ben einem  poetischen  Phantom  derselben  nachjagte;  das  Pro- 
gramm war  allerdings  sehr  weit:  eine  Restaurirung  in  den  Gren- 
zen von  1772,  man  stritt  nur  um  die  Mittel,  indem  man  bald 
diplomatische,  bald  revolutionäre  wählte;  am  Ende  der  einen  so- 
wol als  der  andern  dämmerte  ein  neuer  Aufstand.  Die  wirklichen 
Steuermänner  des  Emigrantepscbiffes  waren  nicht  die  frühem 
Generäle, und  MiniBter,  ja  nicht  einmal  die  Publicisten,  sondern 
Dichter,  Leute  der  Phantasie  und  des  Gefühls,  die  in  ihrer 
Begeisterung  die  allgemein  menschlichen  und  nationalen  Fragen 
lösten,  die  gordischen  Knoten  der  Politik  zerhieben,  keine 
Bücksicht  kannten  und  nicht  mit  den  Bedingungen  der  Zeit, 
des  Ortes  und  den  Kräfteverhältnissen  rechneten.  Diese  in 
pädagogischer  Beziehung  ganz  untaugliche  Schule,    die  mehrere 

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Die  Emigration.  295 

Generationen  nacheinander  in  revolationären  Ideen  und  GefiihleD 
erzog,  diente  als  directe  Vorbereitung  zu  dem  viele  Jahre  später 
folgenden  Terderblicben  letzten  Aufstände  im  Jabre  1863.  Wenn 
io  der  Folgezeit  auch  die  Poesie  uacb  dem  Tode  ihrer  grossen 
Vertreter  Terflachte,  so  blieben  doch  Geiat  und  Kichtung  in 
ihr  dieselben.  Die  angenommenen  Gewohnheiten  des  Denkens 
Qod  Empfindens  mussten,  sobald  sie  Raum  fanden  sich  zu  be- 
Uüitigen,  bei  dem  Uangel  an  Elementen,  die  innerhalb  der  pol- 
nischen Gesellscbaft  selbst  kräftig  genug  entgegengewirkt  hatten, 
und  bei  dem  thatsäcblich  unverändert  gebliebenen  System  der 
Beziehungen  der  Slttven  zueinander,  zu  einem  verhängnissvollen 
Be&nltat  führen.  Aber  wenn  die  Schule  der  Emigration  nicht  gut 
var  als  Schule  der  Erziehung,  indem  sie  einzelne  seelische  An- 
lagen zum  Nachtheil  der  andern  entwickelte,  so  erwies  sie  sich 
doch  als  ungewöhnlich  fruchtbar  und  bereicherte  die  Literatur 
mit  Kimstschätzen  ersten  Ranges.  Mickiewicz  spielt  unzweifel- 
haft die  erste  Rolle,  mit  ihm  hängen  fast  alle  Schriftsteller 
jener  Zeit  zusammen  nicht  nur  in  der  Emigration,  sondern 
luch  in  der  Heimat,  nnd  zu  ihm  verhalten  sie  sich  entweder 
wie  Nebenflüsse  oder  wie  Nebenarme  mnes  einzigen  gewaltigen 
Stromes.  Aber  gleich  nach  Mickiewicz  traten  zwei  mächtige 
Talente  auf,  die  sich  in  eine  Reibe  mit  ihm  stellen  und  mit 
ihm  Thron  und  Scepter  der  Poesie  theilen,  sodass  erst  diese 
drei  Männer  zusammengenommen,  da  sie  einander  ergänzen, 
iils  vollständigster  Ausdruck  des  Geistes  der  polnischen  Poesie 
im  Momente  ihrer  höchsten  Entwickelung,  den  sie  in  dem  Zeit- 
raum von  1830 — 48  erreichte,  angesehen  werden  können.  Diese 
ääuger,  die  schon  oben  in  der  Biographie  von  Mickiewicz  er- 
wähnt wurden,  waren  Julius  Slowacki  und  Sigismund  Krasiüski. 
Als  der  Professor  der  Literatur,  Eusebius  Slowacki,  1809  aus 
Kremenec  anf  das  Katheder  zu  Wilna  übersiedelte,  hatte  er 
«chon  einen  Sohn  Julins  (geb.  23.  Aug.  1809)  aus  der  Ehe  mit 
Salome,  geborenen  Januszewska.  *    Bald  darauf,  im  Jahre  1814, 


'  Die  Hauptmateri&l  zur  Würdigung  Slowaoki^e  bildet  bi^jetzt  iIab  Werk 
dn  Professors  A.  Matecki,  „Juliaez  Stowacki,  jego  iyoic  i  ilziela"  (2  Bde., 
Lemberg  1866  —  C7).  Vor  kuriom  wurden  autobiographisühc  Bemerknogcn 
Stowacki'a  ans  Beiner  frühem  Jugend  veröffentliübt  (Przeglqd  polski  1879), 
•lic  aich  in  den  Händen  von  B.  Gasztawt  fanden. 

Die  zu  Lebzeiten  herausgegebenen  Werke  Sluwacki'a  sind  in  der  leip- 

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'^96  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

starb  Eusubius  Slowacki;  seine  Witwe  —  welclie  von  deaen,  die 
sie  gekannt  babeu,  als  eine  überaus  sympathische  und  interes- 
sante Frau  geschildert  wird,  trotz  ihres  Mangels  an  Schönheit, 
wegen  ihrer  Güte  und  wegen  ihrer  lebendigen,  poetischen,  schil- 
lernden Phantasie  (Odyniec  I,  150),  —  kehrte  nach  Kreroenec 
zurück,  aber  nicht  auf  lange,  da  sie  sich  im  Jahre  1817  ent- 
sclilos».  hauptsächlich  in  der  Absicht,  ihrem  Sohne  eine  bessere 
Erziehung  zu  verschaffen,  eine  zweite  Ehe  mit  dem  Professor 
August  Baku  in  Wilna,  einem  Witwer,  einzugehen.  Der  über- 
aus ftuhreife  Knabe  ward  von  den  altern  Töchtern  Beku's  aus. 
ci-ster  Ehe,  Alexandra  und  Hersilia,  sehr  verzogen;  er  artet« 
ganz  nach  der  Mutter,' die  er  vergötterte,  mit  der  er  sein 
ganzes  Leben  lang  in  höchster  Eintracht  lebte,  der  er  alle 
seine  Gedanken  und  Phantasien  mittheilte  und  in  der  er  zuweilen 
eineu  strengen  Kritiker  seiner  Werke  hatte.  Von  der  frühesten 
Jugend  an  trat  bei  ihm  ein  Charakterzug  hervor,  eine  masslose, 
krankhafte  Selbstliebe,  die  jedoch  eine  ganz  eigenartige  Richtung 
empfing.  Dieser  Knabe  setzte  sich  den  sonderbaren  Wunsch  in 
den  Kopf,  ein  grosser  Dichter  zu  werden.  Im  neunten  Lebens- 
jahre bittet  er  Gott  im  Dom  zu  Wilna,  er  möge  ihm  ein  noch 
so  leidensvolles  Leben  geben,  wenn  nur  ein  poetisches,  „möge  ich 
mein  ganzes  Leben  lang  verachtet  bleiben,  wenn  ich  nur  unsterb- 
lichen Ruhm  nach  dem  Todo  erlange"  (Brief  vom  25.  Januar 
1845);  „während  des  Lebens  werde  ich  nichts  für  mich  zu  er- 
reichen streben,  aber  nach  dem  Tode  fordre  ich  von  Dir,  o  Gott, 
alles"  (Mal.  I,  7).  Später,  als  er  fast  noch  nichts  hatte  drucken 
lassen,  schreibt  er  überaus  naiv  an  die  Mutter:  „Glaubst  du, 
dass  ich  dachte,  als  ich  von  dem  Tode  Goethe's  (22.  März 
1832)  hörte:  Gott  muss  ibu  zu  sich  genommen  haben,  um  mir, 
dem  Anfänger,  den  Platz  zu  räumen"  (Mal.  I,  52).  Diese  den 
Jahren  nicht  entsprechenden  Pnitensionen  machten  bei  ihrer 
Unnatürlichkeit  die  Bekannten  sehr  stutzig,  weil  sie  von  einem 


zigei-  Ausgabe  von  ¥.  A.  BruirkhauB  (-1  Bdu.  18t>t))  gesammelt,  die  oauh- 
ffclasseneD  von  Matüt^ki  hersuBg^ebcn  (3  Bdo-,  Lemlierg  18H6).  —  „Liaty 
J.  SJijwackiego  .1o  matki"  (l«»— 49;  2  Bdo.,  I.emberg  1876);  „Genezis  t. 
datha  J.  Stowftckiogo"  (Lembirg  1874);  V.  Cbmielowski,  „Ostatnie  lata 
Sfowackiego"  {in  Ateuuum  1877,  Nr.  »);  l'rzyborowBki,  „Serce  pocly" 
(in  Miwa,  Nr.  ;17— 39);  St.  Taiuowski's  Aufsata  über  Stowauki  (iu  Prae- 
glqd  polski  18(i7). 


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JnHuB  Stowaokl.  297 

»Iteneii  angeborenen  Tftlent  unterstützt  wurden.  Alle  seine  an- 
dern geistigen  Fähigkeiten  übertraf  eine  überaus  lebhafte ,  feu- 
rige Qud  Bchöpferische  Phantasie.  Das  Nützliche,  Zweckmässige 
schien  für  ihn  nicht  zu  existireu,  aber  für  alles  Schöne  hatte 
er  eine  ungewöhnliche  Empfänglichkeit.  Es  gibt  nichts  Beizen- 
deres als  seine  Correspondenz  mit  der  Mutter,  wo  sich  in  vollcr 
Knfl  die  Gabe  zeigt,  welche  von  seinem  Biographen  Malecki  die 
tjabe  einer  poetiscLen  Weltanschauung  genannt  wird,  d,  i, 
die  Fähigkeit  zu  beobachten,  wahrhaft  typische  Züge  des  Beob- 
■chteten  wiederzugeben,  und  dabei  nur  solche,  welche  geeignet 
and,  ästhetische  Empfindungen  in  den  Lesern  zu  wecken.  Die 
SammluDg  dieser  Briefe  ist  eine  der  besten  Selbstbiographien  küust- 
leriscli er  Naturen,  die  nur  in  der  Kunst  und  für  die  Kunst  leben. 
Diese  Phantasie  arbeitete  und  befand  sieb  in  dem  Zustand  fort- 
währender höchster  Erregung;  kaum  waren  die  Vorstellungen  auf- 
getaucht, 60  gruppirten  und  fonnirten  sie  sich  auch  schon  zu  gan- 
UD  Reihen  idealer  Bilder,  mit  denen  er  sich  trug  und  mehr  lebte 
^  mit  lebendigen  Menschen  und  die  für  ihn  wirklieber  waren  als 
die  lebendige  Wirklichkeit.  Alle  Leidenschaften  waren  bei  Slo- 
■Mki  BOzuBagen  im  Kopfe,  d.  h.  hatten  ihre  Quelle  in  der  Phan- 
tasie. Tausendmal  schwänute  er  in  der  Verbannung  von  einem 
Leben  mit  der  vergötterten  Mutter,  unter  den  Verwandten,  aber 
«enn  ihn  das  Schicksal  mit  diesen  im  Auslände  zusammenbrachte, 
M  floh  er  vor  ihnen  in  die  Einsamkeit,  die  seinen  gewöhnlichen 
Zustand  bildete.  Das  Schicksal  führte  ihn  mit  schönen  Frauen 
zusammen,  die  sich  in  ihn  verliebten,  aber  von  dem  Augenblick 
an,  wo  sie  sich  an  ihn  banden,  wurden  sie  für  ihn  uninteressant;  ' 
lor  Leidenschaft  von  seiner  Seite  war  die  Ueberwindung  eines 
Hindernisses  nothwendig,  das  ihn  reizte  und  so  auf  seine  Phan- 
tasie einwirkte.  Die  Eigenthüralichkeit  seines  Talents  bestimmte 
inch  die  Gattung  der  dichterischen  Tbätigkeit.  Die  Form  war  bei 
äowacki  von  den  frühesten  Jahren  an  glänzend  und  stellte  ihn 
den  grössten  Meistern  des  Worts  an  die  Seite.  Der  Reichthum  an 
Vergleicbangen  und  Figuren,  in  welche  sich  jeder  Gedanke  goss, 
ist  nnermesslich ;  ein  solcher  Bilderluxus  findet  sich  nur  noch 
bei  Shakespeare  und  Hugo,  nur  sind  diese  Bilder  zarter,  die  ganze 
änssere  Welt  ist  in  diesen  barmonischeu  Versen  abgegossen.  Der 
Keiebthum  an  Phantasie,  die  starke  Brechung  der  Lichtstrahlen 
in  ihrem  Prisma,  schadeten  sogar  der  Vollkommenheit  der 
Werke,   der  Hauptgedanke   trat   nicht  klar  hervor;  dabei  be- 

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298  Vierte»  Kapitel.    Die  Polen. 

kümmerte  eich  der  Dichter,  oachdem  er  die  Hauptstelle  beleucli- 
tet,  wenig  um  die  Zwischenglieder  und  rernachlässigte  die  Aos- 
arbeituQg  der  Details,  was  iUBbeeondere  in  seinen  Dramen 
auffällt.  Die  Hauptrollen  sind  hingestellt  und  die  Haupt- 
situationen gezeichnet  wie  in  Marmor  gehauene  Gruppen,  aber 
dann  sind  die  Uebergange  von  einer  Situation  zur  andern  un- 
genügend motivirt,  und  die  Handlung  schreitet  in  launenhaften 
Sprüngen  fort,  statt  sich  nach  den  Gesetzen  strenger  NoÜiveii- 
digkeit  zu  entwickeln,  wie  sie  sich  gerade  für  diese  anspruchs- 
vollste Gattung  der  Poesie  geziemt,  ^owacki  haltet  noch  ein 
anderer  wesentlicher  Mangel  an.  Es  gab  Dichter,  z.  B.  Sha- 
kespeare, welche  stets  die  Fabel  von  aussen  entlehnten,  aber  in 
dieselbe  ihr  eigenes  ästhetisches  Hauptmotiv  legten,  das  ihnen 
diu:cb  Geschichte,  durch  philosophische  Weltanschauung  und 
durch  ihr  eigenes  Leben  gegeben  war.  Slowacki  lebte  mehr 
mit  dem  Kopfe,  d.  h.  mit  Ideen,  mit  der  Phantasie,  und  des- 
halb lebte  er  sich  oft  in  die  Ideen  der  Vorgänger  ein,  ent- 
nahm fertige  Motive  den  Zeitgenossen,  oder  Shakespeare,  oder 
Galderon  und  verarbeitete  sie  selbständig,  indem  er  sie  mit 
einem  unerschöpflichen  Büderreicbthum  aus  seiner  eigenen  Phan- 
tasie bekleidete.  Nach  der  richtigen  Bemerkung  des  Profes- 
sors Tarnowski  war  in  ihm  etwas,  was  an  Epbeu  oder  Jeläager- 
jelieber  erinnert,  was  das  Bedürfniss  hat,  eich  um  mächtige 
Stämme  zu  winden.  Dies  sind  die  durch  die  vorherrschende  An- 
lage bestimmten  Hauptzüge  seines  Talents;  das  andere  erklärt 
sich  durch  die  Bedingungen  der  Sphäre,  in  welcher  Slowacki 
lebte,  durch  sein  persönliches  Temperament,  durch  seine  stoUe 
Selbstliebe,  die  sidi  leicht  auf  den  Ton  der  Melancholie  stimmte, 
endlich  auch  durch  die  Zufälligkeiten  des  Lebens.  Seine  Uni- 
versitätsjahre  fielen  in  eine  Periode,  wo  sich  die  Vorlesungen 
schon  in  einem  starken  Verfall  befanden  infolge  der  IMtigkeit 
Novosilcov's,  aber  die  Romantik  in  voller  Blüte  stand.  Slo- 
wacki hatte  schon  als  Knabe  Mickiewicz  im  Hause  der  Mutter 
gesehen.  Die  polnische  Romantik  war  von  einer  Hebung  des 
Nationalgefühls  begleitet;  Slowacki  wuchs  in  dieser  Sphäre  auf 
und  ward  mit  einer  unbegrenzten  Liebe  zu  dem  eigenartigen 
Einbeimischen  erfüllt.  Zum  Romantiker  ward  er  fiir  sein  gan- 
zes Leben  lang  in  einem  weit  hohem  Grade  als  Mickiewicz,  der 
Theoretiker  war  und  von  dessen  Werken  viele,  gerade  die  besten 
und  reifsten,  aus  dem  Rahmen  der  Romantik  heraustreteo,  wäb- 

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JnliuB  SIowEwki.  299 

reod  ^owacki's  Muse  immer  launenhaft  blieb,  alle  Regeln  acbeute 
DDd  eich  auf  wildem  Rosse  ohne  Sattel  und  Zügel  tummelte. 
SJDwacki  hat  sich  in  seinen  Memoiren  dariiber  auegesprocbeu, 
wie  er  die  Romantik  verstand:  „Die  Romantik,  die  aus  der  Seele 
kommt,  bat  die  Eigenschaft,  daae  der  Funke  der  Poesie  im  Meu- 
ücbeu  erlischt,  sobald  er  die  Selbstachtung  verloren.  Das  Leben 
eioeB  romantischen  Dichters  muss  selbst  romantisch  sein;  wenn 
es  auch  nicht  viele  Ereignisse  braucht,  so  fordert  es  doch ,  dass 
diese  Ereignisse  rein  seien  und  die  Seele  heben." 

Die  Forderung,  poetisch  zu  sein  im  Leben,  nicht  blos  in  den 
Gedichten  erfüllte  damals,  als  das  höhere  Muster  eines  solchen 
Lebens,  Lord  Byron,  der  1824  zu  Miseolunghi  starb  und  unend- 
lich viel  durch  seinen  poetischen  Tod  gewann.  Seine  Lieder  er- 
tönten, als  schon  die  grossen  Sänger  der  Deutschen  (Schiller, 
Goethe)  verstummt  oder  im  Verstummen  waren ;  als  Byron's 
Lieder  verklangen,  wurden  die  letzten  Klänge  derselben  von  den 
neuen  Grössen  der  europäischen  Poesie  slavischen  Stammes, 
Kickiewicz  and  Puskin,  aufgefangen.  Auf  Slowacki  hatte  die 
Poesie  und  die  Person  Byron's  selbst  einen  unüberwindlichen 
Einflnss.  Die  Bekannten  fühlten  sich  unangenehm  berührt  durch 
den  hittem  Sarkasmus  Byron's  auf  den  Lippen  des  Knaben,  der 
noch  nichts  erfahren  hatte,  und  durch  die  Wahl  der  von  ihm  vor- 
geführten Helden  —  finsterer,  geheimnissvoller  Bösewichter,  Rene- 
gaten. Die  finstere  Stimmung  verstärkte  sich  noch  durch  den  Mis- 
erfolg  des  ersten  Romans  im  Lehen.  Slowacki  verliebte  sich  in  die 
Tochter  des  Andreas  Sniadecki,  Ludovica,  die  spätere  Frau  Czaj- 
kowska.  Das  Mädchen,  das  älter  war  als  er,  eine  vorzügliche  Bil- 
dung besass,  viel  gelesen  hatte  und  sogar  Verse  machte,  beban- 
delte die  Liebe  des  jungen  Studenten  als  eine  Kinderei.  In  den 
Memoiren  Slowacki's  findet  sich  eine  Beschreibung  jenes  „Höllen- 
tags", eines  der  letzten  in  Wilna,  als  die  schliesslicbe  Begegnung 
and  Auseinandersetzung  stattfand.  Das  Mädchen  redete  ihm 
zu,  die  Leidenschaft  werde  schon  vergehen,  der  Stolz  zwang  ihn, 
sosHerlich  alle  Gefühle  zu  verbergen,  obgleich  er  von  dem  Schlage 
auf  den  Füssen  schwankte;  sogar  die  Hand  gab  er  ihr  nicht,  als 
sie  abreiste;  gleich  darauf  berichteten  ihm  seine  Freunde,  dass 
man  ihn  mit  einer  Belohnung  für  Fortschritte  in  den  Wissen- 
Echaften,  auf  die  er  bestimmt  gerechnet,  übergangen  habe. 
Ganz  in  Feuer  und  Flammen  streifte  er  in  der  Stadt  herum, 
Bchloss  sich  dann   ein,    weinte  und    schwur,  Wilna  nicht  mehr 

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300  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ZU  sehen.'  So  bchlosBen  seine  UniTereitätsjabre  (1824 — 28)  ab, 
welche  er  in  Wilna,  schon  nach  dem  Tode  seines  Stiefvaters,  ver- 
brachte und  die  nur  durch  eine  kurze  Reise  (1826)  nach  Kreme- 
uec  und  Odessa  unterbrochen  wurden,  wobei  er  auf  dem  Rückwege 
Tulczyn,  die  berühmte  Besitzung  der  Potocki,  besuchte.  Was 
sollte  er  werden,  was  thun?  Die  Mutter  verliess  Wilna  definitiv 
und  siedelte  nach  ihrer  Heimat  Kremenec  über,  schwärmte  von 
einer  mit  geringen  Mitteln  zu  unternehmenden  Reise  ins  Ausland 
mit  dem  Sohne,  aber  diesem  behagte  eine  solche  Begleitung 
durchaus  nicht,  da  sie  der  Reise  alles  Unerwartete,  Romantische  ge- 
nommen hätte;  er  langweilte  sich,  rang  nach  Freiheit  und  Einsam- 
keit. Es  wurde  entschieden,  dass  er  zu  Warschau  in  den  Staats- 
dienst treten  sollte,  wo  er  auch  Anfang  1829  als  ausseretatmäs- 
siger  Beamter  im  Finanzministerium  angestellt  wurde,  das  unter 
der  Leitung  des  Fürsten  Lubecki  stand.  Zwei  Jahre  vergingen 
ziemlich  farblos,  da  brach  der  Aufstand  aus  (November  1830): 
Slowacki  machte  sich  dem  Publikum  zum  ersten  mal  durch  einige 
lyrische  Gedichte  bekannt,  voll  nationalen  und  revolutionären 
Enthusiasmus,  aber  diese  Glut  begann  bald  abzunehmen,  sein 
feiner  Geschmack  musste  durch  das  Komische  und  Unharmoni- 
sche, das  einer  jeden  Volksbewegung  neben  dem  Grossen  an- 
haftet und  insbesondere  der  Bewegung  des  Jahres  1830,  ver- 
letzt werden.  Mitten  in  der  Glut  des  Au&tandes,  in  den  hosten 
Tagen  desselben,  reiste  ^owacki  plötzlich,  ohne  der  Mutter 
geschrieben  zu  haben,  im  März  1831  ins  Ausland  mit  einem 
Fass  der  aufständischen  Regierung.  Diese  Reise  war  für  sein 
Schicksal  entscheidend ,  er  schied  definitiv  von  der  Heimat,  die 
folgenden  Ereignisse  verschlossen  ihm  die  Möglichkeit  einer 
Rückkehr;  er  widmete  sich  einem  unsteten  Leben  —  verwan- 
delte sich  in  einen  heimatlosen  Pilger,  der  von  den  beschei- 
denen Mitteln,  die  ihm  von  der  Mutter  geschickt  wurden,  lebte 
und  seine  Werke  druckte,  während  er  nicht  einmal  den  Versuch 
machte,  eine  Beschäftigungsart  zu  wählen,  die  ihm  die  Mittel 
geboten  hätte,  sich  selbst  sein  Brod  zu  verdienen,  und  seine 
ganze  Sorge  nur  darauf  richtete,   unsterblichen  Rohm  zu  erlan- 


'  Diese  Gefühle  sind  suhuu  etwas  umgearbeitet  und  verändert  in  dem 
Gedieht  „Uodzina  mysli":  „Das  Kiud  fiel  mit  bleiehem  Antlitz  nieder,  xit- 
ternd  vor  atoher  Sebam,  weil  CB  den  Stolz  eines  groeeen  Mannea  beaasB. 
der  durch  das  Vorgefühl  genährt  wurde." 


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Julius  Stavaclci.  301 

gen.'  Die  Abreise  ine  Aaslaod  var  durch  nichts  motivirt.  Die 
Grande  eines  solchen  entscheidenden  Schritts  bleiben  räthselhaft; 
bduumt  igt  nur,  dass  sie  einen  rein  persönlichen  Charakter  hat- 
ten. In  Dresden  empfing  Slowacki  den  Auftrag,  Depeschen  der 
aofetändiBchen  Regierung  nach  London  zu  bringen,  was  ihm  Ge- 
l^enheit  gab,  sich  mit  London  bekannt  zu  machen;  darauf  liess 
er  rieh  in  Paris  nieder,  wo  er  zwei  Kndchen  seiner  ersten  Ge- 
dichte druckte  (April  1832)  und  mit  beklommenem  Herzen  er- 
wartete, was  die  Recensenten  sagen  wüi-den.  Während  dessen 
war  auch  schon  das  dritte  Mndchen  fertig  (Lambro),  welches 
in  folgenden  Jahr,  1833,  erschien.  Wir  wollen  bei  diesen 
Jogendverken  verweilen,  unter  denen  sich  talentvolle  Sachen 
finden,  aber  auch  solche,  die  den  Namen  von  Jugendsünden  des 
Verfassers  verdienen.  Darunter  sind  zwei  Dramen  „Mindowe" 
und  „Maria  Stuart"  und  sechs  poetische  Erzählungen  (Hugo, 
Zmija,  Bielecki,  der  Mönch,  der  Araber  und  Lambro).  ^o- 
«dd  liebte  diese  durch  Byron  verbreitete  Art  der  Poesie,  welche 
Üe  freieste  ist,  willkürlich  in  die  epische  Grundl^e  eine  un- 
äUiche  Menge  von  lyrischen  Ergüssen  einäicbt.  In  allen  diesen 
Dichtnngen,  mag  die  Handlung  im  heidnischen  Litauen  spielen, 
das  nach  Mickiewicz  beschrieben  ist  (Hugo),  oder  an  den  Niede- 
nugen  des  Dnepr,  welche  der  Verfasser  nicht  kennt,  aber  nach 
GoBzczynski  schildert,  oder  im  fernen  Orient,  der  im  Lichte  der 
Poesie  Byron's  und  Moore's  betrachtet  wird,  steht  im  Vordergrund 
ein  bestimmter  fluchbeladener,  finsterer  Held ,  welcher  bewusst 
und  kühn  gegen  alle  Gewohnheiten  und  Einrichtungen  der  Ge- 
sellschaft kämpft  und  in  diesem  Kampfe  untergeht;  das  künst- 
lerische Ziel  des  Verfassers  ist,  für  seinen  Helden  möglichst 
fiel  Mitleid,  oder  Bewunderung,  jedenfalls  Sympathie  zu  er- 
vecken.  Solche  Naturen  hatte  Byron  in  Mode  gebracht,  aber 
die  beharrliche  Reproduction  und  Wiederholung  derselben  bei  S!o- 
vacki  weist  noch  auf  etwas  grösseres  hin  als  einfache  Nachahmung ; 
sie  stehen  mit  seiner  ganzen  Weltanschauung  in  Verbindung,  die 
in  semen  spätem,  reifern  Werken  Ausdruck  fand,  und  diese  Welt- 


'  Brief  vom  26.  April  1833:  „Oft  denke  iot  gramvoll  an  «liejenigeQ, 
«eiche  mit  einem  kleinen  Talent  ganze  Familien  unterhalten ,  und  ich  bin 
■nmülz,  wie  ein  Uakraat,  auch  dir,  Mutter,  bin  ich  zur  Last.  -—  Vergib, 
dug  ich  einen  solchen  W^  gewählt,  aber  umkehren  bann  ich  nicht" 
OUi  I,  165). 

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302  Viertes  'Kapitel.    Die  Polen. 

anschauuiig  stand  wieder  in  engstem  Zusammenhang  mit  seiner 
psychischen  Organisation  und  mit  der  ihn  umgehenden  Atmo- 
sphäre der  Romantik.  Sein  Verhältmss  zu  der  Weltordnung  und 
^MD  gewöhnlichen  Gang  der  Dinge  war  ganz  negativ.  Ale  öli- 
ger und  Verehrer  des  Ungewöhnlichen  allein,  bemühte  er  sich 
auch  gar  mcht,  die  Atome  und  Bestandfbeile  des  Welt-  und 
Gesellschaftsoi^anismus  zu  etudiren,  die  Wurzeln  des  Bestehen- 
den in  der  Vergangenheit,  die  Verkettung  der  Theile  in  der  Ge- 
genwart, die  Unvermeidlichkeit  und  Beharrlichkeit  des  Kleinen, 
Alltäglichen  zu  erforschen.  Er,  der  sich  seihst  „etwas  Pantheist 
und  Romantiker"  nannte  ( „ Beniowski " ,  3.  Gesang),  sonderte 
sich  ironisch  von  den  zum  ,, heiligen  Abendmahl"  versammelten 
polnischen  Dichtem  in  Paris  ab  (Vorwort  zum  3.  Bande  der 
Gedichte,  1833)  und,  obgleich  er  kein  Atheist  war,  ja  nicht 
einmal  sein  Christenthum  aufgab,  so  hatte  er  doch  von  Gott 
eine  Vorstellung,  vor  der  es  einem  strengen  Katholiken  grauen 
würde. 

„Ich  sehe,  dass  er  nicht  der  Gott  der  Würmer  ist,  noch  der 
Creatur,  die  da  kriecht.  Er  liebt  den  rauschenden  Fing  gigan- 
tischer Vögel  und  zügelt  die  stürmenden  Rosse  nicht.  Er  ist 
die  feurige  Feder  auf  stolzen  Helmen,  eine  grosse  That  rührt 
ihn,  aber  nicht  die  müssige  Thräne,  vergossen  an  der  Schwelle 
der  Kirche.  Vor  ihm  &lle  ich  nieder  —  er  ist  mein  Gott" 
(„Beniowski",  5.  Gesang). 

In  der  Gesellschaft  verhielt  sich  Stowacki  aus  ebendenselben 
Gründen  mit  einer  grenzenlosen  Verachtung  dem  Durchschnitts- 
menschen, dem  Pöbel,  der  Menge  gegenüber  und  vergötterte  nur 
die  starken  und  mächtigen  Naturen,  die  alle  göttlichen  und 
menschlichen  Satzungen  mit  Füssen  treten,  mit  einem  Wort  — 
die  dämonischen  Naturen,  die  mit  der  ganzen,  sie  umgebenden 
Welt  im  Kampfe  stehen.  Ein  solcher  Mensch  ist  selbst  unend- 
lich unglücklich,  ebenso  quält  und  tyrannisirt  er  auch  andere, 
aber  gerade  von  ihnen  wird  auch  alles  das  geschaffen,  was  iu 
der  Menschheit  Grosses  geschieht,  durch  ihre  Härte  und  Tyran- 
nei lassen  sie  die  andern  Menschen  nicht  in  einen  unerweckbaren 
Schlaf  verfallen.  Diese  Philosophie  der  Geschichte  führte  ^o- 
wacki  später  in  einer  seiner  letzten  Dichtungen  „König  Geist" 
(„Kröl  Duch",  1847)  aus: 

„Ich  erblickte  damals  das  schreckliche  Geheimniss,  dass  die 
Geister  alle  dabin  fliegen,  wo  Kampf  ist,  wo  Herzen  und.Schil- 

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Jölins  Slowacki.  303 

der  brechen,  aber  die  Orte  flieheD,  wo  eine  Schlafetätte  des 
Geistes  ist.  Was  ist  für  ein  Unterschied  zwischen  jenen  GcBtor- 
benen  und  zwischen  den  Lebenden ,  die  von  ewiger  Ruhe  träu- 
men und  wünschen,  dass  die  Menschen  stark  und  gesund  seien. 
...  0  Irrthom,  nicht  begriffen  von  den  Leuten  im  Fleisch!  0 
Iraner,  die  du  die  friedlichen  Könige  beweinest!  Wisse,  dasa  der- 
jenige besser  ist,  der  nach  Blut  durstet  und  dem  Adler  gleicht, 
der  ein  Volk  an  dem  andern  zerschmettert.  . . ." 

Diese  Strophen  bekunden  ein  revolutionäres  Temperament 
and  eine  rCToIutionäre  Richtung.  Es  gab  in  der  Geschichte 
groBse  Männer,  welche  Revolutionäre,  folglich  gewaitthätige  Leute 
waren,  aber  daraus  folgt  nicht  das  Umgekehrte,  nämlich  dass  jeder 
zügellose  und  gewaitthätige  Mensch  durchaus  ein  Held  sein  müsse, 
—in  den  drei  ersten  Dichtungen  Slowacki's  ist  es  aber  so,  dass 
jeder  Held  ein  harter,  leidenschaftlicher  und  blutiger  Mensch  ist, 
den  oft  sogar  nicht  einmal  ein  hohes  Ziel  seines  Strebens  ziert, 
nnd  der  nicht  einmal  durch  den  Einfluss  der  Umgebung,  durch 
&  Macht  der  Verhältnisse,  die  ihn  vom  geraden  Wege  ablenk- 
la,  gerechtfertigt  wird.  2mija  ist  ein  Tartar,  der  aus  per- 
sönUcher  Rache  zu  einem  Ataman  der  Zaporogischen  Kosaken 
*ird;  der  Araber  ist  ein  verkörperter  Dämon;  Johann  Bielecki 
ein  beleidigter  Renegat,  der  aus  Rache  die  Tataren  gegen  seine 
Hdmat  fuhrt;  noch  schlimmer  ist  der  Korsar  Lambro,  ein  Füh- 
rer der  Griechen  im  Aufstande  gegen  die  Türken  (18.  Jahrhun- 
dert), der  den  von  den  Türken  gehenkten  Sänger  Bhigas  rächt, 
herzlos,  langweilig  und  betrunken  ist.  Besser  als  die  andern  ist 
nnr  der  Mönch  vom  Sinai,  der  sich  aus  Ueberzeugung  taufen 
liess,  aber  in  verhängniasvoUer  Weise,  infolge  dieses  Glaubens- 
«echsels,  zu  einem  mörderischen  Kampfe  mit  seinen  Landsleuten, 
den  Arabern  der  Wüste,  verurtheilt  ist.  Als  eben  solche  ver- 
törperte  Dämonen  erscheinen  Mindowe  und  Bothwell  in  „Maria 
Staart",  zwei  der  Bösartigkeit  nach  verwandte  Charaktere  in 
den  ersten  beiden  dramatischen  Versuchen,  die  einen  sehr  un- 
^eichen  Werth  haben.  —  Der  Fürst  von  Litauen,  der  sich 
ntm  Schein  taufen  liess,  um  die  Krone  vom  Papst  and  Schutz 
Tom  Orden  zu  bekommen,  geht  unter  dem  Fluch  der  Mut- 
ter und  durch  die  Hände  des  Volks  unter,  das  ihm  seinen 
poUüschen  Abfall  vom  Gtaubeu  der  Vater  und  von  den  Sitten 
nicht  verzeiht  Er  könnte  wirklich  ein  tragischer  Held  sein, 
aber  die  Handlung  ist  überhaupt  nicht  auf  diesen  Motiven  auf- 


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20i  Tiefte?  Kapitel.    Die  Polen. 

gebaut;  der  Mörder  Mindowe's,  Dowmunt,  rächt  sich  für  eine  per- 
sönliche Beleidigung,  für  den  Raub  seiner  Frau  Aldona.  Trojnat 
besteigt  den  Thron  nach  Mindowe  unter  der  Mitwirkung  eben- 
derselben Ordensritter,  —  Weit  reifer  und  schöner  ist  „Maria 
Stuart" ',  die  Erfolg  hatte  und  sich  noch  jetzt  auf  der  Bühne  hält. 
Stowachi'B  „Maria  Stuart"  ist  sogar  dramatischer  als  Schiller'B 
„königliche  Gefangene",  die  in  Wirklichkeit  eine  leidende  Person 
ist,  welche  schuldlos  untergeht,  weil  sie  die  Verkörperung  zweier 
verhasster  Principien  ist:  einer  unpopulären  dynastischen  Politik 
und  einer  unpopulären  Religion.  Das  Drama  Slowacki's  ist 
kein  historisches  Gemälde,  in  ihm  ist  nur  die  psychologische 
Frage  erhoben  und  nur  die  junge  bezaubernde  Frau  hell  beleuch- 
tet, die  dem  Volke  verhasst  ist,  aber  in  allem,  die  sich  ihr  nahen, 
das  Feuer  der  Liebe  entzündet,  und  sich  leichtsinnig  dem  Ver- 
gnügen  hingibt,  das  ihr  durch  diese  Kraft  bereitet  wird.  Diese 
verhängnissTolle  Liebe  kostet  dem  sich  vergessendeu  Harfen- 
spieler Rizzio  das  Leben,  den  vor  den  Augen  der  Königin  die 
stolzen  Barone  unter  Mitwirkung  ihres  Gemahls  Damley  ermor- 
den. Tödtlich  beleidigt  wirft  sie  sich  in  die  Arme  BothwellX 
Damley  wird  in  die  Luft  gesprengt,  worauf  Bothwell  das  ihn 
durch  die  Gemeinsamkeit  des  Verbrechens  angeschmiedete  Opfer 
in  eine  unrühmliche  Flucht  mit  fortreisst  unter  Nachrufen  des 
sie  verfolgenden  ergrimmten  Volkes.  In  das  Drama  ist  eine  präch- 
tige Person  eingeschoben,  der  Narr  Darnley's  Nick;  es  würde 
unendlich  gewonnen  haben,  wenn  auf  die  Motivirung  des  Vor- 
gehens der  handelnden  Personen,  ihren  geplanten  Charakteren 
gemäss,  soviel  Sorge  verwandt  worden  wäre,  wie  auf  starke 
scenische  Effecte  verwandt  ist.  Der  Eindruck,  den  die  Werke 
Slowacki's  machten,  entsprach  bei  weitem  nicht  dessen  Erwar- 
tungen. Die  äussere  Form  und  der  Vers  waren  entzückend, 
glänzend;  es  fanden  sich  enthusiastische,  übrigens  nur  wenige 
Verehrer,  die  Slowacki  hetzten,  ihn  gegen  Mickievicz  aufreizten 
und  ihm  die  Palme  des  Vorrangs  zuerkannten,  was  der  Eitelkeit 
^owacki's  unsäglich  schmeichelte.  Aber  populär  wurde  der 
Name  des  Dichters  in  weiten  Kreisen  nicht,  was  er  auch  selbst 
im  Vorwort  zum  dritten  Bande  in  den  Worten  bekannte:  „nicht 
ermuthigt  durch  Lobeserhebungen,  nicht  getödtet  durch  die 
Kritik,   werfe   ich  den  dritten  Band    in  den  lautlosen  Abgrund. 

'  Deutaoli  von  Lndomit  Uerman  (Leipzig  lüTD). 

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Jnliun  fliowachi.  305 

reicher  die  erBten  beiden  verttchluiigen  hat".  Der  Menge  war 
^JDe  Qnbegränzte  Negation  nicht  nach  ihrem  Geschmack,  sie  ver- 
lud Uinweiee  auf  positive  Lebensziele  und  auf  Ideale,  nn 
bnd  solche  hei  ^owacki  freilich  nicht.  Mehr  als  auf  die  Mei- 
mng  aller  andern  Beurtheiler  brannte  Slowacki  vor  Ungeduld  auf 
Mickiewicz'  Urtheil,  der  Mitte  1832  nach  Paris  gekommen  war, 
aber  der  Stolz  hinderte  ihn,  den  ei'sten  Schritt  zu  thun.  „Ich 
verde  nicht  zu  ihm  gehen",  schrieb  er  an  die  Mutter,  „es  sei 
denn,  dass  er  wünscht,  mit  mir  bekannt  zu  werden."  Mickiewicz 
«ollte  sich  mit  ihm  bekannt  machen,  seine  Freunde  veranstalte- 
ten eine  Zusammenkunft  am  dritten  Ort  beim  Mittagsessen.  Der 
PTsle  Schritt  war  von  Mickiewicz  gethan,  es  erfolgte  ein  gegen- 
seitiger Austausch  von  Höflichkeiten  und  Elogen,  bald  darauf 
nrde  Stowacki  Mitglied  des  Comites  der  polnischen  literarischen 
liesellschaft  (zu  Paris),  deren  Präsident  Mickiewicz  war.  Aber 
die  angebahnten  guten  Beziehungen  trübten  sich  bald.  Freunde 
^richteten  dem  ^owacki  die  Aeusserung,  welche  Mickiewicz  über 
s«iie  Werke  gethan  hatte:  „es  ist  dies  eine  herrliche  Poesie,  ähn- 
lich einem  wunderbaren  Tempel,  aber  in  diesem  Tempel  ist  Gott 
nickt."  —  Diese  Worte  enthielten  keine  Beschuldigung  des  Atheia- 
nms,  sie  bezeichneten  nur,  dass  Mickiewicz  im  Vergleich  zu  Slo- 
wachi  Realist  war,  dass  er  von  der  Poesie  einen  veredelnden  Ein- 
Hgss  auf  den  Menschen  forderte,  einen  Anreiz  zum  Guten,  dass 
itin  aber  die  dämonischen,  phantastischen  Helden  Slowacki's  mit 
ihren  unklaren  Strebungen,  durch  ihre  Dissonanzen  verletzten. 
Von  da  an  wurde  Slowacki  alles  an  Mickiewicz  widerwärtig, 
^wol  sein  „zerknittertes  Hemd  und  sein  schmuziger  Frack",  als 
f«in  Papismus  (die  Briefe  vom  4.  October  und  9,  November 
1832),  mit  einem  Worte  Mickiewicz  wird  als  ein  Mann  dar- 
gestellt, der  ganz  für  die  Poesie  erkaltet  sei.  Wie  leichtfertig 
solche  Urtheile  waren,  bewies  das  Erscheinen  des  dritten  Theils 
der  „Dziady",  aber  gerade  dies  brachte  die  Misstimmung  der 
beiden  Dichter  zu  einer  scharfen  Krisis.  Die  ganze  Schuld 
an  diesem  Conflict  liegt  auf  Mickiewicz'  Seite,  der  in  seiner 
Dichtung  in  durchaas  nicht  zweideutigen  Zügen  und  sozusagen 
mit  Händen  greifbar  Stowacki's  Stiefvater,  einen  ihm  und  sei- 
ner vergötterten  Mutter  theuem  Mann,  den  Professor  Beku,  als 
einen  der  gemeinsten  Spiessgesellen  des  Senators  und  Gurators 
dargestellt  hatte.  In  der  ersten  Hitze  des  Zornes  wollte  sich  Slo- 
vacki  mit  Mickiewicz  schiesseu:  „ich  hasse  ihn",  schrieb  er  an 
t.  -jo 

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306  VierteB  Kapitel.    Die  Polen. 

die  Mutter  (Brief  vom  30.  November  1838).  Die  Freunde  hielten 
ihn  mit  Mühe  von  einer  Heransforderung  zurück,  aber  in  FariK 
zu  bleiben  und  den  Anblick  des  verhasBten  Menschen  7.a  ertra- 
gen, ging  über  seine  Kräfte.  „0  Mutter",  schrieb  er,  „jetzt 
bleibt  mir  nur  übrig,  dich  mit  solchen  Ruhmesstrablen  zu  be- 
decken, dass  dich  die  Pfeile  anderer  Leute  gar  nicht  berühren 
können.  Gott  hat  mich  begeistert  ....  das  wird  ein  ebenbür- 
tigerer Kampf  mit  Adam  sein."  Der  stille  Winkel,  aus  dem 
diese  Zeilen  geschrieben  sind,  ist  Genf,  die  Zeit  ein  Jahr  nacli 
der  Abreise  von  Paris,  und  das  Werk,  auf  -welches  Slonracln 
hinweist,  ist  wirklich  in  einem  neuen  Geiste  geschrieben  un^ 
trägt  den  Titel  „Kordjan".  Es  mag  hier  einiges  über  das 
genfer  Leben  bemerkt  werden,  dann  über  die  in  dieser  Einsam- 
keit entstandenen  Werke  der  zweiten  Manier  Slowacki's.  j 

Die  fruchtbare  genfer  Periode  begann  Ende  1832  und  dauert* 
his  zur  italienischen  Reise  in  den  ersten  Monaten  des  Jahre« 
183G,  also  reichlich  drei  Jahre.  Frühling  und  Sommer  gingen 
auf  Reisen  in  der  Schweiz,  auf  Vergnügungen,  Unterhaltungen. 
Sachen  von  Eindrucken  hin,  im  Herbst  öffneten  sich  die  Quellen 
der  Begeisterung  und  die  Arbeit  ging  rasch  vor  sich.  Im  Früh- 
ling umgab  den  Dichter  eine  wunderbare  Natur,  fesselte  den 
BHck  der  Mont  Blanc,  wie  eine  „gemeiselte  Statue  Sibiriens'', 
in  der  Pension  der  Madame  Patteg,  in  der  er  wohnte,  fand  ein 
lebhafter  Zu-  und  AbBuss  der  verschiedenartigsten  Personen 
statt,  Engländer,  Franzosen,  Rassen,  Polen.  Slowacki  war  hei 
den  Damen  sehr  beliebt,  die  sich  zu  ihm  durch  eine  Art  mag- 
netischer Kraft  hingezogen  fühlten  (Mal.  I,  163);  er  war  witzig, 
elegant  gekleidet,  der  beste  Tänzer.  In  ihn  verliebte  sich  die 
Tochter  der  Pensionsinhaberin,  ein  schon  nicht  mehr  junges 
sentimentales  Mädchen,  E^lantine  Patteg.  Das  Leben  war  be- 
haglich, mannicbfaltig ,  gab  ihm  viel  Müsse  zur  Arbeit  und 
wurde  nur  durch  den  Gedanken  an  die  Mutter  verdüstert;  „Der 
Sohn  streckt  nach  dir  aus  der  Ferne  die  Arme  aus  und  bittet 
um  Verzeihung,  dass  er  dich  allein  auf  der  Welt  gelassen  hnt 
ohne  Lebensfreuden  unter  den  sich  mehrenden  Gräbern  der  Fa- 
milie" (Mat.  I,  212).  Ueber  alle  Freuden  breitet  sich  ein  leich- 
ter Nebel  von  Melancholie.  Das  Werk,  in  dem  er  sich  mit  Mickie- 
wicz  messen  wollte:  „Kordjan,  der  erste  Theil  einer  Trilogie: 
Die  Krimungsverschwörung",  erschien  anonym  zu  Paris,  g^l 
sehr  und  ward  von  vielen  dem  Mickiewicz  zugeschrieben.    Darin 

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Juliua  StowBcki.  307 

hatte  sich  Slowacki  tbatsäcblich  von  Byroniamus  losgemacht,  wand 
i'kh  aber,  wie  Kpheu  um  einen  Banm,  um  eine  fremde  Idee.  Sein 
.Kordjan"  ist  der  fortgesetzte  Konrad  des  dritteu  Theils  der 
„Dziady"  oder  der  WatJaw  des  Garczynski,  wiedergeboren  dnrch 
den  Patriotismus,  der  sich  ein  bestimmtes  Lebensziel  steckt  und 
K  mit  grosser  Aufopferung  des  eigenen  und  andrer  Leben  ver- 
nilhcht  —  mit  einem  Wort  der  Typus  eines  polnischen  Revolu- 
tinnärs  der  dreissiger  Jahre.  Das  gegenwärtige  Zeitalter  ist  grau 
and  farblos,  wie  der' siebente  Schöpfungetag,  der  Sabbath  (am 
sechsten  Tag  bildete  Gott  Napoleon;  jetzt  ist  der  siebente  —  Gott 
legt  die  Hände  in  den  Schos,  ruht,  schuf  niemand).  Um  so  rub- 
riger arbeiten  die  Teufel  und  machen  sich  am  Vorabend  des  ersten 
Tages  des  19.  .Tahrhunderts  daran,  für  dieses  ganze  Jahrhundert, 
das  „dera  Satan  Freude  macht",  Menschen  zu  formen,  die  alleR 
vemoBtalten  und  verderben  werden.  Dem  Kessel  des  Teufels 
entsteigen  dcrBeihe  nach  Chlopicki,  Czartoryski,  Lelewel,  Nieni- 
tfmicz  (Feba,  Eunuch  von  neun  Sultaninnen),  Knikowiecki,  mit 
M»em  Wort  —  alle,  die  im  Aufstand  von  1830  eine  leitende 
Me  spielten.  Die  Idee  ist  ganz  verfehlt:  nicht  die  genannten 
Personen  brachten  den  Aufstand  hervor,  er  wurde  von  wahn- 
witzigen Phantasten  hervorgerufen  —  die  Suppe,  welche  seiner- 
uit  die  Rothen  eingebrockt  hatten,  mussten  die  daran  uube- 
[heiUgten  Weissen  ausessen,  die  wider  Willen  zur  ßegierung 
kftnen.  —  In  diesem  kraftlosen  Zeitalter  erwächst  ein  Ge- 
schlecht, das  fast  alle  Charakterzüge  desjenigen  hat,  welches 
.''Päter  Müsset  im  Anfang  seiner  „Confesaions  d'un  enfant  du 
si«le"  darstellte  —  nervös,  entzündbar  wie  Pulver,  zügellos  in 
den  Begierden.  Kin  solcher  Sohn  der  Zeit  ist  auch  Kordjan. 
Sdion  das  heranwachsende  Kind  trägt  sieb  mit  dem  Gedanken 
an  Selbstmord-,  in  seine  Liebe  zu  Laura  sind  die  eigenen  Remi- 
niscenzen  des  Verfassers  an  Ludovica  äniadecka  eingeflochten. 
Im  zweiten  Act  (1838)  hat  Kordjan  alle  Freuden  durchkostet, 
Hlösst  die  käufliche  Liebe  ab,  empfiiugt  statt  des  Segens  des 
I'apstes  im  Va,tikBn  die  Ermahnung,  sich  der  bestehenden  Obrig- 
keit zu  fügen,  worauf  er  sich  natürlich  von  der  Religion  lossagt, 
und,  man  weiss  nicht  weshalb,  den  Gipfel  des  Mont  Blanc  besteigt, 
biese  beiden  vorbereitenden  Acte  könnte  man  weglassen,  das 
Hgeatliche  Drama  beginnt  erst  mit  dem  dritten,  mit  der  soge- 
naonten  „Krönungsverschwörung"  (1829);  aus  der  achwachen Hin- 
deatung  auf  eine   verbrecherische  Absicht,   die  bei  Mochnacki 

20* 

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308  Vierte«  Kapitel.    Die  Polen. 

rermerkt  ist,  erwuchs  eine  ganze  organisirte  Verschvörung,  in 
«len  Katakomben  des  St.  Johannis-Doms  mit  fingirten  Theilneh- 
mern,  yon  denen  eine  der  hai^tsächlichsten  ist:  der  grauhaarige 
Präsident,  der  von  einem  Versuch  zu  politischem  Morde  abmahnt, 
und  der  mit  dem  Mantel  eines  Zöglings  der  Schule  der  Unter- 
fähnriche  bekleidete  Kordjan,  der  mit  allen  Kräften  nach  diesem 
Versuch  strebt.  Der  Vorsitzende  ist  nicht  mit  Namen  genannt, 
aber  es  ist  Niemcewicz  gemeint,  wobei  es  begreiflich  wird, 
warum  ihn  der  Antor  zu  Anfang  des  Stückes  als  eine  von  den  Teu- 
feln geformte  Ausgeburt  der  Hölle  dargeet«llt  hat.  Von  seinem 
rerolutionäreu  Standpunkte  aus  suchte  er  den  Alten  zu  brand- 
marken, der  den  Mord  als  einen  Flecken  der  Nation  verab- 
flcheut;  aber  das  Resultat  ist  nicht  der  Eindruck,  den  der  Autor 
erwartete,  weil  in  Wirklichkeit  der  Alte  voltkommen  recht  hat. 
und  im  Unrecht  der  Thor  ist,  dem  es  sogar  an  Kraft  ge- 
brach, das  Beabsichtigte  zu  vollbringen,  weil  ihm  im  entschei- 
denden Moment  die  Nerven  versagten;  ihn  überwanden  die  Ge- 
spenster seiner  eigenen  entzündeten  Phantasie.  Trotz  dieses 
Fehlers  gehören  die  letzten  drei  Acte  des  Dramas  (die  Scene  in 
den  Katakomben,  die  Gefangenschaft  und  die  Hinrichtung  Koi^ 
djan*s)  2U  den  besten  Erzeugnissen  der  dramatisclien  Literatur 
der  Polen. 

Nach  „Kordjan"  hat  ^owacki,  obgleich  er  viel  in  Genf  schrieb, 
doch  bis  zum  Jahre  1848  nichts  drucken  lassen,  weil  es  gänzlich 
an  Mitteln  fehlte.  Der  Dichter  lebte  auf  Kosten  der  Mutter,  be- 
scheiden, aber  comfortable.  Kaum  dürfte  sich  ein  Zweiter  finden, 
der  so  viel  Aufmerksamkeit  auf  Aeusserlicbkeiten  verwendet  hätte, 
sogar  auf  den  modischen  Schnitt  seines  Anzugs,  auf  die  Farbe  der 
Handschuhe.  Da  ihm  seine  Werke  kaum  hier  und  da  einmal  zehn 
Francs  einbrachten,  so  musste  unter  dem  Zwange  des  „rasenden 
Productionsdranges"  (Brief  vom  21.  Mai  1836),  geschrieben  und 
das  Geschriebene  auf  bessere  Zeiten  zurückgelegt  werden.  Sein 
Talent  stand  in  vollem  Glanz  und  voller  Reife,  die  ProductivitSt 
war  gross.  Damals,  in  jenen  genfer  Jahren  (1833  bis  Anfang  1836), 
wurden  entworfen  und  geschrieben  „Mazepa",  „Balladyna",  „In  der 
Schweiz",  ,,Wallace",  „Gorsztynski",  aber  von  allen  Werken  ^o- 
wacki's  ist  nur  wenig  mehr  als  die  Hälfte  von  ihm  bei  Lebzeiten 
veröffentlicht  worden,  es  wurden  ausserdem  noch  drei  Bände  posf- 
humer  Werke  gesammelt,  die  von  Maleoki  nach  den  Concepten 
herausgegeben  wurden  („Pisma poämiertne", Lemberg  1866);  einige 

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Julius  Stowoeki  309 

Werke  aber  sind  abhanden  gekommen  und  verloren  (z.  B.  die 
Tragödie  „Wallace"  aus  der  schottischen  Geschichte,  1834),  oder 
gelaugten  auf  uns  nur  in  Frugmeiiten,  obgleich  sie  wahrscheinlich 
fertig  waren  (».  B.  das  Drama  „Gorsztyi'iski",  1835,  aus  den 
letzten  Tagen  Polens),  oder  wurden  vom  Autor  selbst  den  Flam- 
men übergeben  (wie  die  erste  Bearbeitung  des  „Mazepa"  vom 
Jabr  1834)-  Slowacki's  Papiere,  jetzt  in  der  Bibliothek  des 
Osgolinskischen  Instituts  in  Lemberg,  dienen  und  werden  auch 
küoftig  alü  das  reichste  Material  für  Ausarbeitungen  der  Vei'ehrer 
des  Dichters  dienen,  die  seinen  Fusstapfen  folgen  und  versuchen 
anEznmachen ,  was  tod  ihm  nicht  vollendet  wurde,  oder  was 
durch  Zeit  und  Zufall  von  den  vollständigen  Werken  vernichtet 
worden  ist.  Wir  werden  nun  nach  den  Jahren  ihres  Erscheinens 
alle  diese  Werke  analysiren,  ausser  einem,  der  Dichtung  „In  der 
Schweiz'',  die  nebst  der  seine  Kindheit  darBtellenden  „Godzina 
nfüU"  („Die  Stunde  des  Gedankens")  zu  (len  autobiographi- 
ichen  Werken  gehört,  d.  h.  von  ihm  wirklich  Erlebtes,  aber 
«4on  zu  einer  Perle  der  Poesie  Umgearbeitetes,  darstellt,  wie 
(ioethe  seine  Lebenserfahrungen  in  „Wahrheit  und  Dichtung" 
rerarbeitet  hat.  —  Von  Ende  1833  an  lebte  in  Genf  die  polni- 
sche Familie  W(odziii8ki).  Die  ältere  Tochter  Maria  gefiel  Slo- 
vacki  nicht  („sie  ist  nicht  schön,  eine  Schülerin  Fields,  eine  gute 
Pianistin").  Im  Sommer  1834  kam  in  grösserer  Geseilschaft,  zu 
der  auch  Slowacki  gehörte,  ein  Ausflug  auf  die  Berge  zustande, 
auf  den  St.  Bernhard,  über  die  Gemmi,  den  Thuner  und  Brienzer 
See,  nach  Grindelwald  und  nach  dem  Vierwaldstädter  See;  da- 
mals unter  diesen  wunderbaren  Naturhildem  knüpfte  sich  die  Be- 
kanntschaft, die  dann  in  ein  Liebesidyll  überging,  als  sich  im 
Herbst  1835  die  Familie  W.  auf  kurze  Zeit  in  der  Pension  Pat- 
leg  niederliess,  wo  Slowacki  wie  zu  Hause  war.  „Eine  Atmo- 
sphäre der  Phantasie,  ein  Land  der  Vergangenheit,  eine  Insel  des 
Ideals,  bethaut  von  einem  Tliränenstrom"  .  .  .  schreibt  er  an  die 
Mutter  (30.  Juni  1835).  Die  Leidenschaft  war  ~  vielleicht  das 
riniige  mal  im  Leben  Slowacki's  ^  auf  beiden  Seiten  gleich 
stark;  dabei  war  es  eine  Leidenschaft  ohne  morgenden  Tag, 
ganz  in  der  Gegenwart,  mit  den  sentimentalsten  Schwärmereien 
aber  ein  Leben  in  einer  herrlichen  Schlucht,  die  aber  durch 
die  Voraussicht  getrübt  wurden,  dass  dem  Dichter  diese  „Lilien- 
seele''  irgend  „ein  Kammerherrensohn  aus  dem  Lande  der  Lechen, 
M^wtattet  mit  junkerlicher  Ungenirtheit,  mit  Schnurrbart  und 

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310  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Sporen  abspenstig  maclieo  werde."  Den  Dichter  quälte  der  Gedanke 
an  die  bevorstehende  Abreise  der  Familie  W,;  er  fasste  den  Vor- 
satz, sich  darnach  in  die  Einsamkeit  zurückzuziehen  und  in  den 
Bergen  niederzulassen.  Aber  unerwartete  Umstände  beBchleuoigteii 
die  Losung  des  Knotens  und  nöthigteu  den  Dichter,  viel  früher  in 
die  Berge  zu  fliehen,  als  die  Familie  W.  aus  Genf  abreiste;  1^- 
lantiite  Patteg  ertrug  es  nicht,  dass  sich  Slowacki  für  ein  anderes 
weihliches  Wesen  interessirte,  und  ward  krank,  ihre  Mutter  trat 
fUr  sie  ein,  es  kam  zu  Auftritten,  infolge  deren  Slowacki  auf  das 
andere  Ufer  des  Sees  (Veytaux,  Meillerie  gegenüber)  hinüberging 
und  das  Gedicht  „Die  Verfluchte"  schrieb;  „Sei  verflucht,  Du 
hast  die  letzten  Minuten  meines  Glücke  auf  der  Erde  zerstört. 
Du  hast  mich  in  die  Einsamkeit  getrieben!  ...  Sei  ewig  ver- 
flucht, jeder  meiner  Seufzer  kennt  Dich,  und  jede  Thränc  wird 
Dein  gedenken"  ..  .  Man  darf  nicht  meinen,  dass  durch  die«; 
Verse  Slowacki's  Beziehungen  zu  der  Verfluchten  endgültig  be- 
stimmt waren.  Lctzere  begleitete  die  abgereiste  Familie  W.  und 
war  bei  dem  Dichter,  weinte  und  bat  ihn,  in  die  Pension  zurück- 
zukehren. Die  guten  Beziehungen  wurden  zum  Tbeil  wiederhev- 
gestellt,  Slowacki  hatte  immer  eine  gewisse  Schwäche  denen  gegen- 
über, die  er  seine  Stützen  nannte  (Brief  vom  30.  Juli  ISSG),  es 
war  ihm  ein  Bedürfniss,  eine  zarte  weibliche  Seele  nebeu  sich  zu 
haben,  die  ganz  von  ihm  eingenommen  war,  mit  der  er  seine  poe- 
tischen Phantasien  tbeilcn  konnte.  Aber  die  Pension  selbst  wur 
ihm  vorleidet,  er  kam  nicht  so  bald  in  dieselbe  zurück,  und  schrieb 
zu  Veytaux  seine  Schwei:ierdichtung.  Die  wirkliche  Marie  W.  ibl 
darin  durchaus  nicht  zu  linden,  aber  im  Mittelpunkt  der  Dichtuug 
steht  ein  geliebtes  Weib  in  phantastischer  Sceuerie.  Sic  erscheint 
dem  Dichter  zueret  beim  Wasserfall  der  Aar:  „Dort  erblickte 
ich  sie,  und  mich  plötzlich  verliebend,  glaubte  ich  und  glaube 
ich  noch,  dass  sie  aus  dem  Regenbogen  oder  aus  dem  Schaume 
des  IilusscB  kam.  .  .  .  Als  meine  Augen  sie  umfassten  von  den 
Sohlen  bis  zu  den  Locken,  da  verliebten  sich  in  sie  die  Au- 
gen, und  darnach  mit  dem  Gefühl,  das  zu  liehen  zwingt,  folgte 
das  Ilerz,  und  nach  dem  Herzen  die  Seele.  So  bildete  sich  der 
Koman,  dass  ich  zu  ihr  fliegen  wollte  über  den  Wasserfall,  weil 
ich  fürchtete"  ...  sie  werde  wie  eine  Erscheinung  verschwinden. 
...  Es  folgt  eine  Reihe  von  Scenen  an  der  Quelle  der  Rhone 
und  vor  dem  Glockenthurme  Tell's  am  See,  in  einer  Stalftk- 
titengrotte  und   in  dem  Häuschen    eines  Einsiedlers.    Gewisse 


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Julius  Stowacki.  311 

Ifindernisse  tauchen  auf,  das  Herz  ist  vom  Vorgefühl  der  Treu- 
uoDg  beschwert,  dann  folgt  eine  grenzenlose  Klage  über  die  ge- 
itcfaeliene  Trennung.  Bücksicbtlich  der  Form  und  dem  die 
.Upeanatar  schildernden  Theil  ist  diese  Dichtung,  ohne  posi- 
ÜTBü  Inhalt,  der  Gipfelpunkt  der  Vollendung.  ...  Als  Kra- 
sinski  sie  gelesen,  schrieb  er  (Malecki  II,  68):  „ich  kenne  in 
keiner  einzigen  Sprache  etwas  Aehnliches  in  Liebesphantasien 
—  nach  diesem  Vorgang  ist  es  nicht  mehr  möglich  Verse  zu 
schreiben;  nur  ein  unverschämter  Mensch  wird  ea  iintemehmen, 
Verse  zu  machen  nach  Juliuu".  .  .  .  Das  Gedicht  zeigte  die 
ToUe  Reife  des  Talents,  dem  ohne  Zweifel  die  Einsamkeit  forder- 
lich war  und  der  Aufenthalt  unter  den  Schönheiten  der  Natur, 
die  von  dem  Dichter  mit  allen  Nerven  seines  Organismus  em- 
pfimden  wurden.  „Diese  drei  Monate"  schrieb  er  (20.  October 
1835),  „haben  mich  vieles  gelehrt.  Ich  habe  die  Harmonie  be- 
obachtet, die  alles  vereint  und  mit  einem  Oolorit  übergiesst; 
ich  bin  in  die  Bäume  eingedrungen,  in  die  Blumen,  in  das  Bruu- 
9(a  und  in  die  Laute  der  Natur."  ...  Er  erklärte  auch  die  Art 
ud  Weise  des  poetischen  Schaffens  iu  Bezug  auf  die  Landschaft. 
Es  retlectirtcn  sich  bei  ihm  im  Gedächtnis»  zwei  Bilder:  das 
eine  der  Gegend,  wie  nie  sich  der  Dichter  in  der  Phantasie  vor- 
gestellt hatte  —  schöner  als  die  Wirklichkeit;  das  andere  — 
wie  sie  wirklich  war;  aus  diesen  beiden  Bildern  entsteht  nach 
ihrer  Verschmelzung  schliesslich  das  dritte,  das  schönste,  „ge- 
webt ans  Phantasie  und  traumhafter  Erinnerung"  (Mal.  I,  240). 
Die  letzten  Spuren  des  liyronismus  verschwanden ,  Slowacki 
mie  ruhiger,  als  hätte  er  ganz  die  Ziele  vergessen ,  die 
er  sich  gesteckt  hatte,  aU  er  aus  Paris  tloh.  Schätze  der 
Poesie  häuften  sich  iu  seinem  Portefeuille,  er  hörte  nicht  auf  zu 
klagen,  dass  sie  nicht  gedruckt  würden,  und  begnügte  sich  da- 
mit, sie  einigen  ihm  sympathischen  Personen  mitzutheilen.  Noch 
mehr,  er  hatte  sich  sogar  mit  Mickiewicz  im  Geiste  ausgesöhnt; 
<liescs  Wunder  in  seiner  Art  war  eine  Folge  des  Erscheinens  des 
~P&n  Tadeusz".  Es  ist  bekannt,  dass  Slowacki  sehr  bissig  gegen 
Leute  war,  die  er  aus  irgendeinem  Grunde  nicht  liebte,  gegen 
Ulewel,  gegen  Chopin,  dem  Slowactd  besonders  ähnlich  ge- 
wesen sein  soll.  Mickiewicz  hatte  er  Gründe  nicht  zu  schonen 
and  noch  am  13.  Juli  IHM  schrieb  er  nach  blossem  Hören- 
ia^en  sarkastisch,  dass  Adam  ein  Gedicht  über  einen  Szlachcic 
veriagst  habe,   der  zwischen  den  Jahren  1811 — 12  abenteuerte. 

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3X3  TierteB  Espitel.    Die  Poleo. 

Aber,  als  er  die  Dichtung  gelcBen,  streckte  er  die  Waffe,  söhnte 
sich  auB,  verzieh  allcB  Vergangene  und  folgte  seitdem  in  Gedan- 
ken dem  grossen  Sänger,  über  dessen  bedrängte  Lage,  die  an  Ar- 
muth  grenzte,  er  betrübt  war.  Zu  Ende  desselben  Jahres  ward 
er  durch  eine  Nachriebt  in  tieberhafte  Aufregung  vei-setzt; 
sein  Onkel  mütterlicherseits,  Theoplul  Januszowski,  begab  sich 
mit  seiner  Frau  nach  Italien,  und  lud  ^owacki  dahin  ein,  der 
sehnlichst  wünschte  dieses  Land  zu  besuchen;  der  ganze  Winter 
verging  in  Bemühungen  um  einen  Pass;  im  Februar  begab  sich 
Slowacki  über  Marseille  nach  Civita  -  Vecchia  und  fand  sich 
in  Rom  bei  den  Verwandten  ein,  nach  denen  er  sich  in  der 
Fremde  so  gesehnt  hatte,  mit  denen  er  aber  in  Wirklichkeit 
»ach  einem  Zusammenleben  von  drei  Monaten  nicht  sonder- 
lich harmonirte,  weil  sie  keinen  Geschmack  an  seinen  Werken 
fanden,  da  sie  Sinn  und  Bedeutung  derselben  nicht  verstanden 
und  anspruchsvoll  waren,  er  es  aber  nicht  liebte,  sich  Zwang 
anzuthun  und  die  Gesellschaft  junger  Altersgenossen  (Golynski. 
Brzozowski),  Freunde  der  Kunst  und  Enthusiasten  vorzog,  bei 
denen  er  sich  das  Herz  erleichtern,  mit  Gefühlen  und  Bichtungeu 
austauschen  konnte.  Unter  diesen  neuen  Bekannten  war  ein 
Mann  mit  grosBartigen  Kenntnissen  für  seine  Zeit  ausgerüstet  und 
von  poetischer  Begabung,  Sigismund  Krasinski,  dessen  Verhältnisse 
so  gestaltet  waren,  dass  er  sich  uicht  öffentlich  als  Verfasser  sei- 
ner Werke  bekennen  konnte  und  sich  damit  begnügte,  sie  ano- 
nym herauszugeben,  dessen  Talent  nur  einem  engen  Kreise  ihm 
nahestehender  Leute  bekannt  war.  Auch  Slowacki  war  damals 
uoch  sehr  wenig  bekannt  und  sein  Ruf  entsprach  nicht  seiner 
poetischen  Kraft.  Die  beiden  Dichter  kamen  zusammen  und  tra- 
ten einander  nahe  in  der  engsten  Freundschaft,  die  für  beide 
gleich  nützlich  war,  weil  beide  viel  voneinander  entlehnten. 
Diese  Freundschaft,  welche  sieben  Jahre  dauerte,  endete  zwar 
im  neunten  ein  jäher  Bruch  infolge  der  Verschiedenheit  der 
Ueberzeugungen ,  aber  da  sie  auf  ihre  Poesie  stark  gewirkt  hat, 
Bo  muss  man,  wie  man  die  beiden  deutschen  Dioskuren,  Schiller 
und  Goethe,  nicht  getrennt  betrachten  kann,  auch  die  polni- 
schen nebeneinander  stellen.  Indem  wir  also  die  Biographie 
Slowacki s  unterbrechen,  werden  wir  zu  bestimmen  suchen,  wer 
diese  neue  Persönlichkeit  war,  die  zu  ihm  in  so  aussci^ewöbn- 
liche  Beziehungen  trat. 


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SigtBiniiiid  Krasiiiski.  313 

Die  Erforscbaog  derselben  bietet  zur  Zeit  grosse  Schwierig- 
keiten: das  Leben  von  Mickiewicz  und  Slowacki  kanii  tnan 
nach  Jahren  und  Monaten  verfolgen,  nach  ihrer  eigenen  Cor- 
recpondens;  noch  reichere  Materialien  bat  Krasiiiski  hinter- 
Usüen  —  mehr  als  8000  von  ihm  geschriebene  Briefe,  aber 
mir  ein  kleiner  Theil  davon  ist  herausgegeben,  mehrere  Briefe 
werden  wahrscbeinlicli  iiie  zur  Verüffentliebung  gelange»,  von  den 
Terüffentlichtcn  sind  einige  (z.  B.  die  an  Jaroszyiiski)  eine  biblio- 
graphische Seltenheit  geworden,  weil  die  Familie  des  Dichtei-B  sie 
Hafgekauft  hat.' 

Sigismund  Krasii'iski,  geboren  19.  Februar  181*?  in  Paris, 
gehörte  eeiner  Herkunft  nach  zu  demjenigen  Theil  des  frühem 
l'olens,  welcher  unter  die  Herrscha,ft  Russlands  gekonmien  war 
iiud  der  sowol  Mickiewio;  als  Slowacki  hervorgebracht  hatte. 
Die  letztern  beiden,  obgleich  durchaus  keine  Plebejer,  waren  doch 
der  gesellschaftlichen  Stellung  nach  unbedeutend  im  Vergleich  zu 
ihm,  einem  VoIIblutaristokraten,  der  sehr  reich,  vornehm  war,  uu<l 
eiaem  Geschlecht  angehörte,  das  mit  regierenden  Häasern  (dem 
Tou  Sachsen  und  Savoyen)  in  verwandtschaftlichen  Beziehungen 
stand  und  eine  angesehene  Stellung  bei  Hofe  einnahm.  Der 
Grossvater  Krasinski's,  Johann,  Abgeordneter  auf  dem  vierjähri- 
gen Reichstag,  war  mit  einer  Czacka  (der  Schwester  des  Thad- 
tlaens  Czacki)  verheirathet.  Aus  dieser  Ehe  wurde  1782  Vincenz 
Kraaii'iaki'  geboren,  vom  Wappen  Korwin,  ein  schöner,  tapferer, 
elirgeiziger  Mann,  der  mit  dem  Fürsten  Joseph  l'oniatowski  in 
Gelagen  und  Erfolgen  in  der  damaligen  müssigen  schonen  Welt 
Warschans  während  der  preuasischen  Herrschaft  rivalisirte.  Die- 
ser V.  Krasii'iski  lieirathete  (1805)  aus  Berechnung  die  Fürstin 
Maria  Radziwill,  aus  der  Berdyczewer  Linie  dieses  Geschlechts, 
die  Stieftochter  des  bekannten  Patrioten,  ehemaligen  Marschalls 


'  Die  beste  Würdigung  der  Poesie  Krasinaki'a  licfci-te  Tarnowak  i  in 
derVon^e  tn  derAuBgabe  der  Werke  deseolben:  „l'iBma  Z.  Krasinekiego" 
lUmberg  1875).  —  „Wyj%tki  z  liatöw  Z.  KrasinskicKo"  |Pari8  18(>1).  ~ 
~Hoja  Beatrice  Zygmunta  EraBiDakiego "  (Krakau  1H78).  -  ,,I<)8ty  Z.  KrB' 
»inikiego  1835 — M  do  Edward»  Jaroszynakicgo,  op;(osiJ  Marius  Gorzkowaki" 
(Krakan  1871).—  Tarnowski'a  Abhandlung  über  die  Briefe  KrasiÜBki'a  an 
^aa  (iD  Przegl^d  Folski,  Januar  1877). 

*  J.  FalkowBki,  „Obraiy  z  äycia  kilka  ostatniob  pokolen  w  Polsce" 
(Poieu  1877). 

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314  Vierte»  Kapitel.    Die  Polen. 

des  rierjülirigen  ßeichetagfi,  Stanislaw  Malaclioweki,  welcher  der 
polnificfae  Aiistides  genannt  wurde;  alsdann  trat  er,  noch  vor 
roniatowski,  in  die  Napoleonische  Armee,  zeichnete  sich  aus,  ward 
zum  kaiserlichen  Adjutanten  ernannt,  und  blieb  Napoleon  treu 
bis  zu  dessen  Abdankung  in  Fontaioebleau,  worauf  er  den  Be- 
fohl erhielt,  die  polnischen  Regimenter  in  die  Heimat  zu  fuhren, 
welche  dann  der  Keim  einer  besondem  polnischen  Armee  unter  der 
Itogierung  Alexander's  I.  wurden.  General  Krasii'iski  erlangte  die 
hohen  Stellungen  eines  Senators,  eines  Wojewoden,  zu  den  Soireen 
im  Salou  seines  i'alastes  in  der  krakauer  Voretadt  Tersammelten  sich 
Gelehrte  und  Schriftsteller,  meist  Classicisten;  hier  herrschte  ohne 
Nebenbuhler  als  ein  zweiter  Aristarch  Ludwig  Osinski.  Der  Haus- 
herr, selbst  Classicist,  war  eine  der  stärksten  Säulen  der  russischen 
Partei  in  Polen.  Seine  Popularität  begann  stark  zu  sinken  in  dem 
Verbältuisä,  als  sieh  die  guten  Beziehungen  zwischen  den  beiden 
Völkerschaften  trübten  und  die  B«volution  näherrückte,  beson- 
ders seit  dem  Reichstagsgericht  über  die  politischen  Verschwörer 
(1828),  wo  Krasii'iski  allein  für  eine  strenge  Verurtheilung  der 
Angeklagten  eintrat.*  Nach  Ausbruch  des  Aufstandes  verliess 
Ueneral  Krasiiiski  Warschau  und  begab  sich  nach  Peterbburg. 
Im  Jahre  1856,  nach  dem  Tode  Paskeviö's  versah  er  sogar  zeit- 
weilig die  Obliegenheiten  eines  Statthalters.  Der  junge  Sigis- 
mund  wurde  zum  Theil  inDunajewce  im  Gouvernement  P^dolieu 
bei  der  Urossmutter  väterlicherseits,  der  Starostin  Opinogörska, 
zum  Xheil  in  Warschau  erzogen.  Als  er  8  Jahr  alt  war,  bekam 
er  zum  Hauslehrer  den  später  berühmten  Schriftsteller  Korze- 
niowski,  der  jedoch  mit  der  Generalin,  einer  launischen  uud 
hochfahrenden  Dame  nicht  auskommen  konnte.^  Der  EiuHuss 
der  Mutter,  die  übrigens  frühzeitig  (1822)  starb,  auf  den  Sohn 
war  ein  ganz  unbedeutender;  dafür  lastete  auf  ihm  sein  gan- 
■ma  Leben  lang  die  mächtige  Hand  des  Vaters.  Nie  hat  der 
Sohn  die  Pflicht  kindlicher  Ergebenheit  uud  Liebe  ausser  Acht 
gelassen;  er  liebte  auch  den  Vater  in  seiner  Art,  vertraute  ihm 
KUgar  seine  Herzensgeheimnisse ,  Hess  sich  von  ihm  in  wich- 
tigen Angelegenheiten  leiten,  z.  B.  in  der  Heirath;   aber  es  gab 


'  Eiu  uiclit   Hubnieiuhulhai'tuü  l'urträl  di:siielbi;u   butiitKca   wir  iu  ileu 

Itriofun  dc8  Fiii-atcu  P.  A.  Vjazcmalcij  (Rusukij  Aruhiv,  1879,  Nr.  ö,  8.  Hd). 

'  KlumuDB  Kautuüki,  „Dwttj  KrieuiiensucEaiiie.  II.    J.  Kurzcniuwgki" 

S.  1«9  (Lenilurg  lö'T). 


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SigUniuod  Ki'aeinski.  315 

tili  Gebiet  beatimmter  Gefühle,  wo  er  UDZugänglicb ,  ätumiii 
und  taub  gegen  die  Anforderungen  und  Bitten  des  Vaters 
blieb.  Sie  ähnelten  sich  in  nichts,  weder  im  Gewhmack  noch 
iu  den  Ideen.  Gerade  die  hohe  Üifcntliche  Stellung  des  Vateis 
war  die  Ursache,  welche  in  verhängnissvoUer  Weise  darauf  ein- 
wirkte, dass  sich  der  Sohn  zu  gänzlicher  Unthätigbeit  im  öffent' 
iiilien  Leben  und  einer  ebenso  vollständigen  Anonymität  in  der 
l.itcratnr  verschwor.  Das  Schicksal  verhängte  ihm,  als  er  noch 
ein  heranwachsender  Jüngling  war,  die  schwei'ste  Beleidigung, 
die  ein  Mensch  empfangen  kann,  wegen  der  Unpopularität  seines 
Vaters  zu  erdulden.  Im  Jahre  1829  beim  Begräbniss  des  l'räsi- 
dunten  des  ßeichstagsgerichts ,  des  Wojcwoden  Biclii'iski,  fanden 
bicb  nach  gegenseitiger  A'erabredung  alle  Studenten  der  Uni- 
rersität  in  Masse  ein,  indem  sie  die  Auditorien  leerliessen;  dem 
Beispiel  der  Kameraden  folgte  nur  Sigismund  Krasinski  nicht, 
der  sich  auf  Befehl  des  Vaters  iu  die  Vorlesung  begiib,  wofür 
ihn  am  folgenden  Tage  die  Mitschüler  (Leo  £ubieiiski)  schtu- 
ScQ  und  hinauswarfen.  Uer  Eindruck  dieser  Minute  blieb  ein 
sürker;  er  reflectirt  sich  in  den  folgenden  Worten  dea  letK- 
teu  Werks  von  Krasinski  „Kiedokonczony  poemat"  („Das  un- 
vuUeudete  Gedicht"):  „Ich  sehe  das  alte  Gebäude,  in  dessen 
äleu  tausend  Altersgenossen  sitzen,  und  die  Lehrer  lesen  von 
deu  Kathedern.  Ich  sehe  die  wie  eine  Schlange  sich  windende 
Treppe.  Nicht  wahr,  ich  war  ein  kühner  Bursche,  obgleich 
nuch  nicht  erwachsen  und  schwach  an  Kräften.  Ich  kam  vom 
Hause,  ging  au  ihnen  allen  vorüber  mit  stolzer  Stiru,  wohl 
wissend,  dass  sie  mich  hasseu,  aber  nicht,  weshalb.  Sie  um- 
ringteu  mich ,  drängen  von  allen  Seiten ,  schreien :  » Fanicz, 
Famcz  n  (Junker  1  Junker ! ),  als  wenn  es  ein  Schimpf  wäre, 
dass  ich  zeigen  kann,  wo  viele  meiner  Väter  das  Haupt  hin- 
gelegt und  in  welcher  Kirche  sie  begraben  liegen.  0  Gott!  - 
In  der  kindlichen  Brust  keimte  zum  ersten  mal  die  Hölle  — 
ich  ei'griff  dos  eiElemeGriänder,  und  sie  ziehen  mich  au  den 
Hüjiden,  an  den  Füssen,  an  den  Falten  des  Mantels.  Ich  war« 
ihiien  vielleicht  zu  Küssen  gefallen,  aber  du  erschienst  ....  mein 
guter  Genius,  und  sagtest:  nsie  sind  im  Unrecht;  sei  mehr  als 
gerecht,  verzeihe  ihnen  in  der  Seele  und  gewinne  sie  lieb.u"  .  .  . 
IHese  Stelle  charakterisirt  sowol  den  Menschen  als  seine  ganze 
folgende  Thätigkeit.  £r  ist  bis  ins  innerste  Mark  Kitter,  Aristokrat, 
wn  bewusster  Kämpfer  für  das  Vergangene,  bereit  sich  dafür  kreu- 

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316  Tiert«s  Kapitel.    Die  Polen. 

zigen  zu  laBeen,  dass  er  der  Träger  der  ererbten  Ideen  einer  groE- 
ueti,  aber  untergehenden  Civilisation  ist.  Sein  persönliches  Erleb- 
niHti  generalisirt  er  bis  zur  äussersten  Grenze  der  Verallgemeine- 
rung, indem  er  aas  ilim  die  Welt&age  der  Arietokratie  und  des 
Demo»  macht,  und  ihr  mit  mildem  Herzen  und  mit  dem  cliriat- 
liclien  Gebot  der  Vergebung  und  des  freiwilligen  Leidens  entgegen- 
gebt. Die  Natur  selbst  hatt«  ihn  zum  Dulder  geweiht,  da  sie  ihu 
kränklich  machte,  Nervenzufällen  unterwarf,  schwach  auf  den  Au- 
gen werden  Hess  und  fortwährend  mit  dem  Verlust  des  Augenlichts 
bedrohte.  Fortwährend  zur  Kur  in  Bädern  oder  in  einem  warmen 
Klima,  fand  er  nur  Erquickung  in  der  Freundschaft  mit  sehr  we- 
nigen intimen  Geuossen  und  Bekannten,  mit  denen  er  seine  Ge- 
danken austauschte  (Konstantin  Gaszyi'iski,  mit  dem  er  seine 
ersten  Jugendwerke  verfasste  und  der  allein  ihn  1829  gegen  die 
Mitschülern  vertheidigt  hatte;  Danielewicz,  Philosoph  und  Musi- 
ker, der  1841  zu  Freiburg  in  seinen  Armen  starb;  Adam  Sttou, 
Eduard  Jaroszynski),  und  mit  denen  er  die  eifrigste  Correspon- 
denz  führte.  Grosse  Bedeutung  hatt«n  in  seinem  ganzen  Lehen 
Frauenbekanntschafteu  und  Herzensbande.  Nach  der  Eigen- 
thümlichkeit  seiner  alles  verallgemeinemdeD  Natur  regte  Kra- 
siüski  mit  Bewusstsein  die  Frauenfrage  an  und  foimulirte  sie 
theoretisch  als  eine  der  Aufgaben  der  Zukunft.  Der  Vorfall 
im  Jahre  1829  veranlasste  den  General  Krasinski,  seinen  17jäh- 
rigen  Sohn,  der  den  Lehrcursus  auf  der  Universität  noch  nicht 
beendet  hatte,  ins  Ausland  zu  senden,  begleitet  von  einem  Hof- 
meister Jakubowski.  In  die  ersten  Zeiten  seines  Aufentlialts 
im  Auslände,  in  Genf,  fällt  sein  Brief  an  Bonstetten,  der  in  der 
Bibliotheque  universelle  de  Geneve,  1830,  abgedruckt  ist,  und 
eiuo  für  Ausländer  geschriebene  kurze  Geschichte  der  polni- 
schen Literatur  enthält,  worin  Krasiäski  ohne  die  Verdienste 
■  der  Classicisteu  zu  leugnen,  als  Romantiker  und  warmer  Verehrer 
von  Mickiewicz  auftritt.'  Bald  darauf  kam  Mickiewlcz  nach 
Genf,  im  Sommer  1830,  mit  Odjniec,  der  beim  General  Kra- 
sinski auf  dessen  Soireen  in  Warschau  gewesen  war  und  den 
jungen  Mann  Mickiewicz  vorstellte.  Es  ward  ein  Ausflug  in  die 
Berge  veranstaltet,  Krasinski  lernte  den  grossen  ^uger  näher 
keunen.  der  anfangs  verschlossen  und  wenig  gesprächig  war. 
„Ich  habe  von  ihm  gelernt",   schreibt  Krasinski,    ., kaltblütiger. 

'  Krouika  Rmliiuutt  ISTü,  Kr.  15. 

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SiKinniind  Kruiniki.  317 

schöner,  unparteiischer  die  Dinge  zu  betrachten,  habe  mich  von 
riefen  Vorurtheilen  freigemacht.'  Er  hat  mich  überzeugt,  dass 
aller  FlitterBtoat  in  den  Handlungen,  im  Reden  und  im  Schrei- 
hea  Thorbeit  ist,  das(t  nur  die  Wahrheit  schön  ist,  dass  alle 
Zierrathen  und  Blumen  des  Stils  nichts  sind,  wenn  der  Ge- 
danke fehlt.  .  .  .  Die  Begegnung  mit  ihm  hat  mir  viel  Gutes  ge- 
braclit"  (Brief  vom  5.  September  und  22.  October  1830).  Ody- 
niec  schildert  Krasinski  als  einen  frischen ,  fröhlichen  jungen 
Mann,  sterblich  verliebt  in  ein  englisches  Mädchen  (Mies  Hen- 
riette). KrasiAski  wurde  mit  der  Familie  Ankwicz  bekannt,  be- 
gab sich  nach  Italien  und  brachte  zwei  Winter  1830 — 31  und 
1831 — 32  in  Rom  zn,  den  erstem  in  der  Gesellschaft  von  Uickie- 
«icz,  den  andern  in  der  von  H.  Rzewuski  und  der  Familie  Ank- 
wicz. Die  polnischen  Ereignisse  des  Jahres  1830 — 31  übten  auf 
Krasinski  einen  erschütternden  Eindruck  aus.  Das  Lehen  seines 
Vaters  mochte  gefährdet  sein,  als  offenen  Gegners  des  Auf- 
"itandes,  der  sich  zur  Partei  des  Carevic  hielt.  Vincenz  Kra- 
Bseki  war  eine  der  unpopulärsten  Persönlichkeiten;  ihm  blieb 
niir  der  eine  Ausweg  übrig,  nach  Petersburg  zu  geben.  Als  der 
Aufstand  eine  tratsche  Lösung  gefunden,  forderte  der  Vater  den 
i^hn  auf,  nach  Warschau  zu  kommen,  von  hier  brachte  er  ihn  auf 
eine  Einladung  nach  Petersburg,  wo  Sigi&mand  hätte  in  den  Staats- 
<lienst  treten  sollen,  wenn  ihn  von  dieser  dem  Anschein  nach 
nnvermeidlichen ,  aber  seinen  Wünschen  nicht  entsprechenden 
hanfbahn  nicht  seine  Nervenzerrüttung  und  Augenkrankheit  — 
Folgen  der  psychischen  Erschüttening  durch  die  Ereignisse  des 
Jahres  1830 — 31  —  befreit  hätten.*  Während  seines  Aufent- 
halts in  Petersburg  verliees  Krasiüski  nur  zweimal  sein  Zimmer, 
als  er  herumfuhr,  um  sich  vorzustellen,  ward  zum  Gebrauch 
einer  Cur  entlassen  und  reiste  1833  mit  seinem  Freunde  Danie- 
lewicz  nach  Wien,  von  da  nach  Rom,  von  wo  er  21.  Novem- 
ber 1833  (Kronika  Rodz.,  1874,  S.  309)  seinem  Freunde  Gaszyiiski 


'  üeber  die  genitr  Reue  vergl.  die  Briefe  von  Odynieo,  4.  Bd.,  an  dee- 
un  Ende  Kruinaki'B  Briefe  an  seinen  Tater  abgedruckt  sind. 

'  Brief  1832  aus  Genf:  „Meinen  Augen  dmlit  Blindheit,  der  ga,D?.e 
Körper  iat  zerrüttet,  vielleiclit  gehe  ioh  bald  dortliin,  wohin  schon  riele  ge- 
gangen sind,  gehe  hin  ohne  Ruhm,  ohne  Liehe  uud  ohne  Mitleid  der  Men- 
■ehen.  Aber  es  hat  kein  gemeinen  Herz  in  dieser  Brust  ^etchlagen;  ich 
bitte  gingen  und  kämpfen  können."    Liat;  Z.  Kraa.  7. 


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318  VierteR  Kapitel.    Die  Polen. 

im  Vertrauen  eine  Mittheiluug  über  das  erste  von  ihm  verfasete 
reife  und  bedeutsame  Werk  „Nieboska  komedya"  („Ungöttliche 
Komödie")  machte,  der  er  damals  noch  einen  andern  Namen 
„Der  Mann"  gab.  Obgleich  das  Drama  schon  im  21.  Jahre  ge- 
schiieben  war,  so  war  es  doch  nicht  das  erste  Werk;  ihm  waren 
schon  einige  andere,  aber  ganz  jugendliche  Versuche  voranB- 
gegangen.  Schon  als  Student  in  Warschau  hatte  Krasii'iflki, 
Itegeistert  von  Walter  Scott,  begonnen  mit  seinen  Mitschülcri< 
(XnaHi-historischo  Bomane  zu  schreiben,  —  mit  Gaszyiiski:  „Grob 
rodziny  Reichsthalöw "  („Das  Grabmal  des  Geschlechts  der 
Kfiichsthal",  1828,  im  Korrespondent  Warszawski)  und  mit 
diesem  sowie  mit  Dominicus  Magnuszewski :  „Wladyslaw  Her- 
mann i  dwör  jego"  („Wfadysiaw  Hermann  und  sein  Hof-',  War- 
schau 1829).  Von  diesen  Mitarbeitern  hat  Gaszyi'iski  (geb.  1809. 
seit  1831  Emigrant,  gest.  18Ö6)  in  der  Folge  Einiges  geschrieben 
und  noch  nicht  TCröfFentlichte  Memoiren  über  seine  Beziehungen 
zu  Krasiiiski  hinterlassen.  Ein  bei  weitem  kräftigeres  Talent  ist 
Magnuszewski  (1810—47),  Verfasser  der  „Polnischen  Frau  in 
drei  Epochen",  der  „Rache  der  Ureula",  der  nicht  publicirten 
Dramen  „Radziejowski"  und  „WJadysJaw  Bialy"';  er  liebte  A^ 
chaismen,  ahmte  einen  alterthümlichen  Stil  nach,  suchte  Volks- 
tbümlichkeit  in  der  Poesie,  war  aber,  ohne  es  selbst  zu  mer- 
ken, ein  Nacliahmcr  der  wüsten  Schule  der  französischen  Ro- 
mantiker (Victor  Hugo  u.  a.).  Ohne  Mitwirkung  anderer  hat 
Krasiiiski  noch  Erzählungen  geschrieben,  die  verloren  gegangen 
sind,  alle  in  Prosa:  „Zawisza",  „Der  Starost  Wilczek",  „Theodor, 
der  König  der  Wälder",  endlich  den  1834  in  Breslau  herausge- 
gebene Roman  „Agaj  Han".^  Dieser  Roman  erinnert  kaum  an 
Walter  Scott,  sondern  eher  an  d'Ärlencourt,  und  wenn  darin 
ein  Verdienst  ist,  so  ist  es  nur  das  des  Stils,  nicht  aber 
des  Inhalts.  Die  Heldin  des  Romans  ist  vom  Tode  des  Dieb 
TuBzynski  an  Maria  Mniszek,  für  welche  der  Kozak  Zarucki 
und  der  l'atar  Agaj  Hau  in  unsinniger  Leidenschaft  ent- 
brennen. Die  Personen  wie  die  Verhältnisse  sind  fingirte,  in 
der  Zeichnung  des  Locals  und  in  der  Beschreibung  der  Ereig- 
nisse   ist    die   Neigung    zu    übermässiger    Uebertreibung,    zum 


'  In  I.embei'g  cracliieu  1877  der  ernte  ßnitA  einer  volIntÄndigeii  Saumi- 
Iddji  «einer  Werke  („Dziela  Dominikn  MaguiiKzewskie^o"). 
>  Deutlich  vou  £.  ßraolivogel  (Leipzig  1840). 


...,  Google 


Si^HnQDd  Kra»in8ki.  319 

Unqatürlichen  big  zur  Carricatur  bemerkbar.  Der  Hauptfehler 
dieger  poetischen  Jugendsünden  ist  ein  vollBtändiger  Mangel  an 
Wahrheit.  Danielewicz  schrieb  über  Krasiil&ki  (Krön.  rodz.  1834. 
^■309):  „er  schreibt  unermüdlich.  Es  muss  in  ihm  die  furi- 
htinda  vena  des  Dichters,  eine  dämonische  Unennüdlichkeit 
man.  Wahrscheinlich  wird  er  sich  einstmals  yon  dem  lossagen. 
TOS  er  jetzt  schreibt;  die  Epoche  des  Schreibens  ist  für  ihn  noch 
nicht  gekommen."  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Be- 
kanntschaft mit  Mickiewicz  dem  Neuling  half,  die  Rhetorik  ab- 
znEcbntteln,  zur  Wahrheit  zu  gelangen,  das  übrige  kam  durch 
die  Betrachtung  der  polnischen  und  europäischen  Ereignisse  des 
J.  1830.  Der  Schriftsteller  ward  plötzlich  zum  Manne  und  ward 
m  anderer.  Die  1833  zu  Rom  geschriebene  „Kieboska  Korne- 
tt;a"  („UngötÜicbe  Komödie"),  herausgegeben  zu  Paris  1835, 
ist  ein  ganz  reifes  Werk,  besiegelt  mit  all  den  individuellen 
charakteristischen  Merkmalen  der  Dichtungsweise ,  die  in  allen 
fnlgenden  Werken  herrschen.  Seine  Originalität  ist  gross  und 
^teht  darin,  dass  Krasiliski  im  Gebiete  der  Kunst  Mctaphysiker 
ijt,  der  mit  den  Mitteln  der  Kunst  die  abstractesten  Ideen 
personificirt.  Jede  seiner  Dichtungen  ist  eine  philosophische 
Theorie,  in  Büdei-n  gedacht,  welche  in  Bezug  auf  die  Grund- 
ideen derselben  symbolische  Bedeutung  haben.  Diese  Theorien 
werden  manchmal  den  Werken  in  den  Vorreden  vorausgeschickt 
(„Przed.4wit"  —  „Morgendämmerung"),  manchmal  in  den  Text 
der  Dichtung  selbst  eingeschoben  („Psalm  Wiary"  —  „Der  Psalm 
des  Glaubens").  In  der  Correspondenz  mit  den  Freunden  wer- 
den schon  weit  früher  die  socialen  und  politischen  Fragen  Tor- 
tnolirt,  die  dann  die  Grundlagen  des  einen  oder  andern  Dra- 
mas oder  Epos  bilden;  aber  gerade  infolge  davon,  dass  das  All- 
gemeine, Kosmopolitische  in  erster  Linie  steht,  nimmt  das  rein 
Personliche  einen  relativ  kleinen  Baum  darin  ein,  sodass  sich 
der  Schlüssel  zu  den  Werken  Kiusii'iski's  nicht  so  sehr  in  dem 
findet,  was  er  selbst  erfahren  hat,  als  in  dem  allgemeinen  '/.u- 
•itand.der  Geister  in  Europa,  von  der  Jutirerolution  an  bis  zu 
dem  Kriege,   der  mit  der  Belagerang  von  Sebastopol    endete." 


'  All  1841  aaa  Anlasa  der  „Sommemacbt"  Stowacki  in  einem  Briefe  an 
Knuinaki  nach  den  peraönücben  Grucdl^en  dieses  Werken  forachte,  em- 
pW  er  nur  folgende  Antwort  (Brief  vom  lli.  Man:  IBU,  Rom.  —  Mal.  II, 
116):  „Rühre  nicht  an  tüdtlieho  Wundan,  Huchc  nicbt  zn  sehr  unerKründliithf 


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390  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Durch  diese  Eigenschaft  erklärt  sich  auch  der  von  Klaczko '.  be- 
merkte „absteigende"  Gang  der  poetischen  Entwickelung  Kra- 
äliski's,  im  Gegensatz  zu  dem  „aufsteigenden"  anderer  Dichter, 
die  von  ihrem  eigenen  nationalen  Wesen  ausgingen  und  sich  dann 
zu  kosmopolitischen  Ideen  erhoben,  während  bei  Krasii'iski  diese 
letztem  den  Ausgangspunkt  bilden  und  das  Kationale  uls  die 
Krone  und  der  Schluss  der  Entwickelung  erscheint.  Dieses  me- 
taphysische Element  in  der  Poesie  Krasiiiski's  hat  zur  Folge, 
dass  er  bei  der  Masse  nie  so  populär  werden  kann,  wie  Mickie- 
wicz  oder  sogar  ^owacki.  Seine  Poesie  ist  weniger  zugänglich, 
Rio  ist  immer  gewichtig,  ernst,  erhebt  ihre  Stimme  immer  um  einige 
Töne  höher  als  gewöhnlich,  sie  meidet  alles  Vul^re,  athmet 
bisweilen  Zorn  und  Unwillen,  hatte  aber  nicht  die  geringste 
Beimischung  von  Humor.  Er  selbst  begriff  das  Nichtvulgäre 
seiner  Muse  vorzüglich.  „Mische",  schrieb  er  aus  Born  1840  an 
Slowacki,  „deiner  Lasur  nur  etwas  Galle  bei,  und  du  wirst 
sehen,  wie  dieses  irdische  chemische  Element  alles  Irdische  zu 
dir  zieht.  Auf  Erden  gibt  es  mehr  Lebern  als  Herzen.  0  wie 
werden  dich  dann  die  Lebern  vei-stehen.  .  ..  Versuche  es,  sie 
fordern  es,  sie  werden  erst  dann  deine  Hand  fühlen,  wenn  du 
mit  aller  Gewalt  einhaust,  wenn  sie  schwer  und  knöchern  auf 
die  Schläfe  fällt.  So  lange  sie  zum  Himmel,  zu  den  Sternen 
erhoben  ist  ...  .,  so  lange  meinen  sie,  es  sei  eine  weisse  Lilie, 
die  unschuldig  auf  der  Wiese  wächst."  Indem  er  immer  auf 
den  höchsten  Hohen  der  Ideen  und  des  Gefühls  lebte,  war  Kra- 
siüski  als  vollster  Idealist  ein  wahrer  Antipode  des  gegenwär- 
tigen Realismus;  aber  als  Idealist  stand  er  den  alten  Griechen 
der  Periklei'schen  Zeit  nahe,  welche  marmorne  Olympier  von 
wunderbarer  Schönheit  schufen,  aber  von  einer  Schönheit,  welcbe 
nicht  von   lebendigen   Modellen    copirt    war.    Die   Kunstmittel 


Iler/en  zu  erforsclieii.  Wenn  dn  den  Anker  ins  Meer  wirfst,  weitat  du  nicht, 
wohin  er  ßillt,  weil  die  Tiefe  finster  hl.  Kannxt  du  nagen,  dass  dein  Einen 
nicht  auf  ein  lebendiges  Wesen  gefallen  ist,  und  es  durobliohrt  oder  verwundet 
hat.  ...  Sei  dem  Engi>l  des  Lichtes  und  des  Schalles  ähnlioli,  oWr  die  Ex- 
perimente ubei'lasn  dem  alten  William  (d.  i.  Shakespeare)  und  den  Anatomen. 
Breite  einen  stillen  nnd  strahlenden  RefcenliORen  fiber  den  ans,  dem  das 
Lehen  bitter  war." 

'  Revue  de  dem  Mondes,   1862,   Jnnuar:    Le   poete   anonyme    de   1* 
Pol»^c. 


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Sigiemund  Knuinski.  321 

selbst  seiner  Dichtung  Bind  eher  die  eines  Bildhauers  als  eines 
Malers.  Die  von  ihm  geschaffenen  Personen  sind  plastisch, 
aber  blutlos,  es  ist  darin  kein  Colorit,  sondern  hlosse  Zeichnung, 
aber  die  Vollendung  der  letztern  ist  so  gross,  wie  in  der  Plastik 
der  Alten,  in  der  man  nach  einem  hlossen  Kopfe  oder  Torso  ohne 
jegUche  Attrihnte  mit  einem  mal  errathen  kann,  was  die  Statue 
darstellt,  den  oder  jenen  Gott  oder  Helden.  Von  den  Aufgaben 
der  Poesie  hatte  er  originelle  und  ziemlich  sonderbare  Vor- 
stellungen. „Die  Poesie",  schrieb  er,  „ist  das  Schauen  voll- 
endeter Formen,  in  die  sich  irgendeinmal  auf  der  Erde  oder  im 
Himmel  das  reale  Leben  kleiden  wird"  (1840,  Krasinski's  Briefe, 
ä.  181).  Darch  die  Eigenheiten  der  Phantasie  Krasiüski's  lässt 
^ich  auch  sein  literarischer  Geschmack  leicht  erklären.  Er  ist 
entzückt  tos  „Le  vicomte  de  Bragelone"  und  der  ganzen  Trilogie 
der  „Musketiere":  „Dumas  gelangt  zu  homerischen  Situationen 
und  Beschreibungen,  die  dem  Herzen  der  Menschheit  entnommen 
und,  wahr,  poetisch,  ganz  nach  der  Regel  Cicero's:  fac  Ima- 
ges, quibus  pulsentur  animae.  Hätte  er  sich  nicht  durch  die 
.tgd  nach  Geld  veiführen  lassen,  so  würde  er  Shakespeare 
gleichkommen"  (Briefe,  S.  172).  Shakespeare  wird  von  Krasinski 
bemmdert,  aber  er  hat  keine  Sympathie  füi'  ihn.  „Shakespeare 
«leht,  obgleich  er  breit  ist  wie  das  Nordlicht,  doch  niedriger  als 
Byron,  der  nur  als  Blitz  im  Gewittersturm  aufleuchtete"  (1837; 
Briete,  S.  26).  „Ich  sehe  lieber  eine  Tragödie  von  Schiller  auf 
der  Bühne ,  als  alle  von  Skakespeare.  Schiller  schreitet  ein- 
her wie  ein  Halbgott,  wie  ein  Apollo  von  Belvedere,  mit  ge- 
hobener Stirn.  Frühling  ist  um  ihn  her,  und  bis  zum  Grabe 
siod  in  den  Herzen  der  Helden  und  nach  dem  Tode  auf  ihren 
liriibeni  lauter  Blumen  und  Sterne"  (S.  31).  „Shakespeare  ist 
ein  grosser  Meister  der  Dissonanzen,  der  an  den  Charakteren 
Experimente  macht,  wie  der  Physiker  und  Chemiker  an  den 
Körpern.  Er  weiss,  wie  sich  die  Menschen  quälen,  wie  Thrii- 
nen  und  Blut  äiessen,  aber  er  weiss  nicht,  wofür.  Sein  Stand- 
punkt ist  noch  ein  kindlicher"  (Briefe,  S.  177  —  180).  „Er  ist 
vie  ein  Diplomat,  der  erzählt,  dass  alle  Kriege  und  Bevolu- 
tioaen  aus  irgendeiner  kleinen  Intrigue  hervorgegangen  sind. 
Die  Intrigue  war  vorbanden,  aber  es  war  auch  noch  etwas  Grös- 
seres da  —  der  Finger  Gottes:  hier  hört  Shakespeare  auf  und 
fängt  Schiller  an"  (S.  32).  Diese  sonderbare  Ansicht  über  Sha- 
kespeare hängt   nicht  vom  Geschmack  allein  ab,   sondern   auch 

'vna,  BUTlHhi  laMtiliUfB.   11,1.  2t  /    '  I 

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322  Viertes  Kapitel.'  Die  Polen. 

von  einer  besondern  Auffassang  der  Ziele  des  LebeoB  und  der 
Kunflt.  KrnßiAski  ist  einerseits  der  grösste  Gegner  einer  Theorie 
der  Kunst  um  der  Kunst  willen;  er  dehnt  seine  Negation  so  weit 
aus,  dass  nach  seinen  Ansichten  derjenige  alle  andern  überragt, 
welcher  Dichter  im  Leben  ist,  und  dass  der  schon  sittlich  ver- 
kiimmert  ist,  der  sich  von  der  Poesie  durch  die  Kluft  des  Wor- 
tes losgemacht  hat,  ihrer  unwürdig  aber  derjenige,  der  äch 
nur  mit  ihr  unterhält,  mit  ihr  spielt,  sie  den  Menschen  zu  leerem 
Genuss  bietet  (Einleitung  zur  „Ungöttlichen  Komödie").  Ande^e^ 
seits  glaubt  er,  dass  die  wahre  Poesie  die  Wahrheit  sei,  aber  nicht 
die  der  Gegenwart,  sondern- die  der  Zukunft;  alles  das,  wovon  sie 
träumt,  werde  eich  irgendeinmal  verwirklichen;  sie  sei  die  Blüte 
des  Gefühls,  deren  Frucht  die  Religion  sei,  die  Mutter  der  Phi- 
losophie, und  alle  drei  zusammen  seien  untrennbar.  Sie  sei  das 
unfehlbare  Schauen  der  Zukunft  und  die  Wahrsagung  von  der- 
selben (Briefe,  S.  69),  hervorgerufen  durch  die  Unvollkommen- 
heiten  der  Gegenwart.  Von  seinem  metaphysiR'heii  Standpunkt 
aus  ist  alles  Greifbare  und  Sichtbare  nicht  real,  und  eine  wirk- 
liche Realität  haben  nur  seine  Phantasien  über  das,  was  sein 
mufls  und  sein  wird.'  Sonach  verdienen  bei  Krasii'tski  seine 
Kritik  der  Gegenwart  und  sein  Ideal  der  Zukunft  Beach- 
tung. "Wie  verstand  er  aber  diese  GegenwartV  Er  fasBte  sie 
in  anderer  Weise  auf  als  seine  Zeitgenossen,  als  selbst  Mickie- 
wicz.  Für  alle  steht  in  erster  Linie  die  nationale  Frage,  sie 
wird  gelöst  durch  eine  Restauration  und  diese  ist  die  Sache 
einer  nicht  sehr  fernen  Zeit.'  Für  Krasiliski  bestehen  solche  Illu- 
sionen nicht.  Die  ganze  westeuropäische  Civilisation  der  Gegen- 
wart, mit  Einschluss  der  polnischen,  mit  ihren  Idealen,  mit 
ihrer  Ritterlichkeit,  ja  selbst  mit  ihrem  innersten  Mark  —  dem 
Christenthum,  sei  im  Aussterben  begriffen,  Leicbenflecke  seien 
sichtbar  geworden  und  breiteten  sich  immer  mehr  aus;  der  Dichter 
forscht  nach  den  Merkmalen  des  Todes,  senkt  die  Sonde  in  die 
Wunden  und  schreibt  an  Gaszyüski  (1834,  Rom;  Briefe,  S.  9): 
„Ich  weiss,  dass  unsere  Civilisation  ku  Ende  geht,  dass  eine  Zeit 
naht,  wo  sich  neue  Missethaten  zeigen  werden,  um  für  die  ver- 

'  „Die  aiphtliare  Real  tut  Int  ilir  die  unsichthnre,  LciliKe,  ewige 
WahrlH-it  ül.prwättigt:  lu  1    t  v  rlor  nl"  (PokuBft). 

'  Die  „(icscl lichte  de  /ukuntt  on  Mii:kiewicx  war  nur  eine  Phaotarie. 
mit  der  er  sich  unterhielt     hue    k    e  ut-  ernst«  Bedeutung  zu  geben. 

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SigisTnand  Krasinnki.  323 

gsngenen  zu  strafen  und  sich  selbst  vor  Gott  zu  ricbten,  aber 
ich  weiss  auch,  dass  diese  Missethaten  nichts  schaffeD,  nichts 
aofbanen  werden,  daes  sie  wie  das  Ross  Attila's  rorübergehen 
and  selbst  versinken  werden.  Darnach  wird  das,  was  weder  du 
noch  irgendjemand  weiss  noch  begreift,  kommen,  sich  aus  dem 
Cbaos  ausscheiden  und  eine  neue  Welt  schaffen,  aber  zu  jener 
Zeit  werden  sowol  deine  wie  meine  Gebeine  schon  längst  ver- 
west sein."  In  diesen  Worten  ist  schon  die  ganze  „Uagöttliche 
Komödie"  enthalten;  sie  läuft  in  ihren  HauptzUgen  auf  das 
Folgende  hinaus. 

Vor  uns  liegt  die  Fläche  einer  vollständig  todten,  seel- 
loscn,  abgelebten  officiellen  Gesellschaft,  in  der  es  keine  Bestre- 
bungen, keine  Ideale  and  keine  Aufgaben  mehr  gibt,  und  nur 
die  Conventionelle  Lüge  herrscht,  nur  die  conventionetlen  Phra- 
sen gesprochen  und  die  Conventionellen  Goremonien  verrichtet 
werden.  Es  gibt  einzelne  Personen,  die  es  in  diesem  Grabe 
ucht  ruhig  aushalten  können:  dahin  gehört  der  „Mann",  Graf 
Htiurich,  in  welchem  sich  aller  Stolz,  alle  Ritterlichkeit  dor 
Vei^&ngenheit  verkörpert  hat;  aber  sie  können  sich  nirgendR 
entfalten.  Aus  der  Sphäre  des  Gemeinen,  von  der  Ehefrau 
Btebt  Heinrich,  nm  nicht  „den  Schlaf  der  Erstarrten,  den 
Schlaf  des  Schlemmers ,  deu  Schlaf  des  deutschen  Spiessbürgers 
bei  der  deutschen  Frau"  zu  schlafen,  und  jagt  den  Phantomen 
der  Liebe  der  jungen  Jahre,  des  Ruhmes,  des  fabelhaften  Para- 
dieses nach  —  auf  diese  Wanderungen  hat  er  den  besten  Theil 
seines  Lebens  verschwendet,  ohne  den  Menschen  irgendwelchen 
Tatzeit  zu  bringen,  weil  er  in  Wirklichkeit  nur  sich  und  seine 
Phantasien  schätzt  and  liebt.  Als  er  von  diesen  Wanderungen 
nrückkehrt,  seigt  es  sieb,  dass  sein  Haus  leer  ist,  ihm  ein 
^hn  geboren,  aber  die  Frau  wahnsinnig  geworden  ist,  da  sie 
es  sich  zu  Herzen  genommen,  dass  in  ihr  keine  Poesie  sei,  dass 
«e  dem  Manne  kein  Glück  bieten  könne;  bei  der  Taufe  gab 
sie  dem  Knaben  statt  eines  Taufnamens  den  Namen  Dichter. 
GroBsartig  ist  die  Scene  im  Irrenliause,  wo  sie  in  den  Armen 
ibres  Mannes  stirbt,  und  von  allen  Seiten  die  Stimmen  der  Irr- 
wnnigen  gehört  worden,  welche  alle  Schlagworte,  Losungen, 
Fonoeln  der  Parteien  und  Theorien  jener  Zeit  wiederholen. 
Das  Kind  wächst  auf,  krank,  hinfällig,  frühreif,  von  der  Natur 
IQ  früher  Blindheit  geweiht;  dos  Denken  hat  seinen  Körper 
untört.     Der  Fluch   der   Mutter  hat   gewirkt.     Orcio   ist   ein 


334  TierteR  Kapitel.    Die  Polen. 

Dichter,  und  wenn  man  ihn  zu  beten  zwingt,  so  schiebt  er  in- 
folge eines  anüherwindlichen  Triebes  in  die  Worte  des  Ge- 
betes Bilder  ein,  die  sich  in  seine  Phantasie  drängen.  „Ge- 
grüsset  seist  dn,  Mutter  Gottes  Maria,  Königin  des  HimmelB, 
Beherrscherin  von  allem,  was  auf  Erden  blühet,  auf  den  Fel- 
dern, an  den  Bächen"  .  .  .  Krasiüski  hat  eich  selbst,  sein  Leiden 
und  sein  Seelenleben  in  diesem  Orcio  dargestellt.  Inzwischen 
vergehen  Jahre  und  es  nähert  sich  für  die  alte  Gesellschaft 
der  Tag  des  Gerichts  und  der  Abrechnung,  im  Leichnam 
haben  sich  Würmer  eingenistet,  das  Banner  der  blutigen  socia- 
len Revolution  ist  erhoben.  Dass  das  zeitweise  Erscheinen  des 
rothen  Gespenstes  zu  den  nicht  unbedingt  beseitigten  Möglich- 
keiten in  dem  Entwickelnngsgang  unserer  Civilisation  gehört, 
unterliegt  kaum  einem  Zweifel  im  Hinblick  auf  den  Convent, 
auf  die  Utopien  des  Jahres  1848,  auf  die  Internationale  und  anf 
die  Erdbeben,  welche  von  Zeit  zu  Zeit  den  Boden  Russlands  er- 
schätteni.  Die  Gefahr  ist  vorhanden,  aber  man  begegnet  ihr  da- 
durch, dass  man  zur  rechten  Zeit  geeignete  Massr^eln  ei^eift 
KrasiAski  als  gebomer  Gegner  entfesselter  Elementarkraft«,  fühlt« 
(He  Gefahr  voraus  und  übertrieb  sie  sogar.  „Aue  was  für  Leoten 
willst  dn  die  französische  Republik  zusammenstellen",  schrieb  er, 
„aus  den  herrschenden  Kaufleuten,  oder  aus  den  Arbeitern? 
Ausser  ihnen  sehe  ich  keine"  (1834,  Briefe,  S.  9).  In  dem 
„Unvollendeten  Gedicht",  das  eine  spätere  Bearbeitung  der  Idee 
der  „üngöttlichen  Komödie"  bildet,  legt  Ktasifiski  Dante  fol- 
gende Worte  in  den  Mund :  „Als  ich  lebte,  gab  es  Arbeiter  and 
die  Banner  ihrer  Zünfte  wehten  auf  den  Zinnen  der  Thürme: 
sie  handelten  mit  Purpur  und  Edelsteinen  auf  den  Märkten, 
aber  sie  trugen  Schwerter  im  Gürtel  und  Rosenkränze,  ilwe 
Hand  wusste  auf  hohen  Wellen  das  Steuer  zu  lenken,  auf  dem 
Festlande  uneinnehmbare  Festungen  zu  bauen.  Sie  nahmen 
Silber,  aber  wuschen  den  Schmuz  davon  durch  das  Blut  der 
Schlachten  ab.  Was  werdet  ihr  mit  Fingern  machen,  weich  wie 
Wachs,  mit  Lippen,  die  nie  ein  Gebet  gesprochen  haben,  ohne 
irdische  Kraft  und  ohne  HofFnung  auf  Gott,  ihr,  die  ihr  nur  nach 
Geld  dürstet?"  An  der  Spitze  des  siegreichen  Pöbels  steht  Pan- 
cratius,  ein  mächtiger  Dictator,  mit  kaltem  Sinn,  eisernem  Wil- 
len, grosser  Verachtung  gegen  die  ihm  blind  folgenden  Menschen. 
Auf  der  andern  Seite  haben  die  Verhältnisse  den  Grafen  Hein- 
rich in  den  Vordergrund    gestellt,   und   ihm  als  kräftigen  and 

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Sigismund  EresiDskt.  32Ö 

eoergiiicheu  Mauu  die  Herrschaft  aud  deu  Oberbetebl  über  die 
letzten  Kämpfer  der  alten  Ordnung  gegeben,  —  die  Ueberrestc 
der  Adelükaate,  der  Geistlichkeit,  der  an  der  alten  Iteit  Längen- 
lieu  Bauern,  welche  in  ihrer  letzten  VcrBchaiizung  uingeHchloä- 
sen  üiod,  dem  Fort  der  Heiligen  Dreieinigkeit.'  So  stark  I'an- 
iTatios  auch  in  materieller  Beziehung  ist,  so  mochte  er  doch 
über  den  Uegner  einen  moralischen  Sieg  erlangen,  ihn  zu  einer 
ehrenTollen  Capitulatiou  bewegen.  Er  sendet  zu  Heinrich,  um 
eine  Zosiunmenkunft  zu  erbitten,  andererseits  besucht  Graf  Hein* 
nch  im  Geheimen  das  Lager  des  Pancratius,  die  Versammlungen 
verschiedener  Gubs,  wohnt  den  Ceremonien  der  neuen  Religion 
bei,  die  von  dem  Seide  des  Pancratius,  dem  Saint-Just  desselben, 
Leoßhard  erfunden  worden  ist.  Es  erfolgt  nun  in  dem  Fort 
der  Heiligen  Dreieinigkeit  die  Zusammeukunft  der  Vertreter  der 
iwei  Principien,  Menschen,  die  gleich  herrschsüchtig  sind,  in 
lleicher  Weise  diejenigen  verachten,  denen  sie  befehlen,  und 
^eicb  wenig  wählerisch  iu  deu  Mitteln  sind.  Die  Situation 
ist  die ,  wie  in  Hugo 's  „Quatre-Vingt-Treize"  zwischen  Cimour- 
dtin  und  Lantenac,  wenn  man  sie  zusammenführte  und  strei- 
ten Hesse,  aber  diese  letztem  sind  Fanatiker  der  Idee,  während 
weder  Pancratius  in  Wirklichkeit  an  seine  Utopie  glaubt^, 
noch  Heinrich  an  die  abgelebten  Ideale  seiner  ßasse  und  Kaste. 
Gt»f  Heinrich  schwankt  sogar,  als  Pancratius,  den  Finger  unter 
das  Herz  desselben  legend  und  den  Nerv  der  Poesie  berührend, 
m  ihm  sagt:  „Wenn  du  die  Wahrheit  aufrichtig  liebst  und  sie 
gesacht  hast,  wenn  du  ein  Mensch  nach  dem  Bilde  der  Mensch- 
heit bist,  und  nicht  nach  der  Art  der  Ammenlieder,  so  wirf 
alles  hin  und  folge  mir  nach."  Aber  eine  Uebereinstimmuiig 
ist  nicht  möghch.  Beim  Weggehen  stosst  Pancratius  auf  der 
Schwelle  einen  Fluch  aus,  der  allem  Abgelebten  gilt.  In  der 
letzten  Schlacht  befiehlt  Heinrich,  die  Füi-sten  und  Grafen,  die 
ihn  bitten,  Verhandlungen  über  die  üebergabe  einzuleiten,   mit 


'  Das  Kurt  uxigti|-t  wirklich  aiti  ÜnSsti-  bei  Chuliu.  llici'  schlug  Kazi- 
mir  PulawRki  mit  den  Confoderirteu  von  Bar  die  ruseisuhen  Ti'uppen  zurück. 
Wir  bemerken,  ilus  Krasiiiaki  sciue  JugeiKljahi'o  iu  der  Nabe  dieser  Orte, 
M  Ddnajewue,  vurbracbtc. 

'  „Sage  mir,  woiiin  du  glaabal,  —  du  kannst  leiiibtur  dax  Leben  aul- 
gelKD,  als  einen  neuen  Glauben  erfinden"  (Einleitung  in  die  „Uugöttlicbe 
KotnOdie"). 


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326  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Bajonetten  auf  die  Mauern  und  Schanzen  zu  treiben;  en  ver- 
fluchen ihn,  sterbend,  sogar  seine  treuen  Diener  wegen  seiner 
Halsetarrigkeitj  neben  ihm  fällt,  von  einer  Kugel  getroffen,  sein 
blinder  Sohn,  er  selbst  stürzt  sich  von  der  obem  Terrasse  des 
Schlosses  in  den  Abgrund,  nachdem  alles  untergegangen  itst.  Auf 
die  verödete  Terrassu  steigen  Pancratius  und  Leonhard.  Pan- 
cratius  fühlt,  dass  er  nur  die  eine  Hälfte  der  Arbeit  vollbracht 
habe,  dass  man  diese  Bäume  bevölkern,  ein  irdisches  Paradies 
schaffen,  dahin  wirken  müsse,  dass  irisches  Leben  pulsire,  wo 
nur  Buinen  und  Leichen  sind.  Aber  in  diesem  Moment  er- 
schreckt ihn  ein  drohendes  Zeichen :  eine  auf  den  Wolken  Bchwe- 
bende  Erscheinung,  eine  schneeweisse  Gestalt,  die  sich  auf  ein 
Kreuz  stützt,  mit  einer  Domenkrone  aus  geflochtenen  Blitzen. 
Von  den  auf  ihn  gerichteten  Blicken  dieser  Erscheinung  siukt 
Pancratius  todt  in  die  Arme  Leouhard's  mit  den  Worten  des 
Julian  Apostata:  Galilaec,  vicistit  Die  Erscheinung,  die  Fancratiuii 
deu  Tod  bringt,  ist  die  in  der  Gestalt  Christi  erscheiueude  Wahr- 
heit der  Zukunft ',  von  welcher  sowol  der  thierische  Utilitarisnius 
der  Lehre  des  Paucratius  als  die  Kasten vorurtheile,  fiir  welche 
Graf  Heinrich  in  Kampf  und  Tod  geht,  gleich  weit  entfernt  sind. 
Das  Herz  des  Dichters  neigt  sich  freilich  Heinrich  zu;  obgleich 
er  ihn  vemrtbeilte,  so  drückt  er  sich  doch  in  dem  Briefe  an 
GaszyAski,  worin  er  diesen  bittet,  die  „TJngöttliche  Komödie" 
herauszugeben  und  sie  einer  ängirten  Person  Firlej  zuschreibt 
(21.  November  1833),  in  folgender  Weise  aus:  „Es  ist  ein« 
Vertheidiguug  dessen,  wogegen  viele  Habeuichtse  ihre  Hand  aus- 
strecken, nämlich  der  Beligion  und  des  Buhms  der  Vergangenheit." 
Danielewicz  hat  dazu  die  Bandbemerkung  gemacht:  „Das  Werk 
wird  keiner  einzigen  Partei  gefallen,  kaum  jemand  wird  es 
verstehen,  vielleicht  werden  es  alle  schelten"  (Kr.  rodz.  1874, 
S.  309).  In  Born  lebend,  erwartete  KrasiViski  mit  Ungeduld, 
welchen  Eindruck  seine  in  der  Herausgabe  verspätete,  nach  Paris 
gesandte  „Komödie"  machen  werde;  inzwischen  beschäftigten  ihn 
schon  andere  Ideen,  und  er  schrieb  in  Prosa,  wie  auch  alles  Vorber- 


1  S.  Kronika  rodr..  1875,  S.  :t6.  lirief  vum  1.  fulu-uw  18:17;  „Im  Re- 
publikenismus  ist  nicht  der  ganüe  Geist  der  Mcnachheit  unthaltcu,  über  dem 
Sturme  ragt  etwM  Vollkonmneres  empor,  äitUiohkeit,  Ordnnng,  Uannonie. 
Alles  das,  wofür,  falls  man  ein  Symbol  verlangt,  es  Eur  Zeit  kein  aaderec 
gibt,  ab  du  Chriatenthum." 


....,  Google 


Sigismund  EraBinski.  327 

gehende,  eine  gemieclite  Dichtung  —  halb  Epos,  balb  Drama  aus 
der  Geschichte  der  römiscben  Kaiserzeit:  „Iridion"  („Irydion", 
beransgegeben  zu  Paris  1836)  S  die  trotz  de&  antiken  Costüms 
der  handelnden  Fersouen  iu  nüchEter  Venvandtschaft  zu  Mickie- 
wicz's  „Wallenrod"  steht  und  in  der  Anwenduug  auf  das  Natio- 
nale eine  vollständig  entgegengesetzte  Lösung  der  von  Mickiewicz 
gestellten  Aufgabe  enthält:  ob  für  die  Restauration,  in  der  alle 
Vorhaben  des  Patriotismus  aufgingen,  das  Gefühl  der  lUcbc, 
deren  ideale  Verkörperung  „Wallenrod"  und  deren  praktische 
die  Arbeiten  der  Emigration  waren,  ein  geeignetes  Mittel  sein 
könne. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  in  der  alten  Welt  die 
ewige  Stadt  das  Beispiel  eines  schonungslosen  Aussaugens  der 
Lebenskräfte  einer  zahllosen  Menge  von  Culturen  und  Völker- 
äUmmen  bietet,  unter  andern  auch  der  hohen  grieclüscben 
Callur.  Üa»  Gefühl  des  Hasses  und  der  Rache,  weichet;  Haa- 
libal  und  Mitbridates  beseelte,  konnte  »owot  bei  den  Darbaren 
fe  Nordens  wie  bei  den  Griechen  vorhanden  sein.  Ein  solcher 
mmebmer  Grieche,  ein  geschworener  Feind  Roms,  Amphilochus 
flermes,  ward  auf  der  Kimmerischen  Halbinsel  mit  einem 
der  nonnannischeu  Meereskönige,  Sigurd ,  verwandt,  indem 
er  sich  mit  der  weissagenden  Priesterin  Odiu's  Krimhild  ver- 
mählte, und  erzog  im  Geiste  des  Hasses  seinen  Sohn  Iridion 
und  seine  Tochter  Elsinoe,  bei  denen  sieb,  in  der  Eigenschaft 
ihres  Lehrers,  eine  geheimnissvolle  Person,  der  greise  Numidier 
Massinissa  aufhält.  Das  gastliche  Haus  des  Iridion  steht 
nicht  nur  den  römischen  Würdenträgern  und  Magnaten,  sondern 
auch  Griechen  und  Barbaren  offen.  Die  Gelegenheit  zur  Aus- 
führong  langgehegter  schlimmer  Pläne  war  dem  Anschein  nach 
gekommen ,  da  zum  Beherrscher  der  Welt  der  böse ,  aus- 
schweifende, wahnsinnige  Heliogabal  geworden  war,  auf  den  ein 
nobedingtcr  Eiu&uss  zu  gewinnen  war.  Iridion  bringt  die 
Schwester  der  Sache  zum  Opfer,  indem  er  sie  dazu  bestimmt, 
das  Schicksal  und  das  Bett  des  Kaisers  zu  tbeilen.  In  dem  Kai- 
ser weckt  sie  Verdacht  gegen  alles,  was  ihn  umgibt,  veranlasst 


'  UeutHch  vou  A.  Mauritius  (=  Dr.  JuuhiiiuB),  Luriiii  1»46;  von  Tu- 
lunns  GermanuB  {—  Dr.  JuuhmuH],  Leipzig  1817  (Ülosau  Titulausgabc 
dea  vorigen;  s.  L.  Kui'tzmanu,  „Die  poln.  Literatur  iu  Duutsulilanil."  Posen 
1881.) 


.....Gooj^lc 


328  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ihn,  sich  dreist  ihrem  Bruder  anzuvertrauen.  Vollständig  über 
deu  Kaiser  verfügend,  Gucbt  Iridion  diesem  Syrer,  dem  Mitra- 
Priester,  begreiflich  zu  machen,  dase  sein  schlimmster  Feind 
jener  altrömische  Geist  sei,  der  solange  besteben  werde,  wie 
die  Siebenbügektadt ,  dass  es  also  nothig  sei,  diese  Stadt  m 
vci-nicbtcn  und  in  die  Heimat  Heliogabars,  den  Orient,  ku 
ziehen.  Alles  ist  zum  Cmsturz'  vorbereitet,  ganze  Scharen  von 
Barbaren,  ganze  Trupps  von  Gladiatoren,  unter  denen  sich  die 
enterbten  Nachkommen  der  adeligen  Familien  der  Scipioncn 
und  Vcrres  bergen,  warten  nur  auf  das  Signal.  Ein  Widerstand 
liisst  sich  von  den  Prätorianeru  und  vom  Heere,  von  den  Be- 
wohnern Borns  und  dem  niedem  Volke,  und  von  dem  kleinen 
Häuflein  von  Leuten,  den  Vertbeidigern  der  altrömiscbeu,  noch 
aus  den  Zeiten  der  Republik  stammenden  Politik  und  Traditiuii 
erwarten,  welche  sich  um  den  Neffen  des  Kaisers,  Alexander  Sc- 
verus,  scharen,  und  an  deren  Spitze  die  Verköi-perung  der  alt- 
römischen  Tapferkeit,  Ausschliesslichkeit  und  Würde  —  Ulpiuu 
steht.  Aber  die  entscheidende  Bedeutung  in  diesem  Attentat  auf 
Rom  bat  nicht  der  Kaiser  noch  die  Haufen  der  Söldner,  ja  nicht 
einmal  die  Cohorten  der  Prütorianer,  sondern  die  Katakomben,  d.  i. 
die  christliche  Welt,  welche  dort  den  Nazarener  verehrt.  Alexan- 
der Scverus  und  seine  Mutter  Mammaea  sind  heimliche  Christen-, 
aber  Ulpian  ist  anderer  Meinung:  er  glaubt,  dass  sich  die  Stadt 
nur  durch  das  halten  könne,  wodurch  sie  erwachsen  sei,  —  durch 
die  unerschütterliche  Mannhaftigkeit  und  durch  die  geheinmiss- 
vollen  Ceremonien  der  Ahnen.  Geführt  von  MassinissH,  dringt  In- 
dien in  die  Katakomben  ein,  empfängt  die  Taufe  und  den  Namen 
Hieronymua,  bringt  eine  Spaltung  in  der  Kirche  hervor,  und 
reisst  durch  seine  leidenschaftliche  Rede  die  Neubekehrten  unter 
den  Christen,  h  itzige  junge  Leute,  Sklaven,  Barbaren,  Fremdlinge 
aus  dem  ägyptischen  Theben  mit  sich  fort.  Als  seine  hauptaich- 
lichen  Genossen  erscheinen  Simeon  von  Korinth  und  die  um 
ihrer  Heiligkeit  willen  gefeierte  edle  Römerin  Cornelia  NetelU 
(„um  das  überirdische  Reich  in  menschliche  Leidenschaften  hin- 
ein zu  verkörpern  —  dazu  ist  ein  Weib  nöthig"),  die  er  ab* 
sichtlich  betbort  und  veranlasst,  als  wäre  es  eine  Eingebung  von 
Oben,  die  christlichen  Brüder  zu  den  Waffen  zu  rufen,  zur  hei- 
ligen Rache.  Unter  den  Flammen  des  Aufruhrs,  die  in  den 
Katakomben  ausbrechen,  erscheint  auch  Massinissa,  der  immer 
räthselhafter  wird  und    sich  jetzt  nicht  mehr  über  den  beTor_ 

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Sigistnund  Krnsiiiaki.  32!* 

»ttbeudeu  Momeut  von  Roms  Untergang  freut,  tiundci'H  darüLer, 
<JiU)S  iu  den  Hcrzeu  der  Christen  Glaube ,  Hoffuung,  Liebu 
getrübt  sind;  dass  „von  da  an  kein  Tag  vei^eheu  wird,  ohne 
ilaüs  sich  die  Menschen  über  die  Eigenschaften  und  die  Na- 
ineu  Gottc»  streiten,  ohne  dass  sie  in  seinem  Namen  sich  Belhst 
uDil  einander  verbrennen  und  morden,  ohne  dass  sie  Chiistus 
iuifi  neue  kreuzigen  durch  ihre  Weissheit  und  ihre  Thorhcit, 
Jurch  ihre  Vernunft  und  Unvernunft,  durch  die  Denmth  ihre^ 
(iebets  und  durch  die  Lästerungen  ihrer  Einbildung."  Im  ent- 
^hcidenden  Moment  scheint  es,  als  ob  Massinissa  dem  Iiidion 
sogar  untreu  würde:  „0  Rom,  ich  segne  dich,  du  bist  gerettet 
Bju  deiner  Gemeinheit  und  Grausamkeit  willen." 

Die  Katastrophe  tritt  ein:  während  der  Kaiser  die  ganze  Ge- 
walt IridioD  übergeben  hat,  dessen  Gladiatoren  und  tiöldliiige 
Bom  an  allen  Enden  anzünden ,  stellt  der  Bischof  Victor  in  den 
Katakomben  seine  erschütterte  Macht  wieder  her,  schleudert  den 
Hoch  gegen  Simcon  und  Iridion.  Metella  stirbt  reuevoll.  Iridiou 
«irft  das  Kreuz  von  sich  und  reisst  die  Barbaren  mit  sicli 
fcrt,  welche  rufen:  „wir  sind  dir  treu,  hernach  möge  uns  Jesus 
richten".  Der  Bischof  Victor  befiehlt  für  Alexander  Severus  zu 
beten.  Unterdessen  dringen  die  Pratcrianer  in  den  Palast  des 
Kaisers  ein,  iudcm  sie  den  Severus  zum  Kaiser  ausrufen;  He- 
liogabal  wird  in  Stücke  gehauen,  Elsinoe  ersticht  sich  selbst. 
Severus  sendet  ihre  Leiche  dem  Bruder,  mit  dem  Versprechen 
der  Verzeihung,  wenn  er  sich  unterwürfe.  Statt  einer  Antwort 
an  den  mit  dem  Antrag  gesandten  Ulpian  wirft  Iridion  einen 
geweihten,  mit  dem  geheimnissvollen  Namen  Roms  versehenen 
Ring,  —  einen  ihm  vom  Kaiser  anvertrauten  Talisman,  ins  Feuer. 
Ulpian  geht  fort,  indem  er  den  Uebelthater  zur  aquae  et  ignis 
interdictio  vcrurtheilt.  In  der  letzten  Minute  erscheint  auf 
dem  Scheiterhaufen  der  Elsinoe  neben  Iridion  der  während  der 
Peripetie  der  Handlung  verschwundene  Massinissa  und  will  ihn 
retten.  „Wer  bist  du?"  —  „Ich  bin  unsterblich,  ich  bin  ein 
tiott",  antwortet  der  Greis  und  verschwindet  mit  Iridion.  Nach 
Krasinski'a  eigener  Erklärung  (Brief  1837,  in  Krou.  rodz.  1875, 
S.  98)  ist  Massinissa  eine  Art  antiken  Mephistophcles  —  eine 
^mbolischo  I'ersonification  des  Princips  des  Bösen,  des  Piincips 
dw  Negation,  jene  Finsterniss,  ohne  die  es  kein  Licht  gibt,  jenes 
unbegreifliche  satanische  Unbekannte,  das  uns  ewig  mit  dem  Ge- 
beimoissdecUaendlichkeit  schreckt,    bis  wir  es  erkannt  haben, 

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330  Viertes  Kiipilel.    l>ie  Polen. 

aber  8ic)i  jeden  Augeublick  in  etwas  änderet)  verwandelt  und  als 
nothwcndigGr  Factor  in  die  Welt  und  in  die  Harmonie  gehört. 
Massinissa.  trägt  Iridion  weit  von  Rom  weg,  in  destien  Herzeu 
der  Scbmei';!  der  mislungenen  Rache  zurückgeblieben  ist  und  in 
dessen  Ohreu  die  Stimme  der  sterbenden  Metella  als  Vorwurf 
tönt.  Iridion  würde  gern  den  Gott  der  Metella  verehren,  aber 
Maseini&sa  ist  ein  grösserer  Teind  des  Kazareners  als  Rom»,  weil 
jener  den  alten  Himmel  und  die  hinfällig  gewordene  Erde  iu 
Beiiitz  genommen  bat,  doch  gibt  es  nocli  Räume,  wo  sein  Name 
nicht  existirt;  weil  er  den  kaiserlichen  Purpur  anlegt;  weil  die 
Menschen  deu  Nordens  ihm  zu  Füseeu  fallen  und  in  einen  kin- 
dischen Zustand  kommen  werden,  und  „Rom"  zum  zweiten  mal 
vergöttert  werden  wird.  Iridion  versenkt  er  in  einen  vielhun- 
dei-tjährigen  Schlaf  und  gibt  ihm  das  Wort,  ihn  zu  wecken 
und  die  Erfüllung  seiner  innigen  Wünsche  zu  zeigen,  wenn  auf 
(lern  Forum  nur  Staub,  im  Circns  nur  Schutt  und  auf  dem  Ca- 
jiitol  nur  Schande  sein  werde.  Massinissa  hält  Wort,  führt  den 
wiedererweckten  (kriechen  auf  der  Via  sacra  ins  päpstliche  Rom 
der  dreissiger  Jahre  des  19.  Jalirhunderts.  Am  Porticus  der 
Peterskirche  setzen  sich  zwei  Greise  mit  grauen  Haaren  und  iu 
rotheu  Mänteln,  von  den  Mönchen  mit  dem  Namen  von  Kirchen- 
fürsten  geehrt,  aber  geistesarm,  in  einen  Wagen,  gezogen 
von  dürren  Gäulen,  hinter  ihnen  ein  Diener  mit  einer  Laterne, 
wie  sie  eine  Witwe  über  ihren  vor  Hunger  sterbenden  Sohn 
hält,  auf  den  Rahmen  der  Wagenfenster  sind  Spuren  von  Ver- 
goldung —  das  sind  die  Erben  des  Kaisers,  das  ist  der  Wagen 
der  Fortuna  des  Capitols.  Auf  dem  Forum  schlafen  zwei  Bett- 
ler unter  den  Lumpen  eines  Mantels  —  das  sind  die  Rest« 
des  römischen  Volkes.  Auf  der  Arena  des  Goloeeeums  er- 
scheint der  Geist  der  Metella,  und  es  beginnt  ein  Kampf  um 
Iridion  zwischen  Massinissa,  der  sein  Itecht  auf  ihn  geltend 
macht,  weil  er  Rom  hasste,  und  Metella,  welche  diese  Seele 
wegen  ihrer  Liebe  zu  Hellas  vertheidigt.  Iridion  ist  gerettet  und 
wird  veranlasst,  noch  einmal  zu  leben,  unter  den  Menschen 
zu  leiden,  indem  er  sie  liebt  und  niemand  hasst.  Das  Land 
der  Gräber  und  der  Kreuze,  wohin  Iridion  gesandt  wird,  ist 
nicht  genannt,  aber  der  Dichter  versteht  darunter  sein  eigenes 
Vaterland.  Sozusagen  in  der  letzten  Zeile  liegt  der  patriotische 
Grundgedanke  des  Werks  versteckt,  ahstract,  theoretisch  ausge- 
führt, wenig  verständlich  für  die  Zeitgenossen,  denen  ausserdem 

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Sigismiind  KrasiiiHki.  331 

der  Xarae  KroeiAski's  Lei   der  Anonymität  seiner  Wei'kc    voll- 
ätändig  unbekannt  war. 

Iridion  ist  das  Hauptwerk  der  ersten  Manier  Krasiiiski's,  der 
^mbolisirenden,  die  in  seinen  Werken  durchgängig  Lis  zum  Jähre 
1040  herrscht,  und  zu  der  auseer  der  „Ungüttlicheu  Komüdie" 
DDi]  „Iridion"  noch  die  folgenden  Prosadichtungen  gehüren: 
„Urci  Gedanken  des  Ligenza"  (herausgegeben  1B40),  „Die  Sommer- 
nsclit"  (herausgegeben  1841),  „Die  Versuchung"  und  ein  grosser 
Tbeil  des  „Unvollendeten  Gedichts", 

Ehe  wir  den  Inhalt  dieser  Werke  angeben,  sei  bemerkt,  dass 
fiudie  Weltanschauung  Krasiüski's  wiederspiegeln,  aber  nicht  sein 
persönliches  Seelenleben.  —  Ip  diesen  Jaliren  hatte  er  viel  gelitten. 
l'i  hatte  sich  in  eine  verlieirathete  Frau  mit  Kindern  verliebt;  die 
(orreepondenz  liel  in  die  Hände  von  Leuten,  die  sie  veröffentlichten ; 
die  von  ihm  geliebte  Frau  beschloss  zu  ihrem  Manne  zurück- 
lokehren,  den  sie  seihst  über  ihre  Beziehungen  zu  dem  Dichter 
benachrichtigte  (Spätherbst  1835).  Nach  Ablauf  des  in  Wien  ver- 
Inuhten  Winters  traf  KrasiAski  mit  ihr  noch  zweimal  wieder  in 
Ödem  (1837  und  1838)  zusammen.  Krasiüski's  Vater,  der  mit 
dieser  Neigung  unzufrieden  war  und  den  Sohn  vornehm  und 
Ttädi  zu  verheirathen  suchte,  rief  ihn  ins  Königi'cicli  Polen,  aber 
ik  er  ihn  weder  durch  Bitten  noch  durch  Zwang  zu  einer  Los- 
sage zu  bestimmen  vermochte,  fuhr  er  zu  der  Frau,  von  der  er 
den  Sohn  losreissen  wollte,  und  erlangte  von  ihr  einen  Brief,  durch 
Teichen  sie  selbst  die  Verbindung  mit  Sigismuiid  aufhob.  Von 
it  an  bat  Sigismund  Krasinski  keine  directen  Beziehungen  mehr 
ni  ihr,  und  forscht  nach  ihr  durch  seinen  Freund  Jaroszynski. ' 
Seine  Beziehungen  zum  Vater  erka,Iteteu;  er  bittet  bei  Jaroszynski 
nm  ein  Gelddarlehen,  um  sich  nicht  an  den  Vater  zu  wenden. 
Sein  Gefühl  zu  der  Frau,  die  er  fortfährt  zu  lieben,  gleicht  mehr 
einer  Liebe  aus  Gewissensptliclit,  verbunden  mit  Mitleid  und  mit 
einer  nicht  von  Bitterkeit  freien  Erinnerung,  dass  er  zur  Ver- 
ichlinunerung  ihrer  ungliicklichen  Lage  beigetragen  habe.  — 
Krasinski  grämte  sich  sehr;  sein  Herz  litt  sowol  von  persönlichou 
Unannehmlichkeiten  als  von  der  Bemoralisimng  im  ganzen  Volke, 
dwan,  daMJ  „alles  um  ihn  henun  flach,  verkäuflich,  gemein  ge- 
worden war",   dass  „wir  mehr  und   mehr   den  Juden  älinlich 

'  Ijsty  Z.  Kruidekiego  do  Kdw.  Jarüszynekiegu,  S.  30.  31. 

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332  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

werdeil",  die  Leicbentlocke  immer  dunkler  und  duukler  bervor- 
trtiten  (Przegl^d  Polski  1877,  Jau.  86).  Er  war  auch  pliysiscli 
krauk:  iu  den  Augen  Wimmerten  schwarze  Hecke,  die  Kerreji 
waren  zerrüttet,  zuweileu  zog  ihn  etwas  zum  Selbstmord  hin,  an 
den  er  mit  einer  gewissen  Wollust  denkt.  „Die  materielle  Welt 
vordoppelt  sich  in  meinen  Augen,  die  sittliche  Welt  birst  udiI 
bricht  in  meinem  Geiste  und  in  meinen  Herzen  in  hundert  Stücke 
(94).  Die  einzige,  wenn  auch  nur  zeitweilige  Freude  machte 
ihm  der  Genuss  von  Werken  der  Kunst,  das  Leben  in  einer 
Welt,  völlig  verschieden  von  der,  die  ihn  umgab.  „Dann  fühle 
ich,  dass  ich  noch  nicht  ganz  vei*&ult  hin,  dass  noch  ein  Funke 
iu  meiner  Brust  glimmt;  es  ist  nicht  meine  Schuld,  wenn  daraus 
keine  Hamme  bei'voi^eht.  0  Gott!  Ich  danke  dir,  dass  du  auf 
der  Erde  die  Gemeinheit  durch  die  Poesie  ausgeglichen  hast"  (93)- 
Im  Jahre  1839  eilt  Krasiiiski  nach  Italien,  das  mit  seinen  Ruinen 
und  Reminiscenzeti  immer  belebend  auf  seine  Schöpfungskraft 
wirkte.  Diesmal  ervdes  sich  auch  dieses  Mittel  als  schwächer. 
„Ich  habe  in  einem  Monat  ganz  Italien  durchreist",  schreibt 
er  an  Jaroszyäski  16.  Juli  1839,  „von  Venedig  bis  Neapel,  und 
habe  seine  Schönheit  verstanden,  aber  nicht  empfunden;  ganz 
entgegengesetzt  war  es  in  frühem  Jahren."  In  Neapel  aber 
erwartete  ihn  eine  neue  Bekanntschaft  und  eine  neue  Verbin- 
dung, die  ihu  dazu  brachte,  die  frühere  zu  vergessen  und  sicli 
einer  neuen  Geliebten  anzuschliessen ,  leidenschaftlich  und  tiir 
immer.  „Du  weisst",  schrieb  er  an  Soitan,  „dass,  wenn  ich  einem 
Wesen  begegne,  das  keinen  Trost  bedarf,  ich  auf  den  Sieges- 
lauf desselben  sehe,  wie  auf  ein  Schauspiel,  aber  mich  ihm 
nicht  nähere,  mir  genügt,  es  zu  betrachten  wie  die  Mediceische 
Venus.  Das  ist  der  Grund,  weshalb  ich  Mädchen  Siehe:  so  biu 
ich  nun  einmal  geschaffen.  Etwas  anderes  ist  es,  wenn  ich  auf 
einer  Stirn  die  Trauerspur  des  Lebensgleises  gewahre."  *  Iu 
den  ersten  Briefen  aus  Neapel  gedenkt  er  im  Vorübei^eheii 
ausser  andern  Damen  auch  der  von  ihrem  Manne  geschiedenen 
Frau  Delphine  P.,  und  zwar  ziemlich  geringschätzig.  ^  Dann  zeigt 
es  sich,  dass  sie  sich  einander  genähert  haben:  er  schaute  in  sie 
wie  in  einen  Spiegel,  der  zuweilen  die  Züge  der  frühern  Haria 
i'cilectirte;  sie  sagte  sich,  wenn  sie  mit  ihm  sprach,  vom  Pariser 


'  Przefil^il  pobki  1877,  Januar  Ü.  101. 

'  Liüiy  ilu  Jaruez.,  ä.  21 ;  Uiiuf  vom  20.  Jau.  1 


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Sigümund  Krasinski.  ^^33 

T(H)  los,  und  theilte  ihm  betrübt  ihr  Schicksal  mit,  wobei  sie  sich 
als  eine  stolze  Fran  zeigte,  die  nicht  um  Mitleid  bittet.  Alsdann 
Tnrde  KrasiAski  vom  Typhus  befallen,  seine  neue  Bekannte 
fSegte  ihn  mit  der  zartesten  Fürsoi^e.  Am  16.  März  1839  schreibt 
Krasinski  aji  SoHan,  d&ss  er  sie  aufrichtig  liebe  nnd  „auf  immer". 
So  mittheilsam  er  über  Maria  gewesen  war,  so  wenig  wird  er 
ee  jetzt,  alle  Ergüsse  an  Freunde  über  die  neue  Leidenschaft 
hören  auf.  Dagegen  zeugen  von  dieser  Leidenschaft  die  nach 
dem  Tode  des  Dichters  herausgegebenen  lyrischen  Bruchstücke, 
die  gewissermassen  das  Präludium  zur  „Morgendämmerung" 
fnPrzedäwit"),  zu  einer  neuen  Manier  Krasinski's  bilden,  und  an 
diejenige  gerichtet  sind,  welche  er,  im  Hinblick  auf  die  Geliebte 
DsDte's,  seine  Beatrice  nannte. '  Wenn  man  jene  Fr^mente  bei- 
säte lässt  und  nur  bei  dem  stehen  bleibt,  was  herausgegeben  ist, 
so  enthält  es  nicht  Erlebtes,  sondern  ist  nur  von  derselben  allge- 
memen  Stimmung  des  Grams  durchdrungen,  ist  voll  der  finster- 
en Voi^efiihle  über  die  Zukunft,  aber  nicht  der  eigenen,  son- 
ktn  der  der  gesammten  Welt,  voll  der  unbestimmtesten  Hofl- 
nmgen  auf  eine  nnermesslich  ferne  Zukunft.  —  Der  Nebel  der 
Sfnbolik  wird  immer  dichter  und  dichter.  In  den  „Drei  Ge- 
danken Ligenza's"  („Trzy  myäli";  Ligenza  ist  ein  Pseudonym, 
mr  Verdeckung  des  eigentlichen  Namens)  gehört  die  Einleitung : 
.,Der  Sohn  der  Schatten"  („Syn  cieniöw")  schon  zu  der  Gat- 
'oDg  derjenigen  metaphysischen  Gedichte,  an  denen  die  spätere 
Poesie  Krasinski's  so  reich  ist,  und  welche  die  Menschheit  in 
der  Gestalt  eines  Titanen  darstellt.  Der  „Traum  Cezara's" 
(„Sen  Cezary")  stellt  den  Todeamarscb  seines  eigenen  Volkes  dar 
and  dessen  vom  Schicksal  verhängtes  Verschwinden  im  Grabe. 


'Ans  ,JUeme  Beatrice",  eio  Gedicht,  bezciuhnet  mit  Nenpel  1839: 
„Wieder  fühle  ich,  wie  sich  eine  Scblnuge  um  mich  windet. 
Wieder  fühle  ich  einen  mich  hinreiHSenden  Gott, 
Der  Traum  des  Todes  verschwindet,  und  in  den  Räumen  des  WeltnlU 
Ertönt  von  allen  Seiten  ein  Hjmiins  der  himmlischen  Höhen. 
Wieder  schlägt  das  Herz,  wieder  ist  es  Frühling,  ich  rieche  den  Dufl 
Der  Rote,  höre  den  Gesang  der  Vögel ....  Mein  Segel  wird  wi'ins 
Wie  ein  Banner,  unter  mir  ist  dan  lasiirno  Meer  .... 

München  1840,  iu  Krou.  rodi.  1873,  S.  llit : 

„Beide    sind   für    mich   eine   einige,  heilige,    weisne  Erscheinung,     nur 

nriger  bin  ich  in  der  Liebe  geworden  und  an  die  Ewigkeit  meines  Ideals 

gUnbe  ich." 


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334  Viertea  Kapitel.    Die  Polen. 

Im  dritten  „Gedanken",  unter  dem  Titel:  »Die  Legende" 
(„Legenda")  ist  sogar  das  Ende  des  römischen  KathoIiciBmus 
l)ropliezett.  —  Der  Ort  der  Handlang  ist  die  römische  Campagns. 
Am  Ufer  des  Meeres  ist  ein  Damp&chiff  gelandet,  auf  ihm  eine 
Schar  von  Pilgern  in  rothen  Mützen  und  weissen  Mänteln;  die 
Pilger  fragen,  als  sie  aussteigen:  „Wo  ist  Rom?  wir  ränd  die 
Ueberreste  der  polnischen  Szlachta,  uns  ist  befohlen  worden,  in 
die  Kirche  des  heiligen  Petrus  zu  kommen,  weil  heute  der 
letzte  Weihnachtsabend  ist."  —  Ganz  Rom  steht  in  Feuer,  un- 
zählige Volkshaufen  strömen  zu  der  Kirche  des  heiligen  Petroe. 
jenen  letzten  Heroen  der  Erde  den  "Weg  versperrend,  aber  auf 
einen  Wink  des  heiligen  Apostels  JohanneB,  der  in  der  Gestalt 
eines  jungen  Cardinais  erscheint,  werden  sie  durchgelassen. 
Es  beginnt  die  grosse  Messe  des  Papstes,  der  junge  Cardinal 
assistirt,  und  verkündet,  dass  Christus  geboren  sei.  „Ist  es 
wahr,  dass  es  das  letzte  mal  ist?"  fragen  die  Pilger.  —  Mitten 
unter  der  unbeendeten  Messe  erklärt  der  junge  Cardinal,  das« 
sich  die  Zeiten  erfüllt  haben,  ruft  den  heiligen  Petrus  aus  dem 
Grabe,  verkündet  ihm,  dass  es  von  nun  an  ihm,  dem  Johannefi, 
gegeben  sei,  die  ganze  Welt  in  seine  Arme  zu  schliessen,  dar- 
nach räth  er  den  Andächtigen,  sich  zu  entfernen,  weil  die  Ge- 
wölbe der  Kirche  zu  bersten  begönnen.  Die  Volkehanfen  äiehen 
voll  Schrecken  dem  jungen  Cardinal  nach;  in  der  Kirche  bleiben 
uur  der  Papst  und  die  Phalanx  der  polnischen  Pilger,  die  da 
sagen:  „es  geziemt  sich  nicht  für  uns  den  Greis  zu  verlassen", 
und  die  Schwerter  mit  der  Schneide  nach  oben  über  dem  Haupt* 
des  Papstes  erheben.  —  Die  ganze  Kirche  verwandelte  sich  in 
einen  Ruinenhaufen,  auf  den  sich  der  junge  Cardinal,  der  sich  in 
einen  lichtstrahlenden  Jüngling  verwandelt  hat,  mit  einem  Buche 
in  der  Hand  setzt.  Den  ihn  fragenden  Dichter  beruhigte  der 
heilige  Johannes  damit,  dass  von  nun  an  Christus  weder  geboren 
werde  noch  sterben  werde,  und  den  Todten  werde  es  der  Herr  ver- 
gelten, dass  sie  dem  Greise  die  letzte  Pflicht  erwiesen  hätten.  — 
In  der  „Versuchung"  („Pokusa")  schimmern  trotz  der  syraboh- 
Bfhen  Form  gewisse  peteraburger  Rcminiscenzen  durch.  Am  myste- 
riÖBesten  ist  die  „Sommernacht"  („Noc  letnia",  Paris  1841)', 
eimt  räthselhafte  allegorische  Prosadicbtung ,  auf  die  er  durch 

'  Deutsch  von  H.  BlumenBtock(Dio8kuren,  Wien  1881;  PreuBs.  Volks- 
freund  1844,  Nr.  133  fg.). 


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fÜHlismaiid  EraBinBlci.    JalinB  Slowaolci.  ;-135 

die  Zwangeheimtb  einiger  vornehmer  Polinnen  mit  Ausländern, 
nsd  dnrcb  das  tragische  Schicksal  der  Opfer  solcher  gemiscbter 
Eben  gekommen  war. 

Nachdem  wir  sowol  die  hauptsächlichsten  Lebeneschicksale 
als  die  Werke  Krasi^ski's  in  der  ersten  Periode  seiner  dichte- 
rischen Tbätigkeit  analjsirt  haben,  wenden  wir  uns  etwas  zurück, 
ZQm  Frühling  des  Jahres  1836,  als  er  nach  der  unlängst  erfolgten 
Trennung  von  seiner  firübem  Geliebten  aus  Wien  in  das  geliebte 
Aom  übersiedelte,  und  mit  Julius  Slowacki  bekannt  wurde.  Ihre 
Begegnungen  waren  nicht  von  langer  Dauer  und  nicht  häufig, 
doch  aber  übten  beide  einen  gewaltigen  Einfluss  aufeinander 
ans;  er  war  von  Seiten  Krasiüski's  auf  Slowacki  weit  stärker  als 
umgekehrt. 

Beide  waren  junge,  lebhafte  Leute;  am  Tage  streiften  sie  in 
der  Umgegend  herum,  liebten  es  auf  dem  Palatin  in  den  Gärten 
der  Villa  Mills  spazieren  zu  gehen,  des  nachts  führten  sie  end- 
lose und  leidenschaftliche  Dispute.  In  Bezug  trat  die  Kraft  des 
jwetischen  Talents  stand  Slowacki  mit  seiner  feurigen  Phantasie 
nnd  seiner  wunderbaren  FormTollendung  unvergleichlich  höher 
ak  sein  um  drei  Jahre  jüngerer  Genosse;  aber  in  der  Vielseitig- 
keit der  Entwickelung ,  der  Tiefe  und  der  Concentration  des 
Deobens  hatte  Krasinski  ein  gewaltiges  Uebergewicht.  Er  schätzte 
auch  den  Genossen  treffend  ':  „Hier  befindet  sich  Slowacki,  ein 
lieher  Mensch,  begabt  mit  einer  unermesslicben  Fülle  von  Poesie ; 
wenn  diese  Poesie  ins  Gleichgewicht  kommt,  wenn  er  die  Disso- 
nansen  ausgleicht,  wird  er  ein  grosser  Manu  werden.  Garczyi'iski, 
der  von  Mickiewicz  in  den  Himmel  erhoben  wurde,  hatte  nicht  den 
dritten  Theil  seines  Talents."  Später,  als  sie  sich  noch  mehr 
•»freundeten  und  als  Kowacki's  Talent  zu  voller  Entwickelung 
(gelangt  war,  schrieb  Krasifiski  in  einem  Briefe  vom  23.  Fe- 
hmar  1840  (Mal.  II,  45),  dass  er  nur  drei  lebende  grosse  Män- 
ner kenne,  die  bezeugen,  dass  nicht  alles  todt  sei,  was  für 
todt  gelte.  Der  eine  von  ihnen  ist  der  Philosoph  Cieazkowski, 
der  andere  Mickiewicz  —  ein  granitner  Obelisk  in  der  Wüste; 
der  dritte  besitzt  alles,  was  Mickiewicz  fehlt,  und  hat  sich 
alle  Horizonte  der  Phantasie  untertlmn  gemacht.  Das,  was  bei 
Kickiewicz  eine  harte,  granitne  Concentration  war,  hat  sich  bei 

'  Brief  vom  22.  Mai  1836,  Rom ;  in  Krou.  rortz.  S.  372  (1874). 

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336  ViertcB  Kapitel.  "  Die  Polen. 

dem  letztem  in  das  feine  Fluidum  der  Luft,  in  ein  Spiel  von 
Regenbage» ,  in  Wellen  von  Musik  verwandelt:  es  ist  ein  ge- 
wisser Pantheismus  in  diesem  alles  reäectirenden  Zauberer, 
der  noch  dazu  über  die  polnische  Sprache  wie  über  eine  gehor- 
same und  zuvorkommende  Sklavin  verfügt,  die  ihm  auf  Leben 
und  Tod  ergeben  ist.  Dieser  Dritte  ist  SlowackL  „Bisher  be- 
greift dich  nur  der  grosse  Künstler",  schrieb  Krasinski  an  Slo- 
wacki,  „aber  du  wirst  hinabsteigen  und  durchsickern  in  die 
Herzen  der  Kinder.  Nur  das  Eine  möchte  ich  dir  ratheo:  lege 
Granit  unter  deine  Regenbogen."  Krasiüeki  erquickte  sich,  wie 
aus  diesem  Briefe  zu  ersehen,  an  Stowacki,  war  begeistert  von 
dessen  Talent.  Vielleicht  haben  ihn  ^owacki's  Beispiel  und 
Bath  dazu  vermocht,  die  Prosa  mit  dem  Vers  zu  vertauschen, 
den  er  in  der  zweiten  Periode  seiner  Wirksamkeit  in  Voll- 
kommenheit beherrscht.  Darüber  hinaus  dürfte  der  Eiufluss 
Slowacki's  kaum  gereicht  haben.  Was  diesen  letztem  betrifft, 
so  schreibt  er  22.  Juli  1838  (Slowacki's  Briefe  an  die  Mutter. 
1836 — 1848,  S.  58):  „Schade,  dass  Sigismund  Krasinski  nicht  da 
ist,  dessen  Gesellschaft  in  Rom  für  mich  in  geistiger  Beziehung 
einen  arzneilichen,  heilenden  EinfluBS  ausübte."  Krasinski  darf 
für  den  einzigen  Menschen  in  jener  Zeit  gelten,  der  im  Stande 
war,  die  dichterischen  Ideen  Slowacki's  zu  begreifen,  ihm  einen 
Rath  zu  ertheilen  und  endlich  neue,  nichts  Bekanntem  gleichende 
Muster  einer  ganz  eigenartigen,  symbolischen  Poesie  vor  Augen 
zu  stellen.  Wie  bekannt,  lag  in  der  Natur  Slowacki's  die  Ten- 
denz, sich  wie  Epheu  um  fremde  Genialität  zu  winden.  Diese 
Hingabe  kam  nicht  sofort  zum  Ausdruck;  von  1834  bis  1838 
ist  eine  Lücke  in  seinen  Publicationen :  der  Einflass  konnte  erst 
in  den  Werken  zum  Ausdruck  kommen,  welche  1838  und  1830 
herausgegeben  wurden,  während  die  Freunde  schon  im  Juli  1836 
schieden,  und  für  Slowacki  eine  Episode  eintrat,  vielleicht  die 
glänzendste  und  schönste,  die  poetischste,  die  ihn  mit  der  grössten 
Masse  frischer  maunichfaltiger  Gefühlseindrücke  bereicherte  — 
seine  Reise  in  den  Orient. 

Diese  Reise  ward  in  Neapel  ins  Werk  gesetzt.  Die  Familie 
Golyfiski  bestimmte  Slowacki  dazu,  indem  sie  die  pecuniären  Hinder- 
nisse beseitigte;  den  Zweifel  loste  die  Bibel,  sie  öffnete  sich  unter 
der  Iland  des  Dichters  bei  dem  Vers:  „Es  grüssen  Euch  die  G^ 
mciudcn  in  Asien"  (I.  Korinther  XVI,  19).  Die  Reise  fand  znr  See 
statt  mit  einem  Aufenthalt  in  Griechenland,  mit  Ausflügen  nach 

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Sigismand  Kraaii'iaki.    Joliua  Stowacki.  337 

Patras,  in  die  Umgebung  voa  Athen,  mit  dem  Besuch  von  Aga-  < 
memnon's  Grabmal  zu  Mykenä.  Griechenland  entzückte  Slowacki 
mehr  als  Kom,  aber  aneh  jenes  verblaaste  vor  Aegypten.  Er  bestieg 
die  Pyramiden,  verweilte  an  den  Katarakten  des  Niis  in  Nubien, 
in  den  Kuinen  auf  der  Ineel  PhilÜ  und  in  Theben.  Auf  dem  Wege 
nach  Syrien  ward  er  zu  El  Arish,  in  einer  nackten  Sandwüstc  in 
Quarantäne  gehalten,  verbrachte  eine  schlaflose  Nacht  am  lici- 
ligeD  Grabe,  war  auf  dem  See  Tiberias  und  in  Damaskus,  ritt 
■nf  Kamelen,  war  auf  dem  Libanon  und  Antilibanon,  auf  den 
Rainen  von  Balbek,  schloss  sich  freiwillig  auf  sechs  Wochen  im 
Kloster  Belcheschban  auf  dem  Libanon  ein,  und  kehrte  aus  Beirut 
im  Juni  1837  über  Cypern  nach  Livorno  zurück.  Ucber  diese 
zelinmonatliche  Heise  schreibt  er  Folgendes:  „Ich  habe  so  viel 
gesehen,  dass  ich  nicht  begreife,  wie  meine  Augen  alles  ertragen 
konnten,  was  mein  Gesichtssinn  aufgenommen  hat;  viel  habe  ich 
empfunden,  habe  mich  gefreut,  bin  entzückt  gewesen,  habe  ge- 
weint." Er  Uesfi  sich  in  Florenz  nieder,  reich  an  Erinnerungen, 
Iir  ihn  interessirten  sich  Herren  und  Damen  der  Gesellschaft 
infolge  seiner  Erlebnisse  an  wenig  bekannten  Orten;  er  brachte 
hier  anderthalb  Jahre  zu  und  reiste  erst  1838  nach  Paris  einer 
dahingeschickten  Dichtung  nach,  mit  einer  Menge  anderer  im 
Portefeuille.  ,4ch  gehe",  schreibt  er,  „mich  vor  meinem  König, 
Jem  Ruhm,  zu  verneigen,  nachdem  ich  mich  für  seinen  bis  zum 
Tode  treuen  Narren  erklärt  habe"  (Listy  Slow.  II,  44;  .1837, 
3.  October).  Natürlich  wurde  in  diesen  anderthalb  Jahren  vieles 
geschrieben,  was  im  Orient  vermerkt  war,  aber  es  wurden  auch 
alte,  znrückgelegte  Sachen  durchgenommen  und  verbessert,  Ar- 
beiten, die  zu  Genf  oder  Rom  oder  Sorrent,  wohin  Slowaelci 
auf  einen  Monat  von  seinen  Verwandten  floh,  begonnen  waren. 
In  den  letzten  Monaten  seines  Aufenthalts  in  Florenz  intcrcH- 
Birtc  sich  fiir  ihn  die  schöne,  verwohnte  Tochter  des  sehr  reichen 
(intebesitzers  M.,  Angela,  aber  trotz  des  Entgegenkommens  der 
Aelteru,  die  sich  zu  der  Neigung  ihrer  Tochter  anscheinend  wohl- 
wollend verhielten,  und  vielleicht  gerade  wegen  dieser  Avancen 
wies  Slowacki  den  Antrag  zurück,  aus  Furcht,  in  den  Verdacht 
eigennütziger  Absichten  zu  kommen.  Unterdessen  hatten  sich  seine 
Familienverhältnisse  sehr  zerrüttet.  Krasiöskl  brachte  ihm  Ende 
lU^  die  traurige  Nachricht,  dasa  Theophil  Januszowski  nach 
seiner  Rückkehr  in  die  Heimat  nach  Perm  verbannt  worden  sei, 
und  dass  sich  Slowacki's  Mutter  vor  der  Untersuchungscommissiou 

rini,  siBTUsha  Lltentaieo.  U,  1.  ^ 

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338  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

in  Kiew  habe  Terantworten  miissen,  Bowie  jeder  Möglichkeit  be- 
raubt sei,  mit  dem  Sohne  zu  correspoDdiren  und  ihm  die  be- 
scheidenen Mittel  zu  senden,  mit  denen  er  sieb  unterhielt.  In 
dem  für  ihn  verhängnissvollen  Jahre  1838  selbst  physisch  v'te 
moralisch  leidend,  suchte  Krasifiski  doch  den  Freund  nach  Mög- 
lichkeit zu  trösten,  der  seinen  Dank  in  den  Versen:  „An  Sigis- 
mund"  aussprach.  Slowacki  siedelt  nach  Paris  über  und  be- 
ginnt seine  originellsten  und  glänzendsten  Werke  herauszugeben, 
die  einen  bessern  Absatz  finden  als  die  frühem.  —  Es  waren 
die  folgenden. 

Vor  allem  die  aus  Florenz  gesandte  Prosadichtung  „Änhelli" 
(Paris  1838).  Stünde  nicht  auf  dem  Titel  der  Name  des  Ver- 
fosserR,  so  könnte  man  geradezu  sagen,  Krasinski  habe  dies«! 
Dichtung  geschrieben,  so  sehr  ist  sie  im  Gegensatz  zu  der 
ganzen  Manier  Slowacki's,  der  überhaupt  grelle  Farben  und 
starke  Leidenschaften  liebte,  voll  Nebel,  Symbolik,  Allegorie 
und  einem  grenzenlosen  stillen,  die  Seele  beklemmenden  Kum- 
mer, der  niemals  in  einen  Schrei  der  Verzweiflung  übergeht, 
aber  auch  keinen  einzigen  Strahl  der  Hoffnung  auf  persönliches 
Glück  durchläsat.  Malecki  setzte  diese  Dichtung  in  die  genfer 
Zeit  (1835),  doch  thut  er  dies  auf  blosse  Vermnthungen  bin, 
ohne  positive  Beweise.  Wenn  man  erwägt,  dass  sich  in  Sio- 
wacki's  Correspondenz  keine  einzige  directe  Andeutung  findet, 
wann  die  Dichtung  verfasst  ist;  dass  er  nach  der  Zasammen- 
kunft  mit  Krasinski  vieles,  nicht  einmal  dem  Titel  nach  bekannte, 
in  Sorrent,  Belcheschban,  Beirut  und  Florenz  geschrieben  hat ;  dass 
die  Dichtung  in  Prosa  verfas&t  ist,  in  einem  Stil,  der  allerdings  an 
die  Bibel  erinnert,  aber  auch  an  die  „Uugöttliche  Komödie"  ond 
an  „Iridion",  mit  Bildern,  die  denen  Dante's  ähnlich  sind,  aber 
auch  die  Manier  Krasli'iski's  in  den  zwei  genannten  Werken  des- 
selben reproduciren ;  dass  die  Grundlage  der  Dichtung  oin  breites 
philosophisches  Schema  bildet,  wie  Slowacki  es  früher  nickt 
hatte,  wie  es  aber  die  stehende  Grundlage  aller  Werke  Kra- 
sinski's  bildet;  dass  Krasinski  schreibt,  Slowacki  habe  ihm 
„Balladyna"  in  Rom  gezeigt  (Kra«iä&ki's  Brief  23.  Februar 
1840;  Mal.  II,  46),  aber  nichts  von  „Anhelli"  erwähnt,  während, 
wenn  das  Stuck  damals  fertig  gewesen  wäre  (1837),  Stowacki  es 
ihm  gewiss  vor  allen  vorgelegt  haben  würde;  dass  die  Allegorie, 
welclie  das  ganze  Wesen  des  „Anhelli"  bildet,  als  Element  der 
Poesie  Slowacki's  in  den  folgenden  Werken  desselben  schwächer 

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Julian  Stowacki.  S.IO 

wird,—  80  musa  man  zugeben,  dass  „Anhelli"  eine  Entlehnung 
nnd  Nachahmung  ist,  aber  eine  so  talentvolle,  dass  sie  die  Zeit- 
genoasen überraschte  und  fesselte  trotz  ihrer  Unklarheit.  Kra- 
mski  war  davon  entzückt  und  schlug  nach  dem  Tode  Slowacki's 
Tor,  auf  dessen  Grabmal  nur  die  folgenden  Worte  zu  setzen: 
.,Dem  Verfasser  des  «Anhelli»". 

Unter  der  Gestalt  einer  Phantasniagorie  bei  Mondschein- 
Menchtung  enthält  die  Dichtung  eine  Art  Philosophie  des  pol- 
nisrhen  Leidens  und  der  Emigration  im  zweiten  Viertel  des 
19.  Jahrhunderte.  Der  Dichter  meidet  absichtlich  das  Reale  und 
sjmbolisirt  seine  Gedanken,  indem  er  sich  nach  Sibirien  ver- 
setzt, das  übrigens  mit  dem  wirklichen  Sibirien  so  wenig  gemein 
hat,  wie  dieses  mit  dem  Montblanc  gemeinsam  hatte,  mit  dem, 
wie  wir  gesehen  haben ,  die  Phantasie  des  Dichters  beide  Vor- 
stellungen verband.  „Und  die  Verbannten  kamen  ins  sibi- 
rische Land ,  bauten  ein  Hans,  um  zusammen  zu  wohnen  .  .  .  - 
md  die  Regierung  gab  ihnen  Frauen,  damit  sie  heiratheten, 
nil  im  Urtheilsspruch  gesagt  war,  dass  sie  zur  Ansiedelung 
geschickt  seien"  ...  In  diesem  phantastischen  Sibirien  gibt  cn 
EisHächen  und  Nordlichter,  grausige  Finsterniss  der  Bergwerke, 
Renthiere  und  ein  Volk  der  Oatjaken,  welches  die  Unglück- 
lichen freundlich  aufnimmt,  aber  in  die  Beschreibung  sind 
i^chtlich  Züge  eingeflochten,  die  durchaus  nicht  speciell 
sibirischer  Natur  sind  i  ein  Erziehungssystem ,  Gefängnisse, 
Spiessnithenlaufen,  endlich  Scenen,  die  sichtlich  aus  der  Ge- 
schichte der  Emigration  genommen  sind:' „die  Verbannten  be- 
gannen zu  arbeiten,  ausser  denen,  welche  in  dem  Rufe  von 
Weisen  stehen  wollten,  nnd  in  Unthätigkeit  blieben,  indem  sie 
sprachen:  wir  denken  an  die  Rettung  des  Vaterlandes."  Und 
CS  theilten  sich  die  Verbannten  in  drei  Parteien,  von  denen  jede 
über  die  Rettung  des  Vaterlandes  nachdachte.  Die  eine  hatte 
ann  Führer  den  Grafen  Skir,  der  die  Partei  derjenigen  hielt, 
die  eich  in  Kontusche  kleideten  und  sich  Szlacbta  nannten, 
als  wenn  sie  mit  Lech  neu  in  das  leere  Land  gekommen  wären. 
1*16  zweite  hatte  zum  Führer  den  bagem  Soldaten  Scartahello, 
der  das  Land  theilen  und  die  Freiheit  der  Bauern  und  die  Gleicb- 
t^Uung  der  Szlacbta  mit  Juden  und  Zigeunern  proclamiren 
wollte.  Und  die  dritte  hatte  zum  Führer  den  Priester  Bonifacins, 
der  sein  Heil  im  Gebet  suchte  und  rieth ,  vorwärts  zu  schreiten 
nnd  unterzugehen  ohne  sich  zu  vertheidigen,  als  Märtyrer.    Im 

22*  ,  .  . 

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340  ViPrtes  Kupitel.    Die  Pf-Icn. 

Streit  nm  die  Principien  griffen  die  Parteien  schliesslicli  m  den 
Beilen,  endlich  heachloBS  man  ein  Gottesgericht  zu  veranstalten 
nnd  einen  aus  jeder  Partei  ariK  Krenz  zu  nageln,  und  wer 
länger  als  die  andern  lebe,  solle  Sieger  sein.  Und  es  wurden 
drei  gekreuzigt,  der  eine  schrie:  Gleichheit,  der  andere:  Blut, 
und  der  dritte:  Glaube.  Aber  es  erschien  ein  Nordlicht,  er- 
Bcbreckta  den  Haufen  und  veranlasHte  ihn  auseinanderznlaufen. 
ohne  7.U  bemerken,  dass  alle  Gekreuzigten  todt  waren.  Es  liegt 
auf  der  Hand,  dass  Sibirien  nur  der  phantastische  Rahmen  ist, 
in  den  das  ganze  damalige  Polen,  verstreut  von  der  Seine  his 
Kamschatka,  gefasst  wird,  mit  absichtlicher  Nuancining  der 
Sinnlosigkeit  und  praktischen  Unfähigkeit  seiner  Vertreter:  „bip 
wären  gute  Menschen  gewesen  im  Gluck,  aber  das  Unglück  hnl 
sie  in  böse  und  schädliche  Leute  verwandelt."  Ebenso  conven- 
tionell  und  unreal  ist  auch  eine  der  auftretenden  Hauptpersonen, 
der  Fürst  der  Ostjaken,  Schamane,  Prophet  und  Zauberer,  der 
schon  die  Väter  dieser  Verhannten  gekannt  hat,  und  dieselbeTi 
wohlwollend  begrüsst.  ihnen  Worte  der  Wahrheit  sagt,  wofür 
er  später  durch  ihre  Hand  umkommt.  Per  Schamane  perso- 
nificirt  ein  höheres  Princip,  jene  Wahrheit,  die  den  Verbanntpn 
fehlt;  er  wählt  aus  ihrer  Mitte  einen  aus,  nm  ans  ihm  den 
Erlöser  zu  machen,  und  verleiht  ihm  durch  Handauflegen  Liebf 
zu  den  Menschen  und  Barmherzigkeit.  Dieser  Erwählte  des 
Schamanen,  Anhelli,  ist  nichts  anderes  als  die  ideale  Daratellanp 
des  eigenen  Geistes  des  Dichters,  als  dieser  selbst,  der  von 
Zweifeln  gequält  und  "von  Fragen  verfolgt  wird,  weshalb  er  ge- 
Rchaffen  sei,  was  er  zu  thun  habe,  und  wie  er  da«  Los  des 
armen  haltlosen  Geschlochts  der  Verbannten  verbessern  könne. 
Es  ist  ein  anderer  „Kordjan",  der  alter  die  Iicidenschaften  und 
das  feurige  Temperament  abgelegt  hat,  das  ihn  mit  Konrad  ver- 
wandt machte,  der  still,  sanft,  arglos  geworden  ist,  wie  ein 
Lamm.  Wie  Virgil  den  Dante,  so  fiihrt  der  Schamane  AnheUi 
in  allen  Verhältnissen  des  jammervollen  Daseins  umher,  wie  in 
den  Kreisen  der  Dante 'sehen  Hölle,  unterhält  sich  mit  auferstan- 
denen Todten  und  mit  zähneknirschenden  Lebenden,  die  in  Ver- 
zweiflung einander  auffressen  und  den  Schamanen  erschlagen,  der 
sie  zur  Vernunft  zu  bringen  sucht.  Mit  dem  Tode  des  Schamanen 
wird  die  Dichtung  noch  allegorischer,  Anhelli  wird  mit  den  Ben- 
thieren  des  Schamanen  in  die  Polargegenden  versetzt,  zugleich  mit 
einer  verbannten  Verbrecherin,  die  sich  ihm  angeschlossen  bat; 

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Julius  Stowacki,  341 

diese  stirbt,  es  stirbt  auch  AiilielU  Belbst  während  der  halb- 
jährigVD  Polarnacht  iu  voller  Unkeniitnibs  einer  beHsevu  Zukuuft; 
lu  der  Leiche  sitzt,  sich  über  diebclbe  ueigeud,  der  Engel  EIüü, 
(tie  gebeinuiititivolläte  der  aullretendeu  l'erüoueu,  aller  Wahi-Bchciii- 
üchkeit  iiach  die  PerEünification  den  „Ruhme»",  aber  nicht  eines 
solchen,  von  dem  Slowacki  iu  der  Kindheit  träumte,  solidem  eines 
stillen  Buhmeü,  der  die  üräber  beschützt.  Hufschlag  ertönt,  durch 
die  Feuer  des  Nordlichts  stüiiut  ein  Reiter  mit  dem  Kufe;  „liier 
VAT  ein  Krieger,  er  stehe  auf,  die  Völker  sollen  aufstehen,  für 
starke  Meuscheu  ist  die  Zeit  daa  Lehens  gekommen."  Eloe  lässt 
das  gestorbene  Opfer  nicht  aufwachen,  und  freut  sich,  als  der 
feurige  Reiter  davou  galopirt,  ohne  den  Entschlafenen  erweckt 
m  haben.  AVorin  bestand  aber  die  „Erlösung",  um  derenwillen 
Anbelli  ausgewählt  und  geweiht  wardV  Es  ist  nur  ein  fühlender 
Ueosch,  aber  ganz  unfähig,  seine  Zeitgenossen  zur  That  zu  be- 
wegen; in  seinem  (jrame  sagt  er  zu  den  Engeln:  „Saget  Gott, 
dasd,  weuu  meine  Seele  tauglich  'znm  Opfer  ist,  ich  sie  hingebe, 
Diige  sie  sterben;  mein  Kummer  ist  so  gross,  dass  für  mich  die 
Ewigkeit  gleichgültig  ist."  Es  wird  ihm  die  AntwoH  zutheil: 
nWeisst  du  denn,  ob  du  nicht  zu  eiuem  stillen  Opfer  erwählt 
bist,  während  du  in  einen  gewaltsamen  Blitz  verwandelt  und  in 
die  Fiusterniss  geschleudert  werden  möchtest,  um  den  Pohel 
m  schrecken."  Statt  eine  bestimmte  Antwort  zu  erhalten,  ver- 
sinken wir  iu  die  bodenlose  Tiefe  des  Mysticismus.  Ein  Manu, 
onendlich  und  hoffnungslos  leidend,  ertleht  dadurch  allein,  dass 
er  leidet,  Rettung  für  sein  Volk.  Eine  andere  Antwort  gab  es 
XU  jener  Zeit  nicht:  viele  Zeitgenossen  älowacki's,  Emigrauten, 
hielten  sich  an  demselben  Anker  fest;  wie  sie,  wurde  auch  Slo- 
wacki  ein  Opfer  des  Towianismus,  weil  sie  eine  Sucht  nach 
Mysticismus  hatten,  der  bei  ihnen  wie  ein  Mittel  wirkte,  das 
«ie  eine  Dosis  Chloroform  nicht  nur  den  Schmerz,  sondern 
auch  das  Bewusstsein  einschläferte.  Nach  „Anhelh"  folgte  ein 
ganzer  Strom  iast  gleichzeitig  veröftentlicbter,  ueugeschriebener 
oder  Engst  fertiger  Dichtungen  ungleichen  Werthes:  „Die  Dich- 
tung des  Piast  Dautyszek  vom  Wappen  Leliew  über  die 
Hölle"  („Poema  Piasta  Dantyszka  herba  Leliewa  o  Piekle", 
1839);  „Drei  Dichtungen:  Der  Vater  der  Pestkranken  — 
In  der  Schweiz  —  Waclaw"  („Trzy  poemata  —  Ojciec  zadzu- 
mionych  —  \V  Szwejcaryi  —  Waclaw»,  1839).  „Balladyna"  (1839), 
„Lilk  Weneda"  (lj340),    „M^zepa"  (1840).     Piast    Dautyszek 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


342  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

und  Wuclaw  lassen  wir  beiseite;  crsteres  ist  eine  schwache  Nach- 
ahDiuug  Dantu's  und  däs  andere  ist  ebenfalls  eine  mislungeue  Be- 
arbeitung des  von  Malczew&ki  behandelten  Thema«,  nämlich  der 
Legende  von  Felix  Potocki,  aber  nur  von  einer  andern  Seite  aus: 
AVaclaw,  abgelebt  und  alt,  mit  dem  Kainazeicheu  des  Verräthers 
auf  der  Stirn,  wird  von  einer  Griechin  betrogen,  und  kommt  im 
Verein  mit  seinem  einzigen  ihm  ergebeneu  Sohne  von  der  ersteu 
ertränkten  Frau  um  (es  sei  bemerkt,  dass  diese  Person  voll- 
ständig erfunden  ist,  die  erste  Frau  hinterliess  keine  Nach- 
kommenschaft). Trotz  der  Aufhäufung  von  schrecklichen  Einzeln- 
heiten in  der  Umgebung  des  Atriden  von  Tulcza  ist  der  Stoff 
verdorben.  Koch  niemand  hat  bisher  alles  das  herausgezogen, 
was  sich  aus  dem  wirklich  tragischen  Scliicksal  des  Magnatcu 
von  Tulcza  in  seinen  letzten  Tagen  entnehmen  lässt;  es  dürfte 
in  diesem  Fall  die  sich  hei  der  Erforschung  offenbarende  eiu- 
fache  Wirklichkeit  leicht  die  Fictionen  der  Dichter  übertreffen. ' 
Von  der  reizenden  Idylle:  „In  der  Schweiz"  war  schon  oben  die 
Uede.  Ihr  zur  Seite  steht  die  durch  ihre  Wahrheit  erschüt- 
ternde, vom  Geiste  der  Bibel  und  den  Eindrücken  der  Wüste 
durchdrungene  Erzählung:  „Der  Vater  der  Pestkranken  in  El- 
Arish."  ^  Es  lässt  sich  schwer  etwas  Realeres  vorstellen.  Die 
Grundlage  der  Dichtung  bildet  der  Eindruck  der  Quarantäne  in 
einer  vollständigen  Einöde  zwischen  dem  Mittelländischen  Meere 
und  dem  Flugsand  der  Arabischen  Wüste,  unter  einem  einsamen 
Zelt,  in  der  Nachbarschaft  des  auf  einem  Grabhügel  am  Meere 
erbauten  Grabmals  Schech's,  in  dessen  Gewölbe  die  Leichen 
der  Pestkranken  gelegt  wurden.  Ein  schreckliches  Gewitt«r 
hatte  sich  am  Weihnachtsabend  über  diesem  Zelte  entladen,  und 
„Anbelli  meinte  schon,  dass  ihn  der  Sturm  mit  fortreissen  und  in 
das  stille  Land  tragen  werde".  Einige  Tage  darauf  „beugten 
die  Kamele  wieder  die  Knie,  und  nachdem  sie  den  melancho- 
lischen Pilger  auf  sich  genommen,  streckten  sie  ihre  langen, 
schlangenähnlichen  Hälse  aus  nach  der  Seite  des  heiligen  Grabes". 
In  diese  Localität  versetzt  der  Dichter  einen  Araber  mit  seiner 
Frau  und  sieben  Kindern,  dem  alle  Kinder  der  Reihe  nach  an  der 
Pest  sterben,  endlich  auch  die  Frau,  sodass  er  zuletzt  ganz  ver- 

'  S.  D,  Antoni  J.  (Rolle),  „Opowiadania  historyczne"  (Lemberg  1876; 
V.  Der  aof  von  Tnloza). 

'Deutsch  von  Th.  Stahiberger  (Krakau  1872). 


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JuliuB  Slowsuki.  343 

lasseu  daEtekt.  Dieser  unglückliche  Araber,  deseeu  Leiden  mit 
einer  Krart  gezeichnet  sind,  die  derjenigen  gleichkommt,  mit 
«elcher  die  Gmppen  des  Laokoon  und  der  Niobe  gemeisselt  oder 
die  Leiden  des  Gefangenen  TonChillon  oder  Ugoliuo's  beschrieben 
siod,  bleibt  im  Ertragen  dessen,  was  dem  Anschein  nach  die  Kräfte 
eines  Menschen  übersteigt,  bis  anti  Ende  dem  Geiste  seines  Stamme» 
treo  und  ruft  aus:  „Gelobt  seist  du,  Allah,  im  Tosen  des  Bran- 
des, der  Städte  vei-nichtet,  im  Beben  der  Erde,  das  Burgen  zer- 
trümmert, in  der  Pest,  die  meine  Kinder  dahinrafft  und  sie  aus 
dem  Schosse  der  Mutter  reisstl  0  Allah,  Allah  Akbar,  du  bist 
gross!" 

Während  die  Dichtungen  „In  der  Schweiz"  und  „Der  Vater  der 
Pestkranken"  durch  die  Wahrheit  dei-  unmittelbaren  Eindrücke 
ergreifend  wirken,  beginnt  mit  „Balladyna"'  eine  Reihe  von 
Dicbtuugeu,  die  reine  Fictionen  enthalten,  von  der  feurigsten  und 
nngezähmtesten  Phantasie  erzeugt  sind,  welche  „über  den  grossen 
Häufen  und  über  die  gewöhnliche  Art  und  Ordnung  spottet" 
ili'orwort  zu  „Balladyna").  Die  Begeisterung  flüsterte  Slowacki 
nie  gehörte  Worte  ein,  stellte  ihm  Bilder  vor  Äugen,  wie  sie 
nicht  einmal  im  Traume  gesehen  worden  waren:  Schatten  fabel- 
hafter Wesen,  aus  dem  Urweltsnebel  hervortretend,  umgaben  ihn 
in  voUen  Haufen,  und  das,  was  erzeugt  wurde,  bildete  sich,  „im 
Widerspruch  mit  Vernunft  und  Geschichte,  nur  nach  dem  Gesetze 
liOttes".  Schon  zu  Genf  1834 — 35  trug  sich  Stowacki  mit  einem 
höhnen  Plan,  der  nur  wenigen  genialen  Leuten  gelang  —  die 
altüberlieferten  Fabeln  des  vorhistorischen  Volkslebens  vor  Piast, 
von  den  Lechen,  von  Krakus,  von  den  Popieliden  zu  dramatisiren, 
nach  dem  Muster  Shakespeare's,  welcher  den  Legenden  und 
Uythen  seiner  Heimat  den  Macbeth,  Lear,  Hamlet  entlehnte. 
Es  war  ein  ganzer  Cyclus  solcher  mythischer  Dramen  ins  Auge 
gebsst,  fünf  oder  sechs  Stücke,  aber  bei  der  Ausarbeitung  wich 
der  Verfasser  von  der  chronologischen  Reihenfolge  ab,  und  fing 
fiid  von  hinten  an,  d.  i.  mit  dem  letzten  Stück,  dae  einer 
näherliegendeu  Zeit  entspricht  —  der  Epoche,  welche  Fiaefs 
Thronbesteigung  unmittelbar  vorausgeht.  Die  polnische  TJeber- 
lieferung  bietet  nur  ein  äusserst  dürftiges  historisches  Material; 
in  ihren  ärmlichen  Inhalt  sind  Ereignisse  und  Personen  aus 
Volkssagen  und  Märchen  eingeäocfaten ,  Menschen    und  Geister, 


'DeuUdi  von  Ludomit  Geruiau  (Kiakuu  lüSi). 


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544  Vierte«  Kapitel    Die  Polen. 

Läcberliclies  wechselt  mit  Blutigem  und  Schrccklicliem  ab. 
Allen  wunderlichen  Fictioneii,  die  zuweilen  so  unterhaltend  und 
Bonderhar  sind,  dass  es  schien,  sie  könnten  nur  im  Traume  je- 
mand ciurallen,  sind  doch  allgemein  menschlicbo  Ideen  unter- 
gelegt, von  der  Art,  wie  sie  besondere  Shakespeare  Hebte:  über 
die  Eitelkeit  dee  menschlichen  Strebene,  über  die  Ironie  des 
Schicksals,  welche  unvermuthete  Früchte  auf  künstlich  gepfropften 
Bäumen  zeitigt.  Die  Menschen  berechnen  und  handeln,  die 
Spinnweben  ihrer  Absichten  verwirrt  und  zerreisst  in  jeder  Mi- 
nute der  Zu&lt;  haben  sie  einmal  einen  Fehltritt  begangen,  so 
treibt  sie  die  Logik  der  Thatsachen,  die  verhängnissvollen  Folgen 
ihrer  eigenen  schUmmen  Handlungen  immer  tiefer  iu  den  Ab- 
grund; fügen  wir  noch  das  Dämonentbum  hinzu,  und  zeitweise  die 
Einmischung  des  Fingers  Gottes  in  die  Geschichte,  und  wir  «er- 
den eine  Summe  von  einander  kreuzenden  Factoren  erbalten, 
deren  gegenseitige  Einwirkung  in  einer  von  niemand  vermutbeten, 
das  Verständnies  des  Menschen  übei'schreitenden  Weise  zur  Kriüs 
kommt.  Das  ist  die  Grundidee  des  Dramas  („Balladyna"),  wie  sie 
Malecki  nicht  mit  Unrecht  formulirte.  Wir  wollen  in  ganz  kurzen 
Zügen  zeigen ,  wie  die  Factoren  personifich-t  und  wie  die  leitende 
Idee  durchgeführt  ist. 

In  Gnesen  sitzt  auf  dem  Fürstenthron  der  letzte  Popicl,  der  IV.. 
der  seinen  Bruder  Popiel  III.  gestürzt  hat,  ein  grausamer,  blot- 
dürstiger  Wütherich.  Die  Schwere  der  Herrschaft  wird  noch 
durch  sich  wiederholende,  das  ganze  Volk  treffende  Unglücks- 
falle verstärkt ;  diese  kommen  daher,  dass  auch  die  Fürstenkrone 
unecht,  und  die  echte  wnnderthätige  Krone  des  Urahns  Lech 
von  Popiel  III.  weggenommen  und  versteckt  worden  ist,  der  sich 
in  den  Wald  begeben  hat  und  dort  das  Leben  eines  Einsiedlers 
führt.  An  diesen  Einsiedler,  der  an  Shakespeare's  Prospero  er- 
innert, wendet  sich  der  reiche,  tapfere,  aufrichtige,  aber  nicht 
sonderlich  intelligente  Ritter  Graf  Kirkor  um  Bath,  wo  er  sich 
eine  Frau  suchen  solle.  Der  Einsiedler  offenhart  ihm  seinen 
wirklichen  Namen  und  Stand,  und  was  die  Wahl  einer  Frau 
betrifft,  so  räth  er,  sie  nicht  in  prächtigen  Palästen,  sondern 
iu  den  einfachsten  Lebonsverhältnisscn  zu  suchen.  Dies  sind  die 
guten  Absichten;  sie  beginnt  nun  der  Zufall  zu  verwirren,  der 
in  den  phantastischen  Gestalten  der  Seenymphe  Goplana  und 
den  ihr  dienenden  Geistern  Skierka  und  Chochlik  verkörpert 
ist.    Wie  sich  Titania  in  Bottom's  Esel   verliebte,  so  verliebt 

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Jnline  Stowaoki.  345 

tich  Goplana  iu  den  dummen  vierscbrötigmi  Bauer  Grabiec,  der 
sich  um  eine  der  Töchter  einer  armen  Witwe  bewirbt.  Die 
Witwe  hat  zwei  Töchter;  die  gute  und  zarte  ist  Alina,  die  böse 
uiid  buhlerische  Balladyua.  Um  die  näcbtlicbeu  Zusammen- 
kUnftc  des  Grabiec  mit  Balladyna  xu  vereiteln,  lässt  Goiilana 
ihre  Geiiieu  gegen  Kirkor  los.  Der  Wagen  desselben  zerbricht 
bei  der  Hütte;  in  dieselbe  eintretend  ist  Kirkor  tod  beiden 
Töchtern  gleicbmässig  bezaubert;  die  Witwe  schlägt  vor,  die 
äcbwierigheit  durch  den  Zufall  entscheiden  za  lassen,  und  /.war 
denselben,  der  schon  in  der  von  Alexander  Chod^lco  verfassteii 
Ballade  „Maliny"  („Die  Himbeeren")  vorkommt.  Diejenige,  welche 
inerst  einen  Krug  Himbeeren  päiicken  werde,  solle  die  Braut  sein. 
Natürbch  ist  Aliaa  schneller  fertig,  aber  die  erboste  Balladyna 
ermordet  sie  im  Walde  in  der  Nähe  der  Zelle  des  Einsiedlers 
und  wird  nun  selbst  Kirkor's  Tran,  nachdem  sie  von  der  Schwester 
ausgesagt,  sie  müsse  wol  geflohen  sein.  Balladyna  erreicht  ihr 
Ziel,  sie  braucht  nur  ihr  Glück  zu  geniessen,  aber  das  sind  wieder 
nur  &omme  Wünsche,  über  welche  das  Verhängniss  der  Ereignisse 
ipottet  Während  Kirkor  abgereist  ist,  um  Popiel  IV.  zu  stürzen, 
ihn  auch  wirklich  stürzt  und  dem  erfreuten  Volk  in  Gnesen  vor- 
schlägt, denjenigen  zum  König  auszurufen,  bei  dem  sich  die 
Krone  Lecb's  finden  werde,  d,  i.  nach  seiner  Ueberzeugung.  dem 
Ansiedler  Popiel  III.,  herrscht  in  seinem  eigenen  Schlosse  die 
böse  Balladyna,  geplagt  durch  die  Furcht  vor  Entdeckung  des 
Mordes  und  dadurch  gequält,  dass  vom  Morde  ein  unabwasch- 
barer  blutiger  Fleck  an  ihrer  Schläfe  geblieben  ist.  Sie  ver- 
band sich  mit  einem  abenteuernden  Deutschen,  von  Kostryn,  der, 
nachdem  er  ihre  Lage  errathen,  ihr  seine  Dienste  anbietet;  ge- 
meinsam vertreiben  sie  aus  dem  Schlosse  die  verwitwete  Mutter, 
die  nnn  in  Sturm  und  Wetter  im  Walde  herumirrt,  wie  König 
Lear.  Sie  ermorden  auch  den  Einsiedler,  welcher  bei  einer  Be- 
rathnug  mit  Balladyna,  die  ihn  wegen  des  Fleckens  um  Rath 
&&gt,)an  den  Tag  legt,  dass  er  von  der  Ermordung  der 
Schwester  wisse.  Die  Krone  Lech's  gelangt  durch  das  Spiel 
des  Zufalls  in  die  Hände  des  Grabiec,  der  sich  unter  Mitwirkung 
der  Genien  in  einen  Schellen-König  umwandelt  und  in  dieser 
(ieEtalt  im  Schlosse  Kirkor's  aufgenommen  und  bewirthet  wird. 
Darauf  gibt  sich  Balladyua  ganz  dem  Koetryn  hin,  von  ihm 
genöthigt  und  mit  ihm  gemeinsam  ermordet  sie  des  nachts  den 


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346  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Schclleo-EÜnig,  um  in  den  Besitz  seiner  Krone  zu  gelangen, 
unter  Umstanden,  die  stark  an  den  2.  Act  des  „Macbeth"  er- 
innern; von  ihnen  wird  auch  noch  der  Bote  Kirkor'e  ermordet, 
mit  dem  nun  alle  Bande  zerris&eu  sind  und  es  jetzt  zu  einem 
offenen  Kriege  anter  den  Mauern  Gnesens  kommt.  Das  Bäsu 
tiiumpbirt  natürlicb,  der  edle  Kirkor  fällt  im  Treffen.  Der 
Itegana  gleicb,  tragen  Balladyna  und  ihr  Geliebter  Kostryn,  der 
an  Edmund  erinnert,  beide  in  eiserne  Rüstungen  gekleidet,  den 
Sieg  davon,  Balladyna  wird  zur  Königin  ausgerufen,  sie  ftihlt 
die  Nothwendigkeit,  sich  von  ihrem  bösen  Dämon,  Kostryn,  los- 
zumachen, um  dann  in  Gerechtigkeit  zu  herrschen.  Sie  ver- 
schafft sich  ein  Messer,  dessen  eine  Seite  der  Schneide  mit  Gift 
getränkt,  die  andere  aber  uiwchädlich  war,  und  indem  »ie  bei 
einem  Mahle  einen  Äpfel  zerschneidet  und  mit  dem  Geliebteu 
theilt,  reicht  sie  ihm  das  vergiftete  Stück.  Jetzt  ist  sie  am 
Ziel:  „die  Krone  bat  ein  Leben  voller  Arbeit  in  zwei  Hälften 
zertheilt.  Das  Vergangene  ist  dahin,  wie  die  schwarz  gewordene 
Hälfte  des  Apfels,  welche  der  Stahl  mit  der  giftgetränkten  Seite 
abtrennte."  Aber  auch  das  ist  wiederum  nur  guter  Vorsatz; 
vor  dem  Krönungsschmause  muss  noch  eine  Ceremonie  verrichtet 
werden,  es  müssen  nach  alter  Sitte  die  Verbrecher  gerichtet  werden. 
„Das  ist  mein  erstes  Gericht",  sagt  die  Fürstin,  „wenn  ich  falsch 
richte,  so  werde  aus  mir  ein  Nest  der  Würmer,  so  möge  mich  Feuer 
vernichten ! "  Vor  der  Fürstin  liegt  das  Gesetzbuch  und  ein  Kreuz, 
der  Kanzler  ruft  die  Ankläger  auf;  es  treten  Leute  auf,  welche  die 
Vergiftung  zur  Anzeige  bringen,  die,  man  weiss  nicht  von  wem. 
an  Kostryn  begangen  worden  ist.  Die  Fürstin  spricht  die  Todes- 
strafe aus.  Es  kommt  der  Mord  der  Alina  zur  Verhandlung; 
das  Urtheil  lautet  abermals  auf  Todesstrafe.  Zuletzt  klagt  eine 
blinde  Witwe  über  ihre  Tochter,  die  sich  von  ihr  losgesagt 
habe.  Nach  einem  alten  Gesetz  steht  auf  Undankbarkeit  der 
Kinder  die  Todesstrafe,  und  aus  Furcht  vor  derselben  will  die 
Alte  den  Namen  der  Tochter  nicht  nennen;  man  foltert  sie,  um  ilir 
den  Namen  auszupressen,  sie  stirbt  unter  der  Folter,  lieber  der 
fürstlichen  Burg  steht  während  dem  eine  Gewitterwolke,  und  als 
die  Fürstin  nothgedrungen  das  dritte  Todesurtheil  ausspricht, 
erschlägt  sie  Gottes  Donner,  worauf  der  Kanzler  statt  zur  Krö- 
nung zum  Begräbniss  läuten  lässt.  Die  schwachen  Seiten  des 
Dramas  liegen  auf  der  Hand;  es  Hst  im  Geiste  Shakespeare's  ge- 


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Julius  Stowaoki.  347 

plaiit,  aber  es  siud  in  dasselbe  Dicht  nur  die  Psychologie  Sbake- 
speare'ij,  sunderii  iiuch  dcBseii  Situationen  und  Motive  aus  dem 
^Süumeruaclitstraum",  „Lear",  „Macbeth"  übergegangen ,  und 
uoch  dazu  ohne  Nothweudigkeit,  weil  der  Bcichthum  der  echÜ- 
pferiscben  Phantasie  bei  Stowacki  erstaunlich  gioss,  die  von  ihm 
erdachten  Personen  wahrer  als  die  realen  sind,  und  vorgeführt 
werdea  in  Conäicten ,  in  einer  gewattigen  Entwickeluug  der 
Haudlong,  die,  bis  zu  den  aussersten  Grenzen  des  Schrecklichen 
);eheud,  in  künstlerischen  Steigerungen  den  Leser  keine  Minute  zu 
Atbem  kommen  laset,  bis  zur  Katastrophe  selbst.  Das  pbanta- 
stiscbe  Element  wird  misbraucbt,  Geister  und  Feen  mischen  sich 
so  oft  in  die  menschlichen  Angelegenheiten,  bei  jeder  Beleuchtung 
des  Tages  wie  der  Nacht,  dass  diese  beiden  Welten,  der  Menschen 
und  der  Geister,  sieb  nicht  scharf  genug  voneinander  abgrenzen. 
„Balladjna"  ist  als  Drama  nicht  bübnenmässig,  es  ist  zu  lang; 
trotzdem  nimmt  es  in  der  polnischen  dramatischen  Poesie  den 
ersten  Rang  ein,  aber  seine  Schönheiten  sind  der  Art,  dass  sie 
nur  von  sehr  wenigen  gleich  begriffen  und  gewürdigt  werden 
lionnten.  In  der  Vorrede  zu  „Balladyna"  verglich  sich  Slowacki 
mit  dem  blinden  Homer,  der,  das  Rauseben  des  Meeres  für  das 
Gemurmel  menschlicher  Stimmen  haltend,  sich  wundert,  dass 
dieses  Gemurmel  nicht  verstummt,  als  er  zu  singen  beginnt,  und 
nicht  in  Beifallsdonnem  ausbricht,  als  er  aufhört,  weshalb  er 
imwillig  die  Harfe  wegwirft,  ohne  zu  bemerken,  dass  seine  Rhap- 
sodie uicht  in  die  Herzen  von  Menschen,  sondern  in  die  Wellen 
de«  Aegäischen  Meeres  versunken  ist.  In  diesem  Vergleich  lag  viel 
Wahres.  Die  Zeit  war  noch  sehr  weit,  wo  seine  Lieder,  nach  der 
Prophezeiung  Krasiiiski's,  „in  die  Her/en  der  Kinder  durchsickern 
würden".  Er  kümmerte  sich  auch  wenig  um  diese  Zukunft,  als  er 
gewissermassen  nur  für  Krasinski  allein  das  der  Chronologie  nach 
erste  seiner  mythischen  Dramen  schrieb:  „Lilla  Weneda," 
„Nur  Du  triff  mich  nicht  mit  der  Kälte,  welche  von  andern 
Leuten  weht",  schrieb  er  in  der  Widmung  an  den  Verfasser 
des  „Iridion",  „als  ich  mit  Dir  zusammen  war,  kam  es  mir  vor, 
als  hätten  alle  Menschen  die  Augen  Raphael's,  als  genüge  es, 
mit  einem  Wort  eine  schöne  geistige  Gestalt  zu  zeichnen  .... 
als  hätten  alle  Menscben  ein  Platonisches  und  attisches  Ver- 
ständniss.  Meine  Flügel  sinken,  wenn  ich  mit  den  wirklichen 
Dingen  in  Berührung  komme,  und  ich  werde  traurig  wie  vor  dem 
Tode,  oder  zornig  wie  in  meinem  Gedicht  über  die  Tbermo- 

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348  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

pylen.  ^  Ich  äclitneiubult«  mir  mit  der  Uoffnuiig,  daes  Du  mich, 
wenu  ich  todt  bin,  an  dür  Bruöt  hulten  und  Worte  der  Hoff- 
nung und  Auferstehung  sprechen  werdest,  die  ich  zu  Lebzeiten 
nur  von  Dir  alleiu  gehört  babe."  Weun  uns  auch  in  der  „Bal- 
iudyiiu"  dos  Unvermögen  des  Verfassers  auffällt,  die  wirkliche 
Idee  mit  deu  Mitteln  der  dramatischen  Kunst  zu  realisirun, 
wen»  zuweilen  beim  Einkleiden  der  Ideen  in  die  Formen  etwas 
Ungeheuerlicbes,  UnwahrBcbeinliches  und  Wildes  herauskam,  so 
siud  diese  Mängel  in  der  ,^illa  Weneda"  doppelt  bemerkbar, 
wo  man  die  unzweifelliaft  geniale  Grundidee  and  die  Form  uu- 
teiijcheiden  muss,  die  in  vielen  Beziehungen  mislungen,  ja  sogar 
einfach  unmöglich  ist. 

Was  den  Inhalt  betrifft,  so  entfernen  wir  uns  ungeheuer 
weit  von  der  Psychologie  Shakespeare'» ,  von  der  feinen  Zer- 
gliederung der  Personen  und  der  Charaktere,  und  haben  vor 
uns  nicht  eine  Studie  aus  dem  Gebiete  der  Psychologie  von  1d- 
dividuen,  sondern  von  ganzen  Völkern,  eine  derjenigen  Auf- 
gaben, die  der  speculative  Geist  Krasiiiski's  zu  stellen  geneigt 
war,  dessen  Einlluss  auf  „Lilla  Weneda"  keinem  Zweifel  unter- 
liegt. Woran  sterben  dieVÖlkerV  Diese  brennende  Frage  seiner 
Zeit  und  seines  Volkes  suchte  Slowacki  in  „Anhelli"  allegoriscli 
zu  lösen,  in  den  Bedingungen  der  Gegenwart;  aber  man  kann 
sie  auch  so  stelleu,  wie  es  Krasinski  im  „Iridion"  that,  d.i.  in- 
dem er  sich  in  die  Vergangenheit  versetzte,  und  die  „kolostiftlen 
Persönlichkeiten  derselben  durch  die  vulkanische  Seele  unsers 
Zeitalters"  belebte  (VoiTede  zu  „Balladyna").  Slowacki  wählt  eine 
sehr  weit  zurückliegende  Vergangenheit,  geht  noch  viel  weiter 
Zurück  als  die  Zeiten  der  Popiels,  zu  der  Ankunft  Lech's  selbst 
und  seiner  Heerscharen,  die  nach  einer  dunklen  Ueberlieferung 
der  Szlachta  den  Ursprung  gegeben  haben  und  die  obere  Schiebt 
der  Bevölkerung  bildeten.  Jetzt  verwirft  man  allgemein  die  Er- 
klärung des  Ursprungs  eines  Staates  durch  die  Ankunft  eines 
fremden  Elements  von  auswärts,  aber  man  kann  auch  die  Hypo- 
tbe»e  aufstellen,  dass  die  Lecbiten  in  Polen  oder  die  Warager  iu 
Uussland  gewaltsam  eingedi-uugen,  und  dass  das  eine  Volk  durch 
das  andere  gewaltsam  unterworfen  worden  sei,  und  letzteres, 
nachdem  es  die  Besiegten  mit  eiserner  Ferse  niedergetreten,  auf 

1  Sliiwauki  hat  liiur  huIu  wuuderbai-  «uhüuus  Uediuht  im  £>iune:  n^** 
UruL>  ÄgameiuuuuB'"  („Urüb  Ägamcmuoua"). 


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■Tnlms  Stowneki.  349 

Thränen  und  Leichon  seine  schwere  Herrschaft  1>egriiDdet  Iiaho. 
In  solcher  Gostnlt  nämlich  stellte  mch  Stowacki  die  Ankunft  der 
Lcrhiten  in  das  von  den  Weneden  bewohnte  Land  dar.  Die  letz- 
lem  sind  ein  gutes  Volk  von  weichem  Charakter,  feurigem  und 
poetinchem  Temperament,  an  ihrer  Spitze  stehen  Barden;  ihr 
Heiligthnm,  eine  Harfe,  befindet  sich  in  den  Händen  ihres  be- 
jahrten Königs  Derwid  —  sie  sind  unverletzlich,  solange  die 
Harfe  nicht  in  die  Hände  der  Feinde  fiel.  Und  ihre  Sache  ist 
offenbar  beilig:  sie  vertheidigen  ihre  Heimnt  vor  räuberischen 
Eindringlingen.  Der  Sieg  dieser  -letztem  erklärt  sich  über- 
haupt nicht  durch  eine  moralische  Ueberlegenheit  derselben.  Der 
Föhrer  der  Lechiten,  Lech,  sagt  zu  seiner  Frau,  der  grimmen 
Skandinavierin  Gwinona:  „Siehe,  was  für  ein  stattliches  Volk  das 
ist,  ich  bin  eine  MUcke  and  habe  ihm  das  Blut  ausgesogen,"  Die 
Lechiten  sind  ein  träges  Volk,  leichtgläubig,  tapfer,  aber  schwach 
im  Denken;  Lech  selbst  ist  so  dargestellt,  dass  «r  der  Urahn  So- 
bieski's  sein  könnte,  mit  ebenderselben  Löwenkühnheit  im  Felde 
»ad  Moliere'scher  Schwäche  vor  der  Frau  zu  Hause.  Die  komi- 
«he  Person  in  dem  Drama,  Ölaz,  der  den  Weneden  für  einen 
Leeben  gilt,  sagt,  indem  er  dies  leugnet:  „Seht  ihr  an  mir 
Rohheit,  Trunkenheit,  Gefrässigkeit,  Frechheit,  Vorliebe  für 
saure  Gurken,  für  Wappen,  die  Gewohnheit  in  verba  magistri 
7.M  schwören,  Schafscharakter  (owczarstwo)"  u.  s.  w-,  lauter 
groHse  Fehler  des  S/lachta-Volkes.  Obgleich  die  Lechiten  wenig 
»blreich,  einzeln  genommen  unbedeutend,  wild  und  unsympa- 
thisch sind,  80  erlangen  sie  doch  eben  deshalb,  weil  sie  Heerden- 
gcfuhl,  Glauben  an  sich  selbst  und  den  Willen  haben,  vereint  zu 
handeln,  den  Sieg  über  ihre  Gegner,  die  an  ihrer  Zukunft  zweifel- 
haft geworden  sind,  nur  wahrsagen  und  die  Harfe  spielen  können, 
und  diejenige  Frische  nnd  das  Vertrauen  7u  sich  selbst  verloren 
haben,  ohne  welches  der  Bestand  eines  ('oUectivweseus  undenk- 
bar ist.  Derwid  bat  zwei  Töchter:  die  eine,  Lilla  Weneda,  ist 
gut,  zart,  schon  Christin;  die  andere,  einer  WalkjTe  ähnlich,  ist 
die  Prophetin  Rosa  Weneda,  welche  an  den  Leichen  der  We- 
neden weissagt  und  bei  dem  einen  ein  blutloses  nnd  wie  Espen- 
laub zitterndes  Herz  fand;  bei  einem  andern  statt  des  Her- 
zens ein  Nest  von  Würmern;  bei  einem  dritten  aber  gar  kein 
Herz,  sondern  nur  eine  leere  Stelle.  In  die  Handlung  wird 
ffln  Prediger  des  Christenthums  eingefiihrt,  der  heilige  Gual- 
bertus,  dessen  Bemühungen,  die  einander  aufzehrenden  Stämme 

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350  Viertes  Kupitel.    Die  Polen. 

zur  Religion  des  Friedens  und  der  Brüderlichkeit  zu  bekehren, 
in  komischer  Weise  dargestellt  sind.  Die  königliche  Harfe  der 
Weneden  wird  von  den  Lechiten  genommen.  Derwid  ersticht 
Rieh,  das  ganze  Volk  geht  unter  mit  dem  hoflfhungslosen  Glan- 
hen  an  eine  künftige  Rache.  Aus  den  rathsclhaften  „Lei  und 
Polel " ,  zwei  Gottheiten  der  Blavischen  Mythologie ,  hat  der 
Dichter  lebendige  Personen  gemacht ,  ZwillingsbrUder ,  Söhne 
Derwid's,  die  durch  eine  eiserne  Kette  an  den  Händen  so 
verbunden  sind,  dass  sie  zusammen  gewissennassen  ein  zwei- 
köpfiges Wesen  bilden,  der  eine  hält  den  Schild,  der  andere 
das  Schwert.  Besiegt  in  der  letzten  Schlacht,  sterben  sie 
auf  einem  Scheiterhaufen.  „Weist  du,  Iridion",  schrieb  Slo- 
wacki,  „dass  ich  mich  bei  der  Schaffung  dieses  Mythus  der 
Einheit  und  der  Freundschaft  von  der  süssen  Hoffnung  hin- 
rcissen  Hess,  dass  man  auch  uns  beide  in  der  Erinnerung  fo 
verbinden  und  auf  einen  Scheiterhaufen  legen  wird."  Von 
dem  ganzen  Geschlecht  Derwid's  bleibt  nur  die  Wahrsagerin 
RosaWeneda  übrig,  gemäss  ihrer  Prophezeiung  im  Prolog:  „Iclt 
werde  allein  am  Lehen  bleiben,  allein  mit  einer  rothen  Fackel, 
und  werde  mich  in  den  Staub  der  Ritter  verlieben,  und  der 
Staub  wird  mich  befruchten.  Wer  im  Sterben  an  mich  glaubt, 
wird  ruhig  sterben,  ich  werde  ihn  besser  rächen  als  Feuer  und 
WasKcr,  besser  als  hunderttausend  Feinde,  besser  als  Gott." 
Diese  Worte  dienten  als  Ausgangspunkt  für  ein  zweites  späteres 
Werk  Slowacfci's,  den  „König  Geist"  („Kröl-Duch").  Die  traurigen 
Schicksale  der  Weneden,  worunter  die  Geschicke  eines  dem  Dichter 
näherstehenden  Volkes  zu  verstehen  sind,  gedachte  er,  wie 
er  sagt,  in  die  Formen  einer  Euripideiscben  Tragödie  zu  giessen. 
Die  Aehnlichkeit  ist  gering  und  ganz  aussertich,  auf  die  Bühne 
wird  eiu  selten  auftretender  Chor  gebracht;  in  Wirklichkeit  ist 
das  Drama  ein  Shakespeare'sches,  das  sich  durch  ebendieselbe 
Unordnung  einer  von  einem  Ort  zum  andern  springenden  Hand- 
lung, durch  ebendieselbe  Aufhäufung  von  Schrecken  auszeichnet, 
mit  Hinzufügung  von  Ereignissen,  die  physisch  unmöglich  sind, 
und  nur  in  einem  Traumgesicht  oder  in  einem  Märchen  am 
Platze  wären,  sich  aber  fürs  Drama  nicht  eignen.  Von  solcher 
Art  sind  alle  Scenen,  in  denen  Lilla  Weneda  dreimal  mit  Wunder- 
mitteln ihren  Vater  Derwid  rettet,  der  sich  in  Gefangenschaß 
bei  den  Lechiten  befindet. 


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JdHub  Slowiicki.  351 

Das  dritte  Drama  „Mazepa"'  unterscheidet  sich  von  den 
Toriiei^ehcnden  durch  ganz  entgegengesetzte  Eigenschaften  sowol 
des  Planes  als  der  Ansfiihrung.  Die  Sage  von  dem  wegen  sei- 
ner liiebesabenteuer  auf  ein  wildes  Pferd  gebundenen  Kosaken 
nr  in  Polen  bekannt;  aus  den  Memoiren  PaseU 's  ist  zu  ersehen, 
dass  dieser  Kosak,  der  später  Hetman  von  Kleinrussland  wurde, 
Page  des  Königs  Jobann  Kazimir  war.  Es  war  möglich,  den 
König  und  den  Pagen  sich  in  ein  und  dasselbe  Weib  ver- 
lieben zu  lassen,  neben  dieses  Weib  die  finstere  Figur  eines 
eifersüchtigen  Ehemanns  zu  stellen;  auf  diesen  Leidenschaften, 
einerseits  der  Liebe  des  Königs  und  des  Pagen,  andererseits  der 
Eifeisncht,  war  es  möglich  ein  efTectvolIes  Drama  aufzubauen. 
Stowacki  führte  es  nach  spanischem  Muster  aus:  schon  1837  lernte 
er  spanisch,  um  Calderon  zu  lesen,  und  kurze  Zeit  darauf,  nach 
»einer  Reise  in  den  Orient,  übersetzte  er  in  schönen  Versen 
an  Werk  Calderon's  „El  principe  constante"  („Ksii|2e  nie- 
domny").  In  Calderon's  Drama  „Der  Arzt  seiner  Ehre"  rettet 
Don  Gattierrez  seine  Gattenehre ,  die  durch  den  Infanten 
Ddd  Enrique  bedroht  wird,  dadurch,  dasn  er  aus  den  Adern 
sdner  Frau,  Donna  Mencia,  alles  Blnt  ausströmen  lässt  und 
■br  alsdann  ein  feierliches  Begiäbniss  veranstaltet,  was  König 
Peter  der  Grausame  ganz  natürlich  findet,  und  was  sogar 
der  Autor  als  echter  Spanier  rechtfertigt.  Stowacki  legte  die 
erfinderische  Grausamkeit  des  Spaniers,  aber  auch  die  ganze 
Bohheit  eines  Halbwilden  und  den  ganzen  Stolz  eines  polni> 
Beben  Magnaten  in  die  Person  des  greisen  Wojewoden,  der  auf 
die  junge  Frau  sowol  w^en  des  Königs  wie  wegen  des  Pagen 
eifersüchtig  ist,  während  sich  die  Frau  durch  eine  wirkliche 
Herzensneigung  zu  ihrem  Stiefsohn,  dem  Sohn  des  Wojewoden 
ans  erster  Ehe,  Zbiguiew,  hingezogen  fühlt.  In  dem  ursprüng- 
lichen Plane  des  Dramas,  in  der  Gestalt,  in  welcher  es  1835 
Terbrannt  wurde,  stand  wahrscheinlich  der  kühne,  lustige,  wol- 
lüstige, aber  ritterlich  edle  Kosak,  der  Page,  im  Vordergrund. 
Bei  der  spatem  Umdichtung  des  Dramas  traten  nach  den 
noch  vorhandenen  Erinnerungen  und  Fragmenten  in  den  Vorder- 
grund die  Stiefmutter  Amalie  nnd   der  Stiefsohn  Zbigniew,  die 


'  Stowacki'e  Mazepa,  ein  Aufsatz  voa  Tarnoweki  in  Kronikn  roitz, 
1ST4,  S.  164,  179.  —  Deutsche  Ueberaetzang  des  „Mazepa"  vnn  A.  v.  Drnk«« 
(in  BoUi'b  Bühnen-Repertoir,  Bd.  XIV,  Nr.  111). 

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3!"i2  VierteB  Kapitel,     Dip  Polen. 

hoffnungnlos  und  ohne  gegenseitiges  Geständniss  nicht  in  sinn- 
licher, aber  unüberwindlicher  und  verhängnissvoller  Liebe  ein- 
ander zugethan  sind.  Nach  der  Gewohnheit  Slowacki's  ist  die 
IntriguG  verwickelt  und  mit  den  unwahrscheinlichsten  Aben- 
teuern angefüllt.  Der  König  wird  ohne  jede  Rücksicht  auf  hi- 
storische Wahrheit  als  ein  Heuchler  nsd  Wüstling  dargestellt, 
der  zwischen  zwei  Ave  Marias  zu  Liebesrendezvous  schleickt; 
den  Pagen,  der  sich  in  die  Zimmer  der  Wojewodin  gerettet 
hat ,  mauert  man  lebend^  ein.  Ein  Zufall  befreit  ihn ;  rs 
wird  eine  Art  von  Gottesurtheil  durch  Zweikampf  zwischen 
Zhigniew  und  Ma^epa  veranstaltet.  Zbigniew,  dessen  Her* 
zensgeheimniss  Mazepa  errathen  hat,  und  der  aufklärt,  welche 
Geföhle  er  für  seine  Stiefmutter  hege,  —  tödtet  sich  selbst 
durch  einen  Pistolenschuss  und  stirbt  in  den  Armen  Mazepa's. 
Die  Wojewodin  hat  sich  vergiftet,  der  König  öiebt  aus  dem 
Schloss  des  ergrimmten  Wojewoden,  worauf  er  mit  einem 
Heere  zurückkommt  und  das  Schloss  mit  Gewalt  nimmt,  aber 
vor  diesem  Moment  hat  der  Wojewode  befohlen,  an  Ma- 
zepa die  Strafe  der  Sage  zu  vollziehen.  Das  Drama  ist 
schlecht  zusammengestöppelt,  voll  unnatürlicher,  gespreizter 
Situationen,  unmotivirter  Handlungen,  melodramatischer  EfTccte. 
die  an  die  schlechtesten  Erzeugnisse  der  französischen  roman- 
tischen Schule  erinnern,  dem  Zufall  ist  zu  viel  Platz  ein- 
geräumt, der  König  ist  lächerlich  und  niedrig,  der  Wojewode 
widerwärtig  grausam ,  roh ,  wild ,  jedes  menschlichen  GefiihlK 
bar;  das  Unglück,  welches  die  Liebenden  trifft,  entbehrt  drs 
tragischen  Elements,  es  ist  durch  keine  Schuld  von  ihrer  Seite 
bedingt.  Diese  Mängel  sind  so  gross,  dass  daa  Stück  seiner- 
zeit nicht  gefiel,  Krasii'iski  lobte  es  nicht,  aber  trotzdem  kam 
es  1874  auf  der  warschauer  Bühne  mit  grossem  Erfolg  zur  Auf- 
führung, und  vor  kurzem  wurde  es  mit  ebensolchem  Erfolg  auf 
der  prager  Bühne  in  Üechiscber  Uebersetzung  gegeben.  Ausser 
der  glänzenden  Plastik  des  Stils  and  der  Kühnheit  der  Hand- 
lung, die  sich  in  unerwarteter  Weise  mit  überraschender  Schnel- 
ligkeit entfaltet,  was  dem  Stück  eine  ungewöhliche  Bühnen- 
fähigkeit gibt,  enthält  es  drei  wunderbar  schöne  Charaktere: 
Zbigniew,  die  Wojewodin  und  der  Page,  und  zwei  Verhältnisse 
voller  Poesie:  die  Liebe  zwischen  Stiefmutter  und  Stiefsohn, 
und  die  Freundschaft  des  kühnen,  aber  durch  und  durch  von 
ritterlichem  lOhi^efübl    beseelten  Kosaken    zu  Zbigniew.     Diese 

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Julina  SInwftoki.  358 

VerhältniBse  nnd  Charaktere  üben  auf  die  Seele  den  erbeben- 
den Eindruck  aus,  den  eben  die  Romantik  als  die  Aafgabe  äor 
Poesie  hinstellte;  Slowacki  gewann  dadurch  in  der-  polniBcheii 
Literatur  die  Bedeutung  eines  ersten  Dramatikere  und  Erzroman- 
tikere.  Der  Kraft  seines  Talents  entsprach  eine  erstaunliche 
Productivität ,  wie  sie  sich  selten  mit  einer  solchen  Kraft  ver- 
einigt findet;  es  entstanden  Werke,  die  bei  Lebzeiten  des  Ver- 
raxRers  nicht  berau^egeben  wurden :  die  Tragödie  „  Beatrire 
Cenci",  das  Fragment  „Der  goldene  Schädel"  und  eine  Menge 
Anderer.  Die  Werke  Slowacki's  fanden  Absatz  und  Verbreitung, 
»ran  Name  brach  sich  jedoch  nicht  ohne  Mühe  Bahn,  und  bei 
«eitern  nicht  in  dem  Grade ,  der  seinem  hohen  Talent  ge- 
bührte. Mit  Rrasiüski  dauert  die  engste  Freiindschaft  fort, 
noch  verstärkt  durch  eine  Gel^enbeit,  die  den  Freunden  die 
Möglichkeit  gab,  auf  der  Arena  der  Literatur  für  einander 
anzotreteo  und  sich  fiir  einander  zu  schlagen  und  so  in  ihrer 
Person  das  Bild  jenes  zweiköpfigen  Wesens,  Lei  nnd  Polel, 
Zuzustellen,  mit  einem  Schild  und  mit  einem  Schwert,  da» 
^on  Slowacki  in  „Lilla  Weneda"  erdacht  worden  war.  Diese 
Gelegenheit  kam  so. 

Als  zu  Weibnachten  1840  die  polnische  Emigration  bei  einem 
Diner  zu  Ehren  Mickiewicz'  zusammenkam ,  das  von  Eustathtus 
Jumszkiewicz  drei  Tage  nach  Eröffnung  des  Lehrcurses  der  sla- 
Tiachen  Literaturen  veranstaltet  wurde,  befand  sich  unter  den 
Oästen  auch  ^owacki ,  gegen  den  sich  Mickiewicz  fast  immer 
Haaserst  leidenschaftlich  und  ungerecht  erwiesen  hatte,  nicht 
nur  bei  Beginn  seiner  Laufbahn,  sondern  auch  in  der  Folge- 
»it.  Während  er  in  seinen  Vorlesungen  sogar  Sternen  zwei- 
ten Ranges  in  der  polnischen  Literatur  viel  Zeit  widmete, 
überging  er  Slowacki  absichtlich  mit  eisigem  und  äusserst  un- 
verdientem Schweigen.  Slowacki,  der  um  des  „Pan  Tadeusz" 
Villen  Mickieiricz  alles  Vergangene  verzieh,  hatte  sich  mit  ihm 
innerlidi  so  aragesöhnt,  dass  er  beim  Glase  Wein  zu  Ehren  des 
zweifellos  ersten  Sängers  der  Heimat  eine  Improvisation  vor- 
Irog,  Allen  lyrischen  Ergüssen  Stowacki's  mischte  sich  stets 
Tiel  Snbjectives  bei;  in  der  Improvisation  brach  etwas  von  der 
Bitterkeit  persönlicher  Erinnerungen  durch,  etwas  auch  von  sei- 
nen eigenen  ich,  von  seinem  Blut  und  seinen  Thranen  und  von 
seinen  Rechten  im  Reiche  der  Phantasie,  in  welchem  auch  er  so  viel 
Verdienste  habe,  dass  das  Vaterland  auch  ihn  liebgewonnen  habe. 

Prm,  SUilMhe  LllerMnTen.    H,  t.  23 

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354  Viertes  Kapitel.     Die  Polen. 

Die  ImprovisatioQ  wurde  ohn«  Gereiztheit,  herslich  gesprocheo; 
Mickiewice,  dadurch  angeregt,  antwortete  in  demselben  Tone,  wo- 
bei er,  vielleicht  zum  letzten  male  in  seinem  Leben,  den  ihn  be- 
schattenden Geist  der  Poesie  empfand.  „Leute  verschiedener  Par- 
teien", schreibt  Mickiewicz  (Korresp.  I,  175),  „brachen  in  Thrä- 
nen  aus,  küsat^n  uns  (d.  i.  mich  und  Slowacki)  und  wurden 
voll  Liebe."  Er  gab  Slowacki  den  Ratfa,  in  eich  den  Geist  des 
Eigendünkels  zu  zahmen,  erkannte  aber  sein  Talent  an  und  er- 
wähnte sogar,  wie  er  der  Mutter  in  Wilna  Julius'  künfl^eii 
Kuhm  prophezeit  habe.  „Damit  bestach  er  mich  vollständig", 
schreibt  Slowacki  (Briefe  an  die  Mutter,  S.  9),  „wir  waren 
wie  Brüder,  umarmten  uur  und  gingen  xufuimmeu,  indem  wir 
uns  über  die  vei^ngenen  Misstimmnugen  unterhielten".  . .  ■ 
Aber  eine  Lappalie  genügte,  um  diese  eben  hergestellten  gut^n 
Beziehungen  7U  zerstören,  ^um  Andenken  an  den  Abend  be- 
schlossen die  Anwesenden,  Mickiewicz  einen  silbernen  Pokal 
zu  überreichen  und  Slowacki  mit  der  Ueberreichung  zu  be- 
trauen. Er  fuhr  auf.  sein  Argwohn  und  seine  Selbstliebe 
liegannen  zu  sprechen,  er  fasste  den  Antrf^  so  auf,  als  wenn 
man  ihn  hätte  zwingen  wollen,  Mickiewicz  gegenüber  öffent- 
lich sein  Vaaallenthum  zu  bekennen.  Die  Feinde  Slowacki's 
bauschten  den  Vorfall  auf,  es  entstanden  Klatschereien,  in  dem 
Journal  „Tygodnik  literacki  Poznaiiski"  wurde  ein  giftiger  Ar- 
tikel abgediiickt,  voller  Uebertreibungen  und  Entstellungen  der 
Wahrheit,  worin  Mickiewicz  zugeschrieben  wurde,  er  habe  in 
seiner  Improvisation  direot  gesagt,  Slowacki  sei  kein  Dich- 
ter. Mickiewicz,  der  die  Sache  mit  einem  Worte  hätte  richtig 
stellen  Und  klarlegen  können,  spielte  ^owacki  g^enüber  eine 
Itolle,  die  diesen  vorher  wie  nadiher  am  meisten  aufbrachte 
—  die  Rolle  »tolzen  Schweigens.  Ehe  sich  Slowacki  zu  einer 
Antwort  aufraffte,  trat  für  ihn  Krasifiski  ein,  der  nicht  lange 
vorher  von  Slowacki  einen  sympathischen  Brief  anlässlich  der 
„Sommernacht"  empfangen  hatte.  Er  bescbloes,  die  erste  ernste 
kritische  Würdigung  der  Muse  Slowacki's  zu  geben.  Freund- 
schaft hatte  diese  Abhandlung  eingegeben:  „Bedenke",  schrieb 
er  (Malecki  II,  117),  „daaa  auf  der  Rosenvilla  (villa  Mills) 
einst  zwei  I^eute  waren,  die  eich  das  Versprechen  der  Freund- 
Kchaft  galten  und  ot,  hielten",  aber  es  war  auch  das  GefUfal  der 
(ieiechtigkeit,  dns  ihn  veranlasste.  Der  Artikel  über  Slowacki 
in  Tyg.  lit.  pozn.    (IH4I,    Nr.  21— 2iJ)    war   nicJit    unterschrie- 

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Joliua  Stowsaki.  355 

kn,  aher  meisterhaft  abgefasst.  Er  stellt  Slowacki  als  einen 
anTergleichlichen  Zauberer  des  Worts  dar,  ah  eiiien  Correggio 
und  Beethoven  der  Form,  während  Mickiewicz  mehr  einem  Michel 
Angelo  derselben  gleiche.  Aber  auch  in  Bezug  auf  den  Inhalt 
der  Poesie  seien  beide  son  gleichem  Wuchs  —  Biesen:  Mickie- 
wicz repräsentire  die  centripetale  Kraft  der  Coogregation  und 
Affirmation;  der  andere,  Stowacki,  die  centrifugale  der  Ne- 
gAtioD;  es  sei  dies  diejenige  Kraft,  welche  das  Flüssige  vom 
Festen  scheide,  das  Luftformige  vom  Flüssigen,  und  in  republi- 
kanischer Ironie  mit  Blitzen  auf  die  Spitzen  der  Granitberge 
schreibe:  „morituri".  Der  Artikel  suchte  zu  beweiseu,  dass 
sich  Mickiewicz  und  Slowacki  gegenseitig  ergänzen,  —  was  bei 
dem  einen  fehle,  sei  hei  dem  andern  im  Ueberfluss  vorhanden. 
Während  Krasiliski  für  den  misachteten  Freund  eintrat,  ver- 
fertigte ^owacki  gegen  seine  Tadler  und  Verkleinerer  eine 
Geissel  eigner  Arbeit,  fein,  schvruppig,  welche  Wunden  und 
rothe  Striemen  auf  den  vielen  Leuten  hinterlassen  musste, 
Hif  die  sie  geschwungen  werden  sollte.  Schon  zur  Zeit  der 
orientalischen  Beise  versuchte  er  sie  in  Byron'scher  Manier 
n  schreiben,  in  Octaven  in  der  Art  des  „Childe  Harold"; 
ferner  besass  er  schon  vor  dem  Diner  zu  Ehren  Mickiewicz' 
Skizzen  eines  andern  Gedichts  ebenfalls  in  Octaven  nach  dem 
Tjpus,  welcher  von  Byron  im  „Don  Juan"  geschafTen  war,  und 
den  sich  Fuskin  in  seinem,  Slowacki  allerdings  unbekannten  „Eu- 
gen Onegin"  so  glänzend  zu  eigen  gemacht  hatte.  Dieses  Werk, 
welches  der  Verfasser  „seinen  kleinen  Bösewicht"  nannte  (Slo- 
wacki's  Briefe  1836—48.  S.  197),  trägt  den  Titel  „Beniowski" 
(1841).  lo  Werken  solcher  Art  kommt  es  auf  die  Fabel  am 
wenigsten  an,  und  es  wird  eine  gewählt,  die  sich  ins  Unendliche 
ausdehnen  lässt,  um  auf  ihi-  die  phantastischsten  Muster  zeich- 
neu zu  können.  Dieses  Thema  gaben  die  Conföderirten  von  Bar 
in  ihren  Streitigkeiten  mit  den  königlichen  und  russischen  Trup- 
pen und  in  ihren  Plänkeleien  mit  der  Türkei  und  dem  Chan 
der  Krim.  Es  haben  sich  die  Memoiren  eines  solchen  Conföde- 
rirten, Mauritios  Beniowski  (1741 — 86),  erhalten,  der,  von  den 
Küssen  gefangen  und  nach  Kamtschatka  verbannt,  dort  einen 
Aufruhr  verursachte ,  aufs  Meer  Hob  und,  nach  Madagaskar 
gekommen ,  von  den  dortigen  Wilden  zum  König  dieser  Insel 
proclamirt  wurde.  Der  Dichter  lässt  sich  Beniowski  in  die 
Tochter  eines  wunderlichen  Starosten,   Angela,    verlieben,    und 

23* 

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35fi  Viprtps  Kapitel.    Die  Polen. 

hat  dieser  Namen  und  Züge  des  eigenwilligen  Fräuleins  bei- 
gelegt, die  sein  Herz  in  Florenz  zu  fesseln  und  zu  unterwerfen 
suchte.  Der  Vater  will  die  Tochter  an  Dzieduszycki  verheirs- 
then,  eine  widerwärtige  Persönlichkeit,  die  innerlich  den  Fein- 
den des  Vaterlandes  ergeben  ist.  Die  Conföderirten  mit  Pulawski. 
dem  Pater  Markus  und  dem  Kosaken  Sawa  an  der  Spitze,  nehmen 
das  Schloss  und  erschlagen  Dzieduszycki.  Beniowski  schlägt  sich 
unterdessen  mit  dem  der  Confoderation  angehörenden  Kosaken 
ftawa,  auf  den  er  wegen  einer  Steppenschönheit,  der  halb  zigeu- 
nerischen Swentyna,  eifersüchtig  ist,  und  als  die  Raufenden  durch 
Pater  Markus  auseinandergebracht  sind,  empfängt  er  von  diesem 
den  Auftrag,  in  die  Krim  zum  Chan,  dem  Bundesgenossen  der 
C-onfoderirten,  zu  gehen.  Das  ist  der  Inhalt  der  ersten  fünf  Ge- 
sänge, die  herausgegeben  sind,  einige  nicht  publicirte  über  die 
Abenteuer  Beniowski's  in  der  Krim  sind  Manuscript  geblieben. 
In  dieser  Dichtung  ist  nicht  nur  keine  Einheitlichkeit,  sondern 
diese  ist  nicht  einmal  angedeutet;  nur  Einzelnheiten  bleiben 
übrig ,  lebendige  Personen :  der  Priester  Markus,  der  Kosak 
Sawa,  Swentyna,  Angela,  die  mit  erstaunlicher  Schärfe  und 
Farbenfrische  gezeichnet  sind ,  aber  am  meisten  Raum  ist  frei- 
lich dem  Erzähler  selbst  eingeräumt,  der  eich  in  LebensgrÖsse 
flarin  abgebildet  hat,  mit  allen  bezaubernden  Seiten  wie  mit  den 
Fehlem  seiner  genialen  Natur.  Man  darf  sagen,  derjenige  kennt 
Slowacki,  sein  Zeitalter  und  seine  Sphäre  nicht,  wer  ihn  nicht 
gerade  im  „Beniowski"  studirt  hat.  Die  Trä,ume  der  Jugend 
haben  sich  yerwirklicbt,  Slowacki  hat  sich  ein  Leben  geschaffen, 
wie  er  davon  geschwärmt  hatte,  poetisch  und  mit  der  Aureole 
künstlerischen  Ruhmes  umgeben,  der  für  ihn  alles  auf  der  Welt 
war  und  io  welchem  er  einen  Ersatz  för  die  Einsamkeit  wie  für 
die  Entfremdung  von  der  leidenschaftlich  vergötterten  Heimat 
fand.  „Wehe  dem,  der  dem  Vaterlande  nur  die  eine  Hälfte  der 
Seele  gibt,  und  die  andere  für  das  Glück  aufhebt"  (3.  Gesang). 
Den  Ruhm  hatte  er  sich  erobert,  um  diejenigen,  die  seine  Herr- 
schaft noch  nicht  anerkannten,  kümmerte  er  sich  nicht,  er  fiihlte, 
dass  er  durchaus  nicht  niedriger  stehe  als  Mickiewicz  und 
scbliesst  „Beniowski"  mit  einer  grossartigen  Herausforderung  an 
i\on  grossen  litauischen  Sänger:  „Wir  sind  zwei  Götter  auf  zwei 
(Jegonsonnen.  .  ,  .  Ich  werde  nicht  mit  Ihnen  auf  Ihrem  falschen 
Wo^o  gellen,  ich  werde  auf  einem  andern  Wege  gehen,  und 
(Ins  Volk  wird    mir   folgen;   will  es  lieben,    so   werde  ich  ihm 

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Jahns  Stow&vfci.  357 

Scbwaueiiklätige  geben;  wül  es  äcbwürtiu,  ao  wird  es  bei  mir 
schwöreu;  will  es  erglübeu,  so  werde  ich  es  enttlamuien ;  werde 
es  hiDführeii,  wu  üott  ist  —  iu  die  Uuendlicbkeit"  (ü.  üesaug). 
la  seiuer  WeltaiiscliauuDg  ist  i^owacki  uinfasbuiider ,  kübucr, 
unabhängiger  uls  Mickiewicz,  ur  liebt  iiii;lit  deii  Kiitechisiuuä, 
dus  Officielle,  deu  Klerikalismus,  iüt  nicht  einmal  Katholik; 
er  hat  seine  eigene  Religion,  ist  thatsächlicb  Pantheist  und 
uocb  dazu  ein  eigenartiger:  „Wer  dich  (Gott)  nicht  gefühlt  hat 
im  Krbebun  der  Natur,  iu  der  Breite  der  Steppe  oder  auf 
(Jolgatha;  wer  nicht  erkannt  hat,  du8B  du  bist  im  Dufte  der 
JugeudempfiDdungeii ;  wer  dich  nicht  fand  beim  Pflücken  der 
Blumen,  in  Maihlümcben  und  Vergissmeiunlcht,  sondern  dich 
io  Gebeten  und  guten  Werken  sucht,  zu  dem  sage  ich,  dass 
er  dich  tinden  wird,  allerdings  finden  wird,  und  ich  wünsche 
iten  Leuten  von  kleinem  Herzen  und  demüthigom  Glauben, 
ilasfi  sie  ruhig  sterben  können.  Das  btitztragende  Antlitz  Je- 
hoTahs  ist  gewaltig.  Wenn  ich  die  Schichten  der  geöffneten 
Erde  zähle,  so  sehe  ich,  dass  unter  den  Bergrücken  Gebeine 
ii^en,  wie  Standarten  untergegangener  Heere,  die  Zeugniss  von 
dir  ablegen,  o  Gott,  durch  ihre  Skelette"  (5.  Gesang).  Seiner 
Kraft  ist  er  sich  vollkommen  bewusst,  sowol  wenn  er  die  äusser- 
sten  Höhen  lyrischer  Ekstase  erreicht,  als  weim  er  die  GeiHsel 
Jer  Satire  schwingt,  deren  Schläge  ohne  Wahl  auf  alle  Parteien 
regnen,  auf  die  Aristokraten  und  die  Frömmler,  auf  die  Deniu- 
kraten  der  Emigration,  auf  die  Clubs  und  die  Generale  und  Uf- 
fiiiere  der  Uevolutiou,  auf  die  „Dziady'  und  auf  „Wallenrud", 
anf  alle  Literaten  und  Kritiker  der  damaligen  Zeit:  „Es  wird 
die  Zeit  kommen,  wo  ich  diese  Herodese,  die  meine  Kinder  ge- 
mordet haben,  in  der  Holle  fressen  werde  wie  Ugolino."  Sein 
Spott  ist  ätzend,  er  dringt  durch  und  durch,  Slowacki  schont 
auch  sich  selbst  nicht  und  scherzt  über  sich,  indem  er  sicli 
i.  B.  über  die  wilde  Gier  nach  der  Todtcnklage ,  die  scbuur- 
stracks  in  die  psychiatrische  Klinik  führe,  lustig  macht,  aber 
seine  Scherze  haben  mit  denen  Heiue's  uichts  gemein.  Heine 
so««]  als  Slowacki  waren  echte  Hellenen  in  der  Auffassung 
<ler  Kunst,  iu  der  Meisterschalt  der  Form  —  aber  Heine  ist 
im  Herzen  ein  Clown  und  liebt  es,  das  Publikum  zu  be- 
lustigen ,  indem  er  sich  krümmt  und  Purzelbäume  schiesst, 
während  Slowacki  in  der  Hinsicht  ein  Noli  me  längere  ist. 
ausgestattet  nicht  nur  mit   dein  Gefühl   des  Ekels   gegen   alles, 

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358  VieituH  Ktipitel.    Bie  Polen. 

Unwürdige,  Niedrigu  und  Hässliclie,  »undern  uuuli  mit  einer 
unTergleicliIicL  stolzen  Unabhängigkeit,  kraft  deren  er,  wie 
ein  einsamer  Felsen  über  das  kleinliche  Ocwoge  des  MetiHcbeu- 
getriebes  emporragt.  Dieser  stolze  Geist,  der  aus  jeder  Zeile 
weht,  wirkt  noch  heute  ermutbigend ;  kein  einziger  Dichter  bat 
so  entschieden,  wie  Slowacki,  auf  die  Stimmung  der  letzten 
Jüngern  Generationen  der  polnischen  Gesellschaft  eingewirkt, 
—  kein  eineiiger  hat  ihr  eine  solche  Selbstachtung  eingeöösst, 
die  den  Menseben  hobt,  auch  wenn  er  enterbt  und  entniuthigt 
wäre,  in  Armuth  und  in  Lumpen,  ohne  Boden  unter  den  Füssen 
und  ohne  Vaterland.  „  0  dass  doch  nur  eine  Brust,  zuge- 
schnitten wäre",  schreibt  der  Dichter,  „nicht  nach  dem  Masse 
des  Schneiders,  sondern  nach  dem  Masse  des  Phidias,  o  dass 
doch  nur  eine  töne,  wie  die  Säule  Memnonsl  Aber  es  gibt  keine 
solche,  das  ist  es,  was  mich  schreckt;  Kosciusuko  bat  euch  vor- 
aus gefühlt,  als  er  ausrief:  finis.  .  .  .  Jetzt,  wo  mich  die  Donner 
Gottes  von  den  Gipfeln  der  Pyramiden,  von  den  vulkauischeu 
Höhen  horabgeschleudert  haben,  leide  ich  —  aber  fahre  fort  zu 
verachten,  und  dieser  ätzende  Vers  beisst  euch  ins  Innerste  hin- 
ein. Er  schwimmt,  wie  rasende  Schiffe,  von  den  Wellen  ge- 
schleudert in  die  Bläue  des  Himmels,  von  wo  er  eutstrointe  und 
wohin  er  zurückkehrt,  wenn  sich  der  Tod  auf  die  Segel  des 
Schiffes  setzen  wird"  (4.  Gesang). 

„Beniowski"  machte  einen  grossen  Eindruck:  man  scbiuijtne 
auf  den  Verfasser,  aber  las  und  durchwühlte  das  Buch ;  in  Frank- 
furt wurde  Slowacki  80g:ir  zu  eiueni  Duell  gefordert,  er  stellte 
sich,  aber  sein  Gegner  wurde  feig  und  entschuldigte  sich. 
Dieser  Erfolg  verdrehte  ihm  jedoch  den  Kopf  nicht.  Dieser 
Erguss  der  Galle,  diese  Entladung  der  subjectivsten  GefUhie, 
was  den  ganzen  Heiz  des  ,, Beniowski"  bildet,  war  nicht  der  nor- 
male Zustand  Slowacki's  und  wurde  es  auch  nicht.  In  den  Briefen 
un  die  Mutter  (Ende  1841;  Slowacki's  Briefe,  1836—48,  S.  y?) 
entschuldigte  er  sich  fast  wegen  des  „kleinen  Bösewichts",  der 
'notliwendig  gewesen  wäre,  um  „die  Augen  aller  auf  mich  zu 
lenken,  und  diejenigen  zu  nöthigen  sich  zu  beugen,  die  sieh  nie 
vor  mir  beugten".  „Ich  hörte  ganz  auf  nach  Deiner  Weise  ein 
Kugel  zu  sein,  aber  bedenke,  dass  in  meinem  Muude  Feuer  ist 
und  ich  Ungerechtigkeit  nicht  ertrage.  Es  betrübt  mich,  dass 
man  bekannte,  ich  stehe  auf  meinem  Boden,  als  ich  denselben 
gerade    verliess.     Sei    versichert,   dass    meine   Biographie    ganz 

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würdig  uusfatleii  wird,  obgleich  ioh  jetzt,  wo  ich  von  Stufe  zu 
ätofe  cmporisteige,  mir  manchmal  nicht  ähnlich  ucin  muss." 
-  Diese  letztere  Frophezeihuiig  hat  sich  nicht  erfüllt;  niemand 
könnt«  (tenken,  dttSE  sich  dieser  glänzende  Künstkr  ohne  jegliche 
äussere  Ursachen  and  Veränderungen  in  den  Bedingungen  Beineri 
physischen  Organismus  schon  damalu  am  Vorabend  des  Tages 
befand,  wo  er  nicht  zu  steigen  begann,  sondern  zu  sinken,  dass 
nT,  indem  er  sich  ganz  in  sich  selbst  zurückzog,  gegen  die  Kunst 
erkalten,  aich  sogar  Von  derHchönheit  abwenden  werde;  dass  er, 
der  unzähmbare,  der  nicht  einmal  die  Zügel  des  kirchlichen 
Ceremoniells  ertrug,  »ich  vom  selbsVllndigcn  Denken  lossagen  und 
linem  fast  niünchischen  Gehorsam  unterwerfen  werde.  Dieser 
ImuchwuDg  fand  dennoch  statt;  er  wurde  durch  die  Lehre 
Towiaüski's  herbeigeführt,  die  auch  auf  Slowacki  einwirkte,  aber 
sich  ihn  natürlich  aus  andern  Gründen  unterthan  machte  als 
Mickiewicz.    Wir  haben  nun  diese  Gründe  zu  erörtern. 

Ans  den  angeführten  Stellen  der  Briefe  an  die  Mutter  ist 
versehen,  das»  trotz  vieles  Kleinlichen  in  ihm,  wie  Eitelkeit. 
Leidenschaft  für  schöne  äussere  Formen,  einer  fast  kntukhaften 
Ruhm-  und  Selbstliebe,  die  Seele  Slowacki's  doch  voll  hoher 
BestrebäDgen ,  unerfüllter  und  unerfüllbarer  Wünsche  war,  dass 
seine  Weltaus cliauung,  wie  von  einem  schwarzen  Flor,  vom  Gram 
über  die  traurigen  Schicksale  seine»  Vaterlandes  umzogen  war, 
nnd  dass  er,  trotz  seines  Pantheismus,  doch  mit  allen  grossen 
Repräsentanten  seiner  Generation  auf  religiösem  Boden  stand 
und  ihn  von  der  römischen  Kirehe  nur  „die  Engherzigkeit  der 
.Anschauungen  der  « Pharisäer »  abstiess,  die  ihm  Widerwillen 
gegen  die  Schwelle  der  Kirche  einHössten,  da  sie  einen  kleinlichen 
und  falschen  Weg  zu  Gott  zeigen,  auf  dem  nur  Wünner  kriechen 
können"  (Briefe  II,  108).'  Die  officielle  Kirche  konnte  zum 
Tröste  nur  Gemeinplätze  über  die  unerforechlicben  Wege  der 
Vorsehung  bieten,  aber  für  ein  so  unruhiges  Temperament  reich- 
ten solche  Tröstungen  nicht  aus;  als  daher  ein  Reformator  und 
Prophet  auftrat,  der  die  polnische  Emigration  mit  fortriss,  und 
erklärte,  dass  er  eine  Offenbarung  von  oben  habe,  der  es  unter- 
nahm, auf  wunderbaren  Wegen  und  mit  wunderbaren  Mitteln  die 
Zukunft  Bowol  seines  Volkes  als  der  Menschheit  aufzubauen,  und 


'  P.  Chiiiiülowski,   Üstatniu    liita   Stowackiegu   {iu  Atun^um,    18T7, 


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360  Viertes  Kapit«!.    Die  Polen. 

titiißin  jedeii  rieiiier  Scliüler  rietb,  damit  zu  begiuiieii,  das»  er 
(leu  alten  Mcotichen  ausziehe,  durch  den  Geist  wicdeigebereii 
werde,  da  war  Slowacki,  der  sich  nie  durch  eiueti  durchdriu- 
geudeii  Verijtaud  auezeichnete,  und  eher  dem  Herzen,  dem 
lustinkt  und  der  Phantasie  folgte,  eiuer  der  orsten,  der  sieb 
Towiaüüki  auscbluuä  und  an  eine  uumittolbaiu  Gemoinscbaft  mit 
Gott  durch  denselben  glaubte.  Es  kam  ihm  vor,  als  habe  er 
das  erworben,  worin  ihn  sein  vergaugeueb  Leben  nicht  befriedi- 
ge» konnte,  und  dass  er  aus  eiueni  leeren  Phantasten  ein  wirk- 
licher Mann  der  Tbat  gewprden  sei.  Er  war  nicht  Dur  über- 
zeugt, dass  infolge  der  neueu  Wiedergeburt  durch  den  Geist  in 
sehr  kurzer  Zeit  eine  ßestauratiou  durch  die  Thätigkcit  der 
Gläubigen,  welche  die  neue  Offenbarung  aufgeiiouimeu  hatten, 
vor  sich  gehen  werde,  sondern  auch  davon,  dasu  sich  eiue  Art 
Metern jisychose  volliiielien  werde,  dass  uns  von  allen  Seiten  My- 
riaden körperloser  Seelen  umgeben,  die  sich  beständig  iu  ueueii 
Leibern  verkörpern  (Briefe  II,  114—177).  In  seiner  Correspon- 
denz  mit  der  Mutter  geht  plötztich  die  schroffste  Aenderoug  vor; 
statt  herzlicher  Ergüsse  stellen  sich  ErniaJmuugen  ein,  er  wird 
vollständig  iiiystiscli.  —  »Ich,  einst  ein  uubändigos  Kiud,  ein 
fliegendes  Feuer,  lebe  jetzt,  abi  wenn  in  mir  kein  Blut,  keine 
Begierde,  keine  Wallung  uud  kein  Aufbrausen  wäre"  (181).  ¥x 
meidet  nicht  nur  Handschuhe  und  Parquets  und  jede  leere  Me- 
lancholie (104,  10!)),  jedeu  Byronismus  (13G),  sondern  es  sind 
ihm  sogar  die  Lubsprüclie  anderer  widerwärtig  (141),  und  Leben 
und  Tod  gelten  ihm  gleichviel.  Jeder  Wunsch  persünlidieii 
Glücks  ibt  geschwunden,  aber  die  Liehe  zu  deuMeuscbeu  durch- 
dringt ihn  ganz  und  gar;  er  wurde  schlicht  uud  gutmütkig, 
versöhnte  und  verbündete  sich  im  Towiauismus  detiuitiv  mit 
Mickiewicz  (lUü);  in  seiner  Seele  ward  ein  Gefühl  sliller  Freude 
vorherrschend  (141).  —  Er  lebte  als  Einsiedler  und  Ascet  iu 
Paris,  oder  reiste  im  Sommer  in  wenig  besuchte  französische 
Seebäder  an  den  Küeten  des  Atlantischen  Oceans.  Der  alte 
Meusch  blieb  jedoch  auch  in  dem  neuen,  nur  in  einet'  stark  ver- 
änderten Form.  Der  colussale  Eigendünkel,  der  ihm  durch  sein 
Talent  eingeflösst  wurde,  verwandelte  sieh  iu  die  Emphiidungü- 
weisc  des  Fanatikers,  der  sich  zu  den  ihn  erleuchtenden  Ideen 
wie  zu  eiuer  göttlichen  Eingebung  verhält  und  diejenigen  tief  ver- 
achtet, welche  nicht  Ueberzeugungen  theilen,  die  iu  seinen  Äugen 
augenscheinliche  Evidenz  haben.    Der  Umschwung,  welcher  SI07 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


JuliuB  Sto-nsoki.  361 

Tacki  weicher  und  bcüKer  inaclite,  ausäurte  eich  in  seiucr  pue- 
tischeu  Thätigkeit  in  der  uugiin&tigfjten  Wöitie;  er  horte  auf 
seine  Werke  durclizudenkeu  und  zu  verbesbern,  weil  er  auf- 
büite  dahin  zu  dringen,  „wolier  die  Gedanken  koniuien  und 
wohin  sie  gehen"  (148),  er  Hcxs  sie  in  dor  Gestalt  ausgehen, 
wiu  sie  ihm  aus  der  Foder  flössen.  In  jener  Zeit  unter- 
lag er  mehr  dem  Einflüsse  des  katholischen  und  zum  Thoil 
mystiticben  Cnlderon,  als  dem  irgendwelcher  audei-n  Dichter. 
Die  zwei  Dratneu:  „Der  Priester  Mai'ek"  („Ksi^dz  Marek", 
1841)  und  „Sen  srehruy  Salomei"  (1844)  schrieb  er  mit  einer 
solchen  Vernachlässigung  der  Form,  dass  sie  gar  nicht  Kunst- 
werken ähnlich  sind,  sondern  vielmehr  den  wüsten  Irrgängeu 
eiQcr  Phantasie,  die  lauter  Seluecken  träumt:  die  Kuliiwszcicyzna 
uud  die  Conföderirten ,  lebendig  verbrannte  Ilajdamaken,  Poltc- 
niDgen,  Notfaziichtiguugen  und  allerhand  Qualen.  Der  Iteich- 
thun  au  Bildern  ist,  wie  bei  ihm  immer,  uueräcliÖpflich ,  aber 
die  Phantasie  Itiegt  ungezügelt  dahin,  ohne  dem  Vei'stande  zu 
piliorchcii.  Nach  diesen  tollen  Schöpfungen  trat  eine  Periode 
nhigereu  Schaffens  ein,  worin  Slowacki  die  neue  mystisc)ie 
Lehre,  die  Theorie  der  ,, Verkörperungen"  im  Wort  darzustellen 
«lebte:  eine  solche  Bedeutung  haben  die  zu  seinen  Lebieiten 
nicht  herausgegebenen  Werke  „Genesis  aus  dem  Geiste"' 
und  „Köjiig  Geist",  dessen  erste  Rhapsodie  1847  in  Paris  ano- 
ujrni  gedruckt  wui'dcj  eine  ganze  Reihe  weiterer  nicht  lieraus- 
g^ebeucr  Rhapsodien  in  herrlichen  OcUiveu  gibt  <<eugniss  davon, 
wie  angestrengt  und  lauge  Slowacki  an  dem  Plane  gearbeitet 
hat,  welcher  der  nichtbeendeten,  dem  Umfang  nach  bedeuten- 
den Dichtung  zu  Grunde  liegt.  Seine  „Genesis"  schätzte  Slo- 
«ucki  sehr  hoch,  doch  ze%t  es  sich,  duss  er  nur  das  schon 
entdeckte  Amerika  wieder  entdeckt  hatte,  und  ohue  mit  den 
„Naturphiloeophen"  bekannt  zu  sein,  die  von  diesen  erarbeite- 
ten, Kchon  in  Umlauf  beflndlichcu  Ideen  reproducirte.  Sein 
„Geist"  ist  dasselbe,  was  Hegcl's  Idee,  die  an  der  Schöpfung  der 
Foim  arbeitet  auf  der  riesigen  Stufenleiter  der  Geschöpfe  vom 
Stein  und  Krystall  aji  bis  zur  Pflanze,  von  der  Pflanze  bis  zum 
Oi^anismns,  und  vom  einfachen  Organismus  bis  zum  Menidchen. 
Die  Träume  der  Naturphilosophie  sind  mit  der  Anamnesis 
Plato's  vermischt,  jede  Form    ist   die  Erinnerung   an  eine  ver- 


'  Gentnie  z  ducha.    Modiitwu.    Leuiljeig  und  l'oBua  IB12. 


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302  Vierte»  Kapitel.    Diu  Polea. 

gaiigtiHG  und  die  Offenbarang  uiner  zukünftigen.  In  der  Dich- 
tung „König  Geist"  („Kröl-Duch")  kehrte  Slowacki  xu  sei- 
nem beliebten  Thema  zuröck,  zu  den  halbinythischeii  Eniih- 
lungen  aus  der  Urzeit  tisines  Volkes;  id  früherer  Zeit  benutzte 
er  diese  Sagen,  um  pgychologische  Probleme  („Balladyna") 
oder  Lebeutifragen  der  Gegenwart  („Lilla  Weneda")  aufzustellen 
—  jetzt  benutzt  er  sie  zum  Beweise  seiner  mystischen  Theorie 
der  Verkörperungen',  zur  Realisirung  der  Lehre  Towiafiski's  in 
der  Poesie  und  zur  Erklärung  aller  Geheimnisse  und  Räthsel 
der  Nationalgeschichte  mit  dem  Schlüssel  dieser  Lehre.  Wir 
haben  schon  auf  einen  besondern  Zug  in  der  geistigen  Oi^ani- 
sation  SJowacki's  hingewiesen,  auf  seinen  HeroescultUE ,  seinen 
Glauben  an  grosse  Milnner,  welche  mit  ungewöhnlichen  Mit- 
teln wirken.  Für  ihn.  der  sich  nicht  mit  der  Analyse  befasstc 
und  gleich  die  abstractesten  Ideen  personificirte ,  lief  die  ganzu 
Geschichte  auf  eine  Geschichte  der  Heroen  hinaus,  und.  diese 
selbst  sind  die  stufenweise  Verkörperung  eines  und  desselben 
Geistes,  der  sich  nach  einander  in  mehreren  Körpern  niedertässt, 
eine  unendliche  Reihe  von  Leben  durchlebt,  wobei  er  das  Volk 
zu  immer  höhern  Stufen  der  Entwickelung  leitet  oder  mit  Gewalt 
stösst.  So  erscheint  als  Leiter  des  Lebens  der  Nation  immer 
ein  und  derselbe  König  Geist,  der  die  Geschichte  seines  Du- 
seins, seiner  Einwirkungen  auf  das  Volk,  seiner  Tode  und  Meta- 
morphose» selbst  erzählt.  Es  treten  nacheinander  grosse  Ge- 
waltmenschen auf,  welche  wie  Schmiede  den  weichen  Stoff  — 
ihr  Volk  —  auf  dem  Ambos  schmieden  durch  kräftige  Scbwert- 
und  Hammerschläge,  mit  Herzlosigkeit,  Grausamkeit,  Tyran- 
nei, sodass  durch  die  Thätigkeit  dieser  Gottesgeisseln  das  blut- 
triefende Volk  gehärtet,  in  bestimmte  Richtung  gebracht  und 
auf  den  Stufen  der  Entwickelung  vorwärts  gelehrt  wird.  Ori- 
ginell ist  in  diesem  Versuch  nicht  so  sehr  die  Verherrlichung 
und  Apotheose  der  Tyrannei,  als  der  Umstand,  dass  diese  Apo- 
logie der  Tyrannen  von  dem  unabhängigsten  Dichter  des  frei- 
heitsliebendsten Volkes  geschrieben  wurde,  das  deshalb  unter- 
ging, weil  es  der  Staatsgewalt  nicht  die  geringsten  Conccssionen 
dem  Individualismus  gegenüber  einräumte.  Stowacki  fuhrt  Tyran- 
nen vor,  die  Ivan  dem  Schrecklichen  nicht  nachstehen,  und  sogar 


I  Asiiyk,  Kn.l-Diicli  Htuwiiiltiiigo  (iu  Pruugl^d  nauki  i  liU-raturj  1879, 


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JiilinB  Stowftuki.  363 

diesem  entluhntu  Churakteridüge  erhalten  habe».  Die  fiiisterts  Tiefe 
dieser  Idee  ist  überraücIieDd ;  mit  Recht  bemerkt  Asiiyk,  das»  sie 
ancli  iiar  in  der  Seele  eines  polnischen  Bichteris  geboren  werden 
kuiititc,  der  alle  Schmerzen  der  Demiithignng  und  des  Verfalls 
«'rduldet  hatte  nnd  nach  einer  Existenz  dürstete,  sei  sie  auch  er- 
kauft mit  den  Folterqualen  ganzer  Generationen.  Wir  wollen  in 
kurzen  Worten  darlegen,  wie  Stowacki  diese  Idee  in  dem  letzten 
seiner  grossen  Werke  verwirklicht  hat. 

Am  Schlosse  seiner  Kepnblik  führt  Plato,  zur  Erläntorung  sei- 
ner Lehre  von  den  angeborenen  Ideen,  den  Er  (Hör),  Solm  des 
Armenios,  vor,  der,  in  einer  Schlacht  gefallen,  wieder  auflebte 
und  erzählte,  wie  die  Seelen  nach  dem  Tode  gerichtet  werden, 
miil  wie  sie  die  Körper  und  Formen  wählen,  die  sie  annehmen 
wollen,  worauf  sie  erst  aus  dem  Lethe  Vergessenheit  tränken. 
Wo  Plato  aufliört,  setzt  Slowacki  ein;  noch  hat  Er  das  Wasser 
des  licthe  nicht  gekostet,  sondern  nur  seine  Wunden  gewaschen, 
Js  ihm  ein  wunderbares  „Gesicht"  erschien,  die  Tochter  des 
Slowo  (Wort),  eine  mystische  Person,  worin  der  Dichter  die 
Mce  dos  Vaterlandes  darstellen  wollte,  wie  sie  die  bessern 
Leute  im  Volke  verstanden.'  Er  war  von  der  Schönheit  der 
Erscheinung  so  entzückt,  dass  er  auf  ewig  sich  in  sie  verliebt, 
das  Verlangen  zu  leben  empfindet,  einen  Körper  annimmt  und 
sich  auf  einmal  in  einer  Wüste  befindet ,  als  Kind  einer  Zau- 
heriu.  aus  deren  Worten  zu  ersehen,  dass  sie  Rosa  Weneda 
ist,  welche  ihr  untergegaugenes  Volk  beweint  und  ein  Kind 
geboren  hat,  nachdem  sie  durch  den  Staub  und  diu  Asche  der 
Erschlagenen  befruchtet  worden  war,  weshalb  sie  auch  das  Kind 
einen  Sohn  der  Asche  oder  Popiel  nuiinte.  Popiel  wächst  anf, 
kommt  als  Knabe  an  den  Hof  Lech's,  erlangt  durch  Tai)fer- 
heit  und  Unerschrockenhcit  den  Kting  des  ei'sten  Wojewoden. 
Sein  Rahm  weckte  Neid,  man  wirft  ihn  ins  Gefangniss,  aus 
dem  ihn  die  Tochter  Loch'a,  Wanda,  errettet.  Der  Flüchtling 
begegnet  einer  Gefolgschaft  von  Germanen,  die  von  einem 
Römerzng  zurUckkebren .  setzt  sie  in  Ei-staunen  durch  seine 
Kraft,  and  von  ihnen  zum  Kaiser  ausgerufen,  zieht  er  gegen 
das  Land  Lech^s,    wo  nach  dem  Tode   des  letztem  Wanda   als 


'  „Der  Kntfltchung  eine»  jciliiii  Vulkos  giug  Uic  Suliu|ifutig  dw  Idee 
vuraun,  Tür  wulube  daiiD  die  McueuhiMi  wirktnu,  die  eben  iu  die  Üii^sur 
IJec  cotsprecheade  Form  kryaiallieirt  waren."  Stowaeki,  bei  Uateuki  II,  273. 


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3R4  Viertes  KapiUl.    Die  Polen. 

Fürutiii  regiert.  Der  stolze  Sieger  fordert,  Wauda  solle  koiii- 
uieii,  ihn  zu  bedienen  und  den  Wein  zu  credenzeu.  Wanda  ent- 
zieht sich  dieser  Kroiediigung ,  indem  aic  sieb  in  die  Weichsel 
stürzt.  Da  beginut  die  volle  und  unbestiitteue  Hermcliaft  Po- 
pier»,  die  allmühlicb  rauher  und  schwerer  wird  uud  zu  den  letz- 
ten Grenzen  zügelloser  Grausamkeit  gelangt,  welche  nicht  durch 
Widerstand  oder  Empörungen  der  Beherrschten,  sondern  durch 
ihre  stumpfe  Apathie  und  Trägheit,  durch  den  langsamen  Verlauf 
der  Dinge  im  Volke,  der  dem  Gang  der  Schildkröte  gleicht,  durch 
eine  l'iusterniss  und  Stille,  wie  in  den  Stunden  vor  TagesaubnicL, 
hervorgerufen  wird.  Popiel  beschüeset,  das  Volk  in  Bewegung  zu 
bringen,  die  Gottheit  selbst  zur  Verantwortung  zu  ziehen,  falb 
es  eine  solche  gäbe:  „Und  ich  heschloss,  die  Himmel  zu  allar- 
miren,  auf  den  Himmel  wie  auf  einen  eherneu  Schild  zu  schlagen, 
durch  eine  l'reveltbat  den  blauen  Himmel  auseinanderzureisseu 
und  zu  öffnen,  uud  die  Säulen  der  Gesetze  in  den  Grundfesten 
zu  ei'scbüttern,  auf  denen  der  Engel  des  Lehens  sitzt,  damit  sich 
mir  Gott  selbst  zeige  —  erbleichend."  Obno  Antwort  bleibt  ein 
Versuch  nach  dem  andern,  eine  Herausforderung  nach  der  an- 
dern, Opfer  ohne  Zahl  werden  gebracht;  Popiel  ist  von  höllischer 
Krtinduug^abe  in  der  Auswahl  von  Qualen,  wodurch  er  nicht 
nur  nicht  Buhe  und  Schlaf  verliert,  sondern  sogar  Popularität  er- 
langt: „Am  sonderbarsten  ist  es,  dass  man  mich  liebgowonueu 
hat  wegen  der  Krait  und  wegen  des  Schreckens  und  um  der 
Qualen  willen,  sodass,  wenn  ich  mich  zeigte,  das  Volk  vor  mir 
auf  die  Knie  fiel."  Die  Straflosigkeit  reizt  den  Blutsauger  zu 
ungeheuerlichen  Thaton,  zu  Attentaten  gegen  den  Geist  selbst 
Seine  Mutter  lüsst  er  verbrennen  und  den  Wojewoden  Swityu 
hiiiricbteB,  dem  er  für  die  Ausbreitung  seines  Reichs  von  «ineiu 
Meere  zum  andern  verpflichtet  war.  Der  Hinrichtung  Swityn's 
geht  eine  Episode  voraus,  die  ganz  und  gar  dem  Lehen  Ivan 's 
dos  Schrecklichen  entnommen  ist ,  welcher  beim  Lesen  eines 
Briefes  von  Kurbskij  seineu  Stock  in  den  Fuss  des  Vaäka  Sibauov 
sticss.  Swityn  sendet  eine  Botschaft  an  Popiel  durch  seinen  Sän- 
ger Zorjan,  den  Popiel  mit  dem  Schwert  an  den  Boden  nagelt  und 
dann  hinrichten  lässt.  Die  Familie  Swityn's  wird  ermordet,  in 
dem  blutbefleckten  Palast  desselben  schmaust  der  König,  indem 
er  verkündet:  „l-^  ist  nichts  im  Himmel,  ich  werde  mich  selbst 
als  Hot  Gott  riclitfui."  Da  neigt  sich  am  Himmel  ein  Komet: 
Popiel  siclit  de«  Tod  nahen.     In  den  letzten  Worten  des  abtre- 

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.Tnliu«  SInwaoki.  365 

teoden  Popiel  ist  der  ganze  Sinn  der  Dichtung  entimiten:  „Ueber 
mir  war  eine  Ronnige,  goldene  Idee;  zu  ihr  führten  mich  auf  die 
Schwelle  hoher  Ziele  endlose  mit  Blut  befleckte  Stufen.  Ich 
fdiritt,  wie  ein  Ritter,  auf  blutigem  Wege,  aber  ohne  Zittern. 
Leben  ertönte  in  jeder  Saite  meines  Geistes,  Kraft  war  in  jedem 
meiner  Schritte.  ,  .  .  Durch  mich  ist  dieses  Vaterland  gewachsen, 
TOn  mir  empfing  es  den  Namen  und  schreitet  vorwärts  durch 
lien  Schlag  meines  Ruders.  Mehrmals  führte  es  die  Sturmflut 
Tom  Wege  ab  und  aus  seinem  Geiste  erwuchsen  todte  Blumen 
ohne  Duft,  aber,  was  ich  in  blutiger  Weise  erstickt,  dadurch 
hat  immer  dieser  Geist  gesiegt,  wenn  er  Gelegenheit  hatte  7.n 
erglänzen.  .  .  .  Gehet.  Ihr  seid  nicht  mehr  die  Diener  meiner 
Raserei,  sondern  starke  Ritter.  Ich  habe  das  Volk  mit  Blut 
getanft  und  über  die  Ströme  desselben  habe  ich  den  Geist  er- 
hoben, der  den  Tod  verachtet.  Mancher  Bauer  wird  durch 
das  I.ied  den  langen  Abend  versüssen  nnd  sich  dadurch  anf- 
mnntem,  dass  er  seiner  Väter  gedenkt,  wie  sie  kühn  in  den 
Tod  gingen,  wenn  sie  der  König  hinschlachtete." 

Die  eigenartige  Philosophie  des  „König  Geist"  konnte  zu  der 
Zeit,  wo  die  Dichtung  erschien,  nicht  gefallen  nnd  kann  kaum 
jemals  Erfolg  haben,  weil  ihre  sittlichen  Grundlagen  verkehrt  sind, 
und  niemand  dieses  Lob  der  Blntsaugerei  überzeugen  kann,  dass 
sie  das  Mittel  sei,  den  Geist  aus  der  todten  Masse  wie  den  Funken 
ans  dem  Stein  zu  schlagen.  Diese  Verkehning  der  sittlichen 
Gefähle  und  Begriffe  interessirt  nur  als  psychologisches  Räthsel. 
Die  neue  Richtung  Slowacüi's  rousste  die  guten  Beziehungen 
zn  seinen  au&ichtigen  Freunden,  deren  er  sehr  wenige  hatte, 
und  insbesondere  zu  Krasiiiski  abkühlen  und  zerstören.  Mit 
der  eifrigen  Begeisterung,  mit  der  er  der  neuen  Lehre  bei- 
trat, begann  er  Krasii'iski  brieflich  zu  seinem  Glauben  7u  be- 
kehren, indem  er  erklärte  (14.  December  1842),  dass  sich  mit 
ihm  vollzogen  habe,  was  er  schon  im  „Anhelli"  vorausgeRihlt, 
nnd  dass  er  „besiegt  von  den  DonnerotTenbarungen  des  Geistes 
da»  Heidenthom  verflocht  habe ,  obgleich  er  nicht  vergessen 
könne,  dass  es  ihm  ein  gnädiger  Herr,  die  Dianen  desselben 
seine  (^owacki's)  Geliebten  gewesen  seien,  und  die  Dauer 
desselben  &Bt  eine  Ewigkeit  geschienen  habe".  Krasifiski,  der 
sich  gleich  von  Anfang  bis  zu  Ende  skeptisch  gegen  den  To- 
wianismus  verhielt,  schrieb  (27.  October  1841)  sehr  vernünftig; 
„Lieber  Julius  1    An  Wunder  glaube  ich,  überall  und  immer,  an 

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■a6ß  Vievtea  Kapitel.    Die  Polen. 

Wunderthäter  fast  niemala;  ich  kenne  keine  pralilerisdiere  Hof- 
fahrt  als  diejenige,  welche  sieb  fdr  den  Leiter  eines  Stro- 
mes von  Wundem  hält ....  Dtis  Wunder  iet  etwas  in  der  Art 
einer  Arbeitseinstellung  in  der  Natur,  etwas  wie  eine  Erwar- 
tung, dasB  die  gebratene  Taube  selbst  in  den  Mund  fliegen 
werde.  Hege  nicht  den  wilden  Glauben  in  Dir,  dass  es  mög- 
lich sei,  Jahrhunderte  durch  eine  Strophe  umzukebren."  Je  ein- 
dringlicher die  Briefe  Slowacki's  waren,  desto  diplomatischer 
und  ausweichender  wurden  die  Antworten  und  Widerlegungen 
Krasiüski's,  die  aber  auf  die  wunde  Stelle  des  neuen  Adepten 
gerichtet  waren,  auf  die  äusserste  Beschränktheit  und  Intoleranz 
des  TowianismuE.  Die  Correspondirenden  brachte  einst  die  Kunst 
einander  nahe,  jetzt  trennte  sie  der  Glaube,  die  Beziehungen 
erkalteten  und  brachen  mit  1843  ganz  ab;  zuletet,  als  es  äch 
zeigte,  dass  sie  in  den  politischen  Ueberzeugungen  einander 
diametral  entgegengesetzt  waren,  da  kam  es  zu  einem  offenen 
Bruch  und  zu  einem  poetischen  Kampfe  der  ehemaligen  Freunde. 
Beror  wir  diese  Peripetie  berühi-en,  mügsen  wir  zu  Kraeifiski 
zurückkehren  und  ihn  von  der  Zeit  an  verfolgen,  als  seine  Hnse 
zu  Anfang  der  vierziger  Jahre  eine  neue  Richtung  empfing  und 
sich  sogar  die  Gattung  seiner  Poesie  änderte. 

Diese  neue  Bichtung  wurde  durch  zwei  Ereignisse  bedingt: 
erstens  durch  die  Verbindung  mit  Delpbina  P.,  die  Krasiüski  in 
seinen  Gedichten  bald  seine  Schwester  bald  seine  Beatrice  nennt, 
zweitens  durcli  ein  sehr  eifriges  Studium  und  durch  die  Aneignung 
der  Hegel'schen  Philosophie.  Was  das  jedenfalls  nicht  gewöhn- 
liehe  Weib  betrifft,  das  zu  seiner  Huse  wurde,  so  war  diese  (vor 
kurzem  verstorbene)  alleinstehende,  von  einem  unwürdigen  Mann 
geschiedene  Frau'  schön,  witzig,  künstlerisch  begabt,  liebte  es 
aber,  sich  in  Positur  zu  setzen,  und  zog  den  Dichter  mehr  durch 
das  Bild  der  Leiden  ihres  verfehlten  Lebens  an,  dann  aber 
fesselte  sie  ihn  wahrscheinlich  dadurch  an  sich,  dass  sie  ihm 
»eine  eigenen  GedaiJten  und  Ideen  im  Betlex  wiedergab.  Sie 
bereiste  mit  Krasiüski  die  italienischen  Seen,  folgte  ihm  nach 
Deutschland,  pflegte  aufs  zärtlichste  den  todtkranken  Danielewicz, 
der  in  den  Armen  Krasiüski's  starb,  und  begleitete  den  letz- 
tern auf  den  Spaziergängen  in  der  Umgegend  von  Nizza  in  dem 

'  Eb  war  (liea  <lei-  äuliii  einer  Griecbiu,  eiD<>  Pei'ion,  die  in  der  polni- 
schen Poesie  mehrmals  uuter  dem  Namen  Waolaw  auftritt. 


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Sigiunund  Kraaii^ski.  '^&^ 

denkwürdigen  Jahre  1843,  als  die  „Dämmerung"  („I'rzediwit") 
geschrieben  wurde.  Gleich  darauf  ging  im  Leben  Krasi/iski's 
eine  weßaotlicbe  Aendenmg  vor,  deren  Ureachen  noch  nicht 
ganz  in  allen  £inzelnheiten  klargelegt  dnd.  Dem  Willen  det> 
Yitlerg  nachgebend  und  dieBen  erfüllend,  entschlo&s  er  sich, 
die  Gräfin  Elisabeth  Branicka  zu  heiratben.  Vor  der  lleirath 
TerabBchiedete  er  sich  von  der,  welche  er  nicht  aufhörte  zu 
heben,  und  schrieb  ihr  den  berzzerreisseuden  „AbBchied,"' 
Aber  auch  nach  der  Heiratii  dauerte  die  Anhänglichkeit  und 
Correspondenz  fort,  und  erst  in  den  letzten  Jahren,  auf  dem 
SterbebettCj  erkaltete  Krasiiiski  für  den  Gegenstand  seiner  letz- 
ten LeideuBchaft,  sali  sie  ungern  wieder  und  liess  ihre  Briefe 
anbeantwortet ,  .  .  '  —  Was  die  deutsche  Philosophie  betrifft,  so 
b^nn  nach  den  Worten  Krasinski's,  als  1831  ihr  Lehrer  starb, 
der  „sich  zwischen  Plato  und  Christus  gestellt  hatte"  (Briefe  an 
Jaroszyiiaki,  S.  36),  eine  Zersetzung  smner  Schule;  es  tauchten 
Streitigkeiten  über  Fragen  auf,  die  er  diplomatisch  umgangen 
ktte,  indem  er  sich  nicht  voll  über  dieselben  aussprach;  am 
sKrksten  machte  sich  die  linke  Seite  der  Hegelianer  geltend, 
velcfae  die  Philosophie  ihres  Meisters  als  das  darstellte,  was 
sie  auch  in  Wirklichkeit  war  —  als  reinen  Pantheismus,  der 
in  der  absoluten  Idee  sowot  die  Persönlichkeit  Gottes  als  die 
Persönlichkeit  des  Menschen  zersetzte,  der  den  Vorliang  zer- 
ris«  und  zeigte,  dass  hinter  den  religiösen  Vorstellungen  nichts 
sei,  als  eine  grenzenlose  Leere.  Ein  solcher  Pantheismus,  dem 
Atheismus  gleichwerthig,  konnte  durchaus  nicht  der  Stimmung 
eines  Volkes  entsprechen,  in  welchem  fenrige  llof&mngen  auf 
die  Zukunft  und  Leiden  in  der  Gegenwart  das  religiöse  Gefühl 
nicht  abstumpften ,  sondern  weckten  und  es  nöthigten ,  seine 
Stutze  in  der  Gottheit  zu  suchen.  Schou  im  Jahre  1836 
schrieb  Krasinski  (Kronika  rodz.  1875,  S.  35):  „Der  Pantheis- 
mus Sptnoza's  ist  identisch  mit  Atheismus:  die  Seele  des  In- 
dividuums wird  zu  einer  Art  Elektricität.  Ks  gibt  nur  eine 
Kwigkeit  der  Kraft,  keine  Ewigkeit  der  Idee.  Indien  ist  schon 
fiUOO  Jahre  vor  dem  Juden  Spinoza   im  Denken  zu  solchen  ver- 


'  „6«te  für  mich,  dasg  miob  nicht  dai  ewige  Leid  um  Dioh  in  die 
UÖUe  reiaae.  Bete,  dtiiB  icb  bei  Gott  im  Himmel  nach  Aeonen  ii^eitd 
«inmal  Dir  b^^ne." 

'  Job.  Gnatüwalti,  Moja  Beatrice  (in  Miwa  1879,  Nr.  119  u.  120). 


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3fi8  Vierten  Kapitel.    Dia  Polen. 

zweifelten  Extremen  gelangt."  Die  logischen  Conseqnenzen  Spi- 
iinza's  nnd  die  Prämisse  der  Hegerschen  Philosophie  schreckten 
sowol  Kmsii'ieki  als  dessen  Landslcute  ab,  sie  schraken  vor  Atm 
l'antheistmns  zurück,  sei  es  dem  strengen  Spinozas,  sei  es  dem 
goldverhrämten  Schelling's  und  Hegel's  {Briefe  an  Jaroszji'iski, 
S.  30).  Diejenigen,  -welche  sich  auf  den  Fusstapfen  Hegel's  in 
die  Schluchten  der  Metaphysik  versenkten,  beunruhigte  der  Ge- 
danke, dass  das  Leben  voller  und  breiter  sei,  als  die  philosn- 
pliische  Idee,  dass  die  Seele  kein  blosser  philosophirender  Ver- 
Htand  sei,  dass  die  Einseitigkeit  der  Deutschen,  welche  die 
Philosophie  zur  reinen  Negation  führten ,  aus  dern  ProteBtnn- 
tismuR  derselben  hervorgehe;  sie  meinten,  es  könne  eine  beson- 
dere Philosophie  geschaffen  werden  —  eine  slavische,  welrhe 
den  romanischen  Empirismus  mit  dem  germanischen  Idealismus 
versöhnen,  und,  indem  sie  Hegel  und  dessen  dialektische  Mo- 
thode  der  dreistufigen  Evolution  des  Gedankens  zum  Ausgangs- 
punkt nähme,  die  Persönlichkeit  Gottes,  die  Unsterblichkeit  der 
Seele  beweisen,  den  Willen  hervortreten  lassen  und  ihm  die  oberste 
Bedeutung  geben  werde,  indem  sie  ihn  zwischen  Gefühl  und  Ge- 
danken stellte;  sie  meinten,  dass  wir  einer  neuen  Periode  des 
Seins  entgegengehen,  in  welcher  die  slavischen  Völker  mit  Polen 
an  der  Spitze  die  Hauptrolle  spielen  würden,  dem  Reiche  des  hei- 
ligen Geistes,  des  Parakleten.  Diese  Ideen  wurden  mit  beson- 
derm  Talent  und  Kraft  ausgesprochen  von  einem  Jugendfreunde 
KraeiAski's,  August  Cieszkowski  (geboren  1814),  in  dem  Buche 
„Prolegomena  zur  Historiosophie"  (Berlin  1838),  das  einen  ge- 
waltigen Eindruck  auf  Krasinski  machte  (Briefe  an  Jaroszyüski, 
S,  47),  und  sich  unzweifelhaft  in  den  Visionen  von  der  in  Trüm- 
mer fallenden  Kirche  des  heiligen  Petrus  im  dritten  Gedanken 
des  „Ligenza"  wiederspiegelt.  Die  Ausbildung  der  Hegerschen 
Philosophie  in  dieser  Sichtung  lag  damals  im  Geiste  der  Zeit. 
Ausser  Cieszkowski  gingen  auf  demselben  Wege  drei  Denker 
von  nicht  geringer  Befähigung:  Karl  Liebelt  (1807—1875). 
Bronistaw  Trentowski  (1807—1869)  und  Josef  Kremer  (180G 
— 1875).^    Neben  Cieszkowski  übte  auf  Krasiliski   noch   einen 


'  Uinittäiiil liehe  Nurhrinhlen  iiher  tlie  Si-hiukgale  der  Ilegersi-hpii  Philo- 
Hi>|)hin  iu  Polen  knnn  man  mis  ilm-  Ah)inn<llunf;  F.  KrupiiiHki'H  xchüpfeii 
„t'iloziiria  w  l'iilscc".  Bin  Rciln^ü  zu  der  18l!2  lu  WarBcha«  heniuBiieiEeWiM'ii 
IJelirriiptzuntf  *'""  Süliwejtler'R  „Gedchichtc  ilpr  Pliilofinpliir". 


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SiKismund  EraainBki.  369 

KnflnsB  ans  sein  Freund,  der  Musiker  Constantin  Danielewicz, 
tor  dessen  „bronzenem  Verstände"  sich  Erasii'iski  beugte,  und 
den  er,  nachdem  er  ihn  in  München  begraben  (er  starb  27.  März 
lfH2),  bitter  beweinte',  indem  er  ihm  das  Beste  zuschrieb,  was 
sich  in  seinen  Werken  findet.  Der  Dichter  der  Zukunft  ging 
natoTgemäss  Hand  in  Hand  mit  den  Philosophen  der  Zukunft, 
die  diese  mittels  Formeln  von  der  Schärfe  geometrischer  Lehr- 
sätze deducirten.  Nachdem  er  nicht  lange  vorher  begonnen 
in  Versen  zu  schreiben,  fing  Krasiüski  jetzt  an  philosophische 
Theorien  in  Verse  zu  kleiden^,  was  freilich  den  Werth  seiner 
Werke  nicht  erhöhen  konnte,  da  die  philosophische  Idee 
besser  und  genauer  durch  die  ti-ockene  Formel,  als  durch  die 
dichterische  Phrase  oder  den  Vers  wiedergegeben  wird.  Er 
war  Denker,  aber  zugleich  auch  Dichter.  Von  seinem  persön- 
lichen Standpunkt  aus  ist  das  Philosophiren  die  Blüte,  die 
dem  Herzen  entwächst:  „ohne  diesen  belebenden  Thau  (des 
Herzens),  verdorrt  es"  ....  „Wenn  mich  irgendetwas  ret- 
W,  schrieb  er,  „so  ist  es  vielleicht  der  Umstand,  dass  das 
Cefühl  der  Schönheit  unauslöschlich  in  der  Tiefe  meiner  Seele 
wohnt.  Ich  verstehe  auch  das  G^te  nur  in  ästhetischer  Form" 
(Briefe  an  Jaroszyiiski,  S.  19,  29).  Diese  seltene  Vereinigung 
zweier  Eigenschaften  in  einer  Person  gab  Krasinski  die  Möglich- 
Iceit,  eine  besondere  Stellung  zur  nationalen  Frage  einzuneh- 
men und  sie  mit  einem  so  hohen  Verständniss  der  Geschichte 
der  Menschheit  wie  der  Schicksale  seines  eigenen  Volkes  zu 
lösen,  dass  ihn  das  begeisterte  Lied,  welches  er  anstimmte,  auf 


'  Kronika  rodz.,  S.  M  (Freibarg  1874).  „Er  war  ffir  micli  die  Kraft, 
dk  mir  Verstand  gali,  weil  er  tnioh  mit  der  Ueisaet  der  ewigen  Wahrheit 
trieb.  Er  verstand  ea,  mein  Herz  weit  höher  ala  das  Leiden  auf  die 
Sl^eslöue  der  Martern  zu  stiramen."  .  ,  ,  Danielewicz  kannte  die  Syateme 
SehelliDg'B  und  Hegel's  vorzüglich.  Im  „Unvollendeten  Gedicht"  ist  er 
nuter  dem  Namen  Alighieri,  d.  i.  Dante,  vorgeführt. 

'  Dahin  gehört  „Der  Sohn  der  Schatten",  —  der  erste  GeUanlte  „Li- 
KPUiaVnndderPaalm  „DerQlauhe",  der folgendermassen  beginnt:  „Körper 
■■»i  ßeist  «ind  zwei  Flügel,  mit  denen  mein  Geist  in  aeinem  fortaohreiten- 
den  Finge  die  Schranken  der  Zeit  und  des  Raumes  zertheilt;  wenn  sie 
auth  Handerle  von  Momenten  und  Versueheu  abgenutzt  werden,  so  fallen 
■>«  ab,  »her  jener  stirbt  nicht,  obgleich  dies  bei  den  Menschen  Tod  genannt 
wiri.'-  Die  drei  Hypostasen  der  Dreieinigkeit  werden  weiter  unten  als  die 
'"*'  Kategorien  des  Seins,  des  Denkens  und  des  Lebens  prklärt. 


370  Viartes  Kapitel.    Die  Polen. 

einmal  beliebt,  bekannt  und  einäussreich  macbte,  ihn  Mickie- 
wicz  und  Siovacki  ebenbürtig  an  die  Seite  stellte.  Wenn  er 
Urnen  an  Kraft  de&  poetiaehen  Talents  nachstand,  so  übertraf 
er  sie  dadurch,  dass  er  wie  eine  schneebedeckte  Alpenhöhe 
erscheint,  geröthet  von  den  ersten  Strahlen  der  aufgehenden 
MoTgenröthe,  während  noch  rundumher  alles  mit  der  dichtesten 
Finstemiss  der  Nacht  bedeckt  ist.  Auf  alle  seine  Zeitgenossen 
wirkte  der  für  sie  TerhängnissTolle  Zwang  zur  Unthätigkeit 
niederdrückend;  in  Gram  darüber  versunken,  stifteten  die  bes- 
sern Leute  entweder  wahnsinnige  Unternehmungen  an  oder 
verfielen  in  den  Myatioismus  und  folgten  den  Irrlichtem  dei 
wildesten  Pfaantaaian,  in  der  Meinung,  darin  das  Heil  zu 
finden.  Die  Beziehung  Krasinski'fi  zu  den  unterirdischen  Ar- 
beiten der  Rerolutionäre  konnte  nur  eine  negirende  sein.  Was 
die  betrübenden  Erscheinungen  des  Mysticismus  betrifft,  so  war 
er  der  Meinung,  dass  dies  ein  gefährlicher  Seelenzustand  so, 
aus  dem  sich  im  allgemeinen  Charlatanerie,  in  der  Religion 
Heuchelei,  in  der  Poesie  Uebertreibung  und  Geisteaverfinst«- 
rung,  im  praktischen  Leben  Gemeinheit  und  Verbrechen  ent- 
wickeln. Den  Erfolg  Towiaüski's  erklärt  er  als  das  Erschei- 
nea  eines  Seegangs  vor  dem  Sturme,  und  die  selige  Za- 
friedenheit  seiner  Adepten,  die  weder  auf  einem  gründlichen 
VernunftfichluBs  noch  auf  irgendeiner  ezacten  Kenntnies  be- 
ruhe, galt  ihm  für  eine  Art  Gefiihlstrunkenheit,  in  welche  sie 
durch  den  Magnetieeur  Towiafiski  versetzt  wären  (Krasifiski'E 
Briefe,  135,  136).  Allein  die  Tbatsache  der  Bildung  der  „Sekte'' 
konnte  auch  auf  Erasiiiski  unmöglich  ohne  Wirkung  bleiben, 
da  sie  ihn  nöthigte,  sich  in  sich  selbst  zu  vertiefen,  and  die 
Grundlagen  jenes  vernünftigen  Glaubens  in  die  Zukunft  zu  fin- 
den, der  als  Unterpfand  der  Erlösung  des  Volkes  dienen  sollte. 
Mit  diesen  Gedanken  trägt  er  aich  in  den  Jahren  1841  und  1842. 
Er  berichtet  im  Januar  1842  (Frzegl^d  polski  1877,  Januar, 
S.  107),  dass  sein  Glaube  positiver  werde.  Im  December  1841 
schreibt  er  (ebenda,  S.  106):  „Glaube  nicht,  dass  auf  mich 
Mickiewicz  oder  Towiafiski  eingewirkt  haben:  das  ist  die  vollen- 
detste Narrheit.  Nein,  die  Analogie  unserer  Welt  mit  der  rö- 
mischen vor  Christus,  mein  eigenes  Gefühl,  die  gegenvrärtige 
Lage  der  Dinge  nötbigen  mich  zu  glauben  und  zu  hoffen." 
Im  Frühling  1842  zu  Nizza  schreibt  er  acbnell  in  einem  Auf- 
schwung   starker  Begeisterung  die    lyrische  Dichtung    „Pned- 

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Sigiflmnnd  KrasiAski.  371 

iwit",  die  dann  im  März  1843  nach  Rom  an  Konstantin  Ga- 
iiynski  gesandt  wurde,  um  unter  dessen  Namen  gedruckt  zu 
werden.  Es  lässt  eich  nicht  verkennen,  dass  der  Zahn  der 
Zeit  schon  an  dieser  Dichtung  genagt  hat,  in  ihr  erscheint 
jetzt  vieles  als  unzeitgemäse ,  überlebt.  Das  Schicksal  ver- 
senkte Krasiiiski,  obgleich  er  kein  Emigrant  war,  doch  in  den 
Strom  derjenigen  Bewegung  des  polnischen  Lebens,  die  sich 
ima.h  nach  dem  Westen  Europas  richtete,  und  deren  Vertreterin 
die  Emigration  war.  Krasii'iski  ist  noch  Tollständig  Messianist, 
entwickelt,  ohne  es  selbst  zu  wissen,  die  Ideen  Vespasian 
Kochowski's  und  anderer  mit  Einschluss  von  Brodziäski  und 
Uickiewicz,  die  ihr  leidendes  Volk  zu  der  Würde  eines  Mes- 
sitB  erhohen  und  diesem  Volke  die  Hauptrolle  und  die  Führer- 
sehaft  unter  allen  übrigen  Nationen  verliehen.  Die  wahren  Ur- 
^en  von  Polens  Untergang  empfindet  Krasiiiski  noch  nicht, 
nnd  so  erscheint  ihm  die  Vergangenheit  mit  ihren  aristokrati- 
Kfaen  Traditionen  der  persünlicben  Würde  und  Freiheit  in  der 
Verklärung.  Als  echter  Aristokrat  siebt  er  nur  das  Gute  in 
iet  ruhmvollen  Vorfahren,  welche  die  Leuchte  idealer  Bestre- 
bangen  hochhielten,  die  sich  in  der  Vergangenheit  nicht  reali- 
ärten,  aber  in  der  Zukunft  realisirt  werden;  endlich  stellte 
er  als  Ziel  seines  Strebens  die  Restauration  hin.  Der  ge- 
waltige Unterschied  zwischen  ihm  und  seinen  Zeitgenossen  be- 
steht aber  darin,  dass  er  die  Bedingungen  der  Möglichkeit  und 
der  Unmöglichkeit  in  Rechnung  zog,  dass  er  die  Restauration 
ia  eine  unermessliche  und  unbestimmte  Ferne  rückte,  dass 
ir  forderte,  diesem  in  unermesslicher  Ferne  in  überirdischem 
(ilanze  prangenden  reinen  Ziele  müssten  auch  anbedingt  reine 
Mittel  entsprechen,  seine  Landsleute  müssten,  im  Fortschrei- 
ten auf  den  endlosen  Stufen  der  riesigen  Leiter,  sich  von 
allen  Gefühlen  losmachen,  die  unchristlich  zu  nennen  wären, 
von  Hass,  Eigennutz,  Bosheit.'  Das  Vorwort,  welches  dem 
Oedicbt  vorausgeschickt  ist,  dient  ihm  als  Gommentar;  es  ba- 
äirt  auf  der  Aualogie  unserer  Welt  mit  der   römischen:    die- 


'  Siehe  Krasiiuki'a  Briefe,  S.  19&,  Brief  ans  München  1841 :  „Wir  muBsen 
edel,  aristokratiach  in  den  Himmel  (in  die  Zukunft)  eingehen,  indem 
■ir  den  Wappenstempel  der  Geschichte  dps  menschlichen  Geschlechts,  die 
Spar  ewig  denkwürdiger  Leiden  und  Mühen  wer  weiss  wie  vieler  Zehn- 
twuende  von  Jahren  oder  Jahrhunderten  auf  uns  tragen." 

24* 

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372  Viertes  Eapit«!.    Die  Polen. 

selbe  Selbstsucht  der  MenBchen,  die  an  nichts  mebr  glauben, 
dieselbe  bobe  Vollendung  der  Formen  der  CivilisatioD ,  die- 
selbe mäcbtige  Vereinigung  der  materielleD  Interessen  in  der 
Form  von  Kolosaalstaaten,  zu  eben  derselben  Zeit,  wo  auf 
dem  Gebiete  der  GlaubensTorstellungen  alles  zerbröckelt  and 
in  Staub  zerrieben  ist;  dort  wie  hier  sind  zwei  riesige  In- 
camationen  der  materiellen  Kraft:  die  eine  in  der  Gestalt 
Cäsar's,  die  andere  in  der  Person  Napoleon's.  Cäsar  war  nur 
der  Vorläufer,  der  Petrus  und  Paulus '  den  Weg  bahnte,  die 
Ausbreitung  des  Cbristenthoms  erleichterte.  Napoleon  ist  ein 
ebensolcher  Vorläufer  einer  neuen  Offenbarung,  und  zwar,  in 
dem  Sinne,  dass  er  durch  seine  Kriege,  durch  seine  Umgestal- 
tungen der  Karte  Europas  das  nationale  BewusstBein  in  den 
europäischen  Völkerschaften  weckte.  Die  künstlichen  Staatsge- 
bäude werden  stürzen,  die  Menschheit  wird  in  einer  neuen  Ge- 
stalt erscheinen  als  eine  Gesammtheit  miteinander  Terhundeno 
Nationalitäten.  Das  Christenthum  hat  die  Mission,  nachdem  es 
die  einzelnen  Seelen  christlich  gemacht,  das  Gebiet  der  Politik  ttnd 
der  internationalen  Beziehungen  zu  reformiren.  Es  Tereinigten 
sich  sonach  die  religiös-philosophischen  Ideen  mit  der  Theorie 
der  Nationalitäten,  deren  Kolle  eine  grosse  war  in  den  heran- 
nahenden Wirren  des  Jahres  1848,  in  der  Einigung  Italiens, 
Deutschlands,  und  in  andern  Bewegungen  der  Zukunft.  Mit  der 
Erwartung  eines  Aufechwungs  der  Nationalitäten  verknüpllen 
sich  die  Hoffnungen  des  Patrioten,  „der  wie  Dante  bei  Leb- 
zeiten durch  die  Hölle  ging".  Es  begleitet  ihn  auf  Schritt 
und  Tritt  die  „Schwester",  seine  Beatrice,  welche  mit  ihm  die 
Domenkrone  theilt.  Sie  verbringen  zu  zweien  in  einem  Kahn, 
auf  einem  der  Seen  des  nördlichen  Italiens,  die  Nacht  in  Er- 
wartung der  Dämmerung.  In  dunkeln  Wolken  schweben  die 
Geister  der  Vater  vorüber.  Der  Nachkomme  fleht  sie  anf 
den  Knien  an,  d&ss  sie  ihm  erklären,  warum  sie  so  unsinnig 
ihr  Leben  vergeudet  und  den  Kindern  zum  Erbe  nur  ein  ge- 
waltiges Grab  hinterlassen  hätten.  Zur  Antwort  schickt  sich  der 
Hetman  Czarniecki  an;  sie  lautet  ziemlich  sonderbar:  „Suche 
die  Schuld  nicht  bei  den  Vorfahren,  verspotte  sie  nicht — wenn 
sie  auf  den  Wegen  der  andern  Völker  gegangen  wären,  so  wäret 
ihr  ebenso  selbstsuchtig  wie  die  Völker,  die  ftir  kräftig  nnd 
ruhmvoll  gelten."  Die  Vorfahren  hätten  Polen  nicht  vernich- 
tet, sie  hätten  nur  ein  Ideal  in  sich  getragen,  das  damals  nicht 

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SigiBmund  Erasineki.  373 

reftÜEirbar  war,  aber  die  Aufgabe  der  Zukunft  bilde.  Die 
Sdiatten  Terechwindeii,  es  wird  Tag,  in  der  ganzen  feurigen 
Schönheit  der  aufgebenden  Sonne  erscheint  die  Vision  der 
Zukauft,  begrüsst  durcb  Hymnen  der  erhabensten  Lyrik.  Diese 
Zukonft  ist  eine  freie,  unblutige,  sie  bringt  die  Erhebung  der 
todten  Massen  des  Volks  zu  den  Höhen  des  Bewusstseins, 
Dke  Strafen  und  Hinrichtungen  nöthig  zu  haben,  die'Gleich- 
Etellang  des  Weibes  mit  dem  Manne  in  Würde  nnd  Rechten. 
Der  Dichter  bekennt,  dass  nur  dasjenige  Gebet  gut  sei,  das 
mit  einem  Hymnus  beginne,  aber  mit  der  That  und  mit  der 
Schaffung  einer  Wirklichkeit  um  sich  her  Echliesse,  die  an 
Sdionheit  dem  Ideal  gleiche.  Er  überlässt  es  unschuldigen 
Kindern,  nach  ihm  zu  singen;  er  selbst  aber  nimmt  Abschied 
Ton  dem  Worte,  und  indem  er  die  Harfe  wegstösst,  um  sie  nie 
wieder  in  die  Hand  zu  nehmen,  schliesst  er:  „Gehet  unter  meine 
Lieder,  stehet  auf  meine  Thatenl" 

Das  Verdict,  mit  dem  Krasidski  seine  Poesie  belegte,  konnte 
in  ihm  nicht  streng  gehalten  werden.  Die  Nothwendigkeit 
mug  ihn,  an  den  praktischen  Fragen  des  Tages  theilzunehmen 
und  zu  suchen,  auf  die  Zeitgenossen  einzuwirken  —  durch  das 
«inzige  Werkzeug,  das  ihm  zur  Verfügung  stand,  durch  das 
Ijedicbt,  aber  durch  ein  Gedicht,  das  nicht  der  Schönheit 
gewidmet  war,  sondern  dem  directen  Ziel,  seine  Landsleute 
ZQ  warnen  und  von  dem  unvernünftigsten  Beginnen  zurückzu- 
halten, das  sie  jemals  unternommen  hatten.  Die  TJnthätigkeit 
var  der  Emigration  unerträglich  geworden;  sie  stürzte  in  eine 
Katastrophe,  indem  sie  der  revolutionären  Bewegung  von  Ge- 
i^ammteuropa  zi^vorkam,  deren  Anzeichen  mit  jedem  Tag  be- 
merklicher  wurden.  Selbst  der  Towianismus  war  ein  Symp- 
tom des  ausbrechenden  Gewitterstarmes,  auf  die  Mystik  warfen 
sich  die  einen,  auf  Wühlereien  und  Verschwörungen  die  andern ; 
nnter  der  grossen  Menge  der  Parteien  in  der  Emigration  erlangte 
ein  entschiedenes  Uebergewioht  die  revolutionär-demokratische^ 
oder  die  sogenannte  Centralisation  (die  Centren  der  Organi- 
sation waren  Poitiers  und  Versailles),  die  sich  (1844 — 1845)  einen 
Aufstand  in  allen  Gebieten  des  ehemaligen  Polens,  von  seinen 
österreichischen  und  preussischen  Thoilen  angefangen,  zur  Auf- 
gabe machte.  Das  Volk  hoffte  mau  mit  dem  Köder  der  Land- 
vertheilung  zu  insurgiren;  der  politische  Umschwung  sollte  mittels 
des  socialen  verwirklicht  werden,  d.  i.  durch  Abhauen  der  obern 

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374       ■  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Culturscbicht  der  GeselUcIiaft ,  aller  GutEbesitzer ,  der  ganzen 
Szlachta  —  so  ganz  hatteo  eich  die  Propagandisten  in  die 
Beden  des  Pancratius  der  „  Ungöttliehen  Komödie"  eingeleGeo. 
Die  Propaganda  hatte  ihre  eigene  Presse,  in  der  sich  durch 
Bissigkeit  und  durch  Besudelung  alles  Vergangenen  durchweg 
die  Broschüren  unter  dem  Namen  Prawdowski  auszeicbneten 
(„Prawdy  Äywotne"  —  „Lebenswahrheiten",  Brüssel  1844;  „Ka- 
techism  demokratyczny"  —  „Demokratischer  EatechiBmus", 
Paris  1845),  deren  wirklicher  Verfasser  Heinrich  Kamienski 
war.  Die  typhösen  Miasmen  dieser  Propaganda  inficirten  die 
Luft,  sie  wirkten  sogar  anf  Leute,  welche  durchaus  nicht 
an  den  Wühlereien  der  ,,Centra)isation"  theilnahmen,  aber 
wenig  politische  Bildung  besassen,  z.  B.  Slowacki,  dem  bei 
seiner  lebhaften  Phantasie  und  seinem  revolutionären  Tempe- 
rament der  Process  der  Revolution  schon  an  sich  gefiel,  wie 
die  schöne  Glut  einer  Feuersbrunst,  und  der  nichts  Wunde- 
bares  darin  fand,  dass  Sensen,  auf  Schäfte  gesteckt,  erscheinen 
nnd  der  Klang  des  Liedes  ertöne,  am  die  Jerichomauern  der 
gegenwärtigen  Staaten  zu  stürzen.  —  Eine  ganz  entgegengesetzte 
Wirkung  musste  dieselbe  Propaganda  auf  Krasiäski  ausüben, 
der  den  Herbst  1844  in  Warschau  zubrachte,  und  bei  dem 
sich  irgendein  Apostel  oder  Emissär  einfand,  mit  der  Anforde- 
rung, in  eine  geheime  Gesellschaft  einzutreten,  die  eine  Re- 
volution mit  der  Vernichtung  der  Szlachta  zum  Zweck  hatte. 
Der  Charakter  der  politischen  Ueberzeugungen  Krasiüski's  war 
schon  seit  lange  her  vollkommen  bestimmt.  Seine  Sinnesart 
blieb  in  dieser  Hinsicht  unverändert.  Folgendes  schrieb  er  schon 
im  Jahre  1837  (Krasinski's  Briefe,  S.  37):  „Dem  Adel  ist  Kraft 
eigen,  Stahlhärte,  das,  was  das  ritterliche  Element  im  Volke 
ausmacht.  —  Heldenmutb  findest  du  nicht  bei  Juristen,  Kauf- 
leuten und  Arbeitern,  sondern  nur  beim  Adel  und  dem  niedern 
Volk  (den  Bauern)  —  das  ist  der  Grund,  warum  zu  allen  Zeiten 
der  Adel  vom  Pfluge  und  vom  Acker  herkam,  aber  nicht  vom 
Strassenpflaster  und  vom  Biemen.  Im  einfachen  Bäuerlein  liegt 
der  Keim  alles  Grossen.  Dieser  Keim  wird,  wenn  er  von  den 
erdigen  Bestandtheilen  gesäubert  ist,  aber  die  Härte  und  den 
Glanz  des  Eisens  bewahrt  bat,  Adel  gesannt.  In  ihm  ist 
Poesie.  Ist  es  möglich  eine  Dichtung  über  den  Kramet  zu  schrei- 
ben? nein,  nur  etwa  eine  Komödie  oder  eine  Posse."  KrasiAski 
begriff  sofort,  dass  man  ihm  einen  Anschlag  auf  nationalen  Selbst* 

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Julius  Stowsoki.    SigiBmund  KntBiüeki.  375 

fflord  Torscblug.  Eben  damals  wurden  von  ihm  die  ),Drei  Fsal- 
men"  (des  GlaubenB,  der  HofToung,  der  Liebe)  geschrieben,  welche 
1845  zu  Paris  unter  dem  Feeadonym  Spiridion  Frawdxicki 
erschienen,  und  von  denen  der  letzte,  d.  i.  der  „Psalm  der 
Liebe",  eine  besondere  wichtige  Bedeutung  hatte.  Krasifiski 
stellte  die  Frage  weniger  scharf  als  im  „Frzedswit",  leugnete 
die  biBtorischen  Sunden  nicht,  die  auf  seinem  Volke  lagen,  aber 
behauptete,  BlutvergieBsen  sei  Kinderei  und  Unverstand,  und 
rietb  die  „Hajdamaken- Messer"  wegzuwerfen. 

Als  sich  somit  der  eine  der  prophetischen  Sänger  im  Geiste 
Christi  als  GouserratiTer  der  Strömung  entgegenwarf,  die  ihm 
Dicht  ohne  Grund  für  TerderbUcb  und  Terhängnissvoll  galt,  ging 
dem  andern,  der,  ebenfalls  im  Geiste  Christi,  ein  Mystiker  and 
BeTolutionär  war,  die  Geduld  aus,  und  er  setzte  ein  Gedicht 
in  Umlauf,  dazu  bestimmt,  die  Leidenschaften  zu  entflam- 
men und  jede  Zuriickbaltang,  jede  Verständigkeit  zu  verspotten. 
Slowacki  hatte  sich  nie  Menschen,  sondern  nur  Phantasien 
hiiigegeben,  mit  Krasinski  brachte  ihn  der  Towianiemus  aus- 
anander.  Bald  darauf  erkaltete  er  noch  mehr  gegen  den  Freund, 
infolge  der  aristokratischen  HeiraÜi  Krasiäski's  auf  Andringen 
seines  Vaters  und  gegen  die  Herzemneigung  zu  einem  Weibe, 
das  er  im  „Przedöwit"  so  hoch  erhoben  hatte.  Im  „Przedäwit" 
selbst  gab  es  unzweifelhaft  Stellen  voll  Ehrfurcht  gegen  die 
Ahnen,  welche  Slowacki  durchaus  reizen  mnssten.  Ein  inter- 
essantes Beispiel  des  aufgehäuften  Mismuths  hat  sich  in  dem 
poBthumen  Drama  Siowacki's  „Niepoprawni"  („Die  Unverbes- 
serUchen",  III,  97 — 193)  erhalten,  einem  sehr  sonderbaren  Werke, 
in  welchem  ein  russischer  Major  tscherkessischer  Herkunft, 
Vladimir  Gavrilovic,  eine  glänzende  Rolle  spielt,  eine  unan- 
sehnliche die  podolischen  Gutsbesitzer,  in  deren  Häusern  der 
reiche  Graf  Pbantasius  Dafiiicki  eine  Partie  zu  machen  sucht, 
dem  wie  ein  Schatten  die  von  ihrem  Manne  geschiedene  sentimen- 
tale Gräfin  Idalia  folgt.  Da&icki  spricht  in  hohem  Stil,  jedes 
Wort  ist  eine  poetische  Figur  oder  Keminiscenz  an  Italien,  aA  Rom, 
ui  das  Colosseum,  er  nennt  sogar  auch  die  Gräfin  Idalia  —  seine 
Beatrice.  Das  ganze  Drmna  ist  nichts  weiter  als  die  in  Carri- 
catnr  dai^estellte  Beziehung  der  beiden  nahen  Bekannten  zu- 
einander. Aber  nicht  dies  brachte  den  Zwiespalt  hervor  und 
gab  Anläse  zu  einem  poetischen  Zweikampf.  Abgebrochen  wur- 
den die  frühern  Beziehungen  erst  durch  die    Verbreitung  des 


376  YierteB  Kapitel.    Die  Polen. 

Gedichts:  ,„Aa  den  Verfasser  der  drei  Psalmen."^  Auf 
die  zärtliche  Freundschaft  der  vergangenen  Jahre  ward  ein 
Kreuz  gesetzt,  von  den  giftigen  Pfeilen  des  Sarkasmus  der 
tliatenscbeue  „Sohn  des  Adels"  durchhohrt,  „der  prophetische 
Verse  wie  ein  Gespann  in  ehenmässigem  Trahe  ausgehen  liess, 
und  Christus  in  seinen  Wagen  setzte,  wie  Ovid  den  Phaeton" 
....  „Wer  hat  dich  mit  dem  Messer  hedroht?  Sind  Dir  viel- 
leicht die  Zaporoger  im  Traume  erschienen?  Vielleicht  ist  Licht 
durch  die  rothen  Gardinen  Deiner  Fenster  gedrungen,  und 
Dir  ist  es  Torgekommen,  wie  Blut,  sodass  Du  ausriefst:  mordet 
die  Szlachta  nicht.  Ich  hatte  die  Bescheidenheit,  keine  einzige 
Bewegung  zu  rerfluchen.  Glauhe  nicht,  dass  die  Idee  Gottes 
nur  in  Begleitung  von  Engeln  erscheine;  manchmal  läest  sie 
Gott  in  Blut  gehören  werden,  and  manchmal  schickt  er  sie 
durch  die  Mongolen."  Stowacki  verkündete  dem  hochgebornen 
Herrn,  der  Verse  schrieh  wie  Perlen,  dass  es  keine  Szlachta 
gäbe,  dass  sie  längst  {dahin  sei,  dass  er  Krasidski  für  einen 
tichädlichen  Hemmschuh,  für  eine  drückende  Form  halte,  die 
mau  zerbrechen  müsse.  .^ —  Eher,  als  man  erwarten  konnte, 
entschied  das  Schicksal,  welcher  von  den  beiden  Gegnern 
recht,  und  welcher  sich  schwer  geirrt  hatte  ...  Im  Februar 
1846  ward  die  Verschwörung  durch  die  preussische  Regierung 
durchkreuzt,  ehe  es  noch  zum  Ausbruch  kam;  in  Galizien 
führte  ein  Ausbruch  nur  dazu,  dass  die  von  den  Aufständi- 
schen entfesselte  elementare  Kraft  —  der  Bauer  —  der  Re- 
gierung half,  den  Aufstand  zu  unterdrücken:  die  dortigen  Guts- 
besitzer wurden  ermordet;  das  Blutbad,  das  sogar  nicht  einmal 
in  russinischen  Ortschaften  stattfand,  sondern  in  dem  dfirchaus 
von  Polen  bewohnten  Tarnow'schen  Kreise,  war  eine  drohende, 
wenn  auch  ganz  fruchtlose  Warnung  für  die  polnische  InteUi- 
genz,  dass  sie  sich  auf  falscher  Fährte  bewege.  Auch  die  ge- 
sammteuropäischen  Unruhen  im  Jahre  I84S  fielen  nicht  zum 
Vortheil  dieser  Intelligenz  aus.  Von  beiden  harten  Miserfolgeo 
liess  sich  niemand  zurückhalten  und  betehren.  Durch  die  vis 
inertiae  waren  von  jener  Zeit  an  bis  zur  definitiven  Katastrophe 
im    Jahre    1863    alle    praktischen    Anstrengungen    der    Nation 


'  Ee  wurde  gegen  den  WitlcD  dos  VerfasBCrs  und  mit  den  grölisUn 
Entstellungen  im  Jahi'c  1848  abgedruckt,  als  Stowacki  Bcbou  scbr  bcrcui 
bfttte,  es  verfiuBt  zu  haben. 


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JnliaB  Sownoki.    Sigismuntl  Kraiinski.  377 

juif  die  Restauration  gerichtet,  die  mit  jedem  Jahr  unmög- 
licher wnrde,  wobei  dieser  Bewegung  die  scliarf  revolutionäre 
Literatur  der  Emigration  der  dreissiger  und  vieringer  Jahre  als 
Arsen&I  diente.  Aber  die  Koryphäen  dieser  Literatur  wurden 
nach  den  Ereignissen  von  1846  und  1848  hart,  unmittelbar  ins 
Herz  getroffen,  verloren  das  Vertrauen,  wurden  melancholisch, 
ond  stiegen,  mehr  den  Schatten  der  Vergangenheit  als  Menschen 
der  Gegenwart  gleichend,  wenig  bemerkt  ins  Grab  hinab.  Wir 
kennen  das  Ende  Mickiewicz',  es  erübrigt  noch  einiges  über  31o- 
wacki  und  Krasiüski  zu  sagen. 

Nach  den  Ereignissen  des  Jahres  1846  ward  ^owacki  sehr 
kleinmütbig,  empfand  Reue  und  schrieb  an  Erasii'iski  einen  Brief, 
worin  er  sich  zwar  nicht  direct  entschuldigt,  aber  doch  seine 
Handlungsweise  erklärt,  indem  er  sich  auf  die  zarten  Gefühle 
der  Liebe  beruft  und  zum  wenigsten  Ächtung  vor  seiner  Person 
fordert  (Malecki  II,  312).  Der  Brief  athmete  Mysticismus,  wie 
»Ites,  was  seit  1842  aus  der  Feder  Slowacki's  hervorging.  Die 
Correspondeoz  mit  Krasiiiski  wurde  erneuert,  aber  die  Beziehun- 
gen waren  kalt,  nicht  herzlich,  wie  in  den  frühem  Jahren.  Im 
stärksten  Getümmel  der  Revolution  kam  ^owacki  auf  eine  Woche 
mit  seiner  Mutter  in  Breslau  zusammen  (im  Juni  1849),  kehrte 
nach  Frankreich  zurück,  ward  Anfang  1849  schwer  krank  und 
verschied  zu  Paris  am  3.  April  desselben  Jahres  in  den  Armen 
eines  Freundes  seiner  letzten  Tage,  Felix  Felinski  (Sohn  von 
iloysius  F.;  damals  noch  Student),  der  später  Erzbischof  von 
Warschau  wurde.  In  seiner  letzten  Zeit  war  Slowacki  fast  nicht 
wieder  zu  erkennen:  die  frühere  Eigenliebe  und  der  Stolz  hatten 
ihn  verlassen,  er  ward  ausserordentlich  still  und  bescheiden, 
der  hohe  Flug  der  Gedanken  wich  andern  Phantasien,  die 
einen  dem  Dichter  bisher  ft-emdeu  Stempel  eines  praktischen 
Realismus,  der  Sorge  um  die  Armen  und  die  Bauern,  um  deren 
Befreiung  und  um  die  Aufhebung  des  Frohndienstes  trugen. 
Er  schämte  sich  seiner  jugendlichen  „byrou'schen  Melancholie". 
In  seineu  Papieren  ist  ein  poetisches  Testament  hinterblieben, 
das  beste  Portrait  seines  Lebens  und  seines  Charakters.  Wir 
entnehmen  daraus  die  folgenden  Stellen : 

„Ich  habe  mit  Euch  gelebt,  gelitten  und  geweint;  niemals 
war  ich  gegen  das  Edle  gleichgültig.  Jetzt  verlasse  ich  Euch 
nnd  gehe  in  die  Finsterniss  mit  den  Geistern,  gehe  betrübt  fort, 
als  wenn  ee  hier  auf  Erden  überhaupt  ein  Glück  gäbe. 

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378  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

„Ich  habe  keinen  Erben  hinterlassen  weder  meines  Namens 
noch  meiner  Laute.  Mein  Name  ist  wie  ein  Blitz  vergangen 
und  wird  als  leerer  Schall  durch  die  Geschlechter  gehen. 

„Aher  ihr,  die  ihr  mich  gekannt  habt,  berichtet,  dass  ich 
dem  Vaterlande  meine  jungen  Jahre  gewidmet  habe,  dass  icb, 
bis  das  Schiff  zerschellte,  auf  dem  Mäste  sass,  und  als  es  sank, 
auch  ich  im  Wasser  untei^ng  mit  dem  Schiffe. 

„Einst  wird  jeder  edle  Mensch,  wenn  er  über  das  traurige 
Schicksal  meines  Vaterlandes  nachdenkt,  bekennen  müssen,  dass 
der  Mantel,  den  mein  Geist  trug,  nicht  angemalt  war,  sondern 
in  der  Schönheit  meiner  frähen  Vorfahren  gUinzte. 

„Ich  beschwöre  Euch,  dass  die  Lebenden  nicht  die  Hoffnung 
verlieren,  dass  sie  vor  dem  Volke  die  Fackel  der  Aufklärung 
tragen  und,  wenn  nöthig,  in  den  Tod  gehen  der  Reihe  nacb, 
wie  Steine,  die  von  Gott  zum  Aufbau  einer  Festung  hingeworfen 
werden. 

„Was  mich  betrifft,  so  hinterlasse  ich  ein  kleines  Häuflein 
von  Menschen,  die  mein  stolzes  Herz  liebten,  tind  wussten,  dass 
ich  in  einem  schweren,  strengen  Dienste  Gottes  stand  und  mich 
dazu  entschlossen  habe,  ein  unbeweintes  Grab  zu  haben. 

„Welcher  andere  hätte  eingewilligt,  so  ohne  Beifall  zu  wan- 
deln, meine  Gleichgültigkeit  gegen  die  Welt  zu  haben,  der 
Steuermann  eines  Bootes  voller  Geister  zu  sein,  und  still  abzu- 
treten, wie  ein  entfliegender  Geist? 

„Aber  nach  mir  wird  die  verhängnissvolle  Kraft  bleiben, 
die  mir  bei  Lebzeiten  zu  nichts  taugte,  sondern  mich  nur 
BchmUckte;  aber  nach  meinem  Tode  wird  sie  Each  ansichtbar 
drücken,  bis  sie  Euch,  ihr  fruges  consnmere  nati,  in  Engel  ver- 
wandelt." 

Noch  trauriger,  länger  und  qualvoller  vrar  das  Lebens- 
ende von  StowBcki's  aristokratischem  Zeitgenossen,  Krasinski. 
Sein  schwacher  und  kranker  Organismus  hing  bedingungslos 
von  seelischen  Zustanden  ab;  —  nach  1848  entwickelten  sich  in 
ihm  alle  möglichen  Krankheiten:  Aneurismus,  Nervenzerrüttung, 
Augenleiden,  er  ergraute  und  war  schon  im  34.  Lebensjahre  fast 
ein  hinfälliger  Greis.  Die  letzten  Jahre  waren  die  hat  ununter- 
brochene Agonie  eines  schwer  sterbenden  Menschen.  Seine  auf- 
regenden Befürchtungen,  die  ihn  wie  ein  Alp  verfolgten,  vnirden 
von  der  Wirklichkeit  übertroffen.  Es  konnte  ihn  niemand  mehr 
beschuldigen,  als  habe  er  mit  seinem    süaslichen,  jenseits  der 

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SigiBmund  Kruinaki.  379 

Wolken  schwebenden  Idealismus  nur  den  Fharieäern  geholfen 
und  dag  Volk  im  Momente  des  Handelns  entkräftet,  indem  er  es 
m  einem  märtyrerhaften,  ergebenen,  unbeweglichen  Quietismus 
ermahnte.  Der  Sturm  der  Ereignisse  trug  alle  Ideale  mit  fort, 
die  nationalen  Bewegungen  verwickelten  sich  mit  den  socialen, 
alles  Dazwischenliegende  wurde  verwischt,  und  es  stiessen  in 
einem  wüthenden  Kampfe  zwei  bedjngungS'  und  schonungslose 
Kräfte  aufeinander:  die  weisse  Beaction  und  die  rothe  Revo- 
lution; die  letztere  war  KrasiAski  weit  verhasster  als  die  erstere. 
Das  glänzende  Gewand  des  künftigen  Vaterlandes  bescbmazten 
durch  TJnthaten  die  unsaubem  Hände  der  Anarchisten.  Im  Lärm 
der  Ereignisse  veraahm  der  Dichter  Töne  eines  satanischen  Lie- 
des, die  er  im  „Heutigen  Tage"  folgendermassen  wiedergibt: 
„Deine  Mutter  ist  das  Gespenst  der  gefallenen  Willkür  und  deine 
Brüder  der  Staub,  der  im  Grabe  modert.  Dein  Leben  verlief 
damit,  stolz  mit  dem  Tode  zu  ringen,  oder  leere  Thränen 
auf  dem  Acker  des  Nichts  zu  vergiessen.  Dein  Volk  ist  einem 
andern  zur  Speise  und  Erneuerung  des  Blutes  gegeben  worden. 
Das  Erbe  deiner  Vorfahren  hat  der  Feind  in  Tod  und  Moder 
Terwandelt;  er  wird  mit  diesem  Tode  sein  Leben  erneuem,  weil 
er  es  unternimmt,  die  Aufgabe  der  Zukunft  zu  lösen,  deren  Lo- 
sung Euch  nicht  vergönnt  war.  Er  wird  sie  zerhauen,  indem  er 
enre  Gebeine  mit  Füssen  tritt.  Schlafet  auf  ewig:  für  euch  ist 
die  Nacht  da,  für  ihn  der  Morgen."  —  „Es  hat  sich  auf  lange  um- 
wölkt", schrieb  er  1848  (Frzeg^d  Polski,  1877.  Januar,  S.  112), 
„wir  werden  das  Ende  nicht  sehen;  es  ist  nnbekannt,  wie  und 
durch  wessen  Hände  wir  untergehen  werden."  Nur  das  eine  ist 
für  ihn  klar,  dass  in  solchen  Stürmen,  wie  der  gegenwärtige, 
kein  einziger  Sophismus  bestehen,  und  der  Edelste  schliesslich 
den  Sieg  davontragen  wird.  Ohne  diesen  Glauben,  sagt  er,  würde 
ich  den  Geist  aufgeben  (S.  110).  Sich  selbst  charakterisirt  er 
mit  den  Worten:  speravit  contra  spem.  Zu  der  Februarrevolu- 
tion hatte  er  von  Anfang  bis  zu  Ende  kein  Vertrauen,  und  als 
Mickiewicz  im  Jahre  1848  nach  Rom  kam,  um  Legionen  zu  bilden, 
schrieb  Erasiäski :  „unser  frühere  Liebling  hat  mir  das  Herz  zer- 
schnitten und  die  Nerven  zerrüttet  während  zweier  Monate"; 
aber  als  Mickiewicz  starb,  da  beweint  ihn  Krasifiski:  „Er  war 
für  meine  Generation  Milch  und  Honig,  Galle  und  Blut.  Wir 
^d  alle  von  ihm.  Er  hat  uns  auf  der  hohen  Welle  der  Be- 
geisterung fortgerissen  und  in  die  Welt  geworfen.    Er  ist  ein« 

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380  Tiertoa  Kapitel.    Die  Folon. 

gevaltige  Säule,  wenn  anch  erschüttert"  (S.  113).  Obgleich  mit 
Stowacki  eine  Versöhnung  zu  Stande  gekommen  war,  erschien  doch 
im  Jahre  1848  der  „Psalm  der  Wehmuth"  („Psalm  2a1u")  mit 
einer  strengen  Widerlegung  der  Sophismen,  die  in  dem  Gedicht 
„An  den  Verfasser  der  drei  Psalmen"  enthalten  waren.  Wie  tief 
das  Herz  Erasinski's  durch  Stowacki  verletzt  war,  ist  daraus  zu 
ersehen,  dass  jener  nach  dem  Tode  des  letztern,  als  er  1850 — 51 
zu  Rom  das  „Unvollendete  Gedicht"  verfasste,  diesen  darin  unter 
dem  Namen  Julinicz  aufführt,  in  der  Gestalt  eines  Propheten  der 
Demagogie,  im  Dienst  und  in  Missionen  bei  dem  ausgesprochenen 
Revolutionär  und  Gleichmacher  Pancratius.  Die  poetische  Kraft 
erschlaffte  in  Krasiiiski  —  und  hörte  nach  1851  fast  ganz 
auf.  Auf  den  ganzen  Rest  seines  Lebens  von  1846  bis  1859 
kommen  fünf  „  Psalmen"  ( Psalm  der  Wehmuth ;  „ Der  heu- 
tige Tag"  —  „Dzien  dzisiejszj";  „Die  Letzten"  —  „Ostatni"; 
„Resurrecturis";  „Der  Psalm  des  guten  Willens"  —  „Psalm 
dobrej  woli").  Tarnowski  gilt  der  „Psalm  dobrej  woli"  (1848) 
Jur  die  Krone  von  Krasiüski's  Poesie,  nicht  nur  für  sein 
bestes  Werk,  dem  sogar  „Przedäwit"  nachstehe,  sondern  auch  für 
das  letzte  Wort  der  grossen  Poesie  der  Polen  in  der  Periode 
ihrer  vollen  Blute,  die  1822  mit  „Gra2yna"  und  den  „Dziady" 
begann  und  1848  würdig  mit  dem  „Psalm  dobrej  woli" 
endete,  nach  26  Jahren,  von  denen  fast  jedes  durch  Werke  von 
hervorragender  Schönheit  bezeichnet  ist.  Krasifiski  kam  selten 
und  nur  bei  dringender  Nothwendigkeit  nach  Warschau  oder 
lebte  auf  den  Gütern  seines  Vaters  als  Gast,  gegen  seine  Frau  war 
er  ziemlich  gleichgültig,  die  Kinder  liebte  er  zärtlich.  Im  No- 
vember 18Ö8  starb  sein  Vater,  Vincenz,  dem  er  fast  in  nichts 
ähnelte,  weder  in  den  Ideen  noch  in  den  Gefühlen,  und  im 
Jahre  1869,  am  23.  Februar,  starb  zu  Paris  auch  Sigismund  Kra- 
sinski  selbst,  der  jüngste  und  letzte  der  drei  grossen  Sterne 
der  grossen  Periode.  Die  Trias  der  Dichter  war  von  einer 
Menge  Trabanten  und  kleinen  Sternen  der  Emigration  umgeben, 
die  vorher  zu  verzeichnen  sind,  ehe  wir  zu  der  unverfälscliten 
einheimischen  Literatur  der  dreissiger  and  vierziger  Jahre  über- 
gehen. 

Die  Haupttrabanten  der  drei  Heroen  der  polnischen  Literatur 
wurden  schon  genannt,  aber  noch  nicht  alle,  sodass  es  uöÜäf 
ist,  jenes  Verzeichniss  zu  vervollständigen. 


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Sigismimd  Eraiifiiki.  381 

Anton  Gorecki  (1787 — 1861),  Napoleonischer  Soldat  und 
einer  toh  den  mlnaer  „Szubrawcen",  Emigrant  seit  1831,  schrieb 
Fsbeln,  Epigramme,  kleine  Gedichte,  gehörte  mit  Mickiewicz  eine 
Zeit  lang  dem  Towianiemus  an,  kehrte  aber  bald  in  den  Schos  der 
Kirche  zurück  Der  Towianismus  war  die  Ursache  eines  Zvistes 
zirischen  Mickiewicz'  und  noch  einem  andern  seiner  Genossen  in 
der  Emigration,  Stephan  Witwicki  (1801 — 1847),  dem  Verfasser 
der  „Abende  des  Pilgers"  („Wieczory  pielgrzyma",  1837  nnd  1842) 
und  andrer  Erzählungen  und  Gedichte  in  romantischem  Geiste.  — 
Von  dem  noch  lebenden  fast  letztem  Jugendfreunde  Mickiewicz', 
Eduard  Anton  Odyniec,  war  schon  oben  die  Rede.  Er  war  aechs 
Jahre  jünger  als  Mickiewicz  (geb.  1804),  übersetzte  eine  Menge 
classischer  Werke  der  westeuropäischen  Literaturen,  gab  Zeitun- 
gen heraus,  versuchte  origin9,le  Dramen  zu  schreiben  („Felicita", 
1849;  „Barbara  RadziwiH",  1858,  und  „Georg  Lubomirski",  1861), 
ftber  mit  geringem  Erfolg;  dagegen  machte  er  sich  durch  die 
Heransgabe  seiner  „Reieebriefe"  („Listy  z  podroÄy",  Warschau 
1875 — 78)  sehr  verdient,  welche  über  die  geringsten  Umstände 
seines  Verkehrs  mit  Mickiewicz  in  Wilna,  Petersburg  und  im  Aus- 
lände bis  zum  Novemberaufstand  1830  berichten.  Leider  lässt 
sich  in  diesen  Briefen  dasjenige,  was  zur  Zeit  der  Reise  ge- 
schrieben wurde,  nicht  von  spätem  Einschiebungen  und  Zusätzen 
scheiden.  Odyniec  gab  von  1840  bis  Ende  1859  zu  Wilna  den 
ofGciellen  „Kuryer  wileüski"  heraus  und  liess  sich  seit  1865  in 
Warschau  nieder.  Als  Verehrer  von  Mickiewicz  stand  Odyniec 
gldchzeitig  in  den  engsten  freundschaftlichen  und  liteiariHcben 
Beziehungen  zu  dem  Romantiker  Julian  Koraak  (1807 — 1855) 
und  zu  Ignaz  Chod^ko  (1794—1861),  der  von  1840  an  einige 
Serien  „Litauischer  Bilder"  aus  der  alten  Zeit  Litauens  heraus- 
gab und  darin  die  Vergangenheit  im  Geiste  derjenigen  Schule 
Ton  Romanschreibem  idealisirte,  deren  Koryphäe  damals  Hein- 
rich Rzewnski  war.  Zu  der  Zahl  der  Freunde  und  Nachahmer 
voD  Mickiewicz  gehörte  auch  Alexander  Chodiko  (geb.  1804), 
der  seit  1859  den  Lehrstuhl  der  slavischen  Literaturen  am 
College  de  France  (nach  Cyprien  Robert)  inne  hat.  Mit  dem 
Nsmen  Sigismund  Exasiüski's  ist  der  Dichter  und  Novellist  Con- 
stantin  Gas^yüski  unzertrennlich  verbunden.  Von  den  ukrai- 
nischen Dichtem  lebten  in  der  Emigration,  ausser  Bohdnn 
Zaleski,  zwei:  der  eine,  ein  talentvoller  Lyriker  und  Epiker, 
Thomas  Olizarowski  (1811  —  79),  Verfasser  der  „Zawierucha" 


382  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

(„Der  SchneeBtnrm")  und  anderer  Werke,  von  denen  ein  Theil 
1852  herausgegeben  wurde  (in  Breslau,  in  3  Bänden),  die  übrigen 
aber  in  Handschrift  blieben;  der  andere  Michael  Czajkowski 
(geb.  1808),  der  später  den  Islam  und  den  Namen  Sadyk-Paacha 
annahm,  Verfasser  von  ziemlich  dürftigen  ukrainischen  Erzäh- 
lungen, die  sich  jedoch  seinerzeit  eines  grossen  Rufes  erfreaten. ' 

Wir  haben  gesehen,  wie  die  literarische  Wiederbelebung  Po- 
lens im  nationalen  Geiste,  auf  breiter  religiöser  Basis,  zu  einer 
Krisis  gelangte,  indem  sie  sich  auf  mehr  oder  weniger  falschen 
Bahnen  bewegte.  Je  stärker  die  scharfe  Krisis  der  Krankheit 
wurde,  desto  mehr  Blüten  schössen  empor,  die,  wenn  auch 
schön,  doch  schädlich  und  giftig  waren.  Es  konnte  nicht  anders 
kommen,  als  dase  der  Boden  der  Gesellschaft  nach  der  grossen 
Katastrophe  geneigt  wurde,  alle  Fäulniss  der  Vei^angenheit  frei 
an  die  Oberfläche  treten  zu  lassen:  das  Magnatenthum,  das  sein 
verlorenes  Paradies  beweinte,  den  Klerikalismus,  der  die  Ver- 
nunft, die  Kechte  derselben  und  jede  Freiheit  des  Denkeos  ne- 
girte.  Das  nächste  Mittel  der  offen  reactionären  Propaganda 
konnte  das  altadelige  Epos  sein,  eine  künstlerische  Beproduction 
der  heiligen  Vergangenheit  nicht  nur  in  deren  löblichen  Zügen, 
wie  es  Mickiewicz  im  „Fan  Tadeusz"  gethan,  sondern  auch  in 
den  gröbsten  Verirrungen  und  Lastern.  Alle  Elemente  der 
Herrschaft  der  Finstemiss  vereinte  ein  talentvoller  Manu  in  sieb, 
der  Verbindungen  mit  der  Emigration  hatte,  aber  dessen  eigent- 
liche Wurzeln  in  den  früher  polnischen,  jetzt  russischen  Gebieten 
lagen,  Graf  Heinrich  Bzewuski,  der  in  den  vierziger  Jahren 
eine  gewaltige  und  fast  unbestrittene  Herrschaft  über  die  Geister 
der  Zeitgenossen  erlangte.  Sein  Xame  ist  schon  auf  den  vor- 
stehenden Seiten  erwähnt  worden:  er  war  Mickiewicz'  Begleiter 
auf  dessen  Reise  in  der  Krim  und  sein  Bekannter  in  Petersburg 
und  Rom  während  der  zwei  Winter  1829 — 31. 

Heinrich  Rzewuski^  ward  zu  Slawuta  im  Gouvernement  Vo- 
lynien  geboren,  gerade  am  Tage  der  Proclamirung  der  Consti- 
tution vom  3.  Mai  1791,  was  zu  der  witzigen  Bemerkung  Anlass 
gab,  dass  am  Geburtstag  der  Constitution  auch  ihr  schlimm- 
ster Gegner  geboren  sei.    Das  Geschlecht  der  Bzewuski  war  in 

'Vieles  ins  Deutsche  übersetzt,  siehe  bei  L.  Knrtzmann  s.  a.  0. 
'  T.  Chmielowski,  „Henryk  Rzewusiti,  Btudyum  literackie"  (ioHiw» 
1877,  Nr.  68-72;   187»,  Nr.  73-78). 

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Heinrich  Kzewaeki.  383 

ToIIem  Sinne  des  Wortes  ein  magnatisches;  sein  Vater,  Adam  Lau- 
rentios,  in  jungen  Jahren  der  Conföderation  von  Bar  angehörend, 
daim  Castelan  von  Witebsk  und  Targowicaner,  ward  nach  dem 
Untei^og  Polens  russischer  Senator  und  Adelsmarschall  des  Gou- 
Temements.  Der  junge  Heinrich  brachte  die  ersten  Jahre  bei  der 
Grossmatter  zu,  im  Gouvernement  Minsk,  und  gab  sich  infolge 
dessen  immer  fiir  einen  echten  Litauer  aus.  Schon  damals  waren 
als  Lehranstalten  die  Universität  Wilna  und  das  Lyceum  in  Kreme- 
ncc  berühmt,  aber  in  sehr  aristokratischen  Kreisen  galten  beide 
Pflanzstätten  der  Bildung  fnr  angesteckt  von  Voltairianismus 
und  Freimaurerei;  als  leitende  Sterne  wurden  Bonald  und  de 
Haistre  anerkannt.  Heinrich  Rzewuski  brachte  eine  ganz  kurze 
Zeit  in  der  Carmeliterschule  zu  Berdyczew  zu,  empfing  seinen 
Unterricht  zu  Hause  von  Abbe  Granier,  alsdann  in  Petersbnrg 
in  der  Pension  des  Jesuiten  Nicoli;  im  17.  Jahre  war  er  schon 
fertig,  verbrachte  ein  Jahr  hei  den  polnischen  Ulanen  (1809) 
Dod  trat  mit  dem  Rang  eines  Unterlieutenants  aus;  wo  er  im 
Jahre  1812  gewesen  und  was  er  gemacht  hat,  ist  unbekannt, 
wahrscheinlich  befand  er  sich  in  Petersburg;  in  jene  Zeit  fällt 
seine  persönliche  Bekanntschaft  mit  Joseph  de  Maistre.  Mit  dem 
Jahre  1817  begannen  seine  müssigen,  ziellosen  Wanderungen  im 
Auslände,  in  ganz  Westeuropa,  die  von  häufigen  Rückreisen  nach 
RuBsland  unterbrochen  vmrden.  Im  Jahre  1822  hörte  er  zu  Paris 
die  Vorlesungen  von  Cousin  und  Villemain,  die  seine  Kenntnisse 
bereicherten  und  seine  dialektische  Fertigkeit  entwickelten,  aber 
seine  Sinnesart  nicht  änderten,  welche  auf  eine  unbedingte  Unter- 
werfung anter  die  Autorität  gegründet  war.  Kzewuski  fühlte  sich 
besonders  durch  Theologen  und  Mystiker  angezogen,  mit  denen  er 
in  dem  lebhaftesten  Verkehr  stand  i  Grabianka,  PoBzman,  Olesz- 
kiewicz.  Im  Jahre  1826  verheirathete  er  sich  und  brachte  fast 
Tier  Jahre  (1829 — 32)  in  Italien  zu,  darunter  zwei  Winter 
in  Rom,  in  der  Gesellschaft  von  Mickiewicz,  dem  er  aach  dio 
Weckung  seines  literarischen  Talents  verdankt.  Bzevmski  war 
stark  im  Disputiren  und  ein  unschätzbarer  Erzähler.  Mickie- 
wicz gab  ihm  einstmals  den  Bath  zu  schreiben  und  prophezeite 
ihm,  er  «erde  ein  grosser  Schriftsteller  werden.  Rzewuski  selbst 
erzählt  den  Beginn  seiner  literarischen  Versuche  etwas  anders 
nnd  sagt,  dass  er,  als  er  auf  der  vatikanischen  Bibliothek  arbei- 
tete, zum  Spass  einige  Erzählungen  in  dem  alterthümlichen  Stile 
eines  Menschen   aus  dem  vorigen  Jahrl^undert,   eines  altpolni- 

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384  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

fichen  Liebhabers  der  alten  Zeit,  verfasBt  habe.  —  Der  Erzähler 
war  eine  fingirte  Person  —  Severin  Soplica,  Mundschenk  von  Per- 
nau,  einstmals  einer  der  Contoderirten  von  Bar,  der  auch  in  rus- 
sischen Gefängnissen  gewesen  war,  ein  Diener  und  Anhänger 
Karl  Radziwill's,  des  „Panie  kochanku".  Die  Erzählungen 
folgen  auf  einander  ohne  Einheit  und  Verbindung,  wie  rich- 
tige Memoiren ,  ihr  Centrum  ist  die  Confoderation  von  Bar 
und  der  Abgott  Litauens,  als  das  typischeste,  zum  Ideal  er- 
hobene Abbild  der  alten  Zeit.  Rzewuski  war  ein  grosser 
Herr,  der  an  literarische  Lorbem  gar  nicht  dachte;  dadurch 
erklärt  sich  auch,  dass  sein  Manuscript  von  1832  bis  1839 
unveröffentlicht  liegen  blieb  und  mit  einem  Vorwort  von  Wit- 
wicki  fast  gegen  den  Willen  des  Verfassers  in  Paris  gedruckt 
wurde,  nach  der  aus  Rom  gebrachten  Handschrift,  während  der 
Verfesser  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Heimat  das  Wahlamt  eines 
Adelsmarschalls  im  Kreise  ^itomir  yerwaltete. '  Das  unbeschreib- 
liche Entzucken,  mit  dem  diese  Federzeichnungen  aufgenommen 
■wurden,  wird  später  erklärt  werden.  Im  Geiste  der  damaligen  Zeit 
lag  die  künstlerische  Beproduction  des  noch  nicht  lange  entschwun- 
denen Alterthums.  „Die  Denkwürdigkeiten  Soplica's"  fanden  einen 
reissenden  Absatz,  wurden  ohne  Kritik  gelesen,  als  ein  Werk,  das 
die  reinste  Wahrheit  darstelle,  als  echte  Memoiren.  Die  Ge- 
nauigkeit der  Daten  bestreiten,  Flecken  in  der  Vergangenheit 
aufsuchen,  bedeutete  in  jener  Zeit  unpatriotisch  sein,  fast  ein  Ver- 
räther an  der  nationalen  Sache  werden.  Hs  muss  zugegeben  wer- 
den, dass  die  „Denkwürdigkeiten"  den  Leser  dadurch  bestachen, 
dass  der  Mundschenk  von  Pernau  fiir  das  Vaterland  im  Gefäng- 
niss  zu  Smolensk  litt  (XI),  dass  er  auch  von  nationaler  Selbst- 
ständigkeit schwärmt  (XVII),  sogar  bereit  ist,  für  die  Consti- 
tution vom  3.  Mai  zu  sterben  (XIX),  dass  er  sogar  die  GrÖssf 
der  kommenden  Generation  (Stanislaw  Rzewuski)  und  die  Not- 
wendigkeit neuer  Bedingungen  für  das  Leben  der  Gesellschaft 
(König  Stanislaw)  prophezeit.  Allerdings  spricht  der  Mundschenk, 
indem  er  diese  Concessionen  macht,  in  allen  politischen  Fra- 
gen die  reactionärsten  Urtheilc  aus,  aber  so  musste  es  offen- 


'  Pnmi^tki  P,  Seweryuft  Soplicy,  4  Bde.,  damelbe  nacli  den  Anforde- 
i'anKeii  der  ruBBischcii  Censur  umgearbeitet:  „Pamiqtki  slarego  szlschcica 
Htewakiegti"  (Wilnn  1844-  4ri);  deutsch  u.  d.  T.  „ Denkwürdigkeileo  d« 
PBn  Severin  Sopliea"  von  Philipp  LöbenstS^in  (Leipzig  1876). 


lu.A'OOglc 


neiiirich  B^ewuski.  ^65 

bar  sein:  ein  Mann  der  Vergangenheit  konnte  gar  nichts  an- 
ders ab  ein  Resctionär  innerhalb  der  Gegenwart  sein.  Die  Ver- 
gangenheit stellte  er  nicht  vollständig  dar,  sondern  nur  ihre 
raDEchende,  kühne,  geföllige  Seite,  aber  mit  einer  so  staunens- 
verthen  Wahrheit,  dass  dank  der  Kunst  das  Leben  der  Ver- 
gangenheit gefiel  und  fesselte,  sogar  in  seiner  groben,  wenn 
auch  naiven  Demoralisation:  der  Stock,  der  den  Rücken  einen 
jeden  traf,  und  wäre  es  des  erwachsenen  Sohnes,  die  Ver- 
heirathung  der  Töchter  ohne  ihre  Zustimmung,  die  Religion, 
die  sich  auf  sinnlos  gesprochene  Gebete  und  sinnlos  verrich- 
tete Ceremonien  reducirt,  der  Servilismtis  in  der  Beziehung  zu 
den  Magnaten,  trotz  der  bocbgerühmten  angeblichen  Gleich- 
heit der  Szlachcicen  mit  den  Wojewoden.  Soplica  rechnet  es 
dch  zum  Verdienst  an,  dass  er  die  ungerechte  Sache  seinem 
Herrn,  des  Fürsten  Radziwill,  vertheidigt  habe  mit  dem  Opfer 
«einer  eigenen  Ueberzeugung.  Allem  Hang  zur  Selbständigkeit 
machte  die  Bemerkung  ein  Ende:  „Man  bezahlt  dich,  du  isst 
das  Brod  des  Fürsten,  und  noch  dazu  ein  schmackhaftes"  (IV 
lad  XV).  Die  Kritik  war  verdutzt  und  einer  ihrer  Koryphäen, 
Grabowski,  verkündete,  die  „Denkwürdigkeiten"  seien  geradezu 
ein  geniales  Buch,  welches  uns  das  gäbe,  was  uns  weder  der 
Classicismus  noch  die  Romantik  gegeben  hätten  —  es  sei  näm- 
lich die  lebendige  und  wahrhaft  nationale  Ueherliefemng. 

Der  grosse  und  die  Verdienste  des  Werkes  übersteigende  Er- 
folg der  „Denwürdigkeiten"  verdrehte  Rzewuski  den  Kopf  und  gab 
ihm  einen  verkehrten  Begriff  von  seinem  Talent.  In  ihm  lebten 
sozusagen  zwei  Personen  gemischt:  ein  grosser  Epiker,  dessen 
Kaust  auf  einen  engen  Bereich  eingeschränkt  war,  der  nur  Leute 
des  18.  Jahrhunderts  malte,  und  zwar  Conservative,  Feinde  der  Re- 
form, und  ein  verbissener,  raisonirender  Moralist,  der  nicht  nur 
die  ganze  Gegenwart,  alle  Anschläge  und  Hoffnungen  derselben 
»erurtheilte,  sondern  auch  ein  besonderes  Vergnügen  in  der  Ver- 
spottung alles  dessen  fand,  was  fiir  fortschrittlich  galt,  mit  seiner 
absolut  rückschrittlichen  Gesinnung  tokettirend.  Das  künstlerische 
Element  seiner  Werke  stellte  er  dem  sittlich  Belehrenden  nach, 
nnd  hielt  sich  weit  mehr  für  einen  Philosophen  als  für  einen  No- 
vellisten. Gleich  nach  Erscheinen  der  „Denkwürdigkeiten"  hatte 
er  ein  Manuscript  über  die  Geschichte  der  Civilisation  fertig 
(1840),  dessen  leitender  Gedanke  war,  dass  ein  Volk  nicht  zu  glei- 
eher  Zeit  snwol   innerlich  (in  den  politischen  Handlungen,  Ge- 

Pm>,  SUdieh*  Lltttttnrea.   II,  1.  25 


386  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

wobaheiten,  Geeetzen)  als  äaaserlich  (in  der  Literatur)  die  Poeüe 
TerkÖrpern  kÖQoe;  dass  das  plötzliche  ErscheineD  einer  inbalte- 
reichen  Literatur  das  Symptom  vom  Tode  des  Volkes  oder  doch 
derjenigen  politiBchen  Form  sei,  -welche  die  poetische  Lebens- 
änssemng  dieses  Volkes  bedingte.  Die  Literatur  sei  erwachsen, 
wie  die  Gypresge  auf  dem  Grabe;  dieses  Grab  habe  das  Volk 
verschlungen,  nachdem  es  selbst  mittels  der  Beform  Hand  an 
sich  gelegt,  seine  altadelige  Daseinsform  zerbrochen  habe.  Eine 
Zeit  lang  werde  diese  Gypresse  in  Schönheit  prangen,  dann 
werde  auch  der  Tod  der  Literatur  selbst  folgen;  sie  werde  za 
ner  Mahrang  für  andere  Literaturen  werden.  Zuletzt  wurde 
ine  fatalisÜBche  Lossage  von  den  geringsten  Hoffnungen  auf 
ine  künftige  nationale  Existenz  gepredigt.  Diese  Schlussfolge- 
rungen liess  Rzewuski  bei  Lebzeiten  nicht  drucken  (nach  dem 
Tode  erschienen  Fragmente:  „Historische  Proben"  —  „Pröbki 
historyczne",  1868,  mit  einem  Vorwort  von  Boleslawita,  d.  i. 
Kraszewski).  Aber,  getrieben  von  seiner  Moralisirungsaucht,  lies» 
Rzewuski  seiner  satirischen  Stimmung  freien  Lauf  und  veröffent- 
lichte zu  Wilna  1841 — 43  in  zwei  Bänden:  „Moralische  Miscellen 
von  Jarosz  Bejla"  („Mieszaniny  obyczajowe  przez  Jarosza  Bejlf"), 
wo  er  in  den  schwärzesten  Farben  die  polnische  Gesellschaft 
nach  deren  volynischen  Repräsentanten  malt,  d.  h.  die  Guts- 
besitzer, deren  Unwissenheit,  Jagd  nach  Gewinn,  Mangel  an  Be- 
ständigkeit in  den  Ueberzeugungen,  Verschwendung  u.  s.  w.  dar- 
stellte. Weder  dieses  Buch  noch  die  spätem  satirischen  Versuche, 
7..  B.  ,J)er  goldhaarige  Page"  („Pa2  ztotowlosy"),  wo  er  in  dem) 
fingirten  Reiche  „Skotostan"  unter  dem  Namen  Babakan's  den 
Generalgouvemeur  Bibikov  und  dessen  Beziehungen  zum  Adel 
dargestellt,  haben  solide  Vorzüge,  die  ihnen  ein  langes  An- 
denken sichern  können.  Bzewuaki  stand  ausserhalb  der  Ge- 
sellschaft, die  er  beschrieb,  stimmte  mit  ihr  in  nichts  Uberein, 
und  deshalb  gingen  aus  seiner  Feder  Carricaturen  hervor,  aber 
keine  lebendigen  Personen.  Jarosz  Bejla  belehrte  niemand,  son- 
dern reizte  nur  auf  durch  eine  Menge  von  Behauptungen  be- 
leidigender Art,  worunter  auch  solche  ögnrirten:  „Die  Hel- 
den der  Koliiwszczyzna  waren  echte  Demokraten.  Ein  echter 
Demokrat  ist  der,  welcher  eine  gleichmässige  Vertheilung  des 
Eigenthums  fordert,  und  zwar  eine,  die  in  einigen  Jahren  immer 
zu  wiederholen  ist.  Eine  gemässigte  Demokratie  ist  ein  Ab- 
surdum" und  ähnliches.    Bald  daraufbrachte  ihn  der  Versuch, 

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Heinrich  Rzewnaki.  387 

einen  leichten  Gewinn  zu  erzielen,  die  Verpfändung  seines  Gutes 
vegfin  Lieferungsgeschäften  in  eine  sehr  schwierige  Lage  und 
Dötbigte  ihn  1849  nach  Petersburg  überzusiedeln,  tro  er  gleich 
in  den  literarischen  Kreis  von  passender  Färbung,  d.  b.  von 
loRserst  reactionärem  Charakter  eintrat,  der  weit,  ungehindert 
und  bei  Verstummung  der  Gesellschaft  in  den  vierziger  Jahren, 
fast  ohne  Widerspruch  seine  klerikal-feudalen  Ideen  ausbreitete. 
Die  polnische  Journalistik  lag  noch  in  den  Windeln.  Mit  Anfang 
des  Jahres  1841  begann  in  Warschau  die  älteste  Monatsschrift,  die 
.,Biblioteka  Warszanska"  zu  erscheinen,  die  noch  jetzt  be- 
steht; in  demselben  Jahre  begann  der  jnnge,  hofinnngsvolle  Schrift- 
steller Joseph  Ignaz  Kraszewski,  im  Gouvernement  Volynien 
lebend,  ein  Journal  von  6  Heften  jährlich  unter  dem  Titel 
.,Ateneum"  herauszugeben,  das  er  ganze  II  Jahre  sozusagen 
itUeiD  auf  seinen  Schultern  trug,  indem  er  die  Obliegenheiten  eines 
Vnternehmers,  Secretärs,  Correspondenten,  Mitarbeiters  und  sogar 
Intfmehmers  und  Verlegers  verrichtete.  Seit  1830  gab  es  auch  in 
Vtlersbui^  ein  selbständiges  polnisches  Organ,  den  „Tygodnik 
fetersbnrgski",  die  officielle  Zeitung  des  Königreichs  Polen, 
»eiche  zweimal  wöchentlich  unter  der  Rcdaction  von  Joseph  Prze- 
rlawski  erschien.  Ihn  unterstützte  kräftig  ein  einflussreicher 
Mann,  der  durch  Willenskraft  und  Verstand  aus  ärmlichen  Ver- 
hältnissen zu  Ansehn  gelangt  war,  Ignaz  Holowiiiski  (1807  — 
^),  Kektor  der  geistlichen  Akademie,  und  seit  1851  Metropolit 
der  römisch-katholischen  Kirche  in  Russland,  der  —  eine  übrigens 
uemhch  mislungene  Arbeit  —  Shakespeare  übersetzte  unter  dem 
Namen  Kefaliüski  und  unter  dem  Namen  2egota  von  Kostrowiec 
L>ramen,  Legenden,  Memoiren  zu  schreiben  versuchte.  Ihnen  stand 
■:iii  Novellist  mittlem  Ranges  zur  Seite,  der  Oberst  Ludwig 
liityrrner;  Kraszewski  und  Grabowski  lieferten  Artikel.  Als 
Hzewagki  in  diesen  Areopag  eintrat,  ward  er  bald  zur  Haupt- 
person, und  trug  in  den  Kreis  die  ganze  Intoleranz  und  die  ganze 
^cbtlich  AnstOBs  erregende  Schärfe  seiner  äusserst  reactionären 
Ansichten  hinein.  Er  wurde  der  hauptsächlichste  Schriftsteller 
^^  iJygodnik"  und  veröffentlichte  darin  vor  allem  seinen  besten 
Roman  „November"  („Listopad",  1845  und  1846)',  eine  Geschichte 
^eier  Bruder  StrawiAski,    von  denen    der  eine  in  französischer 


'  Deutsch  n.  d.  T.  „Der  Fürat  «Mein  Liebchen«  und  Beine  Parteigänger" 
n  W.  Bachmann  (pticud.  für  Jezieraki).    '2  Bde.    Berlin  1656. 


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388  Viertee  Kapitel.    Die  PoleD. 

Weise  erzogen  war  und  zu  der  Umgebung  des  Königs  Ponia- 
towski  gehörte,  der  andere  ein  Mann  alten  Schlags  und  Diener 
des  Hauses  Radziwi}}  war.  Der  eretere  entführt  die  Braut  des 
Bmders  und  endet  durch  Selbstmord.  Der  andere  tritt  der 
Gonföderation  von  Bar  bei,  nimmt  an  den  Anschlägen  zur 
Entführung  dee  Könige  theil,  wofür  er  standrechtlich  erschossen 
wird.  Die  beiden  Gesellschaften  sind  nicht  in  der  Form  frag- 
mentarischer Skizzen  einander  gegenübergestellt  und  gezeichnet, 
eondem  einheitlich,  planvoll  und  ziemlich  unparteiisch;  aber  das 
Publikum  war  schon  gegen  Jarosz  Bejla  aufgebracht;  die  un- 
glücklichen Bemerkungen  verletzender  und  herausfordernder  Natur 
unter  dem  Text,  mit  denen  Rzewuski  sein  Werk  verziert  hatte, 
erzürnten  es  noch  mehr,  die  Kritik  war  durchaus  nicht  nachsichtig 
gegen  ihn.  Noch  geringem  Erfolg  hatten  die  spätem  Erzählun- 
gen Rzewuski'fi  „Das  krakauer  Schloss"  („Zamek  Krakowski")', 
„Adam  ämigielski"^,  „Ritter  Lizdejko"  u.a.,  die  eine  Wiederholung 
schon  früher  vorgeführter  Typen  enthalten  und  eine  geringe  Be 
kanntschaft  mit  der  alten  Zeit  über  die  Grenzen  des  18.  Jahr- 
hunderts hinaus  bekunden.  Der  grosse  Stolz  der  hochmüthi- 
gen  Geister,  die  sich  im  „Tygodnik"  festgesetzt  hatten,  wirkte 
abstoseend.  Kraszewski  wandte  sich  ab.  Mit  Rzewuski  pole- 
misirten  sogar  so  eifrige  und  aufrichtige  Katholiken,  wie  der 
Priester  Stanislaw  Chotoniewski,  sein  entfernter  Verwandter 
und  Bekannter  von  Rom  her  (1792—1846),  talentvoller  Verfasser 
philosophischer  Erzählungen,  gerichtet  gegen  die  übertriebenen 
Phantasien  der  Romantik  („Sen  w  Podhorcach",  1842).  Inzwiecheii 
rüsteten  sich,  als  die  bekanntem  Leute  sich  abwandten,  gegen 
den  Kreis  des  „Tygodnik"  und  seine  Angriffe  auf  den  Verstand 
junge  ganz  unbekannte  Leute,  welche  in  Petersburg  das  Jonr- 
nal  „Gwiazda"  (1846)  gründeten,  das  später  nach  Kiew  ver- 
legt wurde  (in  den  Jahren  1847 — 49):  es  waren  dies  grössten- 
theils  Hegelianer  und  Anhänger  Trentowski's,  die  das  Christen- 
thum  freisinniger  nach  ihrer  Weise  auffassen  wollten  (Zeno  Fisch, 
Albert  Marcin kowski,  Anton  Nowosielski;  ihre  Psendo' 
nyme  sind:  Padalica,  Gryf  und  Dol^ga).  Der  Ton  der  Polemik 
war  anmassend  und  grob;  sie  zeichnete  äch  durch  Aufrichtigkeit 
aus,   aber   die   Polemiker   hatten   keine   klaren   Begriffe,   nocb 


■  Deutsch  von  W.  BaobmaDD  (2  Bde.    Berlin  1857). 

'  Deuteob  u.  d.  T.  „Kerkerwoune"  von  W.  Bachmaon  (Berlin  ISßSI 


.....Gooj^lc 


Heinrich  Rzewneki.  389 

genügende  Festigkeit  der  Ueberzeugungen.  Mit  dem  petersbui^er 
Kreise  war  es  nicht  ungefährlich  zu  streiten;  die  Herausgabe 
der  „Gwiazda"  ward  ihnen  zu  Gefallen  auf  Anordnung  derCensur 
dstirt.  Ks  traten  die  EreignieBe  des  Jahres  1S48  ein,  welche 
auf  die  Literatur  innerhalb  Russlands  in  der  verlüiugnissvolleteii 
Weise  einwirkten.  Nicht  nur  die  Strenge  der  CeuBur  ward  grös- 
ser, und  das  Interesee  des  Publikums  an  der  Literatur  geringer, 
»odass  die  „Biblioteka  Warszawska"  ins  Schwanken  kam,  und 
Kraszewski  nach  1851  das  „Ateneum"  wegen  Mangels  an  Abon- 
nenten einstellen  musste,  sondern,  was  noch  wichtiger  ist,  die 
Fortschrittsleute  Hessen  die  Hände  sinken,  weil  bei  ihnen  (wie 
auch  bei  den  russischen  „Westlern"  [Zapadniki]  in  der  Art  Gra- 
noTskij's)  der  Glaube  an  die  Kräfte  der  europäischen  Civilisation 
erschüttert  war,  aus  welcher  der  Hauptsache  nach  die  geistige 
Speise  für  das  Volk  geschöpft  wurde.  Es  gab  noch  einen  em- 
pfindlichen Verlust:  die  zarte,  erst  in  der  Knospe  Hegende  Blüte 
der  polnischen  Philosophie  verkümmerte  und  damit  verschwand 
agleich  die  Hoffnung,  dem  alten  Stamme  des  Katholicismus 
den  Geist  des  Fortschritts  aufzupfropfen.  Scharfe  Gegensätze 
standen  einander  gegenüber:  Katholicismus  oder  Unglaube;  ganz 
ebenso  verwischten  sich  auch  auf  dem  Gebiet  der  Politik  die 
Mittelparteieu,  die  extremen  traten  miteinander  in  Kampf,  das 
Ende  war  der  Sieg  des  weissen  Terrorismus  über  das  rotbe 
Gespenst.  Obgleich  der  Wirrwarr  den  Osten  Europas  über- 
haupt nicht  berührte,  so  reflectirte  sich  sein  Einflnss  doch,  erstens 
in  einer  solchen  Verstärkung  der  Massregeln  zur  Beaufsichtigung 
des  Gedankens,  dass  dabei  sogar  diejenigen,  welche  an  eine 
Befreiung  der  Bauern  in  legaler  Weise  dachten,  für  Aufwiegler 
gelten  konnten,  zweitens  in  einem  zeitweiligen  Verschwinden 
jeglicher  Fortschritteideen,  die  in  den  Geistern  der  Zeitgenossen 
den  Boden  verloreu  hatten.  Es  entstand  eine  Periode  tiefen 
Schlafes  auf  übrigens  alten  Idealen,  welche  Rzewuski  am  ge- 
eignetsten zur  Verbreitung  von  ganz  und  gar  reactionären 
Ideen  schien,  zur  Negirung  jeglichen  Fortschritts,  zur  Gleich- 
stellui^  jeglicher  Reform  mit  Ketzerei,  zur  unbedingten  Unter- 
werfung im  Gebiete  der  Ideen  unter  die  Kirche,  im  prakti- 
schen Leben  unter  die  Wahrerin  der  Ueberlieferungen ,  die 
Aristokratie.  Rzewuski  betrat  den  für  ihn  neuen  Wirkungs- 
kreis eines  Journalisten;  der  in  seinen  Vermögensverbältnissen 
aorattete  Magnat  wurde  Beamter   für  besondere  Aufträge  beim 

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390  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

Fürsten  Paskevic  in  Warschau,  hohe  Stellen  erlangte  er  der 
Hauptsache  nach  nicht  durch  tüchtige  Leifitungen,  sondem 
weil  er  ein  unterhaltender  nnd  witziger  Gesellschafter  war.  Mit 
1851  ward  er  der  Herausgeber  der  Zeitung  „Dziennik  War- 
szawski",  die  eine  grosse  Staatssubvention  genoss,  und  worin  er 
auch  gleich  einen  Kreuzzug  gegen  die  Vernunft  begann  in  den 
Artikeln:  „Civilisation  und  Religion".  Aber  es  zeigte  sich,  dass 
er  sich  bei  einem  solchen  Vorgehen  doch  arg  verrechnet  hatte. 
Kine  sonderlich  starke  Opposition  fand  er  bei  den  Schriftstellern 
nicht;  sogar  Leute,  wie  der  Humorist  August  Wilkoäeki  („Bu- 
moty  i  ramotki",  4  Bde.;  geb.  1805  im  Grossherzogthum  Posen, 
gcst,  1852)  und  der  Historiker  Julian  Bartoszewicz  (1821 — 71) 
und  viele  andere  nahmen  an  dem  Oi^an  theil,  dessen  Erscheinen 
den  Grund  für  die  Zeitungspresse  in  Warschau  legen  sollte.  Der 
Ausbruch  des  Unwillens  erfolgte  im  Lesepublikum  selbst,  das 
den  Pubhcisten  auf  einmul  wegen  seiner  Tendenz  vcrurtheilte, 
zu  abouniren  aufhörte;  einige  hundert  Abonnenten  schickten  die 
Zeitungsnummcru  zuriick.  Das  Publikum  bewies,  dass  es  coii- 
servativ  war,  aber  ohne  der  Demokratie  gewogen  zu  sein,  war  es  i 
doch  fern  von  einer  nie  feiernden  Reaction.  Rzewuski  erzeugte  ! 
eine  noch  grössere  Abneigung  gegen  sich,  als  er  1856 — 57  in  ' 
8  Bänden  die  Memoiren  des  Bartholomäus  Michalowski  druckte, 
eines  Parasiten,  Targowicanors ,  wo  er  in  Randbemerkungen  die 
Conröderation  von  Targowica  verherrlichte,  die  Schopfer  der 
Constitution  vom  3.  Mai  anschwärzte  und  mit  Schmuz  bewarf. 
Nachdem  er  sich  1857  aufgemacht,  um  inLemberg  seine  Satire: 
„Der  goldhaarige  Page"  zu  drucken,  „da  Galizien  das  gebil- 
detste der  ehemaligen  polnischen  Lande  sei",  verliess  er  War- 
schau ganz,  zog  sich  auf  sein  Gut  Czuduowo  am  Teterev  bei 
Zitomir  zurück,  erlebte  die  ihm  äusserst  widerwärtige  Bauem- 
reform  und  starb,  fast  zum  Idioten  geworden,  im  Jahre  1866. 

Rzewuski  hat  bei  all  seinem  unzweifelhaften  Talent  am  meisten 
Interesse  als  eine  pathologische  Erscheinung  im  Leben  der  pol- 
nischen Gesellschaft  innerhalb  der  Grenzen  Russlands  in  den  vier- 
ziger Jahren,  da  sie  am  besten  den  starren  Stillstand  erläutert, 
zu  dem  er  seinerseits  selbst  sehr  viel  beigetragen  hatte.  Es  voll- 
zog sich  jedoch  auch  eine  fortschrittliche  Bewegung,  aber  schüch- 
tern, sehr  unbestimmt  und  langsam.  Im  Süden  lebten  einige 
talentvolle  Leute,  die  in  der  Literatur  feste  Spuren  hinterliesseu. 
In  Kiew   wirkte   der  „Primas"  Grabowski,    wie  ihn  Slovacki 

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Die  einheimiBche  Litei-Btor.  391 

iroDiEch  Dannte,  ein  Mann,  der  trotz  seiner  Hinneigung  zu  Amto- 
kratie  und  Klerikalismas  die  nationalen  Fragen  vernünftig  und 
Döcbtem  betrachtete  und  geneigt  war,  die  Spaltung  zwischen  den 
Polen  und  den  SüdmsBen  nicht  als  ein  Produkt  politischer  und 
religiÖBer,  sondern  socialer  Ursachen  anzusehen;  aber  im  Jahre 
1843  verbeitete  sich  die  Nachricht,  dass  er  sich  bei  der  Regie- 
mng  um  die  Erlaubniss  bemühe,  ein  Journal  „Siowianin"  heraus- 
zageben,  in  einem  Geist,  den  wir  jetzt  einen  versöhnlichen  und 
gesammtslavischeu  nennen  würden.  Das  Gerücht  hatte  zur  Folge, 
dsEB  sein  Ansehen  stark  sank,  weil  er  in  den  Verdacht  des  Verratbs 
iD  der  Sache  der  Nation  kam.  Ein  Freund  Grabowski'B,  Alexan- 
der Groza  (1807 — 75),  Romantiker  ukrainischer  Schule,  ging 
in  den  Fnsstapfen  Zaleski's  und  Goszczynski's,  indem  er  sich  der 
Tolksthümlichen  Poesie  der  Ukraine  als  seiner  Hauptquelle  zu- 
wendete („StarostaEaniowski";  ,^assyr  Batowski").  In  Kiew  und 
siüter  in  Charkow  schrieb  Joseph  Korzeniowski  dramatische 
Werke,  den  vir  in  der  folgenden  Periode  in  Warschau  finden 
Verden.  Der  volynische  Gutsbesitzer  und  spätere  Ehrencurator 
des  votynischen  Gymnasiums,  Joseph  Ignaz  Kraszewski  (geb. 
1813  in  Warschau,  ein  Zögling  der  wilnaer  Universität)  legte 
«eben  damals  eine  unerschöpfliche  Fruchtbarkeit,  Vielseitigkeit 
und  Ausdauer  in  der  Arbeit  an  den  Tag;  er  arbeitete  allein  für 
»hn,  schrieb  historische  Bücher  („Wilno",  4  Bde.,  I83S — 40), 
Reisen,  Compilationen  philosophischer  Werke,  verfasste  sogar 
ein  umfangreiches  Epos  aus  den  Traditionen  und  der  Geschichte 
des  heidnischen  Litauens,  dessen  Vei^angenheit  der  Historiker 
Theodor  Narbutt  (1784—1864)  stückweise  gesammelt  und 
fleissig,  aber  kritiklos  restaurirt  hatte  („Dzieje  staro2ytne  na- 
rodu  litewskiego",  —  „Alte  Geschichte  des  Litauischen  Volkes", 
9  Bde.  Wilna  1835—41).  Kraszewski's  Epos  „Anafielas" 
(„Der  Berg  der  Ewigkeit",  der  litauische  Olymp)  zerfällt  in  drei 
Theile:  „Das  Lied  von  Witol"  (Witolorauda),  „Mindows"  und 
„Witold's  Schlachten".  Mit  mythischen  Sagen  beginnend,  führt 
er  seine  Erzählung  bis  zur  Verschmelzung  des  getauften  Litauens 
mit  Polen.  Der  eigentliche  Beruf  Kraszewski's  waren  übrigens 
nicht  der  Vers,  sondern  die  Erzählung,  und  zwar  nicht  so 
wol  die  historische  —  obgleich  er  auch  vorzügliche  historische 
Erzählungen  geschrieben  hat  (z.  B.  „Die  letzten  Augenblicke  des 
Fürsten  Wojewoden"  —  „Ostatnie  chwile  Ksigcia  Wojewody", 
1875)  —  als  die  Zeitnovelle,  die  Reproduction  lebendiger  Typen, 

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392  Viertes  Kapitel.    IHe  Polen. 

gegeuwärtiger  Ideale,  die  Anregung  brenneadet  Fragen  des  Tages 
und  seiner  Aufgaben.  Kraszewski  selbst  hat  die  Bedeutung  der 
Gattung,  die  er  vorzugsweise  cultivirte,  in  seiner  Jubelrede, 
3-  October  1879,  mit  folgenden  Worten  defiitirt:  „Ich  habe  die 
älteste  Form  gewählt,  welche  die  Amme  der  Völker  des  Orients 
war,  die  Form,  welche  den  Lesern  die  für  sie  verdaulichste  Kost 
bietet,  welche  den  grössten  Leserkreis  schafft  und  als  Propädeu- 
tik zum  Nachdenken  und  zu  geistigen  Beschälligungen  dient." 
Kraszewski  war  Idealist,  liebte  es  über  die  Disharmonie  der 
Ideale  mit  der  Wirklichkeit  zu  schreiben,  welche  dem  Dichter  eine 
Dorneukrone  tiicht  („Poeta  i  äwiat"  —  „Der  Dichter  und  die 
Welt",  1839;  „Sfinks",  1847;  „Powieöd  bez  tytulu"  —  „Erzäh- 
lung ohne  Titel",  1855),  empfand  eine  gewisse  Schwäche  für  das 
abtretende  alte  Magnatenthum  („Dwa  swiaty"  —  „Zwei  Wel- 
ten", 1836),  trat  aber  zugleich  besonders  warm  für  die  Sauern 
ein,  schalt  im  Namen  des  beschimpften  menschlichen  Gefühls 
auf  die  Leibeigenschaft  und  stellte  die  Schwere  des  bäuerlichen 
LebeuH  in  einer  langen  ßeihe  von  Erzählungen  voller  Dramatik 
dar  (die  Goscliichtc  Sawko's  in  ,,Latarnia  czarnoksigzka"  — 
„Zauberlaterne",  1843;  „Ulana",  1843;  „Ostap  Bondarczuk ", 
1857;  „Jaryna",  1850;  „Cbata  za  wsi^"  —  „Die  Hütte  hinter 
dem  Dorfe",  1854;  „Jermola",  1857),  unterhielt  sich  zuweilen  auch 
mit  dem  Aufbau  von  Utopien  („Dziwadla"  —  „Theater",  1853)'- 
Im  Gouvernement  Witebsk  gründete  Karl  Bujnicki  (1788  — 
1878)  ein  Organ  „Rubon"  (der  alte  Name  der  westlichen  Dwina) 
für  die  provinziale  weissrussische  Literatur  als  einen  Bestandlbeil 
der  allgemein  polnischen.  In  Warschau  schienen  sich  zu  Anfang 
der  vierziger  Jahre  die  Anfänge  einer  neuen  Dichterschule  be- 
merklich zu  machen,  die  theils  von  Byron,  theils  von  dett 
Koryphäen  der  polnischen  Poesie  der  Emigration  ausgehend, 
t<ich  durch  stürmisches  Vorwärtsstrebea  in  sehr  unbestimmter 
Form  auszeichnete:  Boman  Zmorski,  Wladimir  Wolski,  die 
Brüder  Lucian  und  Cyprian  Norwid,  Anton  Gzajkowski 
(geb.  1816  in  Krakau,  gest.  1873  als  emeritirter  Professor 
der  Petersburger  Universität).  Die  talentvollste  der  polniscken 
Schriftstellerinnen  jener  Zeit,  Narcissa  ^micbowska  (1825— 76) 
lenkte  durch  eine  Sammlung  schöner  Gedichte  „Wolne  cbwile 
Gabrielli"   („Freie  Stunden  üabriela's",  Posen  1844)   die  Anf- 


1  Deotache  Ueberaetzungea  von  Knwzewaki'B  Werken,  >.  S.  428. 

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Ende  der  romantischen  Schule.  393 

merksamkeit  auf  sich.  Der  glückliche  Sammler  alter  MärcbeD, 
Fabeln  und  Redensarten,  Alterthumsforscher  und  Compilator, 
ein  Manu  von  sehr  geringen  Fähigkeiten,  Kazimir  Wladyslaw 
Wöjcicki  (1807  —  79)  erlangte  einen  sehr  weiten  Ruf.  Der 
Gutsbesitzer  des  Gouvernements  Wilna,  Eduard  Zeligowski 
(geb.  1820,  gest.  in  Genf  1864)  gab  1846  eine  dramatische 
Phantasie  „Jordan"  heraus,  eine  beiüsende  Satire  auf  die  da- 
mahge  GesellBchaft,  die  auf  dem  weicbeu  Tfühle  der  Leib- 
eigenschaft den  Pharisäer  spiele.  Dies  war  der  Charakter  der 
wichtigsten  Erscheinungen  der  polnischen  Literatur  innerhalb  der 
Grenzen  Russlands.  Es  erübrigt  noch,  einige  Worte  über  ihre 
Schickeale  innerhalb  Preussens  und  Oesterreichs  zu  sagen. 

Das  Grossherzogthum  Posen,  welches  das  grösste  Contingent 
für  Hegel  stellte,  hatte  einen  mittelmässigen  Dichter,  Genoral  der 
Xapoleonischen  Armee,  Franz  Morawski  (1785 — 18G1),  einen 
ehemaligen  Classicisten ,  der  zur  Romantik  überging,  und  den 
Ilistoriker  Andreas  Moraczewski,  aus  der  Schule  Lelewel'a 
(1804  —  55),  der  seine  im  republikanischen  Geitste  geschriebene 
Geschichte  Polens  in  ö  Bünden  (1842 — 55)  bis  zu  Jobann  Ka- 
rimir  führte. 

In  der  kleinen,  dem  Namen  nach  freien  Stadt  Krakau  trug 
sich  der  Gelehrte  Michael  Wiazniewski  (1794 — 1865)  mit  dem 
Gedanken,  unter  dem  Namen  einer  Geschichte  der  polnischen 
Literatur  eine  vollständige  Geschichte  der  Civilisation  Polens  zu 
schaffen,  führte  seine  Arbeit  (in  sieben  Bänden,  1840 — 45 ;  später 
wurden  noch  drei  herausgegeben)  bis  ins  17.  Jahrhundert,  und 
bot  eher  eine  Sammlung  roher  Materialien  als  ein  organisches 
Ganze.  Durch  reizende  poetische  Werke  machte  sich  der  Ly- 
riter  Edmund  Wasilewski  (1814  —  46)  berühmt,  Verfasser  der 
Dichtung  „Der  Dom  auf  dem  Wawel"  („Katedra  na  Wawelu") 
und  einer  Menge  von  Krakowiaken,  die  volksthümlich  gewor- 
den sind. 

Galizien  wurde  Germanisirungsversuchen  unterworfen.  Der 
Personalbestand  der  Verwaltung  füllte  sich  mit  Deutschen  und 
germanisirten  Cechen,  in  den  Schulen  war  der  Unterricht 
dentscb,  deutsch  war  die  Universität,  die  1784  zu  Leroberg  von 
Joseph  II.  gegründet  worden  war.  Das  Jahr  1817  ist  dadurch 
denkwürdig,  dass  durch  eine  Spende  des  gelehrten  Grafen  Maxi- 
milian Ossoliäski  das  „Ossoliäski'scbe  Institut"  in  Lemherg  ge- 
gründet wurde,  mit  einer  grossen  Bibliothek,  einem  Museum  und 

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394  Vierte«  Kapitel.    Die  Polen. 

eioer  periodischen  Pubticatioc  hiBtorisch- literarischen  Inhalts. 
Im  Jahre  1830  ward  zu  Lemherg  ein  Journal  g^riindet,  welches 
das  geistige  Leben  weckte,  der  „Galiczanin"  („Galizier")  von 
Chtgdowßki.  Unter  den  lemberger  Dichtem  zeichneten  sich 
durch  Talent  aus:  Joseph  Borkow&ki,  Alexander  oderLeszek 
Borkowski  („Parafiaüszczyzna")  und  August  Bielowski  (1806 
— 76),  der  mit  epischen  Werken  in  archaistischer  Art,  mit  einer 
Uebersetzung  des  Liedes  vom  Heereszug  Igors  begann,  und  sich 
später  durch  eine  wahrhaft  kritische  Puhlication,  die  „Histo- 
rica  Poloniae  Monumenta"  berühmt  machte,  und  Lucian  Sie- 
mieüski  (1809' — 70),  Uebersetzer  der  Königinhofer  Handecbrift 
und  der  Odyssee,  Dichter,  Novellist  und  Kritiker. 


0.    Sie  letzten  Aueläufer  der  polnisclisn  Bomantik  auf  dem  lieimat 
UcheD  Bodsn  0.64S~OS). 

Die  Rolle  der  polnischen  Emigration  endete  mit  dem  Jahre 
1848:  es  trat  der  volle  Bankerott  ihrer  Anschläge  zu  Tage; 
wenn  die  nationalen  Bestrebungen,  nach  denen  man  Europa  um- 
zuformen gedachte,  auch  zum  Durchbruch  kamen,  so  orwuchE 
doch  kein  einziger  neuer  Staat  auf  rein  nationaler  Grundlage; 
im  Gegentheil,  alte  Staaten,  wie  Oesterreich,  die  längst  zum 
Zusammenbruch  verurtheilt  waren,  restaurirten  sich  und  lebten 
frischer  und  gesünder  wieder  auf  als  zuvor.  Die  galizigchen  Er- 
eignisse im  Jahre  1846  und  der  Sieg  der  Reactiou  nach  I84i:< 
gingen  als  fruchtlose  Warnungen  vorüber.  Die  Ueberzengnng  von 
der  Zweckmässigkeit  der  angewendeten  Mittel  war  allerdings  er- 
schüttert; von  dem  europäischen  Wirrwarr  des  Jahres  1848  war 
nur  ErmiiduDg  übrig  geblieben  und  der  Wunsch,  die  G^enwart 
ruhig  zu  geniessen,  —  aber  die  Ziele  und  Ideale  selbst  blieben  die- 
selben, wie  sie  die  Literatur  der  Emigration  zu  Anfang  der  vier- 
ziger Jahre  aufgestellt  hatte,  mit  dem  Phantom  der  alten  Grenzen 
und  mit  HofTnungen  auf  eine  künftige  Restauratiop  ii^endeinmal 
unter  günstigem  Verhältnissen.  Es  waren  ganz  dieselben  alt«n, 
sich  wiederholenden  Ideen;  sie  wurden  feiner,  aber  dabei  nicht 
positiver;  der  hohe  Flug  der  Romantik  in  ihren  ersten  Jahren 
fehlt;  Titane»,  welche  die  ganze  Welt  und  Gott  zum  Kampf 
herausfordern,  gibt  es  nicht  mehr;  dafür  erhob  sich  aus  allen 
Elementen  der  polnischen  Romantik  und  erlangte  eine  vorwie- 
gende Bedeutung  zum  Nachtheil  der  übrigen  dasjenige,  welches 


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Eode  der  romantiscben  Sobule.  395 

in  der  ursprünglichen  Romantik  bei  weitem  nicht  die  Haupt&teUe 
einnahm  ( „ Pan  Tadeuez" ,  die  ,,  Memoiren  Soplica's " ) ,  näm- 
lich das  altadelige  EpoB,  eine  unermüdliche,  sehr  grelle  and 
talentvolle  Restaurirung  und  sozusagen  abermaliges  Wieder- 
kanen  der  Erinnerungen  einer  ins  Grab  gesunkenen  alten  Zeit. 
Ueberall,  auch  in  Westeuropa,  trat  die  Vorliebe  fnr  den 
historischen  Roman  ein  (Walter  Scott),  aber  nirgendB  nahm 
er  einen  solchen  Raum  ein,  nirgends  herrschte  er  so  aus- 
Gchliesslich  und  so  lange,  nirgends  äusserte  sich  seine  Herr- 
schaft in  80  scbveren  Folgen,  wie  ein  Weohseläeber ,  gegen 
dae  man  auch  jetzt  noch  zuweilen  Dosen  von  Chinin  nehmen 
muss.  Andererseits  gibt  es  nichts  Natürlicheres  und  Einfache- 
res als  diese  Erscheinung.  Nach  der  grossen  Katastrophe  zu 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  fanden  sich  die  Polen  in  Lebens- 
verhältnissen, welche  den  frühem  diametral  entgegengesetzt 
waren,  wie  in  einem  neuen,  ihnen  nicht  homogenen  Culturele- 
ment.  Jeder  Organismus,  und  also  auch  die  Nation,  muss  sich 
bei  Veränderungen  ihrer  Sphäre  entweder  dieser  accommodiren, 
indem  sie  in  sich  neue  Formen  des  Handelns  entwickelt,  und 
sich  der  alten  entwöhnt,  die  den  neuen  Lebensverhältnissen 
nicht  entsprechen,  oder  sie  muss  untergehen.  Die  Accomodirung 
an  die  neue  Sphäre  vollzieht  sich  nicht  plötzlich,  sie  ist  für  den, 
der  dieses  Experiment  durchmacht,  von  schmerzlichen  Empfin- 
dungen begleitet,  und  nimmt  eine  längere  oder  kürzere  Zeit  ein, 
je  nachdem  sich  die  Sphäre,  welche  die  Nationalität  umschliesst, 
zu  derselben  verhält,  ob  sie  dazu  beiträgt,  dass  sich  das  Volks- 
thum  auflöst,  oder  dass  es  sich  noch  kräftiger  in  seinen  ursprüng- 
lichen Krystallisirungsformen  festsetzt;  mit  andern  Worten:  ob 
sich  diese  Sphäre  vornimmt,  das  Volk  zu  assimiliren,  indem  sie  es 
vorher  entnationalisirt,  oder  es  nur,  ohne  überhaupt  zu  entnatio- 
nalisiren,  politisch  an  sich  klammert.  In  Preusscn  wurde  das  System 
der  Entnationalisirung  consequent  durchgeführt,  aber  durch  le- 
gale Mittel  und  auf  dem  Boden  einer  formellen  Gleichberechti- 
gung der  Polen  mit  den  angestammten  Unterthanen.  In  Oester- 
reicb  herrschte  bis  1848  das  System  der  Germanisirung  und  erst 
im  Jahre  1859  wurde  ein  ganz  entgegengesetztes  System  gewählt. 
In  Russland  war  bis  1830  der  Entwickelung  der  Nationalität 
freier  Spielraum  gelassen,  aber  nach  1830  trat  ein  natürlicher 
Umschwung  in  entgegengesetzter  Richtung  ein,  wobei  nicht  den 
neaen,  frischen  Elementen  der  Demokratie   der  Vorzug  gegebeu 

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396  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

wurde,  sondern  den  alten  Parteien,  der  Aristokratie  und  dem 
Kterikalismus  (vgl.  Rzewuski),  die  ihre  Wurzel  nur  in  der  Ver- 
gangenheit hatten,  und  dem  Process  einer  Assimilirung  an  die 
neue  Sphäre,  sowie  selbstvei-gtändlich  der  Befreiung  der  Bauern 
am  meisten  entgegen  waren.  Man  vemrtheile  Leute,  die  iu 
eine  neue  Sphäre  versetzt  sind,  zu  praktischer  Unthätigkeit  — 
und  ihre  Gedanken  werdßn  sich  unaufhaltsam  in  das  ver- 
lorene Paradies,  ins  vei^angene  Glück  zurückversetzen,  und 
die  Menschen  der  Vergangenheit  werden  ihnen  als  Heroen  der 
Kraft  und  der  Tugend  erscheinen  im  Vergleich  zu  der  klein- 
lich und  zwerghaft  gewordenen  Nachkommenschaft  —  als  eine 
I^sse  mit  ühernatürlicbem  Wuchs,  mit  epischen  Dimensionen; 
sogar  das  Schlechte  wird  als  gut  erscheinen,  wenn  es  nur  cha- 
rakteristisch ist.  Julius  Slowacki,  dem  es  selbst  nicht  fernlag, 
sich  iu  die  Vergangenheit  zu  versetzen,  errieth  mit  genialem 
Seherblick  die  schädlichen  Folgen  einer  Apotheose  der  Vergangen- 
heit, uud  gab  in  dem  „Grabmal  Agamemnou's"  den  Rath, 
dieses  brennende  Hemd  der  Dejanira,  den  rothen  Kontusch  und 
den  goldenen  Gürtel  der  alten  Szlachta,  wegzuwerfen  und  sich 
lieber  am  allgemein  Menschlichen  zu  begeistern,  als  am  Altade- 
ligen. Er  fand  kein  Gehör,  mit  Vorliebe  wurden  Kontusch  und 
Konföderatka,  die  starken  Trinkgelage  und  die  lärmenden  Land- 
tage besungen.  An  der  Spitze  der  Männer,  die  sich  die  Ver- 
ehrung der  grossen  und  heiligen  Vergangenheit  zur  Aufgabe 
machten,  stehen  zwei  begabte  Dichter:  Vincenz  Pol'  und 
Ludwig  Kondratowicz,  von  denen  nur  der  erstere  seiner 
Aufgabe  treu  bleibt,  während  die  Lyrik  des  andern,  obno  es 
selbst  zu  merken,  auf  andere,  ganz  neue,  zeitgenössische  Motive 
Antwort  gibt.  Der  historische  Roman  fand  einen  bedeutenden 
Vertreter  in  Sigmund  Kaczkowski;  den  Zeitroman  bearbeiten 
mit  Erfolg  Joseph  Korzeniowski  und  Kraszewski.  Wenn 
wir  diesen  fünf  Namen  noch  einen  sechsten  hinzufügen,  den 
künstlerischen  Historiker  Karl  Szajnocha,  so  repräsentiren 
diese  sechs  das  ganze  Wesen  der  geistigen  Bewegung  im  Be- 
reich der  Poesie  während  der  von  uns  darzustellenden  lieber- 
gangsperiode    der    verblühenden    Romantik,    während    welcher 


'  W.D.  SpaBowioz'a  Vorlesmigen  über  Pol  im  Ateneum  1678,  April; 
W.  Pol,  „Dziela"  (Werke.    8  Bde^  Lemberg  1875—77). 


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ViDoen*  Toi.  397 

sieb  das  leise  Wehen  einer  andern  poaitiTern  Richtung  bemerk- 
fich  machte. 

Der  Vater  Vincenz  Pol's  war  von  Gehurt  ein  Ermeländer, 
der  seine  Studien  an  der  krakauer  Akademie  zum  AhschlusB 
brachte  und  dann  österreichisclier  Beamter  in  Galizien  wurde. 
Er  nnterzeichnete  sich  Foll,  heirathete  eine  lemhei^er  Bürgerin, 
Eleonore  Longchamp,  diente  in  der  Justiz  und  ward  1815  wegen 
Beiner  Verdienste  in  den  Adelstand  erhoben  mit  dem  Titel  Ton 
PoUenburg.  Vincenz  Pol  ward  20.  April  1807  in  Lublin  ge- 
boren, zu  Lembei^  in  dem  halbdentschen  Hause  seiner  Aeltem 
erzogen,  und  brachte  aus  dieser  Erzdehung  eine  gründliche  Kennt- 
nisH  der  deutschen  und  polnischen  Literatur  mit,  sodass,  als  1K25 
der  Vater  starb  und  eine  Zerrüttung  der  Vermögensverhältnisse 
eintrat,  sich  der  junge  Pol  1830  nach  Wilna  begab,  um  einen 
Lehrstuhl  der  deutschen  Literatur  zu  erlangen,  und  an  derUni- 
TersitÄt  zum  Stellvertreter  des  Lectors  für  dieses  Katheder  er- 
nannt wurde,  das  er  übrigens  nicht  lange  innehatte,  da  wir  ihn 
schon  Anfang  1831  in  den  Reihen  der  Insurgenten,  später  als 
Emigranten  in  Dresden  sehen.  In  Wilna,  welches  der  Heerd 
der  polnischen  Romantik  war,  erfüllte  sich  Pol  mit  dem  Geiste 
dieser  Richtung;  im  Jahre  1832  traf  er  mit  Adam  Mickiewirz 
nnd  Claudia  Potocka  zusammen.  In  seinen  Notizen  ist  unter 
dem  Jahre  1832  vermerkt:  „Ich  begann  Gedichte  zu  schreiben 
auf  Veranlassung  von  Adam  Micktewicz  und  auf  Eingebung  von 
Clandia  Potocka."  Diese  Gedichte,  welche  Mickiewicz'  Beifall 
fanden  und  1833  in  Paris  unter  dem  Titel  „Pieäni  Janusza" 
(„Lieder  des  Janusz")  erschienen,  brachten  dem  Sänger  gleich 
mit  einem  mal  lauten  Rubm;  sie  gefielen  allen  durch  ihre 
Kühnheit,  ihr  flottes  Wesen  und  ihre  vorzügliche  Plastik.  Sie 
sind  sozusagen  vom  Pulverdampf  der  Schlachten  geschwärzt. 
Janusz  ist  kein  bedächtiger  Philosoph,  er  haut  frisch  drauf 
los-,  alles  Unglück  besteht  nach  seiner  Meinung  darin,  dass 
man  zu  wenig  dreingeschlagen  habe ,  dass  sich  die  Herren 
Generalstäbler  gütlich  gethan,  sich  im  Lager  mit  Gastronomie 
beschäftigt  (Gawfda  Dorosza),  dass  die  vornehmen  Leute  Ver- 
handlungen gefuhrt  hätten;  er  ist  vollständig  revolutionär,  ihm 
sind  alle  Mittel  recht,  sogar  auch  die  blutigen,  er  würde  mit  den 
Magnaten  kurzen  Frocess  machen,  träumt  nur  von  dem  künftigen 
grossen  Mann,  „der  mit  dem  Schwert  des  heiligen  Henkers  ein  gan- 
zes Meer  von  Blut  ausströmen  lassen  wird";  das  Lied  Selbst  tauge 


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398  Vierteo  Kapitel.    Die  Polen. 

Bur  etvas,  weil  es  ebenfalls  eine  Kriegswaffe  sei  und  manchmal 
Pfeile  ersetze.  Zu  Ende  des  Jahres  1832  schlug  sich  Pol  nach 
Galizien  durch,  1834  besuchte  er  zum  ersten  mal  Krakan,  im 
Jahre  1835  erforschte  er  (nach  Goszczy^ski)  die  Tatra  und 
den  schönen  Stamm  der  polniBchen  Goralen  und  fand  einen 
Freund  und  Protector  in  der  Person  des  Xaverius  Krasicki,  der 
ihn,  um  ihn  vor  den  Verfolgungen  der  österreichischen  Polizei 
zu  schützen,  auf  einem  seiner  Bei^güter,  Kalenica,  unterbracht« 
(1837).  Nicht  lange  vorher  war  Pol,  nachdem  er  mit  dem  Pro- 
fessor Joseph  Kremer  während  dessen  Aufenthalt  in  den  Bergen 
bekannt  geworden  war,  von  diesem  in  das  Labyrinth  der  Hegel'- 
schen  Philosophie  eingeführt  worden  („seit  der  Bekanntechaft  mit 
Kremer  ist  es  in  meinem  Kopfe  wieder  etwas  in  Ordnung  gekom- 
men", sagt  er)  und  verheirathete  sich  1837  mit  Cornelia  Olszewska, 
mit  der  er  schon  vor  der  Abreise  nach  Wilna  im  Jahre  1827 
verlobt  war.  Er  begann  mit  einer  echt  deutschen  Ausdauer  sich 
mit  der  Geographie  zu  beschäftigen.  In  diese  Periode  fallen  seine 
formvollendeten  „Bilder  aus  dem  Leben  und  von  der  Reise" 
(„Obrazy  z  äycia  i  podröÄy"),  die  übrigens  erst  1847  gedruckt 
wurden,  vielleicht  von  allem,  was  er  geschrieben  hat,  das  beste. 
Der  Insurgent  fand  sich  auf  den  Bergen  in  einer  wilden,  gross- 
artigen  Natur,  die  aufs  beste  seinem  eigenen  strengen,  wenig 
'beweglichen  Naturell  entspricht,  welches  das  Hohe,  Grandiose 
liebt,  und  wenn  auch  mit  den  Kleinen  sympathisirend ,  die  ihre 
Kraft  durch  die  Zahl  haben,  weil  ihrer  viele  sind  und  sie  sich 
mit  wenig  begnügen,  doch  in  Wirklichkeit  die  Leiden  und  die 
Einsamkeit  auf  den  Höhen  des  Daseins  vorzieht,  wo  es  sich 
freier  athmet.  Er  verliebte  sich  in  die  Wildheit  des  Gebildes, 
erwarb  sich  die  Gunst  der  biedern  Wirthe  und  fraternisirte 
mit  den  Juhäszen  (Schafhirten),  die  ihm  schöne  Bergmärchen 
erzählten,  aber  bleiben  konnte  er  unter  diesem  schönen  Berg- 
volke nicht.  Ihn  ziehen  die  Reminiscenzen  in  die  von  der 
Sonne  übergosseneu  Ebenen  zurück,  ihm  winken  die  Thürme  der 
Marienkirche  zu  Krakau  und  die  unermessliche  Weite  des  Lan- 
des, mit  einem  Volke,  das  sich  einstmals  selbst  verwaltete  und 
richtete,  lieber  dieses  weite  Land  goldener  Aecker  und  dunkler 
Wälder,  das  sich  wie  ein  Tischtuch  vom  Baltischen  bis  zum 
Schwarzen  Meer  ausbreitet,  kann  man  etwas  noch  Bedeutenderes 
schreiben  als  über  die  Höhen  der  Tatra.    So  ist  der  Anfang  des 


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VinoenB  Pol.  399 

Jiiedes  von  unserm  Lande"  (1843)',  des  populärsten  von  allen 
Werken  PoI'b,  und  was  am  Bonderbarsten  ist,  dasjenige,  welches 
am  wenigsten  eine  ästhetiBche  Kritik  Terträgt,  weil  es  nichts 
veiter  ist,  als  eine  geographische  Abhandlung  in  zwölfbundert 
Versen,  also  eine  Sache,  die  schon  ihrem  Entwurf  nach  äusserst 
■npoetisch  ist.  Pol  konnte  kein  grosser  Dichter  werden,  weil 
Unn  die  Breite  der  poetischen  Intentionen  fehlte;  wenn  er 
etwas  Complicirteres  unternahm ,  als  eine  einfache  Erzählung 
oder  einen  lyrischen  Ei^ss  des  Gefühls,  so  stellten  sich  die 
festen  Verschlage  irgendeines  trockenen,  logischen  Schemas 
ein  (wie  bei  Klonowicz),  zu  dessen  Beschreibung  er  dann 
schritt,  gesclürftig  eine  Abtheilung  nach  der  andern  ausfüllend, 
nach  allen  Regeln  des  altmodischen  Kunstgeschmacks,  den  mit 
Recht  schon  Lessing  im  „Laokoon"  verurtheilt  hat.  Trotz  des 
ämndfehlers  im  Entwurf  sind  die  Bilder  hübsch  und  zwar 
nicht  so  sehr  die  Bilder  der  Natur,  als  die  der  manichfaltigen 
Eigenthümlichkeiten  der  Stämme,  welche  diese  Räume  bewoh* 
Kn:  sie  sind  kühn  und  mit  Schwung  gezeichnet,  mit  Hindeu- 
liDgen  auf  die  Zukunft,  mit  patriotischen  Phantasien  über  die 
in  diesen  Massen  verborgenen  Kräfte,  die  zu  Tage  treten  wer- 
den, wenn  die  Zeit  ihrer  historischen  Thätigkeit  kommt.  Und 
diese  Wahrsagungen  und  Phantasien  wirkten  um  so  stärker,  weil 
Qe  die  rosigsten,  unbestimmtesten  und  billigsten  waren.  Der 
Dichter  befand  sich  in  dem  einsamen  Winkel  Kalenica  sehr  wohl, 
vo  er  dank  dem  Xaverius  Krasicki  ein  Leben  führen  konnte, 
ähnlich  dem  Johann  Kochanowski's  in  Czarnolas.  Er  sucht  die 
Gegensätze  des  Lebens  zu  versöhnen,  ohne  sie  auCculösen,  ja  sogar 
ohne  zu  fühlen,  dass  sie  bestehen,  er  ist  auch  Demokrat,  überzeugt 
davon,  dass  die  Zukunft  aus  dem  Boden  des  Volks  entspriessen 
nad  sich  durch  Bauernkraft  und  -Geist  erhalten  werde,  aber 
auch  die  Szlachta  verehrt  und  lobpreist  er,  und  obgleich  zuweilen 
scharfe  Verurtheilungen  der  hochmüthigen  Pane  von  Voljnien, 
der  Sklavenhalter,  der  Halbpane  von  Podolien  durchbrechen,  so 
erscheinen  sie  doch  nur  als  iocale  Ausnahmen,  als  Schatten  auf 
dem  idyllischen  Bilde  des  paradiesischen  Glücks,  an  denen  sich 
die  Regierung,  ja  sogar  die  Leibeigenen  entzücken  könnten,  so 
wenig  praktisch,  so  platonisch  war  seine  Liebe  zum  Volk.  Ebenso 


■  Deatech    von  L.  EnrtziDanii    (Poaeu  1870),   von  W.  Kflrzyiiski 
ffbend.  1870). 

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400  Tiertes  Kapitel.    Die  Polen. 

idyllisch-liarmoniscb  gestaltet  sich  auch  das  Bild  des  Geeammt- 
slaventhums  bei  Pol,  dem  einzigen  der  zeitgenÖBaiechen  Dich- 
ter der  vierziger  Jahre,  der  sich  ausser  der  Dationalpoluischen 
auch  für  die  gesammtslaviscbe  Idee  als  empfänglich  erwies. 
Beide  Idyllen  waren  ohne  Boden  und  zerflogen  bei  der  ersten 
strengen  Lection,  die  von  der  Wirklichkeit  ertheilt  wurde:  die 
politisch  -  sociale  durch  die  Ereignisse  in  Galizien  im  Jahre 
1846,  die  slaviscbe  durch  das  gewaltsame  Auseinandertreiben  des 
Slaven-Congresses  zu  Prag  1848,  auf  Anordnung  von  Windisch- 
grätz.  Beide  Schläge  waren  hart,  besondei-s  der  erstere  verletzte 
den  Dichter  in  der  Tiefe  der  Seele.  Im  Februar  1846  hatte  Pol, 
der  mit  allen  Kräften  den  Anstiftungen  der  polnischen  Revolu- 
tionäre entgegenwirkte,  und  mit  seiner  Familie  eben  auf  dem 
Wege  nach  Lemberg  war,  im  Dorfe  Polänka  einen  Angriff  von 
Bauern  zu  erdulden,  die  auf  Gebeiss  der  Österreichischen  Regie- 
rung zu  den  Waffen  gegriffen  hatten.  Man  folterte  ihn,  nach- 
dem man  ihn  an  einen  Baum  gebunden ,  verwundete  seine  Frau 
mit  einem  Beile,  brachte  dann  beide  unter  BedeckTung  nach 
Lembei^,  wo  sich  Pol  einer  langen  Gefangnisshaft  zu  unterziehen 
hatte;  sein  ganzes  Vermögen  wurde  zen'Uttet.  Die  Revolution 
von  1848  blitzte  wieder  mit  einem  Hoffnungsstrahl  auf,  Pol 
begrüsste  den  gesammtslavischen  Congress  zu  Prag  mit  einem 
Gedicht  „^owo  i  slawa"  (Wort  und  Ruhm),  das  damals  nidit 
gedruckt  wurde  und  ein  interessantes  und  in  der  polnischen  Lite- 
ratur seltenes  Denkmal  einer  Phantasie  über  das  Thema  der  Ein- 
heit des  Slaventhums  bildet.  Darin  findet  sieb,  wie  bei  den  mos- 
kauischen Slavophilen,  ganz  dieselbe  Ueherzeugung  von  der  Fäol- 
niss  des  Westens,  von  seiner  Afterweisheit,  aber  die  Vereinigung 
vollzieht  sich  doch  auf  römisch-katholischer  Grundlage,  in  den 
utopischen  Formen  einer  Art  patriarchalischer  Verfassung  mit 
Tbeilnahme  der  Volksgemeinde,  wie  sie  nach  den  Ueberliefe- 
rungen  dem  Slaventhum  eigen  gewesen  sein  soll,  schon  in  seinem 
vorhistorischen  Leben,  so  lange  die  Slaven  von  der  knechtenden 
Waffe  des  deutschen  Kaiserthums  noch  nicht  berührt  waren. 
Im  Jahre  1849  erhielt  Fol  die  Professur  der  Geographie  an  der 
Universität  Krakau,  die  er  nicht  lange  innehatte,  er  erhielt 
den  Abschied  unter  dem  Unterricbtsminister  Thun  mit  drei  an- 
dern Professoren  der  Universität  zu  Neujahr  1853,  worauf  1854 
an  derselben  das  Deutsche  als  Vortragssprscbe  eingeführt  wurde. 


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Vinoeiw  Pol.  401 

Als  er  (lie  krakauer  Universität  verliess,  war  er  8chon  sehr  po- 
pulär nnd  durch  eeiue  neneu  Werke  berühmt,  die  sich  tief  von 
allem  dem  unterscbeiden ,  was  er  früher  geschrieben  hatte,  und 
eine  neue  Tendenz  der  Gesellschaft  nach  rückwärts,  zu  den  alten 
Idealen  abspiegelten.  Auch  mit  ihm  selbst  ging  eine  tiefe  Ver- 
iojening  vor;  sie  bestand  in  Folgendem. 

Pol  war  ein  Gemütbsmenscli,  der  sich  für  den  Führer  der 
Gesellschaft  hielt,  während  stets  ihn  die  Woge  der  Ereignisse 
trug.  Dem  Volk,  das  mit  ihm  in  Polanka  roh  umgegangen  war, 
Teigass  er  das  zeitlebens  nicht;  sein  ganzer  Demokratismus  war 
auf  einmal  dahin.  Er  ward  ein  enragirter  Conserrativer ,  dem 
Ton  da  an  nur  der  für  vernünftig  gelten  sollte,  „der  das  thut  und 
sicli  am  das  bemüht,  was  auf  ihn  vom  Vater  und  Grossvater  ge- 
kommen ist,  und  auf  bekanntem  Wege  sein  Pferd  führt;  und  dort 
atzt,  wo  sie  sassen"  (V,  35)-  Die  volksthümlichen  Typen,  an  denen 
die  Lieder  des  Janusz,  „Von  unserm  Lande"  und  die  Lieder  aus 
der  Tatra  so  reich  waren,  verschwanden  fast  ganz  und  finden  in 
winen  Augen  nur  dann  Gnade,  wenn  sie  in  der  Form  ganz  zafa- 
ner  und  an  Gehorsam  gewöhnter  Menschen  auftreten.  Die  Saite 
der  Lyrik  waj*  wie  zerrissen  und  schwieg,  Pol  wird  fast  aus- 
schliesslich Epiker,  erfindet  eine  neue  Art  der  poetischen  Erzäh- 
lung, „Gawfda  (eigentlich  Plauderei)  szlachecka"  (deren  In- 
halt das  Leben  und  Wesen  der  Szlachta  bildet)  in  alterthüm- 
licfaem  Stil  mit  einer  Moral,  die  darauf  hinausläuft,  dass  heilig 
sei,  was  alt  ist,  und  dass  man  sich  vor  der  Autorität  beugen 
and  durch  die  Erhaltung  des  volksthümlichen  Glaubens  und 
der  Ueberliefemng  dem  zerstörenden  Eiufiuss  der  negativen 
Ideen  nnsers  Jahrhunderts  entgegenwirken  müsse,  —  von  diesen 
hatte  er  die  finsterste  Vorstellung,  und  sah  darin  Züge,  die 
nach  der  Prophezeihung  den  herannahenden  Zeiten  des  Anti- 
christ eigen  sein  sollen.  Bei  solcher  Stimmung  wird  die  Re- 
production  der  alten  Zeit  tendenziös,,  sie  kann  nicht  wahrheits- 
getreu sein,  der  Künstler  tritt  voll  Pietät  an  sie  heran,  unter 
Bekrenzigung  und  mit  Gebet,  und  man  mochte  annehmen,  dass 
ein  Theil  dieses  andächtigen  Gefühls  auf  die  Leser  übergehe. 
Uende  das  Gegentheil  findet  statt:  wenn  das  Dargestellte  auch 
wahr  ist,  so  ist  es  doch  wild  und  zuweilen  widrig,  noch  mehr 
—  die  hohe  Moral,  die  gepredigt  wird,  steht  fast  immer  in 
offenem  Gegensatz  zu  den  Illustrationen,  d.  i.  zu  den  einzelnen 
Bildern  der  Erzählung.    Die  Reihe  dieser  Erzählungen  beginnt 

Viru,  BbilMh«  LIUntDitn.   II,  1.  26 

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402  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

mit  einer  Trilogie  unter  dem  Titel:  „Memoiren  Benedikt 
Winnicki'a"  („Fami^tniki  Benedykta  Winnickiego" ;  Winnicki  ist 
ein  alter  erfahrener  Mann,  dem  Pol  zugehört  hatte,  als  er 
noch  Knabe  war  und  die  Schule  zu  Tamopol  heenchte).  Der 
erste  Theil  „Die  Abenteuer  der  Jugend"  („Przygody  mlodoeci") 
iat  früher  geschrieben  und  1840  zu  Lemberg  gedruckt;  er  ent- 
hält eine  Lobrede  der  Lederpeitsche,  mit  welcher  ein  Szlach- 
cic,  ein  armer  Kleingrundbesitzer,  seinen  schon  erwachsenen 
Sohn,  der  von  dem  Dienst  an  ausschweifenden  Höfen  hoher 
H  rren  zurückkehrt,  züchtigte,  weil  er  vor  einem  Kreuz  auf 
dem  Felde  nicht  die  Mütze  abnahm  und  sich  vor  dem  Vater 
nicht  tief  genug  verbeugte.  Der  zweite  Theil,  „Der  Vertrag  des 
Senators"  („Senatorska  zgoda"  1352),  sucht  die  Festigkeit  der 
geeellsohattlichen  Ordnung  in  Polen  dadurch  zu  beweisen,  daes, 
als  im  Sanoker  Lande  ein  Zwist  um  Lappalien  ausbrach,  weil 
zwei  Stutzen  des  Landes,  Bai  und  Mniszek,  in  Streit  gerathen 
waren,  der  Bischof  von  Ermeland,  der  bekannte  Ignaz  Kra- 
sicki,  zugleich  Senator,  die  Feinde  durch  einen  witzigen  Einfall 
versöhnte,  welcher  sie  veranlasst,  sich  nach  einem  kräftigen 
Ti-unk  zu  küssen.  Der  dritte  Theil,  „Der  Landtag  zu  S^dowa 
Wisznia"  („Sejmik  w  S^dpwej  Wiszni",  1853),  stellt  ein  schreck- 
liches Bild  der  parlamentarischen  Sitten  in  Polen  am  Vor- 
abend seines  Untergangs  dar,  betrunkene  Szlachtahaufen,  die 
sich  vor  den  Wahlen  durch  BewirtVung  seitens  der  Stellen- 
jäger bestechen  lassen;  man  sieht  nur  Gaunereien  und  Intri- 
guen,  schliesslich  greift  man  in  der  Kirche,  wo  die  Versamm- 
lung stattfindet,  zum  Säbel;  die  Sache  würde  mit  einem  Ge- 
metzel geendet  haben,  wenn  nicht  die  Geistlichkeit  auf  den  Ge- 
danken gekommen  wäre,  mit  den  heiligen  Sacramenten  in  der 
schon  blutbefleckten  Kirche  zu  erscheinen  und  den  Kampf  zum 
Stillstand  zu  bringen,  was  von  Pol  als  ein  für  die  Gegenwart 
erbauliches  Beispiel  davon  hingestellt  wird,  wie  die  Leute  der 
Vergangenheit  zuweilen  von  der  Religion  gezähmt  und  besänf- 
tigt wurden.  Trotz  der  damals  herrschenden  Modesucht  nach 
„Gaw^a's",  sank  das  Ansehen  Pol's  nach  der  TrUogie  etwas  io 
der  Meinung  der  verstandigeren  Leute.  Er  suchte  es  vrieder 
herzustellen,  indem  er  1855  den  schon  früher  fertigen  „Mohort" 
herausgab,  das  beste  von  seinen  Werken  in  epischem  Genre. 
Wir  versetzen  uns  in  die  Zeiten  des  Königs  Poniatovreki.  Wäh- 
rend sich  im  Innern   des  Staats  alles  zersetzt,    halten  sich  die 

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Vineenz  Pol.  403 

letzten  Ueberliefernngen  soldatischer  Disciplin  in  den  Grenzregi- 
mentern  oder  in  den  Fähnlein  der  ukrainischen  Grenze,  die  am 
Sinjacb  und  Roä  vom  Bug  bis  zum  Dnepr  aufgestellt  sind,  und 
dnen  schweren  und  gefährlichen  Dienet  haben  bei  den  kleinen 
Mitteln,  welche  ihnen  die  Republik  geben  konnte.  Mohort,  ein 
Litauer  und  Unirter,  ist  Lieutenant  bei  einer  solchen  Com- 
pflgnie,  ein  Mann  alten  Schlags,  Haut  und  Knochen,  tapfer 
Dod  rechtschaffen ,  wie  die  Paladine  Karr»  des  Grossen  oder 
die  lUtter  der  Tafelrunde,  vor  Alter  fast  versteinert,  mit  der 
Steppe  verwachsen,  aber  sich  mit  der  automatischen  Begel- 
mässigkeit  einer  Uhr  bewegend.  Zu  ihm  sendet  der  König  zur 
Vorbereitung  für  die  Front  seinen  Neffen,  den  später  berühm- 
ten Fürsten  Joseph  Poniatowski,  und  verleiht  ihm  alsdann  das 
Kreuz,  den  Rang  eines  Rottmeisters  und  ein  Dorf,  aber  Mohort 
lebnt  diese  Gaben  ab:  das  Kreuz  habe  er  hei  der  Taufe  empfan- 
gen, seine  Compagnie  wolle  er  nicht  verlassen,  und  was  den  Land- 
besitz beträfe,  so  sei  nur  wenig  davon  zu  einem  Grabe  nöthig. 
Eb  naht  das  Ende  der  Republik.  Die  Truppen  unter  dem 
Commando  Joseph  Poniatowski's  (1792)  weichen  vor  den  Küssen 
nrück,  die  Avantgarde  wird  von  Koäciuszko  geführt,  in  der  Ar- 
rieregarde  schützt  Mohort  bei  Boryszkowce  die  Abziehenden  beim 
Debergang  über  einen  Damnn ,  kommt  aber  selbst  dabei  ums 
Leben  in  der  Erfüllung  seiner  Kriegerpflicht.  Die  schönsten 
Erinnerungen  der  Vergangenheit  sind  in  die  Erzählung  von 
Mohort  eingeflochten;  aber  er  ist  an  und  für  sich  keine  epische 
Person;  er  ist  eine  Art  fossiler  Mensch,  der  sich  wie  eine  Ma- 
schine nach  einer  eingeführten  Ordnung  bew^t.  Pol  legt  ein 
grosses  Talent  im  Malen  der  Steppennatur  an  den  Tag,  eine 
genaue  Kenntniss  der  Details,  aber  diese  Beschreibungen  und 
Episoden  wachsen  so  sehr  ins  Breite,  drangen  so  sehr  die 
Hanptgrundlage  der  Erzählung  in  den  Hintergrund,  dass  diese 
letztere  selbst  nur  als  ein  Netz  erscheint,  dazu  erfunden,  um 
in  seine  Maschen  die  Einzelheiten  zu  vertheilen,  und  dass  sich 
der  Erzähler  aus  einem  Dichter  in  einen  Alterthumsforscher 
und  Antiquar  umwandelt,  der  in  seinem  Werke,  wie  in  einem 
Museum,  allerlei  Seltenheiten  und  Curlositäten  ausgestellt  hat 
und  bei  einer  jeden  derselben  mit  zärtlicher  Liebe  verweilt. 
Ganz  denselben  Charakter  eines  Kunstmuseums  der  mittel- 
alterlichen Architektur  und  Sculptur  hat  die  Dichtung  „Wit 
Stwosz"  (geschrieben  im  Jahre  1H53),   die  einen  Bildhauer  aus 

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404  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

dem  Ende  des  15-  und  Anfang  des  16.  Jahrbonderte  behandelt, 
den  Bicb  die  Deutschen  unter  dem  Mamen  Veit  Stoss  aneignen, 
und  um  den  noch  jetzt  Krakau  mit  Nürnberg  streitet,  weil 
er  eich  in  beiden  Städten  durch  grosse  Kunstwerke  in  einem 
mittelalterlichen  Stil  berühmt  machte,  den  die  Strahlen  der 
Kenaissance  noch  nicht  berührt  hatten.  Nachdem  er  den  Dom 
auf  dem  Wawel  mit  dem  Grabmal  des  Königs  Kazimir  Jagiello 
und  den  Altar  der  Marienkirche  mit  einem  Schnitzwerk  yer- 
ziert  hatte,  siedelte  er  nach  Nürnberg  über;  hier  ward  er 
im  Alter  wegen  Unterscbleifs  vemrtbeilt  und  gebrandmarkt, 
womach  er  erblindete.  Der  Dichter  konnte  Stwosz  leicht  in 
einen  unschuldigen  Dulder  umwandeln,  der>auf  falsche  Denun- 
ciationen  der  Neider  vemrtbeilt  ward.  Er  stellte  in  seiner 
Person  nicht  nur  das  Bild  eines  mittelalterlichen  Künstlers, 
sondern  eines  solchen  aller  Zeiten  dar,  der  sich  nur  an  den 
Idealen  des  Glaubens  begeistern,  und  die  Kunst  nicht  über  die 
Grenzen  der  kirchlichen  Tradition  hinausfuhren  soll,  und  den 
das  Schicksal  dafür  straft,  dass  er  nicht  genug  Demuth  be- 
sass  und  sich  mit  seinem  Talent  brüstete.  In  demselben  archai- 
stischen Stil,  mit  denselben  Tendenzen  sind  nach  der  Herans- 
gabe des  „Wit  Stwosz"  (1857)  bis  zum  Tode  des  Verfassers, 
der  gegen  Ende  seines  Lebens  erblindete  und  zu  Krakau 
2.  December  1872  starb,  noch  viele  Werke  geschrieben,  die 
weitschweifig  sind  und  die  Merkmale  eines  mit  den  Jahren 
schwächer  werdenden  Talents  tragen.  Dahin  gehören:  „Strj- 
janka"  (herausgegeben  1861),  „Der  Knecht  des  Hetmans" 
(„Pachol^  Hetma^skie",  1862),  „Eine  Bhapsosie  aus  dem  Wiener 
Feldzug  Sobieski's"  („Z  wyprawy  wiedeftski^j ",  1865);  „Der  Ka- 
lender des  Jägers"  („Rok  myäliwca",  1870),  „Der  Starost  von 
Kiäla"  („Pan  Starosta  Kiglat^i")  und  das  Drama  „Die  Ueber- 
schwemmung"  („Powöd^"),  die  erst  nach  dem  Tode  des  Verfas- 
sers herausgegeben  wurden.  Diese  Erzählungen  mit  ihrer  überaus 
engherzigen  Moral  (z.  B.  die  Legende  „Die  schwarze  Kuh"  — 
„Czama  krowka",  1854)  mit  offenbar  retrograden  Tendenzen, 
mit  dem  absprechend&ten  Verhalten  zur  Vernunft  und  deren 
Arbeit  haben  fast  nichts  mehr  mit  den  jugendlichen,  feurigen, 
kühnen  Liedern  des  Janusz  oder  mit  der  fiischen  „Geschidite 
des  Schumachers  Johann  Kiliüski",  1843,  gemein.  In  der  pol- 
nischen Literatur  nimmt  Fol  ganz  dieselbe  Stellung  ein,  wie 
in  der  russischen  die   extremen  Leute  des   slavophilen  Lagers. 

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Ludwig  Eondratowioz-  405 

Der  Kreis  seiner  Begriffe  geht  nicht  über  die  Grenzen  der 
eigenen  NationaUtät  und  des  eigenen  Glaubens  hinaus,  wel> 
chen  er  überhaupt  nicht  von  jener  trennt;  in  seiner  Anhäng- 
ücUeit  für  beides  gelangt  er  zum  ChauvinismuB ,  der  alles 
Fremde  verurtheilt  und  nichts  allgemein  Menschliches  aner- 
kennt. Bittere  Misgescbicke  im  Leben  hatten  ihn  aus  dem 
Gleise  geworfen,  ins  Mittelalter  gestossen,  in  welchem  er  sich 
Ton  da  an  auch  innerlich  festsetzte,  ohne  etwas  von  der  Zu- 
imnft  zu  erwarten  und  in  der  Ueberzeugung,  dass  das  Bessere 
scboD  vergangen  sei.  Der  starre  Obscurantismus  Pol's  hatte 
den  ungünstigsten  Einfluss  auf  die  Zeitgenossen,  der  erst  jetzt 
beträchtlich  abnimmt.  Die  Liebe  zur  alten  Zeit  ist  im  allge- 
meinen lobenswertb;  in  der  Epoche,  welche  wir  beschreiben, 
Terfiel  sie  aas  den  von  ans  dargelegten  Gründen  in  eine  ein- 
seitige Verehrung  der  Vei^angenheit,  als  eines  Heiligtbums, 
aber  auch  diese  Verehrung  schlosa  die  Möglichkeit  nicht  aus, 
fortschrittlich  zu  sein,  zur  Ansfubning  der  Ideen  beizutragen, 
welche  im  ganzen  Lauf  nnsers  Jahrhunderts  vorherrschen,  das 
Wohl  der  Massen  zu  fördern,  zu  ihrer  Aufklärung  und  Selbst- 
entwickelung beizutragen.  Diese  Möglichkeit  einer  Verbindung 
der  alten  nationalen  Ueberlieferungen  mit  der  Demokratie  und 
dem  Geist  des  Jahrhunderts  bewies  praktisch  ein  Zeitgenosse 
Pol's,  der  seinerzeit  durchaus  nicht  weniger  geschätzt  war  als 
der  letztere,  und  jetzt  eine  weit  höhere  Stellung  einnimmt,  der 
litauische  Dichter  Ludwig  Kon'dratowicz,  bekannter  unter 
dem  Pseudonym  Wlady^aw  Syrokomla. 

Ludwig  Wladyrfaw  Kondratowicz  vom  Wappen  Syrokomla* 
ward  am  17.  September  1823  im  Gouvernement  Minsk  geboren, 
und  war  der  Sohn  eines  geringen  und  armen  Mannes,  der 
einstmals  Feldmesser,  alsdann  Pächter  auf  den  BadziwiU'schen 


'  W.  Spasowicz'B  Artikel  im  Ateneum  1876,  Nr.  1  und  3:  Eine  neue 
Ötadie  über  SyrokomU.  —  „Poezye,  «-ydanie  na  rzecz  wdowy"  („Füesied, 
korsBBgBgeben  zum  Besten  der  Witwe"  10  Bde.,  WarBchau  1872),  —  L. 
Kondratowicz,  „Dzieje  literatury  w.  Polaoe"  („Qescbiohte  der  Literatur 
ia  Polen"  2  Bde.,  Wilna  1861  —  54).  —  J.  L  Kraazeweki,  „Wladyrfaw 
8yrokomla"  (Warschau  1863).  —  Tyszyneki,  „Kondi-atuwicz  i  jego  poezye« 
(in  Bibliot«ka  Warszawaka,  1872,  August  und  September).  —  Izbrannyja 
stichotvorenija  Ljudviga  Kondratovi£a  (1.  Bd.,  Moskau  1879);  der  Artikel 
Ton  L  Aksakov  in  „Rnssk.  Mysl",  1880,  Kr.  1. 


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^)6  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

Besitzungen  war.  Seine  in  der  UnterrichtBanstalt  der  Domini- 
kaner in  Nieäwiei  begonnene  Sclmlbildung  endete  in  der  liinf- 
ten  Klasse  der  BezirkB6cbule  zu  Nowogrödek,  worauf  ihn  der 
Vater,  nachdem  er  sich  von  der  geringen  Befabigung  des  SohncE 
zur  Landwirthscbaft  überzeugt,  1842  als  Schreiber  in  der  KaDz- 
lei  der  Hauptverwaltung  der  RadziwitrBchen  Güter  zu  Nieävie^ 
unterbrachte.  Der  junge  Beamte  war  schüchtern,  unbeholfen, 
aber  witzig  und  heiter,  machte  mit  angewöhnlicher  Gewandt- 
heit Verse,  erwarb  eich  die  Liebe  der  Kameraden,  verliebte  sich 
in  ein  Mädchen,  ebenso  arm  wie  er,  Mitraszewska,  heirathete, 
erhielt  ein  kleines  Radziwilt'scbes  Gut  am  Kiemen  zur  Pacht  und 
gründete  so  seinen  Hausetand  auf  einem  ganz  winzigen  Gute, 
mit  Frau  und  bald  auch  Kindern,  deren  fünf  geboren  wurden. 
Es  schien,  als  ob  dieser  Mann  definitiv  in  einen  öden  Winkel 
vergraben  sei,  und  dass  es  keine  Möglichkeit  für  ihn  gäbe,  sieb 
zu  entwickeln  und  soweit  auszubilden,  um  eine  einflussreiche  Per- 
son in  der  Literatur  zu  werden,  auf  einem  Gebiet,  das  eine  lange 
und  tiefe  Vorbereitung  erfordert.  Allein  dieses  Unwahrscheinliche 
trat  ein:  während  eines  neunjährigen  Aufenthalts  auf  seinem  Oute 
Zalucz  (1844 — 53)  wueste  sich  Kondratowicz  bei  den  ärmlicbsten 
Mitteln  zn  entwickeln,  und  sich,  wenn  auch  keine  umfassende  und 
volle,  so  doch  in  manchen  Beziehungen  solide  Bildung  anzn- 
eignen.  Schon  bei  den  Dominikanern  hatte  er  lateinisch  gelernt; 
als  er  heiratbete,  empfing  er  von  seinen  Freunden  Wiszniewski's 
„Geschichte  der  Literatur"  ium  Hochzeitsgeschenk.  Gelehrte 
und  gebildete  Leute  in  der  Radziwilt'schen  Hauptverwaltung  mun- 
terten ihn  auf,  die  lateinisch 'polnischen  Dichter  des  15.  Jahr- 
hunderts bis  Sarbiewski  in  Versen  zu  übersetzen;  man  bot 
ihm  die  Betheiligung  an  einem,  von  dem  Buchhändler  M.  0. 
WolfF  in  Petersburg  geplanten  Unternehmen  an,  alle  lateinisch- 
polniechen  Historiker  zu  übersetzen.  So  lernte  er  Polen  vom 
Ende  des  Mittelalters  an  kennen,  wie  es  nur  von  wenigen  ge- 
kannt wird  —  nach  den  Quellen.  Ueber  den  allgemeinen  Sinn 
der  Weltgeschichte  und  über  die  Bewegung  der  Ideen  in  der  da- 
maligen Gesellschaft  informi'rte  er  sich  aus  dem  und  jenem  Buche 
und  durch  befreundete  Studenten,  die  von  verschiedenen  Univer- 
sitäten auf  die  Ferien  zusammenkamen ,  und  die  Ruhe  des  öden 
Winkels  durch  heftige  Dispute  störten.  „Der  Kopf  schwirrt  mir", 
schreibt  er  1851,  „von  fortschrittlichen  Schlagwörtern,  das  Den- 
ken zersplittert   sich,   ich  kann  mich  nicht  concentriren."   Bald 

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Ludwig  Eondratowicz.  ^7 

äuTitt  besaclite  er  Wiloa  und  schreibt:  „Ich  begriff  nicht,  wel- 
cher Kampf  von  Ideen  bei  uns  herrscht,  obstupui.  Die  einen  ver- 
weisen mit  dem  Kreuze  in  der  Hand  jeglichen  Rationalismus  in 
die  Hölle,  nennen  jeden  Wissensdrang  ein  Werk  teaflischen  Hoch- 
muths.  Die  andern  epeien,  anter  Lobpreisung  des  Fortschritts 
Dod  der  Brüderlichkeit,  auf  den  Glauben,  die  Tradition,  alles, 
wu  tlieuer  and  heilig  ist.  Christus  ist  auf  den  Lippen,  aber 
christliche  Liebe  zu  den  Menschen  habe  ich  leider  Gottes  nicht 
gefiinden.  —  Ich  wollte  mich  in  Wiln»  niederlassen,  jetzt  sehe 
ich,  dass,  wenn  ich  davon  auch  einen  geistigen  Nutzen  lüitte, 
doch  mein  Herz  zu  Staub  austrocknen  würde.  —  Ich  bin  ilber- 
baopt  kein  Dialektiker."  Aber  trotz  seines  Abscheue  vor  Strei- 
tigkeiten, nöthigten  ihn  doch  die  Verhältnisse,  nach  Wilna  über- 
lasiedeln  und  in  einer  Atmosphäre  zu  leben,  die  voller  Zank, 
Verleumdung  und  Klatscherei  war.  Seine  Uebersetzungen  der 
lateiniBch-polnischen  Dichter,  die  in  Kraszeweki's  „Ateneum"  ver- 
Öffenthcht  wurden,  fanden  Beifall,  seine  ersten  „Gawgdy"  oder 
Erzählungen  gefielen  sehr,  der  Buchhändler  Wolff  kaufte  das 
erste  seiner  grossem  Werke:  „Der  woblgebome  Johann  D§bo- 
n^"  („Urodzony  Jan  Dgborög",  herausgegeben  Petershui^  1859), 
und  veranlasste,  dass  er  mit  Kraszewski  bekannt  wurde,  der 
in  Volynien  lebte.  In  Wilna  konnte  Kondratowicz  Bücher  und 
Rathschläge  von  dem  sieb  für  seine  Entwickelang  interessiren- 
den  Historiker  Nikolaus  Malinowski  erhalten,  sowie  von  dem 
Kreise  der  au%eklärten  und  gelehrten  Leute,  denen  Wilna  zu 
danken  hatte,  dass  es  die  Bedeutung  eines  der  Centren  des  gei- 
gten Lebens  behielt.  Die  Freande  statteten  Kondratowicz  aus; 
es  wurde  für  ihn  ein  14  Werst  von  Wilna  entlegenes  Gut  Borej- 
kowszczjzna  des  Grafen  Tyszkiewicz  gepachtet,  wo  er  sein  ge- 
liebtes Landlehen  fortsetzen,  aber  auch  fast  täglich  mit  der  Stadt 
verkehren  konnte.  Aber  Borejkowszczyzna  war  zu  nahe  bei 
der  Stadt,  die  Bekannten  überliefen  den  Dichter,  lebten  auf 
seine  Kosten,  und  raubten  ihm  das  Kostbarste  —  die  Zeit.  Die 
Stadt  war  voller  Verführungen,  Kondratowicz  fand  Gefallen 
an  einer  fröhlichen,  angenirten  Gesellschaft  von  Literaten  und 
Schauspielern ,  zechte ,  verschmähte  es  nicht ,  auch  ein  Glas 
zu  viel  zu  trinken,  trat  in  Verbindung  mit  einer  verheirathe- 
ten  Frau,  einer  ehemaligen  Schauspielerin,  und  verliess  seine 
eigene  Frau  und  Kinder.  Seine  Werke  verkaufte  er  an  die 
Verleger,   meist  jüdische  Buchhändler  in  Wilna,   wie  schlechte 

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408  ViertcB  Kapitel.    Die  Polen. 

Landwirtlie  das  Getreide  BchoQ  auf  dem  Stock  Terkaufeu?  Ee 
kam  Tor,  dsss  er  in  Momenten,  wo  die  Aufführungen  seiner 
Theaterstücke  („Kaspar  Earlinski",  aufgeführt  zu  Wilna  im  Ja- 
nnar  1858)  allgemeinen  Entfansiasmue  herrorriefen,  und  ihn  das 
Publikum  sozusagen  auf  den  Händen  trug,  sich  schämte  zu  ge- 
stehen, daes  er  nicht  die  Mittel  habe,  sich  ein  Mittagsmahl  za 
beschaffen.  Er  reiste  mehrmals  nach  Warschau,  im  Jahre  1858 
begab  er  sich  nach  Gnesen  und  Krakau,  aber  die  von  dort 
mitgebrachten  Eindrücke  hatten  wenig  Interesse  und  lieferten 
wenig  Material  zu  seiner  Poesie.  Uebermässige  geistige  Arbeit 
und  EutbehruDgen  erschöpften  seinen  Organismus  und  erzeugten 
eine  unheilbare  Krankheit,  die  ihn  schnell  ins  Grab  brachte. 
Mitte  1859  schrieb  er:  solum  mihi  superest  sepnichrum.  Von 
da  an  bis  zu  seinem  Tode,  der  in  Wilna  15.  October  1862  er- 
folgte, bei  vollem  Bewusstsein  über  das  nahende  Ende,  unter 
unerträglichen  Leiden  und  vollständigem  Mangel  an  Mitteln  Inr 
die  dringendsten  Lebensbedürfnisse  (erst  nach  seinem  Tode  schosB 
der  Adel  der  südwestlichen  Gouvernement«  Geld  zusammen  zur 
Sicherstellung  seiner  Familie  und  gab  zum  Nutzen  der  Witwe 
und  Kinder  eine  vollständige  Sammlung  seiner  Gedichte  mit 
einem  Vorwort  von  seinem  Schüler  Vincenz  Korotyfiski  heraus) 
—  schrieb  Kondratowicz  die  reizendsten  Sachen,  die  durch  volle 
Frische  und  Kraft  des  Talents  glänzen:  „Cupio  dissolvi",  humo- 
ristische Melodien  aus  dem  Hause  der  Irrsinnigen  mit  einer  amü- 
santen Beschreibung  seines  eigenen  Leichenb^angnisses ;  „Der 
Tod  der  Nachtigall " ',  „Ovid  in  Polesie". 

Kondratowicz  ist  der  letzte  Dichter  der  von  Mickiewicz  ge- 
schaffenen litauischen  Schule,  die  er  in  würdiger  Weise  beschliesst; 
sein  Flug  ist  nicht  hoch,  der  Kreis  seiner  Ideen  klein,  aber  er 
ist  eine  wirkliche  Nachtigall  vom  Niemen,  ein  Dichter  mit  dem 
Feuer  der  Begeisterung,  mit  einem  tiefen,  aufrichtigen  Geföhl, 
sowie  zugleich  einer  ungewöhnlichen  Einfachheit,  die  alles  Ge- 
schraubte meidet.  Von  seinen  grossen  und  ruhmvollen  Vorgän- 
gern unterscheidet  sich  Kondratowicz  dadurch,   dass  er  seinem 


'  „Auf  läi'mender  Strasse  unter  dem  Dach  einer  den  Athem  beengenden 
Wubnung  haben  eohlimme  Hände  eine  Nachtigall  in  den  Käfig  geaetut.  . .  • 
Ein  tünendea  Lied  hat  die  gefangene  Nachtigall  angeatimml,  und  inden  »i* 
gcwisscrmasBen  mit  dem  Lärm  der  Stadt  in  Kampf  tritt,  denkt  sie:  •i<^ 
werde  ihn  mit  meiner  Stimme  bezwingen»." 


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Ludwig  Eondratowioz.  ^39 

Pablikum  unTei^leichlich  aäber  steht  uls  siej  dasB  er  sich  zur 
Aufgabe  stellt,  nicht  nur  ein  nationaler,  sondern  auch  ein  popu- 
lärer Schriftsteller  zu  sein,  dass  er  nur  weniges  und  zwar  nur 
Alltägliches  darzustellen  versteht,  aber  dafür  mit  einer  die 
Seele  ergreifenden  Wahrhaftigkeit,  die  ihn  zu  einem  Freunde 
und  Lehrer  der  kleinen  Leute  und  des  gemeinen  Mannes  macht. 
„Wenn  ich  zum  Stift  greife",  schreibt  er,  „und  ohne  zu  wissen, 
wu  ich  darstellen  soll,  Skizzen  mache,  so  kommt  bei  mir  immer 
entweder  eine  litauische  Hütte,  oder  eine  Dorfkircbe,  oder  ein 
litaniecbes  Höfchen  heraus.  Nichts  anderes  kann  ich  zeichnen 
—  nur  das,  was  ich  mit  ganzer  Kraß;  der  Seele  liebgewonnen 
habe;  ich  möchte  wol  auch  etwas  anderes  lernen,  möchte  wol 
auch  herrschaftliche  Paläste  zeichnen,  aber  immer  bricht  der 
Stift  ab"  (VII,  220).  Da  seinem  grossen  poetischen  Talent  die 
Schulbildung  nicht  entsprach,  so  haben  infolge  dieses  Man- 
gels seine  Werke  einen  sehr  ungleichen  Werth,  und  zwar  den 
geringsten  die,  auf  welche  er  am  meisten  Zeit  verwendet  hatte 
Bnd  denen  er  die  grÖsste  Bedeutung  beilegte.  Um  zu  bestimmen, 
«eiche  seiner  Werke  eine  besondere  Beachtung  verdienen,  muss 
man  näher  auf  die  Bedingungen  eingeben,  unter  denen  sich  die 
Entwickelung  seines  Talents  vollzog. 

Der  Beginn  von  Koudratowicz'  Wirksamkeit  fiel  mit  dem 
Moment  zusammen,  als  sich  nach  dem  Mislingen  der  revolutio- 
nären Versuche  und  nach  der  Nichtrealisirung  der  Zukunfts- 
pbantasien  die  Gesellschaft  in  die  Betrachtung  der  Vergangen- 
heit versenkte.  Kondratowicz  verehrte  diese  Vergangenheit,  in- 
dem er  sie  mit  den  ersten  Erinnerungen  der  Kindheit  identi- 
licirt,  mit  dem  Glauben,  mit  der  theuren  Heimat.  „Auf  jedem 
Schritt  kann  man  in  Litauen  eine  Spur  von  Ereignissen  ßnden. 
Sei  es  ein  Hügel,  ein  Trümmerhaufen,  ein  Kreuz  am  Wege, 
^ne  Säule,  eine  Kapelle  oder  sogar  eine  Herberge,  alles  ist 
hier  ein  Denkmal  des  Alterthumg  und  ans  längst  vergangenen 
Zeiten,  bietet  so  viel  Interessantes  über  Litauen"  („Dgborög"). 
Und  es  ist  nicht  schwer,  daraus  Material  für  ein  Epos  zu  ziehen: 
»Man  lege  unter  das  Mikroskop  der  Seele,  was  man  will,  ein 
Schmetterlingsköpfcben  oder  ein  menschliches  Herz ,  eine  aus 
verweinten  Augen  fliessende  Thräne  oder  eine  Blume,  gepflückt 
auf  der  Litauischen  Flur;  man  erzähle  das  alles  gewissenhaft 
und  wahrheitsgetreu,  den  Glanz  jeder  Farbe,  jeden  Herzschlag, 
die  Bewegung  des  kleinsten  Atoms  —  und  es  wird  sich  fürwahr 

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410  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

ganz  von  selbst  ein  Gedicht  gestalten"  („Kge  chleba"  —  „lÄn 
Stück  Brot",  II,  117).  Ebenso  naiv,  wie  die  Vergangenlirät  der 
Heimat,  liebt  er  auch  diese  selbst  („Das  Nachtlager  des  Het- 
mans",  2.  Theil):  „Das  Vaterland!  es  ist  dein  Hans,  die  Hütte, 
das  Dach,  unter  dem  du  aufgewachsen  bist,  einstmals  gewohnt 
hast;  der  Acker  dein  tägliches  Brod  im  baogrigen  Jahre;  der 
FlusB,  wo  du  im  Sommer  schwammst  ohne  Sorgen.  Es  sind  die 
Augen  der  Geliebten,  der  HerzensEreund,  es  ist  unser  Him- 
mel mit  der  unendlichen  Weite,  der  Schatten  des 'heimatlichen 
Gartens,  die  alte  Eiche  und  der  Ahorn  und  die  zur  Kirche 
rufende  Glocke.  Es  ist  dein  Haus,  die  Freiheit,  die  Jagead- 
kraft,  und  des  lieben  Vaters  grauer  Bart.  .  .  ." 

Diese  Anhänglichkeit  an  die  Heimat,  eine  fast  körperliche  Ab' 
hängigkeit,  hat  Kondratowicz  vielmals  mit  überraschender  Kraft 
zum  Ausdruck  gebracht:  „Die  Wiesen  der  Heimat  kenne  ich  am 
Aroma,  das  Wasser  der  Heimat  kann  ich  am  Geschmack  erkennen, 
nicht  täuschen  wird  mich  der  Gesang  anderer  Vögel,  am  Sausen 
errathe  ich  die  Bäume  am  Niemen,  den  Wind  am  Niemen  unter- 
scheide ich  durch  meine  Lungen  . .  .  Brotl  aus  deinem  Geschmack 
und  Geruch  empfinde  ich  die  Flur  am  Niemen,  sehe  die  Kapelle 
mit  dem  Strohdach,  höre  die  Glocke  über  meinem  Kopfe  lau- 
ten" {„Ein  Stück  Brot").  Auch  seinem  römisch-katholischea 
Glauben  war  Kondratowicz  anhänglich  von  Seiten  des  religiöseD 
Gefühls,  das  ihn  stets  durchdrang,  aber  nicht  von  selten  des 
Dogmas,  das  er  nie  erörterte  und  nie  berührte.  Nach  seinen  nüch- 
ternen Begriffen  hat  sich  die  Quelle  der  Wunder,  der  schlichte 
Glaube  (krucbciana  wiara)  verflüchtigt  und  wobnt  nicht  mehr 
in  den  Herzen  der  Christen  („Marciu  Studzieäski " ).  Für  ihn, 
den  tolerantesten  der  Menschen,  liegt  der  ganze  Sinn  der 
Religion  in  der  Liebe  zum  Nächsten,  aber  er  liebt  es,  den 
Eiufluss  des  kirchlichen  Ritus  in  der  einfachsten  Umgebung, 
in  einer  armen  Dorf kirche ,  auf  die  Seelen  demüthiger  tmd 
ganz  schlichter  Leute  darzustellen.  Da  er  die  Verherrlichung 
der  Vergangenheit  zum  Ausgangspunkte  genommen,  verfolgte 
er  den  grössten  Theil  seines  Lebens  die  eine  Idee  —  ein 
grosses  Nationalepos  zu  schaffen,  aber  alle  seine  Anstrengun- 
gen in  dieser  Richtung  endeten  mit  vollstem  Miserfolg.  Als 
überaus  logischer  Kopf  suchte  er  der  Begebenheit  die  ent- 
sprechende  Epoche  zu  Grunde  zu  legen,  und  als  Autodidakt 
zeichnete  er  diese  Epoche  nach.  Lehrbüchern,  nach  landläofigeu 

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Ludwig  Eondratowioz.  411 

Gemeinplätzen ,  die  er  durch  Paraplirasen  verwässerte ,  und 
meiDte,  dass  sich  gerade  in  diesen  Gemeinplätzen  der  ganze 
SiDn  der  Geschichte  herge.  Mickiewicz'  Fusstapfen  folgend, 
rechte  er  in  „  Malier "  ( 1855)  den  Kampf  des  litauischen 
Heidenthums  mit  dem  deutscben  Orden  darzustellen,  aber  zur 
Cbarakteristik  der  kämpfenden  Parteien  wird  bei  ihm  kein 
dnziger  Zug  hinzugefügt,  der  nicht  schon  bei  Mickiewicz  vor- 
handen wäre,  und  die  wilden  Litauer  hat  er  mit  Gutmüthig- 
keit,  Weichherzigkeit,  mit  Bolcheo  Gefühlen  der  Ritterlichkeit 
imd  der  Ehre  bedacht,  dass  dieses  heroische  Epos,  in  Stil  und 
Formen  eine  Nachahmung  von  Yiigirs  „Aeneide",  als  ein  lang- 
weiliges, gespreiztes  Kunstprodukt  erscheint,  das  keine  Kritik 
Terträgt.  *  Nicht  besser  als  „Margier"  ist  der  „Kanonikus  von 
Pwernyal"  (d.  i.  Stanislaw  Orzechowski),  eine  unvollendete  Dich- 
tung, und  überhaupt  alle  Erzählungen  grossem  Umfangs,  auf 
die  sich  Kondratowicz  etwas  zugute  that,  aber  der  Gegenstand 
belebt  sich  jedesmal,  so  oft  in  die  Erzählung  lebendige  Typen 
deg  gewöhnlichen  Volks  eintreten,  oder  der  Verfasser,  einer 
ntirischen  Stimmung  folgend,  zu  der  er  immer  geneigt  ist, 
mit  allen  Schellen  der  Narrenpritsche  klingelt,  wenn  er  amü- 
sante Märchenhelden  darstellt,  .wie  den  alles  zur  Unzeit  thuen- 
den  Pan  Philipp  von  Konopli,  den  feigen  Ritter  Bielina  auf 
Vorposten  u.  s.  w.  Die  beliebte  Form  der  Werke  Syrokomla's 
ist  eben  die  Gaw^da,  die  Pol  populär  gemacht  hatte,  aber 
der  UnUrscbied  zwischen  den  beiden  Gawgdaschreibern  ist  der, 
dass  Pol  ein  Partisan  des  Magnatenthums  und  der  Gewalt  ist, 
Syrokomla  aber  all  der  Geschlagenen,  Armen  und  Vertriebenen, 
tut  weiche  das  alte  Polen  kein  Paradies  war,  die  aber  ihr  Land 
nicht  weniger  liebten  als  die  Glückskinder,  und  ihr  Leben  für 
dasselbe  einsetzten.  In  der  Seele  dieses  Mannes,  der  bis  ins 
innerste  Mark  hinein  ein  Szlachcic  war,  birgt  sich  bei  all 
seiner  Güte  ein  untilgbarer  Groll  gegen  jenes  schmeichelnde, 
bochmüthige  Magnatenthum,  das  nach  seinen  Ansichten  auch 
die  unmittelbare  Verantwortung  für  den  Untergang  des  Staates 
bägt.  „Solange  die  kleine  Szlachta,  meine  frommen  Vorfahren, 
den  Magnaten  für  die  Reichstage  und  Kämpfe  nöthig  waren, 
solange  waren   sie   zärtlich   gegen    uns,   machten    uns  trunken 


'  Eine  DeberBetznng  deatelben  iua  RuMieche  in  „Ruaskaja  Mysl"  1860, 

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412  Tiertei  Kapitel.    Die  Polen. 

und  nannten  uns:  liebe  Brüder"  („Podkowa"  —  „Das  Hnf- 
eisen").  „I)u  hast  zu  auegelasBen  dreingehaueu  und  getruDken, 
o  fröhliche  GefolgBchaft;  tn  den  Pokalen  der  Magnaten  blieb 
ein  Bodensatz  zurück,  bittere  Galle  mit  Essig  für  die  arme 
Brüderschaft.  Wehe  dem,  der  nicht  Zins  zahlt  für  den  Acker, 
die  Heuernte,  für  das  Wasser  im  Teiche,  für  das  Dach,  für 
den  Sonnenstrahl,  für  die  geatbmete  Luft  und  für  die  thaufeuchte 
Blume"  („K^s  chleba").  Jetzt  gibt  es  keine  Szlachta  mehr 
im  frühem  Sinne,  ea  gibt  keine  Landt^e,  die  Lebensverhält- 
nisse haben  sich  geändert;  Kondratowicz  schliesst  seine  Er- 
zählung „Podkowa^'  mit  der  folgenden  Apostrophe  an  die 
kleine  Szlachta:  „Ihr  werdet  wieder  nothwendig  sein,  nicht 
für  den  Landtag  mit  dem  Säbel,  sondern  mit  der  Feder,  mit 
dem  OeiBte.  Die  Welt  ist  ein  weites  Feld  und  Brot  darauf 
viel,  man  muss  nur  lernen  und  arbeiten."  —  Aber  unter  den 
neuen  Verhältnissen  blieben  die  frühem  Gefühle,  das  Herz  des 
Dichters  neigt  sich  dem  kleinen  Manne  zu,  dem  armen,  den 
ärmsten,  dem  schlichten  Bauer.  Der  Dichter  leidet  für  ihn; 
ohne  sich  Bonst  in  die  Politik  zu  mischen,  geht  er  hier  von 
dieser  Regel  ab,  er  wird  ein  enragirter  und  scharfer  Satiriker, 
wenn  die  Rede  auf  die  Befreiung  der  Bauern  kommt;  er  schämt 
sich  Beines  Wappensiegels  angesichts  dessen,  dass  das  Bauem- 
comite  in  Wiloa  zögert,  über  die  Befi-eiung  der  Bauern  mit  gleich- 
zeitiger Landbegabung  zu  beschliesBen  (VII,  193);  er  geisselt 
die  an  der  Leibeigenschaft  festhaltenden  Feudalherren,  die  ihre 
Vasallen  mit  dem  Riemenacepter  regieren  (VII,  126).  In  dem 
Gedicht  „Die  Pappe"  (I,  191;  1831)  lässt  er  ein  Mädchen  sich 
in  folgenden  Betrachtungen  ergehen:  „Du,  Puppe,  weisst  nicht, 
(lass  wir  Pane  sind,  und  dasB  eß  noch  ein  anderes  Volk  gibt, 
—  die  Bauern,  denen  Gott  der  Herr  aufs  strengste  befohlen  bat, 
für  die  Fane  zu  arbeiten.  Schmutzig,  garstig,  betrunken,  wahre 
Bettler,  in  zerlumpten  Kitteln,  regen  sie  sich  kaum,  aber  sie 
sind  selbst  schuld,  Gott  straft  sie  dafür,  dass  sie  dem  Papa  nicht 
gehorchen."  Wie  freut  sich  dagegen  der  Dichter,  wenn  er  voo 
einem  grossen  Ereignisg  erzählt  —  der  Errichtung  einer  Dorf- 
schule (IV,  167).  Der  Volkssanger  Kondratowicz  ist  gerade 
stolz  darauf,  dass  er  ein  Dorfgeiger  oder  -Leiermann  ist,  der 
beim  Gastmahl  auf  dem  Dorfe  die  erste  Stelle  einnimmt,  aber 
bei  dem  Mahle  der  Reichen  von  den  letzten  der  letzte  wäre  und 
nur  an  der  Schwelle  stehen  würde   (VI,  313:    „Der  Dorfgeiger" 

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.    SigismnDd  Eaczkowski.  413 

—  nSkrzypak  wioskowy").  Der  Sänger  ist  ein  schlichter  Mann, 
aber  er  wahrt  eifersüchtig  seine  Unahhängigkeit  und  ist  darum 
besorgt,  dass  eein  Lied  in  Ehren  stehe.  „Wisse,  was  der  Stolz 
des  Sängers  ist.  Ich  hange  vor  niemand  weder  mein  Lied  noch 
m«io  Haupt;  als  stolzer  Dorfleiermann  werde  ich  sterben,  auf 
der  Leier  spielend."  („Der  Dorfleiermann"  —  „Limifa  wioskowy", 
VI,  242).  In  dem  stolzen  Gefühl  seiner  Unabhängigkeit  wird 
Koodratowicz  nur  von  Stowacki  übertroffen;  vor  niemand  hat 
er  weder  sein  Haupt  gebeugt,  noch  seine  Leier,  die  nach  sei^ 
Dem  Tode  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  keinen  passenden 
Erben  gefunden  hat. 

Xicht  nur  die  Talente  wurden  im  Vergleich  zu  früher  ein- 
seitiger und  flacher,  sondern  es  ging  auch  im  Uehergewicht  and 
iD  der  Herrschaft  der  Gattungen  der  A-tihem  Literatur  eine  grosse 
Aenderang  vor.  Die  Gesellschaft  war  nicht  reif  genug,  um  an 
der  reinen  Wissenschaft  Genuss  zu  finden  und  sich  zu  ihr  hin- 
gezogen zu  ßihlen,  aber  sie  erkaltete  doch  gegen  die  hohe  Poesie, 
gegen  den  Aufschwung  in  das  Gebiet  der  weltumfassenden  Ge- 
danken. Der  Vers  wird  durch  die  Prosa  verdrängt,  and  in  dieser 
entwickeln  sichauf  Kosten  aller  andern  Zweige  der  Literatur  eine 
malerische  Geschiobtschreibung  —  in  der  Person  Szajnocha's,  und 
der  Roman,  sowol  der  historische  als  der  zeitgeschichtliche;  die- 
wr  fond  einen  glänzenden  Vertreter  inSigismund  Kaczkowski, 
der  in  seinen  Werken  am  besten  den  Geist  der  ängstlichen, 
conservativen  Epoche  der  Ernüchterung  nach  den  Bacchanalien 
der  Romantik  darstellt.  —  Nur  kurz  war  die  Herrschaft  dieses 
Bomanschriflstellers,  der  vom  Jahre  1851  an,  als  seine  ersten 
grossen  Werke  erschienen,  sofort  vom  Publikum  unvergleich- 
hch  höher  gestellt  wurde,  ab  Bzewuski,  und  nach  1861  fast 
vollständig  verstummte,  unter  Hinterlassung  einer  Masse  von 
Werken,  von  denen  bei  weitem  nicht  alle  in  den  11  Bänden 
der  von  Unger  veranstalteten  Warschauer  Ausgabe  (1874 — 75) 
einen  Platz  gefunden  haben.'  Er  selbst  war  sozusagen  durchs 
Feuer  und  Wasser  gegangen,  und  hatte  in  vollem  Masse  das 
Bevolutionsfieber  durchgemacht.  Geboren  1826  in  einer  der 
BergBchlnchten  des  Sanoker  Kreises  (an  den  Quellen  des  San  in 


'  Im  11.  Bande  findet  sich  eine  Biographie  des  Verfaaacra  von  Tincenz 
Korotynski.  Siehe  noch  P.  Chmielowski,  Z.  Kaczkowski,  studinin  lite- 
nckie  (in  Niwa  1876,  Nr.  45—48). 


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414  Viertei  Kapitel.    Die  Polen, 

Galizien),  empfing  er  eine  fast  ausschliesslich  literarische  Bil- 
dung, beendete  schon  mit  19  Jahren  den  Stodiencnrsus  an  der 
Universität  Lemberg,  und  sass  schon  im  20.,  dem  denkwür- 
digen Jahre  184C,  von  den  Bauern  eingeliefert,  mit  seinem  Vater 
im  Gefängniss  zu  Lemberg.  Vater  nnd  Sohn  wurden  als  demo- 
kratische Agitatoren  verurtheilt,  der  erstere  zu  20  Jahren  Festung, 
der  andere  zum  Tode  durch  den  Strang.  Die  Ausführung  des 
Urtheilsspnichs  ward  durch  das  Jahr  1848  verhindert,  das  bei- 
den die  Freiheit  gah.  In  diesem  Jahre  reiste  Kaczkowski  nach 
Frag  zum  Slavencougress  als  Delegirter  der  galizischen  Polen; 
im  Jahre  1849  musste  er  sich  wieder  verbergen  nach  dem 
Bombardement  von  Lemberg  durch  Hammerstein,  aber  schon  am 
Ende  des  eben  genannten  Jahres  liess  er  sich  in  Lemberg  nieda 
und  verwandelte  sich  in  einen  fleissigen,  vielschaffenden  Schrill- 
steiler.  Im  Gefängniss  war  aus  dem  Revolutionär  ein  Conser- 
vativer  geworden,  der  nicht  nur  ein  Gegner  der  revolutionären 
Art  zu  handeln,  sondern  auch  der  Ideen  der  Revolution  selbst 
ward.  Alle  Ursachen  des  revolutionären  Taumels  führte  Kaa- 
kowski  vor  allem  auf  die  Romantik  zurück.  „Das  Volk",  urtheilt 
er  („DziwoÄona",  „Epilog"),  „schickt,  wenn  es  in  eine  neue  Le- 
benspbase  tritt,  seine  Wünsche  voiuus,  deren  Glanz  sich  auch 
in  der  Literatur  reäectirt.  Diese  unsere  neue,  romantische  Poe^e 
weckte  die  schlafende  Volksseele,  aber  wer  diesen  Becher  bis 
auf  den  Grund  austrank ,  bekam  einen  Schwindel,  der  sich  hätte 
in  Wahnsinn  verwandeln  können."  Der  thörigtste  von  allen  ro- 
mantischen Dichtern  war  nach  der  Ansicht  Kaczkowski's  Julius 
^owacki.  Nachdem  er  die  Romantik  abgestreift,  stand  Kacz- 
kowski in  der  Literatur  als  aufgeklärter  Katholik  und  fortschritt- 
licher Aristokrat  da,  welcher  der  Intelligenz  seines  Volkes  räth, 
sich  mit  dem  Ackerbau  zu  beschäftigen,  sich  nicht  nach  allen 
Seiten  hin  zu  zersplittern,  nicht  in  einem  ziellosen  Dilettantismus 
aufzugehen,  sondern  nach  einer  speciellen  Bildung  zu  streben  und 
ohne  sich  mit  allgemeinen  Problemen  zu  befassen,  grosse  Re- 
sultate in  kleinem  Kreise  durch  langsame,  aber  organische 
Arbeit  zu  erreichen.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dasa  bei  dem 
fortwährend  herbeigezogenen  und  wiederholten  Motiv  des  Kampfes 
der  Revolution  mit  der  Reaction,  der  Demokratie  mit  der  Aristo- 
kratie, der  hohen  Phantasie  und  des  nüchternen  Verstandes, 
(He  edle  Rolle  immer  dem  Verstände,  der  Autorität  und  den 
Vornehmen,  als  den  Bewahrem  der  Ueberlieferungen ,  zufallt, 

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SigiBinDiid  EacEkonski.  416 

die  unedle  aber  dem  Emporkömmling,  dem  gewandten  PIue- 
macher,  der  sich  durch  Speculatiooen  schnell  ein  Vermögen 
Bchafft.  Das  ist  der  Charakter  einer  langen  Reihe  von  zeit- 
geschichtlichen Komaneu  Kaczkowski's ,  die  mit  „Gato"  (185t) 
beginnt,  sich  in  der  „Wunderfrau"  („DziwoÄona",  1854),  den 
„Enkeln"  („Wnaczgta"  1855),  dem  „Byronist"  („Bajronista"  1855) 
fortsetzt  und  mit  den  Werken  „Stach  z  Kgpy"  (1856)  und  „Roz- 
hit«k"  („Der  Schiffbrüchige",  1861)  schliesst.  Alle  diese  Romano 
BjHelen  in  Galizien,  drehen  sich  um  die  Ereignisse  der  Jahre 
1346  und  1848,  sind  arm  an  psychologischer  Analyse,  aber  reflec- 
tiren  die  allgemeine  Bewegung  und  Stimmung  der  Geister  und 
Geoüther  ziemlich  getreu.  Was  ihnen  in  künstlerischer  Be- 
ziehung abgeht,  das  ersetete  der  Verfasser  durch  für  jene  Zeit 
lobensirerthe  and  nützliche  Tendenzen. 

Aber  nicht  diese  zeitgeschichtlichen  Er/äblungen  begründe- 
ten Eaczko'wski's  grossen  Ruf.  Als  Vertheidiger  der  Tradition 
iet  Szlachta,  der  sie  seinen  Begriffen  nach  mit  dem  Fortschritt 
uissöhnte,  schöpfte  er  sie  ans  der  ersten  Hand,  direct  aus 
der  Quelle.  Die  galizische  Gesellschaft,  schon  1772  von  Polen 
geb-ennt,  hatte  sich  wie  eine  Versteinerung  bis  ins  19.  Jahr- 
handert  erhalten;  das  Sanoker  Gebiet  war  ein  Bergland,  und  in 
solchen  hält  sich  das  Alte  länger;  im  Hause  Kaczkowski's  lebte 
Beine  Groasmutter  D^borög-Bylczynska  (gestorben  1853),  die  sich 
noch  der  Zeiten  August'e  III.  erinnerte  und  mit  grösster  Ge- 
nauigkeit von  den  Zeiten  Poniatowski's  und  der  Confoderation 
von  Bar  erzählte.  Nachdem  er  im  Gefängniss  alles  über  das 
18.  Jahrhundert  in  Polen  Gedruckte  gelesen,  blieb  er  bei  derCon- 
föderation  von  Bar  stehen,  und  beschloss,  der  Historiker  dieser 
letzten  rein  nationalen  Bewegung  zu  werden,  nach  welcher  das 
ihm  fast  ebenso,  wie  Rzewuski,  widerwärtige  Eindringen  franzö- 
sischer Ideen,  Sitten  und  Einrichtungen  begann.  Nach  seiner 
Befreiung  ans  dem  Geföngniss  vertiefte  er  sich  in  das  ge- 
wdtige  bandschriftliche  und  gedruckte  Material  des  Ossolinski'- 
sehen  Instituts  für  die  Geschichte  des  18.  Jahrhunderts  und 
dwchforschte  es  vollständig.  Eine  Geschichte  der  Confoderation 
B<^rieb  er  nicht,  aber  die  Personen  und  Ereignisse  begannen 
sich  zu  Romanen  und  Erzählungen  zu  gestalten,  die  unter  sich 
einen  engen  Zusammenhang  haben ,  weil  sich  die  Ereignisse 
grösstentheils  im  Sanoker  Gebiet  vollziehen,  in  vielen  Romanen 
dieselben  Personen  auftreten;  ausserdem  wird  dieselbe  Methode 

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416  Viertes  Kapitel.    Die  Polen. 

angewendet,  welche  Rzewuski  zu  statten  kam  —  ale  Eirahler 
tritt  ein  Mann  alten  Schlages  auf,  der  letzte  aus  dem  Ge- 
schlecht  der  Nieczuja,  der  Sohn  des  Schatzmeisters  in  Zakro- 
czym,  Martin  Nieczuja,  der  nach  dem  Ausdruck  Chmielowski's 
die  Republik  von  der  Höhe  des  Strohdaches  seines  Hofes  ans 
betrachtet  und  in  der  Religion  den  Hauptfactor  der  häus- 
lichen und  politischen  Angelegenheiten  sieht.  Der  Cyclus  der 
Nieczuja  -  Erzählungen  ist  umfangreich  und  umfasst  folgende 
Stücke :  „ Bitwa  o  Chor^ankg" ,  1851 ;  „ Easztelanie  Luba- 
czewscy"  (1851)i  „Swaty  na  Rusi",  „Murdelio",  „M^  szalony" 
(1852);  „Gniazdo  Nieczujöw"  (1855);  „Starosta  Holobncki" 
(1856);  „Grob  Nieczui"  (1858).  In  diesen  Cyclus  gehören  nicht 
„Bracia  älubni"  (1854);  „Annuncyata"  (1858);  „Sodalia  Ma- 
rianus" (1858)-  Eaczkowski  ist  kein  unbedingter  Anbeter  der 
Vergangenheit:  er  schätzt  die  im  Adelstande  entwickelte  Brüder- 
lichkeit und  Idee  der  Selbstverwaltung,  hebt  aber  auch  die 
rohe  Unwissenheit  der  Szlachta,  das  hartherzige  Verhalten 
gegen  die  niedern  Klassen  hervor.  Aber  nicht  diese  Wür- 
digung  reizte  die  Leser,  sondern  die  vorzügliche  flaetik  in 
der  Darstellung  der  handelnden  Personen  und  ihrer  Gruppi- 
rung.  Im  Jahre  1855  besuchte  Kaczkowski,  durch  Arbeit  er- 
schöpft, Westeuropa  und  machte  sich  mit  allen  Notabilitätcn 
der  Emigration  bekannt  (Krasinski,  Mickiewicz,  Lelewel).  In 
den  letzten  Werken  nimmt  das  Element  der  Reflexion  und 
Kritik  über  die  künstlerische  Seite  derselben  die  Oberhand 
(„Sodalis  Marianus",  „Rozbitek").  Der  Roman  „2ydowEcy" 
1860)  war  eher  ein  Pamphlet  gegen  die  Romantiker  in  der 
Politik.  Mit  Anfang  des  Jahres  1861  ward  Kaczkowski  sogar 
Journalist  und  begann  zu  Lemberg  die  Zeitung  „Glos"  heraos- 
zugehen ,  sie  hatte  aber  nur  eine  ephemere  Existenz.  Gleich 
zu  Anfang  der.  Thätigkett  des  Ministeriums  Schmerling  wurde 
sie  im  Juli  1861  verboten ,  und  ihr  conservaüver  Redactesr  za 
fünf  Jahren  Festungshaft  verurtbeilt,  aus  der  ihn  1862  kaiser- 
liche Gnade  befreite.  Das  traf  mit  dem  Moment  zusammen, 
wo  in  Russland  der  letzte  Aufstand  ausbrach,  der  von  einer 
entsprechenden  Bewegung  in  Galizien  begleitet  war,  bei  wel- 
cher exaltirte  Romantiker  die  Hauptrolle  spielten.  Kaczkoffdd 
hielt  es  für  nöthig,  Galizien  zu  verlassen,  siedelte  nach  Wien, 
dann  nach  Paris  Über,  hetheiligte  sich  an  der  vesteurojüiscbMi 


.....(^lOOJ^Ic 


Karl  SztOnocha.  417 

Journalistik ,   an    Börsenspeculationen ,    und  brach    die   Verbiii- 
<liii]g  mit  der  polnischen  Literatur  ab. ' 

Während  Kaczkowski,  der  sich  vorgenommen  ein  Historiker 
iD  «erden,  später  nur  Romanscfariftsteller  wurde,  tritt  uns 
in  Karl  Szajnocha,  dem  Sohn  eines  in  Galizien  angesiedelten 
Cechen,  der  sich  noch  Scheiuoha  Wtelleneky  unterzeichnete  and 
Subalternheamter  bei  der  Jurisdiction  war,  die  ganz  entgegen- 
gesetzte Erscheinung  eines  Uebergangs  von  poetischen  Versuchen 
>n  der  grossartigsten  Kunst  der  historischen  Malerei  entgegen. 
SaLJnocha*  ward  1818  geboren.  Im  Jahre  1836,  als  er  noch  Gym- 
nasiast war,  ward  er  wegen  einiger  Gedichte,  die  bei  ihm  gc- 
fnodea  wurden,  festgenommen  und  einer  schweren  Gefängnisehaft 
nnterworTen.  Die  halbjährige  Einsperrung  zerUttete  seine  Ge- 
sondheit  und  verschloss  ihm  den  Weg  zu  höherer  Bildung.  So- 
gw  der  Aufenthalt  in  Lembei^  ward  ihm  in  der  ersten  Zeit  ver- 
boten. Der  junge  unvermögende  Mann  erwarb  sich  sein  Brot 
<inrch  Ertheilen  von  Unterricht,  und  später  durch  Gedichte,  Er- 
ühlungen  und  Dr&men  in  den  lemberger  Zeitungen,  endlich  durch 
Mitwirkung  an  Journalen.  In  dem  für  Galizien  kritischen  Jahre 
1846  war  Szajnocha  schon  ganz  ins  Gebiet  der  Geschichte  über- 
gegangen, und  begann  sie  allseitig  zu  bearbeiten,  bald  in  einzel- 
nen Abschnitten,  indem  er  eine  Menge  interessanter  Fragen  in 
^ilreichen  historischen  Skizzen  lösste,  die  in  Bezug  auf  VoUen- 
dQng  und  Feinheit  der  Arbeit  wahre  Perlen  bilden,  bald  so,  dass  ' 
er  grosse  Epochen,  hauptsächliche,  entscheidende  Momente  im 
Leben  des  Volkes  zeichnete.  Seine  historische  Laufbahn  begann 
er  mit  zwei  historischen  Bildern:  „Das  Zeitalter  Kazimir's  des 
Grossen"  (geschrieben  1846,  gedruckt  1848)  und  „Boleslaw  Chro- 
hry"  (geschrieben  1848,  gedruckt  1849).  Der  vollen  Reife  und  dem 
ßrossien  Glänze  seines  Talents  gehört  an  „Hedwig  und  Jagiello^ 
(.rJadwiga  i  Jagiello"),  ein  Geschichtswerk  in  drei  Bänden,  1855 
~ö6.  In  Bezug  auf  Schönheit  der  Zeichnung  und  Ghinz  des  Co- 
lorits  kann  dieses  Capitalwerk  kühn  den  Vergleich  mit  AuguslJn 


■  Seine  letzte  Enählung  „Qraf  Rak"  in  der  Gazeta  Polaka,  1839,  ist 
•«Iir  schwach. 

'  Eine  Anagabe  seiner  hisloriaofaen  Werke  veranataltcte  Unger  in  War- 
fxhin  in  10  Bänden:  Dsiela  Karola  Szajnochy  ,  IH76~T8.  Dtr  lU.  Band 
Mtilt  eine  utniangliclie  BioBrnpliie  Sznjnndin's,  verrnsRt  von  Clemenx 
Kintecki. 

^'I>,  SUilulu  LlluBliuaD.    11,1.  2T 

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418  Tiertes  Kapitel.    THp  Polpn. 

Tbierry's  „Eroberang  Englands  darch  die  Normannen"  und  Ma- 
caulay's  „CeBcliichte  der  engliachen  Bevolation"  aushalten.  Im 
Jahre  185.5,  als  er  in  die  Stellung  eines  Gustos  am  Osso- 
li^ski'schen  Institut  eingetreten  war,  verheirathete  er  sich. 
verlor  aber  bald  darnach  durch  Ueberarbeiten  das  AugenUclit 
(seit  Mitte  des  Jahres  1857).  Von  da  an  bis  zu  seinem  Tode 
1868  folgte  eine  Periode  unaufhörlicher  Thätigkeit  mit  Hülfe 
von  Vorlesern  und  durch  Dictiren.  Frische  des  Geistes  nml 
ein  gewaltiges  Gedächtniss  setzten  den  blinden  Gelehrten  in 
Stand,  gewaltige  Aufgaben  zu  lösen.  Im  Jabre  1858  war^ 
der  Ursprung  des  polnischen  Staats  von  den  Warägern  hei^e- 
leitet,  die  von  jenseits  des  Meeres  gekommen  »eien  („Lechidci 
pocz^tek  Polski"  —  „Der  lechische  Ursprung  Polens").  Schon 
früher  wurde  der  Ursprung  der  Szlachta  und  der  Wappen  in 
Polen  erklärt  („Nowe  szkice  historyczne"  —  „Neue  historische 
Skizzen",  1857).  Im  Jahre  1860  wurde  der  Anfang  einer 
Geschichte  Johanu's  III.  Sobieski  auegegeben,  die  jedoch  ohne 
Fortsetzung  blieb.  Der  Historiker  wurde  vom  Tode  ereilt,  als 
er  eben  die  letzten  Kapitel  in  seiner  Beschreibung  der  grossen 
Krisis  der  polnischen  Geschichte,  nämlich  der  Kosakenkriege 
schrieb:  „Dwa  lata  dziejöw  naszych"  („Zwei  Jahre  polnischer 
Geschichte",  2  Bde.,  1865—69). 

Die  grösate  Zahl  von  Talenten  und  die  kräftigsten  lieferte 
der  Literatur  in  der  Periode  nach  1848  Galizien,  das  so  lange 
für  die  znräckgebliebenste  Provinz  gegolten  hatte,  das  bis  in  die 
Fundamente  der  Gesellschaft  durch  einen  harten  socialen  Kampf 
aufgeregt  wurde,  aber  nach  1859  die  Früchte  eines  freiem  Ver- 
haltens der  österreichischen  Centralregierung  zu  den  Völker- 
schaften zu  geniessen  begann.  Die  Productivität  der  polnischen 
Literatur  innerhalb  der  Grenzen  des  Russischen  Reichs  bat  sich 
auch  nach  1856,  als  unter  der  neuen  Regierung  eine  Epoche 
radicaler  und  allseitiger  ßeformen  begann,  nicht  vergrössert. 
Der  Arbeiter  waren  wenige,  das  Publikum  mied  eine  ernste 
Lecture,  fand  aber  Geschmack  am  Roman.  Koryphäen  des 
polnischen  zeitgeschichtlichen  Romans  gab  es  zwei :  KorzenioirKki 
und  Kraszewski. 

I  Korzeniowski',  geb.  U97  im  Städtchen  Brody,  ei^ 


'  VolUtänilige  Sammlung  seiner  Werke,  Verlag  der  Redaotioii  <lMJour- 
nalB  Ktosy,  in  12  Bänilen  (WurscliHu  1871—73).    Studie  öher  Kiineuioirslii 

ü,g:.._.u.,GOOJ^IC 


Joneph  KoKeniowski.  419 

bielt  seine  Scbulbildung  auf  dem  Gymnasium  zu  Kremenec, 
dss  zu  seiner  Zeit  zu  einem  Lyceum  erboben  wurde,  und  be- 
gib sich,  nachdem  er  hier  1819  seine  Studien  beendet,  nach 
Warschau,  wo  er  das  Amt  eines  Hauslehrers  bei  dem  kleinen 
Sobn  des  Generals  Vincenz  Krasinski,  Sigiemund,  annahm ;  bald 
daraaf  verheirathete  er  sich  mit  der  Tochter  eines  warschauer 
UniTersitätsprofessors ,  des  Malers  Vogel,  und  ward  1829  von 
ifsm  Cnrator  Czartoryski  auf  denselben  Lehrstuhl  der  polni- 
schen Literaturgeschichte  am  Lyceum  zu  Kremenec  berufen, 
den  Torher  Aloysius  Feliiiski  innegehabt  hatte.  Der  junge 
Professor  war  Eklektiker,  und  behielt  bis  zum  Ende  seines 
Lebens  viel  von  classischen  Geschmacksrichtungen  und  Ge- 
wohnheiten. Er  verehrte  Ludwig  Osiiiski,  mit  dem  er  im  Salon 
der  Familie  Krasinski  bekannt  geworden  war,  und  Feliäski's 
„Barbara"  galt  ihm  für  eine  Mustertragödie;  aber  auch  auf 
ibn  wirkte  die  persönliche  Bekanntschaft  mit  Brodzinski,  er 
gewann  sowol  Shakespeare  als  Schiller  lieb,  und  suchte  in 
seinen  Vorlesungen  Classici&mua  und  Romantik  nach  Möglich- 
keit auszusöhnen.  Die  friedliche  Lehrthätigkeit  in  seinem 
liehlingshch  wurde  durch  die  Ereignisse  des  Jahres  1830  ge- 
stört: das  Lyceum  wurde  geschlossen;  aus  seinen  Geldmitteln, 
Sammlungen,  Museen  und  sogar  aus  dem  Personalbestand  sei- 
ner Docenten  ward  die  Universität  des  heiligen  Vladimir  (zu 
Kiew)  gebildet,  an  der  man  Korzeniowski  nöthigtc,  Mythologie 
Qod  römische  Alterthümer  vorzutragen;  im  Jahre  1837  ver- 
setzte man  ihn  als  Gymnasialdirector  nach  Charkow.  Der  Auf- 
enthalt hierselbst  brachte  ihm  in  vielfacher  Beziehung  Nutzen: 
er  hatte  hier  eine  angenehme  Gesellschaft  von  Polen  (Alexander 
Mickiewicz,  den  Philologen  Professor  Alfons  Walicki),  Müsse 
genug,  die  Arbeit  ging  rasch  von  statten,  es  wurden  Dramen, 
Tragödieu,  Komödien  fertig,  geschrieben  in  Blankversen  oder 
in  Prosa.  Die  ersten  Versuche  waren  schon  in  Kremenec  ge- 
macht: „Aniela",  „Klara"  (1826),  „Der  Mönch"  und  viele  .in- 
dere;  obgleich  sie  wohl  durchdacht  waren,  so  schadete  doch 
die  Belesenheit  des  Autors  dem  eigenen  Schaffen ,  und  die 
Werke  bauten  sich  nicht  auf  originalen,   sondern  auf  gelesenen 


von  Bzqzewaki  in  Bibl.  Ware;;.  187(>,  I.  Eine  Biographie  Korzeniowski'» 
schrieb  Clemeng  Kantecki:  „Dwai  Krzemiericznnie.  Wizcruuki  literackie 
11.  Korzeniowaki"  (Lemht*nr  1879). 


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420  Vierte"  Kapitel.     Die  Polen. 

und  entlehnten  Motiven  auf.  Aber  sein  Talent  entwickelte  Eich 
und  diese  Entwickelung  vollzog  ßich  durch  den  Uebei^ang  von 
hohen  Sujets  und  vom  hohen  Stil  zum  einfachen  Ulndlichen  und 
bürgerlichen  Drama  und  zur  Komödie,  wobei  eine  äusserst  scharfe 
Beobachtungsgabe  und  feiner  Witz  zur  Erscheinug  kam  und  die 
Form  immer  schön  und  auziehend  war.  Einige  dieser  Dranieii, 
übrigens  nur  wenige,  sind  überraschend  durch  die  Kraft  der  Lei- 
denschaft z.  B.  die  „Ksrpatischen  Goralen"  (1H43),  worin  der 
Hauptbeld  ein  galizischer  Bauer  Rewizorczuk,  der  zum  Soldaten 
ausgehoben  wird,  Hiebt  und  Käu  her  wird,  oder  durch  die  Tiefe 
des  Gedankens  z.  B.  „Die  Juden"  (1843),  worin  die  wirklichen, 
im  Stück  auftretenden  Juden  nicht  ohne  Edelmuth  sind,  und 
durch  Eigennutz  und  Ränke  von  den  adeligen  Herren  und  Guts- 
besitzern, verschiedenen  nach  der  Natur  gemalten  Typen  der  da- 
maligen Szlachta-Gesellschaft,  ubertroffen  werden.*  Nur  in  den 
„Karpatischen  Goralen"  („Karpaccy  gorale")  ist  KorzeniowsH  in  die 
Erdgeschosse  des  Volkslebens  hinabgestiegen,  meist  überschreitet 
er  aber  die  Grenzen  des  Mittelstandes  nicht  und  zieht  das  Fröh- 
liche dem  Tragischen  vor;  eine  Kleinigkeit,  ein  nichtiger  Zufall, 
eine  Anekdote  genügen  zur  Schaffung  eines  Stückes.  Mit  diesen 
Stücken  bebalf  sich  die  polnische  Hauptbühne  jener  Zeit  —  d«» 
Theater  zu  Warschau.  Der  Statthalter  PaskeviC  pflegte  den  Vor- 
stellungen beizuwohnen,  was  die  Gönner  Korzeniowski's  aus  der 
hohem  polnischen  Gesellschaft  benutzten  und  1846  seine  Anstel- 
lung in  Warschau  beim  Unterrichtsressort  erwirkten,  wo  er  bis 
2U  seinem  Tode  verblieb,  der  17.  September  1863  zu  Dresden 
erfolgte;  er  bekleidete  zuletzt  das  Amt  eines  Directors  der  Ab- 
theilung für  Volksbildung,  Cultus  und  Unterriebt,  za  dem  er 
von  dem  Marquis  Wielopolski  ernannt  worden  war.  —  Schon 
Während  seines  Aufenthalts  in  Charkow  begann  Korzeniowski 
von  der  Bühne  zur  Erzählung  überzugehen  und  verfasste  zwei 
vorzügliche  Romane  „Kollokacya"  (herausg.  1857)*  und  „Der 
Speculant"  (herausg.  1846).*  In  Warscbao  widmete  er  sich 
der  Hauptsache  nach  dieser  freiem  und  von  den  Censurverhält- 
nissen    weniger  beengten  Dichtungsart  („W^röwki  oryginala" 

>  Ins  Ruaaiaobe  übersetzt  im  Sovreraennik  1861. 

'  DcuUch  von  Philipp  Löbcnslein  d.  d.T.  „Unsere  SohUohta"  (in  PL 
Reclam's  t.'uiveraalhibliotliek,  Nr.  1123—34);  von  Methner  o.  d.  T.  „Dw 
DorTiulel"  (Gnesfit  1875). 

'  Deutsch  von  H.  Max  (2  Bde.    Wien  1880). 


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Jubupb  Iguaz  KrasüuwBki.  421 

—  „Reisen  eines  Originals",  1848;  „Garbaty"  — „Der  Bavklige", 
1HÖ2;  „Tadeuaz  bezimienny",  1852;  „Krewni"  —  „Die  Ver- 
wwidten",  1857  u.  v.  a.),  Korzeniowski  hat  TerliältDiüBiuäBsig 
weniger  geschrieben  als  Kraszewski,  er  arbeitete  eeine  Werke  sorg- 
lalliger  aus  und  übertrifft  ihn  vielleicht  als  Künstler,  aber  in 
alten  anderen  Beziehungen  steht  er  seinem  Rivalen  nach.  Er 
mr  ein  verständiger  Mann,  von  Natur  gemässigt  und  ruhig, 
der  keine  gespannten  Verbältnisse,  keine  tragischen  CoUisioneu, 
keinen  unheilbaren  Gram  liebte.  Er  verherrlichte  die  Arbeit, 
die  ßechtschaffenheit,  die  häuslichen  Tugenden,  aber  er  wusstc 
Tollkommen  das  Glück  zu  schätzen,  ein  Vermögen,  eine  gesicherte 
Stellung  zu  haben;  alle  seine  Helden  sind  voll  der  philiströsen 
Tngend,  die  Leuten  eigen  ist,,  denen  es  in  ihren  Lebensverhält- 
lÜEsen  wohl  geht,  und  die  denen  behagt,  welche  niemals  gegen 
den  Strom  schwimmen.  Da  er  sich  in  den  Kreis  der  vermögen- 
den Leute  eingeschlossen,  stadirte  und  stellte  er  nichts  ausserhalb 
dieser  Gesellschaft  dar. 

Die  Tbätigkeit  Kraszewski's  werden  wir  nicht  im  Eiu- 
zeluen  darstellen,  weil  ihre  Entwickelung  erst  im  Laufe  der 
Tou  uns  beschriebenen  Periode  (1848 — 63)  allmählich  fortschritt, 
nod  mit  den  Jahren  nicht  nur  nicht  abnahm,  sondern  im 
gegenwärtigen  Moment  noch  stärker  und  mannicbfaltiger  ist, 
uls  in  der  Periode  von  1848 — 63  sowol  an  Zahl  der  Werke 
wie  an  Inhalt.  ■  Wir  wollen  uns  auf  einige  chronologische 
.\ngaben  beschriinken.  Von  1837 — 53  tbeilte  Ki-aszewski  die 
Z«t  zwischen  Literatur  und  Ackerbau,  während  er  im  Üou- 
Temeraent  Volynien  in  Omelno ,  dann  1840  —  49  in  Grödek 
bei  Luck  und  später  in  Hubin  lebte,  auch  zuweilen  Ausflüge 
nach  Kiew,  nach  Odessa,  nach  Warschau  machte.  Schon 
l»38  gründete  er  einen  Hausstand  ( er  verheirathete  sich  mit 
Sophia  Woronicz).  In  diese  Jahre  fällt  die  Herausgabe  des 
„Ateneum"  (1841 — 52),  die  Erkaltung  der  Beziehungen  zu 
Gräbowski,  der  Bruch  mit  dem  eiuflussreichen  und  zuweilen 
gefährlichen  Kreise  des  „ Petersburgski  Tygodnik",  das  Stu- 
diiun  und  die  Vertrautheit  (seit  1855)  mit  der  Hegerschen  Phi- 
losophie.    Eine    Reihe    von    Miserfolgen    in    der   Wirthschaft 


'  Uilcriftl  zar  Biugriipliie  und  uinu  Ueliersioht  der  iliätigkeit  in  dem 
Werke:  „Kaifika  jubileuszowa  dU  ncieoia  pi^ädziesifoiuletDiej  dziaUI- 
»OMi  i.  L  Kraazewikiego",  1880. 


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422  Viertes  Kapitel.     Die  Pr)leii. 

nöthigte  Kraszewski  sein  Dorf  zu  veilaaBun  und  1853  nach  Zito- 
niir  überzusiedeln.  Hier  gerietli  er,  statt  die  erwartete  Bube 
zu  tinden,  in  den  Mittelpunkt  einer  sehr  belebten  und  mit 
ihren  kleinen  Provincialinteresaen  beschäftigten  Gesellschaft, 
bulb  aus  Beamten,  halb  aus  Gutsbesitzern  bestehend.  Mit  der 
ofticiellen  Welt  verknüpfte  ihn  das  Ehrenamt  eines  Curators  des 
Gymnasiums  zu  ^itomir,  das  Directorat  des  polnischen  Thea- 
ters, der  Vorsitz  im  Adeleklub.  Die  guten  Beziehungen  in  der 
Sphäre  der  volynischen  Gutsbesitzer  hatten  eine  Prüfung  zu  be- 
stehen, als  durch  die  gesetzgebende  Gewalt  die  Bauenifrage  an- 
geregt und  den  Gouvernementscomitfis  vorgelegt  wurde.  Ohne 
an  den  Arbeiten  über  diese  Frage  theilzunehmen ,  hielt  es  Kra- 
szewski doch  für  seine  Fäicbt,  seine  Landsleute  zu  einer  möglichst 
gründlicben  Lösung  derselben  anzutreiben  und  brieflich  und  ge- 
druckt Rathschläge  zu  ertheilen,  dass  „eine  Freiheit  ohneEigcn- 
tbum  nichts  werth  sei,  dass  eine  blosse  bäuerliche  Wohnstelle  kein 
Eigenthum,  sondern  Leibeigenschaft  sei,  dass  man  etwas  Grösseres 
und  Anderes  ersinnen  müsse"  (Biographie  in  Esi^zka  jubil- 
LXXXI).  Ein  beträchtlicher  Theil  der  volynischen  Szlachta  sah 
diese  Rathschläge  für  eine  persönliche  Beleidigung  an,  aber  die 
junge  6eneratioii  unterstützte  Kraszewski ,  und  seine  Wahl  zum 
Curator  kam  1859  zu  Stande,  wenn  auch  nicht  ohne  starke  Oppo- 
sition. Solange  die  Baucrnangelegcnheit  in  den  Comites  verhandelt 
wurde,  verweilte  Kraszewski  zum  ersten  mal  im  Auslände  und  be- 
suchte Italien ;  die  Verhältnisse  in  Volynien  waren  ihm  infolge  des 
Zwistes  über  die  Bauernfrage  zuwider  geworden;  deshalb  über- 
nahm er  gern  die  ihm  1860  angebotene  Redaction  der  „Gazeta 
codzienna"  —  „Tageblatt"  in  Warschau  (deren  Titel  bald  darauf, 
1S61,  in  ,,Gazetapol8ka"  umgeändert  wurde).  Das  Anerbieten  ging 
von  dem  Capitalisten  Leopold  Kronenberg  aus.  Kraszewski's  Stel- 
lung in  Warschau  war  sehr  einflussreich,  aber  schwierig,  voller  Un- 
annehmlichkeiten und  passte  nicht  für  seinen  Charakter,  Im  König- 
reich Polen  begann  bereits  die  Volksbewegung,  die  sich  dann  in 
dem  Aufstand  von  1863  abspielte;  ihr  ging  die  in  jenen  Jahren 
vollzogene  Verschmelzung  des  jüdischen  Elements  mit  dem  polni- 
schen auf  dem  Boden  der  Gleichberechtigung  voraus.  Der  Haopt- 
förderer  dieser  Idee  war  Kronenberg,  der  Besitzer  des  „Tageblatts", 
mit  dem  Kraszewski  zusammenstimmte,  weil  er  das  Zeitgemässe 
einer  solchen  Verschmelzung  erkannte  und  so  artheilte:  „In  nei' 
nen  Augen  gibt  es  keine  Juden,  sondern  nur  Büi^er  nnd  Lent«, 

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Juau|ih  IgDaz  KraBzcwski.  423 

die  diesen  Ntimen  nicht  verdienen"  (XGVIl).  Wie  dem  auch  setn 
müge,  die  Cooserrativen,  die  UltraariEtokraten  und  Ultramonta- 
iicn  erhöhen  ein  Geschrei,  da&s  sich  Kra»zewBki  den  Juden  ver- 
iumfl  habe.  Die  Bewegung  kam  in  FIusb,  man  Iiofi'te  uie  zur 
rechten  Zeit  hemmen  und  in  das  Fahrwasser  liberaler  Reformen 
eiDnilenken  zu  können.  Im  Wesentlichen  fiel  das  Programm  Kru- 
üzevski*&  mit  dem  Wielopolski's  zusammen:  Gleichberechtigung  der 
Stände,  ihre  Vereinigung  zu  einem  einheitlichen  Ganzen,  Humani- 
tät ohne  Kosmopolitismus,  Fortschritt  ohne  Beeintnichtigung  des 
Yolksthums;  Entwickelung  in  christlichem  Geiste  unter  Gewährung 
Ton  Gewissensfreiheit  für  Jedermann  („Gazeta  polska",  Nr.  57, 
IWI).  Aber  ausser  dem  Programm  kam  auch  noch  die  Frage  nach 
deD  Mitteln  in  Betracht,  und  je  weiter  die  Bewegung  fortschritt, 
je  höher  die  Wellen  stiegen,  um  so  schwieriger  wurde  es  für 
jemand,  der  einfach  liberal  war,  aber  es  mied,  irgendeiner  Par- 
tei anzugehören,  die  Freiheit  des  Worts  unter  den  Extremen 
zQ  wahren.  Den  Radicalen  wirkte  Kraszewski  entgegen,  aber 
HQch  den  Marquis  Wielopolski  befriedigte  er  nicht,  und  musste 
schliessHcb  1863  die  Bedaction  der  Zeitung  aufgeben,  und  im 
Jahre  1863  bekam  er  einen  Wink,  ins  Ausland  zu  reisen.  Von 
in  an  bis  beute  verweilt  Kraszewski  im  Auslände^  er  liess  »ich 
JQ  Dresden  nieder,  schrieb  uuter  dem  Namen  ßoleslawita  eine 
Reihe  von  „Jahresberichten"  („Uachunki")  oder  Resultaten  nach 
dem  traurigen  Misgeschick  186fi  und  viele  Erzählungen  auf  Grund 
der  Ereignisse  jener  Zeit;  einen  ganzen  Cyclua  historischer  Ro- 
mane aus  dem  altpolnischeu  Lehen,  der  den  Entwickelungsgang 
des  nationalen  Lebens  in  Bildern  nach  der  Idee  von  Freytag's 
nAbuen"  darstellt;  eine  ganze  Reihe  von  Romanen  aus  der 
ücbsischeu  Zeit  August's  II.  und  III.,  ein  grosses  historisches 
Werk  in  drei  Bänden:  „Polen  zur  Zeit  der  drei  Theilungen" 
(„Polska  w  czasie  trzech  rozbioröw",  Posen  1873 — 75),  eine 
zahllose  Menge  von  Correspondenzen  in  alle  Zeitungen ,  — 
endlich  erlebte  er  die  Fe&tfeier  seines  rüufzigjäbr^en  Jubiläums 
in  den  ersten  Tagen  des  October  1879  zu  Erakau,  Nach  einer 
Berechnung  des  Bibliographen  Estreicher  hat  Kraszewski  bis 
I  Tage  250  vollständige  Werke  in  440  Bänden  heraus- 


'  Dealwbe   UeUerautzungeu  der  Weike   Ki-aszewski'e :    Eint   Auswahl 
üei^ben  eracheint    seit  1880  in  Wien   u.  d.  T.  „Ausgewählte  Werke  J.  I. 

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424  Viortes  Kapitel.    Diu  Polen. 

In  Verbindung  mit  den  genannten  sechs  Hauptpersonen  dieser 
Periode  steht  eine  zahllose  Menge  von  Kräften  zweiton  Banges, 
von  denen  wir  auf  einige  besonders  hervorragende  hinweiaeii 
wollen.  In  nächster  Beziehung  zu  Kaczkoweki  erlangte  Johann 
Zachnryasiewicz,  von  Gehnrt  ein  Ostgalizier,  geb.  1825,  uad 
schon  1842  wegen  scbiiftetellerischer  Thätigkeit  in  der  öster- 
reichischen Festung  Spilherg  internirt,  grossen  Ruf  auf  dem  Ge- 
biete des  Tendenzromans,  der  die  brennendsten  Lebensfragen  der 
Zeit,  die  gegenwärtigen  Bestrebungen  der  Gesellschaft  behandelte 
(„Jednodniöwki"  —  „Eintagsfliegen",  1855;  „Öwigty  Jur"  — 
„Der  heilige  Georg",  1862;  „Na  kresach"  —  „An  den  GreneeD", 
1860).  Der  ehemalige  Professor  der  Universität  Lemberg, 
Verfasser  mehrerer  Grammatiken  der  polnisohen  Sprache  UDd 
Biograph  Slowacki's,  Anton  Malecki,  von  Geburt  ein  Po- 
sener  (geh.  1821),  schrieb  ein  vorzügliches  historisches  Drama, 
dessen  Thema  die  Leibeigenschaft  im  17.  Jahrhundert  bildet: 
„Der  eiserne  Brief"  („List  2elazny",  1854)  und  die  Komödie 
„Grochowy  wieniec"  („Der  Erbscnkranz"),  aus  Pasek's  Denk- 
würdigkeiten (1855).  Der  sehr  talentvolle  Lyriker  Cornelius 
Ujejski,  ein  Galizier  (geh.  1823)  machte  sich  in  Paris  mit 
Stowacki  bekannt  und  tritt  bis  auf  unsere  Zeit  als  Fortsetzer 
der  urspriinglicbeu  Romantik  in  ihrer  grossen ,  nicht  mit  der 
Wirklichkeit  rechnenden  Exaltation  auf,  ja  sogar  noch  in 
ihren  praktischen  Anwendungen;  er  war  auch  der  Sänger  des 
letzten  Aufstandes  (der  Choral:  „Mit  dem  Rauch  der  Feners- 
brünstc"  —  „Z  dymem  poiaröw").  Seine  Dichtung  „Mara- 
thon", „Die  Klagen  des  Jeremias"  („Skargi  Jeremiego",  1847), 
und    die  „Biblischen    Melodien"    („Melodye  biblijne",     1852) 


Kraazuwski'B " ;  die  bisher  vorliegenden  12  Bände  enthalten:  Die  Gräfin 
Cosel;  Diana;  Die  Sphinx;  Der  diitle  Mai;  Wie  Herr  PhuI  freite,  wie  Herr 
Paul  heirathete;  Der  verlorne  Sohn;  Capreä  und  Rom.  —  In  Ph,  RcclamV 
UuiverBalbibliothek  ei-schien:  Jemiola;  Morituri;  ReBUiTeeturi;  Der  Dämnn ; 
All«  und  neue  Zeit  (Choroby  wieku).  —  Vereinzelt  crBuhiea:  Dichter  und 
Welt  (Leipzig  1846);  OiUp  und  Jaryua  (2  Bde.,  Breslau  1856);  VorleauDgun 
über  Dante's  Göttliche  Koroüdie  (Dresden  1670);  Meister  Twardowski  {Ücr 
polnische  Faust.  Wien  18T9),  und  von  den  Werken  unter  dem  Namen  £- 
fioleslamta:  Der  äpion  (Dresden  1864),  Vgl.  anoh  S.  v.  BohdanoviiE. 
Jos.  Iga.  V.  Krasieweki,  in  seinem  Wirken  und  Beinen  Werken  (Leipzig 
1B79;  mit  einem  chroaol.  Verzeiobniss  aämmtlicher  Werke  K-'s). 


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Rfiukgaog  dci'  Kumautik.  4>f5 

dnd  voll  Feuer  and  Kraft.  Als  scharfer  und  einseitiger  Kri- 
tiker polemisirte  er  heftig  gegen  Pol  (1861)  —  wegen  dessen 
Zorückgebliebeuheit,  und  mit  Kaczkowski  —  wegen  dessen 
Uässigung  au&  Anläse  des  Bomans:  „^ydowscy".  Als  der 
tftlentroUste  Publicist  und  literarische  Kritiker  der  Emigration 
im  Geiste  der  romantischen  Schule  trat  Julian  Klaczko  in 
Paris  auf,  ein  geborener  Jude  aus  Wilna  (geb.  1825),  Schüler 
von  Gervinus.  Warschau  hatte  einen  tiefen  Kenner  des  Alter- 
tbums  und  Forscher  in  Julian  Bartoszewicz  (1821  —  70, 
Zögling  der  Petersburger  Universität),  Verfasser  sehr  vieler 
Monographien  und  einer  kurz  nach  seinem  Tode  herausgegebe- 
nen „Urgeschichte  Polens"  („H'storya  pierwotna  Polski",  1878—79 
in  4  Bänden),  die  bis  zum  Ende  des  12.  Jahrhunderts  reicht. 
Bemerkenswertb  als  uneimüdlicher  Arbeiter,  kann  Bai'toszewicz 
doch  für  keinen  grossen  Historiker  gelten,  wegen  seines  be- 
schränkten, streng  kirchlichen  Staudpunktes.  Aus  der  Gmppc 
der  warschauer  Dichter  der  vierziger  Jahre  ging  der  fähige,  mit 
poeUschem  Gefühl  begabte  Theophil  Lenartowicz  (geb.  182^) 
liervor,  der  1848  ins  Ausland  reiste  und  sich  in  Italien  nieder- 
hess,  Bildhauer  uud  lyrischerDichter,  der  den  Inhalt  seiner  schönen 
Lieder  aus  religiösen  und  volksthümlich -polnischen  Motiven  uud 
an«  Bildern  der  italienischen  Natur  entnahm  („Lirenka",  1861 ; 
„Nowa  lireuka",  1857;  „Poezye",  1863;  „Album  wloskie",  1863). 
Der  Volyuier  Apollo  Na}§cz  Korzeniowski  (1821 — 69)  hinter- 
liess  in  dramatischer  Form  zwei  scharfe  Satiren  auf  die  Gesell- 
Bchaft  zu  Ende  der  fünfziger  Jahre  („Komedya",  1856;  „Dia  mi- 
tego  grosza",  1859).  Ganz  am  Ende  der  Periode  treten  uns  die 
ersten  Versuche  des  talentvollen  Novellisten  SigismundMilkowski 
(geb.  1820  im  Gouvernement  Podolien,  lebt  in  der  Schweiz)  ent- 
gegen, der  sich  in  der  Folge  durch  seine  Romane  aus  der  pol- 
nischen Geschichte  und  ans  dem  Volksleben  der  Südslaveu  aus- 
zeichnete, unter  dem  Pseudonym  Thomas  Theodor  Jet  („Han- 
dzia  Zahornicka",  „Szandor  Kowacz",  „Historya  o  praprawnuku 
i  prapradziadku "  —  „Geschichte  vom  Ururenkel  und  Urur- 
gnwsvater"). 

Als  ein  blosser  Abglanz  und  eine  schwache  Wiederholung 
der  Motive  der  glänzenden  Epoche  der  Romantik  hatte  die  Lite- 
ratur dor  Uebergangsperiode  1848 — 63  keinen  directen  Einfluss 
auf  die  folgeudea  Ereignisse  und  auf  die  Katastrophe  des  Jah- 
r%  1863   selbst.      Im   allgemeinen   machte  sie  alle   möglichen 

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426  Viertee  Kapitol.    Die  Pöleu. 

AnstreiigUDgen ,  nm  diese  verbängnissvolle  Eveutu&lltät  abzu- 
wenden und  abzuschwächen,  konnte  aber  offenbar  deshalb 
keinen  Erfolg  haben,  weil  zu  diesem  Zweck  die  Umformnog 
der  GesellBchaft  nöthig  gewesen  wäre,  die  sich  im  Laufe  einiger 
Jahrzehnte  eingerichtet  hatte,  in  einer  bestimmten  Weise  zu 
denken  und  zu  fühlen  und  ihre  Ueberzeugnngen  an  die  ano- 
male Stellung  der  polnischen  Frage  gekettet  hatte,  wie  sie 
dieser  Frage  nach  den  Ereignissen  des  Jahres  1831 ,  welche  die 
gegenseitige  Erbitterung  der  slavischen  Nationen  bis  an  die 
iLusserste  Grenze  brachten,  gegeben  worden  war.  Das  Gefühl  ist 
ein  schlechter  Berather  und  doch  sprach  und  wirkte  es  im 
Laufe  vieler  Jahre  allein,  seine  Blüten  ausschüttend,  and  alb 
Führer  des  Volke  nicht  nüchtern  erw'ägendo  Leute  anfetellend. 
sondern  Leute  der  Phantasie  —  Dichter.  Die  Katastrophe  des 
Jalires  1863  musste  natürlich  auch  auf  die  Literatur  selbst  in 
zerstörender  Weise  einwirken,  aber  die  literarische  Productiyität 
verringerte  sie  factisch  nur  sehr  wenig,  und  bereitete  innerhalb 
der  Literatui'  Veränderungen  vor,  deren  grosser  Nutzen  sich  nicht 
verkennen  lässt.  Eine  von  den  Eigenthümlichkeiten  der  Lage 
der  polnischen  Gesellschaft,  die  drei  Staaten  angehört,  besteht 
darin,  dass  ein  Vei-fall  der  Productivität  nicht  an  allen  Orten 
zugleich  stattfinden  kann.  Diese  Productivität  hörte  auf  und 
verschwand  fast  ganz  in  den  westlichen  GouvemementE  Russ- 
lands,  aber  sie  vergrösserte  sich  in  Warschau,  das  jetzt  als 
geistiges  Centrum  für  die  westlichen  und  südwestlichen  Gou- 
vernement» gilt,  da  sie  ihre  geistigen  Mittelpunkte  in  Wilna, 
Kiew,  Zitomir  verloren  haben;  dort  ist  die  Zahl  der  periodi- 
schen und  anderer  Publicationen  unvergleichlich  grösser,  als 
sie  vor  1863  war.  Posen  ist  bedeutend  als  Centrum  des 
Verlags  polnischer  Bücher  (Zupanski).  In  Galizien,  das  eine 
grosse  provinziale  Autonomie  geniesst,  wurde  die  polnisdie 
Vortragssprache  an  den  zwei  Universitäten  (Krakau  und  Lem- 
berg)  eingeführt,  in  Krakau  1873  eine  Akademie  der  Wiseen- 
schafte»  (eine  Umbildung  der  frühem  Gesellschaft  der  Freunde 
der  Wissenschaften)  gegründet,  die  durch  ihre  Organisation 
der  collectiven  Arbeit  und  die  Menge  ihrer  Puhlicationen 
einen  sehr  ehrenvollen  Ruf  erlangt  hat.  Freilich  sind  anf 
dem  Felde  der  Literatur  die  Blüten  der  Poesie  verschwun- 
den. Der  letzte,  welcher  an  die  vergangene  grosse  Epoche  der 
Poesie    erinnert,    der  Lyriker  Adam   Asnyk   (geb.    183t*),  i" 

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Rilokgaog  dur  Romantik.  427 

Krakau  lebend  („Poezye  prez  El  .  .  .  .  y",  „Ricnzi",  l«74i 
„KieJBtut"',  1870 J,  gleicht  seinen  Vorpingern  mehr  der  Form 
als  dem  Geiste  nach.  Die  Werke  der  grossen  Meister  der 
poloiscben  Romantik  sind  in  die  Ferne  gerückt,  haben  sich 
iD  GiDen  Gegenstand  kritischer  Forschung  verwandelt,  wie  etwa 
die  fossile  Flora  der  Steinkohlenformation ,  und  mit  Schwemm- 
schichten  von  Ideen  und  Lehren  überdeckt,  welche  den  geraden 
Gegensatz  zn  dem  grenzenlosen  Idealismus  bilden,  auf  welchen 
die  Romantik  fasete.  Es  gibt  nichts  Natürlicheres  als  diese  Hoch- 
flut der  materialistischen  Lehren  oder,  besser  gesagt,  des  Posi- 
tmsmus,  deren  Zeugen  wir  in  den  letzten  zehn  Jahren  waren. 
Der  Boden  war  erschöpft,  nachdem  er  so  viele  Jahre  ohne  Unter- 
brechung ein  Blumenbeet  gewesen  war;  er  bedurfte  einer  Melio- 
ration, als  eine  solche  stellte  sich  das  positive  Wissen  der  Gegen- 
wart ein,  das  darnach  strebt,  die  zwei  Welten  —  die  geistige 
und  die  materielle  —  in  einer  Synthesis  zu  vereinigen  und  in 
Ktuklang  zu  bringen,  aber  auf  Grund  der  durch  die  Natur- 
wissenschaften gewonnenen  Resnltate.  Von  da  an  hat  auf  die 
Menschen  der  Gegenwart  der  betäubende  aromatische  Duft  auf- 
gehört zu  wirken,  den  die  jetzt  fossil  gewordene  Flora  der 
Romantik  verbreitete,  als  sie  noch  in  voller  Blüte  stand,  und 
andererseits  sind  ihre  Lagerungen  so  reich,  dass  sie  auf  viele 
Jahre  ausreichen  werden  zur  Befriedigung  derjenigen  Bedürf- 
ttisse  der  Natur,  welche  die  Poesie  als  Nahrung  vertaugt. 
Sie  sind  zugänglich  und  werden  es  bleiben,  und  wenn  einst- 
mals, wahrscheinlich  nicht  so  bald,  unter  entsprechenden  Ver- 
bältnissen  eine  neue  Poesie  erscheinen  wird,  so  wird  die  erste 
Bedingung,  die  man  an  sie  stellen  wird,  die  sein,  dass  sie  an 
Schönheit  der  Formen  die  grossen  Muster  der  frühem  Glanz- 
epoche übertreffe.  Die  Gegenwart  ist  nicht  günstig  für  die 
Poesie,  weil  in  ihr  ein  trockener  und  nüchterner  Geist  der 
Kritik  vorherrscht,  der  mit  einer  gründlichen  Prüfung  der  An- 
sichten über  die  eigene  Vergangenheit  Polens  begonnen  hat,  mit 
der  Trennung  und  Lossage  von  Hypothesen,  als  ob  die  Ver- 
gangenheit Polens  etwas  so  ideal  Hohes  darstelle,  dass,  wenn 
räch  diese  Ideen  vollständig  realisirten,  damit  zugleich  alle 
Weltprohleme  der  Gegenwart  und  der  Zukunft  gelöst  wären. 
Die  neueren  an  der  Spitze  der  historischen  Wissenschaft  stehen- 

>  Ueuttoh  von  M.  v.  Reduu  <PoBeii  1860). 

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438  Viurtcs  Kapitel.    Die  PoIbh. 

den  Forscher,  die  krakauer  Professoreu  Joseph  Szujuki  (geb. 
1835,  gest.  1883),  Michael  Bobrzyüski,  der  Posener  Gelehrte 
Kazimir  Jarochowski;  im  Bereich  der  literarischen  Kritik  der 
Professor  Graf  Stanialaw  Tarnowski  (geb.  1837),  Peter  Chmie- 
lowski  —  sind  eher  geneigt,  die  dunklen  Flecken  und  Fehler 
oder  Mängel  in  der  Vergangenheit  zu  übertreiben  und  zu  den- 
ken, dass  die  erste  Bedingung  einea  TJebergangs  zum  Bessern 
darin  bestehe,  dass  man  sich  die  anarchischen  Manieren  und 
Phantasien  abgewöhne,  und  sich  durch  Arbeit  an  sich  selbst  an 
strenge  Disciplin,  an  beharrliche  und  organische  Arbeit  in  einem 
kleinen  Kreise  der  Thätigkeit  gewöhne.  Es  lässt  sich  nicht  sagen, 
dass  die  schöne  Literatur  gänzlich  brach  läge;  sie  herrscht  nicht 
vor,  hat  aber  doch  bedeutende  Vertreter:  die  zeitgeschichtliche 
Novelle  mit  realistischer  Tendenz  in  Heinrich  Sienkiewicz' 
(„Skice  wgglem"  —  „Kohtenskizzen"),  die  Satire  in  dem  lein- 
berger  Schriftsteller  Johann  Lam  (geh.  1838:  „Koroniarz  w 
Galicyi",  1869;  „Panna  Emilia" ;  „Gtowy  do  pozloty",  1873);  die 
in  Grodno  lebende  Schriftstellerin  Elise  Orzeszkowa  bearbeitet 
in  ihren  Novellen  („Eli  Makower",  „Meir  Ezofowicz")  die  Judeu- 
frage  mit  Talent.  Am  meisten  gedeiht  die  Komödie  und  das 
Drama.  Auf  diesem  Gebiet  gibt  es  eine  ganze  Phalanx  jüngerer 
Schriftsteller,  welche  die  polnische  Bühne  auf  einer  sehr  anstän- 
digen Höhe  halten:  Narzymski  (gest.  1872),  Lubowski,  Ba- 
lucki^,  Kazimir  Zalewski,  Swigtochowski,  Blizinski,  Fre- 
dro  Sohn.  ^  Es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass,  obgleich  in  der 
neuern  polnischen  Literatur  in  wissenschaftlicher  Beziehung  eine 
unzweifelhafte  Neigung  zum  Positivismus,  im  Gebiete  der  Kunst 
zum  Realismus  besteht,  eicb  doch  die  Bewegung  sehr  langsam 
vollzieht,  nach  den  gi-össten  Anstrengungen  und  ganz  abweichend 
von  dem,  was  bisweilen  in  andern  Literaturen,  z.  B.  der  russi- 
schen geschieht,  wo  die  Wellen  der  neuen  Bewegung  zu  Zeiten 
alles  vorher  Errungene  überschwemmen,  das  dann  voUständig  in 
diesen  Wellen  zu   verschwinden  scheint.    Die  Wurzeln    der  Ro- 

'  Von  ihm  deateoh,  übersetzt  vuu  Ph.  Lübenstein:  „Dorfgeaobiuhten" 
(„Za  ohlebem")  und  „Zersplittert"  („Kft  Marne"),  in  Ph.  ReolHn'B  Üniveml- 
liibliothek. 

'Von  ihm  deutsch  fibersetzt:  „Der  Herr  Gemein  deratli,  ein  Lnetspiel" 
(Wien  1880). 

*  Von  ihm  einiges  deutwjh  übereetzt  in  Ph.  Kculun's  Univenalbibliothck 
und  Wftlli«hauaar'a  Wiener  Theat«r-Bepertoir. 

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Rflck|{ang  rier  Romantik.  429 

manttk  sind  in  der  polnischen  Literatnr  iioch  sehr  stark;  jeder 
Angriff  auf  eine  althergebrachte  Meinung,  auf  den  Namen  cinef; 
Dichters,  der  mit  der  Aureole  gekrönt  ist  und  Autorität  genicaat, 
ruft  einen  ganzen  Sturm  von  Streitigkeiten  hervor,  die  mit  äus- 
scrster  Lebhaftigkeit,  ja  sogar  Erbitterung  geführt  werden.  An- 
ders kann  es  auch  in  einer  Literatur  nicht  sein ,  die  ihre  Tra- 
dttiooen  hat,  und  diese  Traditionen  sind  im  polnischen  SchriFt- 
vrsen  besonders  zäh  und  kräftig,  weil  beinahe  das  ganze  Lehen 
<les  Volks  im  Laufe  des  19.  Jahrhunderts  fast  ausschliesslich  in 
der  Literatur  und  Kunst  aufgegangen  ist  und  sich  auch  nni' 
darin  ausdrücken  konnte. 


Bemerkung  zn  S.  7.  Zd  den  deutschen  Werken  über  polniaohe  Li- 
Ipntor  wolle  man  noch  naohtnigeti:  H.  Kitechmann,  „Irit.  DiolitcrBlim-. 
mm  ans  Polen"  (Leipzig  18S0;  enthält  metriHchc  Uebei-setzun^en  neiierfr 
polniauhpr  Dichter  von  Miokiewicz  an);  „Genchichte  <1er  polninchen  T^ilp- 
fUnr"  (I^ipeig  1883;  wilbrend  de»  FhTickea  erschienen). 

Zn  S.  30.  Da«  älteste  polnische  Lied  von  der  Qottetmatter  (ßogoro- 
ilriea)  ist  allseitig  erforscht  in  den  folgenden  Arbeiten:  Rymarkiewiez, 
^ViaA  Bogorodzice"  (in  Roozuiki  Pozn.  Tow.  Przyjaciot  nank  X.  Bd.  [I87K], 
^  3S3).  —  W.  Nehring,  „ll«ber  den  Elnfluse  der  altEeohisuhen  Literatur 
inf  die  altpolniache"  (in  Archiv  für  slav.  Philologie,  187G).  —  R.  Pilat, 
nPiero  Bogorodzica,'  reiftytucya  tekstu"  (Kraknu  1879).  —  A.  Kniina, 
-Roiliiiir  krytycznj  pieini  nBogorodzicftn"  (Lpinherg  1880). 

Weitere  Litemturei^nsntigen  in  den  Nachtrigen. 


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Die  schlesisehen  Polen.  —  Die  prenssischen  Maznren.  — 
Die  Kasnben. 

oeit  AbscbluBB  äes  Hubertnsbnrger  Friedens  1763  gehört 
Schlesien  zu  Preaesen  mit  Ausschlass  zweier  kleiner  Thetlc, 
des  Herzogthuma  Troppa«  und  des  Herzogthums  Teschen.  Seit 
dem  Jahre  1335,  wo  Kazimir  der  Grosse  allen  Ansprüchen  anf 
'dieses  Land  laut  Vertrag  zu  Gunsten  Jobann's  70d  Luxem- 
burg, Königs  von  Böhmen,  entsagte,  war  jede  politische  und 
damit  zugleich  literarische  Verbiadung  zwischen  Polen  und 
Schlesien  abgebrochen.  Dieses  Land  ist  altlechisch,  bewohnt  von 
von  einem  Volke  rein  polnischer  Herkunft;  aber  seine  oben) 
Schichten,  der  Adel,  die  Geistlichkeit  beider  Gonfessionen,  der 
römisch-katholischen  und  der  protestantischen,  haben  schon  lange 
ihren  nationalen  Charakter  verloren ,  und  sich  entweder  der 
cechischen  oder  der  deutschen  Cultur  unterworfen,  die  Städte 
aber  waren  durchaus  von  Deutschen  bewohnt,  die  VoUreeprache 
hielt  sich  nur  auf  den  Dörfern,  and  auch  das  fast  nur  in  Ober- 
schleaien,  and  wurde  fast  ausschliesslich  im  hänslichen  Leben 
angewendet,  ja  nicht  einmal  in  der  Kirche,  weil  nach  einer 
Gewohnheit,  die  aus  der  Zeit  stammt,  als  Schlesien  noch  Ear 
höhmischen  Krone  gehörte,  die  Geistlichkeit  heider  Confessionen 
in  den  von  Slaven  bewohnten  Ortschaften  es  vorzog,  in  den 
Predigten  und  Gesängen  an  Stelle  der  polnischen  die  Cechische 
Sprache  anzuwenden.  Als  der  Priester  Karl  Antoniewicz  ans 
Lemberg  in  den  vierziger  Jahren  Schlesien  als  Reisepredigpr 
besuchte  und  in  der  Ansprache  an  die  Hörer  diese  „polnisches 
Volk"  nannte,  bat  ihn  die  Ortsgeistlichkeit,  einen  solchen  belei- 
digenden Namen  nicht  zn  gebrauchen,  sondern  das  Volk  „preas- 
sisch"  oder  „oberschlesiach"  zu  nennen. 

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T>ie  Bchleniachen  Polen.  431 

Eine  polnische  literarische  Wiederbelebaog  anter  den  Schle- 
uero  begann  dennoch  im  19.  Jahrhundert,  aber  nicht  früher  ah 
at  Anf&i^  der  fünfziger  Jahre.  Sie  wurde  durch  die  gleich- 
leitigen  Bemühungen  mehrerer  Personen,  Lehrer,  Prediger,  Jour- 
nalisten, ins  Werk  gesetzt,  die  ohne  jede  gegenseitige  Verstän- 
digung in  gleichem  Sinne  wirkten.  In  Oesterreichisch- Schlesien, 
za  Tescben,  begann  im  Jahre  1851  die  Herausgabe  einer  Mo- 
natsschrift, der  „Gwiazda  Cieszynska"  von  Paul  Stalmach. 
Der  Priester  Janusz,  Pfarrer  zu  Zebrzydöw,  bemühte  sich 
benn  Gottesdienst  an  die  Stelle  der  Sechischen  die  polnische 
Sprache  zu  setzen.  Noch  bedeutender  sind  die  Verdienste  eines 
gebomen  Deutschen,  der  die  Würde  eines  Bischofs  and  den 
Titel  eines  Regierungsrath  in  Oppeln  und  Inspectors  der  Schulen 
in  OboTBchleeien  erlangte,  Bernhard  Bogedain  (1810—1860). 
Sohn  eines  Banem  aus  der  Gegend  von  Grossglogau,  fasstc 
Bogedain  nach  Beendigung  seiner  Studien  auf  der  Universi- 
W  Breslau  eine  besondere  Vorliebe  für  die  polnische  Sprache 
mid  Literatur,  erst  in  Posen,  wo  er  zum  Priester  geweiht 
tnrde,  dann  in  Bromberg  und  in  Paradies,  wo  er  Lehrer 
nr.  Er  fasste  den  Plan ,  die  Landbevölkerung  von  Ober- 
schlesien in  der  ihr  am  meisten  verständlichen  einheimi- 
schen Sprache  aufzuklären,  indem  er  Katechismen  und  geist- 
liche Lieder  herausgab  und  eine  „Wochenschrift"  für  die  Bauern 
(1849)  gründete,  die  übrigens  nicht  lange,  in  Oppeln,  bestand. 
Seine  einflnss^eiche  Stellung  in  der  Schulverwaltung  gab  ihm 
die  Möglichkeit,  sich  Mitarbeiter  auszuwählen,  junge  Talente 
zu  entdecken.  Als  eine  solche  von  ihm  geschaffene  Kraft  trat 
an  Mann  aaf,  der  jetzt  als  der  Hauptvertreter  der  national- 
polnischen  Bewegung  in  Oberschleaien  gilt,  Karl  Miarka',  ge- 
boren 1834  in  Pilgramsdorf.  Als  derselbe  in  seinem  Heimats- 
clorf  Schullehrer  and  zugleich  Organist  der  Dorfkirche  war, 
schrieb  er  zuweilen  Erzählungen  und  Artikel  in  deutscher  Sprache. 
Man  veranlasste  ihn,  sich  auszubilden  und  sich  im  37-  Lebens- 
jahre mit  den  Reichthümern  der  polnischen  Literatur  und  mit 
der  Geschichte  seines  eigenen  Volks  bekannt  zu  machen.  Seine 
erste  polnische  Erzählung  „Görka  Klemensowa"  („Der  Clemcns- 
hfigel")  erschien  1841  bei  Stalmach  in  der  „Gwiazda  Cieszyiiska". 
Der  Schullehrer  wurde  zugleich  auch  Redacteur  des  in  Piekary 


'  Siehe  über  ihn  Tjgoilnik  iUuBtr.  WoTBzawBki,  1880. 

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432  Viertes  Kapitel    Die  Polen. 

erscheinenden  Journals  „Zwiastun  görnoBzli^ski",  und  nachdem 
er  ini  Jahre  1869  den  Lehrerberuf  entsagt,  gab  er  sich  aus- 
schliesslich der  Journalistik  hin,  die  der  Erhaltung  und  Entwicke- 
)ung  des  Volksthums  in  der  Landbevölkerung  Oberschlestens 
gewidmet  ist. 


Der  erste  Anstoss  zur  literarischen  Wiederbelebung  der  Na- 
tionalität wurde  unter  den  Schlesien)  von  der  römiach  >katlio- 
lischen  Geistlichkeit  gegeben;  einen  ebensolchen  Anstoss  gab 
auch  die  protestantische  Geistlichkeit  unter  den  Hazuren  in 
Preussen,  einer  fast  compakt  lechischen  LandbeTÖlkerung,  welche 
den  langen  Streifen- von  Goldapp  und  Lyck,  d.  i.  von  den  Gren- 
zen des  GouTemem^its  Suwalki  bis  nach  lliom,  Culm  und 
Oraudenz  an  der  Weichsel  einnimmt.  Ein  Theil  dieses  Streifens 
bildete  einen  ßestandtheil  des  sogenannten  fürstlichen  oder 
Iiehnpreussens ,  das  definitir  von  Polen  getrennt  wurde  durch 
den  Vertrag  von  Wehlau  im  Jahre  1657;  ein  anderer  Theil 
uro&sete  die  südlichen  Grenzgebiete  von  Ermeland  und  die 
Wojewodschaft  Culm,  welche  1772  zu  Preussen  kamen.  Dasa 
die  Leuchte  der  Ijiteratur  nach  dem  Untergänge  der  Republik 
nicht  erlosch,  und  dass  der  einzig  mögliche  Zweig  derselben, 
der  populäre,  sein  liehen  fortfristete  —  das  liat  das  polnische 
Volk  in  Preussen  vor  allem  einem  sehr  bekannten  und  geachteten 
Manne  zu  danken,  Christoph  Coelestin  Mrongovius  (1764 — 
1856),  einem  geborenen  Pommer,  polnischem  Prediger  der 
evangelischen  Gemeinde  zu  Danzig  und  Lehrer  der  polnischen 
Literatur  am  Gymnasium  daselbst.  Er  sanunelte  und  edirte 
Kirchenlieder ',  die  in  den  Ostseegebieten  in  Gebrauch  sind  (in 
diese  Ausgabe  sind  auch  die  Psalmen  Johann  Kocbanowski's 
aufgenommen),  schrieb  eine  polnische  Grammatik  in  deutscher 
Sprache  (1.  Auü.  Königsberg  1794;  2.  Aufl.  1805),  ein  deutsc^- 
polnisches  (1823)  und  ein  polnisch-deutsches  Wörterbuch  (183&), 
Predigten,  gab  für  das  Volk  Klonowicz'  „Flis"  heraas  (Danog 
1829),  übersetzte  Xeuophon  und  Plato,  stand  in  Correspondenc 
mit  dem  Fürsten  Adam  Czartoryski,  mit  dem  Kanxler  Rurojancov, 


'  „ I'iesnioksiqK   czjli   Kancjonid  Udaütki"    („Danziger    üeswigbiich." 
PreiwilÜK  vorlefil  von  lien  Bewohnern  der  üatBefltüste.    Danzig  1803). 

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Die  Mazufen.    Die  KaSul)i;n.  4:53 

»OD  dem  er  den  Auftrag  erhielt  (1826),  die  Wohnsitze  der  Ka- 
Inben  zu  bereisen  und  zu  erforschen.  Mrongovius  war  Mitglied 
rieler  gelehrter  Gesellschaften  und  erfreute  sich  der  besondern 
Gunst  König  Friedrich  Wilhelm's  IV.  Ein  zweiter  Arbeiter 
»uf  ebendemüelben  Gebiet  ist  Gustav  Gizeviua  (1710 — 1848), 
proteEtan  tisch  er  Pastor  in  Osterode,  mit  einer  eifrigen  Mazurin 
Terheirathet,  die  ihm  Liebe  zur  polnischen  Sprache  und  den 
Ectschluss  einzuflössen  wusste,  als  Kämpfer  für  die  polni- 
sche Nationalität  und  als  einer  der  Förderer  der  gesammt- 
sWischen  Bewegung  in  den  vierziger  Jahren  aufzutreten,  an 
der  er  Antheil  nahm ,  indem  er  literarische  Verbindungen  mit 
Scbriftstellern  und  gelehrten  Slavisten  zu  Warschau,  Prag,  Posen 
aDknupfte.  Er  reiste  nach  Danzig,  um  sich  mit  Mrongovius  be- 
liaant  zu  machen,  ferner  nach  Warschau,  schrieb  Gedichte  in 
polnischer  Sprache,  gründete  zu  Lyck  die  Zeitung  „Przyjaciel 
lodu  lecki",  die  einige  Jahre  bestand,  vertrat  in  deutschen  Zei- 
tungen die  Interessen  der  polnischen  Sprache  in  Schule  und 
Verwaltung,  indem  er  über  die  Bedrückungen  seitens  der  Deut- 
scheu klagte,  und  war  eben  zum  Deputirteu  für  den  preussischen 
bandtag  1848  gewählt,  als  ihn  der  Tod  ereilte.  Von  den  spä- 
tem  Arbeitern  auf  demselben  Felde  sind  noch  zu  bemerken 
Ignaz  tyskowski ',  der  im  Jahre  1850  zu  Culm  ein  Wochen- 
blatt „Nadwielanin"  gründete  (es  hörte  1863  auf)  und  als  Mit- 
glied der  polnischen  Fraction  im  preussischen  Landtag  wirkte; 
Joseph  Chociszewski,  Herausgeber  vieler  Schriften  und  Er- 
ühlungen  für  Kinder  und  für  das  Volk;  Ignaz  Danielewski, 
Herausgeber  der  Thomer  Zeitung  in  polnischer  Sprache. 


Vom  Weichseldelta  westlich  bis  zu  den  Küsten  des  Putzi- 
ger Wiek,  im  ehemaligen  Königreich  Preussen  und  längs  der 
Küste  selbst  auch  in  Pommern,  liegen,  st&rk  mit  Deutschen  ge- 
mischt, die  ländlichen  Ansiedelungen  eines  der  ältesten  sla- 
vischen  Stämme ,  der  Kaiuben  oder  Kaseben,  zerstreut,  der 
jetzt  etwas  über  hunderttausend   Kopfe  zählt.     In   Pommern  ist 


'  Im  Jahre  1854  gel)  er  zu  Strasaburg  (Brodnk-a)  in  WeatpruuBBen 
heraua;  „Piesni  gminni!  i  przyßtowia  ludu  polakiego  w  Pj-usaüli  Zauhodnifh" 
(,Jjieder  und  Sprichwörter  des  polüischen  Volks  in  Westpreussen"). 

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434  Viertes  Kapitel.     Die  Föten. 

diese  BevÖlkeruog  proteBtantisch  und  wird  mehr  und  mehr  ans 
Meer  gedrängt,  sodass  sie  sich  hauptsächlich  nur  in  den  annen 
FiBcherdörfem  des  Eüstenlandes  hält;  im  ehemaligen  Königreicli 
Freuesen,  das  erst  1772  aus  dem  Verbände  der  Kepublik  aus- 
geschieden wurde,  ist  sie  mehr  katholisch  und  in  den  Kreisen 
Kalthaus  und  Neustadt  zerstreut. 

Das  Alter  des  Stammes  und  seiner  Sprache,  die  in  heträcht- 
lichem  Gi'ade  von  der  polnischen  abweicht,  lenkten  auf  denselben 
die  Aufmerksamkeit  der  slavischen  Gelehrten,  und  iDsbesondere 
der  russischen.  Nach  Mrongovius'  Reise  in  das  Land  der  Ea- 
Suben,  der  die  Resultate  seines  Besuches  in  den  „Baltischen 
Studien",  1828,  beschrieb,  erforschten  dieses  Volk  Konitz  oder 
Chojnicki,  im  Auftrag  der  Poromerschen  Gesellschaft  liir  Ge- 
schichte und  Älterthümer,  der  russische  Gelehrte  P.  Preiss 
im  Jahre  1840,  später  A.  F.  Hilferding».  Im  Jahre  1845 
wurde  auf  Beschluss  des  preussischen  Landtags  in  Königsberg 
bei  den  Kasuben  die  deutsche  Sprache  für  den  Gottesdienst  ein- 
geführt statt  der  von  den  Geistlichen  angewendeten  polnischen, 
aber  diese  Verordnung  wurde  infolge  kräftiger  Bemühungen 
und  Füi-sprachen  von  Mrongovius  im  Jahre  1846  aufgehoben, 
und  1852  wurde  es  eingeführt,  dass  in  den  Schulen  und  auf 
dem  Gymnasium  zu  Neustadt  auch  die  kasubische  Sprache  ge- 
lehrt wurde.'  Der  Stamm  sowol  als  die  Sprache  schmelzen 
sichtlich  zusammen  und  dürften  wol  allmählich  in  nicht  femer 
Zukunft  verschwinden.  Der  hauptsächlichste  und  man  kann  sagen 
fast  einzige  Förderer  des  kasubiscben  Schriftthums  war  Florian 
Cejnova  (gestorben  1880),  der  eine  kaiubische  Grammatik' 
verfasste  und  unter  dem  Namen  Wojkasin  eine  Menge  von  Bü- 
cbelchen   fbr  das  Volk  schrieb.*    Luther's  Katechismus    wurde 


>  Er  Bohrieb  über  die  Kaiuben  in  dem  Buche :  „Ostatki  Slavjan  da 
joinom  beregn  Baltijekago  Morja"  (8t.  Petersbui-g  1862;  im  ö.  Bd.  des  Ethno- 
graphischen Sbornik  der  ruKiBcheo  Geograph.  GeBellschaft,  1858). 

*  F.  Lavrovskij,  Etnografifieskij  oEerk  KaJobov  (in  „Filolog.  Zapieki", 
herausgegeben  in  Voroneä  von  Chovanskij,  1873,  Heft  4— 5);  P.  Btremler, 
Fonetika  kaäebskago  jazyka  (Ebend.  1878,  Hft.  3;  1874,  Hft.  1  n.  5). 

'  ZareB  do  Grammatikj  kftSebBko-Blovjnskje  möve  (Poaen  1879).  Von 
einem  geplanten  kaiubisoh-deutschen  Wörterbuch  ist  nur  der  Frospect  er- 
schienen. 

*  Pjinc  glovnech  wöddzatov  evangjelickjeho  katechizmu,  pFetoiel  Woj- 
kasin  ze  Slavoiena  (CeJDOva),  1861,  Schweiz  a.  d.  Weichsel  (Die  fünf  Haupt- 


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Die  Kaäuben.  435 

zum  erstenmal  in  kasubischer  Sprache  herausgegeben  1643) 
dann  in  zweiter  Auflage  1752  und  in  dritter  durch  Mrongovius' 
BemühuDgen  im  Jahre  1828. 


Stücke  des  evsDgeliBoheu  Katccbismua,  kaSabiacb).  —  Rosmows  Pulacha 
z  Kuzebf.  Dapieauo  przez  s.  p.  xgdza  Szmuka  z  Puuha  a  do  dreku  podano 
przez  Sewa  Wojkwojca  ze  Slawoszena  1850;  2.  Aufl.  186;").  Schweiz  (Ge- 
spräch eines  Polen  mit  einem  KaEubeu).  —  X^Seoka  dlo  KaezeboT,  prze;t 
Wqjkasena.  Danzig  1850  (Büchlein  für  die  Kaiuben}.  —  Skörb  kaazebsko- 
aloTJnskje  möve,  13  Kummern.  Schweiz  186G— 68  (Schalz  der  kasaubisch- 
slaviachen  Sprache.  Enlhält  ethnogi-aphiBch-hiatorisohe  SchilderungeD  aus 
dem  Lebea  der  Eainben,  Ortsverzcichnisao  u.  s.  w.). 


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GESCHICHTE 

SEK 

8LAVISCHEN  LITERATUREN. 


ZWEITER  BAND. 
ZWBITE    HÄLFTE. 


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GESCHICHTE 

DER 

8LAVI8CHEN  LITERATUREN 

VON 

A.  N.  PYPIN  UND  V.  D.  SPASOVIC. 

NACH  DER  ZWEITEN  AUFLAGE  AUS  DEM  RUSSISCHEN 

rilEKTKAGEN  VON 

TRAUGOTT  PECH. 


AUTOHISIItTE  AVSGAHE. 


ZWEITES  BASD. 

ZWEITE  HÄLFTE. 

f'ECHO-SLOVAKKN.  —  LAUSIT2ER  SERBEN. 


LEIPZIG: 

F.  A.  BEOCKHAUS. 


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Inhalt. 


Künftps  Kapitel.     Der  corhisch«  Volksstamm l— 3i;h 

I,    I>ifl  Öechen l—'Mi 

Ilistnriache  BemerkuDgeo 1— 2<S 

1.  Die  alte  Periode.  TrEiditionen  einea  griecbisob-katbo- 
Hacheo  slaviachen  Suhriftweseas.  Die  Entdeckung  alter 
Literaturdenkmäler:  Inhalt  und  poleminche  Gesahiobte 
des  „Gerichts  der  LibuSa"  und  der  KÖDiginhofer  Hand- 
schrift; die  „Mater  verborum"  u.  B.  w.  Kirchliche  Poesie. 
Einflüsse  der  deat«cben  Romantik;  didaktische  und  Ritter- 
poeaie;  Smil  von  Pardubic ;  das  kirchliche  Drama;  die 
Chronik;  das  alte  böhmische  Recht;  Ucbcrsetzungen  .  .  27— fi? 
■2.  Die  hu  Bsi tische  Bewegung  und  das  „goldene  Zeit- 
.  alter"  der  Sechischen  Literatur.  Fortdauer  der 
vorigen  Richtung.  Die  ersten  Anzeichen  einer  reforma- 
torischen  Bewegung.  Die  Vorläufer  von  Hubs:  Milit, 
Matthias  von  Janov,  Thomas  StitnJ;  die  Lehre  Wicliffe 's 
und  die  Streitigkeiten  an  der  prager  Universität.  Huas; 
seine  Persönlichkeit  und  seine  Werke,  die  Eechischen 
und  die  lateinischen;  der  nationale  Charakter  seiner 
Wirksamkeit.  HieronymuB  von  Pr(^.  Hubb'  Nachfolger 
und  Gegner:  die  gemäasigten  Hussiten  und  dieTaboriten; 
die  literarische  Thatigkeit  der  letztern.  Verse  and  Lie- 
der der  Uussitenzeit.  Cbronieten.  Die  Buchdruukerkunst ; 
der  Humanismus.  Das  böhmische  Recht:  Ctibor  von 
Cimburg  und  Victorin  von  VSehrd.  ChelSickJ  und  die 
Gründung  der  Brüderunion.  Die  hussitische  Tradition.  — 
,<Dati  goldene  Zeitalter":  grosae  äussere  Ausbreitung  iler 
literarischen  Thatigkeit  und  Mangel  an  innerer  Kraft. 
Die  geistliche  Poesie;  Hi^ttoriker:  Hajek  u.  a.;  Johann 
Blahosiav.    Velealavin DU -im 


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VI  Inhalt. 

3.  Dio  Ppriodo  lies  Verfalls.    Die  Folgen  der  Schlacht 

am  Weissen  Berge.  Die  litcrai'JKche  Tliätiffkeit  iler 
„Exulanten".  Johann  Ahiob  Komenskj  (Comeulus).  Die 
katholische  and  reactionäre  Literatur  der  Heimat  .   .    .     l^iO— 1i7 

4.  Die    Wiederbelebung    der    Literatur    und    des 

Volksthnms.  Aeusserster  Verfall  gtgea  Ende  den 
18.  Jahrhunderts.  Die  ersten  Anzeichen  einer  nationalen 
Wiederbelebung.  Die  Regierung  Joseph's  IL;  Bestrebun- 
gen um  die  Bildung.  Gelehrte  Historiker  und  Philologen: 
Dobner,  Peliel,  Voig^;,  Durich.  Joseph  Dobrovsky.  Die 
ersten  Schritte  der  Literatur;  Erneuerung  der  nationalen 
Ueberlieferungen;  Gründung  des  Bühmisehen  Museums; 
Entdeckung  der  alten  Denkmäler.  Jungmann;  Hanka; 
Safatik;  Palack>'.  Die  neue  Poesie:  Johann  KoU&r  und 
die  „S14vy  Dcera" ;  CelakoTsk  J ;  Wocel ;  Erben,  Kleinere 
patriotische  Dichter;  die  Erzählung;  das  Drama.  Die 
patriotischen  Tendenzen  (vlastenectvi).  —  Daa  Jahr  1848. 
Karl  Haviifek.  Die  Ueactiou.  Die  neue  Dichtersohule: 
H41ek;  Vrcblicky.  Ronian  und  Erzählung;  Koamopolitis- 
mus.  Historiker:  Tomek;  Giudely;  Literatorgeschichte 
und  Philologie:  Joseph  Jiretek,  Wenzel  Mebeak^,  Hat- 
tala  H.  s.  w.  Slavieche  Forschungen.  Die  gegenwärtige 
Lage 177— 28G 

n.    Di«  Slovaken 287«-352 

Historische  Bemerkungen ,    .    287—305 

Die  ältere  Zeit.  Huesitenthum  und  Protestantismus;  die 
literarische  Einheit  mit  den  Ccchen.  Streben  nach  Ab- 
sonderung, beHondere  seit  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts: 
Anton  Bemoläk;  Johann  Holly.  Der  Einflusa  von  Sa- 
fatik  and  Kollär.  Die  politische  Gärung  der  vierziger 
Jahre  und  der  neue  literarische  Separatismus:  Ludevit 
Stür;  Hurban;  Hodza.  Die  poetische  Thätigkeit:  Samo 
Chaliipka;  SlädkoviS;  Kalinijäk.  Die  Gründung  der  Ma- 
tica.     Paulinj-Toth.    Katholische  Schriftsteller    ....    305— 3.^ 

in.    Die  Volkapomie  der  Cecben,  Mährer  nnd  Slovaksn  .    353-36R 

Sechstes  Kapitel.    Das  Baltische  SlaTenthnm.  —   Die 

Lansltzer  Serben  oder  Wenden 369-43» 

Das  historische  Schicksal  des  Baltischen  tiilaventhuma.  Seine 
GermanigiruDg.  WörtcrsammluDgeu  dieser  Sprache.  Eth- 
nographische Spuren  der  letztem 3ß<>— 377 

Die  historisohe  Laice  des  lausitzisch  -  serbischen  Volkes. 
Die  ersten  literarischen  Versuche  seit  den  Zeiten  der 
Reformation.    Das   17.  Jahrhundert:    Michael    Frenzel ; 


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eine  ji^eninBO  Belebung  der  Nationalität.  Da»  18.  Jalir- 
handert.  Gründung  des  pragcr  SemiuRrif  und  der  pro- 
tcstontitiuhcn  Fredig ei^eaellBchnrten  zu  Leipzig  aud  Wit- 
tenberg. Neuere  Förderer;  Lubjeuski;  Klin;  Beiler; 
Jordan;  Smoler.  Patriotiaelio  Vereine.  Gründung  der 
Ma^ica.  Ilömik;  ImiS;  l'ful;  Jent.  Die  jüngere  üencra- 
tion.  Die  pruuBaiBche  Oberlau Bitx.  Die  NicdovIausitK : 
Tcänaf ;  Küsyk ;  Dr.  Sauerwein.  Die  gegenwürfigc 
Luge     377-430 

Kapitel.    Die  Benaissance 431— jtiti 


Ergänzungen  und  Itoriebtiguugcn 467-4HO 

Register  Kum  üeaammtwerk 481—50!) 


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Fünftes  Kapitel. 
Der  ceehische  Volksstamm. 


I.  Die  Cechen. 

Die  ßechische  Literatur,  eine  der  Litertituren  ersten  Ranges 
im  Slaventham ,  hat  nicht  nur  Bedeutung  innerhalb  der  speci- 
fisch  slavischen  Verhältniase ,  sondern  auch  ein  weiteres,  welt- 
geschichtliches Interesse,  wie  das  ^echische  Volk  eelbst  eine 
kräHige  und  glänzende  Einwirkung  auf  die  Geschicke  der  weet- 
ettropäiscben  Bildung  ausübte.  Wir  wiederholen  die  schon  vor 
langer  Zeit  gesprochenen  Worte  einer  fremden  Beobachter  in 
—  der  bekannten  deutsch-amerikanischen  Schriftstellerin ,  die 
über  die  Slaven  schrieb,  Frau  Talvj:  „Unter  allen  slavischen 
Sprachen  ist  es  die  böhmische  und  ihre  Literatur  allein,  welche 
bei  den  Lesern  mehr  als  allgemeines  Interesse  zu  erregen  ver- 
mag und  verdient,  und  das  nicht  etwa  durch  ihre  sprachliche 
Gigenthümlichkeit,  da  sie  nur  wenig  von  den  andern  slavischen 
Sprachen  abweicht,  sondern  wegen  jener  merkwürdigen  Ereig- 
nisse, welche  die  böhmische  Zunge,  nächst  jener  von  Wiciiffe  in 
der  Nacht  des  verderbten  Katholicismus  zum  ersten  Werkzeug 
der  Wahrheit  machten.  Wicliffe's  Einfluss,  so  gross  und  ent- 
i^cheidend  er  auch  gewesen ,  war  nichtsdestoweniger  auf  die 
Geistlichen  und  Gelehrten  seiner  Zeit  beschränkt;  seine  Stimme 
fand  keinen  Anklang  unter  dem  gemeinen  Volke,  welches  allein 
vermag,  der  ahstracten  Theorie  praktisches  Leben  zu  verleihen. 
Böhmen  war  es,  in  welchem  der  Funken  zuerst  zur  lebhaften 
Flamme  wurde,  die  ein  Jahrhundert  später  ihr  leuchtendes  Feuer 

P>m.  SUTlieb*  LltaniDitti.    II,  1.  1 

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2  Fünftel  Kapitel.    1.   Die  Öecben. 

über  ganz  Europa  verbreitete.  Die  Kamen  Huss  <  und  Hieronjmus 
Ton  Frag  werden  nie  vergessen  werden,  obgleich  ein  geringerer 
Erfolg  sie  weniger  berühmt  gemacht  hat,  als  Luther  und  Me- 
lauchthon.  In  keiner  Sprache  der  Welt  wurde  die  Bibel  mit 
grösserm  Eifer  und  mehr  Hingebung  studirt;  keine  Nation  war 
je  bereiter,  ihr  Recht  auf  das  echte  Wort  Gottes  mit  ihrem 
Blute  zu  besiegeln.  Die  langwierigen  Kämpfe  der  Böhmen  für 
Gewissensfreiheit  und  ihre  schliessliche  Unterdrückung  bieten 
eine  der  herzzerreissendsten  Tragödien  der  menschlichen  Ge- 
schichte dar."  Aber  auch  ausser  diesem  weltgeschichtlichen 
Interesse,  das  den  Schwerpunkt  des  Cechischen  Lebens  in  die 
Epoche  des  Hubs  und  der  Hussiten  setzt,  ist  die  öechische  Lite- 
ratur innerhalb  der  slaviBchen  Verhältnisse  interessant  als  der 
Reflex  der  Geschichte  eines  Stammes,  der,  in  unmittelbare  Ver- 
bindung mit  dem  Deutschthum  und  in  einen  Kampf  mit  dem- 
selben gestellt,  sich  ihm  zum  Theil  unterwirft,  andererseits 
aber  auch  seine  nationale  Selbständigkeit  beharrlich  vertheidigt. 
Nach  der  Hassitenzeit  trat  diese  Selbständigkeit  am  schärfsten 
hervor  in  der  öechischen  „Renaissance",  welche  den  Ausgang 
des  vorigen  und  das  jetzige  Jahrhundert  bezeichnet,  wo  die 
£ecbische  Literatur  einen  starken  belebenden  Ii^nfluss  auch  auf 
die  nationale  Wiedergeburt  der  andern  slavischen  Stämme  aus- 
übte.* 


'  Der  Uebersetzer  behält  für  diesen  Namen  die  im  Deutsohen  eioge- 
Iiürgerte  Schreibweise  bei;  Eechiach  achreibt  man  Hub,  Iliuite  n.  a.  w. 

'  Die  Literatur  über  den  Gegenstand  iet  sehr  gross.  Wir  werden  hier 
nur  wenige  Werke  anführen,  darunter  Bücher  mit  populärer  DarstellnDg  ~- 
andere  Citate  folgen  im  Text  selbst. 

Id  Bezug  auf  Geechicbte  und  Beschreibung  Böhmens  vergl.:  F.  P»- 
lack^,  „D&jiny  närodu  Ceskeho  v  Cechaoh  a  v  Moravf"  (Pr»g  1848 — GO; 
3.  Aufl.  Ebend.  1862;  die  neueste  Ausgabe  mit  einer  Biographie  Palacky's. 
verfasst  von  J.  Kalonsek,  mit  Portrait  und  Hegistem.  5  Thie.  in  lOBdu. 
Pr^  1876—78).  Die  deutsohe  Ausgabe  „Geschichte  von  Böhmen"  (10  Bde. 
PraglB3G— 67).— V.V.Tomek,  „Dfje  zemä  Eeeke"  (rusfliach  von  V.  Jakov- 
lev,  St.  Petersburg  1868);  „DSjepis  m^ata  Prahy";  „Dfje  roocnäfetvj  Rakoa- 
skeho"  (b.  im  Teite).  —  J.G.  Sommer,  „Das  Königreich  Böhmen"  (16  Bde. 
Prag  1833-49).  —  „Öechy,  zemä  a  närod",  eine  ausführliche  Abhandlong  im 
„Slovnlk  nauEnj'",  1863,  auch  separat;  dasselbe  deutsch  u.  d,  T.  „Böhmen. 
Land  und  Volk"  Prag  1863.  Daraus  N.  Zaderackij,  „Kurzer  Abriss  der 
Geschichte  des  (eohiachen  Volks"  (russisch,  Kiew  1873)  und  das  Schriftchen 
„Öeohija  i  Moravija"  (herausgegeben  vom  blav.  Comite  in  St.  Petersburg  18711- 


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HiBtoriscbe  Bemerkangen.  3 

Wir  werden  nun  der  hauptsächlichsten  Züge  der  böhmischen 
Geschichte  gedenken,  wodurch  auch  die  Lage  der  cechischen 
Literatur  selhsit  in  ihren  verschiedenen  Perioden   erklärt   wird. 


-J.E.Woce),  „Pravek  zeme  feakü"  (2  Bde.  Prag  1866— 68);  dasselbe  nis- 
siHh  von  K. Zftderackij  {Kiew  1875).—  A.  V.  Sembera,  „Zäpadni  Slovane 
V  pravSku"  (Pr^  1868).—  F.  Uapenskij,  „Pervyja  slaTJanskija  mouarchii 
na  aJvero-zapadS"  (St.  Petersburg  1872).  —  A.  Gindely,  „Geschiulite  der 
böbniiacbet)  Brnder";  „Budolf  II,  and  seine  Zeit".;  „DSjiny  Eeskelio  povetsnf 
leta  1618"  u.  a.  sind  im  Text  augefülirt.  —  Ilermenegild  Jiretek,  „Slo- 
vaaske  prävo  v  Cechäch  a  na  Moravf"  (Prag  1863,  1864, 1872).  —  J.  HanSl, 
„Oviiva  präva  n&meckeho  v  Öechäch  a  na  Moravf"  (Prag  1874).—  A.  Hil- 
ferding, ,,Obzor  istorii  Cecbii"  (in  Sobr,  sofin.  I,  341—412,  bis  znr  Soblacht 
am  W^insen  Bet^e)  und  andere  Abhandlungen.  —  E.  Chojecki,  „Czechja  i 
Czeehiiwie  przy  kofitu  pierwszej  potowy  XlX-go  stak'uia"  (2  Bde.  Berlin 
1846-47). 

Zur  Geschiebte  Mährens:  Die  alten  Bucher:  Pilar  et  Moravetz, 
.^oraviae  historia"  (3  Bde.  Brunn  1786—87);  Gebhardi,  „Geschichte  des 
Reiohes  Mähren"  (Halle  17S7).  —  Beda  Dudik,  „Allgemeine  Gesobichtc 
Mährens",  1—10.  Bd.  {Brunn  1860—82);  „Df-jiny  Moravj"  (3  Bde.  Prag  1870 
—82);  andere  Arbeiten  im  Text,—  D'Elvert,  „Beiträge  zur  Geachiebte  der 
Rebellion,  Keformation,  des  Dreissigjälirigen  Krieges  und  der  Neugestaltang 
Mährena  im  17.  Jahrhundert"  (Brunn  1867).—  K.  Kofiatka,  „Die  Mark- 
grafschaft  Mähren  und  das  Ilarzogthum  Schlesien"  (Wien  und  Olmötz  1861). 
-  V,  Brandl,  „Kniha  pro  kazdoho  Moravana"  (Brunn  1863);  andere  Ar- 
beiten im  Text 

A.  BodiloviG,  „MSskolko  dannycb  i  zameCanij  iz  oblasti  obäEestven- 
noj  i  ekonomifeakoj  Statistik)  f^chii,  Moravii  i  Silezii  v  poslMnie  gody" 
(in  Siav.  Sbomik  I,  205—317,  St.  Petersburg  1875;  mit  Angabe  der  Lite- 
ratnr). 

Allgemeine  Werke  über  die  Geschichte  Oesteri'eiobs,  z.  B.  A.  Springer, 
„Geachichte  Oesterreichs  seit  dem  Wiener  Frieden  1809"  (2  Bde.  Leipzig 
1863—65);  L.  Leger,  „Histoire  de  rAutriche-Hongrie  depuis  lea  origines 
juiqn'ä  l'annee  1878"  (Paria  1879);  F.  Krones,  „Handbuch  der  Geschichte 
OesterreichH"  {6  Bde.    Berlin  1876—79)  u.  a, 

Rückaichtlich  der  Sprache.  Aeltei-e  Werke:  J.  DobrowskJ,  „Geschichte 
der  böhmischen  Sprache  und  altem  Literatur"  _  (Prag  1818),  „Lehrgebäude 
der  böhmischen  Sprache''  (Ebend.  1819);  P.  J.  Safarik,  „Potätkove  ataro- 
iesk*  mlnvnioe"  (Prag  1845).  —  V.  Zikmund,  „Skladba  jazyka  Cesk^bo" 
(LeitomiBoblundPragl863).-M.Hattaia,  „Zvukoslovi"(1854);  „Skladba"  , 
(1^);  „Srovniiaci  mluvnice"  (1857)  u.  a.;  ausführlicher  im  Text.  —  Die 
Arbeit«!!  von  Gebaner,  Bartoä  u.  a.  —  J.  Jungmann,  „Slovnik  6eako- 
nimeeky"  (5  Bde.,  Pr^  1835-39);  Celakovsky,  „Dodavky  do  Slovn. 
Jangmanna"  {Prag  1851).  —  Nene  Eechiaoh-deutache  Wörterbücher  gaben 
heraus:  Jordan,  Koneen>%  SumavskJ'  |2.  Aufl.  von  J.  Rank);   i-ussisoh- 

I* 
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4  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Ceohen. 

Ohne  uns  lange  bei  den  dunkeln  Zeiten  der  Bojer  und  Marko- 
manen, der  ersten  Bewohner  BöhmenB,  aufzuhalten,  bemerken 
wir  nur,  dase  sich  die  öechen  und  ihre  StammesgenoeseD ,  die 
Mährer,  unzweifelhaft  seit  dem  5. — 6.  Jahrhundert  n.  Chr.,  nach 
dem  Einfall  der  Hunnen,  in  ihren  beutigen  WohnBitzen  be- 
finden. Die  Rolle  des  Slaventhums  während  der  Völkerwande- 
rung und  weiter  die  Beziehungen  desselben  zu  seinen  Nachbarn 
bis  zum  9.  und  tO.  Jahrhundert  sind  bisher  noch  wenig  aufge- 


ßeohiach  —  Rank;  eDgliaoh-5eohisoh  —  K.  Jonäi  und  beaaer  V,  E.  Moureb; 
franzöBiach-teohiacfa  ~  K.  Faster.  Öechisch-deutaoh,  beaondera  gtamin»- 
tiBch-phrBBeologiacli,  —  F.  Kott. 

LiteratuTges ch iahte :  J.  Jungmann,  „Hi^rie  literatury  Seake  aneb 
BOuatavoy  ptehled  spieä  i^cskycb  a  kr&tkoa  hiatorii  n&rodu,  oavtceni  i 
jazjka"  (Pr^  1825;  2.  Auag.  1849;  ein  gproaser  Band,  rein  bibliogmpbieiih 
gehalten).  —  A.  V.  Sembera,  „D£jin;  te5i  a  literatury  EeakoBlovanake" 
(Gesobiclite  der  Gechiaabea  Sprache  und  Literatur.  Die  alte  Zeit,  Wien 
1858;  4.  Anfl.  1878;  die  neuere  Zeit.  Ebend.  1861;  3.  Aufl.  1872).  - 
K.  Sabina,  „DSjepie  literatury  Eeake"  (ein  grosaer  Band  von  9  Hftn., 
Prag  1860-64).  —  K.  Tieftrunk,  „HiBtorie  hteratury  6eake«  (2  Hefte. 
Prag  1874— 7G;  2.  verm.  Aufl.  in  1  Bde.,  1880).  —  „VJbor  z  literatury  Eeake", 
1.  Bd.,  bis  Hubs,  herauag.  von  P,  J.  Safafik  (Prag  1845);  2.  Bd.,  3  Hfte., 
herauag.  Ton  J.  Erben  (Ebend.  1857—64).  —  „Rozbur  ataroieakö  literatury" 
(2  Bde.,  Prag  1842—45).  —  J.  JireCek,  „Rukov«  k  dfjinäm  liter.  Seake 
do  konoe  XVIIl  viku"  (2  Thle.,  Prag  1874—76;  ein  biographiachea  nnd 
bibliographiBohea  Nacbaohlagewerk) ;  „Anthologie",  1)  aua  der  alten  Literatur 
(Prag  1660);  2)  aua  der  mittlem  Periode  (Ebend.  1858):  3)  ans  der  neuera 
Literatur  (Ebend.  1861).  —  Die  Geohiache  Anagabe  des  vorliegeDden  Werks: 
„Hiatorie  literatnr  alovanakjch.  Sepaali  A.  N.  Pypin  a  V.  D.  SpaaoTif- 
Podle  druhSho  atd.  vydänf  a  rnStiny  pfelozil  A,  Kotik"  (2  Bde.  in  16  Hftn. 
Prag  1880— 82;  die  tecbiach-alovakiBohe  Literatur  im  2.  Bd.,  S.  267— 488).- 
F.  Douoha,  „KnihopiBn^  Blovuik  ^eBko-alovensky  etc."  (Prag  1863—66; 
zugleich  eine  Ergitnzung  zu  Jungmann'B  „Hiator.  lit.  Geake");  F.  Urbä- 
nek'a  „VJatnik  bibliografiukj! "  Jahi«.  1869  (von  August  an),  1870-72. 
1873  (nur  bia  JulLj,  1875—76.  1877  (nur  bia  Mai),  seit  1880  in  erweiterter 
und  verbeaaerter  Form,  jährlich  12  Nummern,  n.  d.  T.  „UrbänkÄT  Yiatnik 
bibliografiokj"  (Prag)  u.  a.  —  Eine  Menge  von  Monographien  ist  in  den 
Zeitschriften  zerstreut,  beaondere  in  „Öasopis  Cesk.  Musea",  von  1827  bi» 
jetzt,  ferner  in  den  Schriften  der  k.  Gelehrten  Gesellschaft  in  Prag,  in  den 
Zeitschriften  „Osvf  ta",  „Svätozor",  „Kv5ty",  in  AlmanachB  u.  b.  w.  —  Bieg»- 
pbiaohe  Naehrichten  liefert  in  Maaae  der  „Slovoik  nauEny"  und  die  biogra- 
phischen Sammelwerke,  wie  „Slaviu.  Pantheon,  abirka  podobixeo,  autognfB 
i  üvotopiafl  pfednich  muiu  ieskoBloTensk^ob"  (der  Text  verfaaat  von  F.  J. 
PeKna,  Prag  1878)  u.  a. 


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Historitohe  Bemerknngen.  5 

klärt;  doch  kann  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  angenommen 
«erden,  dass  schon  lange  vor  Beginn  der  glaubwürdigen  Ge- 
schichte die  6echischen  Slaven  in  FeindGchaft  und  in  Kriegeo 
mit  den  Deutschen  standen.  Zuweilen  gelang  es  dem  West- 
Blaventhum,  seine  Kräfte  zusammenzufassen:  so  geschah  es  um 
lUitte  des  7.  Jahrhundert»,  als  der  übrigens  halb  mythische  Samo 
eine  starke  slaviscbe  Monarchie  oder  einen  Bund  gründete,  nach- 
dem er  die  Thüringer  und  Avaren  zurückgeschlagen;  darauf  im 
9.  Jahrhundert,  als  das  Grossmäfarische  Reich  errichtet  wurde. 
Mit  dem  Untergang  des  letztem  var  das  cechische  Slaventhum 
wieder  den  Uebergriffen  des  deutschen  Stammes  geöffnet  und  da- 
mit zugleich  den  verschiedenartigen  Einflüssen  des  westlichen 
Cnltarlebens.  Der  Kampf  beider  Nationalitäten  bildet  den  Inhalt 
der  (echischen  Geschichte  bis  zum  gegenwärtigen  Augenblick. 

Dieser  Kampf  ist  nur  eine,  allerdings  die  bedeutendste  Epi- 
sode aus  dem  langen,  weit  ausgedehnten  Kampfe  der  germa- 
nischen und  slavischen  Basse.  Der  Kampf  fand  seit  den  fernsten 
Jahrhunderten,  in  denen  die  Geschichte  dieser  Völker  gedenkt, 
statt  auf  der  ganzen  sla-visch-deutechen  Grenze,  vom  testende  des 
Baltischen  bis  zum  Adriatischen  Meere.  Die  slavischen  Historiker 
haben  meist  ihren  TJrtheilen  über  diese  Thatsache  einen  Anliug 
von  elegischer  Sentimentalität  gegeben,  indem  sie  die  Deutschen 
als  rohe  Bedränger  des  gutmüthigen  Slaventhums  hinstellen,  aber 
mit  diesem  Tone  werden  die  factischen  Verhältnisse  kaum  richtig 
getroffen.  Waren  doch  die  alten  Slaven  selbst  nicht  sonderlich 
gntmüthig,  und  wann  hat  denn  in  den  Beziehungen  der  Völker 
zaeioander  Menschenliebe  und  Edelmuth  als  leitendes  Princip 
gedient?  Schriftsteller  einer  extrem  -  slavischen  Richtung  (wie 
die  moskauiscbe  Schule  in  Russland)  fugten  noch  hinzu,  das 
Slaveuthum  habe  auch  ein  höheres  sittlich-politisches  Ideal  rc- 
präsentirt,  in  seiner  demokratischen  Gemeindeverfassung  und 
später  im  griechisch-katholischen  Ohristenthnm.  Aber  wie  auch 
die  Volkscharaktere  beschaffen  sein  mochten,  trotz  aller  guten 
Eigenschaften,  die  dem  slavischen  Volksstamm  wirklich  eigen, 
aber  nur  zu  oft  von  einer  weichen  Zerflossenbeit  begleitet  sind, 
—  hei  einem  Zusammenstoss  in  der  Wirklichkeit  der  Dinge  ent- 
wickelte das  deutsche  Element  eine  Kraft,  wie  sie  der  slavischen 
Welt  nicht  innewohiiCe  —  und  noch  bis  heute  nicht  innewohnt. 
Nachdem  es  sich  der  antiken  römischen  Welt  angeschlossen,  ge- 
langte das  Germanenthnm  frühzeitig  zu  einer  gewissen  Bildung, 

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6  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ceohen. 

zu  Centralisation  in  Kirche  und  Kaiserthum,  zur  Solidarität  mit 
andern  YölkerD  Westeuropas,  in  einer  Zeit,  wo  das  Slayenthum 
noch  zerstreut  und  uneinig  blieb  und  bei  allen  anziehenden  Eigen- 
schaften des  Stammescharakters,  die  nicht  selten  sogar  von  seinen 
Feinden  anerkannt  wurden,  doch  den  Deutschen  weder  den  glei- 
chen Grad  von  Bildung  noch  die  gleiche  politische  Macht  ent- 
gegensetzen konnte.  Das  baltische  Slaventhnm,  dessen  äusserste 
Ansiedelungen  fast  bis  an  den  Rhein  gereicht  haben  sollen,  das 
polabische  Slaventhum  verschwand  in  diesem  Kampfe  fast  spur- 
los, vernichtet  oder  germanisirt.  In  der  tragischen  Vertheidi- 
gung  seiner  Nationalität  trat  es  gegen  die  deutsch-römische  Ver- 
kündigung des  Christentbums  auf,  die  mit  den  Waffen  in  der 
Hand  geschah.  Allein  so  wenig  Sympathie  eine  solche  VerkUn- 
dung,  sowie  spater  der  Kampf  des  Katholicismns  gegen  das  orien- 
taliscb-slavische  Cbristentbum  in  der  Volkssprache  auch  erweckt 
—  in  der  deutsch-lateinischen  „Bildung"  war  eine  Seite  rein  gei- 
stigen Fortschritts  enthalten,  der  sich  zum  Theil  in  Verbindung, 
aber  auch  ganz  ttnabhängig  von  den  herrschenden  politischeo 
und  religiösen  Frincipien,  ja  sogar  im  Gegensatz  zu  denselbeo 
(wie  z.  B.  im  Mittelalter  die  Versuche  einer  rationalistischen  Phi- 
losophie) vollzog  und  starken  Einäuss  in  der  Literatur  hatte: 
so  rühmen  sich  die  Cechen  selbst  ihrer  Bildung  im  14.  Jahr- 
hundert, die  doch  aus  jener  westeuropäischen,  lateinischen  uod 
deutschen  Quelle  stammte. 

Die  Geschichte  der  Öechen  zerfällt  im  allgemeinen  in  drei 
Hauptperioden ,  die  durch  die  verschiedenen  Momente  ihres 
Kampfes  mit  der  Germanisirung  und  der  Itekundung  ihrer  eigenen 
Nationalität  bestimmt  werden.  Der  Höhepunkt  dieses  Kampfes 
war  die  Epoche  des  Hussitenthums,  die  Epoche  einer  mächtigen, 
religiösen  Erregung,  welche  zugleich  den  Höhepunkt  der  selb- 
ständigen Entwickelung  der  Cechen  und  ihrer  Theilnahme  an 
der  Weltgeschichte  bildete.  Sonach  kann  man  die  alte  Periode 
bis  zum  Jahre  1403  rechnen,  oder  bis  zum  Beginn  der  hussitischen 
Unruhen;  die  mittlere  bis  1620  (1627)  oder  bis  zur  definitiven 
Niederlage  der  Öechen  und  dem  Eintritt  der  katholischen  Reac- 
tion;  die  dritte  Periode  umfasst  im  Anfang  die  Zeiten  dieser  Beae- 
tion  und  der  politischen  Knechtung,  die  den  äussersten  Verfall 
des  öechischen  Volksthums  mit  sich  bringt,  und  später  den  Um- 
schwung zur  Renaissance,  welcher  sich  vom  Ende  des  18.  JahrhuD- 
derts  an  bemerklich  machte  und  den  Grund  zur  Entwickelung  der 

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Historieobe  Bemerknogen.  7 

iechiechen  Literatur  der  Gegenwart  legte.  Wenn  man  will,  kann 
man  von  diesem  Umschwung  an  eine  besondere  vierte  Periode 
beginnen,  wie  es  auch  zuweilen  geschieht. 

Die  älteste  Geschichte  ist,  wie  gewöhnlich,  auch  bei  den 
Cecben  in  Dunkel  gehüllt.  Die  in  den  alten  Chroniken  verzeich- 
nete Tradition  erzählt  von  einem  Anfuhrer  des  Volkes  in  ältester 
Zeit,  Cech,  von  einem  mythischen  Krok  und  seiner  Tochter, 
Fürstin  Libusa,  die  sich  einen  einfachen  Bauer  Premysl  zum 
Manne  wählte,  den  Stammvater  der  fürstlichen  und  königlichen 
Dynastie  der  Premysliden.  Das  Christenthum  findet  bei  den 
Cecben  und  Mährem  schon  von  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhun- 
derts au  Eingang:  im  Jahre  836  ward  zu  Nitra  (Neutra)  eine  christ- 
liche Kirche  geweiht,  845  wurden  schon  14  öechische  Vornehme 
in  Regensburg  getauft;  aber  die  eigentliche  Einführung  des 
Christenthums  beginnt  erst  mit  der  Berufung  Cyrill's  und  Method's 
durch  den  Fürsten  Rastislav  von  Mähren,  der  sich  dadurch  von 
dem  kirchlichen  Einfiuss  der  Deutechen  be&eien  wollte;  im  Jahre 
373 — 874  ward  der  ^echische  Fürst  Bofivoj  von  Metfaodius  am 
Hofe  Svatopluk's  von  Mähren  getauft.  Sonach  herrschten  in 
Böhmen,  Mähren  (und  bei  den  Slovaken)  zwei  Riten:  der  hyzan- 
tinische  mit  slavischer  und  der  römische  mit  lateinischer  Kirchen- 
Gprache;  aber  der  erstere  war  schon  wegen  der  Entfernung 
von  Byzanz  nicht  stark  genug,  und  der  Untergang  des  Mähri- 
schen Reichs  in  Pannonien,  das  von  den  Ungarn  zerstört  wurde, 
zerrisB  jenes  Band  gänzlich  und  gab  dem  deutsch  *  lateinischen 
Kircbentbum  die  Oberhand ,  obgleich  sich  die  Tradition  des 
slavischen  Gottesdienstes  noch  lange  nachhei-  erhielt.  Gleich- 
zeitig kam  Böhmen  vom  10.  Jahrhundert  an  in  Lehnsabhängig- 
keit von  den  deutschen  Kaisem,  und  von  da  an  ward  das  deutsche 
Element  immer  stärker  und  stärker.  Das  Vorherrschen  der  rö- 
mischen Kirche  endete  mit  vollständigem  Verfall  des  slavischen 
Gottesdienstes  und  des  cyrillischen  Schriftwesens  in  Böhmen: 
das  Kloster  Sazava,  wo  sich  noch  beides  hielt,  ward  im  Jahre 
1096  endgültig  lateinisch.  Zugleich  damit  zeigen  sich  während 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  noch  andere  Symptome  deutschen 
Einflusses.  Bis  zum  Jahre  1126  (Sobeslav  I.)  hatten  die  Ein- 
richtungen am  Hofe  und  in  den  Gauen  ganz  ihren  slavischen 
Charakter  bewahrt.  Mit  dem  Siege  der  römischen  Geist- 
lichkeit beginnt  schon  die  Germanisirung;  je  weiter  je  mehr 
zeigt  sich  in  der  ^echischen  Gesellschaft  das  Streben,  diejenigen 

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g  Fünftes  Kapitel.    1.    Die  (^eohen. 

Privilegien  und  ausschliesslichen  Rechte  (Immunitäten)  einzu- 
fuhren, welche  einen  charakteristischen  Zug  des  deutschen  Feudal- 
weeens  bildeten,  und  von  der  Geistlichkeit,  die  von  einem  herrsch- 
süchtigen Kastengeist  geleitet  wurde,  geht  dieses  Streben  auch 
auf  den  Stand  der  Gutsherren  über.  Die  politischen  Verbindun- 
gen mit  den  Deutscheu,  die  Betheiligung  an  den  Kreuzzügen  und 
den  sonstigen  Kriegen  der  Deutschen,  kräftigten  den  Einfluss  der 
deutschen  Sitten  und  politischen  Institutionen  noch  mehr:  König 
Wenzel  (Vaclav)  I.  {1230—53)  germanisirte  sein  Land  fast  ab- 
sichtlich. König  und  Hof  nahmen  nicht  nur  die  Sitten  und 
Gebräuche,  sondern  sogar  die  deutsche  Sprache  und  Literatur 
an;  die  mächtigern  Adeligen  folgten  dem  Geschmack  des  Hofes, 
und  begannen  schon  ihren  Burgen  deutsche  Namen  zu  geben; 
Privilegien  und  Immunitäten  wurden  freigebig  ausgetheilt,  nicht 
nur  an  Adelige,  sondern  auch  an  Städte;  die  Städte  wurden 
nach  deutscher  Art  eingerichtet,  nicht  nur  für  die  nach  Böh-  . 
men  und  Mähren  übersiedelnden  Deutschen  (die  von  den  Kö- 
nigen selbst  berufen  wurden),  sondern  auch  für  die  einheimische 
Bevölkerung. 

Nichtsdestoweniger  herrschten  in  der  Periode  bis  1235  in 
Böhmen  immer  noch  die  slavischen  Einrichtungen  vor.  Von  der 
Zeit  aber,  mit  der  Thronbesteigung  Premjsl  Otakar's  II.,  beginnen 
feudale  Institutionen  und  deutsche  Sitten  positiv  vorzuherrscben. 
Zwar  erlangte  Böhmen  damals  einen  hoben  Grad  äusserer  Macht, 
aber  die  slavischen  Principien  des  Innern  Lebens  litten  stark 
durch  diesen  berühmten  König.  Von  dem  Wunsche  beseelt,  die 
königliche  Gewalt  gegen  die  reiche  und  politisch  gefährliche 
Aristokratie  zu  stützen,  baute  er  neue  Städte  und  Festungen 
und  besiedelte  sie  grösstentbeils  mit  deutschen  Golonisten  und 
mit  ergebenen  Leuten  aus  dem  niedem  Adel  und  dem  Volke. 
Der  König  überliess  sogar  ganze  Landstriche  Böhmens  an 
Deutsche,  die  er  begünstigte,  unter  anderm  als  Bergleute,  die  ihm 
grosse  Reichthümer  an  Geld  lieferten.  Von  da  an  nimmt  ein  be- 
sonderer städtischerstand  seinen  Anfang;  die  feudalen  Einrichtun- 
gen griffen  immer  mehr  um  sich;  die  Gerichtsbarkeit  der  Gaue 
ward  auf  den  König  übertragen.  Alle  diese  und  ähnliche  Mass- 
regeln untergruben  das  alte  slaviscbe  Wesen,  —  obgleich  Otakar 
im  Grunde  genommen  kein  Feind  seiner  cecbiscben  Nationalität 
war.  Einige  der  mächtigen  Adeligen  widersetzten  sich  ihm  zu- 
weilen, aber  durchaus  nicht  zur  Bewahrung  des  nationalen  Geistee. 

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Hütorische  BemerkiiDgen.  !) 

Die  politiEcbe  Beäeutong  Böhmens  wuchs  damals  zn  sehr  hc- 
träcbtlichem  Umfang:  es  erwarb  (und  verlor  später  wieder)  einer- 
seits Oesterreicb,  Steiermark,  Kärnten  und  die  Küstengebiete  bis 
Trieat;  andereraeits  Sachsen,  Krakau,  ja  sogar  Polen.  Diese  po- 
litische Lage,  mitten  unter  den  verwickelten  feudalen  und  dyna- 
stischen Zwisten,  gereichte  ihm  manchmal  znm  Unglück,  stellte 
es  aber  zuweilen  auch  auf '  einen  hohen  Platz  unter  den  euro- 
päischen Staaten,  und,  was  die  Hauptsache  ist,  zog  es  zum 
Feudalismus  hin,  der  sich  im  Innei-Q  auf  die  Lage  des  Volkes 
in  schädlicher  Weise  äusserte. 

Im  Jahre  1306  erlosch  das  Geschlecht  der  Premysliden, 
oud  mit  der  neuen  Dynastie  trug  das  slavische  Element  in  Böh- 
men noch  grösseren  Schaden  davon.  Die  Könige,  aus  fremden 
Ländern,  besonders  aus  Deutschland  gewählt,  blieben  fast  immer, 
wie  das  sehr  natürlich  war,  dem  nationalen  Interesse  der 
C«chen  fremd  und  Hessen  sich  von  ihren  persönlichen  dynasti- 
schen Interessen  leiten.  Johann  von  Luxemburg  blieb  für 
immer  dem  böhmischen  Lande  fremd;  ganze  Jahre  in  der  Fremde 
lubringend,  immer  mit  Kriegen  beschäftigt,  indem  er  seinen 
aasländischen  Freunden  half,  kam  er  nach  Böhmen  nur,  um 
Geld  oder  Truppen  zu  holen.  Seine  Anhänglichkeit  an  Böhmen 
var  so  gering,  dass  sich  1318  sogar  das  Gerücht  verbreitete,  er 
hege  den  Plan,  die  Rechen  ans  ihrem  Lande  zu  vertreiben  und 
es  btoE  durch  Deutsche  zu  besetzen.  Das  Volk  konnte  natür- 
lich eine  Regierung  weder  lieben  noch  achten,  die  sich  für  das- 
selbe nur  durch  verschiedene  Arten  von  Gelderpregsung  seitens 
des  Königs  und  durch  feudale  Bedruckungen  seitens  der  Herren 
bemerkltch  machte.  Den  schlechten  Eindruck,  welchen  Johann 
hinterlassen  hatte,  sollte,  wie  es  schien,  sein  Sohn  und  Nach> 
folger  Karl  I.,  oder  später  als  deutscher  Kaiser  Karl  IV.  (1346 
—1378),  vollständig  verwischen,  dessen  Zeit  überhaupt  für  eine 
der  glücklichsten  Perioden  der  böhmischen  Geschichte  gilt.  Karl 
liebte  wirklich  seine  böhmische  Heimat,  er  brachte  Böhmen  aufs 
neue  in  einen  blühenden  Zustand,  den  er  durch  eine  kluge  Ver- 
waltung und  diplomatische  Gewandtheit  herbeifühi-te.  Selbst  ein 
flu- seine  Zeit  gntgebildeter  Mann,  förderte  er  die  Wissenschaften 
nnd  war  der  Gründer  der  prager  Universität  (1348),  der  ersten 
in  Mitteleuropa,  die  allen  ähnlichen  Anstalten  in  Deutschland 
vorausging.  Die  prager  Universität,  an  der  wiederum  ein  starkes 
deutsches  Element  war,  hatte  später  einen  entscheidenden  Eintluss 

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10  Fünftem  Kapitel.    I.    Die  Ceoheu. 

auf  die  Entwickelung  des  Dationalen  GeiBtes  und  EOgar  auf  dae 
historische  Schicksal  Böhmens:  aus  ihr  gingen  die  Männer  her- 
vor, die  den  Umschwung  im  ^echischea  Leben  zu  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts  entschieden.  Künste,  Industrie,  Handel  nah- 
men einen  ungewöhnlichen  Aufschwung;  der  Selbstherrlich- 
keit der  Magnaten  wurden  Zügel  angelegt.  Aber  gleichzeitig 
wurde  auch  die  Germanisirung  des  Landes  immer  stärker,  his 
zu  einem  solchen  Grade,  dass  Karl  selbst  die  Nothveodigkeit 
erkannte,  die  cechische  Nationalität  zu  unterstützen.  Die  böh- 
mischen Historiker  loben  Karl  auch  als  Gesetzgeber  —  aber, 
indem  er  die  Reste  der  alten  Landesordnung  zerstörte  und  ao 
Stelle  derselben  feudale  Verhältnisse  und  Patrimonialgerichto 
einführte,  bahnte  er  gegen  seinen  Willen  und  ohne  sich  dessen 
bewuBst  zu  werden  der  dann  folgenden  Unfreiheit  der  niedern 
Volksschichten  den  Weg.  Sein  Sohn,  Wenzel  IV.,  musste  in 
einer  Zeit  wirken,  wo  die  socialen  und  nationalen  Elemente  schon 
in  die  äusserste  Gärung  gerathen  waren;  zur  Beruhigung  der 
Erregung  reichten  seine  Kräfte  nicht  aus;  wie  sein  Vater,  sah 
auch  er  mit  Eifersucht  auf  die  Anmassungen  der  Geistlichkeit 
und  der  Aristokratie,  aber  es  fehlte  ihm  an  Energie,  um  sie  zu 
bewältigen;  sie  zwangen  ihn  mit  der  Waffe,  sich  ihiem  Willen 
zu  anterwerfen.  Damals  fand  gerade  das  berühmte  Schisma  der 
westlichen  Kirche  statt,  jener  skandalöse  Streit  einiger  Päpste, 
der  den  Credit  der  römischen  Hierarchie  so  stark  erschüttert«, 
übrigens  ohne  die  klerikalen  Prätensionen  abzuschwächen.  Wen- 
zel mischte  sich  auch  ohne  Erfolg  in  die  Händel  der  Reichsfürsten. 
Als  er  seinen  Miserfolg  merkte,  übertrug  er  die  Regierung 
seinem  Bruder  Sigismund,  aber  auch  dieser  zerfiel  mit  ihm  und 
lieferte  ihn  den  österreichischen  Herren  aus,  bei  denen  er 
anderthalb  Jahre  in  Gefangenschaft  zubrachte.  Mit  den  Päpsten 
kamen  die  Dinge  dahin,  dass  Sigismund  seinen  Unterthanen 
verbot,  den  Anordnungen  Bonifacins'  IX.  Folge  zu  leisten. 
Alles  das  trug  überaus  viel  zur  Verstärkung  der  öffentlichen 
Unzufriedenheit  bei,  die  sich  schon  seit  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts deutlich  aussprach,  und  Wenzel  IV.  sollte  noch  Zeuge 
des  Sturmes  sein,  der  die  Entwickelung  der  feindlichen  Ele- 
mente vollenden,  den  Kampf  der  officiellen  Kirche  mit  der  in 
Gesellschaft  und  Volk  erwachsenen  religiösen  Opposition,  deo 
Kampf  des  Feudalvesens  mit  den  Forderungen  der  Freiheit 
zum  Abschhiss  bringen  sollte. 

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HiBtoriBche  Bemerkungen.  11 

Wir  sahen  die  allmähliche  ErBtarkung  des  deutechen  £le- 
raeots,  die  sich  durch  die  Macht  der  Verhältnisse  vollzog  und 
selbst  von  den  Königen,  ja  sogar  patriotischen,  wie  Otakar  II. 
gefördert  wurde.  Die  Verbindung  mit  den  Deutschen  verstärkte 
allmählich  den  Unterschied  der  Stände,  das  Feudalwesen;  mit 
der  dentschen  Ordnung  vollzog  sich  eine  starke  Veränderung 
der  nationalen  Gesellschaftsordnang,  Sitten  und  Gebräuche. 
Alles  das  ging  am  Nationalbewnsstaein  nicht  spurlos  vorüber; 
der  Znsammenstoss  mit  fremden  Principien  weckte  die  'natio- 
Dsle  Energie  und  der  alte  demokratische  Geist  begann  sich, 
dank  dem  Einfluss  der  Bildung,  zu  einer  activen  Opposition  zn 
gestalten.  Der  äusserste  Verfall  der  Autorität  des  Königs  und 
des  Klerus  beschlennigte  die  Katastrophe.  Der  ganze  Unwille 
der  Nation,  die  ganze  Lebendigkeit  der  unterdrückten  Instinkte 
der  Freiheit  und  die  Antriebe  neuer,  durch  die  Bildung  erwor- 
bener Ideen  machten  sich  in  einer  energischen  Volksbewegung 
Luft.  Gemäss  dem  Geiste  der  Zeit  nahm  sie  eine  fast  ansschliess- 
lick  religiöse  Form  an:  es  begann  die  Beform  des  Hubs  und  die 
Hassitenkriege. 

Wir  werden  nicht  die  Details  dieser  nationalen  Tragödie 
wiedererzählen ;  es  genügt,  darauf  hinzuweisen,  in  welch&n  Haupt- 
richtungen  der  Kampf  des  ÖechiBchen  Volkes  gegen  die  katholisch- 
feadale  Ordnung  and  zugleic|^  damit  zur  Vertheidigung  der  eige- 
nen Nationalität  zum  Ausdruck  kam.  Zu  allererst  erhob  sieb  die 
rehgiöse  Frage.  Die  erste  äussere  Quelle,  ans  der  die  neue  Be- 
vegong  hervorging,  war  die  prager  Universität.  Karl  IV.  und 
die  prager  Erzbiscfaöfe  Beiner  Zeit  hatten  sich  schon  vorher  be- 
müht, das  Leben  der  Geistlichkeit  zu  verbessern,  welches  im 
Volke  Aergerniss  zu  erregen  begann,  und  hatten  die  Vorläufer 
der  höhmischen  Eeformation,  Konrad  Waldhauser  und  Mili( 
von  Kremsier,  nuterstützt,  welche  schon  die  öffentliche  Meinung 
in  wecken  begannen,  obgleich  sich  ihre  Predigt  noch  nicht  auf 
das  Dogma,  sondern  auf  die  kirchliche  Discipltn  bezog.  An- 
dererseits verbreiteten  die  Universitäten  ihre  Kenntnisse  in  der 
GeBellscbaft  und  bereiteten  das  Publikum  vor,  auf  welches  die 
folgenden  Träger  der  Reform  wirken  sollten.  Matthias  von 
Janov  (HatSj  z  Janova)  ging  schon  weiter  als  Konrad  und  Mili6, 
aber  die  wirklichen  reformatorischen  Versuche  traten  erst  her- 
vor, als  an  der  prager  Hochschule  die  Lehre  Wicliffe's  Aufnahme 
und  Erfolg   fand.    Die  Hanptforderer  derselben  waren   der  Ma- 

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12  FüDfteB  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

gister  Johann  Haas,  Dekan  und  spater  Kector  der  prager  Uni- 
versität, und  sein  Freund  Hieronymus  von  Prag,  ein  ßeßhischer 
Edelmann.  Anfangs  verbot  die  Universität  zweimal  (1403  und  1408) 
die  Lehre  Wicliffe's,  aber  sie  konnte  die  einmal  gefasate  Idee 
nicht  zurückhalten,  und  diese  verbreitete  sich  schliesslich  auch  in 
den  Volksmassen.  Huss  trat  gegen  die  päpstliche  Autorität  auf, 
nicht  nur  die  weltliche,  sondern  auch  die  kirchliche;  die Zügelloaig- 
keit  im  Leben  der  Geistlichen,  die  offenen  Misbräuche  und  Unge- 
rechtigkeiten forderten  nur  die  Ausbreitung  der  Opposition  in  der 
höhern  Gesellschaft  und  im  Volke.  Als  Huss  infolge  des  päpst- 
lichen BanneB  Prag  verlassen  musste,  verbreitete  sich  seine  Lehre 
auch  ausserhalb  der  Hauptstadt.  Die  Verfolgung  durch  die  geist- 
liche Gewalt  brachte  die  Gärung,  welche  sehr  bald  weite  Dimen- 
sionen anzunehmen  begann,  nicht  zum  Stillstand ;  bald  kam  man 
auf  eine  Säcnlarisirung  der  Kirchengüter  zu  sprechen,  dann  be- 
gann man  die  Autorität  der  Kirche  überhaupt  zu  leugnen.  Die 
Verbrennung  des  Huss  und  Hieronymns  hatte  einen  offenen 
Aufstand  gegen  die  Geistlichkeit  zur  Folge.  Huss'  Anhänger 
trennten  sich  auch  ausserlich  von  der  Kirche  durch  Annahme 
des  Abendmahls  unter  beiderlei  Gestalt  (sub  utraque  specie;  da- 
von der  Name  „Utraquisten";  vom  Kelch,  calix  —  der  Nane 
„Calistiner",  „Kaliänici").  Jetzt  bekannte  sich  auch  die  prager 
Universität  zur  Partei  der  Ref(%n.  Die  religiösen  Wirren 
endeten  mit  den  blutigen  Hussitenkriegen,  in  welchen  das  cechi- 
scbe  Volk  eine  erstaunliche  Energie  an  den  Tag  legte.  Die  reli- 
giöse Frage  ward  zugleich  zu  einer  gewaltigen  nationalen  Frage; 
im  Volke  war  das  Bewusstsein  der  eigenen  nationalen  Indivi- 
dualität erwachsen,  das  auch  erst  eine  so  ungewöhnliche  Kraft- 
äusserung  möglich  machte.  Die  nationale  Bewegung  drang  so 
tief  in  die  Massen,  dass  in  der  Folge  nach  ganzen  Jahrhunderten 
die  Ueberlieferung  davon  ihre  belebende  Kraft  erweisen  konnte 
—  in  der  neuern  cechischen  Renaissance.  Die  nationalen  In- 
stincte  wurden  gleich  von  Anfang  an  erregt,  weil  die  politischen 
und  kirchlichen  Misstände  Hand  in  Hand  mit  der  Herrschaft  der 
Deutschen  gingen:  an  der  Universität  war  die  deutsche  Partei 
conservativ;  gegen  die  Reform  wurden  fremde  (ebenfalls  wieder 
wesentlich  für  deutsch  geltende)  Waffen  angewendet;  der  Aufstand 
gegen  das  Feudalwesen,  gefordert  durch  die  religiöse  BegeisteniDg, 
war  ein  Aufstand  zu  Gunsten  des  Volkes,  seines  materiellen  und 
nationalen  Interesses.    Die  einmal  erregten  nationalen  Instincte 

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Hiatorieohe  Bemerkungen.  13 

berahigten  sich  nuQ  nicht  eher,  ah  bis  alle  durch  die  frühere 
Geschichte  geweckten  Antipathien  und  alle  BeBtrebnngen  nach 
einer  bessern  religiösen  und  socialen  Ordnung  zum  Ausdnick 
gekommen  waren.  Die  Gärung  der  nationalen  Idee  fand,  wie 
es  zu  erwarten  ■  war,  ihren  Ausweg  in  einer  Menge  der  verschie- 
denartigsten Bestrebungen  und  Verirmugen;  hier  gab  es  sowol 
ruhige  Befonner  als  exaltirte  Utopisten,  Anhänger  der  Tradi- 
tion und  Bationalisten ,  Toleranz  und  Fanatismus,  Aristokratie 
nnd  Demokratie,  Adamitenthum  und  Chiliasmus ,  Socialismus 
nnd  Communismus.  Die  Hussiten  zerfielen  bald  in  gemässigte 
und  entschiedenere  Reformatoren :  die  einen  begnügten  sich 
mit  der  Annahme  des  Kelchs  beim  Abendmahl  und  einigen 
andern  Verbesserungen,  sodass  sie  wenig  von  den  Katholiken 
abwichen;  andere  verwarfen  jede  klerikale  Autorität  und  stell- 
ten als  ihr  einziges  Gesetz  die  Heilige  Schrift  auf.  Aber  bei 
illen  Phantasien  nnd  Excentricitäten ,  welche  bei  der  in  Be- 
legung gekommenen  Masse  eines  ganzen  Volkes  unvermeidlich 
TSjen,  kam  deutlich  zum  Ausdruck,  erstens  die  Abwendung  von 
der  verderbten  Kirche,  zweitens  die  Opposition  gegen  Aristokratie 
nnd  Feudalismus  (in  ihrer  eigenen  Organisation  gelangten  dieTabo- 
riten  zum  Communismus),  endlich  der  Trieb  der  Selbsterhaltung, 
der  Erhaltung  der  Ifationalität.  Die  Taboriten  und  Orphaniten 
(Waisen,  Sirotci)  sagten  geradezu,  dass  sie  nicht  nur  für  den  Glau- 
ben, sondern  auch  für  die  Nationalität  kämpften.  Die  Deutschen 
erkannten  bald,  dass  die  begonnene  religiöse  Bewegung  zugleich 
demokratisch  und  national  war:  sie  standen  entweder  auf  Seite 
der  Feinde  des  Hussitenthums  und  gingen  unter,  oder  flohen  in 
benachbart«  Länder  in  der  Hoffnung,  in  günstigerer  Zeit  wieder- 
zukommen, —  sodass  das  deutsche  Element,  so  lange  und  so  sorg- 
sam eingeführt,  plötzlich  fast  ganz  aus  Böhmen  verschwand  und 
sich  nur  in  den  entlegenem  Gebieten  hielt.  .  .  .  Aber  die  Tabo- 
riten,  welche  einige  katholische  Kreuzzüge  aus  fast  ganz  Europa 
anigehalten  hatten,  fielen  durch  innere  Zwiste.  Die  verschiedenen 
hussiÜschen  Parteien  stimmten  in  ihren  Zielen  und  Mitteln  nicht 
überein;  das  Baseler  Concil  vermochte  nicht  Europa  mit  den 
Hussiten  zu  versöhnen  und  brachte  neue  Mishelligkeiten  in  die 
Mitte  der  letztem:  die  gemässigten  „Calixtiner"  schlössen  sich 
den  Katholiken  an;  die  Feudalen  fassten  wieder  Muth.  In  der 
Schlacht  bei  Lipan  (1434)  zerschmetterte  die  kaiserlich-feudale 
Armee  das  Heer  der  Städte   und   des  Volkes.    Diese  Schlacht, 

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14  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ceoben. 

welche  dea  fiinfzehnjährigen  Hussitenkrieg  beeDdete,  versetzte  den 
Uutemehmungeii  des  Volkes,  in  denen  so  viel  reine  und  edle 
Bestrebungen  waren,  einen  entscheidenden  Schlag.  Aber  die  Un- 
ruhen hörteu  nicht  auf;  mit  dem  Falle  der  Taboriten  war  ditB 
Hussitenthum  nicht  gebrochen  und  nach  dem  Tode  des  Kaisers 
Sigismund  wurde  auf  den  böhmischen  Thron  der  Führer  der 
Hnssitenpartei,  Georg  Podebrad,  gewählt.  Die  Regierung  Pode- 
brad's  (1438 — 71)  —  eine  der  glänzenden  und  charakteristischen 
Perioden  der  böhmischen  Geschichte  —  brachte  dem  Lande  zvar 
einige  Buhe,  konnte  aber  doch  die  nationale  Sache  nicht  wieder- 
herstellen. Die  kirchliche  Beaction  erstarkte  mehr  und  mehr 
schon  unter  seinem  Nachfolger,  Vladislav  Jagello,  und  obgleich 
der  Beligionsfriede  des  Kuttenberger  Landtags  im  Jahre  14S5 
die  kirchlichen  Streitigkeiten  auf  lange  zum  Stillstand  bracht? 
durch  Frociamirung  der  Freiheit  der  Bekenntnisse  tn  Böhmen, 
so  war  doch  andererseits  das  Schicksal  des  Volkes  neuen  Ge-  , 
fahren  unterworfen.  Es  begannen  innere  sociale  Streitigkeiten, 
ein  Kampf  der  Stände,  worin  dem  Volk  die  letzte  KoUe  sn- 
tiel.  Die  Aristokratie  raffte  nach  der  Katastrophe  aufs  neue 
ihre  Kräfte  zusammen  und  mit  Ende  desselben  15-  Jahrhun- 
derts, das  die  schärfsten  Ausbrüche  der  Demokratie  und  der 
Gleichheit  gesehen,  entrollte  sich  eine  Ordnung  der  Dinge, 
welche  die  künftige  definitive  Knechtung  und  Leibeigenscbart 
des  Volks  vorbereitete.  Selbst  die  „Utraquisten"  und  die 
„Brüdergemeine"  forderten  diese  Knechtung,  —  indem  äe 
predigten,  jede  Obrigkeit  komme  von  Gott,  und  das  Gesetz 
unterstützten,  dass  jeder,  der  nicht  Obrigkeit  sei,  unter  einer 
Obrigkeit  stehen  müsse,  und  wer  kein  Herr  sei,  einem  Herrn 
gehorchen  und  angehören  müsse.  Die  Streitigkeiten  zwischen 
den  Städten  und  dem  Adel,  welche  die  Geschichte  der  damaligen 
Zeit  bildeten,  berührten  das  Volk  nicht.  Die  Bedrückang  des 
Volkes  rief  einige  Bauernaufstände  hervor,  aber  sie  waren  alle 
partiell  und  vereinzelt;  blutige  Repressalien  brachten  sie  zum 
Stillstand. 

Zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  wählte  sich  Böhmen  einen 
König  aus  dem  Hause  Habsburg  (1526),  unter  dessen  Scepter 
es  jetzt  noch  steht.  Mit  Ferdinand  begannen  religiöse  Ver- 
folgungen, trotz  der  vorher  proclamirten  Bekenntnisafreiheit; 
mit  der  Entwickelung  der  Lutherischen  Reformation  wurden  in 
Böhmen    viele    der    frühem    Gegner    der    katholischen    Kirche 

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HiBtoriBohe  Bemerkungen.  15 

Latheraaer;  Ferdinand  verfolgte  sie  und  die  „Böhmiechen  Brü- 
der" unter  dem  Vorwand,  dass  beide  keine  echten  ütraquisten 
seien  (die  geduldet  wurden).  Gegen  die  zweite  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  hin  verschlechterte  sich  die  Lage  noch  mehr; 
infolge  der  Massregeln  der  habsburgischen  Könige  fiel  die  lu- 
therische Bevölkerung,  welche  die  grosse  Masse  des  Volkes  bil- 
dete, aber  officiel)  nicht  anerkannt,  jedes  administrativen  und 
moralischen  Centrums  beraubt  war,  auseinander  und  verlor  ihre 
sittliche  Kraft.  Die  äussere  Lage  der  Gesellschaft  und  des 
Volkes  entsprach  der  religiösen  Spaltung;  der  königliche  Hof 
war  deutsch,  mit  den  Attributen  des  spanisch  -  österreichischen 
and  „apostolischen"  Despotismus,  und  die  Könige  lernten  kaum 
ein  wenig  iechisch:  der  Hofadel,  vorwiegend  katholisch,  nahm 
eine  Menge  Ausländer  auf,  die  aus  den  andern  Besitzungen  des 
habsburgischen  Königs  herbeiströmten ,  und  ward  dem  Volke 
ganz  fremd;  die  Politik  der  Regierung  war  rein  katholisch  und 
dynastisch. 

Mit  Ferdinand  beginnt  schon  ein  sichtlicher  Verfall  der  Sache 
der  Cechen  und  Böhmens  selbst.  Die  Habsburger  wussten  sich 
die  Schwächung  der  Nation  nach  den  hussitisclien  Stürmen  zu- 
nutze zu  machen  für  die  beiden  Ziele  ihrer  Politik  —  die  Herr- 
schaft des  Katholicismus  und  des  Absolutismus.  Im  Laufe  von 
hundert  Jahren  vollzog  sich  dieser  Umschwung. 

Das  HuBsitenthum  gelangte  nicht  an  sein  Ziel  —  die  Bildung 
einer  neuen  Kirche.  Nachdem  es  dieser  Idee  gewaltige  Opfer 
gebracht,  ermüdete  das  Volk  und  inzwischen  hatte  die  revolu- 
tionäre Umwälzung,  denn  eine  solche  war  das  Hussitenthum, 
eine  Reaction  hervorgerufen.  Die  hussitische  Kirche,  bedingungs- 
weise zugelassen  vom  Baseler  Concil,  wurde  gleichwol  von  den 
Päpsten  verworfen;  ihre  Anbänger  verschiedener  Färbung  waren 
nicht  im  Stande,  zur  Einheit  und  zu  einer  festen  Organisation 
zu  gelangen,  und  als  die  deutsche  Reformation  auftrat,  zerfiel 
der  Hnssitismus:  die  einen  kehrten  zum  reinen  Katholicismus 
zurück  {zuweilen  unter  Bewahrung  des  „Kelches",  aus  dem 
ihnen  selbst  die  Jesuiten  das  Abendmahl  reichten);  die  andern 
Schlössen  sich  den  Lutheranern  und  Calvinisten  an,  —  und 
Böhmen  musste  aufs  neue  die  schweren  Folgen  des  begonnenen 
Kampfes  des  Katholicismus  mit  der  Reformation  tragen.  Die 
nationale  Freiheit,  welche  das  Hussitenthum  in  seinen  politischen 
und  socialen  Bestrebungen  suchte,    wurde  auch    nicht   erreicht; 

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16  Fünften  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

BchoD  bald  nach  den  Hussitenkriegen  musste  Poäebrad  gegen  die 
Pmtensionen  der  Aristokratie  kämpfen.  Schliesslicli  erlangte  die 
letztere  eine  heiTBchende  Stellang. 

Nachdem  Ferdinand  König  von  Böhmen  geworden,  suchte  er 
dieses  Land  mit  seinen  übrigen  Ländarn  unter  einem  spaniscb- 
österreicbischen  Absolutismus  zu  vereinigen  und  folglich  alle 
Freiheiten  und  Rechte  der  böhmischen  Stände  zu  unterdriickeu. 
Die  Bürger  und  die  Aristokratie  vei^uchten  gegen  diese  Präten- 
sionen  anzukämpfen,  —  aber  sie  hatten  schon  nicht  mehr  die 
alte  Energie  und  unterwarfen  sich  widerspruchslos,  als  Ferdinand 
mit  einem  Heere  kam.  Der  „blutige  Landtag"  (lö47)  beschränkte 
die  Rechte  der  böhmischen  Stände ;  die  Aristokratie  ward  von 
Ferdinand  geschont,  aber  die  Bürger  hatten  stark  zu  leiden;  die 
„Böhmischen  Brüder"  wurden  vertrieben.  Im  Jahre  1556  wur- 
den die  ersten  Jesuiten  nach  Böhmen  berufen.  Seit  dem  Verfoll 
der  „Stände"  vertrat  der  Adel  allein  die  Sache  der  öechischen 
Nationalität,  und  in  seiner  Mitte  fand  der  letzte  Kampf  für 
die  nationale  Autonomie  statt.  Die  kurze  Regierung  Maximi- 
lian's,  der  sich  durch  eine  milde  Toleranz  auszeichnete,  än- 
derte am  Wesen  der  Lage  nichts.  Auf  Antrag  des  böhmischen 
Landtags  hob  Maximilian  1567  die  berühmten  Baseler  Compac- 
tata  auf,  durch  welche  die  Hussiten  einstmals  gehofft  hatten,  ihre 
Lehre  mit  den  Traditionen  der  katholischen  Kirche  auszusöhnen: 
drei  Jabre  vorher  hatte  Ferdinand  die  Bestätigung  dieser  Com- 
pactata  seitens  des  Papstes  erlangt,  sodass  sie  zu  einer  hussiti- 
schen  Union  wurden  und  der  Propaganda  der  Jesuiten  den  Zu- 
gang öffneten.  Durch  ihre  Aufhebung  wurde  die  Freiheit  des 
Bekenntnisses  wiedergewonnen,  und  die  öechischen  Hussiten  ver- 
schmolzen deiinitiv  mit  den  Protestanten.  Mit  der  Regierung 
des  charakterlosen,  zuweilen  halb  wahnsinnigen  Rudolf  ge- 
wann der  KatbolicismuB  mehr  und  mehr  Einfluss,  durch  die 
Bemühungen  der  jesuitischen  Hofpartei,  zu  welcher  auch  mäch- 
tige böhmisch-mährische  Magnaten  überzugeben  begannen,  wie 
Slavata  (der  später  mit  Martinic  im  Schlosse  zu  Prag  aus  äem 
Fenster  geworfen  wurde),  Karl  von  Liechtenstein,  der  berühmte 
Albrecht  Wenzel  von  Waldstein  (Wallenstein). 

Der  alte  Hussitenkampf  ging  jetzt  in  einen  Kampf  des  öechi- 
schen Adels  mit  der  jesuitisch  -  magnatischen  Hofpartei  über, 
die  noch  dadurch  an  Kraft  gewann,  dass  sich  Rudolf  Prag  2u 
seiner  Hauptstadt   erwählte.    Die  jesuitisch -magnatische  Partei 


Historische  Bpraerknngen.  17 

schreckte  znr  Erreichung  ihrer  Zwecke  nicht  vor  den  schroffsten 
Uassregeln  znriick,  sodass  es  zu  einem  Aufstand  in  Ungam, 
Oesterreich  und  Mähren  kam.  Die  Aufständischen  erkannten 
ik  Regenten  den  Bruder  Rudolfs,  Matthias,  an;  die  Freiheit 
des  Bekenntnisses  und  die  Landeaantonomie  wurden  wiederher- 
gestellt; aber  die  Mährer,  deren  Führer  der  berühmte  Karl  Yon 
^rotin  war,  vermochten  nicht,  die  Böhmen  zur  Theilnahme 
heranzuziehen.  Rudolf  blieb  in  Böhmen;  im  Moment  der  Ge* 
bhr  versprach  er,  den  Böhmen  Bekenntnissfreiheit  zu  geben, 
hielt  aber  dann  nicht  Wort,  sodass  lß09  auch  hier  fast  ein  be- 
waffneter Aufstand  feitig  war;  die  böhmischen  Adeligen  fiirch- 
teteo  sich  jedoch,  entschiedene  Schritte  zu  thun,  begnügten  sich 
mit  dem  sogenannten  „Majestätsbrief",  den  Rudolf  unterzeichnen 
mus8te,  und  der  allerdings  wenig  Gesichertes  bot.  Im  Jahre  1611 
fand  der  sogenannte  „PaKsauer  Ueberfall"  statt,  ein  mislungener 
Versuch  der  reactionären  Partei,  die  Gegner  mit  Hülfe  fremder 
Trappen  zu  unterdrücken ,  den  Protestanten  die  ihnen  einge- 
Htumten  Rechte  und  Matthias  dessen  Länder  zu  nehmen.  In- 
folge eines  zweiten  Feldzugs  des  Matthias  nach  Böhmen  musste 
Rudolf  dem  Thron  entsagen.  Matthias  versöhnte  jedoch  die  pro- 
testantische Partei  nicht,  und  während  dessen  wurde  1617  zu 
Prag  der  schlimmste  Feind  Böhmens,  Ferdinand  IL,  zum  Nach- 
folger gekrönt.  Die  katholische  Partei  achritt  zur  Gewalt, 
schloss  und  zerstörte  die  protestantischen  Kirchen,  und  auf  die 
Beschwerde  der  Böhmen  antwortete  Matthias,  dies  sei  auf  seinen 
Befehl  geschehen.  Ein  Bruch  war  unvermeidlich  und  er  vollzog 
sich  durch  das  bekannte  Ereigniss  vom  2'i-  Mai  1618,  als  die 
Böhmen  die  beiden  königlichen  Räthe  nebst  einem  Secretär  zum 
Fenster  hinauswarfen.  Dies  war  der  letzte  Kampf  der  Cechen 
fiur  die  nationale  Freiheit.  Sie  hatten  anfangs  die  Oberhand 
aber  die  kaiserlichen  Truppen,  und  als  damals  Matthias  starb 
(1619),  wählten  sie  den  Kurfürsten  Friedrich  von  der  Pfalz 
mm  König  von  Böhmen,  —  aber  der  Erfolg  war  nicht  von 
langer  Dauer;  die  böhmische  Sache  eröffnete,  nachdem  sie  in  die 
Hände  fremder  Bundesgenossen  übergegangen,  den  Dreissigjähri- 
gen  Krieg.  Böhmen  selbst  ging  gleich  am  Anfange  dieses  Kam- 
pfes unter.  Die  Entscheidung  wurde  durch  die  traurig  berühmte 
Schlacht  am  Weissen  Berge  bei  Prag,  8-  November  1620,  herbei- 
geführt. 

Ptrh,  SUTtHba  LUentnraB.    H,  ».  9 


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18  FüDftea  Kapitel.    I.   Die  f^hen. 

Die  Sache  Böhmens  fiel  deshalb,  weil  sie  nicht  mehr  Tom 
Volke  geführt  wurde,  welches  einstmals  so  siegreich  sein  Land 
in  den  Hussitenkriegen  vertheidigt  hatte.  „Die  Sache  des  £echi> 
sehen  Adels",  sagt  Hilferding,  „konnte  schon  nicht  mehr  eq 
einer  nationalen  Sache  werden.  Zwischen  dem  Adel  und  dem 
Volke  war  sozusagen  nichts  Gemeinsames  geblieben.  Das  Volk 
empörte  sich  einige  Jahre  nachher,  als  die  Sache  vom  Adel  schon 
definitiv  verspielt  war,  und  als  die  Bache  der  Habsburger  mit  allen 
ihren  Schrecken  den  häuslichen  Herd  des  Landmanns  unmittel- 
bar berührte:  da  war  es  zu  spat,  und  diese  vereinzelten  Aufwallun> 
gen  des  Volkes  wurden  leicht  in  Strömen  von  Blut  erstickt.  Aber 
bis  dahin  wirkte  der  Adel  allein,  und  obgleich  er  sich  für  die  Un- 
abhängigkeit des  Vaterlandes,  für  die  Rechte  Böhmens,  für  die 
Freiheit  des  nationalen  Bekenntnisses  erhob  und  in  den  Kampf 
ging,  so  blieb  doch  das  Volk  diesem  Kampfe  gegenüber  voll- 
kommen gleichgültig.  Es  stellte  Rekruten  zu  der  Landesarmee, 
wenn  man  kam  solche  zu  fordern,  trat  aber  nicht  aus  der 
Apathie  heraus,  in  die  es  vom  Adel  selbst  gebracht  worden 
war,  weil  er  das  ganze  Leben  des  Landes  in  sich  concentrirte. 
Die  Führer  der  Bewegung  tiihlten  so  sehr  ihre  Schwäche,  dase  sie 
sich  entschlossen,  einen  fremden  General,  Mansfeld,  mit  einer 
Truppe  von  14000  Mann,  welche  dieser  in  verschiedenen  Gegen- 
den Deutschlands  geworben  hatte,  in  Sold  zu  nehmen." 

Nach  der  Schlacht  am  Weissen  Berge  vollzieht  sich  der  de- 
finitive Verfall  Böhmens.  Ferdinand  II.  beutete  die  Niederlage 
aus,  wie  es  sich  für  einen  katholischen  Fanatiker  jener  Zeit  ge- 
bührte. Das  Schicksal  Böhmens  war  damals  in  Wahrheit  furcht- 
bar. Nach  schrecklichen  Hinrichtungen ,  Confiscationen ,  Ver- 
haftung der  Hauptrüdelsfiihrer  begann  eine  Verfolgung  der 
gesammten  Bevölkerung;  alle  Akatholikeo,  welche  nicht  zur 
katholischen  Kirche  übertreten  wollten,  mussten  ins  Exil  gehen 
—  die  Geistlichen  der  Lutheraner  und  der  Brudergemeine,  dann 
die  Bürger,  zuletzt  die  Adeligen  und  Ritter.  Diese  Zehntaasende 
von  Familien  erwarteten  anfangs ,  dass  für  sie  glücklichere 
Zeiten  der  Rückkehr  in  die  Heimat  kommen  würden,  aber  zu- 
letzt verloren  sich  zahlreiche  ^echische  Familien  in  den  Län- 
dern, die  sie  aufgenommen  hatten.  Der  Dreissigjährige  Krieg, 
der  Schlacht  am  Weissen  Berge  folgend,  machte  Böhmen  m 
einem  seiner  Hauptscbauplätze  und  brachte  das  Land  vol- 
lends in  Verfall;  die  Uechen,    moralisch  zerrüttet,   sanken  auch 


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HistoriBche  Bemerkungen.  19 

iiaten'ell.  Endlich  wurde  die  Sache  der  Bekehrung  zum  Eatho- 
HciEinaB,  welche  die  Jesuiten  übernahmen,  von  diesen  mit  dem 
gewohnten  Eifer  ausgeführt;  die  Masse  des  Volks  vergass  das 
slte  Frotestantenthum,  ausser  wenigen  Anhängern  desselben,  be- 
sonders der  Sekte  der  „Briidergemeine",  die  sich  im  Verborgenen 
hielt.  Die  böhmischen  „Stände"  (zu  denen  der  geistliche  Stand 
Mnzngekommen  war)  verloren  jeden  Antheil  an  der  Gesetzgebung; 
in  den  Städten  verschwanden  alle  Spuren  der  frUbem  Freiheit 
DDter  dem  Druck  der  kaiserlichen  Richter  und  Beamten;  dem 
ganzen  Volke  wurde  sogar  die  Erinnerung  an  die  frühere  Utera- 
rische Entwickelnng  genommen  —  durch  systematische  Vernich- 
tung der  cechischen  Bücher,  die  Bildung  der  frühern  Zeit  ver- 
schwand.    Die  Bevölkerungszahl  sank  schrecklich. 

Im  Laufe  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  führte  das  £echische 
Volk,  das  sich  fast  ganz  in  einen  öechischen  Plebs  verwandelt 
hatte,  und  den  hohem  deutschen  oder  verdeutschten  Klassen 
unterworfen  war,  fast  nur  ein  Pflanzenleben,  ohne  jeden  Ge- 
danken an  nationale  Selbständigkeit  und  Freiheit.  Zu  Ende 
^  18.  Jahrhunderts  traten  die  Zeiten  des  aufgeklärten  Absolu- 
tismus ein,  aber  Joseph  II.  wurde  bei  aller  Humanität  seiner 
Bestrebungen  doch  der  Anstifter  jenes  Germanisirungssystems, 
aber  welches  die  Rechen  noch  jetzt  nicht  aufhören  zu  klagen. 
Von  jener  Zeit  an  beginnt  die  Wirksamkeit  einer  verstärkten 
Centralisation,  welche  den  einzelnen  Ländern  ihre  localen  histo- 
lischen  Rechte  und  Unterschiede  nehmen,  und  sie  unter  eine 
bnreaukratische  Norm  bringen  sollte.  Aber  die  Zwangsmass- 
regeln gggen  das  historische  Recht  Böhmens  und  die  Volks- 
sprache, welche  definitiv  aus  dem  officicllen  Leben  entfernt 
wDrde,  riefen  noch  einmal  einen  Widerstand  seitens  der  Nation 
hervor;  die  aus  den  Schulen  und  aus  der  Verwaltung  ver- 
triebene Sprache  fand  eifrige  Verfechter  in  einigen  Patrioten, 
nnd  regenerirte  sich  in  der  Literatur.  Das  nationale  Streben  ge- 
wann Gestalt",  von  den  letzten  Jahren  des  18.  Jahrhunderts, 
von  der  Regierung  Joseph's  IL,  rechnet  die  neue  6echische  Lite- 
ratur, die  eine  Wiederbelebung  des  cechischen  Volks  bezeich- 
nete, ihren  Anfang. 

Joseph  II.  gelang  es  nicht,  seine  Plane  zu  verwirklichen; 
nach  der  kurzen  Regierung  seines  Bruders,  Leopold  IL,  wel- 
cher, nie  es  scheint,  der  localen  Autonomie  mehr  Raum  geben 
wollte,   verfolgte  eine  neue  Richtung    in  der  innern  Politik  der 

2* 

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20     ■  Fünftel  Kapitel.    I.    Die  Öeohen. 

Sohn  Leopold's,  Franz  I.,  seit  1804  erster  Kaiser  von  Oester- 
reich.  Er  wurde  ebenfalls,  wie  sein  Vater,  in  Prag  gekrönt, 
sah  aber,  erschreckt  durch  die  Französische  Revolution,  mit 
Besorgniss  auf  alles,  was  irgendwie  an  Volksrechte  erinnerte; 
und  obgleich  er  den  Landständen  die  Rechte  liess,  welche 
sie  vor  Joseph  II.  besessen  hatten,  so  war  doch  seine  Regie- 
rung, in  welcher  Mettemich  die  leitende  Hauptperson  war,  das 
Muster  einer  finstem  Reaction.  Die  nationale  Wiederbelebung, 
welche  seit  Joseph  begann,  wuchs  durch  die  Macht  der  Ver- 
hältnisse unter  den  slaviscben  Völkern  Oesterreicbs;  die  arg- 
wöhnische Bureaukratie  legte  ihr  auf  jede  Weise  HindemiBse 
in  den  Weg,  aber  die  nationalen  Interessen  aller  Stämme  arbei- 
teten sich  immer  mehr  aus  den  Banden  empor  und  suchten  sich 
einen  freien  Ausdruck  zu  verschaffen.  Unter  Ferdinand  V-, 
Franzen's  Sohn  und  (seit  1835)  Nachfolger  —  1836  zu  Pn^ 
gekrönt  —  liess  der  bureaukratische  Druck  etwas  nach ,  und 
die  öffentliche  Meinung  begann  sich  kühner  gegen  den  Absolu- 
tismus auszusprechen.  Im  Jahre  1847  entschloss  sich  der  böh- 
mische Landtag  sogar  dazu,  eine  Steuer  abzulehnen  —  ein 
unerhörter  Vorgang.  Endlich  fand  1848  die  in  Frankreich  aus- 
gebrochene Revolution  in  Oesterreich  ein  Echo.  Die  alte  Ord- 
nung stürzte  mit  einem  mal;  der  Kaiser  entliess  Mettemich,  die 
Bureaukratie  verlor  die  Fassung  und  die  verschiedenartigen  po- 
litischen Elemente  Oesterreicbs  sprachen  sich  aus:  die  Lombardei 
und  Venetien  machten  einen  Aufstand,  um  sich  mit  Italien  sn 
vereinigen;  Ungarn  strebte  danach,  eine  besondere  Regierung 
zu  erhalten,  und  rief  durch  seinen  exciusiven  Magyarismus  den 
Widerstand  Kroatiens  hervor;  die  deutschen  Provinzen  (sogar 
die  Deutschen  in  Böhmen)  sprachen  sich  für  die  deutsche  Ein- 
heit aus  und  sandten  Deputirte  ins  Frankfurter  Parlament; 
die  Öechen  drangen  (zum  ersten  mal  in  der  Versammlung  vom 
11.  März)  auf  Erhaltung  der  Staatseinheit,  forderten  aber  die 
Ausführung  ihres  historischen  Rechts  und  die  Gleichberecbtigong 
der  Nationalitäten.  Die  Regierung  versprach  constitutionelle 
Einrichtungen,  löste  den  böhmischen  Landtag  auf,  kündigte  dann 
Wahlen  zu  einem  Reichstag  für  das  gesammte  Reich  in  Wien  an, 
unterdessen  aber  fanden  im  Lande  die  Wahlen  zu  dem  deutschen 
Gesammtparlament  in  Frankfurt  statt.  Diese  nationalen  Gegensätze 
und  die  Widersprüche  der  Regierung  gaben  Anlass  zu  dem  sla- 
viscben Congress,  der  zu  Prag  am  2.  Juni  1848  aus  den  Haaptver- 

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Hiatoriacbe  Bemerkungen.  21 

treteru  der  glavischen  Völker  Oeaterreichs  zusammentrat  uud  Mass- 
r^eln  zur  Sicherung  ihres  Schicksals  berathen  und  ergreifen  sollte. 
Die  Berathungen  desselben  wurden  durch  das  Blutbad  in  Prag 
unterbrochen  (einen  revolutionären  Zwischenfall,  der  nicht  Sache 
des  Volks  war,  aber  von  der  Keactionspartei  ausgebeutet  wurde), 
am  12.  Juni;  aber  der  wiener  Reichstag  trat  zusammen  und 
brachte  das  Gesetz  der  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  durch; 
nach  der  Belagerung  und  Einnahme  Wiens  durch  Windisch- 
grätz  und  Jellachich  ward  der  Reichstag  nach  Kremsier  in  Mäh- 
ren verlegt,  arbeitete  dort  das  Project  einer  Verfassung  aus  — 
aber  es  war  schon  zu  spät.  Die  conservative  Partei  hatte  sieb 
erholt  und  das  Ministerium  des  Fürsten  Schwarzenberg  und  des 
Grafen  Stadion  war  der  Anfang  der  Reaction.  Im  December 
1848  dankte  Kaiser  Ferdinand  zu  Gunsten  seines  Neffen  Franz 
Joseph  ab.  Der  neue  Kaiser  setzte  die  Tradition  seines  Hauses 
fort.  Im  März  184fl  löste  er  den  Reichstag  zu  Kremsier  auf, 
pnblicirt«  gleichzeitig  eine  von  ihm  in  Gnaden  verliehene  Ver- 
bssnng,  höh  sie  aber  dann,  als  er  gesehen,  dass  der  Aufstand 
in  Ungarn  hauptsächlich  durch  die  Kräfte  Russlands  nieder- 
geworfen und  die  revolutionären  Mächte  nicht  mehr  gefährlich 
varen,  im  August  1851  wieder  auf,  worauf  im  December  neue 
Versprechungen  folgten,  die  aber  wieder  uicht  gehalten  wur- 
den. Von  den  politischen  Errungenschaften  der  letzten  Zeit 
war  nur  die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  und  der  Patri- 
nonialgerichtsbarkeit  übriggeblieben.  Statt  aller  Verfassungen 
worde  die  bureaukratische  Centralisation  alten  Schlages  erneuert, 
mit  der  frühem  Herrschaft  der  Deutschen  und  der  Polizei.  An 
der  Spitze  der  Regierung  stand  der  hartnäckige  Centralist  und  Con- 
serTative  Bach,  mit  dem  die  Zeiten  Metternich's  wiederkehrten. 
Die  Lage  der  öecben  und  der  (Sechischen  Nationalität  ward  wie- 
der unerträglich;  das  wenige  Recht,  welches  die  cecbische  Sprache 
eben  erst  in  der  Schule  erlangt  hatte,  ging  wieder  fast  ganz  ver- 
loren, weil  die  Bureaukratie  ihrer  Anwendung  allerlei  Hinder- 
nisse in  den  Weg  legte.  Allein  diesmal  schlug  die  Stunde  des 
-Absolutismus  schneller.  Das  neue  System  brauchte  viel  Geld, 
und  die  Steuern  erschöpften  das  Land;  ein  Krieg  mit  Frankreich 
and  Italien  endete  mit  dem  Verlust  der  reichen  italienischen 
Provinzen.  Das  alte  System  hei  aufs  neue,  und  Franz  Joseph 
erliess  am  20.  October  1860  ein  Manifest  „an  seine  Volker"  und 
ein  unwiderrufliches  „Diplom",  durch  welches  die  Völker  Oester- 


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22  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Cechen. 

reiche  abermals  zu  einer  coDstituttonellen  Theilnahme  an  der  Ent- 
scheidung der  Reich Bangelegenh ei ten  herufen  wurden.  Diee  war 
dem  Anschein  nach  eine  wirkliche  Absicht,  die  auf  den  Födera- 
lismus gerichteten  Wünsche  der  Völker, Oesterreichs  zu  erfüllen; 
jiber  schon  bald  fand  ein  Umschwung  nach  einer  andern  Seite 
hin  statt,  und  am  26.  Februar  1861  erschien  das  sogenannt« 
„Patent"  (entworfen  von  der  deutschen  centralistischen  Partei  und 
vollzogen  von  Schmerling),  das  als  eine  Ergänzung  zum  October- 
diplom  dienen  sollte,  in  Wirklichkeit  aber  die  Autonomie  der  ein- 
zelnen Länder  stark  untergrub,  da  es  das  Hauptcentrum  der  politi- 
schen Wirksamkeit  aus  den  Provinziallandtagen  in  den  Reichsrath 
verlegte  und  durch  ein  eigenthiimliches  Wahlsystem  das  deutsche 
Element  in  der  Vertretung  und  die  centralistische  Pai-tei  kräf- 
tigte. Die  Proteste  derÖechen  gegen  eine  solche  Lage  der  Dinge 
führten  nur  zu  einer  hartnäckigen  Verfolgung  der  cechischen  Jour- 
nalistik. Im  Jahre  1866  empfing  Oesterreich  eine  neue  politische 
Lection  bei  Sadova,  und  die  Regierung  begann  wieder  an  eine 
Versöhnung  mit  „ihren  Völkern"  zu  denken.  Am  dringendsten 
schien  ihr  ein  Ausgleich  mit  Ungarn  zu  sein,  und  dieser  sollt« 
durch  das  im  Jahre  1867  gegründete  System  des  „Dualismus" 
erreicht  werden,  wonach  die  politische  Herrschaft  zwischen  den 
Deutschen,  welche  in  Cieleitbanien  herrschten,  und  den  Ungarn 
getheilt  wurde.  Für  das  Österreichische  Slaventhum  und  speciell 
für  die  Cechen  ward  die  Lage  noch  schlimmer;  eine  nationale, 
historisch  berechtigte  Autonomie  ward  nur  den  Ungarn  bewil- 
ligt, aber  dafür  sollte  sie  den  Völkern  der  andern  Länder  be- 
schränkt werden.  Nachdem  die  Regierung  in  den  Ländeiii  der 
„ungarischen  Krone"  die  Herrschaft  dem  magyarischen  Element 
überlassen  hatte,  musste  sie  in  Cisleithanien  eine  ebensolche 
politische  Einheit  mit  dem  Uebergewicht  der  Deutschen  zu 
schaffen  suchen  —  sonst  konnten,  bei  localer  Autonomie  in 
Cisleithanien,  die  Ungarn  der  stärkste  Kern  des  ganzen  ReichE 
werden.  Zwar  wurden  einige  liberale  Reformen  eingeführt, 
welche  das  innere  politische  Leben  bei  den  Öechen  selbst  er- 
leichterten ,  aber  in  der  constitutionellen  Frage  stiess  die 
Regierung  auf  einen  recht  hartnäckigen  Widerstand  der  sU- 
vischen  Föderalisten,  der  besonders  einmüthig  bei  den  Öechen 
war.  Wie  die  Ungarn  für  die  „Krone  des  heiligen  Stephan" 
eintraten,  so  beharrten  die  Cechen  auf  dem  historischen  Recht 
der  „böhmischen  Krone",  und  als  es  die  wiener  Regierung  beim 

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Historiscbe  Benierknogen.  23 

AoGgleich  des  Jahres  1867  den  Ungarn  anheimstellte,  an  derFest- 
setzang  der  Beziehungen  Ungarns  zu  Oesterreich  theikunehmen, 
in  Cisleitbanien  aber  die  Slaven  einfach  aafforderte,  ihre  De- 
putirten  in  den  wiener  Reichsrath  zu  senden,  eröffneten  die 
Cecben  den  conetitutionellen  Kampf  in  der  Erirägung,  wenn  sie 
ihre  Deputirten  nicht  in  den  Reichsrath  schickten,  so  würde 
dieser  nach  constitutionellem  Recht  incompetent  und  verlöre  in 
jedem  Falle  die  Autorität  einer  regulären  gesammtstaatlichen 
Vertretung.  Dieses  Mittel  wendeten  die  Cechen  auch  wirklich 
an  und  sandten  von  1867  an  ihre  Vertreter  nicht  nach  Wien. 
Im  April  1867  protestirten  sie  auf  dem  böhmischen  Landtag 
gegen  die  Wahlen  zum  Reichsrath ;  im  Sommer  desselben  Jahres 
fand  die  Fahrt  der  Slaven  nach  Moskau,  mit  den  cecbiscben 
Führern  Palack^  und  Rieger  an  der  Spitze  statt;  im  Juli  18G8 
irard  das  500jährige  Jubiläum  des  Geburtstages  von  Huss  fest- 
lich begangen;  im  August  veröffentlichten  die  Rechen  eineDecla- 
ration  zur  Vertheidigung  ihres  historischen  Rechts  —  alles  dies 
waren  scharfe  nationale  Manifestationen,  auf  welche  die  Regie- 
mng  mit  Erklärung  des  Belagerungszustandes  in  Prag  antwortete. 
Die  Cechen  gaben  jedoch  nicht  nach,  und  die  anomale  Lage 
dauerte  fort.  Da  es  unmöglich  war,  eine  Vereinigung  Cisleitha- 
niens  herbeizuführen,  so  erlangte  Ungarn  in  den  letzten  Jahren 
virklicb  die  herrschende  Stimme  in  den  Angelegenheiten  Oester- 
reichs  und  für  die  Deutschen  selbst  erschien  eine  Versöhnung 
mit  dem  Slaventbum  und  dem  Föderalismus  wünscbcnswertb  zur 
Gegenwirkung  gegen  das  Vorherrschen  Ungarns.  ...  Im  Jahre 
1879  machte  die  Regierung  einen  Versuch  in  dieser  Richtung 
und  deutete  auf  Conccssionen  hin:  da  stellten  die  Cecben  nach 
vielen  Jahren  ihren  passiven  Widerstand  ein  und  sandten  ihre 
Deputirten  in  den  wiener  Reichsrath  —  in  der  Hoffnung,  ihre 
Nationalität  werde  davon  Vortheilc  erlangen.  Die  wichtigste 
Errungenschaft  dieser  Politik  ist  wol  biejetzt  die  Spaltung  der 
prager  Universität  in  eine  deutsche  und  cechiscbe  und  die  Er- 
öffnung der  letztern. 

Dies  sind  die  historischen  Verhältnisse,  in  denen  sich  die 
cechiscbe  Literatur  entwickelt  bat.  Entsprechend  den  Haupt- 
ereignissen  des  nationalen  Lebens  nehmen  die  Cecbiscben  Lite- 
rarhistoriker gewöhnlich  in  der  Geschichte  ihrer  Literatur  vier 
Perioden  an:  die  alte,  bis  zu  den  ersten  Anfängen  des  Hussiten- 
thnros  (bis  1403)  reichend ;  die  zweite,  die  Hussitenzeit  umfassend 


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24  Fünftes  Kapitel.     I.   Die  Cechea. 

(bis  1620);  die  dritte,  die  Periode  des  Verfalls  der  Nation  und 
der  Literatur  bis  zu  den  Refonnen  Joseph's  II.  (annähernd  bis 
1770 — 80);  endlich  die  neueste  Periode  der  Renaiseance  seit  den 
letzten  Jahrzehnten  des  vorigen  Jahrhunderts.*  Wenn  eine  solche 
Berechnung  der  Literatur  nach  Jahren  überhaupt  statthaft  ist, 
so  kann  sie  hier  ganz  besonders  ihren  Platz  findeu,  weil  sich 
die  Uebergänge  -der  literarischen  Entwickelung  parallel  mit  den 
scharfen  charakteristischen  Erscheinungen  des  historischen  Le- 
bens, wie  dem  Wachsthum  des  HusBitenthums,  seinem  tragischen 
Fall  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  und  der  merkwür- 
digen Wiederbelebung  des  dechischen  Volksthums  vom  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  an,  vollzogen. 


Hauptdaten  der  böhmiach-mähriBchen  Geschichte. 

Mitte  des  6.  Jahrb.  n.  Chr.;  Anhäuft  des  cechischen  Volkea  im  Lande. 

Eaatpf  mit  germanischen  Stämmen. 
627  —  642   (oder  625 — 655).     Das  slaviacbe  Eteicb  Samo'e,  umfassend 

Böhmen,  Mähren  und  das  benachbarte  Donauland. 

Mähren: 
803-     Abhängigkeit  Mährens  von  den  Franken. 
836.     Die  erste  christliche  Kirche  in  Nitr»  (Neutra). 
846.      Niederlage    und    Gefangen  nähme    des    mährischen    Fürsten 

Mojmir.    Rastialav. 
863.     Berufung  Cyrill's  und  Method's. 

870.     Svatopluk   liefert  Rastislav  an  Ludwig  den  Deutschen  aus; 
Tod  Raatialav's. 
873.     Boi-ivoj,  cechischer  Fürst,  wird  von  Method  getauft. 

894.     Der  Tod  Svatopluk's.     Mojmir  II. 
895.     Die  Söhne  Boi'ivoJ's,  Spitihnev  und  Vratislav,  nehmen  den  Schutt 
des  Deutschen  Reichs  an. 


'  Der  neueste  Cechische  Literarhistoriker,  Tieftrunk,  nimmt  in  der 
eratt^D  Ausgabe  seines  Buuhea  vier  Periudeu  an:  die  erste  bia  1410;  die 
zweite  bis  lt>20;  die  dritte  bis  1774  (bis  uuv  Entfernung  der  tcohischen 
Spi'Hohc  aus  Schale  und  Verwaltung);  die  vierte  bis  zu  unserer  Zeit.  In 
der  2.  Ausgabe  zählt  er  nur  drei  Perioden:  die  erste  bis  1-110;  die  »weite 
bis  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  („reiolie  Entwickelung  der  Prosa,  atxi* 
auch  grosaer  Verfall  der  Literatur");  die  dritte  die  neuere  Literatur.  Cechj. 
sehe  Kritiker  haben  diese  Eintheilung  gebilligt;  unaerer  Ansieht  nacfa  wird 
über  dadureh  die  Periode  des  nationalen  Verfalls  verdeokt,  besonders  »dl 
der  Schlacht  am  Weissen  Berge. 


....,  Google 


Historische  Bemerk unnen.  35 

906.     Uatergang  des    gross  mährischen  Reichs.     Mährea  wird    mit 
Böhmen  vereinigt. 
928—936.     Der  böhmische  Ftnt  Wenzel  (Vaclav)  I.,  der  HeUige. 
967—999.     BolesUv  II. 

I037 — 65,     Bfedslav  I.,  bebmiBcher  FarBt.    Vereinigmig  Mäbrens  (nach- 
dem es,  Ungarn  und  Polen  unterthan  gewesen  war)  mit  Böhmen. 
1061— 92.     Vratislav  n.;  seit  1086  der  erste  höfamiBche  König. 
1197—1230.     Pfernysl  Otakar  I.;    Erbkönigthum   in   der  Familie  der 
Premysliden. 

1197.     Die  Markgrafschaft  Mähren,  mit  dem  Bruder  Pfernysl  Otit- 
kar's,  Vladislav  Heinrich,  unter  der  Herrschaft  Böhmens.     Be- 
lebung Mährens  und  zugleich  Anfang  der  Germanisirung  durch 
deutsche  Colonisten. 
1230 — 53.     König  Wenzel  (Vaclav)  I. 
1253 — 78.     Pfemysl  Otakar  II. 

Mitte  des  13.  Jahrhunderts:    in  Mähren  Verheerungen    durch    die 
Tataren  und  Polovcer. 
1 S06.      Aufhören  der  Dynastie  der  Pfemysliden  durch  Ermordung  Weii- 

zel's  III. 
1310.      Beginn  der  Dynastie  der  Luxemburger,  bis  1437. 
1346 — 78.     König  von  Böhmen  Karl  I.  (deutscher  Kaiser  Karl  IV.). 
1378 — 1419.     Wenzel  IV. 
1416,   6.  Jnli.    Verbrennung  Huss'  in  Konstanz. 
1419 — 34.     Die  Unflsitenkriege. 
1424.     Tod  ÄiJka'B. 
1434-      Schlacht  hei  Lipan. 

1438 — 71.     Georg  PodSbrad.     1462.    Definitiver  Fall  Tabors. 
1471 — 1517.     Vladislav  H.  Jagello. 
1517-      Der  St.  Wenzelsverlrag.     Ludwig  Jagello. 
1526-      Tod  Ludwig  Jogetlo's  in  der  Schlacht  bei  Mohäcs. 
1526 — 64.     Ferdinand  I.,  erster  König  aus  dem  Hause  Habsburg,  ge- 
«väblt  von  den    böhmischen  Ständen.     Mähren    kommt    unter    die 
Herrschaft  der  Habsburger  zugleich  mit  Böhmen. 
1564.      Maximilian  II.     Nene  Erafligung  der  Protestanten  in  Mähren. 
1 576'      Rudolf  IL     Die  katholische  Reaction. 
1608-      Der  Bruder  Rudolfs,   Matthias,    Markgraf  von  Mähren;    Krieg 

mit  Rudolf. 
1609>     Der  Mt^estfttsbrief,    die  Freiheit   des  protestantischen  Bekennt- 

uisses  proclamirend. 
1611-     Abdankung  Rudolfs.     Matthias  wird  König  von  Böhmen. 
1617.      Krönung  Ferdinand's  1.  zum  König    von    Böhmen,    als    Thron- 
folgers. 

1618-  Der  böhmische  Aufstand.     Anfang  des  Dreissigjährigen  Krieges. 

1619-  Der  Tod  Matthias'.    Wahl  Friedrich's  von  der  Pfalz  in  Böhmen. 
Kerdinand  11.     Anschluss  der  Mährer  an  den  Aufstand. 

l620i  8.  November.     Schlacht  am  Weissen  Berge 
1621.      Hinrichtungen  zu  Prag. 


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26  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ceoben. 

1627.  ,|Die  verDewerte  LaadeBordnung".  Vertreibung  der  Utraquitteo. 
Jesuiten. 

1635-  Abtretong  der  beiden  LaasitseD  als  böhnisobes  Leben  an  den 
Kurfürsten  tdq  Sachsen. 

1648'     Iter  Wentfüliache  Friede.     Vertkll  und  Verheerung  Böhmens. 

16dO-     Bauernaufstand.  , 

1711.     Karl  VI. 

1745.     Verlust  Schlesiens. 

1773-     Aufhebung  des  Jesuitenordens. 

1775.     Erleichterung  der  l^eibeigenscbaft. 

1780—90.     Joseph  II. 

nm.     Das  Toleranzpatent. 

1784.  Joseph  II.  sendet  die  böhniische  Krone  ins  Archiv  der  kaiser- 
lichen Schatzkaminer. 

1791.     Leopold  II.  wird  zu  Prag  gekrönt. 

1804.     Franz,  erster  Kaiser  yon  Oesterreich. 

161Ö.  Die  Niederlausitz  uttd  ein  Theil  der  Oberlaueitz  werden  von 
Sachsen  an  Preussen  abgetreten,  und  Kaiser  Franz  verzichtet  Preus- 
sen  gegenüber  auf  das  Lehnrecht  der  böhmischen  Krone  anf  diese 
Gebiete.  Der  Eintritt  Oesterreicbe  in  den  Deutschen  Bund  ohnt 
Befragung  nm  Znstimmnng  des  höhmischen  Landtags. 

1836.     Krönung  Ferdinand'e  als  Thronfolgers  in  Prag. 

1845.     Ferdinand  V. 

1848.  Revolutionäre  Bewegungen.  2.  Juni,  Eröffnung  des  SlavischeD 
Congresses  in  Prag.  12.  Juni,  Straasenkämpfe  in  Prag  und  Bom- 
bardement. 2.  December,  Abdankung  Ferdinand's  und  Thronbe- 
steigung Franz  Joseph's. 

1849,  4.  März.  Entlassung  des  Beicbsraths  zu  Kremsier  und  Octroyi- 
rung  einer  Verfassung  für  das  ganze  Reich;  30.  December,  die 
neue  Verfassung  des  Königreichs  Böhmen. 

1851,  20.  August.  Aufhebung  der  beiden  Verfassungen;  31.  December, 
das    neue  Patent  (Herrsdiaft   des  centralistiachen  Systems  Bach'a). 

18>'>9.  Oesterreich  verliert  das  Lombardisch- Venetianiscbe  Köntgreicli. 
Entlassung  Bacb's. 

1860,  20.  October.  Das  kaiserliche  „Diplom",  das  die  Völker  zur  cod- 
stitutionellen  Mitwirkung  an  der  Regierung  iieruft- 

1861.  Das  Februar  -  Patent. 

1866-     Der  österreichisch -preuasische  („siebentägige")  Krieg. 

1867.     Das  System    des  Dualismus.      Fahrt  der   Slaveu    lur   ethnogrs- 

phiscben  Ausstellung  i»  Moskau. 
1868-     Fünfhundurtjähngc  Jubelfeier  des  (lebortstags  Huss'.    Die  Decls- 

raljon  zur  Vertheidigung  des  historischen  Rechts. 
1879.     Eintritt  der  C>^cben  in  den  Reichsrath. 
1882.     Theilung  der  prager  Universität  in  eine  deutsche  und  cechitcliC' 


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Sparen  elaTisohen  SohriftweaenB.  27 

L  Sie  alte  Periode. 

DaB  Chrietentbum  kam  nach  Böhmen  und  Mähren  aas  zvei 
Quellen,  der  römiech  -  deutschen  und  griechisch- slaTiscfaen.  Mit 
den  beiden  gottesdieostlichen  Riten  stellte  sich  auch  ein  doppeltes 
Schriftwesen,  das  lateinische  und  cyrillische,  ein.  Das  lateinische 
mochte  schon  in  den  heidnischen  Zeiten  im  Verkehr  mit  den 
Deutschen  aufgekommen  sein,  und  befestigte  sich  wahrschein- 
lich seit  der  Taufe  des  mährischen  Fürsten  Mojmir;  aber  die 
feindlichen  Beziehungen  zu  den  Deutschen  waren  der  Befesti- 
gnitg  des  lateinischen  Christentfaums  hinderlich,  und  dann  be- 
rief der  mährische  Fürst  Rastislav  den  Methodius,  der  in  der 
Folge  vom  Papst  zum  Erzbischof  von  Mähren  ernannt  wurde 
Qnd  auch  den  böhmischen  Fürsten  Borivoj  taufte,  sowie  dessen 
Gemahlin  Ludmila,  die  später  den  böhmischen  Heiligen  beige- 
Ählt  wurde.  Die  alte  Legende  vom  heiligen  Wenzel  (Vaclav), 
Teiche  sich  in  russischen  Denkmälern  erhalten  hat,  sagt,  Lud- 
mila habe  selbst  Bücher  geschrieben  und  ihren  Enkel  Wenzel 
die  „slovenischen  Bücher"  (d.  h.  elaviscbe  Schrift  und  die  in 
dieser  geschriebenen  Schriften)  lernen  lassen.  Nach  der  Ueber- 
lieferung  hat  noch  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  in  Yysehrad 
eine  slavische  Schule  (famosum  Studium  sclavonicae  linguae) 
bestanden,  wo  auch  der  heilige  Prokop,  Abt  des  sazaver  Klo- 
sters, welches  für  ihn  von  dem  Fürsten  Udalrich  (Oldfich)  er- 
baut wurde,  studirte.  Die  Ueberlieferung  schrieb  diesem  Prokop 
den  cyrillischen  Theil  des  berühmten  (cyrillisch-glagolitischen) 
Kheimser  Erangeliums  zu. 

Aber  der  griecbisch-slaviscbe  Ritus  und  das  mit  ihm  verbun- 
dene cyrillische  Schriftwesen  begannen  sehr  früh  dem  lateini- 
uischen  Ritus  und  der  lateinischen  Schrift  zu  weichen.  Der 
Verfall  des  erstem  begann  schon  bald  nach  dem  Tode  Method's; 
ein  eifriger  Verbreiter  des  römischen  Eircbenthums  war  besonders 
derBischof  Adalbert(Vojtech)  von  Prag  zu  Ende  des  10.  Jahrhun- 
derts. Das  cyrillische  Schriftwesen,  welches  im  Kloster  Sazava 
einen  Zufluchtsort  fand,  blieb  eine  Ausnahme;  der  Papst  verur- 
theilte  den  slavischen  Gottesdienst  und  endlich  am  Ausgange  des 
U.Jahrhunderts  wurde  das  sazaver  Kloster  lateinischen  Mönchen 
an^ehändigt.  Von  da  an  erlangte  der  lateinische  Ritus  end- 
gültig die  Herrschaft,  und  da  sich  schon  die  Spaltung  der  Kirche 

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28  FünfteB  Kapitel.    I,   Die  Ceohen. 

vollzogen  hatte,  so  wurde  Böhmen  katholisch.  Es  gibt  jedoch 
historische  Zeugnisse,  dass  sich  Reste  der  alten  Ueberlieferung 
theilweise  im  Volke  erhalten  hatten,  z.  B.  dass  das  Abendmahl 
unter  beiderlei  Gestalt  (Brot  und  Wein)  sogar  noch  bis  zu  den 
Zeiten  Huse'  bestand,  wo  es  zu  einer  der  Losungen  der  national- 
religiösen  Bewegungen  bei  den  öechen  wurde;  dass  es  noch  im 
14.  Jahrhundert  „Schismatiker  und  Ungläubige"  (nach  dem  Ans- 
druck  der  päpstlichen  Bulle  vom  Jahre  1346)  gab,  welche  die 
Kirchenlehre  in  lateinischer  Sprache  nicht  angenommen  hatten,  — 
und  eben  für  diese  gründete  Karl  IV.  mit  Erlauhniss  des  Papstes 
das  slavische  Kloster  Emmaus,  wo  aus  Bosnien,  Dalmatien  und 
Kroatien  berufene  glagolitische  Mönche  den  Gottesdienst  in  sla- 
vischer  Sprache  verrichteten,  Öechische  Gelehrte  nahmen  ein 
glagolitisches  Scbriftthura  auch  für  die  ältesten  Zeiten  ihrer 
Geschichte  an;  nach  den  Ansichten  anderer  Gelehrter  dürften 
aber  die  vorhandenen  Denkmäler  der  dechischen  Glagolica 
einer  spätem  Zeit  angehören,  eben  den  Glagoliten  des  Emmaus- 
klosters. ' 

Denkmäler  dieser  ältesten  Periode  haben  sieb  nicht  e^ 
halten,    weder  cyrillische   noch   glagolitische,    ausser  ärmlichen 

'  Velier  das  älteste  f  echische  Sohriftwesen  gibt  es  eine  beträchtliche  Lite- 
vatur:  —  I.  J.  HanuE,  „Das  Schriftwe«eii  and  Sohriftthuin  der  bÖhmiBoh- 
alovenischen  Völkerstänime  in  der  Zeit  des  Uebergftnge«  aus  dem  Beiden- 
thnm  in  da«  Chriatenthum"  (Prag  1867).  —  E.  Novikov,  „l'ravoslavie  n 
Ceohov"  (in  „Ctenija"  der  Moek.  Gesellschaft  der  Geschichte  and  Alt«rthanii'. 
1848).—  W.  Wattenbach,  „Die  slavische  Liturgie  iDBühmeo  und  die  alt- 
vussisohe  Legende  vom  heiligen 'VVeuzel"  (Breslau  1857).  —  A.  Hilferding, 
„Hua.  Ego  otnoSenie  Ic  pravoslavnoj  cerkvi"  (St.  Petersb.  1871).  —  K.  N«- 
vostruev,  ,,0  vostoEnoj  cerkvi  u  Ccchov  i  o  staroj  sluJbf  sv.  Yjafeslavu'' 
Rad  jugoslftv.  akftd.  1879.  XXI.  —  I'.  J.  Schaff arik,  „Glagolitische  Frag- 
mente" (Prag  1857).  —  I.  Sreznevskij,  „Glagolgkie  otryvki.  najdennye  v 
I'ragfi"  {in  „IzvCstija"  der  11.  Abth.  der  Akademie,  6.  Bd.  1857);  Tiber  die 
Kiewer  glagolitisehe  Handschrift  in  „Trudy"  des  3.  Arohäologisohen  Con- 
gresnes,  2.  Bd.,  und  in  ,,S1iomik  russk.  otdel.  akad.",  15.  Bd.  —  Jus.  Kular 
in  „CasopiB"  de»  Böhmischen  MuaeumB,  1875,  11  und  1878,  111.  —  Ä.  Pater», 
Oeske  a  starobulhareke  gloesy  XII  stoloti  (in  „Clasopis"  1878,  IV).—  V.Ma- 
kuSev,  „Iz  ftejiij  o  staroEeskoj  piemonnosti"  (Filolog.  Zapiski,  Voronei 
1H77,  Hefl  IV— VI;  1878,  Heft  111;  auf  diese  Artikel  lenken  wir  besonders 
die  Aufmerksamkeit  des  Lesers).  —  Ueber  das  Rheimscr  Evangelium,  vcl- 
cht's  bei  der  Krönni^  der  franeösischen  Konige  benutzt  wurde,  gibt  es  eine 
ganze  Literatur.  Vei-gl.  P.  Biljarakij,  „Sudby  uerkovn.  jaeyka",  U.  (St 
Petersb.  1846);  Makuiev  a,  a.  0.,  n.  a. 


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Entdeck angen  alter  Literaturdenliniäler.  29 

Ueberresten.  Als  einzige  lebendige  Spur  des  slariscben  Eirchen- 
vesens  bei  den  Gechen  ist  das  kurze  geistliche  Lied  „Hospo- 
dine  pomiluj  ny"  („Her  erbarme  dich  unser")'  gebliehen,  dag 
seh  nar  in  einer  Abschrift  aus  dem  14.  Jahrhundert  erbalten 
bat  und  früher  dem  heiligen  Adalhert  (gest.  997)  zugeschrieben 
wurde.  Nach  der  Meinung  Dobrovsk^'s  ist  dieses  Lied  viel  älter 
nnd  ^afarik  bezog  es,  wenn  auch  nicht  auf  die  slaviEchen  Apostel 
Cyrill  und  Method  selbst,  so  doch  auf  ihre  nächsten  Schuler; 
nach  der  Meinung  Makuäev'a  dürfte  es  von  den  sazaver  Mönchen 
im  11.  Jahrhundert  verfasst  worden  sein.  ^ 

Wir  gehen  zu  jener  verwickelten  Frage  der  alt-  und  neutechi- 
schen  Literatur  über,  welche  die  slavischen  Gelehrten  besonders 
in  den  letzten  Jahren  sehr  aufgeregt  bat. 

In  allen  neuern  Literaturen  Europas  ist  seit  Ende  des  vorigen 
and  besonders  seit  Anfong  des  jetzigen  Jahrhunderts  eine  ange- 
strengte Erforschung  und  Restaurirung  des  AlterthumB  einge- 
treten. Mit  seltenen  Ausnahmen,  wo  sich  das  Andenken  an  die 
alte  Literatur  wegen  des  hervorraa;enden  Ruhmes  einzelner  Werke 
erhalten  hatte,  waren  die  Denkmäler  derselben  für  die  neuere  Ge- 
sellschaft eine  Entdeckung,  wie  etwas  später  auch  die  lebendige 
Volkspoesie  eine  solche  war.  Dieses  Interesse  an  der  alten  Zeit 
ging  sowol  aus  der  Bewegung  der  historischen  Wissenschaft  als 
ans  dem  Leben  selbst  hervor,  welches  neue  politische  Stützen  und 
nationales  Bevmsstsein  suchte.  Die  Resultate  dieser  Forschungen 
übten  wirklich  auch  auf  die  .\usbreitung  wissenschaftlich -bisto- 
HBcher  Ideen  einen  Einfluss  aus  und  zugleich  auf  die  Stellung 
national-politischer  Fragen.  Alterthumskunde  und  Ethnographie 
mischten  sich  ins  praktische  Leben;  die  nationalen  Instincte 
weckend,  wurden  sie  zu  einem  nicht  unwichtigen  Factor  in  den 


'  Vjfbor  K  liter.  feske,  I,  27;  HanuS,  „Maly  vybor"  etu.,  S.  G4— (i« 
!Pr»g  1863). 

'  Die  Denkmäler,  in  welchen  siuh  direct  cilcr  indirect  Spuren  der  ey- 
riHisohen  Uelierlieferung  hei  den  Ceohen  erhalten  haben,  sind  folgende:  — 
Die  togenaDDte  pannoniache  Legende  von  den  Heiligen  Cjrill  nnd  Method.  — 
Ilie  Legende  vom  heiligen  Wenzel,  Füreteu  von  Bühmeo,  erhalten  in  alten 
nuriichen  Handayliriften,  —  Liturgie  und  Kanon  zu  Ehren  des  heiligen 
tteniel,  in  ruBBischen  Handschriften.  —  Das  Itheiniaer  Evangelium.  — 
IVager  und  Eiewüi'  glagolitische  liturgische  Fragmente.  —  AltliiilgariBohe 
Glossen  neben  Eechischen,  entdeckt  in  einer  HandBchrift  des  12.  Jahrhunderts 
von  A.  Pfttera.  —  Endlich  verschiedene  historische  Andentungen, 

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30  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ceohen. 

politischen  Bewegungen.  Bei  den  slavischen  Völkern  spielten  sie 
insbesondere  diese  Bolle  in  den  enthasiastisclieD  Aufwallungen  der 
nationalen  Renaissance.  Oben  war  davon  die  Rede,  welchen  etar- 
keu  Eindruck  in  diesem  Sinne  das  Auftauchen  der  serbischen 
Volkspoesie  auf  dem  Schauplatz  der  Literatur  machte.  Bei  den 
Cechen  gab  es  damals  noch  nichts  Aehnliches;  es  zeigte  sich  kein 
scharf  herTOrtretendes  Factum  des  nationalen  Alterthnms  oder  der 
Gegenwart,  das  eine  gleiche  Wirkung  hätte  hervorbringen  können. 
Es  begannen  angestrengte  Bemühungen  um  die  Durchforschung  der 
nationalen  Schätze:  die  gegenwärtige  Volkspoesie  war  nicht  bedeu- 
tend; deshalb  wendete  man  sich  an  die  alte  Zeit,  —  das  entsprach 
auch  besser  der  schon  bestehenden  Gewöhnung  an  literarische 
Alter thumskunde.  Die  Mühen  blieben  nicht  unbelohnt.  Seit  dem 
zweiten  Jahrzehnt  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  ward  bei  den 
Öechen  eine  lange  Reihe  von  Entdeckungen  gemacht:  die  gesuch- 
ten Schätze  wurden  gefunden. 

Da  das  Schicksal  dieser  Werke  mit  den  neuem  Fragen  der 
6echischen  Literatur  eng  verbunden  ist,  so  ist  es  nöthig,  specieller 
bei  ihnen  zu  verweilen  und  zwar  im  Zusammenhang  mit  dieser 
neuern  Literatur. 

In  chronologiacher  Ordnung  trat  von  1816  an  folgende  Reibe 
neuer  Entdeckungen  ein : 

Im  Jahre  1816  wurde  von  Joseph  Linde,  damals  Student  (von 
ihm  wird  noch  weiter  unten  die  Rede  sein),  das  „Lied  unter  dem 
Vysehrad"  („Piaen  pod  Vylehradem")  auf  dem  Pergamenteinhand 
eines   alten    Buches   gefunden.     Dobrovsk^    setzte  das  Lied  ins 

13.  Jahrhundert. 

Im  Jahre  1817,  im  September,  fand  Wenzel  Hanka  im  Ge- 
wölbe des  Kirchthurms  in  dem  Städtchen  Königinhof  12  Per- 
gamentblätter  kleinen  Formats,  welche  das  Fragment  einer  um- 
fänglichen Handschrift  bildeten.  Diese  Blätter,  mit  ganz  ori- 
ginalen epischen  Dichtungen  aus  der  alttJechi&chen  Zeit  nnd 
lyrischen  Liedern  erhielten  den  Namen  der  ,,Königinhofer  Hand- 
schrift"   („Rukopis  Kralodvorsk;^").     Man   setzte  sie  ins  13.— 

14.  Jahrhundert. 

Im  Jahre  1818,  als  der  Oberstburggraf  des  Königreichs  Böh- 
men, Graf  Kolovrat-Libsteinsk^,  im  April  einen  Aufruf  an  Freunde 
der  Wissenschaften  und  Patrioten  erliess  mit  der  Einladung  z» 
Schenkungen  für  das  damals  errichtete  Böhmische  Museum,  em- 
pfing er  im  November  mit  der  Stadtpost  vier  Pergamentblätter, 

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Entdeokungea  alter  Literaturdenkmäler.  13 

mit  dem  snonymen  Brief  eines  Patrioten,  welcher  besagte,  diese 
„im  Staube  verworfenen"  Blätter  wären  aus  dem  Familienarchiv 
eines  Herrn,  eines  „eingefleischten  deutschen  Michel",  -der  sie  eher 
Terbrannt  als  dem  Böhmischen  Museum  geschenkt  hätte.  Auf 
deo  Blättern  befanden  sich  zwei  epische  Bruchstücke  mit  einem 
Stoff  aas  der  ältesten  Zeit.  Es  war  das  später  so  berühmte  „Ge- 
richt der  Libusa"  („Libusin  send";  von  1859  begann  man  die 
Randschrift  die  „Grünberger"  zu  nennen),  den  vermeintlich  älte- 
sten Ueberreet  des  6ecbischen  Schriftwesens  aus  dem  10-,  ja 
ä.  Jahrhundert 

Im  Jahre  1819  wurde  wieder  auf  dem  Pergamenteinbande 
einer  alten  Handschrift  das  „Minnelied  König  WenzePs  I."  und 
dsbei  „Jelen"  („Der  Hirsch"),  eins  von  den  Liedern  der  Königin- 
hofer  Handschrift,  gefunden;  der  Finder  war  ein  gewisser  Johann 
Sepomuk  Zimmermann,  damals  Scriptor  an  der  Universitäts- 
bibUothek,  der  auch  d^  Fund  an  den  böhmischen  Oberstburg- 
grafen sandte.  Die  Patrioten  bemerkten  mit  Bedauern,  dass  Zim- 
mermann noch  einige  solche  Blätter  gehabt  habe,  aber  sie  seien 
ihm  vom  Winde  durchs  offene  Fenster  verweht  worden,  Hanka 
schätzte  die  Handschrift  des  „  Minneliedes "  um  etwa  hundert 
Jahre  älter  als  die  ,,Königinhofer  Handschrift". 

Im  Jahre  1827,  als  der  deutsche  Professor  Graff  im  Böhmi- 
schen Museum  im  Verein  mit  dem  Bibliothekar  des  Museums, 
Hanka,  die  Handschrift  eines  mittelalterlichen  Glossars  „Mater 
Verborum"  besichtigte,  ward  darin  eine  wichtige  Entdeckung 
gemacht,  —  nämlich  bei  den  lateinischen  Worten  fanden  sich 
neben  althochdeutschen  Glossen  auch  merkwürdige  ^echische 
Glo^n  and  ausserdem  in  den  schönen  Miniaturen  der  Hand- 
schrift die  Namen  des  Schreibers  Vacerad ,  des  Illuminators 
Miroslav  und  das  Jahr  der  Abfassung  der  Handschrift,  das  zuerst 
Ala  11(@,  später  als  1202  gelesen  wurde.  Jetzt  setzt  man  die 
Handschrift  ins  13.  Jahrhundert. 

Im  Jahre  1828  entdeckte  Hanka,  abermals  auf  dem  Einband 
eines  Buches,  der  „Disciplina  et  doctrina  gymnasii  Gorlicensis", 
Bruchstücke  einer  cechischen  Uebersetzung  des  Evangelium  Jo- 
hannis.  Dies  sind  die  sogenannten  „Görlitzer  Fragmente",  die 
von    cechischen  Gelehrten   ins  10.  Jahrhundert    gesetzt  wurden. 

Endlich,  viel  später,  im  Jahre  1849  machte  Hanka  noch 
eine  letzte  Entdeckung,  er  fand  nämlich  unter  der  Naht  des 
Einbandes  einer  Handschrift  aus  dem  15.  Jahihandert  Pergament- 

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32  Fünftes  Kapitel.     I.    Die  l'eolieti. 

streifen,  auf  welchen  „Die  Prophezeiungen  der  Libnäa"  in 
fiecbisoheo  Versen  standen.  Der  lateinische  Text  dieser  Prophe- 
zeiungen, welche  von  den  £echiscben  Gelehrten  ins  14.  Jafar- 
bundert  gesetzt  werden,  war  von  ihm  schon  früher  entdeckt 
worden. 

Diese  Entdeckungen ,  namentlich  die  ersten ,  bildeten  ein 
Ereigniss  von  grosser  Wichtigkeit.  Vorher  waren  nur  wenige 
und  wenig  originale  Denkmäler  des  äechischen  Alterthums  be- 
kannt-, hier  aher  eröffneten  sich  Horizonte  des  AlterthnniE, 
wie  sie  das  Nationalgefuhl  des  Patrioten  nur  träumen  mochte. 
Im  Sechischen  Alterthum  fanden  sich  Werke,  wie  sie  der  Stolz 
der  Literaturen  zu  sein  pÜegen :  das  ^echische  Schriftwesen 
reichte  mit  seinen  Anfängen  in  die  entferntesten  Jahrhundert« 
zurück,  bot  merkwürdige  Früchte  einer  alten  selbständigen 
Poesie  und  Bildung,  gab  dem  Nationalbewasstsein  eine  lange 
und  ruhmvolle  Stammtafel.  In  der  That,  zu  derselben  Zeit,  wo 
die  Görlitzer  Fragmente  bei  den  Öechen  ein  ebenso  altes  christ- 
liches Denkmal  darstellten  wie  die  Freysinger  Fragmente  bei 
den  Slovenen,  lieferte  das  „Gericht  der  LihnSa"  ein  noch  in  der 
slavischen  Welt  unerhörtes  Gedicht  aus  der  vorchristlichen 
Zeit,  mit  scharf  hervortretendem  nationalem  Gegensatz  zwischen 
Slaven-  und  Germanenthum ;  die  „Mater  Verborum"  zeugte 
mit  ihren  (Jecbiscben  Glossen ,  dem  Namen  des  Schreibers  und 
Zeichnen  von  einem  bedeutenden  Stand  der  cecbischen  Bil- 
dung (nie  man  annahm,  im  Uebergang  vom  11.  zum  12.  Jahr- 
hundert) und  bot  in  den  Glossen,  bei  den  Erklärungen  der 
lateinischen  mythologischen  Namen  und  anderer  Worte  aber- 
mals bisher  noch  nicht  bekannte  Zeugnisse  von  der  heidni- 
schen Theogonie  der  Slavo-öechen  und  ihren  ältesten  Lebens- 
verhältnissen; „Die  Königinhofer  Handschrift"  erwies  sich  als 
ein  Muster  episch-nationaler  Kunstdicbtungen ,  die  mit  einziger 
Ausnahme  des  „Liedes  vom  Heereszug  Igors"  eine  unerhörte 
Erscheinung  in  den  slavischen  Literaturen  waren;  ein  ebensolches 
Muster  altcechischer  Poesie  waren  das  „Lied  unter  dem  Vyäe- 
brad"  und  das  „Minnelied  König  Wenzel's". 

Die  bedeutendsten  der  aufgezählten  Denkmäler  sind  das  „Ge- 
richt der  LibuSa"  und  die  „Königinhofer  Handschrift". 

Das  „Gericht  der  Libusa"  enthält  zwei  Bruchstücke:  erstens 
neun  Verse,  welche,  wie  man  annimmt,  den  Schlusa  einer  Be- 
rathung  der  Volksversammlung  über  Stamm esverfassung  bilden, 

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BatdeckuDgen.  33 

und  zweitens  lil  Verse,  welche  den  Anfang  einer  Erzählung 
über  das  Gericht  der  Fürstin  Libuäa  in  einem  Streite  zweier 
Brüder,  Chrudos  und  Stühlav  (Stiaglar),  über  das  Erbe  enthalten. 
Bei  der  Wichtigkeit  des  Streits  berief  Libusa  einen  Ratb  von 
nEineten,  Lecheu  und  Vladyken'^ :  sie  setzte  sieb  in  glänzendem 
Kleide  auf  den  „goldenen  väterlichen  Thron",  ihr  zur  Seite  stan- 
den zwei  kluge  Jungfrauen,  eine  mit  den  „rechtgebenden  Tafeln", 
die  andere  mit  dem  Schwerte,  welches  das  Unrecht  straft,  ihnen 
gegenüber  die  „ recbtkündende  Flamme"  und  unter  ihnen  das 
^^eilig-reine  Wasser"  (die  Werkzeuge  des  Gottesgerichts).  Die 
Versammlung  berieth  über  die  Frage  der  Fürstin  und  entschied, 
dass  die  Brüder  das  Erbe  gemeiusam  besitzen  sollten.  Aber  der 
kühne  Chrudos  widersetzte  sich  dieser  Entscheidung  und  belei- 
digte Libusa  mit  den  Worten:  „Wehe  den  Männern,  über  welche 
eine  Frau  herrscht."  Libusa  schlug  der  Versammlung  vor,  uuter 
sich  einen  Mann  zu  wählen,  der  über  sie  „nach  Eisenart"  herrsche, 
veil  ein  Mädchenarm  dazu  zu  schwach  sei.  Das  Fragment 
schliesst  mit  den  bekannten  Versen:  „Unlöblicb  ist  es  für  uns, 
imter  Deutschen  das  Recht  zu  suchen,  bei  uns  besteht  das  Kecht 
nach  dem  geheiligten  Gesetz,  welches  unsere  Väter  brachten  in 
diese  .  .  ."     (Uebersetzung  von  J.  Jireiek.) 

Der  Grundsto£F  des  Gedichts  fand  sich  bei  dem  lateinisch- 
böhmischen Chronisten  Kosmas  von  Prag. 

Einen  nicht  weniger  starken  Eindruck  brachte  die  im  Jahre  vor- 
her entdeckte  „Königinhofer  Handschrift"  hervor:  ihre  Zeit  setzten 
die  ^chiscben  Gelehrten  in  die  Jahre  1290 — 1310  oder  etwas  früher. 
Diese  Handschrift,  schön  auf  kleine  Fergamentblätter  geschrieben, 
bildet  nur  den  kleinen  Theil  eines  ursprünglichen  Sammelbandes; 
es  haben  sich  in  ihr  nämlich  nur  das  Ende  des  2ö-,  das  26.,  27. 
und  der  Anfang  des  28.  Kapitels  des  dritten  Buches  erhalten. 
Diese  vier  unvollständigen  Kapitel  des  einzigen  dritten  Buches 
enthalten  sechs  grosse  Gedichte  und  acht  kleine  Stücke;  man 
koaute  sich  danach  also  ein  Urtheil  über  die  Reichhaltigkeit  des 
ganzen  Sammelbandes  bilden,  der  noch  dazu  wol  nicht  der  einzige 
in  seiner  Art  gewesen  war.  Kurz  die  Köuiginhofer  Handschrift 
hess  ausser  ihrem  vorliegenden  Inhalt  ein  ganzes  Reich  natio- 
naler Epik  und  Lyrik  in  der  ^echischeu  Literatur  vor  dem 
14.  Jahrhundert  erratben.  Trotz  ihres  späten  Alters  hat  die 
Handschrift  neben  Dichtungen  z.  B.  des  13.  Jahrhunderts  auch 
Erzeugnisse  eines  hohen  Alterthiims   bewahrt,    die  neben  dem 

Frru,  SUiliche  Lltsuturan.    U,  1.  3 

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54  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Cecbep. 

„Gericht  der  LibuSa"  ein  ganzes  Gemälde  des  heidnischen  Lebens 
in  Böhmen  entrollen  —  Werke,  welche  sich  noch  dazu  durch 
solche  Züge  Tolksthiimlicher  Poesie  auszeichneten,  dass  sie  ein 
grosser  Theil  der  Kritiker  direct  als  ein  niedergeschriebenes  ei- 
gentliches Volksepos  aufnahm.  Die  lyrischen  Lieder  der  Königin- 
hofer  Handschrift  hatten  ihre  Parallelen  in  der  Volkspoesie  der 
slarischen  Stämme,  und  man  nahm  an,  dass  sie  direct  aas  dem 
Munde  des  Volkes  oder  eines  Volkssängei-s  niedergeschrieben 
seien.  In  andern  Stücken  musste  man  schon  Knnstpoesie  sehen, 
wenn  sie  auch  dem  Inhalt  nach  national  geblieben  war. 

Von  allen  Gedichten  der  „ Königinhofer  Handschrift"  galt 
dem  Inhalt  und  der  Composition  nach  für  das  älteste  das  epische 
Gedicht  „Zdboj  und  Slavoj",  wo  die  Befreiung  der  Cechen 
von  irgendeinem  fremden  König  durch  zwei  Helden  Zäboj  und 
SlaToj  beschrieben  wird.  —  Das  Ereigniss  ist  der  Geschichte 
nicht  bekannt,  aber  man  setzte  es  nicht  später  als  ins  9.  Jahr- 
hundert, oder  sogar  in  die  erste  Hälfte  des  achten.  Das  Necki- 
sche Alterthara  wird  hier  in  scharfen  Ziigca  gezeichnet,  mit 
einem  energischen  Gefühl  nationaler  Freiheit,  mächtigen  Kri^js- 
thaten,  Opfern  an  die  heidnischen  „rettenden  Götter"  und  Er- 
innerungen an  den  ruhmvollen  Sänger  Lumi'r,  der  „mit  Worten 
und  Gesang  den  Vyäehrad  und  alle  Gaue  bewegte".  Ein  anderes 
Gedicht  „Öeatm(r  und  Vläslav"  erzählt  von  der  Niederlage 
des  Fürsten  der  Luöaner,  Vlastislav,  durch  den  tapfern  Öestmir 
oder  Ctmir,  den  Heerführer  des  Fürsten  Neklan,  —  ein  Ereig- 
niss, das  aus  Kosmas  von  Frag  und  aus  den  öechischen  Chro- 
nisten bekannt  ist  und  sich  auf  die  erste  Hälfte  des  9.  Jahrhnn- 
dcrts  bezieht.  Hier  ist  dasselbe  Bild  heroischer  Thaten  und  heidni- 
scher Sitten;  aber  trotz  der  Aehulichkeit  des  Stoffes,  der  in  der 
Erzählung  von  Schlachten,  Feldzügen,  Darbringungen  von  Opfern 
besteht,  hat  „Öestmfr"  seine  Eigenthümlichkeiten.  Weiter  „Jelen" 
das  poetische  Bild  des  Todes  eines  Jünglings,  der  im  Gebirge 
hinterlistig  vom  grimmen  Feind  erschlagen  wurde:  „es  lag  der 
Jüngling  in  der  kühlen  Erde,  über  dem  Jüngling  wuchs  ein  Eich- 
lein, eine  Eiche,  breitete  sich  in  Aeste  aus  weiter  und  weiter," 
In  dieser  kleinen  Erzählung  sehen  die  6echischen  Kritiker  den 
Stempel  eines  fernen  Alterthums. '    „Jaromir  nnd  Oldrich" 

'  Palack)'  sagte  von  ilit'Bem  Liede:  „Die  besonders  den  slaviichen 
YDlkslii-diTD  eigeuo  Symliolik  der  Natur  im  VorhSltniss  zu  den  snbjpctiTeo 


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EntdrcknngBii.  35 

»t  das  Bruchstück,  mit  dem  die  noch  vorhandenen  Blätter  der 
Handschrift  beginnen:  hier  wird  die  {Niederlage  Boleslav'e  des 
Kühnen,  Königs  von  Polen,  gefeiert  und  die  Befreiung  der  Öechen 
fon  der  polnischen  Herrschaft,  im  Jahre  1004.  „Zbyhofi",  ein 
kleineres  Gedicht,  vereint  wie„Jelen"  den  epischen  Ton  mit  dem 
tjrischen,  galt  aber  nicht  für  so  uralt,  —  es  erzählt,  me  einem 
Jüngling  die  Geliebte  geraubt  wird:  er  klagt  um  sie  im  Walde 
mit  einem  Tauber,  welchem  der  Sperber  die  Taube  genommen 
hat,  aber  dann  stürzt  sich  der  Jüngling  in  die  Burg,  erschlägt 
Zbjlioi'i  „mit  dem  Hammer"  und  haut  alle  Leute  im  Schlosse 
nieiler.  Die  befreite  Taube  flog,  wo  sie  wollte,  im  Walde 
mit  dem  Männchen,  und  schlief  mit  ihm  auf  einem  Zweige; 
das  befreite  Mädchen  „wandelte  hier-  und  dorthin,  überall  wo 
sie  wollte,  —  schlief  mit  dem  Geliebten  auf  einem  Lager". 
Das  Gedicht  „Benes  Hefmanöv",  in  der  Handschrift  mit  dem 
Titel  „Von  der  Besiegung  der  Sachsen",  bezieht  sich  wieder  auf 
ein  Ereigniss  yod  1203,  das  historisch  bekannt  ist.  Diese  Nieder- 
werfung der  Sachsen  durch  Benes  (bekannt  ans  böhmischen 
Urkunden  von  1197 — 1220)  fand  in  Abwesenheit  des  Königs 
Otakar  I.  statt,  als  ein  Heer  des  Markgrafen  von  Meissen,  der 
die  VerstoBsung  der  Königin  Adelheid  rächen  wollte,  in  Böh- 
men eindrang.  „Benes"  unterscheidet  sich  schon  von  den 
bereits  erwähnten  Gedichten  in  Inhalt  und  Form;  es  ist  ein 
Beispiel  von  Knnstpoesie ,  ein  historiscbeB  Lied  in  Strophen, 
nicht  blos  eine  Beschreibung  der  Schlacht,  sondern  auch  ein 
lyrischer  Ansdmck  der  Freude  über  die  Errettung  vom  Feinde. 
Femer  beschreibt  das  Lied  „Ludisa  und  Lubor",  in  der 
Handschrift  unter  dem  Titel  „Von  dem  festlichen  Kampf- 
Kpiel",  ein  Toumier,  das  zu  den  Zeiten  eines  gewissen  pola- 
bischen  Fürsten  abgehalten  sein  soll,  obgleich  die  Tourniere 
bei  den  Oechen  nicht  vor  dem  13.  Jahrhundert  eingeführt 
intrden.  Eins  der  grösaten  Stücke  der  Königinhofer  Hand- 
schrift, „Jaroslav",  im  Original  mit  dem  Titel  „Von  den 
grossen  Kämpfen  der  Christen  mit  den  Tataren",  bezieht  sich 
auf  den  historisch  bekannten  Sieg  Jaroslav's  von  Stemberg  über 
die  Tataren  1241  bei  Olmütz  —  einen  Sieg,  welcher  Mähren 
Ton  den  Tataren  befreite.    Oechische  Kritiker  fanden,    dass  im 

Momeuten  de  menscliliohen  Lcbi'ns  tritt  am  itärkstcn  in  (liesfra  lAede 
bervor  und  gibt  ihm  ciDcn  geheim ninB vollen,  myitiachcn  Ton." 

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36  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

„Jaroslav"  die  Volkspoesie  auf  dem  Gipfel  ihrer  künstlerischen 
Entwickelung  erscheine:  die  ganze  Anlage  der  Dichtung,  —  die 
Erzählung  von  der  schönen  tatarischen  (rassischen)  Prinsessin,  der 
Tochter  des  Chans  Kublai;  vom  Siege  bei  Olmütz  und  dem  Unter- 
gang des  mongolischen  Prinzen;  von  dem  Wunder  auf  dem  Hos- 
ten ;  eine  gewisse  zweckvolle  Vertheilung  des  Materials  —  bewog 
die  Kritiker  zu  dem  Schlüsse,  dass  dieses  Gedicht  das  Werk  eines 
Verfassers  sei,  der  mit  den  Kunstdichtungen  jener  Zeiten  be- 
kannt war,  dass  sich  hier  schon  der  Einduss  der  mittelalter- 
lichen Romantik  zeige.  —  Endlich  gelten  die  kleinen  Stücke:  Das 
Striäusschen,  Die  Erdbeeren,  Die  Rose,  Der  Kukuk, 
Die  Lerche,  für  Volkslieder,  welche  in  die  Sammlung  direct 
aus  dem  Munde  des  Volkes  gelangt  seien,  mit  Zügen,  die  auch 
der  gegenwärtigen  Volkspoesie  der  Slaven  bekannt  sind- 

Diese  beiden  Entdeckungen  waren  es  insbesondere,  welche 
die  frühere  Ansicht  über  das  öechische  Alterthum  veränderten, 
indem  sie  zugleich  ein  unverhofftes  Material  zu  seiner  historischen 
Erklärung  gaben.  Auf  Grund  dieser  Werke  begann  man  ver- 
schiedene Perioden  der  äechischen  Cultur,  von  der  heidnisches 
und  reinslavischen  Epoche  bis  zur  Epoche  der  Kunstpoesie  und 
-der  unter  deutschem  Einduss  stehenden  poetischen  Bearbeitung  der 
mittelalterlichen  Sagenkreise  zu  unterscheiden :  zwischen  „Zäboj" 
und  „Jaroslav"  musste  man  Jahrhunderte  einer  literarischen  Ent- 
vrickelung  annehmen.  Die  Mehrzahl  der  öechischen  Historiker 
nahm  an,  dass  die  ältesten  Lieder  der  „Königinhofer  Handschrift" 
Erzeugnisse  der  Volks-,  und  nicht  der  Kunstpoesie  seien,  und  ver- 
glichen sie  mit  dem  Epos  der  Serben  und  Russen.  Das  Aeussere 
-der  ältesten  Lieder  habe  sich  allerdings  von  Geschlecht  zd  Ge- 
schlecht verändert,  aber  es  hätten  sich  darin  doch  Anklänge 
uralter  Cultnrverhältnisse  erhalten;  die  Anwesenheit  heidni- 
schen Elements  wurde  erklärt  wie  im  „Liede  vom  Heereszng 
Igor'B",  wobei  man  daran  erinnerte,  dass  sich  das  Heidenthum 
noch  lange  nach  Einführung  des  Cbristeuthums  gehalten  habe, 
dass  noch  im  11. — 12.  Jahrhundert  der  fcechische  Füi-st  Bfetjslav 
Wahrsager  und  Zauberer  aus  dem  Lande  jagte,  vom  Volke  ver- 
ehrte Haine  und  Bäume  niederbrennen  liess  und  überhaupt  die 
noch  im  Volke  lebenden  heidnischen  Gebräuche  vernichtete. 

Aber  wie  diese  Funde  eine  Perspective  auf  das  historische 
Leben  entfernter  Jahrhunderte  eröffneten,  erhielten  sie  zugleich 
damit  eine  ausserordentliche  Bedeutung  in  der  Gegenwart,  indem 


Entdeckungen.  37 

nt  dem  nationalen  Stolz  und  Selbstbewusstsein  Nahrung  gaben. 
Keio  einziges  slaviEchee  Volk  besasB  einen  solchen  Reicbthum  an 
alten  poetischen  Denkmälern  —  besonders  wenn  man  erwog,  dass 
in  der  „ Königinhofer  Handschrift"  nur  ein  kleiner  Theil  einer 
omfaDgreichen  Sammlung  auf  uns  gelangt  sei.  Die  ungewöbn- 
Uche  Entdeckung  war  ein  starker  Impuls  fUr  diejenigen  natio- 
nlen  Bestrebungen,  von  denen  der  damals  enge,  aber  sich 
daon  immermebr  erweiternde  Ereis  der  Patrioten  erfüllt  war. 
Sie  hatten  eine  mbmToUe  Vergangenheit  j  ihre  Arbeit  war  nicht, 
alles  neu  aufzubauen,  sondern  einst  schon  vorhandene  Schatze 
des  nationalen  Lebens  zu  reconstruiren.  Die  alten  Dichtun- 
gen zeugten  von  einem  freien  und  unabhängigen  Verhältniss 
zu  den  Deutschen:  schon  im  9.  — 10.  Jahrhundert  war  gesagt 
worden,  dass  es  „unlöblicb  sei,  unter  Deutschen  Recht  zu  su- 
chen" —  es  erübrigte  blos,  das  Vermächtniss  der  Vorfahren, 
gegeben  vor  1000  Jahren,  zu  vollzieben,  um  nationale  Selbstän- 
digkeit zu  erlangen.  Unter  diesen  Eindrücken  gestaltete  sich  die 
Erforschung  der  vergangenen  Geschichte,  entwickelte  sich  die 
Denere  Literatur.  Das  „Gericht  der  Libusa"  und  die  „Königin- 
hofer Handschrift"  wurden  zu  einem  Nationalschatz. 

Ihre  doppelte,  wissenschaftlich-historische  und  nationale  Be- 
deutung reflectirte  sich  auch  in  andern  slavischen  Literaturen. 
Diese  Denkmäler  wurden  für  die  slarischen  Gelehrten  (mit  nur 
einigen  Ausnahmen,  von  denen  später)  zu  einem  der  werth- 
ToUsten  Originalzeugnisse  über  das  cechische  und  zuweilen  auch 
gemeiuslaviscbe  Alterthum,  über  Sprache,  Mythologie,  Sitten  und 
Gebiäncbe,  Cultur;  mit  Citaten  aus  dem  „Gericht  der  Libusa", 
der  „Königinhofer  Handschrift",  der  ,, Mater  Verborum"  stützten 
ihre  mythologischen  Theorien,  Forschungen  über  das  alte  Ge- 
meinwesen, über  die  Formen  der  alten  slavischen  Poesie 
u.  B.  w.,  nicht  nur  cecbische  Gelehrte  (wie  Safarik,  Palacky, 
Erben  u,  s.  w.),  sondern  nicht  weniger  russische  (Bodjanskij, 
Sreznevskij,  Afanasjev,  Kotljarevskij ,  Hilferdiug,  K.  Aksakov 
n.  a.).  An  diesen  Denkmälern  begann  die  neue  Generation 
mssiscber  Slavisten  die  £echische  Sprache  zu  studiren,  ihnen 
waren  Libusa  und  die  Helden  der  Königinhofer  Handschrift 
ebenso  bekannt,  wie  die  Helden  der  msBischen  Chronik  und 
des  „Liedes  vom  Heereszug  Igor's".  In  den  Vorstellungen 
einer  gesammtslavischen  Einheit,  zu  dem  Bewusstsein  einer 
calturellen    Besonderheit    der   Slaven,    gewisser    Vorzüge    des 

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38  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ccchen. 

tfationalcharakters  hatten  die  cechigchen  Dichtungen  einen  iiicht 
geringen  Einfluss,  wie  das  serbische  Epos,  wie  Ne&tor's  AnnaleD 
und  andere  Denkmäler  ersten  Ranges  des  literarischen  Alter- 
thums  der  Slaven. 

Allein  die  Freude  und  die  Genugthuung,  welche  die  öechi- 
schen  Denkmäler  durch  ihre  historischen,  poetischen,  nationaleu 
Vorzüge  lieferten,  war  keine  vollständige.  Gleich  von  Anfang 
an  tauchte  ein  fataler  Verdacht  auf,  zuerst  nur  gegen  einige, 
später  aber  gegen  alle  obengenannten  Entdeckungen  der  sehuer 
und  zwanziger  Jahre,  nämlich  dass  sie  gefälscht  Beien.  Als 
die  ersten  Entdeckungen  kamen,  war  noch  der  „Patriarch" 
der  slavischen  Philologie,  der  berühmte  Abbe  Dobrovskj?,  am 
Leben.  Beim  ersten  Blick  auf  das  „Gericht  der  Libusa",  welches 
unter  andern  ungewöbnliche  paläographische  Eigentbümlichkeit«ii 
zeigte,  erklärte  er  es  für  ein  Falsificat;  über  die  „Königinbofer 
Handschrift"  war  er  selbst  entzückt;  glaubte  beinahe  an  das  „Lied 
unter  dem  Vysehrad",  erkannte  aber  in  der  Folge  doch  die  Fäl- 
schung sowoi  in  diesem  Liede  als  auch  später  in  den  Görlitzer 
Fragmenten.  Unter  dem  Einflusa  des  Urthetlspruchs  Dobrovskf  s 
wagte  man  in  Frag  lange  nicht,  das  „Gericht  der  Libusa"  zu 
drucken;  über  die  „Görlitzer  Fragmente"  versprach  er  zu  schwei- 
gen ,  wenn  Hanka  schweigen  würde,  —  aber  er  theilte  seine  An* 
sieht  Kopitar  mit,  für  den  Fall,  dass  diese  Fragmente  später 
herausgegeben  werden  sollten.  Als  das  „Gericht  der  Libula" 
dennoch  gedruckt  wurde,  nannte  es  Dobrovsky  (1824)  offen  eine 
Fälschung.  Seitdem  hat  der  Verdacht  nicht  aufgehört;  nach 
Dobrovsky  hielt  Kopitar  hartnäckig  daran  fest,  dem  sich 
später  Miklosich  anschloss,  indem  er  jene  Entdeckungen  durch 
sein  Schweigen  darüber  verwarf.  Der  Verdacht  richtete  sich  vor- 
züglich gegen  Hanka,  der  in  verschiedener  Weise  mit  diesen  Ent- 
deckungen in  Berührung  stand.  Hierin  lag  der  Haupt^und  jeuer 
Feindschaft,  welche  man  in  Prag  gegen  Kopitar  hegte,  als  einen 
übelwollenden  Verneiner  und  „Mepbistopheles",  und  die  später 
auf  einige  russische  Gelehrte  überging.  Die  Frage  wurde  ernst, 
und  deshalb  veranstalteten  1840  Safarik  und  Falacky,  die 
beiden  Häupter  der  Gelehrsamkeit  bei  den  Cechen,  eine  specielle 
Ausgabe,  die  mit  einem  grossen  gelehrten  Apparat  versehen  war, 
und  siegreich  die  Echtheit  des  „Gerichts  der  LibuSa",  der  „Gör- 
litzer Fragmente"  u.  s.  w.  nachweisen  sollte.  Graf  Matthias  Thnn 
gab  1845,  mit  einem  Vorwort  von  Safarik,  eine  deutsche  Ueber- 

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stielt  über  die  Entdeckungen.  39 

Getziing  der  cecliischen  Gedichte  heraus,  um  die  Deutecheu  mit 
ibneD  bekannt  zu  machen  und  die  germaniairten  fechischen  Mag- 
naten für  das  nationale  Alterthum  zu  interessJren.  In  den  fünf- 
ziger Jahren  erhob  sich  jedoch  ein  neuer  Sturm,  der  diesmal 
aach  die  „Königinhofer  Handschrift"  ergriff.  Als  Gegner  der 
Eatdeckungen  traten  der  deutsch-östeiTeichische  Gelehrte  Max 
Bädinger  und  besonders  der  talentvolle  (früh  verstorbene)  Ju- 
lioG  Feifalik  auf.  Die  von  Hermenegild  und  Joseph  Jirecek 
heraoegegebene  Vertheidigungsscbrift  klärte  die  Frage  nicht  auf, 
die  dann  noch  neue  Kämpfer  fand.  Zu  den  Skeptikern  (hin- 
sichtlich des  „Gerichts  der  Libusa"  und  der  „Görlitzer  Frag- 
mente") gesellte  sich  der  cechische  Gelehrte  Alois  Sembera. 
Früher  schon  war  die  Unechthcit  des  „Liedes  unter  dem  Vysehrad" 
und  des  „Minneliedes  des  Königs  Wenzel"  definitiv  nachgewiesen 
TOrden.  Endlich  gab  1877  Adolf  Fatera,  Custos  des  Böhmi- 
schen Museums,  eine  bemerkenswerthe  Untersuchung  über  die 
erwähnte  „Mater  Verborum"  heraus,  welche  zeigte,  dass  man  von 
der  ganzen  Zahl  der  öechischen  Glossen  dieses  berühmten  Wörter- 
buchs nur  den  vierten  Tbeil  (339)  für  wirklich  alt  halten  könne, 
alle  übrigen  aber  (950)  eine  neuere  Fälschung  seien.  Der  Vor- 
fall war  bedeutungsvoll:  selbst  im  Kreise  der  iechischen  Gelehr- 
ten wurde  die  Tbatsache  der  Fälschungen,  die  in  der  Nach- 
barschaft des  Böhmischen  Museums  vorgegangen  waren,  offen 
abgesprochen.  Der  Streit  entbrannte  mit  neuer  Kraft:  Alois 
äemhera,  Makusev,  Petruszewicz  traten  entschieden  gegen 
das  „Gericht  der  Libusa"  und  theilweise  gegen  die  andern  Denk- 
mäler auf ;  Sreznevskij,  der  den  Urheber  oder  unmittelbaren 
Zeugen  der  cechischen  Entdeckungen ,  Hanka ,  genau  kannte, 
Echloss  sich  direct  oder  iudirect  den  Vertheidigern  an.  Im 
Jahre  1879  nahm  V.  Lamanskij  eine  ganze  umfangreiche 
Untersuchung  über  die  „neuern  Denkmäler  der  alt^echischen 
Sprache"  vor. 

Aus  dem,  was  oben  über  die  Bedeutung  dieser  Denkmäler 
im  historisch-nationalen  Sinne  gesagt  wurde,  ist  begreiflich, 
vie  scharf  die  Frage  zwischen  den  Gegnern  und  Vertheidigern 
der  neuem  Denkmäler  werden  mueste.  Die  einen  argwöhnten 
mit  Unwillen  (und  sahen  alsdann)  eine  F'älschuug  der  Geschichte, 
einen  gelehrten  Betrug,  einen  Patriotismus,  der  sich  auf  Unter- 
schiebung stützte;  die  andern,  gläubigen,  vei'tbeidigten  nicht 
weniger  hartnäckig  das,   was  ihrer  Ansicht  nach  ein  National- 

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40  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Ceohen. 

schätz,  ein  heiliges  Vermächtniss  der  Vorfahren  war.  Der 
Streit  dauert  noch  im  gegenwärtigen  Moment  fort. 

Und  woher  kamen  die  Verdächtigungen,  und  waren  sie  be- 
gründet ? 

Sie  hatten  äussere  und  innere  Grande.  Alle  Entdeckungen 
traten  unter  mehr  oder  weniger  sonderbaren  Umständen  nt 
Tage:  bald  waren  es  Pergamentblätter  aus  Einbänden  von  Bü- 
chern ,  die  von  niemand  ausser  dem  Entdecker  gesehen  worden 
waren  und  dann  verschwanden  („Das  Lied  unter  dem  Vysehrad", 
„Das  Minnelied  Wenzers");  bald  eine  geheimnisavoUe  Zusendung 
von  einem  Unbekannten,  der  auch  nachher  unbekannt  blieb,  als 
die  Wahrheit  über  die  Entdeckung  wenigstens  einigen  compe- 
tenten  Personen  hätte  anvertraut  werden  können  („Das  Geriebt 
der  LibuSa");  bald  werden  merkwürdige  Üeberresle  des  AUer- 
thums,  die  sich  später  deutlich  als  gefälscht  erweisen,  in  einer 
alten  Handschrift  spät  und  zufällig  gefunden,  unter  Vermittelung 
eines  fremden  Gelehrten,  während  sich  die  Handschrift  schon 
viele  Jahre  im  Böhmischen  Musenm  befand  („Mater  Verborum"); 
bald  findet  sich  ein  Denkmal  an  einem  abgelegenen  Ort,  wo 
niemand  als  der  Entdecker  und  ein  unwissender  Ortsbewohner  die 
genauen  Umstände  der  Begebenheit  bezeugen  kann  (die  Königin- 
hofer  Handschrift).  Die  Entdeckungen  wurden  ausschliesslich  in 
Einem  prager  literarischen  Kreise  gemacht.  Die  Fälschung  einiger 
Denkmäler  wurde  gleich  von  Anfang  an  von  einem  begabten 
Kritiker,  der  noch  dazu  Umstände  und  Personen  kannte,  Do- 
brovskj?,  ausgesprochen,  dessen  Verdict  man  unmöglich  ausser 
Acht  lassen  konnte;  spater  wurde  die  Fälschung  in  einigen  Fallen 
nachgewiesen.  Andererseits  rief  auch  der  Inhalt  der  Denkmäler 
Zweifel  hervor:  sie  stellten  ein  AUerthum  dar,  das  im  ganzen 
alten  Schriftwesen  der  Slaven  ohne  Beispiel  war;  die  gleichzeitige 
und  ihr  folgende  echt«  6cchische  Literatur  hatte  mit  ihnen 
keine  Anknüpfungspunkte  und  Parallelen  (wie  sie  z.  B.  in  Rassland 
das  „Lied  vom  Heereszug  Igor's"  mit  dem  Volynischen  Annatcn 
und  der  „Zadonicina"  hat),  oder  auch  einen  verdächtigen  Zu- 
sammenhang (wie  z.  B.  den  des  „Jaroslav"  mit  der  öechischen 
Uebersetztung  des  „Millione"  Marco  Polo's);  die  Romantik  der 
Königinhofer  Handschrift  zeigte  sich  nicht  so  sehr  der  ursprüng- 
lichen mittelalterlichen  ähnlich,  als  vielmehr  der  allemeuesten 
(die  Namen  der  Helden  derselben,  wie  Zäboj ,  Slavoj,  Lumir  er- 
innern an  diejenigen,  welche  in  neuern  Romanen,  die  ihren  Stoff 

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Streit  über  die  EntdeckuDgeD.  4! 

dem  Alterthum  eDtnalimen,  gebildet  wurden).  Mit  dem  weitern 
Eindringen  der  Forschung  in  die  Zustände  des  Mittelalters  er- 
hoben sich  auch  neue  Einwände:  Manches,  was  einige  Jahrzehnte 
lang  als  dem  Alterthum  treu  entsprechend  erscheinen  konnte,  or- 
iries  sich  nicht  als  ganz  treu,  die  poetischen  Bilder  als  unmög- 
lich, die  Mythologie  als  ersonnen.  Unter  anderm  lenkte  auch 
die  Sprache  der  Denkmäler  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Beson- 
ders im  „Gericht  der  Libusa"  sah  man  das  künstliche  Bemühen, 
einHuster  vemeintlich  archaistischer  SprEiche  zugeben:  diese  alte 
Sprache  war  unter  dem  Einfluss  derjenigen  Begriffe  von  der  ur- 
sprünglichen Nähe  der  Einheit  der  Dialekte  in  alter  Zeit  herge- 
stellt, die  sich  bei  den  ersten  vergleichenden  Forschungen  ge- 
bildet hatten;  allein  Worte  solcher  Art  fanden  sich  dann  nirgends 
weiter  Tor  ausser  in  diesen  vermeintlich -alten  Denkmälern,  und 
legten  —  wunderbarerweise  —  ganz  dieselbe  Neigung,  die  rus- 
sische Sprache  dabei  zu  benützen,  an  den  Tag,  wie  sie  in  den 
eigenen  Arbeiten  von  Linda  undHanka  bemerkt  wurden.  Linda's 
Roman  „Zäre  nad  pohan6tvem"(„Moi^enröthe  über  dem  Heiden- 
thnm",  1818)  bot  sonderbare  Berührungspunkte  mit  den  alten 
Denkmälern. 

Das  Feuer  der  Polemik  glomm  gleich  vom  ersten  Auftreten 
der  neuen  Entdeckungen:  es  entflammte  sich  hauptsächlich  des- 
halb nicht,  weil  es  noch  nicht  genug  wissenschaftjiches  Material 
m  seiner  definitiven  Entscheidung  gab.  Zu  Ende  der  fünfziger 
Jahre  kam  der  Zwist  mit  solcher  Schärfe  zum  Ausdruck,  daes 
die  paläographische  und  antiijuarische  Frage  zum  Gegenstand 
einer  Criminaluntersuchung  wurde,  wobei  zu  Gunsten  der  Denk- 
mäler entschieden  wurde.  In  den  letztem  Jahrtsn  ist  der  Streit 
im  Gebiet  der  wissenschaftlichen  Kritik  mit  neuer  Kraft  wieder 
ausgebrochen  und  man  darf  hoffen,  dass  er  endlich  zu  einer 
Klämng  der  Sache  führen  wird. 

Die  Geschiclite  der  oben  genannten  Denkmäler  der  altcechiachen  Li- 
teratur hat  schon  eine  faetrüchtlicbe  Literatur  hervorgerufen : 

Hinsichtlich  des  „Liedes  unter  dem  Vysehrad",  des  „Minneliedes 
König  Wcnzel'B",  der  cechischen  Prophezeiungen  der  Libusa  u.  a.  aiehe 
Hanns,  „Die  gefälschten  böhmischen  Gedichte  aus  den  Jahren  1816 — 
1849«  {Prag  1868). 

Das  „Gericht  der  Libasa",  wie  wir  bemerkt  haben  von  Dobrovsky 
Terd&chtigt,  wagte  man  zuerst  in  Prag  nicht  herauszugeben.  Die  erste 
■Ausgabe,  nicht  sehr  correct,  nach  einer  ans  Prag  gesandten  Abschrift 
warde  von  dem  polnischen  Gelehrten  Bakowiecki  in  dessen  „Prawda 

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42  FünftcB  EapileL    L   Die  Cechen. 

Buska"  (Warsuliau  1820)  veranstaltet;  vou  dort  druckte  es  Sibkuv 
ab,  in  „Izvestija  Roasijek.  Äkademli"  1821,  11.  Tbl.;  erat  hiernach  er- 
schien das  „Gericht  der  Libusa"  in  Prag  im  Journal  „Krok",  1822, 
wo  es  correcter  von  Jungmann  berauagegeben  wurde.  Gereizt  durdi 
die  Herausgabe  der  verdächtigten  Schrift,  sprach  Dobrovsky  Beioen 
Verdacht  in  der  Prease  aua,  in  „Hor^ayr's  Archiv"  und  io  den  „Wiener 
Jahrbüchern  der  Literatur",  1824.  Safarik  und  Palacky  sammelten 
in  dem  Buche  „Die  ältesten  Denkmäler  der  böhmischen  Sprache"  (Prag 
1840)  die  Zeugnisse  zu  Gunsten  der  Echtheit  des  Denkmals,  und  ihre 
Autorität  beeeitigte  auf  lange  alle  Zweifel.  Die  üechiachen  und  andern 
slaviscben  Gelehrten  (mit  der  erwähnten  Auanahme  von  Kopitar,  Mik- 
loaich  und  tbeilweise,  wie  es  scheint,  Wocel)  benutzten  unbedenklich  Bo- 
wel das  „Gericht  der  Ltbusa"  aU  die  Königinhofer  Handschrift  zur 
Darstellung  nicht  nur  des  cecbischen,  aondem  auch  dea  gesammtalavi- 
sctien  Alterthums;  der  Yers  dea  „Gericbta  der  Libusa";  „Unlöblich  ist 
es  f^r  uns,  unter  Deutschen  Beeilt  zu  suchen"  —  wurde  zum  Loenngv 
wort  eines  alavischen  (antideutschen)  Patriotismus;  auf  dem  „Geridit 
der  Libusa"  wurden  Theorien  vom  altslaviachen  Leben  aufgebaut  (Runter 
anderm  bei  K.  Aksakov). 

Die  Königinhofer  Handschrift  flösste  auch  Dobrovsk;^  keine  Zweifel 
ein;  im  Gegentheil,  er  betrachtete  aie  als  ein  koethares  Denkmal  des 
üochischen  Alterthums  („Geschichte  der  böhmischen  Sprache  und  Lite- 
ratur", 2.  AuBg.  1818,  S.  385 — 390).  Die  erste  Auagabe  derselben 
veranstaltete  Hanka:  „Rukopis  Eralodvorsk;^.  Sebräni  lyricko-epickych 
zpevüv"  (Frag  1819;  als  ein  besonderes  Bändchen  seiner  Sammlung 
„Starobylä  Sklädanie") ;  dann  folgt  eine  Iteihe  anderer  Ausgaben  Hanka's 
(zusammen  mit  dem  „Gericht  der  Libusa")  bis  1861.  £ine  photogra- 
pbische  Ausgabe  von  A.  Vrfätko  (dem  Nachfolger  Hanka's  im  Böh- 
mischen Museum;  Prag  1862).  Eine  deutsche  Uebersetzung  von  W.  A. 
Svoboda,  bei  der  Ausgabe  von  1829;  J.  M.  Graf  Thun'a  „G.edichte 
aua  Bölunena  Vorzeit"  (Prag  1845;  mit  einem  Vorwort  von  Safarik, 
der  mit  Palacky  den  cechischen  Text  dieser  Ausgabe  verbessert  hatte). 
Ruasiac^e  Ausgaben,  Uebersetzungen  und  Gommentare:  vom  Akade- 
miker Siskov,  in  „Izviat.  Rosaijsk.  Akad."  8.  Tbl.  (und  besonders, 
1820);  von  A.  Sokolov,  in  Ucen.  Zapiski  Kazausk.  Univ.,  18iö— 46; 
Uebertragung  in  Versea  von  N.  Berg  (Uoakau  1846),  und  iu  Hanka's 
„Polyglott*"  (Prag  1852);   von  Ivan  Nekrasov  (St.  ^etersbuixl872). 

Von  cechischen  Commentareii  seien  die  Arbeiten  von  Safarik,  Wocel 
(in  Casopis  I8fi4Xund  besonders  V,  Nebesky  („Kralodovorsky  ruko|Ha'', 
Prag  1653,  aus  Üasopis,  1852 — 53)  erwähnt.  Al>er  hauptsächlich  ist 
die  Literatur  der  Königinhofer  Handschrift  (und  auch  dea  „Gerichts  der 
Libusa")  vom  Ende  der  funlziger  Jahre  an  gewachsen.  Damals  wurden 
die  alten  Zweifel  verschärft  und  ausgesprochen  in  den  Artikeln  der 
Zeitschrift  „Tagesbote  aua  Böhmen":  „Handschriftliche  Lügen  und  pa- 
läographiscbe  Wahrheiten"  (1868,  November)  von  einem  unbekannten 
Autor,  in  den  Abhandlungen  von  Hax  Büdinger  („Die  Königinhofer 
Handschrift  und  ihre  Schwestern",  in  Sybel'a  Historischer  Zeitschrill, 
1859),  von  Ed.  Schwamuiel  (Denkschriften  der  Wiener  Akademie  1660) 

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Streit  über  die  Enldccknageu.  43 

Ulli  besoaHera  von  Julias  Feifalik  („Ueber  die  Königitibofer  Uarnl- 
scbrift".    Wien  1860). 

Der  hifitoTisch-literBriBche  Streit  nahm  den  Charakter  eines  natiu- 
nalen  ZaBammenatoBBes  an.  Die  bestrittenen  Haudschriften  waren  in 
dcD  Augen  der  Cechea  ein  nationales  Kleinod,  eine  Zierde  ihrer  Lite* 
rttar;  sie  hatten  den  nationalen  Stola  und  den  Geist  der  Unabhängig- 
keit den  Deutschen  gegenüber  geweckt.  Es  iat  kein  Wunder,  dass  auch 
die  Gegenpartei  in  die  wissenschaftliche  Frage  nationale  Feindschaft  und 
Intoleranz  hineintrug.  Die  „Handschriftlichen  Lügen"  riefen  einen  Pro- 
ceas  zu  Prag  hervor,  der  mit  der  Vernrtheilung  des  Bedacteurs  der 
Zeitung  wegen  Verleumdung  endete.  Aus  diesem  Anlass  wurde  eine 
ganze  literarische  Untersuchung  veranstaltet  —  es  wurde  gefunden,  wer 
dm  „Gericht  der  Libnsa"  anonym  fUr  das  Böhmische  Museum  einge- 
undt  hatte  u.  s.  w.  Die  Handschrift  des  „Ueridits"  erhielt  seitdem  den 
Namen  der  Grünberger.  Diese  Untersuchung  ist  in  einem  Artikel  von 
Tomek  im  „Oasopia"  dargelegt  und  in  der  deutschen  Ausgabe  desselben: 
„Die  Grünberger  Handschrift"  (Prag  1859).  Ausser  den  gerichtlichen 
traten  auch  wissenschaftliche  Vertheidiger  beider  Denkmäler  auf. 

Beide  Parteien  sammelten  alles,  was  sie  konnten,  für  und  gegen 
diese  Denkmäler,  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  —  der  Paläo- 
graphie,  Geschichte,  Literatur,  Aesthetik.  Das  Hauptvertheidigungswerk 
'ar  das  Buch  der  Brüder  Jirecek:  „Die  Echtheit  der  Königinhofer 
Handschrift,  kritisch  nachgewiesen"  (Prag  1862). 

Dann  traten  auf  Brandt,  im  „Öasopia"  1869,  I,  1870,  ifu.  s.  w., 
Gebauer  (Filologicke  Listy,  H,  97—114);  Hattala  („Beiträge  zur 
Kritik  der  Königinhofer  und  Grünberger  Handschrift",  in  den  Sitzangs- 
berichten  der  königlichen  Böhmischen  Gesellschaft,  1871);  auch  Hanns 
{Jha  Schrillwesen  und  Schriftthum  der  höh miscli-slo venischen  Völker- 
atänune".  Prag  1867),  Vrtatko  (in  „Gasopis"  1871)  u.  a.  In  der 
nueischen  Literatur  A.  Ennik,  in  Zap.  Akad.  1862,  II.  (Vgl.  Kotlja- 
revskjj,  „Uspcchy  elavistiky  na  Susi",  S.  31.    Prag  1874). 

Bibliographische  Uebersichten  der  Literatur  dieser  Frage  wurden 
■ogefertigt  von  Hanuä,  Schriftweaen  etc.  S.  55 — 67;  L.  Krummel, 
(Heidelberger  Jahrbücher  der  Literatur  1868);  Jos.  Jirecek,  Rukovef, 
I,  406—411;  II,  354—355. 

Aber  diese  lange  Polemik  löste  den  Streit  nicht,  und  in  den 
letzten  Jahren  traten  neue  Personen  auf,  welche  die  Echtheit  beider 
Werke  leugneten.  Dass  die  Ursache  der  Angriffe  durchaus  nicht  blos 
nationale  Feindschaft  oder  Uebelwollen  einer  Partei  war  (wie  dies  ce- 
dusche  Kritiker  von  Büdinger,  Feifalik,  Kopitar  sagten)  trat  dadurch 
zu  Tage,  dass  sich  diesmal  Gegner  der  Entdeckungen  aus  dem  Kreise 
der  slavischen,  ja  sogar  cechischen  Gelehrten  selbst  fanden.  Der  sehr  be- 
jahrte cecbiscbe  Gelehrte  Alois  Sembera  leugnete  in  einer  neuen  Ausgabe 
Kiner  Geschichte  der  öechischen  Literatur  die  Echtheit  des  Gerichts  der 
Lihusa  und  des  Evangeliums  Johanuis  oder  der  sogenannten  Görtitzer 
Fragmente  (Dejlny,  4.  Aufl.,  1878,  S.  30—32,  149—153);  der  gaUzi- 
»che  Gelehrte  Anton  Petruszewicz  trat  mit  seinen  Angriffen  gegen 
iaa  „Gericht  der  Libnsa"  im  galiziachen  „SIovo",  1877-1878  hervor; 

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44  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  (Sechen. 

der  kroaÜBchc  Gelehrte  V.  Jagiü  nannte  in  äer  frtther  erwähnten  Abhand- 
lung „Gradja"  die  Königinhofer  Handschrift  „ein  Bnch  mit  Hieben  Sie- 
geln"; der  rusBiBche  Slavist  V,  Makugev  in  „Filolog.  Zapiaki".  Gegen 
§embera  trat  aufa  neue  J.  Jireiek  auf  (in  „Casopia",  1878,  1879). 
Sreznevskij  nahm  an  der  Frage  Antheit  im  Artikel  „Bylina  o  sade 
Ljubusi"  („Daa  Epos  vom  Gericht  der  Libusa",  im  Russk.  Filolog.  VSst- 
nik,  Warschau  1879,  1.  Hft.)  wo  er  eich,  ohne  saf  den  laufenden  Streit 
Bezug  zu  nehmen,  indirect  als  ein  Vertheidiger  der  Echtheit  des  Denk- 
mals erwies;  er  legte  nämlicb  seine  frühern  Untersuchungen  CLber  den 
Gegenstand  dar,  in  denen  die  Echtheit  des  „Gericbta  der  Libusa"  nicht 
dem  geringsten  Zweifel  unterworfen,  nur  als  sein  Jahrhundert  nicht  das 
9.,  wie  üechische  Autoritäten  meinten,  sondern  das  II. — 12.  ange- 
nommen war.  ^ 

Die  letzten  Daten  der  Polemik  waren :  —  Eine  besondere  Broschüre 
vonSeoibera:  „Libusin  Soud  domuel4  uejatargi  pamätka  feci  ceske  jest 
podvrzen,  tez  zlomek  Evangelium  Sv.  Jana"  (Wien  1879;  später  er- 
sdiien  noch  ein  Nachtrag),  wo  er  alle  seine  Argumente  gegen  das  „Ge- 
richt der  Libusa"  und  auch  gegen  die  Görlitzer  Fragmente  sammelte, 
und  als  Verfasser  des  erstem  direct  Linda  und  Hanka  nennt.  —  Mit 
Anfang  1879  begann  im  Zurnal  Min.  Nar.  Prosv.  eine  Reihe  wichtiger 
Artikel  von  V.  Lamanskij  zu  erscheinen:  „Novejsie  pamjatniki  drevne- 
cesskago  jazyka"  („Die  neuem  Denkmäler  der  altcecbiscUen  Sprache"), 
welche  die  vollständigste  und  bestimmteste  Fragestellung  sowol  voin 
wissenschaftlich -kritischen  als  vom  politischen  desicbtsponkt  bie(«D. 
—  V.  Brandl,  „Obrana  Libusina  Soudu"  („Vertbeidigung  des  Gerichte 
der  Libusa"  —  gegen  Sembera,  1879). —  Ganz  scharf  stallte  die  Frage 
auch  Anton  Vaeek  (Professor  am  Gymnasium  zu  Brunn)  in  der  Bro- 
Bcbfire:  „Filologicky  dükaz,  ze  Rukopis  Kralodvorsky  s  Zelenohorsky, 
teä  zlomek  evaugelia  Sv.  Jana  jsou  podvrzenä  dila  Väcslava  Hanky" 
(„Philologischer  Beweis,  daas  die  Königinhofer  Handschrift  «.  s,  w.  unter- 
»jhobene  Werke  Wenzel  Hankas  sind".  Brunn  1879).  —  Das  cochische 
Journal  „Osvet.i",  1879,  veröffentlichte  eine  Biographie  Jos.  Linda's, 
verfasst  von  J.  Jirecek,  und  eine  Biographie  W.  A.  Svoboda's,  verfasst 
von  Anton  Rybicka,  woraus  die  Unmöglichkeit  folgen  soll,  sie  der 
Fälschung  oder  der  Theilnabme  daran  anzuklagen. 

Gehauer  und  Masek  widerlegten  Vasek  und  gaben  neue  Beweise  für 
die  Fkshtheit  der  Handschrift;  Sembera  fixirte  schliesslich  seine  Meinung 
und  sprach  sich  in  einer  neuen  Schrift  gegen  die  Echtheit  ant:  „Kdo 
sepsal  Kralodvorsky  rukopis  roku  1817?"  („Wer  hat  die  Königinhofer 
Handschrift  im  Jahre  1817  geschrieben?"  Wien  1880)  und  in  emer 
deutschen  Schrift:  „Die  Königinhofer  Bandschrift  als  eine  Fälschung 
nachgewiesen"  (Wien  1882).  Diese  Frage  beantwortet  er  dabin,  dass 
der  Verfasser  der  epischen  Lieder  der  Handschrift  W.  A.  Svoboda,  der 
lyrischen  Hanka  gewesen  sei;  der  Schreiber  — Linda.  G^en  ihn  trat 
mit  einigen  treffenden  Hinweisen  auf  seine  Ungenauigkeiten  P.  3.  M>f 
in  „Svetozor"  1880,  Nr.  29—30. 

In  der  russischen  Literatur  weisen  wir  auf  die  Arbeit  des  Studenten 
Andreas  Storoäenko  bin:    „Ocerk   literatnrnoj  istorü  Zelenogorskoj  i 


nie  alte  Periode.  45 

Kraledvorskoj  rukopbej"  („Abries  der  Literaturgescbicbt«  der  GrÜD- 
kerger  und  Königinhofer  Hondachrift")  in  den  „Izvestija"  der  Kievei-  Uni- 
nnität 

Lie  Frage  ist  noch  nicht  erachSpft.  Die  Vertheidiger  der  Denk- 
mäler sind  nicht  in  der  günstigsten  Lage;  aber  auch  den  Gegnern 
bleibt  noch  viel  Arbeit  fibrig.  Unparteiische  Beobachter  dieses  Kampfes, 
jedoch  lebhafli  an  seinem  Ausgang  intcressirt,  erwarten,  dass  die  nega- 
tiTe  Kritik,  indem  sie  ihre  Beweise  für  die  Unecbtheit  der  Denkmäler 
darlegt,  auch  erklärt,  wie  die  Fälschungen  möglich  waren,  wo  ihre 
Quellen  und  die  Mittel  der  Ausführung  sein  konnten. 

In  den  Cechischen  Darstellungeii  der  Literaturgeschichte, 
welche  die  Echtheit  des  „Gerichts  der  Ltbuia"  and  der  Königin- 
hofer Handachrift  annehmen,  wird  gewöhnlich  gesagt,  die  älteste 
Zät  des  iechischen  Schriftwesens  sei  selbständig-national  gewesen, 
vie  es  auch  diese  Denkmäler  bezengteni  darauf  habe  aber,  in 
emer  spätem  Zeit,  ein  Verfall  des  Selbstäadig-Nationalen  und 
das  Vorherrschen  der  lateinisch-dentschen  Eindüese  begonnen. 
Aber  für  diejenigen,  welche  jene  Denkmäler  nicht  anerkennen, 
müssen  sich  die  lateinisch -deutschen  Einflüsse  als  weit  früher 
Torhanden  darstellen,  sie  zeigten  sich  schon  sehr  früh  im  gesell- 
schaftlichen und  staatlichen  Leben ;  der  Natur  der  Sache  nach  lässt 
sich  erwarten,  dass  sie  sich  iu  gleichem  Masse  auch  im  literari- 
schen Leben  geltend  machen  mussten,  —  sodass  die  Königinhofer 
Handsofarift  als  ein  Denkmal  nationaler  Poesie  auch  iu  dieser 
Hinsicht  einen  innern  Widerspruch  in  sich  enthalten  würde. 

Die  Öechen,  wie  überhaupt  die  Westslaveu,  trafen  in  ihrer 
Geschichte  mit  den  germanisch  -  romanischen  Frincipien  zusam- 
men, die  schon  eine  grosse  Entwickelung  besassen  und  nicht 
ohne  EinfluES  auf  dem  slavischen  Boden  bleiben  konnten.  Wenn 
die  Könige  Deutsche  herbeiriefen,  deutsche  Sitten  annah- 
men n.  s.  w. ,  so  war  das  keine  Zufälligkeit.  Neuere  Historiker 
werfen  ihnen  nach  jetzigen  Auffassungen  nicht  selten  Mangel  an 
Nationalgefiihl  vor,  aber  dieser  Mangel  war  ein  Product  des 
damaligen  £echischen  Lebens  selbst:  es  bot  den  fremden  Insti- 
tutionen nicht  genug  nationalen  Widerstand,  und  andererseits 
ivar  das  Germano  -  Romauentlium  der  einzige  Förderer  der 
Bildnng. 

Oechische  Historiker  bedauern,  dass  die  lateinische  Bildung 
dem  Volksthum  geschadet  habe,  weil  sie  viele  Kräfte  der  Ent- 
wickelung desselben  entzog,  geben  aber  ebenfalls  zu,  daas  sie 
auch  beträchtliche  Vortbeile   gebracht   habe:     Da«   Latein  sei 

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46  FünftpB  Kapitel.    I.    Di«  CVcljen. 

keine  grosse  Gefahr  für  die  Volkssprache  gewesen,  weil  es  kdne 
lebende  Sprache  war,  sondern  habe  als  ausgebildete  Sprache  mit 
seiner  Literatur  eine  Fülle  fertiger  Begriffe  mitgebracht,  für  welche 
die  Volkssprache  noch  nicht  ausgereicht  haben  würde.  Doch  liegt 
es  auf  der  Hand,  dasa  die  Nationalität  gleichwol  Verluste  erlitt: 
der  Oebrauch  einer  fremden  Sprache  —  in  der  Kirche,  in  den 
Rechtsverhältnissen,  in  der  historischen  Literatur  (wie  es  bei 
den  Öechen  war)  stellte  das  Volkatbum  in  den  Hintei^;nind, 
wie  es  dann  später  durch  die  deutschen  Sitten  und  die  deutsche 
Sprache  geschah.  Die  literarischen  Beziehungen  der  cecliischeu 
Sprache  zum  Latein  und  zum  deutschen  Element  waren  nur  der 
Reflex  eines  ganzen  historischen  Vorgangs,  —  der  Beziehungen 
des  Slaventhnms  zu  dem  im  Gegensatz  d  »nebenstehenden  Ger* 
mano-Romanenthum :  es  gab  hier  einen  Vortbeil  —  in  der  An- 
eignung der  europäischen  Bildung,  andererseits  einen  Nachtheil 
—  in  der  Abhängigkeit,  der  das  slavischc  Volksthum  unterworfen 
wurde  und  deren  Bekämpfung  die  ganze  Geschichte  des  Cechiscbes 
Volkes  bildete. 

Das  erste  Ereignias,  woran  der  Verfall  des  nationalen 
Princips  zu  Tage  trat,  war  die  Verdriingung  des  slaTiscben 
Christenthums  und  des  cyrillischen  Schriftwe&ens.  Sie  vollzog 
sich  schon  zu  einer  Zeit,  als  der  materielle  Druck  der  Deutschen 
wahrscheinlich  noch  sehr  unbedeutend  war:  dem  Anschein  nsch 
konnte  sich  schon  damals  die  Nationalität  der  sie  umgebenden 
Macht  der  lateinischen  Kirche  nicht  erwehren. 

Die  lateinische  Bildung  war  vor  allen  Dingen  Eigentbum  der 
Geistlichkeit  und  ihrer  Schule;  von  der  Kirche  ging  das  Latein 
auf  die  Gerichte  and  die  Regierung  über;  die  Kirchenschnle 
ward  zur  allgemeinen  Schule.  Zu  den  eigentlichen  Lateinern 
kamen  noch  die  deutschen  Mönche  und  Lehrer  hinzu.  Zu  den 
ältesten  Denkmälern  des  £echischen  Schriflthums  gehört  daher 
eine  ganze  Reihe  von  Glossen  und  Wörterbüchern ;  das  bedeatendste 
davon  war  das  unter  dem  Namen  „Mater  Verborum"  bekannte 
Wörterbuch,  dessen  noch  vorhandene  Handschrift  (früher  nach 
der  gefälschten  Beischrift  ins  Jahr  1202,  ja  sogar  1102  gesetzt) 
dem  13.  Jahrhundert  angehört.  Mit  dem  Uebergang  zum  14.  Jahr- 
hundert vermehrt  sich  die  Zahl  der  Denkmäler  dieser  Art  immer 
mehr,  was  auf  die  Verbreitung  des  Latein  hinweist.  Dahin  ge- 
hören die  Wörterbücher  Jan's  von  Veleäfn,  des  Slovaken  Rozko- 
chany,  ferner  der  Nomonclator,  SequcntionariuB,  Catho- 

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Die  Mater  Verborum.  '  47 

licon  magntim;  sie  worden  (echisch  auch  in  Versen  geschrieben, 
wie  der  Bohemarius. 

Ab  die  neuern  Untersuchungen  des  (echischen  Älterthums 
begannen,  erlangte  eins  von  diesen  Wörterbüchern  einen  grossen 
BuhiD,  nämlich  die  „Mater  Verborum".  Es  war  dies  eigentlich 
ein  lateinisclies  erklärendes  Wörterbuch,  verfasst,  wie  man  an- 
oabm,  im  10.  Jahrhundert  von  Salomo,  Abt  zu  St.  Gallen  und 
Bischof  zu  Konstanz  (gest.  920).  Unter  anderm  gelangte  das 
Leiilcon  auch  nach  Böhmen,  dem  Anschein  nach  aus  Deutschland. 
In  der  böhmischen  Abschrift  desselben  findet  sich  erstens  eine 
Anzahl  deutscher  Erklärungen  lateinischer  Wörter,  und  zweitens 
—  6echische  Glossen.  Eine  kleine  Anzahl  dieser  ^echischen  Er- 
klärungen ist  auf  der  Zeile  geschrieben,  sodass  sie  offenbar  gleich 
bei  der  Abschrift  des  Originals  (im  lii.  Jahrhundert)  einge- 
tragen wurden;  aber  eine  Menge  anderer,  und  zwar  sehr  origi- 
neller 6echiscber  Glossen  ist  zwischen  die  Zeilen  geschrieben  — 
dem  Anschein  nach  auch  in  altem  Ductus.  Die  Handschrift  ist 
noch  merkwürdig  durch  die  darin  enthaltenen  Miniaturen  in  den 
Initialen,  und  auf  einer  derselben  sind  unter  der  Darstellung 
zweier  betender  Mönche  die  Namen  „des  Schreibers  Vacerad" 
nnd  „des  Zeichners  Miroslav "  vermerkt  und  das  erwähnte  Jahr 
(von  den  einen  als  1102,  von  den  andern  als  1202  gelesen)  an- 
gegeben. In  historischer  und  literarischer  Beziehung  gewährte 
das  Lexikon  ein  grosses  Interesse  jener  techischen  Glossen 
halber,  die  einerseits  Zeugnisse  von  dem  Charakter  und  dem 
lexikalischen  Umfang  der  techischen  Schriftsprache  des  12. — 
13.  Jahrhunderts  und  andererseits  besonders  solche  von  alten 
mythologischen  Ueberlieferungen  und  Gottheiten  der  heidni- 
schen Urzeit  der  Slaven  und  (Jecben  gaben.  Es  zeigte  sich, 
dass  die  Sprache  im  12. — 13.  Jahrhundert  bedeutend  ausgebildet 
war,  den  andern  Dialekten,  z.  B.  dem  russischen,  näher  stand; 
die  hier  noch  vorhaDden.e  Erinnerung  an  dasHeidenthum,  welche 
in  einer  Fülle  heidnischer  Göttemamen  zum  Ausdruck  kam, 
konnte  als  Parallele  den  heidnischen  Charakter  des  „Gerichts 
der  Libufia"  und  gewisser  Lieder  der  Königinbofer  Handschrift, 
wie  Zäboj  u,  s.  w.,  erklären. 

In  der  Tliat  fand  sich  in  der  „Mater  Verborum"  ein  ganzer 
Chor  heidnischer  Götter  —  es  war  da  „Svatovit"  in  der  Rolle 
des  Mars,  „Prije"  als  Göttin  der  Liebe  oder  slavische  Venns, 
„Ziva"   in    der  Rolle   der   Ceres,    ferner    ,,Vcles",    „Radibosf", 

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,48  Fünftes  Kapitel.    L   Die  Cechen. 

„BSlboh",  „Perun",  „D^vana",  „Morana"  in  der  Rolle  der  He- 
kate  u.  s.  w. ;  in  einigen  Fällen  wird  auch  die  Genealogie  der  Gott- 
heiten angegeben;  weiter  werden  erwähnt  die  „trizna"  (Kampfspiel 
am  Grabe),  „tarodeji"  (Zauberer),  „hadaci"  (Wahrsager),  „treba" 
(Opfer),  „vesöby"  (Prophezeiungen),  die  unter  anderm  auch  im 
„Gericht  derLibusa"  vorkommen;  es  werden  eine  Menge  uralter 
Wörter  und  Ausdrücke  angeführt,  die  im  Cechischen  nicht  ge- 
bräuchlich, aber  ans  dem  Russischen  bekannt  sind,  —  was  ein 
ZeugnisB  für  die  Nähe  der  slavischen  Dialekte  in  alten  Zeiten  ab- 
geben sollte. 

Die  techischen  Glossen  der  „Mater  Verborum",  zuerst  von 
Hanka,  dann  von  Safafi'k  und  Palacky  herausgegeben',  wurden 
zu  denjenigen  Kleinodien  der  alten  Literatur  gerechnet,  die 
dei-selben  eine  hohe  historische  Bedeutung  nicht  nur  für  die 
Oechen  selbst,  sondern  auch  für  das  übrige  Slaventhum  gaben. 
Aber  gleich  beim  ersten  Erscheinen  erweckten  sie  Zweifel  hei 
Kopitar;  diese  Zweifel  wurden  von  Cechischen  Gelehrten  als  Mis- 
guDst  zurückgewiesen.  In  den  letzten  Jahren  ist  jedoch  die 
wissenschaftliche  Kritik  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dasB 
das  Denkmal  durchaus  nicht  unanfechtbar  ist.  Die  ersten  Be- 
merkungen sprach  Hanus  aus,  und  in  der  letzten  Zeit  wurde 
das  Denkmal  in  eingehendster  Weise  von  Adolf  Patera  und 
Baum  untersucht,  von  denen  der  eine  die  Handschrift,  in 
paläographiecher  und  lexikalischer  Hinsicht  analysirte,  der 
andere  die  Miniaturen  prüfte.^  Als  Resultat  dieser  und  an- 
derer Untersuchungen  ging  hervor,  dass  der  Name  des  „Schrei- 
bers  Vacerad",    der  lange    für  den  Verfasser   der  Cechischen 


'  Hanka,  „Zbirka  D^däviifjäkb  alovnikä  latineko-Eeskych."  8.  1—24 
(Prag  1833);  i^afarik  und  Palacky,  „Die  älteatea  Denkmäler  der  biihmi- 
Bohen  Sprache",  S.  203—233  (Prag  1840). 

*  Hanui,  in  den  Sit/uDgaberichten  der  SühmiBchen  GeBellscbafl,  1865, 
■I;  die  Artikel  von  Patera  ond  Baum,  im  £eohiacbeD„C«8opis",  1877;  äoe 
mssiacbe  UeberBOtznng  des  Artikels  von  Patera  mit  Bemerkungen  Srei- 
nevBkij'B  (Sborn.  rusk.  Otd^l.  Akad.  XIX.  Bd.,  1878,  S.  1  —  162),  *«!- 
cber,  nachdem  er  seine  Abbandlung  mit  listigen  Lobeserhebusgen  der  Ar- 
beit Patera's  begonnen,  dem  Wesen  der  Sache  nach  eine  Vertheidignng 
jener  Glossen  vornimmt  |  welche  letzterer  von  palüographi scher  Seite  ver- 
dächtigte. Eine  Analyse  dieses  zweideutigen  Artikels  und  der  guucn 
Frage  bei  V.  Lamanskij  in  den  erwähnten  Aufsätzen:  „NoTijüc  p*- 
ngatniki  drevneteskago  jazyka". 


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Die  Mfttei'  Verboram.  49 

Glossen  galt  und  lange  die  Bolle  einer  gewichtigen  Autorität  in 
der  slavischeii  Mythologie  spielte,  ferner  der  Name  des  Zeichnei'S 
^Miroslav",  das  Jahr  der  Handschrift,  eine  Menge  der  Glossen 
selbst  durchaus  nicht  im  13-,  sondern  eher  im  19.  Jahrhundert 
l^hrieben  waren,  dass  mit  einem  Wort  die  Handschrift  „Mater 
Verborum"  durch  die  Hände  eines  neuem  Fälschers  gegangen 
sei.  Patera  Hat  aus  der  ganzen  Menge  der  Glossen  nur  3S9 
alü  wirklich  alt  ausgeschieden ' ,  während  von  dem  Fälscher 
noch  dreimal  so  viele  hinzugefügt  sind,  und  darunter  befinden 
sich  gerade  diejenigen,  welche  durch  ihre  ungewöhnliche  Ori- 
gioalität  und  ihr  mythologisches  Alterthum  die  Aufmerksamkeit 
anf  sich  lenkten. 

Seit  der  Herausgabe  der  Glossen  der  „Mater  Verborum"  ist 
es  fast  bei  keiner  Abhandlung  über  altslavische  MytholOgie  ohne 
eine  Verweisung  auf  „Vacerad"  abgegangen;  mit  seiner  ergiebigen 
Unterstützung  wurde  das  Gebäude  der  altslavischen  Weltan- 
schauung aufgebaut.  Dieser  Mystification  in  der  Wissenschaft 
«in  Ende  zu  machen  wird  schon  eine  grosse  Arbeit  sein. 

Wir  haben  bei  dem  Wörterbuch  „Mater  Verborum"  längere 
Zeit  verweilt,  weil  von  ihm  in  den  letzten  Jahren  viel  die  Rede 
"jtr,  und  weil  seine  Geschichte  den  wirklichen  Stand  der  Frage 
über  die  alt^echische  Literatur  deutlich  erkennen  lässt:  es  lagerb 
noch  ein  Nebel  auf  ihr.  Bis  in  die  letzten  Jahre  wiesen  die 
cechischen  Historiker  jeden  Zweifel  an  einigen  Denkmälern  des 
rechiscben  Alterthunis  als  ein  Attentat  auf  die  bistorische 
Würde  ihrer  Nation  ab.  Jetzt  sind  kritische  Forderungen  aus- 
gesprochen worden  nicht  nur  von  „Misgünstigen"  (I^opitarj,  son- 
dern sogar  von  Cechischen  Gelehrten  (Sembera,  Patera,  Baum, 
Etnler,  Gebauer).  Mit  dem  ^ecbiscben  Alterthum  sind  die  Vor- 
stellungen über  die  Alterthümer  des  übrigen  Slaventbnms  eng 
verbunden.  Wenn  das  „Gericht  der  Libusa"  nicht  ein  Werk  des 
^.,  sondern  des  19.  Jahrhunderts  ist;  wenn  die  Köuiginbofer  Hand- 
schrift nicht  dem  13. — 14.  Jahrhundert   und  die   mythologischen 


'  IHrnnter  sind  an  Glosüeo,  die  eich  im  Texte  selbst  befinden  und  aleo 
lur  Zeit,  als  die  Hantlacbrift  gesi'hrieben  wurde,  eingetragen  sind,  im  gao- 
len  13;  an  Uluasen  zwiacbeu  den  Zeilen,  aber  ebenfalls  alten,  42;  endlich 
n  lolcbeD,  die  in  einem  andern  alteu  Ductus  b&ld  nach  Anfertigui^  der 
Hindacbrift  daza  geschrieben  worden  sind,  985. 

trm.  SliTiKbe  LlKmlumu.    U,  -J.  ^ 


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50  Ffinftea  Ktpitel.     I.    Die  Öechen. 

GloBBen  der  „Mater  Verborum"  nicht  dem  Jahre  1103  oder  1202, 
Bondern  ebenfalls  dem  19.  Jahrhundert  angehören,  so  wird  da- 
durch ein  grosser  Bruch  in  allem  vollzogen,  was  bisher  über 
das  Altertbum  der  Slaveo,  ihre  Sitten,  Mythologie,  Spracbe, 
Poesie  geschrieben  worden  ist;  es  müssen  viele  Seiten  in  den 
Untersuchungen,  unter  andern  auch  solchen  von  Gelehrten  enten 
Ranges ,  nicht  nur  bei  den  Slaven ,  sondern  auch  bei  deo 
Deutschen,  wie  Grimm  und  andern,  ausgemerzt  und  vergessea 
werden. 

Wenn  die  Frage  über  Werke,  wie  „Das  Gericht  der  Libusa", 
die  Königinbofer  Handschrift,  die  Glossen  der  „Mater  Verbo- 
rum"  u,  s.  w.  auch  jetzt  noch  nicht  endgültig  zu  entscheiden  wäre, 
so  dürfte  es  doch  sonderbar  und  historisch  unlogisch  erscheinen, 
dass  antfcre  Denkmäler  des  6ecbiscben  Alterthums  nicht«  oder 
nur  wenig  aufweisen,  was  jener  scharf  national-patriotischen 
Tendenz,  die  man  in  den  verdächtigen  Denkmälern  bemerkt,  den 
Reichthum  ihrer  archaistischen  Reminiscenzen  und  ihrer  Poesie 
ähnlich  wäre.  In  der  That  bietet  die  6echische  Literatur,  ausser 
jenen  verdächtigen  oder  vollständig  der  Unechtheit  überführten 
Denkmälern,  weder  so  bestimmte  Ueherlieferungen  des  nationalen 
Alterthums,  noch  so  grelle  Bekundungen  einer  nationalen  (anü- 
deutachen)  Ausschliesslichkeit,  noch  solchen  Reichthum  eigen- 
artiger nationaler  Poesie,  sondern  liefert  im  Gegentheil  viele  Zeug- 
nisse, dass  deutsch-lateinische  Einflüsse  in  alle  Zweige  des  Schrift- 
thums  eingedrungen  waren,  und  zwar  schon  von  alters  her.  Zwsr 
gab  es  auch  in  der  echten  Literatur  national -patriotische  Kund- 
gebungen, wie  bei  Dalimil;  aber  sie  sind  selten  und  nicht  so  stark, 
und  in  der  ganzen  Reihe  anderer  Denkmäler  hat  sich  nicht  eine 
Spur  von  einem  Gefühl  der  eigenen  Nationalität  erhatten,  das 
der  neuern  tendenziösen  Richtung  sehr  ähnlich  ist',  noch  von 
einer  Romantik,  wie  wir  sie  in  dem  „Gericht  der  Libusa"  und 
der  Königinbofer  Handschrift  hnden,  noch  von  einer  Mythologie, 
wie  wir  sie  aus  der  „Mater  Verhorum"  kennen  lernen  u.  s,  w. 
Im  Gegentheil,  wir  sehen,  dass  man  eben  in  jenen  Jahrhunder- 
ten ruhig  und  gelassen  die  Formen  und  den  Inhalt  annahm, 
welche  die  westeuropäische  Literatur  des  Mittelalters  überhaupt 


'  Vergl.  „UulÖblich  ist  #b  ftir  un8,  unter  Deutschen  Reelit.  lU  suchen" 
(Gprk'ht  der  I.iliuSa).  Oder:  „Nfmee  (derDeatsche)  barbarus,  tardns,  tnieu- 
lenlus  .  .  ."  (Mat*T  Verhorum). 


.....Gooj^lc 


Die  geistliclie  Poesie.  51 

liatte;  wir  sehen  keine  Spur  eines  Kampfes  zwischen  zwei  litera- 
rischen „Schulen",  wie  sie  für  jene  Periode  von  den  cechischeii 
üistorikern  angenommen  werden,  Schulen,  die  nach  ihrer  Mei- 
nung einerseits  durch  die  KÖniginhofer  Handschrift,  anderer- 
eeite  durch  die  Nachahmungen  der  westeuropäischen  Romantik 
repriisentirt  würden. 

Sonacli  darf  man  eher  annehmen,  dess  sich  der  germano-ro- 
manischeEinftuss  allmählich  ohne  sonderliches  Hindcrniss  von  der 
Zeit  an  entwickelt  hat,  als  er  seinen  ersten  Sieg  im  9. — 10.  Jahr- 
handert  gewann,  wo  er  aus  Böhmen  und  Mahren  die  griechisch- 
skvische  Kirche  verdrängte  und  an  ihre  Stelle  die  römische 
setzte,  d.  i.  im  heutigen  Sinne  gesprochen,  die  Oecheu  und 
Mäbrer  von  der  griechisch-katholischen  zur  römisch-katholischen 
Kirche  hekehrte. 


Das  erste  Ergehniss  der  BekanntstOiaft  mit  der  lateinischen 
Literatur  war  die  Entwiekelung  der  geistlichen  Poesie  oder  Vers- 
kunst und  der  Legende.  Neben  dem  erwähnten  Liede  ,,Hospo- 
dine"  und  dem  andern  „Sv.  Vaclave"  haben  sich  in  ^echischeu 
Denkmälern  keine  sonderlich  alten  geistlichen  Lieder  erhalten. 
Für  das  älteste  muss  ein  Lied  in  16  Versen  gelten:  „Slovo  do 
8»eta  stvorene"  (dies  die  Anfangsworte:  „Das  Wort  in  die  Welt  ge- 
scbafTen"),  neuerdings  von  Adolf  Patcra  in  einer  Handschrift  des 
[■^.Jahrhunderts  gefunden  und  sichtlich  nach  einem  lateinischen 
Muster  in  gewöhnlicher  rhythmischer  l-'orin  verfasst.'  Andere  be- 
kannte Lieder  dieser  Art  reichen  in  Handschriften  nicht  über  das 
U.Jahrhundert  zurück.^  Hinsichtlich  der  aus  dem  Lateinischen 
entnommenen  geistlichen  Lieder,  wie  auch  der  Uebersetzungen  der 
Heiligen  Schrift  bemerkt  man,  dass  anfangs  einfach  Erklärungen 
des  lateinischen  Originals  durch  Cechische  Glossen  gemacht  wur- 
den und  erst  aus  diesen  eine  zusammenhängende  Uehersetzung 
hervorging.  In  der  l-'olgc  gingen  einige  alte  Lieder,  gleich- 
zeitig mit  neuen,  in  die  „Cancionale"  über,  von  denen  weiter 
unten  die  Rede  sein  wird. 

Nach  den  ersten  Legenden,  welche  auf  eine  einst  gemein- 
same  kirchliche  üeberlieferung   bei  den  Oechen    und  Sudslaven 


'  Vergl.  „Öaaopis  Cesk.  Mua.",  1878,  289—294. 

•  Proben  im  „Vybor",  1,  322  u.  f.;  Rukovff,  11,  120. 


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53  Füoflea  KapitHL     I.    Die  Cechen. 

hinweisen,  war  die  durch  eine  beträchtliche  Anzahl  von  Denk- 
mälern vertretene  cechische  Legendenliterutur  nach  Inhalt  und 
Form  eine  Copie  lateinisch -katholischer  Muster.  Die  Legenden 
wurden  in  Prosa  und  Versen  geschrieben,  und  die  ältesten,  die 
man  kennt,  sind  in  Versen.  Im  Gegensatz  zum  volksthüm- 
liehen  Vers  der  Slaven,  der  keinen  Reim  kennt,  erscheint  der 
Vers  der  {:echischen  Legende  und  der  profanen  Werke  immer 
mit  Beim.  Dem  Inhalt  und  der  Auswahl  der  Heiligen  nach 
ist  es  entweder  die  allgemein  -  christliche  Legende,  wieder- 
holt nach  katholischer  Quelle,  oder  die  speciell  katholische. 
Die  Reihe  der  versificirten  Legenden  beginnt  nach  den  Hand- 
schriften vom  Knde  des  13.  Jahrhunderts  an,  und  die  ältesten 
haben  sich  nur  in  Bruchstücken  erhalten,  z.  B.  das  Fragment 
einer  Legende  von  der  Jungfrau  Maria  (aus  dem  apokry- 
phen Evangelium  des  Matthäus  de  ortu  beatae  Mariae  et  iu- 
fantia  Salvatoris ;  Safank  hielt  sie  anfangs  für  eine  Legende  von 
Anna,  der  Mutter  Samuels),  von  den  Leiden  des  Heilands, 
von  der  AusgiesBung  des  Heiligen  Geistes,  von  den 
Aposteln.  In  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  setzt  man 
die  Aufzeichnung  der  Legenden  von  Judas  und  Pilatus,  die 
Legende  vom  heiligen  Alexius;  in  die  Mitte  desselben  Jahr- 
hunderts die  Legenden  von  der  heiligen  Dorothea,  von  der 
heiligen  Katharina,  von  Maria  Magdalena,  dem  Apo- 
stel Johannes,  dem  heiligen  Prokop.  Ferner  die  Jugend 
Jesu  (aus  dem  apokryphen  Protoevangelium  des  JacobusJ, 
Klage  der  heiligen  Maria  u.  a.  Die  prosaischen  Legenden  sind 
im  „Passional"  gesammelt,  das  unter  der  Regierung  Karl's  IV. 
zusammengestellt  wurde:  ihm  zu  Grunde  liegt  die  Legenda  Aurea 
des  Jacobus  a  Voragine,  aber  sie  ist  nur  mit  Auswahl  benutzt 
und  unter  andern  sind  die  Lebensbeschreibungen  deck i scher 
Heiliger  beigefügt  worden,  z.  B.  des  Cyrill  und  Method,  der  Lud- 
mila,  Wenzel's  und  der  Hedwig.  Das  „Passioual"  gehörte  darauf 
zu  den  ersten  öechischen  Büchern,  die  gedruckt  wurden  (1480 
— 95).  Von  den  versiäcii'ten  Legenden  gilt  der  Ausführung  nach 
als  beste  die  Legende  von  der  heiligen  Katharina,  vor  nicht  lan- 
ger Zeit  in  Stockholm  gefunden,  wohin  während  des  Dreiasig- 
jährigen  Krieges  viele  dechische  Handschriften  gelangt  wai'en,  und 
1860  von  Erben  herausgegeben;  die  Legende  zeichnet  sich  durcb 
Leichtigkeit  des  Verses  und  eine  schöne  Sprache  aus.  Grosse 
Meisterschaft  des  Stils   sieht  mau  auch    in  dem  Fragment  einer 

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Die  geistliche  Poesie.  53 

Legende  von  der  heiligen  Maria,  nacli  dem  apokryphen  Evange- 
lium des  Matthäus.' 

In  dieser  Periode  bereitete  sich  auch  eine  Uebersetzung  der 
ganzen  Bibel  vor.  Oben  wurde  erwähnt,  dass  für  das  älteste 
Denkmal  dieser  Art  die  sogenannten  GÖrlitzer  Fragmente  (aus 
dem  Evangelium  Jobannis)  galten,  die  ins  10.  Jahrhundert  ge- 
setzt wurden.  Dobrovskjf  und  Kopitar  zweifelten  dieses  Denkmal 
an;  Safarik,  PalackJ,  jetzt  Jirecek  vertheidigten  seine  Echtheit; 
in  der  letztem  Zeit  nannten  es  Sembera,  Vasek  direct  eine  Fäl- 
EchuDg;  Makusev  setzte  es  statt  ins  9.  ins  13.  Jahrhundert.  Die 
Bücher  der  Heiligen  Schrift  wurden  nicht  auf  einmal  und  nach  der 
Reihe  übersetzt,  sondern  stückweise,  und  wirkliebe  Debersetzungen 
kommen  erst  spät  vor:  ihren  Anfang  bildeten  (wie  oben  auch  von 
den  Uebersetzungen  der  Kirchenlieder  bemerkt  wurde)  einfache 
Glossen,  Erklärungen  der  lateinischen  Texte  für  die  Priester; 
allmählich  gingen  die  Glossen  in  eine  zusammenhängende  Ueber- 
sctzung  über.  Einige  biblische  Bücher  sollen  schon  vor  dem 
13.  Jahrhundert  übersetzt  worden  sein;  andere  erscheinen  im 
13. -|-14.  Jahrhundert;  endlich  wurde  die  erste  vollständige  Samm- 
lung der  Uebersetzung  der  biblischen  Bü'cher  1410 — 16  veran- 
staltet. Die  erste  gedruckte  Ausgabe  der  Cechischcn  Bibel  er- 
schien zu  Prag  1488-* 

Die  kirchliche  Poesie  bietet  ferner  eine  Eeilie  geistlicher, 
belehrender  und  allegorischer  Dichtungen,  die  ebenfalls  nach 
dem  bekannten  deutschen  und  lateinischen  Muster  geschrie- 
ben sind,  mit  moralisirendem  Charakter  und  gereimtem  Vers, 
Dahin  gehören  z.  B.  die  Zehn  Gebote  —  eine  Dichtung 
des  14.  Jahrhunderts,  wo  die  Gebote  mittels  anschaulicher 
Beschreibungen  des  Teufels  und  leichter,  zuweilen  sogar  fri- 
voler Anekdoten  erklärt  werden,  in  der  Art,  wie  deutsche  Pre- 
diger jener  Zeiten  behufs  grössern  Interesses  ihrer  Predigten 
in  dieselben  rein  weltliche  Erzählungen  (bispel),  Anekdoten  und 


'  Döbrovsky,  Geaohichte  der  böhmischen  Sprache"  etc.  S,  103—108; 
Hsnka,  „SUrobylä Sklädänie",  3. Bd.  (I818|;  „Vjbor  z  liter."  I;  Sufatik, 
.Äbraiie  «piiy",  3,Bd.  (1865;  Klasobrani— Aehrenleee);  Feifalik,  „Studien 
inr  Geschiebte  der  allböhmiachen  Literatur"  (Sitzuags berichte  der  Wiener 
Akademie,  1860);  Jos.  Jireäck,  „Rukovft",  I,  446-4«;  A.  Patera  im 
(*»8opiB,  1879, 1. 

'  Bukov6t  11,  116—120. 


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54  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Cechen. 

Märchen  verflochten.  Der  Zweck  der  Sittenlehre  wird  gleich  auf 
zwei  Wegen  erreicht.  In  einem  andern  Gedicht:  „Der  Streit 
der  Seele  und  des  Leibea",  wird  das  Schicksal  des  Men- 
ecben  nach  dem  Tode  allegorisch  erzählt.  Nach  dem  obligaten  Vor- 
wort, wie  der  Mensch  in  Erwartung  des  Todes  leben  müsse,  wird 
ein  Gespräch  der  Seele  und  des  Leibes  roitgetheilt.  Der  Leib 
ist  der  Lust  ergeben,  die  Seele  spricht  zu  ihm  vom  Tode  und 
bemerkt,  er  werde  dafür  gestraft  werden.  Der  Leib  stirbt,  der 
Teufel  ergreift  die  Seele,  legt  sie  mit  den  Sünden  auf  die 
Wage  und  führt  sie  in  die  Hölle.  Die  Seele  beklagt  sich  bei 
der  Mutter  Gottes,  die  dann  die  Seele  dem  Teufel  wegnimmt 
und  für  sie  beim  Sohne  bittet;  der  Sohn  übergibt  die  Seelen  zum 
Gericht  dem  Recht,  dem  Frieden,  der  Gerechtigkeit  und  dem 
Mitleid^  Der  Teufel  beklagt  sich  über  Ungerechtigkeit,  aber 
Maria  und  die  Richter  treten  Tür  die  Seele  ein:  der  Friede  ver- 
spricht ihr  Gnade  von  Jesus  und  das  Mitleid  bat  sich  wahrschein- 
lich ihrer  erbarmt  —  was  übrigens  in  der  Handschrift  fehlt 
Denselben  geistlich-belehrenden  Inhalt  bieten  auch  die  folgenden 
mehr  oder  weniger  umfänglichen  Erzählungen  und  B.etrachtujigcn 
in  Versen:  vom  reichen  Manne,  der  seine  Seele  zu  Grunde 
richtete;  von  der  Sterblichkeit,  vorder  sich  der  Mensch  nir- 
gends retten  könne;  von  den  sechs  Quellen  (derSünde);  von 
den  siebenundzwanzig  Thoren,  d.  i.  Leuten,  welche  die 
Sittlichkeit  und  die  Erlösung  der  Seele  nicht  kennen;  über  die 
Unbeständigkeit  der  Welt  u.  s.  w.' 

Eine  andere  Seite  des  deutsch-lateinischen  Einflusses  war  das 
Erscheinen  der  mittelalterlichen  Romantik  in  der  ^echischen 
Literatur.  Wie  sich  die  Cechen  einer  materiellen  Einmischung 
der  Deutschen  in  ihre  Angelegenheiten,  eines  Einflusses  der  deut- 
schen Sitten  und  Einrichtungen  nicht  zu  erwehren  vermochten, 
so  erwiesen  sie  sieb  auch  in  literarischer  Beziehung  nachgiebig. 
Obwol  das  „Gericht  der  Libusa"  scharf  tadelte,  Recht  unter 
Deutschen  zu  suchen,  und  „Zäboj"  Hass  gegen  den  Feind  ein- 
flösste,  der  „mit  fremden  Worten  Befehle  gibt"  in  der  cechi- 
schen  Heimat,  hielt  doch  thatsächlich  das  6cchiscbe  Schrift- 
thum  gegen  die  Lockung  der  ausländischen  Poesie  nicht  Stand, 
die  in  diesen  „fremden  Worten"  redete,  und  wandte  sich  bereit- 
willig der  europäischen  Romantik    zu,   wclcbe  zugleich  mit  den 

'  Vcigl.  in  „Slarobjltt  Skläd."  und  lu  „Vjbor  5eHk.  liter.",  1.  Bd. 

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Die  ßomantik.  55 

deutschen  Sitten  und  dem  Fendalwesen  ins  Land  eindraDg. 
Als  Böhmen  seine  alte  fürstlich -demokratische  Organisation 
nicht  zu  bewahren  vermochte,  sich  den  Ansprüchen  einer  nicht- 
nationalen  Kirche  unterwarf  und  die  neue  königliche  Macht  mit 
ihrem  aristokra tischen  Beiwerk  annahm,  konnte  das  nationale 
Princip  für  überwunden  gelten  (das  fand  im  13.  Jahrhundert 
statt),  und  man  muss  annehmen,  dass  auch  früher  in  ihm  wenig 
politische  Kraft  zum  Widerstand  gegen  den  Feudalismus  lag 
UQd  es  andererseits  an  Mitteln  fehlte,  um  den  keimenden  Bil- 
dongsbcdörfnissen  Genüge  zu  leisten.  Der  Einfluss  der  mittel- 
alterlichen Romantik  und  damit  zugleich  der  Staatsmoral  des 
Feudalwesens  wird  begreiflich.' 

So  kamen  also  die  mittelalterlich  -  romantischen  Dichtungen 
ZQ  den  Cechen,  als  eine  natürliche  Ergänzung  der  deutschen 
Sitten,  die  sich  am  Hofe  und  im  Leben  der  hohem  Stände 
schon  von  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  au  eingebürgert  hatten. 
Zugleich  mit  den  Turnieren,  dem  Ritterthum  fanden  sich  am 
Bofe  der  ^chischen  Könige  deutsche  Minnesänger  ein.  König 
Wenzel  I.  war  nach  der  Ueberlieferung  sogar  selbst  ein  deut- 
scher Minnesänger.  Deutsche  gab  es  nicht  nnr  bei  Hofe;  sie 
bildeten  auch  einen  beträchtlichen  Theil  der  städtischen  Bevöl- 
kemng^  sodass  sich  der  Geschmack  an  der  deutseben  Literatur 
leicht  auch  im  Mittelstande  verbreiten  konnte.  Gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  war  die  Romantik  etwas  so  Gewöhnliches,  dass 
wir  in  einem  der  ersten  Denkmäler  derselben  ein  schon  sehr 
vollendetes  Werk  finden,  welches  techische  Kritiker  für  die  beste 
Frucht  ihrer  christlich -ritterlichen  Poesie  halten.  Es  ist  dies 
die  cechische  Bearbeitung  der  Älexanderdichtung.  Die  Cechische 
Alexandre'is  hat  sich  nur  in  Bruchstücken  erhalten  und  gilt, 
obgleich  nur  in  Abschriften  aus  dem  14.  Jahrhundert  bekannt, 
doch  für  ein  Werk  der  zweiten  Hälfte  des  13-  Jahrhunderts.  Das 
cechische  beruht  auf  dem  lateinischen  Gedicht  des  Walter  von 
Chätillon  (Gualtherus  ah  Insuli»,  de  Castellione),  verfasst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  und  im  13.  Jahrhundert  be- 


'  Vei^l.  die  intereaaanten  Artikel  von  P'erd.  Scholz:  Z  ilfjin  poroby 
li'in  T  Cethich  {in  dev  Zeiteobrift  „OavSta",  1871,  Nr,  3,  i,  6  u.  8). 

'  Der  Fortsetier  des  Koamaa  von  Prag  bemerkt  nnter  dem  Jahre  1381, 
^ua  damals  ioa  teohiache  Land  eine  solche  Menge  Teutonen  gekommen 
Ki,  dasB  viele  meinten,  ihier  seien  hier  mehr  als  der  Fliegen. 


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56  Fünftea  Kapitel.    I.  Die  Öcchen. 

arbeitet  von  dem  deutgeben  Dicbter  Ulrich  von  Escbenbacb,  der 
auf  seinen  Wanderungen  auch  nach  Frag  kam  und  einen  Theil 
seines  Buches  König  Wenzel  II.  widmete.  Der  6ecbische  Dichter 
nahm  das  lateinische  Original  zur  Grundlage,  obgleich  er  auch 
die  deutsche  Bearbeitung  kannte:  eine  Vergleichung  des  cechi- 
schen  Textes  mit  dem  lateinischen  zeigt  aber,  dass  der  ccchische 
Dichter  zwar  die  Hauptzüge  des  Stoffes  entlehnt  hat,  aber  sonst 
in  der  poetischen  Darstellung  sehr  unabhängig  geblieben  bt 
Er  war  ohne  Zweifel  ein  begabter  Schriftsteller,  durchdrungen 
vom  christlich-ritterlichen  Geist  der  Zeit;  seine  Dichtung  ist 
das  selbständigste  und  beste  Werk  der  altcechiBchen  Romantik.' 
Der  Dichter  theilt  die  aristokratischen  Ansichten  des  cechi- 
schen  Adels,  aber  zeichnet  sich  dabei  zugleich  durch  patrio- 
tisch-nationalen Sinn  aus:  die  Deutschen  waren  ihm  ebenso 
unangenehme  Gäste  wie  dem  berühmten  Patrioten  und  Chro- 
nisten Dalimil  (vei^l.  „Vybor",  I,  166).  Eine  zweite  bekannte 
Dichtung,  aus  der  Artbus -Sage  —  Tristram  (Tristan  «nd 
Isolde)  —  wurde  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  be- 
arbeitet, wahrscheinlich  nach  dem  dentscben  Werke  des  Gottfried 
von  Strassburg  (um  1232),  das  später  von  Ulrich  von  Turheim 
(Thürbeim ;  Mitte  des  13.  Jahrhunderts)  und  Heinrich  von  Frei- 
berg (um  1300)  fortgesetzt  wurde.  Hier  begegnen  vrir  wieder 
einem  deutschen  Dichter  in  Böhmen,  da  Heinrich  von  Freiberg 
seine  Fortsetzung  des  Gottfried  für  einen  cecliischen  Herrn,  Bai- 
mund von  Lichtenburg,  machte.^  Ferner  „Tandarias  und  F!o- 
ribella",  ebenfalls  eine  Dichtung  aus  demCyklus  der  Tafelrunde, 
bei  der  ea  noch  nicht  entschieden  zu  sein  scheint,    auf  welchen 


'  Eine  Analyse  der  Eechiachen  Alexandi-eia  von  Neliesky  „Casopi»"', 
1847,  2.  Abth.,  1.  u.  2.  Heft.  BnicbBtücke  aus  der  AlexandreiB  worden  ab- 
gedruckt in  Hanka'a  btarob.  ijkläd.  (II,  151),  im  CaBopie,  1828  nnd  1841, 
und  gesammelt  im  „Vjbor",  S.  135  und  1071.  Die  neuest«  Ausgabe  von  Hat - 
tala,  „Zbytky  r^movaujch  Alexandreid  Btaro&csk^cb"  (Pr^  1881).  Eine 
Vergleichung  der  Abschnitte  zeigt,  daax  in  der  zweiten  Hülfte  des  14.  Jahr- 
hunderts eine  zweite  Redaetion  dieses  iSlcifTcs  crsehieucn  ist.  Vergl.  noch 
Safa^ik,  Hebi-anc  Bpiay,  III,  mH  u.  f.;  Jus.  Jiretck  im  „Krok",  1Ö66. 

'  Ueber  den  fechiacheu  Tristram  vergl.  den  Artikel  von  Nebesky'  in 
Casopia,  1846;  Fei-d.  Schulz  in  Lumir,  1875;  „C'asopis",  1861,  8.27a  Der 
Text  in  Starob.  Sklädinie,  4.  Bd.,  in  „Vybor",  I. 


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Die  Didaktik.  57 

Wegen  »e  in  die  cechieche  Literatur  in  der  zweiten  Hälfte  des 

14-  Jahrhunderts  gelangt  ist. ' 
Zur  Zahl   der  halb  romantischen,   halb  didaktischen  Werke 

gehört  „Tkadlecek",  in  Prosa,  das  man  einen  kleinen  Roman 
nennen  kann.  Ludwig  Tkadlecek  und  seine  Geliebt«  Adli6ka 
lebten  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  am  Hofe  der 
Witwe  Karl'a  IV.,  der  Königin  Elisabeth,  zu  KÖniggrätz  (gest. 
1393).  Adli^ks  war  ein  schönes  Mädchen,  und  als  sie  einem  an- 
dern gegeben  wurde,  beweinte  sie  Tkadle£ek  bitter,  und  erzählte 
TOD  ihren  Reizen  in  dem  Gespräch  zwischen  dem  Trauernden  und 
dem  Unglück,  das  ihm  Ermahnungen  zur  Demüthigung  unter  das 
Schicksal  gibt.  „Tkadle£ek",  dem  Inhalt  nacli  ziemlich  monoton, 
gilt  fiir  ein  Master  von  Leichtigkeit  und  Kraft  der  Sprache.* 
Der  Name  „Tkadle£ek"  (Tkadlec,  Weber)  ist  pseudonym:  gemeint 
ist  ein  Weber  in  Worten,  dessen  Instrument  die  Feder  ist.  Es 
existirt  eine  alte  deutsche  Uebersetzung  dieses  Buches.  Andere 
behaupten  freilich  umgekehrt,  dass  der  Tkadle(ek  dem  Deut- 
schen entnommen  sei.^ 

In  der  folgenden  Periode  der  Cechischen  Literatur  begegnet 
uns  schon  eine  ganze  Masse  romantischer  Werke,  deren  Ent- 
stehung theilweise  wahrscheinlich  noch  in  diese  Epoche  fällt. 
Ausser  dem  Roman  fanden  auch  die  mittelalterliche  westeuro- 
päische Didaktik,  die  Fabel,  die  Satire  u.  s.  w.  bei  den  Öechen 
ihr  mehr  oder  weniger  selbständiges  Echo ;  zuweilen  erinnert  die 
Manier  der  dechischcn  Schriftsteller  in  anffallcndster  Weise  an 
deutsche  Schriftsteller,  welche  die  Fabel  und  die  Anekdote  mit 
Lebensrcgeln,  moralischer  Belehrung  und  Predigt  vereinten.  Da- 
hin gehört  der  gelehrte  Smil  von  Pardubic,  mit  dem  Zu- 
Damen  Flaska  (Smil  Jan  FlaSka  z  Pardubic  a  z  Rychmburka), 
gehören  Tor  Mitte  des  14.  Jahrhunderte.  Einem  vornehmen  Ge- 
schlecht entsprossen,   lebte  er   in  der  Jngend   am  Hofe   seines 


•  Starob.  Sklädänio,  5.  Bd.,  1823;  „VJbor".  I.  Nebeaky  io  CaBopis, 
im,  II. 

'Ausgabe  von  Hanka  (Prag  1824);  ein  Stück  im  „Vjhor",  I.  Bd. 
S.  «26-631.    RukovSt,  II,  289—2510. 

'  VergL  die  Ausgabe  des  deutecbeu  Textae:  Der  AckerinanQ  ans  Boh- 
nen, heranagegeben  und  mit  dem  Ceohiacben  Gegeuetück  TkadleEek  Ter- 
elicbeo  VOD  Job.  Kniescbek  (Prag  1877.  Bibliothek  der  roittelhocbdeutscbeD 
Literatur  in  Böhmen,  hertnagegeben  von  E.  Martin). 


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58  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

Verwandten,  des  Erzbischofs  Ernst  von  Frag,  erlangte  den  Grad 
eines  Baccalaureus  an  der  prager  Universität,  war  mit  dem  Thron- 
folger, dem  spätem  (von  1378  an)  König  Wenzel  IV.  befreundet. 
Aber  nach  einigen  Jahren  kamen  sie  wegen  eines  Lehens  in 
Zwist,  das  ihm  der  König  nehmen  wollte,  und  Flaska  trat  von 
der  Partei  des  Königs  zurück.  Er  wurde  in  den  Unruhen  1403 
erschlagen,  in  einem  Treffen  seiner  Partei  (der  Adeligen)  mit  den 
Bürgern  von  Kuttenberg,  und  war  einer  der  bedeutenden  tecbi- 
schen  Adeligen,  den  man  wegen  seiner  Klugheit  und  üescbäfts* 
erfahning  lobte;  seine  Ansichten  waren  die  eines  Feadalherm,  aber 
sie  wurden  durch  seinen  persönlichen  Charakter,  durch  Bildung  und 
patriotisches  Gefühl  gemildert.  Er  war  auch  ein  gewandter  Schrift- 
steller. Es  wurden  ihm  viele  allegorisch-didaktische  Werke  zuge- 
schrieben; aber  nach  neuern  Untersnchuugen  kann  man  ihm  mit 
voller  Sicherheit  nur  zwei  zuschreiben.  Das  erste  davon  ist  „Der 
Nene  Rath"  („Nova  Rada",  1394 — 95),  wo  erzählt  wird,  wie 
König  Löwe  Boten  ausgesandt,  von  allen  Seiten  seine  Fürsten  and 
Herren  zur  Berathnng  versammelt  habe  und  jeder  dem  König 
nach  seinem  Verständniss  Bath  gibt.  Cechische  Kritiker  neh- 
men an,  dass  sich  die  Allegorie  auf  den  Hof  A^enzel's  IV.  be- 
ziehe. Die  Rathschläge  der  Thiere  bestehen  der  Hauptsache 
naoh  in  einer  allgemeinen  frommen  Moral;  der  Verfasser  sucht 
zuweilen  die  individuellen  Verschiedenheiten  der  Thiere  zu  be- 
obachten, lässt  z.  B.  den  Hasen  den  Rath  geben,  aus  dem 
Treffen  zu  fliehen,  den  Bären  —  gut  zu  trinken,  zu  essen  und 
nach  Lust  zu  schlafen,  das  Schwein  —  seinen  Wünschen  und  un- 
züchtigen Begierden  freien  Lauf  zu  lassen  u.  a.  w.;  aber  zugleich 
predigt  unmotivirt  der  Adler  lange  von  der  Gottesfurcht  mit  Bei- 
spielen aus  der  Heiligen  Schrift,  und  der  Schwan  schliesst  seinen 
Bath  mit  einer  Predigt  vom  Jüngsten  Gericht;  doch  die  allgemeine 
Moral  findet  manchmal  ganz  direct  Anwendung  auf  das  Cechische 
Leben;  der  Veriasser  gibt  in  seiner  Allegorie  dem  Konig  kühne 
und  vernünftige  Rathschläge,  die  von  dem  politischen  Charakter 
des  sohriftstellernden  Herrn  ein  vortheilhaftes  Zengniss  ab- 
legen.'   Dem  Smil   von  Pardubic  gehört  auch   eine  Sammlung 


'  Juhaun  Dubravelcj?  (Dubraviue)  tibenetztu  für  König  Ludwig  den 
„Neuen  ßath"  ins  L&teiniaohe  unter  dem  Titel  „Theriobnlia"  (Münibertc  lEäü, 
Krakau  1521,  Breslau  1614).  Eine  neue  deutsche  Ueberset^ung  vod  Weo- 
zig;    ,J)er  Nene  Rath  des  Herrn  Smil  von  Pardobio"  tLeipeig  1856).    I>ea 


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Die  Didaktik.  59 

cechischer  Sprichwörter  an  (Provei-bia  Flasskonis,  geaerosi  do- 
mini  et  baccalarii  Pragensis),  das  in  interessanter  Weise  von 
seinem  Sinne  für  Volk&thnm  Zeugniss.  gibt,  —  die  ^echischen 
Historiker  verzeichnen  diese  Erscheinung  mit  Befriedigung,  da 
z.  B.  sogar  bei  den  Deutschen  die  erste  SpricbwÖrtersammlung 
erst  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  erschien.  Ausser  diesem 
Nationalgefiihl ,  seinem  patriotischen  Unwillen  über  die  fremden 
EinSüsse,  weisst  man  bei  ihm  auch  auf  seine  Kenntniss  der 
altem  einheimischen  Werke  hin;  in  seinen  Werken  sind  Nach- 
klänge der  Yorausgegangenon  Literatur,  z.  B.  der  Alexandreis, 
DalimiPs  bemerkbar.  Er  selbst  war  den  folgenden  Schriftstellern 
sehr  wohl  bekannt:  von  ihm  sprach  mit  grosser  Hochachtung 
Cornelius  TonVsehrd,  der  berühmte  Jurist  des  lö.  Jahrhunderts, 
als  TOr  einem  „Cechen  guten  Andenkens";  mit  Lobeserhebungen 
äassert  sich  über  ihn  Lupäc,  der  Historiker  der  „Brüdergemeine" 
(der  Böhmischen  Brüder)  im  16-  Jahrhundert.  * 

Smil  von  Pardubic  wurden  noch  einige  andere  Werke  zuge- 
schrieben, allegorischer  und  moralisch-satirischer  Art,  —  die  auch 
hier  erwähnt  werden  mögen.  Aber  nur  eins  von  diesen  Werken 
tann  mit  Wahrscheinlichkeit  für  die  Arbeit  Smil's  gelten;  es  sind 
die  interessanten,,  Rat  hsch läge  eines  Vaters  an  seinen  Söhn" 
(„Rada  otce  k  synu"),  die  in  Manier  und  Vers  wirklich  an  den 
„Xeuen  Rath"  erinnern.  Der  Vater  will  in  dem  Sohn  einen 
„Ritter  aus  seinem  Stamm  erziehen",  und  gibt  ihm  viele  Lehren, 
die  in  Bezug  auf  das  Wesen   und    die  Sitten   des   böhmischen 


Titel  „Nener  Rath"  hat  man  verschieden  erklärt,  indem  man  ihn  entweder 
wf  einen  andern  „ßath"  („Rath  des  Vaters  an  den  Sohn"  —  „Rada  otce 
k  »;nu"),  den  man  auch  Smit  zuschreibt,  oder  auf  den  „Rath  der  Thieie*' 
(„Rada  zvihit"),  der  ihm  wabreuheinliuh  überhaupt  nicht  angehört,  bezieht; 
endhch  erklärt  ihn  Jiretek  (vielleicht  am  richtigsten)  einfach  mit  der  alten 
Gewohnheit,  ein  Werk  „neu"  zu  nennen,  wenn  es  zum  ersten  mal  aus  der 
Hand  des  Terfassere  kam. 

'  Der  „Neue  Eath"  wnrde  gedruckt  im  „V^lmr"  und  in  der  Ausgabe 
J.  Gcbauer's:  „Nova  Bada,  Bä»eb  pana  Smila  Flaiky  z  Fardubio"  (Pa- 
-mätky  Stare  literatury  Ceske.  I.  Prag  187ü).  Die  Werke  Smil's  haben  schon 
licmlich  viel  Untersnohungen  hervorgerufen,  z.  It.  Wocol's  Analyse  des 
„Neuen  Baths"  und  Biographie  des  Verfassers,  Casupis  1835;  Feifalik, 
„Studien  zur  Geschichte  der  altböhmischen  Literatur",  III;  Jirccek, 
Rokovet,  I,  194  —  195,  und  besonders  Gebauer  im  Vorwort  der  oben  er- 
wähnten Ausgabe. 


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60  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

Adels  im  14.  Jabiliunäert  intereesant  sind.  Vor  allem  ermabot 
er  den  Sohn  zar  Gottesfurcht,  zn  iobrünstigem  Gebet,  Reinheit 
des  Herzens,  dann  lehrt  er  ihn,  Wort  zu  halten,  die  Ehre  zu  wah- 
ren, „wie  es  die  Ritterregel  gebietet,  —  weil  es  nichts  Theuereres 
gibt  als  die  Ehre";  er  räth,  gegeu  alle  Menschen  gerecht  zu  sein, 
nicht  nach  fremdem  Gut  zu  verlangen,  aber  auch  das  eigene 
gegen  andere  ernstlich  zu  vertheidigen ,  freigebig  und  gnadig 
gegen  das  Gesinde  zn  sein  u.  s.  w.  Endlich  folgen  Rathschläge 
über  den  Umgang  mit  Damen,  die  den  bekannten  ritterlichen 
Begriffen  des  Mittelalters  entsprechen  und  ihren  besten  Ausdruck 
in  der  proren^alischen  Poesie  gefunden  haben.  Der  Vater  gibt 
dem  Sohne  diese  Unterweisung  als  nothwendig  für  das  „Ritter- 
thum";  er  lehrt  ihn  alle  guten  Frauen  ehren,  ihre  Ehre  ver- 
theidigen  und  preisen;  räth  treue  (Ritter-)Liebe,  —  die  Zu- 
neigung dex  Dame  solle  er  höber  aU  Gold  und  Edelsteine 
schätzen, — „es  gibt  nichts  WerthToUeres  als  sie  auf  der  ganzen 
Welt".  Der  Sohn  dankt  dem  Vater  für  die  Unterweisung  und 
verspricht  zuerst  „dem  lieben  Gott"  zu  dienen,  und  für  eine  gute 
Aufführung  Sorge  zu  tragen,  sodann  „allen  Frauen  und  Damen 
überhaupt  zu  dienen"  und  einer  Dame  vor  allen.' 

Smil  wurde  auch  der  „Streit  des  Wassers  mit  dem 
Wein"  („Svär  vody  s  vinem")  zugeschrieben,  aber  die  jetzigen 
Kritiker  nehmen  hier  einen  ganz  andern  Scbriftüteller  an.  Der 
„Streit"  ist  eine  recht  interessante  Erzählung.  Die  Sache  ver- 
hält sich  so:  ein  „Meister  der  Heiligen  Schrift",  d.  i.  wahr- 
scheinlich Magister  der  Theologie  (die  prager  Universität  war 
schon  gegründet)  hatte  sich  an  guten  Speisen  satt  gegessen  und 
viel  Wein  getrunken.  Im  Traume  schien  es  ihm,  als  habe  ihn 
ein  Engel  in  den  dritten  Himmel  getragen,  und  als  sähe  er  Gott, 
thronend  in  seiner  Herrlichkeit,  —  wie  wenn  Gericht  gehalten 
werden  sollte.  Das  Wasser  stritt  mit  dem  Wein  und  der  Meister 
hörte  alle  ihre  Reden.  Der  Wein  brüstete  sich,  dass  es  ohne  ihn  bei 
keinem  Gastmahl  abgehe,  und  mau  überall  den  Schluss  mit  ihm 
mache  als  dem  besten  Getränk.  Das  Wasser  antwortete,  dass 
Christus  gelbst  habe  Wasser  trinken  wollen,  dass  es  eins  von  den 
vier  Elementen  der  Welt  sei  u.  s.w.  Der  Streit  dauerte  sehr  hinge:' 
beide  Parteien  nahmen  oft  ihre  Zuflucht  zur  Heiligen  Schrift,  — 

'  UerausgeKebeD  in  „Slarob.  SkläiläDie"  V,  und  im  „Vybor".  Vergt 
Feifalik,  „Studien";  Gebauer,  „Kovi  Rada",  S.  9. 


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Die  Didaktik.  61 

das  Wasser  rühmte  sich,  dass  es  in  dem  bekannten  Teiche  Krank- 
heiten geheilt  habe,  daes  Christus  in  ihm  getauft,  dass  es  aus  sei- 
Der  Seite  geflossen  sei,  ,, alles  für  den  sündigen  Menschen",  dass 
es  die  Mutter  aller  Greatur  sei,  es  erfrische  die  Wiesen,  schmücke 
mit  Flüssen  Städte  und  Dörfer;  es  schilt  alsdann  den  Wein, 
dass  er  den  Menschen  zum  Narren  mache,  dass  er  Noah  und 
Lot  an  den  Rand  der  Sünde  und  des  Verderbens  geführt  habe 
II.  s.  w.  Der  Wein  antwortet,  er  stehe  im  Gegentheil  hoher, 
Christus  habe  Wasser  in  Wein  verwandelt,  aber  nicht  umge- 
kehrt; Christus  habe  sein  Blut  Wein  genannt,  aber  nicht  Was- 
Ber;  das  Wasser  sei  eine  sehr  verachtete  Sache,  in  ihm  lebe 
allerhand  Geschnieiss,  Wasser  tränken  Kuh,  Bferd  und  Ziege 
und  jedes  Kaubthier  saufe  es,  das  Wasser  giesse  man  unter  die 
Bank,  während  man  den  Wein  in  einem  reinen  Glase  aufbe- 
wahre; wenn  der  Mensch  tüchtig  Wein  trinke,  fühle  er  sich 
:iU  ein  rechter  Held,  obgleich  er  selbst  vielleicht  keinen  Gru- 
schen werth  sei.  Das  Wasser  siegte  aber  doch  in  dem  Streite, 
—  der  Meister  wacht  auf  und  erschrickt,  dass  das  Wasser  den 
Wein  verderben  könne  und  er  nichts  mehr  zu  trinken  habe: 
., Wasser  gibt  es  viel  auf  dieser  Welt,  aber  Wein  wenig  —  das 
ist  jedem  Kinde  bekannt."  Der  Meister  möchte  sie  versöhnen 
and  hält  selbst  eine  Kede:  Gott  habe  sie  in  gleicher  Weise  ge- 
Kchaffen,  indem  er  das  Wasser  für  die  Laien,  den  Wein  für 
den  geistlichen  Stand  bestimmte,  —  und  sie  sollen  zusammen 
leben,  wie  der  geistliche  Stand  nicht  ohne  den  Laienstand  und 
der  Laienstand  nicht  ohne  den  geistlichen  sein  könne.  Darauf 
räth  ihnen  der  Meister,  in  Frieden  und  ohne  Hass  zu  leben, 
nad  sich  nicht  darum  zu  bekümmern,  wer  mehr  Wein  trinke  als 
Wasser:  „denn  wer  mehr  Wasser  trinken  will,  der  bat  sicher 
nichts,  um  den  Wein  zu  zahlen  —  deshalb  stellt  dies  dem  Willen 
Gottes  anheim:  mag  jeder  trinken,  was  er  kann."  Die  Allegorie 
spielt  auf  die  Sitten  der  Geistlichkeit  an. 

Es  bleibt  noch  ein  Werk  zu  ei'wähnen,  in  welchem  man 
auch,  aber  wiederum  mit  Unrecht,  eine  Arbeit  Smil's  von  Par- 
dubic  sah:  „Der  Stallknecht  und  der  Schüler"  („Satrapa 
et  scholaris",  „Podkoni  a  Ääk",  gedruckt  unter  den  ältesten 
cechischen  Incunabeln,  Pilsen  1498).  Es  ist  das  wieder  ein 
„Streit":  ein  Stallknecht  und  ein  wol  schon  sehr  erwachsener 
Schüler  sind  in  einer  Schenke  zusammengetrofTcn  und  streiten 
über    ihre    gegenseitigen    Vorzüge.      Der    Verfasser    beschreibt 

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62  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

„satiriBcb",  aber  ziemlich  gutmüthig  H^e  nicht  beneidenswerthe 
Luge-,  aus  ihren  Urtheilen  kann  man  sich  unter  andern  einen 
Begriff  von  dem  Wesen  der  damalige»  Schülerwelt  bilden ,  das 
an  das  Burscnwesen  an  den  alten  Seminaricn  in  Kussland  er- 
innert. 

Die  angeführten  Werke  des  Uerrn  Smil  von  Pardubic  und  die 
anderer  Verfasser,  denen  die  letzten  der  genannten  Stücke  ange- 
hören, geben  ein  ziemlich  vollständiges  Bild  von  der  Poesie  der 
Gesellschaft  jener  Zeit.  Smil  gehörte  freilich  zu  den  gebildetsten 
Leuten  seiner  Zeit  and  war  ein  Patriot;  aber  trotz  seiner  Abneigung 
gegen  die  „Ausländer",  folgt  er  ihnen  in  literarischen  Dingen 
doch:. in  seinen^chriften  kommen  die  Geschmacksrichtungen  und 
Ideen  der  Feudalzeit  zum  Ausdruck,  die  von  den  Deutschen  ins 
(^echische  Leben  gebracht  waren,  und  die  literarische  Manier 
zeigt  einen  westeuropäischen  und  besonders  deutschen  Charakter. 
„Die  Rathschläge  des  Vaters  an  den  Sohn",  „Der  Rath  der  Thiere", 
„Der  Streit  des  Wassers  mit  dem  Wein"  und  endlich  „Der  Stall- 
Icnecht  und  der  Schüler"  sind,  obgleich  sich  ihre  Satire  auf  das 
^ecbiscbe  Leben  bezieht,  doch  von  der  Bekanntschaft  mit  deutschen 
Büchern  angehaucht.  Diese  Werke  wurden  mit  Erfolg  für  ein  frem- 
des Publikum  übersetzt,  wie  der  „Neue  Rath"  oder  „Tkadleöek", 
dessen  deutsche  Ausgabe  mit  unter  den  ersten  gedruckten  deut- 
schen Büchern  erschien  (hinsichtlich  des  „Tkadlecek"  vergl.  jedoch 
die  Bemerkung  auf  S.  57).  Wie  in  dem  eben  erwähnten  Gedicht 
der  Stallknecht  und  der  Schüler  satirisch  dargestellt  wird,  so 
geben  auch  andere  Werke  des  14- Jahrhunderts  spöttische  Erzäh- 
lungen: „von  den  Schustern",  die  um  ihrer  Trunkenheit  willen 
gescholten  werden;  „von  ungetreuen  Richtern",  die  um  Geld  ge- 
wissenlos bandeln;  „von  bÖsen  Schmieden",  die  den  Dieben  hel- 
fen; „von  Braueni",  welche  die  einfältigen  Bauern  betrügen; 
„von  Badern",  die  dem  Trünke  ergeben  sind  und  ihre  Sache 
schlecht  machen  —  schlecht  barbieren  und  Ader  lassen  u.  b.  w.' 

Mit  der  lateinischen  kirchlichen  Bildung  und  den  euroiiäi- 
scheu  Sitten  stellte  sich  bei  den  Cechen  auch  das  mittelalterliche 
Drama  ein,  in  der  allgemeinen  westeuropäischen  Form  des  My- 
steriums,   vermischt   mit   der    Posse.     Ursprünglich    kamen   die 

'  HerftUBgpgeben  mit  andern  Stücken  derseiben  IlandBchrift  von  A. 
Patera:  „HradetkJ  rukopia"  (Praji  1881;  PaniHtky  stare  lil  feske. 
Nr.  VIII). 


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Das  kirchliclie  Drama.  63 

Mysterien  bierfaer  in  lateinischem  Text,  dem  cecbische  Uebersetzun- 
gen  beigefügt  wurden.  In  den  Handschrifteu  des  14. — 16.  Jabr- 
hnnderts  haben  sich  einige  solche  Stücke  erbalten,  tbeilweise 
vollständig,  theilweise  in  Bruchstücken,  und  in  verEchiedenen  Re- 
ilactionen.  So  gibt  es  ein  cechischee  Bruclistück  aus  dem  „Ludus 
palmomm";  ein  Gespräch  des  gekreuzigten  Cbristun  mit  Maria 
und  Johannes,  die  sogenannte  „Webklage  der  Maria"  (in  drei 
Redactionen ) ;  „Ordo  triutn  peraonarum",  wo  erzählt  wird 
Tom  Kauf  der  Salben,  von  der  Ankunft  der  Frauen  am  (jrabe, 
dem  Gespräch  mit  Christus  und  der  Benachrichtigung  der  Apo- 
stel (ebenfalls  in  drei  Redactionen)  u.  a.  Zu  diesem  letztem 
Stoff  gehört  die  älteste  bekannte  Probe  des  ^echischen  religiösen 
Dramas:  ,,Der  Salbenkrämer"  („Mastickär")  aus  dem  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts.  Letzteres  ist  nur  ein  kleines  Fragment  eines 
Stückes,  das  eine  besondere  Redaction  des  Mysteriums  vom  Begräb- 
nisB  des  Heilandes  (Ordo  trium  personanim)  bildete.  Der  „Salben- 
krämer" zeichnet  sich  besonders  durch  die  Vereinigung  des  Ernsten 
and  Komischen  aus;  gleich  nach  sehr  starken,  sogar  groben 
Witzen  eines  Narren,  der  die  Rolle  eines  Dieners  des  Ver- 
känfers  spielt,  erscheinen  die  drei  Marien  auf  der  Scene  und 
stimmen  lateinisch  und  ^eehisch  einen  frommen  Gesang  vom 
Tode  des  Heilands  und  von  ihrem  Schmerz  an,  der  Verkäufer 
antwortet  ihnen  ebenfalls  ernsthaft  auf  lateinisch;  aber  darauf 
tritt  Abraham  mit  dem  verstorbenen  Isaak  auf,  den  der  Krä- 
mer mit  seinen  Mitteln  wiederum  auf  ganz  unanständige  Weise 
vom  Tode  erweckt. '  Ein  iechischer  Kntiker  hat  darauf  hin- 
gewiesen, dass  der  fechische  „Mastitkäi-"  auf  die  deutsche  Lite- 
ratur in  einige  Mysterien  übergegangen  ist,  welche  deutliche 
Spuren  einer  Bekanntschaft  mit  den  Cechen  und  der  techischen 
Sprache  tragen,  —  in  einer  von  ihnen  weist  er  den  ganzen 
Stoff  des  Mysteriums  nach,  dessen  Fragment  wir  in  dem  Jiechi- 
schen  Stück  sehen*;  der  gröbliche  Scherz  des  „Mastifkar"  ist 
insbesondere    gegen    die    Mönche    und    Nonnen    gerichtet.      Ein 


'  Der  „MaBtiSkär"  wurde  zum  ersten  mal  herauB^egelien  mit  Verhes- 
aeraugen  von  Ilaaka,  in  Starob.  Sklädänie,  V;  dann  zum  zweiten  mal  im 
nV>-bor". 

'Siehe  Nebesky,  Casopis  1847,  I,  3.  Heft,  S. 335-340;  HannS,  .^Die 
lateinisch-bübmischen  üaterapiele  des  14.  — 15.  Jahrhundert»",  S.  T0^T3 
(Pr^  1863). 


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64  Füuftea  Kttpitol.    L  Die  t^cben. 

anderes  dramatisches  Fragment,  der  Sprache  nach  ins  14.  Jahr- 
hundert gesetzt,  stellt  denselben  Gegenstand  in  ernstem  Tone 
dar:  die  auftretenden  Personen  sind  darin  Jesus,  Maria  Magda- 
lena, Petrus  und  Johannes,  drei  Engel  u.  s.  w. ' 

Die  6echiBche  Geschichtschreihung  begann  auch  lateinisch. 
Die  ersten  öechischen  Chronisten  schrieben  nach  dem  allgemeinen 
Gebrauch  Westeuropas  lateinisch  und  zeigten  die  gewöhnlicben 
Eigenschaften  der  mittelalterlichen  Chronisten,  deren  Gelehr- 
samkeit und  Fabelei.  Ausser  Kosmas  von  Prag  (gestorben 
1125)  wurden  andere  lateinische  Chroniken  geschiieben:.  Ton 
den  Mönchen  zu  Sazava  und  Opatovice;  von  Vincentius,  Ka- 
nonikus zu  Frag;  Gerlach,  Abt  zu  Milevsko,  Peter  von  Zit- 
tau; Franciacus,  Propst  des  Prager  Kapitels  u.  s.  w.  Dann  er- 
scheinen vom  14.  Jahrhundert  an  auch  Aunalen  in  cechischer 
Sprache  theils  in  der  Form  besonderer  Chroniken,  theils  in  der  von 
annalistischen  ISammel werken,  in  welche  auch  altere  Aufzeichoun- 
gen  gelangten.'  Das  älteste  und  berühmteste  der  böhmischen 
Jahrbücher  ist  eine  Reimchronik  vom  Anfang  des  14.  Jahrhun- 
derts, welche  gewöhnlich  einem  gewissen  Dali  mil  von  Meseritsch, 
Kanonikus  an  der  Kirche  zu  Buuzlau,  zugeschrieben  wurde.  Der 
Grund  dieser  Annahme  war,  dass  sich  der  spätere  Geschicht- 
schreiber  Häjek  auf  Dalimil  bezog;  wahrscheinlich  aber  war 
der  Verfasser  der  Chronik  ein  böhmischer  Ritter,  ein  Gelehrter 
und  Patriot,  in  der  Art  des  Smil  von  Pardubic;  dazu  bezieht 
eich  im  Anfang  dieser  Verfasser  selbst  auf  die  Bunzlauer  Chro- 
nik, welche  er  benutzt  hat.  In  der  Chrono  werden  die  Ereig- 
nisse der  böhmischen  Geschichte  von  den  ältesten  Zeiten  bis 
Johann  von  Luxemburg  (1314)  erzählt;  von  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts an  spricht  der  Chronist  nach    persönlicher  Kenntniss 


'  IKeses  Fragmeot  unter  dem  willkürlichen  Titel:  „Hrob  boii~'  |„Gnb 
Gottea")  ist  herAUSg^ebeo  in  Starobylä  Sklädänie,  III,  und  bei  Hanu^  Der 
letztere  gab  in  „Osterepitile"  nnd  „Msly  Vj'bor  ze  staroteske  literatory" 
(Prag    1863}    überhaupt    eine    ganze   Reihe    lateinisch  -  böhmischer    Stücke 

*  Palauk]',  „'Würdigung  der  alten  böhmischen  Geschieh tschrelb«r" 
(Prag  1830).  Die  alt&echiscben  Annalen  sind  von  Palack}'  in  dem  Werke 
geBammelt:  „StaH  letopisove  feSli"  („Scriptoree  rerum  bohemiearam''.  3.  Bd. 
1829).  Eine  böhmiacbe  Ueberaetznug  der  Chronik  des  Kosmos  von  Pnf 
machte  Tomek  „Pi-ameny  iijia  teskyoh"  (1873).  „Fantes  rerum  bohemi- 
carum"  (Tomus  I— III,  tum.  IV,  fasc.  1.     Prag  1871—82). 


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IHe  Chronik.  65 

der  EreiguisBe.  Daliiuil  gehört  allem  Anscheiu  nach  zur  Oppo- 
sitioD,  billigte  den  Einfluss  der  Deutschen  nicht,  und  spricht 
bei  jeder  Gelegenheit  seine  Antipathie  gegen  dieselben  aus;  als 
warmer  Patriot  war  er  um  die  Erhaltung  der  nationalen  Ehre 
und  der  heimischen  Sprache  besorgt,  wenn  auch  an  seiner  Mis- 
^nst  gegen  die  Deutschen  die  Antipathie  des  Adeligen  gegen  das 
Bärgerthum  theil  hat.  Er  kennt  sein  Land  sehr  gut,  schätzt 
die  Ueherlieferungen  des  böhmischen  Adels  hoch  und  ist  ein  für 
seine  Zeit  sehr  gebildeter  Mann.  Seine  Chronik  ist  zumeist  nur 
Versificirung  des  historischen  Stoffes,  doch  ist  sie  bisweilen  nicht 
ohne  poetischen  Wer tb.  DerEraählung  fügt  er  gute  patriotische 
Lehren  bei.  Nach  alledem  hat  die  „Chronik  Dalimirs"  schon 
»on  alters  eine  grosse  Popularität  erlangt;  ihre  zahlreichen 
HuDdschriften  beginnen  vom  14-  Jahrhundert  an,  in  verschiede- 
neo  Kedactionen;  in  dem  verhängnissvollen  Jahr  1C20  ward  sie 
zun  ersten  mal  gedruckt,  aber  gleich  damals  auch  verbrannt, 
sodass  sich  nur  einige  Exemplare  dieser  Ausgabe  erhalten  haben. ' 
Eine  andere  umfängliche  Chronik,  von  den  ältesten  Zeiten  bis 
1330,  in  Prosa,  ebenfalls  sehr  bekannt,  gehört  dem  Priester  Pui- 
kava  au  {Pfibyslav  oder  Pribik  Pulkava  z  Hradenina,  gest.  1380). 
Sie  war  ursprünglich  lateinisch  geschrieben,  im  Auftrag  Karl's  IV. , 
und  wurde  dann  von  Pulkava  selbst  ins  Cechische  Übersetzt,  Der- 
selbe Pulkava  hat,  wie  man  annimmt,  auch  die  Selbstbiographie 
Karl's  IV.  ins  Cechische  übersetzt.* 


'  Erstt  An--Bile  ,Kiouylti  starä  kliStera  BolBslawskeho;  o  Poslaup- 
DuBti  ki]j/it  a  hialft  Czi,Kkjth  u  s.w."  (Prag  1620).  Eine  zweit«  Ausgabe 
teranataltele  F  Proohftzka  „Kronika  Boleitlaweka  o  Poslaupnoati  etc." 
iProg  1186,  mit  Renovining  der  Sprache).  Die  dritte  und  folgende  Aus- 
fhmt  vou  Uanka:  „Dalimilova  Chrotkika  (eskä  v  nejdävnejii  Cteoi  oavrä- 
cena"  (Prag  1849,  1851, 1S7G).  Endlich  gab  eine  neue  wissenachaftliche  Aub- 
gibe  J,  JireEek:  „Rymovanä  kronika  fcskä  tak  hifeneho  Dalimila" 
(Pamätky  stare  literatury  feske,  II.  Pr^  187H)  uud  in  den  „Fontes  rerum 
tohemicarum";  ..Prameny  dfjin  Ceakj'ch",  III.  Ueber  Dalimil  in  der  Vorrede 
Jire(ek's  zu  seiner  Ausgabe  und  im  „Caaopia",  1879. 

Schon  im  14.  Jahrhundert  ward  Dalimil  ins  Deutsche  übersetzt,  wobei 
■eine  Härten  gegen  die  Deutschen  gemildert  wurden;  diene  Ueberaetzung 
i»t  auch  vou  Uanka  in  der  Sammlung  der  deutschen  Literarischen  Gesell- 
whaft  in  Stuttgart  herausgegeben:  „Dalimil'x  Chronik  von  Böhmen"  (Stutt- 
gart 1859). 

*  Die  Chronik    Pulkava's   ist  mit  Renovirung   der  Sprache  von   Pro- 
übäzka   herausgegeben  (Prag  IT86).     Bruchstücke  (hauptsächlich  nach  der 
frra,  SUiiuba  LlUrntunD.    n,  1.  5 

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66  Fünftee  Kapitel.    1.   Die  ^echeo. 

Endlich  entwickelte  sich  in  dieser  Periode  auch  die  Literatur 
des  cechischen  Rechts  bedeutend.  Wir  werden  nur  die  Haupt- 
werke nennen.  In  die  erste  Hälfte  des  14-  Jahrhunderts  fttUt 
das  sogenannte  „Buch  des  alten  Herrn  von  Rosenberg" 
(„Kniha  stareho  päna  z  Rozenberka",  Kämmerers  des  Königreichs 
Böhmen  1318 — 46,  gest.  I.'i47),  wo  dargestellt  wird,  wie  Alt 
Verhandlungen  in  den  Landgerichten  des  Königreichs  Böhmen 
zu  fuhren  seien  —  ein  bedeutendes  Denkmal  der  alten  Rechts- 
gebräuche in  Böhmen.  Ferner  das  „Landrecht"  („Räd  präfa 
zemskeho",  1348 — 55),  anfangs  lateinisch  geschrieben,  dann  frei 
ins  Öechische  übertragen,  —  ebenfalls,  wie  das  „Buch  des  Herrn 
von  Rosenberg",  die  Arbeit  eines  Privatmannes,  der  keinen  offi- 
ciellen  Einfluss  heeass.  Als  wichtiges  juridisches  Denkmal  sind 
ferner  zu  nennen  die  „Erklärungen  des  böniiachen  Landrecht-s"  des 
Andreas  von  Duba  (Ondfej  z  Dube,  gest.  1412;  „Vyklad  na 
prävo  zeme  ceske",  um  1400)  —  mit  einer  Widmung  an  König 
Wenzel,  die  nicht  weniger  interessant  ist  als  das  Buch  selbst.' 
Dann  sind  bekannt  die  aus  dem  Lateinischen  übersetzten  „Rechte 
der  GrosBstadt  Prag",  „Das  Magdeburger  Recht",  die  „Majestas 
Carolina"  Karl's  IV.  in  techischer  TJebersetzung,  Gerichts-  nnd 
Landtagsordnungen  u.  s'.  w.  Obgleich  im  böhmischen  Leben  des 
14.  Jahrhunderts  schon  viele  fremde  Einflüsse  herrschten,  so 
haben  sich  in  diesen  Büchern  doch  nicht  wenige  Rechtsgebräucbe 
erhalten,  die  aus  den  ältesten  Zeiten  stammen.  Unmittelbare 
Quellen  des  ältesten  böhmischen  Rechts  sind  spärlich  und  finden 
sich  der  Hauptsache  nach  nur  in  alten  Acten  und  in  den  Nach- 
richten der  Chroniken  vor. 

Endlich  seien  noch  einige  Werke  genannt,  welche  sich  aus 
dem  14.  Jahrhundert  erhalten  haben:  der  böhmische  „Alsnus" 
{1527  Verse),  ein  allegorisches  Gedicht  über  die  sittliche  Erneue- 


Handauhrift  von  143ti)  im  „Vyhor".  Die  erste  Ausgabe  der  Biographie 
Karl'a  IT.  fOlmütz  ir>55);  zweite  Ansgabe  von  Kr.  Tuiiihh  (Praff  WIU 
dritte,  nauli  eintr  iiH.ei]  Iliiiiilsührift  des  Ifi.  Jatirliunderla,  iio„Yybor";  oeuer- 
aingB  von  Emler,  ,.S|.is(ive  eitaH  Karla  IV."  (Prag  1878;  Pamilky  sUrv 
lit.  Eesk«,  Kr.  IV). 

'  Alle  geoannten  l)enkmäiei'  sind  iu  Palauky'B  „Arohiv  teskj'",  in  flemi- 
Jiroöek'fl  „Ciidex  jurin  bolieniici"  lierauHgegobeu.  AusBürdcm  wani  -.P"-'^ 
Buch  dea  alten  Herrn"  früher  von  Kueliarski  herausgegeben  und  in  neue- 
rer Zeit  von  Brandl:     .,Kaiha  Rozniberska-  (Pi-ag  1872). 


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Jaristiache  Literatur.    Verschiedene  Schriften.  67 

ning  des  Menschen.  Die  Natur  wünscht  Aea  von  den  Sünden  ge- 
knechteten Menschen  zii  vervollkommnen,  sie  beräth  sich  darüber 
mit  allen  Tugenden;  die  Weisheit,  begleitet  vom  Verstände,  den 
sieben  freien  Künsten  und  den  fünf  Gefühlen,  begibt  sich  in  den 
siebeuten  Himmel  (alles  das  wird  mit  fabelhaften  Eiozelbeiten 
beschrieben),  und  Gott  verspricht  die  Erlösung  des  Menschea 
durch  seinen  Sohn.  „Alanus"  ist  abgekürzt  und  von  einem  fechi- 
jcben  Versificator  wiedererzählt  nach  einer  lateinischen  Dich- 
tung „Anticlaudianus"  des  Alanus  von  Ryssel  (Alanus  ab  Insulis, 
gest.  1203).  Es  ist  dies  eine  Probe  der  scholastischen  Philosophie 
and  Rosmogonie  des  Mittelalters. '  Ferner  der  encyklopädische 
„Elucidarius'^,  der  in  ganz  Europa  bekannt  war  und  die  wissen- 
scbaftlichen  Kenntnisse  des  Mittelalters  nebst  einer  Menge  von 
Fabeln  und  Aberglauben  überlieferte,  welche  auch  als  wissen- 
schaftliche Kenntnis»  galten.  Den  cechischen  „Lucidär"  setzt 
man  schon  ins  14.  Jahrhundert.  Wie  in  andern  Literaturen  war 
dies  ein  sehr  gelesenes  Buch  und  die  erste  Ausgabe  wurde  zu  PilBen 
1498  veranstaltet.  Es  wurden  damals  auch  andere  Bücher  mora- 
lischen und  belehrenden  Inhalts  übersetzt,  wie  der  Gisiojanus, 
das  Paradies  der  Seele  von  Albertus  Magnus,  die  Distichen 
des  „Meisters"  Cato,  historische  und  geographische  Bücher  wie 
die  „Römische  Chronik"  (oder  der  sogenannte  „Martimianus"), 
übersetzt  von  Bene§  von  Hororic  zu  Ende  des  14.  oder  Anfang 
des  15.  Jahrhunderts,  femer  die  bekannte  Reise  Maundeville's, 
ans  dem  Deutschen  übersetzt  von  Laurentius  von  Bfezovä 
(VavHnec  z  Brezove;  gedruckt  Pilsen  1510—13  u.  ö.).  Endlich 
rühren  wir  noch  besonders  die  berühmte  Heise  Marco  Polo's  ins 
Mongolische  Reich  im  13.  Jahrhundert  an.  Die  im  14.  Jahrhun- 
dert entstandene  cechische  Uebersetzung  dieses  Buches,  unter  dem 
Namen  „Million",  hat  in  letzterer  Zeit  die  Aufmerksamkeit  der 
Historiker  auf  sich  gelenkt  durch  die  sich  darin  findenden  son- 
derbaren Uebereinstimmungen  mit  „Jaroslav"  der  Königinhofer 
Handschrift.  * 


•  Herausgegeben  in  Staroh.  Sklädänie,   111,   vergl.  Feifalik,    Studien 
elt,  IV. 

*  VergL  den  Artikel   Gebaner'e   in   Jagic's    Archiv    für    slav.   Phil. 


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^  FünfteB  Kapitel.     I.   Die  Cechea. 

i.  Die  hnsBitisclie  Bewegung  nM  das  „goldene  Zeitalter"  der  öechlschen 
Literatur. 

Die  neue  Periode  der  cechischen  Literatur  kann  man  ziem- 
licli  genau  mit  dem  15-  Jahrhundert  anfangen,  obgleich  der 
Wandel  der  Ideen  vom  14-  zum  15.  Jahrhundert  ein  allmäh- 
licher war.  In  Huss'  reformatorischen  Bestrebungen  sprach  sich 
in  der  That  eine  neue  Idee  aus,  welche  den  weitem  Gang  der 
Cechischen  Geschichte  bestimmte,  aber  in  andern  literarischen 
Richtungen  dauerte  die  vorhergehende  Entwickelung  fort,  mit 
der  auch  Huss'  Ideen  grossen  Zusammenhang  haben.  Deshalh 
werden  wir  bei  der  Geschichte  des  15.  Jahrhunderts  noch  ins 
14-  zurückkehren. ' 


'  Ueber  diese  l'eriode  dur  ceuhisehcu  Literatur  vergl.  im  allgirn 
„BohuBlai  Balbini  Bohemia  douta,  ed.  Rapliael  Ungar"  (1776).  ~  Ad. 
Voigt,  „Acta  litteraria  Bohemiae  et  Moravioe"  (1774—84).—  V.  Tomek, 
„Geechicbte  der  prager  UniTersität"  (Prag  1Ö49);  „DJjepia  mffltaPrahj",3.— 
4.  Bd.  —  V.  Hanka,  „Bibliografie  prvotiskBv  iSeskycb  od  14<Ui  az  da  1526 
leta"  (Prag  1853).  —  I.A.  H eifert,  „Miatr  Jan  Hus  oneb  poCätkove  cirkev- 
niho  rozdvujeni  v  Ceuhäcb"  (Prag  1857;  vom  katholiBebun  Standpunklt!. 
—  Eug.  Novikov,  „Pravoslavie  u  Ccchov",  1848;  „Hus  i  Ijutcr"  („Kuss  uoJ 
Luther"  in  „Rnaak,  Beaida"  und  twifioüdere  Broschüre,  ISftS.  Die  Uanptdar- 
Btellung  der  Anaicht  der  Slavophilon  in  dieser  Fn^(e).  —  A.  Hilfurding, 
„Hub.  Ego  otnoüenie  k  pravoalavnoj  ecrkvi"  (St.  Petersburg  1871)  und  in  ,.Ib1o- 
rija  ('echii".  —  V.  Nadler,  „Pritinj  i  pervyja  projavlenija  oppoeidi  kalii- 
licieiiiu  V  Ceohii  i  Kapaduuj  Evrope  v  kuncö  XIV  i  natalf  XV  v."  (CharkoT 
I8G4). —  A.S.  Klovanov,  „O'-erk  istorii  CeSakugo  vtToispovMnago  dviienijr' 
(in  „Ctenija  Moak.  Obä&."  1869,  TL.  3  u.  f.).  —  Conat.  Uöflcr,  „Gescbicht- 
sühreiber  der  liussitischen  Bewegung  in  Böhmen"  (3  Bde.  1856 — M);  „Uagialer 
Johannes  Hua  nnd  der  Abzug  der  deutaehen  FrofesBoren  und  Studeoteo 
aua  Prag  UOD"  (I'rag  18(i4).  t'cindliub  gegen  Iluaa  und  die  nationale  He- 
wegiing  der  Cechen.  —  Fr.  Palaeky,  „(ieachichte";  „Dejiny  doby  husitake- 
(umgearbeitet,  1871^72);  „Die  Vorlüurcr  des  Huaaitcuthuma  in  Böhmen'' 
(Prag  IHÜJ);  „Die  Ueaehiuhte  dea  HuBsitcnthums  und  Prof.  Conatantin  HOf- 
ler"  (Pri^E  18C8);  „Documenta  Mr.  J.  Hua  vitam,  doetrinam,  causam  iHu- 
atrantia.  Edidit  Franc.  Palaeky"  (Pragae  18«»).  —  Fr.  de  Bonnechost, 
„Jean  Hus  pt  le  uoncile  Je  CouBtance"  (2  Bde.  Paria  1844);  „Lettrea  ir 
Jean  Hub,  eeritea  durant  Non  exil  et  dans  sh  prtaoD,  tradniteB  du  latin  eu 
l'ran^aia"  (Paria  I84<1).  —  Erneat  Denis,  „Huas  et  la  guerre  dea  Huesit«*" 
(Paris  187KI.  —  Anton  Qindely,  „(ieachichte  der  böhmischen  Brüder" 
(2  Bde.  Prag  1&"(7— .'>»|;  „Rudolf  II.  und  seine  Zeit,  1600—161^"  [2  BJe. 
Prag  lK(i8);  „Quellen  zur  Geschichte  der  böhmischen  Brüder"  (Wien  ISöHi: 
„Di-jiny  feskcho  povstaui  ICIS"  (biajetzt  3  Theilc). 


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Das  Hussitentham.  69 

Die  F.ntwickelung  der  cechischen  Literatur  im  14-  Jahrhun- 
dert kräftigte  sich  beBonders  infolge  davon,  dass  sich  die  Bil- 
duDgsroittel  erweiterten  und  der  Wohlstand  des  Landes  unter 
der  Regierung  Karl's  IV.  wuchs.  Einen  überaue  grossen  Einäuss 
hatte  dabei  die  Gründung  der  prager  UniTersität  (1348);  zwar 
wurde  auch  hier  wie  an  den  andern  Hochschulen  Westeuropas 
die  Wissenschaft  in  lateinischer  Sprache  vorgetragen,  aber  das 
Latein  war  sehr  verbreitet  und  die  Bildung  fand  Eingang  im 
ganzen  Lande.  Andererseits  trug  zu  einer  Kräftigung  der  lite- 
rarischen Thätigkeit  auch  die  Theilnahme  an  der  deutseben  Bil- 
doDg  beträchtlich  bei.  Die  Zeit  Karl's  IV.  und  seines  Sohnes, 
Wenzel's  IV.,  wird  überhaupt  als  die  Glanzperiode  der  öechi- 
schen  Bildung  anerkannt. 

Die  Kenntniss  der  lateinischen  Sprache  verbreitete  sich  im- 
mer mehr;  in  den  religiösen  Streitigkeiten,  welche  jetzt  die  all- 
gemeine Aufmerksamkeit  der  Nation  auf  sich  lenkten,  war  diese 
Kenntniss  auch  unumgünglich  nothwendig.  Wir  begegnen  des- 
halb einer  ganzen  Menge  lateinischer  und  anderer  fremdländischer 
Wörterbücher,  die  eine  starke  literarische  Bewegung  und  Ver- 
bindung der  Cechen  zu  jener  Zeit  bekunden.'  Ausser  der  latei- 
nischen Sprache  findet  man  in  diesen  Wörterbüchern  die  grie- 
chische, deutsche  (am  häufigsten),  französische,  italienische,  un- 
garische und  polnische.  Das  Latein  war  die  Universalspracbe, 
and  die  cecbiscben  Schriffsteller  liebten  es,  wie  die  andern  eu- 
ropäischen Schriftsteller,  ihre  Namen  zu  übersetzen  oder  nach 
lateinischer  Art  umzufoimcn.  Die  Ausbreitung  der  Kenntnisse 
zQEKmmen  mit  der  stürmischen  religiösen  Bewegung  verbrei- 
tete die  literarische  Thätigkeit  ausserordentlich,  sodass  vom 
15.  Jahrhundert  an  eine  grosse  Masse  von  Werken  auf  den  ver- 
srhiedensten  Gebieten  erscheint. 

Wir  wollen  zunächst  bei  jenen  romantischen  mittelalterlichen 
Stoffen  stehen  bleiben,  die  sich  bei  den  t'echen  schon  seit  dem 


'  EUn  kleines  Wörterbuch  ward  von  einem  der  Haupt  Vertreter  des  ge- 
mäßigten HuBsitentbumB  Kokycana  vcrfasst;  andere  Worterbüchci-  Bind: 
„Mammotrectus",  „Hymuarius",  ferner  das  „Olniützev",  das  „Wiener"  drei- 
f|)rai:bige,  aber  besonders  der  „Luctifer",  darauf  im  lil.  Jahrhundert  das 
latciniach-Eechiseh-dcntsche Lexikon  von  Petrua  Codicillus  (oder  Knizka), 
..Sjlva"  und    „Nomendator   quailriiinguiB "   von    Vclefllavin    und   vieie 


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70  Füuftea  Knpitel.    1.  Die  Cechen. 

14.  Jahrhundert  fest  einbürgerten.  Die  mittelalterlichen  Dichtun- 
gen und  der  später  daraus  erwachsene  Roman  in  Vers  und  Prosa 
gehen  in  die  cechische  Literatur  in  ihrem  ganzen  weiten  Unifung 
aber.  Aus  den  antiken  S^enkreisen  wurde  die  berühmte  „Histo- 
ria  destructionisTrojae"  des  Guido  dalle  Colonne  1411  über- 
setzt und  als  erstes  6echiEcheB  Buch  gedruckt  in  Pilsen  1468,  dann 
Frag  1488  und  noch  einigemal,  weil  es  eine  sehr  beliebte  Lek- 
türe war;  ApoUoniuB  von  Tyrus,  bekannt  in  einer  Handschrift 
vom  Jahre  1459  und  oft  gedruckt.  Von  den  geistlichen  Romanen 
erfreuten  sieb  keines  geringen  Erfolges:  Bari  aam  und  Josaphat, 
von  dem  Handschriften  seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhun- 
derts bekannt  sind  (herausgeg.  1504  u.  ö.);  Joseph  and  Asse* 
nach  („Kniba  o  Josefovi  a  Assenach  [Aseneth]  maniJelce  jebo", 
Handschrift  1465,  herausgegeben  1570),  eine  bekannte  apokryphe 
Geschichte  vom  alttestamentlichen  Joseph;  Solfernus  („Sol- 
fernuB  aneb  iivot  Adamäv"),  ein  Roman,  der  den  Streit  der 
tenflischen  Heerschaaren  mit  Gott  um  den  Himmel  erzählt,  über- 
setzt aus  dem  Lateinischen  in  der  ersten  Hälfte  des  15- Jahrhun- 
derts, umgearbeitet  von  Häjek  von  Libocan  und  herausgegeben 
von  Sizt  von  Ottersdorf  im  Jahre  1553  u.  a.  Eine  Menge  mit- 
telalterlicher Romane  und  Erzählungen,  welche  in  die  ceclii- 
sche  Literatur  übergegangen  waren,  cursirte  in  HandBcbriflen 
und  wurde  gedruckt,  z.  B.  die  bekannten  Romane:  Flore  et 
Blancheflore  (,,Velmi  peknä  novä  kronika  aneb  historia  vo 
velikc  miloBti  kniJete  a  kräle  Floria  a  jeho  mile  pani  Biauce- 
fore",  1519  u.  ö.);  die  Geschichte  von  der  Melusine  (Kronika 
kratochvilnä  o  pannü  Mel.,  1555  u.  ö.);  vom  Ritter  Peter  und 
der  Fürstin  Magelone  (Königgrätz  156Ö);  Erzählungen  Boc- 
caccio's,  bekannt  aus  einer  Handschrift  des  15.  Jahrhunderte; 
die  Erzählung  von  Kaiser  JovinianuB;  von  den  Sieben  Weisen 
(„Kratocbvilnä  kronika  o  sedmi  mudrcicb");  von  Fortunatus; 
von  Till  Eulen  Spiegel;  dieGcBpräcbe  Salomo's  mit  Markolf 
und  viele  andere  ähnliche  Werke,  deren  nächste  Quelle  die  deutsche 
Literatur  war.  Diese  und  ähnliche  Geschichten  waren  bei  den 
Cecben  ebenso  populäre  Bücher  wie  in  ganz  Europa,  anfangs 
als  Lektüre  der  Ritter  und  des  höhern  Standes,  dann  aber  auch 
beim  Volke,  in  welchem  sie  zum  Theil  noch  bis  zu  diesem  Augen- 
blick leben.  Es  gab  auch  originale  Goscbicbteu  in  diesem  Ge- 
schmack. Dahin  gehören  z.  B.  die  Geschiebte  vom  cechischen 
Fürsten  Stillfried   und    seinem  Sohne  Brunswik  und  von 

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Die  Bomantä.  71 

der  Jungfrau  Vlasta  (einer  cechigchen  Amazooe),  bekannt  in 
Ausgaben  des  16.  Jahrhunderts;  die  Erzählang  von  einem  Mann 
aas  dem  Ritterstande  Pale^ek  (Prag  1610  u.  Ö.),  eine  morali- 
sche Erzählung  von  Bartolomäua  Paprockj'  (Prag  1601  u.  ö.). 
Die  Geschichte  des  Stillfried  gehört  eigentlich  einer  frühern  Zeit 
an;  in  Handschriften  ist  sie  aus  dem  15-  Jahrhundert  bekannt, 
aber  ursprünglich  verfasst  wurde  sie,  wie  man  glaubt,  schon  im 
14.  Jahrhundert,  in  der  Form  einer  versificirten  Erzählung. '  In 
der  Folge  gingen  diese  alten  Erzählungen  auch  in  die  Kategorie 
der  populären  Lektüre  über,  besonders  als  für  die  £echische  Lite- 
ratur die  Zeiten  des  Verfalls  eintraten. 

Wir  haben  oben  gesehen,  dass  ausser  dem  „Gericht  der  Li- 
busa"  und  der  Königinhofer  Handschrift,  welche  für  den  Aus- 
druck einer  rein  nationalen  Richtung  galten,  jetzt  aber  so  stark 
Terdächtig  werden,  die  dechische  Literatur,  wie  das  ganze  poli- 
tische und  sociale  Leben,  in  Form  und  Inhalt  einen  so  starken 
lateinisch- deutschen  Eiuäues  zeigt,  dass  dieser  EinQusB  eher  für 
sehr  alt  und  allgemein  gelten  muss.  Endlich  wurden  vom 
14.  Jahrhundert  an  in  der  Literatur  die  Stimmen  lauter,  welche 
eine  Wiederherstellung  der  nationalen  Ehre  und  der  Volkssprache 
Terlangten.  Solche  Patrioten  waren  der  Verfasser  der  DalimiP- 
schen  Chronik,  der  Dichter  der  Alexandre'is,  Smil  von  Pardubic 
n.  a.  Diese  ersten  patriotischen  Aufrufe  des  14-  Jahrhunderts 
bereiten  uns  auf  die  nationale  Bewegung  vor,  die  sich  in  Böh- 
men zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  mit  Huss'  Auftreten 
Töllzog. 

Die  Bewegung  war  im  Grunde  rein  religiös,  erhielt  aber 
schon  bald  die  weiteste  nationale  Bedeutung.  Dass  die  reli- 
giöse Frage  hier  in  erster  Linie  stand,  und  dann  einen  so  um- 
lässendea  Umschwung  herbeifuhren  konnte,  wie  er  bei  den  Cechen 
im  15.  Jahrhundert  stattfand,  —  das  erklärt  sich  durch  die 
mittelalterliche  Bedeutung  der  religiösen  Interessen  und  der  ka- 
tholischen Kirche  in  Westeuropa  überhaupt,  und  durch  die  be- 
sondere Lage,  welche  diese  Kirche  in  Böhmen  einnahm.  Der 
Katholicismus  war  nicht  ganz  friedlich  nach  Böhmen  gekommen, 


'  Abgedruckt  in  „Vybor'',  II.  Die  Geschichte  vom  fechisuhen  Küoigs- 
<ohn  BruDBvik  war  auch  in  der  russischeu  Literatur  des  17.  JahrhuQderts 
bekannt.  S.  Vypin,  „Oterk  stai.  povSfltej",  B.  223-227  (1857).  JiteCek, 
«Die  Echtheit",  S.  123. 


.....Gooj^lc 


72  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

nnd  die  lateinische  Kirclie  collidirte  gleich  von  Anfang  an  mit 
den  IntereBsendes  Volks  und  der  Nationalität,  —  sie  brachte 
eine  Aenderung  in  die  staatliche  Ordnung,  indem  sie  den  Prä- 
tenEionen  des  Klerus  und  dem  Feudalweseii  den  Weg  bahnte; 
ihr  lateinischem  Kirchenwesen  und  ihre  Bildung  waren  den  Massen 
unverständlich;  um  das  materielle  Wohl  der  Geistlichkeit  besorgt, 
kümmerte  sie  sieb  zu  wenig  um  das  Volk;  dazu  hatte  dieses  Volk 
keine  römischen  Traditionen,  aber  dafür  sollen,  wenn  auch  nur 
dunkle,  Erinnerungen  au  eine  eigene  slaviscbe  Kirche  vorhanden 
gewesen  sein.  Die  politischen  und  socialen  Misbräucho  der 
Geistlichkeit,  welche  die  Güter  zum  Nachtheil  des  Volkswohl- 
standes besass  und  der  Sittlichkeit  des  Volks  Aergerniss  gab, 
und  die  Misbräuche  der  königticben  Gewalt,  welche  sowol  das 
Nation RlgeTiibl  als  die  Freiheiten  des  Landes  verletzte,  unter- 
gruben von  verschiedenen  Seiten  die  Autorität  und,  als  gegen 
diese  Autorität  das  erste  starke  Wort  gesprochen  wurde,  erwachte 
in  der  Masse  das  bewusste  Bedürfniss  einer  neuen  Ordnung. 

Die  vorhergegangene  Periode  hatte  schon  dieses  Bewusst- 
sein  vorbereitet,  vor  allem  auf  kirchlichem  Boden.  Die  Ent- 
wickelung  der  cecbischen  Literatur  unter  Karl  verbreitete  die 
Bildung  bedeutend  und  lenkte  die  Aufmerksamkeit  auf  sitUicbe 
und  religiöse  Fragen.  FJne  leichte  Ironie  über  das  Leben  der 
Geistlichkeit  leuchtet  schon  in  den  satirischen  Stücken  durch, 
welche  Smil  von  Pardubio  zugeschrieben  werden.  Aber  allmäh- 
lich erweiterte  sieb  die  Frage,  von  den  partiellen  Mängeln  ging 
sie  auf  die  allgemeinen  Ursachen  über,  und  nahm  endlich  einen 
nationalen  Charakter  an.  Eine  Opposition  gegen  die  bestehende 
kirchliche  Ordnung  trat  zuletzt  unter  der  Geistlichkeit  selbst  bei^ 
vor:  Karl  IV.  selbst  wies  den  Papst  auf  die  kirchlichen  Unord- 
nungen hin  und  beschützte  Prediger,  vfie  den  Deutschen  Konrad 
Waldhauser  {gest.  1369;  erverfasste:  eine  lateinische  Apologie 
gegen  die  Dominikaner  und  Augustiner;  Poetilla  studentium 
sanctae  Pragensis  Universitatis  super  Evangelia  dominicalia)  und 
den  Cechen  Johann  M  i  1  i  t  (Milic  z  Kromeri'ie  [von  Kremsier],  gest 
1374),  welche  eifrig  gegen  die  weltliche  und  kirchliche  Verderbniss 
predigten,  sodass  diejenigen,  denen  diese  Lehren  nicht  gefielen,  auf 
den  Gedanken  kamen,  sie  der  Ketzerei  zu  beschuldigen.  Milic  war 
schon  ein  charakteristischer  Vertreter  der  nahenden  religiösen  Er- 
regung, obgleich  er  noch  durchaus  nicht  aus  den  bestehenden  ka- 
tholischen Formen  hinausging.  Nachdem  erPriester  und  Kanonikns 


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Die  Torlänfer  tou  Hau.  73 

geworden  war,  diente  er  in  der  königlichen  Kanzlei,  empfing  zur 
Belohnung  eine  gute  Stelle  und  Einkünfte  am  St.  Veitsdom  in 
Prag,  und  machte  sich  nach  dem  Beispiel  WaldhauBer'ü  au  die 
Predigt.  Sie  hatte  anfangs  keinen  Erfolg,  mau  lachte  ihn  aus, 
aber  „der  starke  Geist,  der  in  ihm  nach  Gottes  Gnade  loderte", 
gab  ihm  Macht  über  die  Geister.  Die  Kraft  der  Predigt  wurde 
darch  strenge  Ascetik  und  Uneigennützigkeit  des  Predigers  ver- 
stärkt. „In  Leben  und  Kleidung  war  er  bescheiden,  sogar  Über 
das  Mass",  sagt  man  ron  ihm,  „was  er  hatte,  gab  er  den  Armen, 
sieh  selbst  vergessend.  Gewöhnlich  predigte  er  jeden  Tag  zwei- 
mal, zuweilen  drei-  und  viermal.  Gelehrte  Leute  wunderten 
ach  über  die  Schnelligkeit,  mit  der  er  seine  Predigten  verfasste. 
Für  die  Studenten  und  Priester  hielt  er  seine  Predigten  latei- 
niBch,  in  reifern  Jahren  lernte  er  noch  deutsch.  Streng  gegen 
sieb  selbst,  schreckte  er  vor  der  Anklage  selbst  der  mächtigsten 
Leute  nicht  zurück,  wodurch  er  sich  gefährliche  Feinde  zuzog, 
vor  denen  ihn  nur  die  Protection  KarPsIV.  und  des  Erzbischofa 
lon  Prag  rettete."  Doch  entging  Milic  den  Verfolgungen  nicht: 
in  seinem  frommen  Eifer  hatte  er  unter  anderm  behauptet,  der 
.\ntichnst  sei  sichtbar  auf  der  Erde  erschienen,  und  einstmals 
hatte  er  ihn  in  Karl  IV.  selbst  gezeigt;  viele  aus  der  Mitte  der 
Geistlichkeit  waren  gegen  ihn  stark  aufgebracht;  Milic  kam 
nederbolt  ins  Gefangniss,  reiste  nach  Rom,  fand  Protectoren  am 
Hofe  des  Papstes  und  starb  zu  Aviguon.'  Milic  war  noch  eng 
an  die  Autorität  der  Kirche  gebunden,  aber  konnte  schon  kein 
rabiger  Zuschauer  des  lockern  Treibens  in  den  bürgerlichen  und 
tirchlichen  Kreisen  mehr  sein.  Die  starke,  aufrichtige  lleberzeu- 
gnng,  mit  der  er  sprach,  musste  den  ebenso  aufrichtigen  Wunsch 
erzeugen,  weiter  zu  gehen  in  den  Anklagen  des  Uebels  und  im 
Sachen  der  Wahrheit.  So  trat  ein  Schüler  von  ihm  auf,  Mat- 
thias von  Janor  (Matej  z  Janova,  gest.  1394),  ein  gelehrter  Tbeo- 
log  und  „Pariser  Magister",  aus  einem  ritterlichen  Geschlecht;  er 
ging  in  der  Predigt  des  unverfälschten  Christenthums  noch  kühner 


'  Die  Werke  des  Milif  waren  in  Handschriften  sehr  verbreitet.  Von 
ihneo  ist  bekannt  „I>ie  Poetille"  und  daa  Bucli  „Deber  die  groBBen  Trüb- 
•»Ic  der  heiligen  Kirche  und  jeder  gläubigen  Seele,  welc'lie  «ie  vom  Drachen 
in  den  letzten  Tagen  deB  AntichriBt  zu  leiden  halMin"  („0  zarnmcenich  ve- 
likych  etc.",  herausgegeben  1542),  Ueber  MiliC  bei  Palfteky  n.  a.,  auch  Rn- 
koiM,  U,  30—33. 


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74  Fflnft«B  Kapitel.    L  Die  Rechen. 

vor  als  Milit;  in  einem  grossen  theologischen  Werke  („De  regulis 
Veteris  et  Novi  Testamenti")  vertheidigte  er  die  Schrift  gegen  die 
kirchliche  Tradition  und  die  reine  Lehre  Christi  gegeu  die  spä- 
tern  Zusätze  menschlichen  Klügeins;  auch  er  hatte  sich  dem 
kirchlichen  Gericht  zu  nnterziehen  wegen  Beschuldigung  der 
Ketzerei. 

Aber  der  bedeutendste  von  den  Schülern  des  Milic  war  der 
Ritter  Thomas  StitnJ  {Tomas  Stitnj?  oderTöma  ze  86itneho,  geb. 
13U5 — 26,  gest.  um  14CÜ).  Nachdem  er  zu  Hause  den  ersten 
Unterricht  in  streng  religiösem  Geiste  empfangen  hatte,  &tudirte 
er,  wie  es  scheint,  in  einer  Klosterschule,  und  bezog  dann  die  eben 
gegründete  prager  Universität,  wo  er  Philosophie,  Theologie  und 
kanonisches  Recht  studirte.  Die  „feurigen  Worte"  der  damah> 
gen  Prediger  machten  einen  starken  Eindruck  auf  ihn,  und  er 
ward  ein  eifriger  Anhänger  des  Miliö,  unter  dessen  Einöuss  er 
auch  Schriftsteller  wurde.  Sti'tn^  ist  einer  der  bedeutendsten 
Männer  des  14.  Jahrhunderts ;  in  Bezug  auf  Klarheit  äes 
Verstandes,  patriotische  Denkweise,  Leichtigkeit  und  Flnts 
der  Sprache  stellt  man  ihn  an  die  Spitze  der  Schriftsteller 
seiner  Zeit.  Seine  Werke  sind  ausschliesslich  der  christlichen 
Philosophie  und  Ethik  gewidmet.  Die  damalige  christliche 
Philosophie  ging  in  der  bekannten  scholastischen  Theologie 
auf  und  die  gewöhnliche  Sprache  der  gelehrten  Magister  war 
das  Latein.  Ktitny  ging  von  der  Gewohnheit  ab,  sowol  im  In- 
halt  als  in  der  Form :  seine  Philosophie  ist  nicht  jene  trockene 
theologische  Casuistik,  wie  sie  bei  den  Schulgel'ehrten  herrschte; 
im  Gegentheil  er  mied  die  unfruchtbaren  Spitztindigkeiten  der 
Scholastik  und  stellte  mit  einfachem  Gefühl  seine  religiöse  Phi- 
losophie dar,  deren  Hauptzweck  die  lebendige,  praktische  Beleh- 
rung war,  bestimmt  nicht  für  die  Gelehrten,  sondern  fUr  jeden 
Leser.  Seine  Philosophie  ist  ein  gemässigter  christlicher  Mysti- 
cismus,  gerichtet  auf  die  sittliche  Besserung  der  Menschen.  Das 
lag  durchaus  nicht  im  Geiste  der  damaligen  Schulgelehrsamkeit, 
und  in  der  That,  die  Werke  Sti'tny's  wurden  von  den  zünftigen 
Theologen  sehr  feindlich  aufgenommen:  man  verurtheilte  ihn, 
dass  er,  ohne  selbst ,, Magister"  zu  sein,  sich  mit  Dingen  beEaBse, 
die  nur  „Magistern"  zukamen,  und  die  hohe  Wissenschaft  profanire. 
indem  er  von  ihr  zum  Volk  rede.  Stitn^  wollte  sich  in  der  That 
an  das  Volk  wenden  und  brauchte  deshalb  in  seinen  christlich- 
pliilosophischeu  Abhandlungen  die  cechische   Sprache.     Hierbei 


Die  Vorläufer  von  IIum.  75 

mosste  er  sich  ebenfalls  wieder  vertheidigeQ:  auf  daB  Beispiel  des 
Apostels  PauIuB  hinweisend,  der  seine  Briefe  an  jedes  Volk  in  der 
diesem  verständlichen  Sprache  geschrieben  habe,  sagt  er:  „Ich 
«erde  cechisch  schreiben,  weil  ich  ein  Ceche  bin,  and  Gott  der 
Herr  liebt  den  Öechen  ebenso  wie  den  Lateiner."  Die  Werke 
ätitny's  bestehen  aus  kleinen  Tractaten  über  verschiedene  Gegen- 
etande  der  christlichen  Lehre  und  Ethik;  bisher  sind  ihrer  gegen 
26  gefunden  worden,  zum  Theil  in  Sammelbände  vereint.  Das 
Hauptwerk  in  Bezug  auf  christliche  Philosophie  war  „Re6i  be- 
sedni"  (oder  „Eozmluvy  ndboiSne"  —  „(Jnterhaltnngen"  oder 
„Religiöse  Gespräche"  zwischen  Vater  und  Kindern);  in  Bezug 
anf  christliche  Moral:  „Koiiky  sestery  o  obecn^ch  veeech  kre- 
sfansk^ch"  („Sechs  Bücher  über  allgemeine  christliche  Dinge") 
und  „Kniby  nanceni  krestansk^ho "  („Bücher  der  christlichen 
Lehre").  Alle  diese  Tractate  sind  in  zwei  Bearbeitungen  er- 
halten, vom  Jahre  1375—1400.' 

Alle  diese  Vereache  einer  Kirchenverbeeserung  und  zugleich 
patriotischen  Vertbeidigung  der  Nationalität  erlangten  erst  öffent- 
liche Macht,  als  der  berühmte  Magister  Johann  Hues,  Prediger 
an  der  Bethlebemskapelle  in  Prag,  Professor  und  später  Rector 
der  prager  Universität,  als  Führer  derselben  auftrat.  Johann  Huss, 
die  grÖsste  Persönlichkeit  in  der  böhmischen  und  ein  berühmter 
Name  in  der  Weltgeschichte,  war  geboren  1369  zu  Husinec  im 
Kreise  PracheA  (jetzt  Pisek).  Ans  seinen  frühern  Jahren  ist 
nur  bekannt,  dass  er  in  Prag  studirte;  1393  wurde  er  Bacca- 
laureuB,  1394  legte  er  die  Prüfung  zum  Baccalanreus  der  Hei- 
ligen Schrift  ab,  139ti  wurde  er  Magister  der  freien  Künste. 
Von  da  au  begann  er  selbst  an  der  Facultät  der  freien  Künste 


'  Die  Werke  Stituy'B,  zu  ihrer  Zeit  selir  bekannt,  vurden  im  19.  Jahr- 
bandert  fast  neu  entdeckt.  Palsck^  lenkte  zuerst  die  Aufmerkaanikcit  auf 
ihre  bistorisühe  Bedeutung;  seitdem  haben  sich  viele  fechische  Gelehrte  mit 
ihrer  Erforsi'bung  beschäftigt,  wie  f^elakovsky,  Jungmann  (in  „Roz- 
bor"  der  altCeoh.  Literatur),  Cupr  (Öasopis  1817,  II),  J.  Wenzig  (Studien 
ober  Kitter  Th.  von  ätftnc.  Leipzig  18ö6),  L  HannS  („Rozbor  filosofie 
Tomiiö  M  St.".  Prag  1852);  Job.  JireSek  (Casopis,  1861;  Rukovfit,  II, 
26fi— 272)  u.  a.  Ausgaben:  Umfängliche  Auszüge  im  „Vybor",  I;  femer 
gab  die  „Enizky  iestery  o  obecnfch  vfecuh  kfeefanskjch"  K.  Jar.  Erben, 
luit  einer  Biugraphie  Stitny'a  (zur  Erinneriing  an  die  OrÜDdung  der  prager 
L'nivcrsität  vor  500  Jahren;  Prag  1850)  heraus;  „Tomy  ze  ätitneho  bnihy 
■»uieoi  k^stanskeho"  gab  A.  Vrtatko  heraus  (Prag  1873). 


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76  Fünftem  Kapitel.    I.  Die  Gecken. 

ZU  lehren,  sowie  auch  in  der  theologischen  Facultät  und  ward 
bald  eine  der  thätigsteu  Mitglieder  der  Universität.  In  den 
Jahren  1401 — 1402  war  er  Dekan  seiner  Facultät.  Um  dieselb« 
Zeit  ward  er  Prediger  an  der  ßethlehemskapelle  und  emptiog 
dabei  die  PrieBterweihe.  1402 — 1403  ward  er  zum  Rector  der 
drei  Facultäten  erwählt,  womit  er  die  Professur  und  das  Predigt- 
amt verband.  Als  Mann  von  aufrichtiger  Frömmiglceit  kounte 
er  der  allgemeinen  Frage  des  kirchlichen  Lebens  gegenüber,  die 
zu  Ende  des  14.  Jahrhunderts  erhoben  war,  nicht  gleichgültig 
bleiben;  wie  Milic  machte  er  durch  seine  Predigten  eiuen  star- 
ken Eindruck  auf  das  gesammte  prager  Publikum,  wobei  er  sich 
einerseits  warme  Freunde,  andererseits  unversöhnliche  Gegner 
zuzog.  Aber  wie  Mili6  und  ätftny  wich  er  im  Wesen  der  Sache 
noch  nicht  von  den  katholischen  Lehren  ab,  genoss  sogar  das 
besondere  Vertrauen  des  prager  Erzbischofs.  Wahrscheinlicb 
war  der  Ruf  seiner  Predigten  und  seines  tadellosen  Lebens  da 
Anlass,  dass  die  Königin  Sophia,  die  Gemahlin  Wenzel's  IV.,  ihn 
zu  ihrem  Beichtvater  erwählte.  Kirchliche  Misbrauche,  Zwistig- 
keiten  selbst  im  höhern  Klerus  der  römischen  Kirche,  der  Skandil 
der  drei  gleichzeitigen  Päpste  u.  s.  w.  ei'weckten  noch  mehr  Sym- 
pathie für  die  anklagende  Predigt,  und  Huss  hatte  Parteigänger 
nicht  nur  im  Volke,  sondern  auch  am  Hofe  und  im  höhern  Adel. 
In  noch  lebhafterer  Weise  ward  die  Kirchenfrage  erhoben,  als  der 
Freund  des  Huss,  Hieronymus  von  Prag  (geb.  um  1379  zu  Prag, 
gest.  1416),  ein  cechischer  Adeliger  und  Baccalaureus  der  freien 
Künste,  aus  Oxford  die  theologischen  Tractate  Wicliffe's '  brachte, 
welche  scharf  für  die  Reform  eintraten,  welche  bisher  die  techi- 
schen Vertheidjger  derselben  massiger  verlangt  hatten.  Die 
Lehren  Wicliffe's  fanden  bei  den  Cechen  einen  fertigen  Boden: 
schon  Thomas  Stitny  hatte  bei  aller  seiner  Mässigung  an  der 
Transsubstantiation  gezweifelt;  Matthias  von  Janov  trat  für 
das  echte  Christcnthum  gegen  die  neuere  Verderhniss  ein; 
die  Autorität  des  Klerus  ward  schon  Zweifeln  unterwarfen. 
Hubs  und  seine  Freunde  unter  der  Geistlichkeit  und  den 
Magistern  der  Universität  nahmen  die  Lehren  Wicliffe's  mit 
Sympathie  auf,  aber  eigentlich  zeigten  sich  die  reformatori- 
scheo  Tendenzen  von  Huss  selbst  schon  frUher,  sobald  er 
öffentlicher  Lehrer  geworden  war.     Die  neuen  Thesen  Wicliffe's 


'  Auch  Wiclef,  Wiklef,  Viklef  u.  ■-  w.  geBohrieben. 

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Jobann  Hubs.  77 

wardeD  auch  an  der  Universität  gelehrt*,  obgleich  sie  in  der 
ersten  Zeit  nur  von  wenig  Mi^Hedern  derselben  angenommen 
wurden  und  man  in  ihnen  nicht  so  sehr  eine  directe  Heraus- 
forderung als  vielmehr  eine  gelehrte  Ansicht  über  kirchliche 
Dii^e  sah.* 

Ohne  die  Einzelheiten  des  begonnenen  Kampfes  aufzuzählen, 
werden  wir  nur  seine  Hauptzüge  erwähnen.  Die  Frage  der  reli- 
giösen Reform  ward  bald  zu  einer  Sache  der  prager  Universi- 
tät,  welche  damals  die  höchste  gelehrte  Anstalt  war,  die  einzige 
für  ganz  Mitteleuropa.  Die  prager  Universität  zog  damals  eine 
Menge  von  Hörern  heran,  deren  grosse  Mehrzahl  aus  Ausländern 
bestand.  Die  Nationen,  in  welche  sieb  die  Universitätsbiirger 
theilten,  waren:  die  öechiscbe  (mit  den  Mäbrem  und  Ungarn), 
die  sächsische  (mit  den  Norddeutschen),  die  bairische  (mit 
den  Süddeutschen,  der  Schweiz,  Kärnten,  Krain  u.  s.  w.),  endlich 
die  polnische  (mit  den  Schlesien!,  Lausitzem,  Preussen,  d.  i. 
in  der  Mehrzahl  Deutschen  oder  germanisirten  Slaven,  sodass 
diese  „Nation"  nur  topographisch  slavisch,  in  Wirklichkeit  aber 
auch  deutsch  war).  Unter  der  Zahl  der  Ausländer  pflegten  an 
der  Universität  auch  Franzosen,  Italiener,  Engländer  zu  sein. 
Die  cechische  Nation,  mit  allen  Studenten,  Baccalaureen  und 
Magistern  bildete  nur  den  sechsten  Theil  der  ganzen  Universität, 
sodass  der  Nationalität  nach  die  prager  Universität  bei  weitem 
nicht  national  CG  chisch  war.  Ihrem  Charakter  nach  war  sie  in- 
sonderheit theologisch  und'  lateinisch,  wie  überhaupt  die  gelehr- 
ten Anstalten  jener  Zeit.  Sonach  konnte  in  dieser  Zusammen- 
setzung einerseits   die  Universität   eine  Stütze  der   katholischen 


'  Da  das  Statut  der  [iiagei-  Universität  de»  Professor  erlaubte,  nicht 
nur  Beine  eJgenPD  Werke  zu  lesen,  sondern  auch  andere,  wenn  sie  nur  von 
irgendeinem  (irager,  pariser  oiier  oxforder  Magister  gesdiriebpu  waren 
(Jummodo  sint  ab  aliquo  famoso  du  universitate  Pragonsi,  Pariaienai  vel 
Oiuaieusi  magistro  eonipikta.  Helfert,  S.  M),  d.  i.  wenn  nur  die  Gelehr- 
KSnikeit  des  Werkes  genügend  geeichoi-t  war. 

'  In  der  Bibliothek  zu  Stockholm  wird  eine  eieeuhändigc  Abschrift 
<ler  Tractate  Widiffe'a  vonllusa  aufbewahrt:  Ue  individnatione  teinporis  et 
inttantig.  De  ideis,  De  materia  et  forma.  Die  Abschrifb  wurde  13:i8  beendet, 
>n  die  s,  Hieronymi  Hlavi.  Intercssaut  sind  darin  die  fechiscben  KeiHi'.hrif- 
len.  z.  B.  „Gotl  «äbe  Wiclef  das  Hiramelreicli ".  oder  ,.0  Wicief,  Wiclef, 
mthc  als  einem  wirst  du  den  Kopf  wankend  maebeu"  (0  Wiclef,  Wielef, 
nejednomu  ty  bbvn  zvikleS). 


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78  FÜDftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

Orthodoxie  sein  und  war  es  auch  wirklich ,  andererseits  blieben 
ihre  Lateiner  den  Interessen  der  Sechischen  Kation  fem,  auf 
welche  die  gelehrten  Professoren,  besonders  die  ausländischen, 
geringschätzig  herabsahen,  und  mit  der  sie  nichts  gemein  haben 
wollten.  Unter  diesen  Bedingungen  bereitete  sich  der  Anlass  zu 
einem  künftigen  Zueammenstosa  vor.  Wie  oben  bemerkt,  tritt 
schon  Thomas  Sti'tny  zu  Ende  des  14.  Jahrhunderts  gegen  die 
dem  Volke  fremden  Lateingelebrten  auf,  welche  ihr  Wissen  für 
ein  Zunftgeheimniss  hielten.  „Gott  ist  der  Cecbe  so  angenehm 
wie  der  Lateiner",  sagte  er;  das  Ziel  seiner  Arbeiten  war  näm- 
lich, den  des  Lateinischen  nicht  kundigen  Leuten  die  Lehre  zu 
geben,  von  der  man  nur  lateinisch  schrieb.  Bie  Lateiner  Ter- 
bielten  sich  dem  gegenüber  feindlich;  Stitn^  antwortete:  „Der 
heilige  Paulus  schrieb  seine  Briefe  in  der  Sprache  derjenigen,  an 
die  er  schrieb,  an  die  Hebräer  hebräisch,  an  die  Griechen  grie- 
chisch; warum  sollte  der  liebe  Gott  nicht  auch  den  Cecboi 
schreiben  und  an  seinen  Willen  mahnen  in  einer  Schrift,  die  bei 
ihnen  gebräuchlich  ist?"  Er  seinerseits  spottet  über  die  Schnl- 
weisen,  die  befürchteten,  der  gewöhnliche  Leser  werde  die  hohe 
Lehre  misbrauchen:  „Soll  man  etwa  deshalb  keine  Brücke 
bauen,  weil  der  Dumme  von  ihr  herabstürzen  könnte?"  Das 
Vorherrschen  der  fremden  Nationalitäten  auf  der  Universität 
verstärkte  nur  diese  gegenseitige  Abneigung.  Es  Hess  sich  er- 
warten, dass  im  Falle  eines  Streites  die  nationale  und  patrioti- 
sche Partei  gegen  die  Vertreter  der  officiellen  lateinischen  Wissen- 
schaft auftreten  werde. 

Dieser  Fall  stellte  sieb  ein  in  einem  Conflict  aua  Anlass  der 
Thesen  Wicliflfe's,  die  von  Johann  Huss,  einer  damals  schon  sehr 
einäussreichen  Person  an  der  Universität,  und  von  andern  eifrigen 
Anhängern  der  Reform,  unter  denen  sich  auch  der  Subk&nzler 
der  Universität,  Nikolaus  von  Leitomiscbl,  befand,  angenommen 
wurden.  Im  Jahre  1403,  am  28.  Mai,  sollte  ein  Convent  aller 
prager  Magister  über  45,  Wicliffe's  Werken  entnommene  Thesen, 
die  von  der  Kirche  verdammt  waren,  aber  doch  von  einigen  Leh- 
rern der  Universität  vorgetragen  wurden,  sein  Verdict  abgeben. 
Der  Convent  sollte  alle  Punkte  dieser  Lehre  durchgeben,  gegen 
welche  schon  die  Beschuldigung  der  Ketzerei  ausgesprochen 
war.  Trotz  aller  Bemühungen  von  Huss,  der  die  Richtigkeit 
der  Auswahl  dieser  Tbpisen  verw.arf,  blieben  die  Vertheidi- 
ger  Wicliffe's   in    der  Minorität,   und    die  Majorität   bestimmte: 

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Jofaanii  Hubs.  79 

dass  kein  einziges  Mitglied  der  prager  Universität  auch  nur 
einen  der  45  Artikel  Wiciiffe's  lehren  dürfe.  Diese  Entecbeidung, 
ohne  Huss  zu  veranlassen,  sieb  von  seiner  Ueberzeugung  loszu- 
sagen, heatimmte  klar  die  Stellung  der  feindlichen  Parteien :  die 
TOD  der  nicht  nationalen  Mehrheit  der  Magister  getroffene  Be- 
stimmung wurde  für  ein  Attentat  gegen  die  ^echische  Nationalitat 
genommen,  weil  Huss  und  seine  Genossen  (echische  Patrioten 
und  Freunde  des  Volkes  im  Sinne  Stitn^'s  waren,  die  Deutschen 
aber  sammt  den  andern  fremden  „Nationen"  der  Universität  auf 
Seite  der  klerikal-conservativen  Partei  standen,  welche  Huss  und 
der  Reform  feindlich  war.  Sonach  vereinten  sich  zwei  anfangs 
unabhängige  Bestrebungen  in  eine:  die  religiöse  Opposition  der 
{«chischen  Predigfer  verschmolz  mit  der  nationalen  Antipathie, 
gegen  das  Vorherrschen  der  Ausländer  und  die  Vertheidiger  der 
Nationalität  wurden  kühner,  unterstützt  von  den  Reformatoren 
der  Universität.  Gleich  im  ersten  Moment  des  Kampfes  erweisen 
dch  also  Huss  und  die  Anhänger  der  Beformen  als  rein  natio- 
nale Factoren  und  die  antihussiiische  Partei,  die  deutschen  Ele- 
mente an  der  Universität  und  in  der  städtischen  Bevölkerung, 
erscheinen  zugleich  als  antinationale  Partei. 

Die  neue  Lehre,  welche  verschiedene,  dem  reinen  Christen- 
tlium  widersprechende  Ordnungen  und  Gebräuche  der  Kirche  in 
Zweifel  zog  und  die  Autorität  der  Hierarchie,  welche  dem  Mis- 
braucb  ruhig  zusah,  leugnete,  —  breitete  sich  immer  weiter  aus 
trotz  der  Verbote:  die  Kirchengewalt  begann  Priester  und  Laien 
unter  Beschuldigung  der  Ketzerei  zu  verfolgen ,  aber  wie  es  oft 
in  solchen  Fällen  geht,  sie  erkannte  die  ganze  Bedeutung  der 
drohenden  Gefahr  nicht.  Die  äussern  Umstände  waren  für 
Huss  günstig:  für  ihn  trat  die  nächste  Umgebung  König 
Wenzel's  IV.  ein,  viele  i'ecbiscbe  Herren  und  Ritter,  die  es 
nach  den  Gütern  der  GeisUickeit  gelüstete,  da  eine  Säcularisi- 
iTing  der  Kirchenguter  bei  den  Vertheidigprn  der  Reform  schon 
für  notbwendig  erachtet  wurde;  auch  König  Wenzel  protegivte 
Huss,  indem  er  die  nationale  Bewegung  aus  Gründen  seiner 
politischen  Beziehungen  zur  Kirche  förderte;  Huss  bewahrte  auch 
lauge  Zeit  gute  Beziehungen  zum  erzbischöflichen  Hofe.  Der 
Kampf  an  der  Universität  dauerte  fort;  Huss  predigte  auch  fer- 
Tier  mit  deutlich  Wicliffitischer  Färbung.  Im  Jahre  1408  wurde 
noch  ein  Process  wegen  Ketzerei  veranstaltet  und  bald  danach 
»urde  au  der  Universität  die  cechiache  „Nation"  versammelt  zur 

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80  Fünftes  Kapitel.     I.  Die  Cechen. 

Prüfung  ebenjener  45  Thesen,  —  weil  eigentlich  auch  nur  ne 
ein  IntereBse  an  der  neuen  Lehre  hatte.  Unter  dem  Vorsitz 
des  Rectors  versammelten  sich  64  Magister  und  Doctoren,  150 
Baccalaureen  und  an  1000  Studenten,  und  obgleich  bestimmt 
wurde,  dass  kein  einziges  Mitglied  der  fechischeii  Nation  sich 
erkühne,  irgendeine  von  diesen  Thesen  anzuerkennen,  zu  ver- 
breiten oder  zu  vertheidigen,  so  wurde  doch  zu  dieser  Entscliei- 
dung  die  Clausel  gemacht ,  dass  sich  das  Verbot  nur  auf  das  iu 
den  Thesen  WiclifFe's  bezöge,  was  in  ihnen  Falsches  oder  Häre- 
tisches sei  (in  sensibus  eorum  baereticis  aut  erroneis  auts  candalo- 
sis).  Wenn  es  aber  jedem  überlassen  blieb  zu  entscheiden,  ob 
in  einer  gegebenen  These  Ketzerei  sei  oder  nicht,  so  liegt  anf 
der  Hand,  dass  die  Clausel  die  ganze  Kraft*  der  Entscheidung 
aufhob. 

Endlich  gab  ein  Ereigniss  dem  nationalen  Princip  an  der  Uni- 
versität definitiv  das  Uebergewicht  und  damit  bei  dessen  Zusam- 
menhang mit  der  Sache  der  Reform  der  Lehre  von  Huss  selbst. 
Die  Feindschaft  zwischen  den  Nationen ,  welche  an  der  Univer- 
sität aus  religiösen  Meinungen  und  nationaler  Selbstliebe  ent- 
sprungen war,  hatte  schon  früher  die  Frage  über  das  Stimmen- 
yerhältniss  derselben  hervorgerufen.  Bisher  hatte  jede  Nation  je 
eine  Stimme  gehabt,  da  aber  von  den  vier  „Nationen"  drei  fremd 
waren,  so  blieben  die  Öechen  immer  in  einer  ungünstigen  Lage, 
wenn  es  sich  um  etwas  handelte,  was  das  nationale  Interesse  be- 
rührte. Und  solcher  Angelegenheiten  gab  es  jetzt  viele.  Die 
cechische  Nation  verlangte,  behufs  eines  richtigen  Verhtütnisses 
der  Ausländer  zu  den  Einbeimischen,  dass  ihr  drei  Stimmen  über- 
lassen würden,  den  übrigen  Nationen  aber  je  eine.  König  Wen- 
zel wollte  sich  hierin  zuerst  entschieden  ablehnend  verhalten, 
entschied  aber  dann  unter  dem  Eiufluss  der  ihn  umgebenden 
Patrioten  die  Sache  unerwartet  zu  Gunsten  der  Cecben  und  ge- 
währte ihnen  die  gewünschten  drei  Stimmen  an  der  Universität 
(Decret  von  Kuttenberg).  Dies  war  für  die  feechische  Nation  ein 
grosser  Triumph :  von  dem  Augenblick  an  wurde  ihr  Einfiuss  an 
der  Hochschule  gesichert,  der  für  den  Erfolg  der  begonnenen 
Sache  nothwendig  war.  Um  diese  neue  Ordnung  an  der  Univer- 
sität einzufuhren,  war  eine  Einmischung  der  Behörde  nothwendig; 
die  fremden  Nationen,  erbittert  und  beleidigt,  entschlossen  sich 
zur  äussersten  Massregel.  Im  Jahre  1409  verliessen  die  ausländi- 
schen Magister  und  Studenten,  der  Zahl  nach  gegen  5000,  Pr«g 

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Johftnn  HuBB.  gj 

for  immer  und  wählten  sich  zum  grösKtcn  ThetI  einen  neuen 
Zufluchtsort  in  Leipzig;  (lamit  wurde  der  Grund  zur  leipziger 
DniTersität  gelegt.  '  Dieses  Ereigniss,  betrübend  sowol  für 
die  Weggezogenen  als  für  Prag  selbst,  das  eine  Masse  an- 
ziehender und  gewinnbringender  Bevölkerung  verlor,  war  den- 
noch ein  Sieg  der  national  -  reformatorischen  Partei.  Der  Weg- 
zug der  Deutschen  löste  der  fechischen  Bewegung  die  Hände, 
und  sie  blieb  national  für  die  ganze  Zeit  des  hussitischen  Kam- 
pfes. Der  erste  Eector,  welcher  an  der  neuen  Universität  nach 
diesem  Ereigniss  gewählt  wurde,  war  (zum  zweiten  mal)  Johann 
Hnss,  140S>— 10.  Es  ist  augenscheinlich,  dass  auf  ihn  die  Menge 
ihre  Hoffnungen  und  Interessen  nicht  nnr  des  kirchlichen,  son- 
dera  auch  des  nationalen  Kampfes  concentrirte. 

Von  den  weitern  Ereignissen  wollen  wir  nur  die  Hauptzüge 
erwähnen.  Die  Zeit  war  überhaupt  unruhig.  Die  Zwiste  der 
I^pste  standen  in  höchster  Glut;  König  Wenzel  war  mit  dem 
Erzbischof  ZbyÄek  von  Prag  verfeindet  und  protegirte  die  nn- 
tionale  Partei,  welche  nach  der  religiösen,  vom  Erzbischof  ver- 
dammten, Reform  strebte.  Weder  der  König  noch  der  Erz- 
bischof  waren  zu  Concessionen  geneigt ;  ein  Zusaminenstoss  war 
nnverraeidlich.  Die  Geistlichkeit  beklagte  sich  beim  Erzbischof 
aber  die  Ausbreitung  der  Ketzerei;  Zbynek  empfing  vom  Papst 
die  Vollmacht,  die  Wicliffitischen  Ketzereien  streng  zu  verfolgen, 
und  ei^ff  schliesslich  seine  Massregeln:  er  gab  den  Befehl,  die 
Bücher  Wicliffe's  zu  confisciren  und  zu  verbrennen  und  verbot  die 
Predigt  in  den  Kapellen  und  an  andern  Orten,  ausser  den  Pfarr- 
ond  Collcgiatkirchen.  Gegen  das  erstere  trat  die  Universität 
auf,  indem  sie  die  Vcmrtheilung  der  Bücher  für  eine  Hecinlräch- 
ligung  ihres  Rechts  ansah;  das  letztere  war  gegen  die  Predigt 
Hnss'  in  der  Bethlehemskapello  gerichtet,  und  Hiiss  beschwerte 
sich  beim  Papste,  ohne  seine  Predigten  einzustellen.  Der  König 
verwarf  auch  di&Entscheidung  dos  E.rzbischofs,  aber  der  letztere 
bestand  auf  seinem  Willen,  am  16-  Juli  1410  wurden  die  Bücher 
Wicliffe's  in  der  That  verbrannt  und  drei  Tage  daranf  Huss  wegen 
Ungehorsam  in  den  Bann  gethan.  Diese  Massregeln  machten 
einen  schlimmen  und  gehässigen  Eindruck  sowol  auf  die  Univer- 


'  Aaderfi  waniiton  aicli  nacli  Erfurt,  Iluidelliprg,  KiVln ,  waB  dann  mit 
Mm  Aufblühen  der  nocIiBelmlea  in  DrutEcliltiDil  nnd  nu  eini?r  merkwürdigen 
glfichmäMigen  Auabreiliing  der  Bildung  tlnsetligt  beitrug. 

D,9:.z.c.,  Google 


82  Fanftee  Kapitel.    1.  Die  Cechen. 

sität  als  auf  den  Hof  und  auf  die  prager  Bevölkerung ;  der  König 
trat  für  Huss  beim  Papste  ein,  übte  Repressalien  an  den  Ein- 
künften der  Geistlichkeit,  aber  Zbyüek  verstärkte  noch  den  Bann 
gegen  Hubs  und  belegte  sogar  ganz  Prag  mit  dem  Interdict  (,1411). 
Die  Versöhnungsversuche  zwischen  dem  König  und  dem  Eiz- 
bischof  sowie  der  Tod  des  letztern  hielten  den  Gang  der  Dinge 
nicht  auf.  Huss  sandte  an  den  Papst  eine  Darlegung  seinet; 
Bekenntnisses,  worin  er  erklärte,  dass  er  die  Thesen  WicliiTe's 
gar  nicht  in  dem  ketzerischen  Sinne  auffasse,  wie  er  ihnen 
von  seinen  Feinden  beigelegt  werde.  Er  hielt  noch  an  der 
Kirche  fest,  und  den  Ungehorsank  gegen  Zbynek  erklärte  er 
damit,  dass  er  selbst  an  die  höhere  Autorität  appellirt  habe- 
Inzwischen  verlor  seine  Stimmung  immer  mehr  den  friedlichen 
Charakter  und  neue  Collisionen  mit  der  kirchlichen  Gewalt  in 
Pressburg  und  alsdann  in  Frag  (1413)  gingen  in  offene  Feind- 
schaft über.  Die  Sache  verhielt  sich  so,  dass  die  Hoffnung  aif 
eine  Verbesserung  der  Kirche  nicht  abzusehen  war;  im  Gegen- 
theil,  die  Misbräuche  hörten  nicht  auf,  den  päpstlichen  Thron 
bestieg  Johann  XXIII.,  selbst  nach  den  Worten  katholischeT 
Schriftsteller  einer  der  schamlosesten  Schänder  der  Kirche.  Im 
Jahre  1412  begann  zu  Prag  ein  Verkauf  von  Ablässen  zur  Fül- 
lung der  päpstlichen  Kasse.  Huss  trat  kräftig  gegen  diesen 
Handel  auf  in  einer  Universitätsdisputation  (7.  Juni),  in  Predig- 
ten und  Sendschreiben,  die  er  in  Böhmen,  Mähren,  Schlesien, 
sogar  in  Polen  verbreitete.  Diesmal  bestätigte  seihst  der  Papst 
den  Bann  gegen  Huss,  befahl,  die  Betblehemskapelle  dem  Erd- 
boden gleichzumachen,  und  belegte  Prag  mit  dem  Interdict,  bis 
Huss  die  Stadt  verlassen  werde.  Im  December  1412  verliess 
Huss  auf  den  Wunsch  des  Königs  Prag;  die  Bemühungen  Wen- 
zel's  um  eine  Versöhnung  blieben  erfolglos.  Huss  Hess  sich  aaf 
dem  Lande  nieder,  bei  Freunden,  und  fuhr  trotz  des  päpstlichen 
Bannes  fort,  der  Landbevölkerung  zu  predigen,  in  Versammlun- 
gen auf  freiem  Felde,  an  Festtagen  und  bei  andern  Gelegen- 
heiten, wo  Volk  zusammenströmte;  er  schrieb  seine  lateinischen 
und  äechischen  Tractate.  In  der  erwähnten  Universitätsdisputa- 
tion sprach  er  zum  ersten  mal  den  Gedanken  aus,  dass  die  Gläu- 
bigen nicht  verpflichtet  seien,  die  Befehle  des  Papstes  auszn- 
fuhren,  wenn  diese  mit  dem  Gesetz  Christi  nicht  übereinstimm- 
ten —  damit  war  der  Weg  zur  Freiheit  der  Auslegung  der  Hei- 
ligen Schrift  geöffnet.    Der  Itannstrahl  und  die  Entfernung  aus 

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Johann  Hasa.  g3 

Prag  brachten  somit  die  Verbreitarig  seiner  Ideen  nicht  zum 
StilUtand,  sondern  verschaifteii  ihtien  im  Gegentheil  immer 
mehr  Boden  auch  fern  von  der  Hauptstadt.  Der  Käme  Hubs 
wurde  auch  beim  Landvolk  so  populär  wie  unter  seinen  Zu- 
hörern in  der  Bethlehemakapelle. 

Inzvischen  hatte  der  König  nach  Mitteln  gesucht,  die  reli- 
giöse Gärung  zu  beruhigen,  und  ein  solches  Mittel  schien  ein 
CoDcil  zu  sein,  das  auf  die  Bemühungen  von  Wenzel's  Bruder, 
Sigisinund,  vom  Papst  Johann  XXUI.  nach  Konstanz  berufen 
wurde.  Huss  sollte  auf  dem  Concil  seine  Ansichten  darlegen, 
damit  sie  dieses  billige  oder  verwerfe;  Sigismnnd  gab  Bürg- 
schaft Tür  seine  Freiheit  vor  dem  Concil  und  sichere  RUckkehr 
nach  Hanse.  Im  October  1414  begab  sich  Hubs  nach  Konstanz 
in  Begleitung  dreier  Cechischer  Herren.  Nach  dreiwöchentlichem 
Anfenthalt  daselbst  wurde  er  jedoch  ergrifTen  und  ins  GetangnisB 
gesetzt.  Auf  dem  Concil  wurde  ein  Lügengericht  abgehalten, 
an  dessen  Ende  Huss,  fi.  Juli  1415,  als  verhärteter  Ketzer  er- 
klärt, der  Priesterwürde  entkleidet,  „der  weltlichen  Macht  über- 
geben" und  nach  den  Gesetzen  gegen  die  Ketzer  lebendig  auf 
6em  Scheiterhaufen  verbrannt  wurde  —  eine  der  schimpflichsten 
Handlungen  in  der  Weltgeschichte  und  eins  der  erhabensten 
Zeugnisse  von  der  Macht  der  Ueberzeugung  und  der  Menschen- 
würde! Schon  im  Gefängniss  bekam  Huss  Nachrichten  aus  Böh- 
men über  die  ersten  Resultate  seiner  Predigt  und  über  die  Ver- 
änderung der  kirchlichen  Gebräuche,  welche  aus  jener  hervor- 
gehen niusste;  sein  Freund,  Jakob  von  Mies  (Jakoubek  ze  Stribra), 
fing  an,  dem  Volke  das  Abendmahl  „unter  beiderlei  Gestalt"  ni 
Teichen;  es  begann  die  taboritische  Bewegung — nicht  zufallig  in 
derselben  Gegend,  wo  vorher  Hubs  nach  seiner  Entfernung  aus 
Prag  gepredigt  hatte.  Im  Jahre  1417  proclamirten  ihn  seine 
Anhänger  unter  Vermittelung  der  prager  Universität  zu  einem 
heiligen  Märtyrer,  und  sein  Andenken  wurde  am  \j.  Juli  im  Laufe 
der  nächsten  zwei  Jahrhunderte  gefeiert.^ 


'  Heber  das  KanBtanzer  Conoil  vergV  ausser  <len  »ahan  oben  ge- 
lUiintCD  Büchern  über  die  hnssitische  Feriode;  von  der  Hardt,  „Magoum 
Oeeamenuinm  Constantiense  Concijinm";  die  Kirche Dgeacliichteo;  Hefele, 
Tt'^oneilicDgeBchichte"  u.  a.  Wir  vei'zeicbnen  noch  ein  ruesiachea  Werk : 
;.KonBlanokijeohor,1414— 18.  ConciliumConatanoieDaeMCDXIV— MCDXVIII. 
IidaDie  Inip.  ruBsk,  aroheol.  obS.'estva"  (St.  Petersburg  1874,  4.).    Es  ist  dies 

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84  Fünftes  Kapitel.    L   Die  C'echen. 

Der  ganze  folgende  natioDal  -  religiöse  Kampf  des  6echiBchen 
Volkes  wird  auf  zwei  Jahrhunderte  mit  Hnss'  Namen  bezeichnet 
Sein  Einfluss,  wie  der  einer  jeden  grossen  historischen  PerBÖn- 
lichkeit,  erklärt  sich  einerseits  durch  die  dringend  gewordeneD 
Forderungen  des  Jahrhunderts,  denen  er  den  stärksten  Auedmck 
verlieh;  anderseits  durch  seine  bedeutende  Persönlichkeit.  Cechi- 
sche  Historiker  charakterisiren  ihn  so.  Weniger  streng  in  seiner 
Predigt  als  Waldhauser,  weniger  phantastisch  als  Milic,  übte  er 
auf  die  Zuhörer  keinen  so  schnellen  Eindruck  aus  wie  seine  Vor- 
gänger: aber  die  Wirkung  seiner  Rede  war  tiefer  und  fester. 
Er  wendete  sich  vor  allem  an  den  Verstand  und  den  gesunden 
Sinn,  und  wirkte  erst  nach  der  Ueberzeugung  auch  auf  das  Ge- 
fühl. Die  Schärfe  und  Klarheit  des  Gedankens,  die  Fähigkeit, 
ins  eigentliche  Wesen  des  Gegenstandes  einzudringen  und  ihn 
jeden)  darzulegen,  eine  ungewöhnliche  Belesenheit,  besonders  in 
der  Heiligen  Schrift,  eine  kräftige  Vertheidigung  seiner  Säue 
gaben  seiner  Predigt  grosse  Anziehungskraft;.  Dazu  gesellten 
sich  grosse  Eigenschaften  des  Charakters:  strenge  Gerechtigkeit, 
ein  lebendiger  und  starker  Glaube,  ein  tadellos  reines  Leben,  ein 
eifriges  Streben,  das  Volk  moralisch  zu  heben  und  die  Kirche 
zu  verbessern,    eine  Festigkeit  der  Ueberzeugang ,   die  bis  tarn 


ttino  AntiKabe  von  Abbildangcn,  zn  d<^r  „Chronik  des  Konntanzer  C«n«il>" 
^hürig,  die  von  eiuem  Büi^rr  der  Stadt,  Ulricli  F.  Riuhen tlial,  «el- 
cher am  Concil  aelliNt  thttilnabm,  gescbrii'ben  wurde.  D'iv  erste  gedruckt« 
Ausgabe  der  (^bnmik  RiiiliiidllLara  ersebieu  in  Augsburg  14ft3:  „PaB  Cooci- 
lium  Bucb  geflcbehen  zu  (loatem-z,  mit  44  Blatt  Abbildungen  nnd  Por- 
träU."  Zweite  Ausgabe  Augsburg  If».Sfi;  ilie  dritte  —  „Handlung  desi  Cm- 
ciliumR  zu  (lostnitz",  Frankfurt  a.  M.  15T5,  mit  34  Kupfergticfaen.  Alle  Aob' 
gaben  haben  Veraohiedenheitea.  Im  Jahre  186»  wurde  die  Handschrift  der 
Chronik,  welche  sich  Im  städtischeo  Archiv  fu  Constanz  findet,  herauige- 
gehen:  „Chronik  des  Concils  zu  Conatanz  von  Ubicb  von  Richenthal  HU 
—Ift"  (Konstanz).  Die  Ausgabe  ist  photfijjraphirt,  mit  105  Alibilduugen  und 
einer  Menge  von  Wappeu  und  mit  einem  vollständigem  Text  als  die  ge- 
druckten Ausgaben.  Die  ruasiBclip  Ausgabe  itt  die  Reproduction  einer  der 
Petersburger  Akademie  der  Künste  gehörigen  Hand »ehtift  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert auf  M  Blätteru,  welche  nur  die  Bilder  enthält  mit  UnterBohrifteu 
in  lateinischer  Sprache.  Die  Bilder  des  Originals  sind  ziemlich  kfinetlerisch 
ausgeführt  und  bieten  in  archäoltigiaclier  Beziehung  viele  Eigenheiten  im 
Vergleich  zu  den  frühern ,  gedruckten  und  photograpbirt«n ,  AuE^ben. 
Dieselbe  iat  ein  Facsimile  in  Farben.  Auf  Blatt  21-22  befindet  »ich  Ja» 
Porträt  von  Huss. 


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Johann  Hubs.  85 

Heroismus  der  Selbstaufopferung  ging.*  Wie  auch  die  histori- 
üchen  BediDguDgen,  welche  die  t-echische  Bewegung  ecliufeu,  be- 
schaffen sein  mochten,  Hues'  Persönlichkeit  hatte  ohne  Zweifel 
einen  gewaltigen  Einfluss  auf  die  Erweckung  der  nationalen 
Kräfte,  die  von  da  an  zum  Selbstbewusstsein  kamen  und  den 
Schauplatz  der  Thätigkeit  betraten,  lieber  seinen  persönlichen 
Charakter  und  seine  reformatorische  Wirksfunkeit  halten  wir 
es  noch  für  nöthig,  das  Urtheil  Hilferding's  anzuführen: 

„Huss  gab  den  AnstoHS  zu  einer  reformatorischen  Bewegung, 
er  ward  zum  Begründer  des  Protestantismus;  die  Historiker  sagen 
aach,  er  habe  Reformator  sein  wollen.  Aber  ist  das  richtig? 
. . .  Huss  unterscheidet  sich  eben  darin  von  Wicliffe,  Luther, 
Zwingli,  Calvin,  Chelcickj?  und  andern  Begründern  protestanti- 
scher Sekten,  dass  er  gar  nicht  daran  dachte,  eine  neue  Lehre 
zu  begründen.  Huss'  Verehrer  macht  sein  Verhältniss  zu  Wicliffe 
stutzig.  Die  Theorie  gehört  ganz  WiclifTe  an,  Hubs  nahm  daraus 
nur  venige  und  zwar  in  Bezug  auf  das  Glaubensbekenntniss  am 
wenigsten  wesentliche  Punkte,  fügte  ihnen  selbst  nichts  Neues 
hinzu,  —  und  doch,  wie  unerniesslich  höher  steht  er  als  Wicliffe! 
Die  Sache  beruht  darauf,  dass  Wicliffe  ein  Dogmatiker  war; 
Huss  wurde  aber  nur  von  einem  Gedanken  geleitet:  dasSitten- 
gesetz  des  Christenthums  treu  auszuführen.  Es  ist  schwer,  in 
der  Geschichte  einen  Mann  zu  finden,  der  mit  so  unbedingter 
Wahrheitsliebe  die  Gebote  des  Evangeliums  durch  sein  Leben 
rerwirklicht  hätte.  Er  ahmte  dem  Stifter  des  Christenthums 
auch  darin  nach,  dass  seine  Lehre  nicht  den  Charakter  dogma- 
tischer Formeln,  sondern  den  einer  lebendigen  sittlichen  Unter- 
weisung trug.  Er  zeichnete  sich  weder  durch  ungewöhnliche 
Gelehrsamkeit  noch  durch  das  Genie  eines  Schriftstellers  oder 
Predigers  ersten  Itanges  aus:  seine  Werke,  seine  Predigten  ragen 
nicht  über  das  mittlere  Niveau  der  Erzeugnisse  der  scholasti- 
schen Theologie  jener  Zeit  hinaus.  Jener  erstaunliche  Zauber, 
welchen  Huss  auf  das  ganze  i-echische  Volk  ausübte,  entströmte 
einzig  und  allein  der  sittlichen  Grösse  seiner  Persönlichkeit  und 
der  sittlichen  Bedeutung  seiner  Predigt."" 

Huss'  persönlicher  Einfluss  als  Prediger  wurde  durch  seine 
hterarische  Thätigkeit  unterstützt-   Seine  Werke,  die  lateinischen 

'  Palacky,  »SjiDy  UI,  1,  Ausgabe  1850,  S.  -66— 66. 
'  Hilferding,  Hus  a  b.  w.,  S.  3-4. 


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m  Ffiaftee  Kapitel.    I.   Die  Ceohen. 

und  die  cechischen,  sind  fast  ausschliesslich  der  theologischen 
Erklärung  der  Heiligen  Schrift,  der  Sittenlehre  und  endlich  den 
unmittelharen  Streitfragen  der  Zeit  gewidmet  und  haben  trotz 
ihres  specifisch  theologischen  Inhalte  doch  ein  hohes  Interesse 
und  eine  historische  Bedeutung.  In  ihnen  tritt  mehr  aU  id 
irgendwelchen  andern  Werken  jener  Zeit  das  Streben  des  Jahr- 
hunderts nach  einer  Reform  zu  Tage.  Dem  Geiste  der  Zeit  nach 
blieb  HusB  zu  sehr  auf  der  scholastischen  Dogmatik  stehen;  aber 
das  hinderte  ihn  nicht,  sich  in  lebendigster  Weise  in  die  Sache 
der  nationalen  Entwickelang  zu  mischen. 

Als  Schriftsteller  zeigte  Hubs  eine  ausserordentliche  Frucht- 
barkeit: es  kann  wundernehmen,  dass  er  bei  einem  so  stflmii- 
schen  und  beschäftigten  Lehen  eine  so  lange  Reihe  von  Büchern 
und  Tractnten,  Cechischen  und  lateinischen,  eine  solche  Menge 
Briefe  und  Sendschreiben  hinterlassen  konnte.  Die  lateiniechen 
Werke  wurden  schon  längst  gesammelt  unter  dem  Titel:  „Histoiii 
et  monumenta  Joannis  Husei"  (Nürnberg  1558,  1715,  hier  findet 
sich  auch  eine  lateinische,  übrigens  schlechte  Uebersetzung  eini- 
ger von  Hubs  geschriebener  cecbischer  Briefe).  Gesondert  er- 
schienen: ,,De  unitate  Ecclesiae"  (Mainz  1520);  eine  Sammlnng 
von  Briefen  aus  dem  Cechischen  übersetzt:  „Epistolae  quaedam 
piissimae  et  eruditissimae  Johannis  Hussi",  mit  einem  Vorwort 
von  Luther  (Wittenbei^  1537).  Die  lateinischen  Werke  von  Huss 
—  mittels  deren  er  sich  einen  umfangreichen  Wirkungskreis  im 
ganzen  wissenschaftlichen  Europa  erwarb  —  zeichnen  sich  durch 
die  Manieren  der  damaligen  Dialektik  und  scholastischen  Phi- 
losophie aus,  weil  sie  auf  gelehrte  Theologen  und  Universität«- 
hörer  berechnet  waren. 

Die  wichtigste  Arbeit  von  Huss  war  das  lateinische  Wcri: 
„Tractatus  de  Ecciesia",  verfasst  aus  Anlass  der  prager 
Synode  im  Jahre  1413:  hieraus  wurden  die  44  Anklagepunkte  ent- 
nommen, über  die  sieb  Huss  auf  dem  Concil  zu  Konstanz  zu 
rechtfertigen  hatte.  Hier  sind  die  Hauptgnindlagen  seiner  Lehre 
dargelegt,  und  dieses  Werk  kann  als  das  symbolische  Buch  der 
vom  Katholicismus  abgefallenen  böhmischen  Kirche  gelten.  Vir 
werden  in  einigen  Worten  den  Inhalt  des  Tractats  zeigen,  um  den 
Leser  in  den  Ideenkreis  der  hussitischen  Bewegung  einzuführen. 
Huss  beginnt  mit  der  Lehre  von  der  Prädestination:  die  sicht- 
bare Kirche  umfasse  in  sich  sowol  gute,  zur  himmlischen  Glück- 
seligkeit „Vorherbestimmte"  (praedestinati) ,   als  auch  böse,  nr 

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Jobtmn  Hms.  87 

ewigen  Verdammniss  „Yorhergekannte"  (praeaciti).  Das  einzige 
Haupt  der  Kirche  sei  Christus  —  er  sei  das  äussere  Haupt  nacli 
seiner  Göttlichkeit,  das  iDoere  nach  seiner  Menscblichkeit :  das 
erstere  sei  er  von  Anfang  der  Welt,  das  andere  von  seiner 
Menschwerdung  an.  Deshalh  hiessen  auch  die  Apostel  nicht 
die  Heiligsten  oder  Häupter  der  Kirche,  sondern  nur  Diener 
des  Herrn  und  Diener  der  Kirche.  Später  hahe  sich  dies  ge- 
ändert: seit  Konstantin  dem  Grossen  und  seinen  Nachfolgern 
habe  der  Papst,  der  Bischof  von  Koni,  begonnen,  als  das  Ober- 
haupt der  Kirche  (capitaneus),  als  der  Statthalter  Christi  auf 
Erden  zu  gelten.  Thatsacblich  aber  könne  der  Papst  „als  Papst" 
durchaus  nicht  ein  solcher  Statthalter  sein,  und  die  Cardinäle 
könnten  „als  Caräinäle"  durchaus  nicht  für  Nachfolger  der  Apostel 
gelten.  Der  Papst  könne  nur  dann  für  den  Nachfolger  Petri 
gelten,  wenn  er  dem  letztern  an  Glauben,  Demuth  und  Liebe 
gleichkomme  —  aber  ganz  dasselbe  sei  auch  von  andern  Men- 
schen zu  verstehen,  die  weder  Päpste  noch  Cardinäle  wären. 
Der  heilige  Augustin  habe  der  Kirche  mehr  Nutzen  gebracht 
itls  mehrere  Päpste  zusammengenommen,  und  in  der  Lehre  habe 
er  vielleicht  mehr  gethan  als  alle  Cardinäle  vom  ersten  An- 
fang an  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Wenn  aber  der  Papst  und 
die  Cai'dinäle  ihre  Pflichten  nicht  erfüllten,  und  Christi  ver- 
gessend, sich  nur  um  weltliche  Dinge  bekümmerten,  um  Luxus 
und  glänzende  Gewänder,  und  durch  ihre  Verschwendung  seihst 
Laien  überträfen  —  so  seien  sie  überhaupt  nicht  Statthalter 
Christi  oder  Petri  oder  der  Apostel,  sondern  Statthalter  des 
Satans,  des  Antichrist,  des  Judas  Ischariot.  Der  Papst  könne 
ebenso  wenig  wie  ein  anderer  Mensch  von  sich  wissen,  ob 
er  nicht  „praescitus"  sei,  und  ein  „praescitus"  könne  nicht 
imr  kein  Haupt,  sondern  nicht  einmal  ein  wirkliches  Mitglied 
der  Kirche  sein.  Der  päpstlichen  Würde  bedürfe  es  auch 
gar  nicht  zum  Heile  der  Kirche;  in  der  ursprünglichen  christ- 
lichen Kirche  habe  es  nur  zwei  priesterliche  Aeroter  gegeben: 
Diakonen  und  Priester,  alles  andere  habe  sich  erst  später 
eingefunden  und  sei  Menschensatzung.  Wenn  die  Kirche  schon 
vor  den  Päpsten  von  den  Aposteln  und  getreuen  Priestern  ge- 
leitet worden  sei,  so  könne  es  leicht  kommen,  dass  es  auch 
nicht  bis  zum  Jüngsten  Tage  Päpste  gehen  werde.  Alles  Ge- 
sagte müsse  man  natürlich  auch  von  der  gesammten  Geistlich- 
keit verstehen:  es  gäbe  ihrer  zwei  Arten  —  die  eine  sei  Christi, 

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S8  Fünftel  Kapitel.    I.  Die  Öechen. 

die  aDdere  des  Antichrist.  Nicht  das  Amt  mache  den  Priester, 
sondern  der  Priester  mache  das  Amt;  nicht  jeder  Priester  sei 
heilig,  aber  jeder  Heilige  sei  ein  Priester;  der  gläubige  Christ 
gehöre  zur  Kirche  Gottes,  der  Prälat  aber,  der  seine  Pflicht  nicht 
erßllc,  werde  keinen  Antheil  am  Reiche  Christi  haben.  —  Daraus 
gehe  klar  hervor,  wie  der  „kirchliche  Gehorsam"  zu  verstehen  sei. 
Der  Gehorsam  sei  die  That  eines  verniinftigen  Wesens,  welches 
sich  frei  und  nach  eigenem  Urtheit  (voluntarie  et  discrete)  seinen 
Vorgesetzten  unterwerfe.  Sonach  habe  jeder,  wenn  er  einen  Be- 
fehl von  seiner  Obrigkeit  bekomme,  zu  untersuchen,  ob  der  Be- 
fehl erlaubt  und  ehrbar  sei,  weil  er,  wenn  der  Befehl  znm  Nach- 
theil der  Kirche  und  des  Seelenheils  wäre,  sich  ihm  widersetzen 
uiiis&te.  So  müsse  der  wahre  Christ,  selbst  wenn  ein  Befehl  vom 
Papste  komme,  ihn  prüfen,  und  wenn  er  ihn  nicht  mit  der  Lehre 
Christi  übereinstimmend  fände,  sicli  ihm  widersetzen,  um  nicht 
durch  seinen  Gehorsam  ein  Verbrechen  gegen  die  Lehre  Christi 
£u  begehen  (devianti  papae  rebellare  est  Christo  domino  obedire). 
„Das  Amt  der  Schlüssel",  d.  h.  die  Macht  zn  binden  und  zo 
lösen,  gehöre  nur  Gott  allein,  der  zur  Seligkeit  und  zur  Ver- 
dammniss  pradestiuire.  Mündliche  Beichte  sei  nicht  nöthig  zum 
Seelenheil,  —  als  Beweis  dafür  könnten  kleine  Kinder,  Taub- 
stumme, die  Bewohner  von  Wüsten  und  gewaltsam  Getödt«te 
gelten.  Die  Sünden  würden  abgewaschen  durch  Reue  und 
durch  die  Beichte  des  Herzens.  Weder  der  Priester  noch  der 
Papst  könne  Sünden  vergeben,  weil  er  dazu  sündlos  sein  müsste, 
und  das  sei  nur  Gott  allein.  So  habe  auch  der  Fluch  eines 
Prälaten  nur  dann  Kraft,  wenn  er  mit  dem  Willen  Gottes  über- 
einstimme ;  im  entgegengesetzten  Falle  schade  er  demjenigen 
durchaus  nichts,  gegen  den  er  ausgesprochen  sei  —  wie  auch  die 
Schrift  sage,  indem  sie  befiehlt,  zu  segnen,  die  da  fluchen. 

In  andern  Werken  entwickelt  Huss  noch  spedeller  seine  An- 
sichten über  die  kirchlichen  Ordnungen.  Noch  im  GelangnisG  zu 
Konstanz  schrieb  er  einige  Tractate  zur  Vertheidigung  seiner 
Lehren,  z.  B.  „De  sufficicntia  legis  Christi  ad  regendau  Suam 
ecclesiam",  wo  er  nachweist,  dass  das  walire  und  richtige  Gebot 
die  Gerechtigkeit  sei,  welche  den  Menschen  auf  den  Weg  zur 
Seligkeit  leite;  dass  sich  alle  guten  Gebote  in  der  Heiligen  Schrift 
befänden,  die  aber,  welche  dort  fehlten,  gottlos  seien;  dass  dieses 
Gebot  Christi  durchaus  für  die  Kirche  genüge  und  dass  es  weder 
einen  Gruud  gäbe,  es  zu  kürzen,  noch  zu  erweitern  u.  s.  w.  Nicht 

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Johann  Hubs.  §9 

weniger  wichtig  ist  die  Rede,  welche  er  zu  demeelhen  Zweck  im 
UeräagnisB  Terfasst  hatte:  „Sermo  de  fidei  Buae  elucidatione", 
darüber,  wie  er  den  Glauben  und  die  Erkenntniss  desBelben 
Terstehe.  Der  Grundgedanke  dieses  und  anderer  ähnlicher 
Tr&ctate  besteht  in  der  Vertheidigung  des  wahren,  einfachen, 
arsprttnglicben  Christenthums  und  in  der  Verwerfung  der  kirch- 
hchen  Verderbniss,  welche  die  Wahrheiten  desselben  durch  mensch- 
liche Zuthaten  und  Fehler  verändert  und  yerdorben  habe;  er 
erkennt  die  Verordnungen  der  Kirche  nur  so  weit  an,  als  er  sie 
in  Uebereinstimmung  mit  der  ursprünglichen  Lehre  Christi  findet. 
Im  Tractat  „De  pace",  ebenfalls  in  Konstanz  geschrieben,  legt 
Hdes  dar,  dass  sich  der  Friede  des  Menschen  mit  Gott  und  der 
Welt  auf  die  Erfüllung  des  Gesetzes  gründe,  dass  der  Friede 
unter  den  Menschen  durch  den  Bruch  des  Gesetzes  verschwunden 
sei  —  als  die  Kirche  und  ihre  Diener  nur  an  äussere  Ehren 
und  Reicbthum  zu  denken  begannen  und  als  der  Gottesdienst  zu 
einem  Handwerk  wurde.  Als  Quelle  all  dieses  Uebels  bezeich- 
net Huss  direct  den  römischen  Hof,  ,  .  . 

Wir  erwähnen  noch  einige  Tractate,  in  denen  er  von  den  kirch- 
hchen  Unordnungen  und  Misbniuchen  sprach.  So  tritt  er  im  Trac- 
tat „De  omni  sanguine  Christi  hora  resurrectionis  glorificato"  nach 
dogmatischen  Auseinandersetzungen  gegen  den  verbrecherischen 
Betrug  der  Kirchendiener  auf,  die  in  Rom  Fleisch  vom  Leibe  Jesu 
Christi  zeigten,  in  Prag  das  Blut  Christi  und  die  Milch  der  Mutter 
Gottes  zur  Schau  stellten;  er  tritt  gegen  den  Aberglauben  und 
die  marktschreierischen  Wunder  auf,  die  von  solchen  Betrügern 
in  verschiedenen  katholischen  Ländern  verrichtet  und  selbst  von 
der  Obrigkeit  zugelassen  würden  —  eine  Menge  von  Beispielen 
nun  Beweise  dieser  religiösen  Verderbniss  wird  angeführt.  Durch 
nicht  geringere  Energie  zeichnet  sich  das  lateinische  Werk  von 
Huss  aus:  „Ueber  die  Einziehung  des  Grundbesitzes  der  Geist- 
lichkeit", deren  Gerechtigkeit  und  Nothweudigkeit  er  mit  Beweisen 
ans  der  Heiligen  Schrift,  aus  der  Geschichte  und  aus  dem  ge- 
sunden Menschenverstand  darlegt.  Als  ihm  die  Gegner  wegen 
seiner  öffentlichen  Ausfälle  gegen  die  Geistlichkeit  Vorwürfe  zu 
machen  begannen,  antwortete  er  mit  einem  neuen  Traktat,  wo 
er  mit  Hülfe  der  Heiligen  Schrift  scharfsinnig  darlegt,  dass  die 
Misbräuche  und  die  Unwürdigkeit  der  Geistlichen  gewähren 
lassen  bedeuten  würde ,  dem  Lucifer  grosse  Freude  machen ; 
auch  der  Antichrist  möchte  wünschen,  dass  mau  die  Geistlichkeit 

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90  FünfteB  Kapitel.    I.   Die  Ceohen. 

nicht  anrühre,  weil  er  angeblich  selbst  der  höchste  Prälat  der 
katholischen  Kirche  aein  wird,  und  nicht  wnuscbe,  daes  man 
seine  Fehler  zur  Schau  Btelle;  die  Mehrzahl  der  Priester  stehe 
gegen  die  Ankläger  auf  und  man  sage,  es  sei  oöthig,  mit  dieser 
Mehrheit  übereinzustimmeD,  —  aber  eine  Uebereinstimraung  sei 
nicht  möglich,  weil  es  immer  eine  unzählige  Menge  dummer 
Menschen,  und  sehr  wenige  verständige  gäbe;  dazu  müsse  man, 
wolle  man  mit  der  Mehrheit  übereinstimmen,  zugeben,  dase 
auch  die  Leiden  und  der  Tod  Christi  gerecht  gewesen  seien, 
weil  dies  die  Mehrzahl  der  jüdischen  Priester  und  Pharisäer  ge- 
wUnscbt  hätte. 

Nicht  weniger  wichtig  sind  die  cechischen  Werke  Huss",  die 
ihm  viele  Anhänger  im  Volke  verschafften.  Wäre  Hubs  nur  la- 
teinischer Schriftsteller  geblieben,  so  hätte  er  bei  weitem  nicht 
einen  so  umfassenden  Einfluas  auf  die  Volksmasseu  haben  kön- 
nen. Die  Gegner  fühlten  dies  und  wie  Thomas  Stitny  Angriffen 
ausgesetzt  war,  weil  er  wagte,  für  das  Volk  das  zu  schreiben, 
was  für  jene  Zeit  nur  das  Eigenthum  der  Schule  und  der  latei- 
nischen Gelehrsamkeit  war,  so  trafen  auch  Huss  Angriffe  von 
dieser  Seite.  Im  Jahre  1413  fand  es  der  Bischof  von  Leitomischl 
in  einem  Briefe  an  die  prager  Synode  für  nöthig,  dass  Hnss 
und  seinen  Freunden  die  Predigt  (in  ^echiecher  Sprache)  ver- 
boten ,  und  alle  von  ihnen  geschriebenen  cechischen  Bucher 
vernichtet  würden.  —  Für  die  ^chische  Literatur  sind  Huss" 
Werke  in  der  Volksprache  unvergleichlich  wichtiger,  und  sein 
wahrer  Charakter  spricht  sich  darin  mannichfaltiger  ans  als  in 
den  lateinischen.  Wir  sahen  in  ihm  schon  einen  Vertheidiger 
der  nationalen  Ehre  und  des  nationalen  Interesses  in  dem  Uni- 
ver^itätsstreit :  in  literarischer  Beziehung  gilt  als  sein  grosses 
Verdienst,  dass  er  eifrig  für  die  Volkssprache  sorgte  und  warm 
gegen  die  Verletzung  ihrer  alten  Selbständigkeit  und  Beinheit 
durch  Mischung  zweier  Sprachen  —  besonders  bei  den  Pragera 
—  auftrat,  woraus  seiner  Meinung  nach  eine  Doppelzüngigkeit 
und  Inconsequenz  im  Leben  selbst  und  im  sittlichen  Charaktw 
der  Menschen  hervorgehe.  Huss  brachte  die  Fürsten,  Herren, 
Ritter,  Geistliche  und  Bürger  dahin,  zu  sorgen,  „dass  die^ 
('ocbische  Sprache  nicht  untei^ehe",-  und  sein  Unwille  über  die 
Prager,  welche  ihre  Sprache  mit  einer  fremden  mischten,  kam 
in  sehr  starken  Worten  zum  Ausdruck.  In  seiner  Schriftsprache 
war  er  aus  Patriotismus    strenger  Purist   and  erfand   eine  neue 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


Johanit  Husa.  91 

Rechtschreibang*,  die  von  den  Taboriten,  später  den  Böbmi- 
ecben  Brüdern,  angenommen  warde;  —  diese  letztern  führten 
sie  im  16.  Jahrhundert  in  den  allgemeineo  Gebrauch  ein,  später 
in  der  Periode  der  katboHsohen  Keaction  ward  sie  Tergessen, 
ging  wieder  neu  anf  mit  der  literarischen  Wiederbelebung  und 
herrscht  mit  einigen  Verbesserungen  in  den  cechiscben  Bücbern 
bis  zu  diesem  Augenblick.  Huss'  Bemühungen  um  die  Sprache 
kamen  schon  in  dem  ^ecbischen  Werke  zum  Ausdruck,  welches 
die  Cecben  zur  Widerlegung  der  deutschen  Partei  aufstellten, 
von  der  die  Bechte  der  Ausländer  an  der  Universität  vertheidigt 
wurden.  In  dieser  Widerlegung  macht  sich  auch  die  Dialektik 
und  polemische  Gewandtheit  bemerkbar,  die  überhaupt  seine 
Werke  auszeichnet.  Aber  man  muss  den  ^ecbischen  Patriotismus 
des  Mannes  richtig  verstehen.  Spätere  Historiker  haben  ihm 
oft  einer  ihrer  Meinung  nach  übertrieb'enen  Feindschaft  gegen 
die  Deutschen  angeklagt,  aber  diese  Feindschaft  hatte  ihre  hin- 
reichenden Gründe:  ging  auch  IIuss  nicht  auf  einen  rein  politi- 
schen Standpunkt  über,  so  rief  doch  sein  patriotisches  Gefühl 
einen  Widerstand  gegen  die  Bedränger  hervor,  die  noch  dazu 
als  Feinde  der  Reform  schon  im  ersten  Streit  über  die  Thesen 
WicIifFe's  auftraten.  Die  Beschuldigung  der  Schürnng  des  Hasses 
gegen  die  Deutschen  wurde  gegen  ihn  schon  auf  dem  Goncil 
zu  Konstau>^  erhoben.  Er  antwortete  aufrichtig  und  der  Wahr- 
heit gemäss:  „Ich  habe  gesagt  and  sage  noch,  dass  die  Cecben 
im  Königreich  Böhmen  nach  dem  Gesetz,  ja  auch  nach  dem 
Gesetz  Gottes  und  der  Forderung  der  Natur  die  ersten  in  den 
Aemtem  sein  müssen,  wie  es  die  Franzosen  in  Frankreich  und 
die  Deutschen  in  ihren  Ländern  sind,  damit  der  Ceche  seine 
Untertbanen  regieren  könne,  der  Deutsche  aber  die  Deutschen. 
Aber  was  hätte  es  für  einen  Nutzen,  wenn  der  Ceche,  ohne 
deutsch  zu  können,  in  einem  deutschen  Lande  Pfarrer  oder 
Bischof  wäre?  .  .  .  Ebenso  viel  Nutzen  haben  auch  wir  Cechen 
Ton  einem  Deutschen.  Und  also,  da  ich  weiss,  dass  das  so- 
*ol  gegen  das  Gesetz  Gottes  als  die  Canones  ist,  so  sage  ich 
auch,  dass  es  nicht  erlaubt  ist."  Hilferding  bat  richtig  be- 
merkt,   dass    der    Patriotiotismus    bei    Huss  in    zweiter    Linie 


'  Seine  Orthogi'ftii  hiu  ist  lateiuisüh  geschrieben  und  mit  fethischw 
UebereeUung  von  A.  V.  Sembera  herausgegeben;  „Mistra  Jan»  Husi 
Ortografie  5eaka",  1857. 


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02  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Öechen. 

stand,  in  erster  die  Forderung  des  christlichen  Gebotes.  „Ich 
sage  auf  m«in  Gewissen",  schrieh  Hubs,  „dass,  sollte  ich 
einen  Ausländer  kennen,  woher  er  auch  sei,  der  nach  seiner 
Tugend  Gott  mehr  liebte  und  für  das  Gute  einträte ,  als 
mein  leiblicher  Bruder,  so  wäre  er  mir  lieber  als  der  Bruder. 
Und  so  sind  mir  gute  englische  Priester  lieber  als  unwürdige 
öechische,  und  ein  guter  Deutscher  lieber  als  ein  schlimmer 
Brnder." ' 

Husb'  fiechische  Werke  haben  alle  eine  mehr  oder  weniger 
nahe  Beziehnng  zur  Reform:  sowol  die  der  Auslegung  der  Hei- 
ligen Schrift  gewidmeten,  als  die  polemischen  —  in  den  verschie- 
denen von  uns  schon  angeführten  Fragen  der  Reform  —  und 
die  moralischen.  Dabin  gehören  z.B.  seine  „Postilla"  {d.i. 
Erklärung  der  Sonntagsevangelien,  mit  andern  Werken  heraiiB- 
gegeben  in  Nürnberg  1Ö63),  das  wichtigste  von  seinen  cechischeD 
Werken;  „Die  Erklärungen  desSymbolums  u.s.w.''  („Vyklad 
vetäi  na  pätere",  herausg. :  „Mistra  Jana  Husi  kazatele  slayneho 
dSdice  ^eskeho  dvanäcti  £länkäv  riry  kfesfanske  obecne"  u.  b.  «• 
Prag  1520  u.  ö.);  „Neun  goldene  Stücke",  theologische  Be- 
trachtungen über  die  ErschafiFung  der  Welt,  über  die  Engel  nud 
über  die  Fragen  der  christlichen  Ethik,  wo  Huss  die  rein  cfarist- 
lichon  Ideen  im  Gegensatz  zu  der  conventionellen  katholischen 
Moral  darstellte:  „Wer  einen  Heller  um  Gottes  willen  bei  gut«r 
Gesundheit  gibt,  der  ehrt  Gott  den  Herrn  mehr  und  bringt  seiner 
Seele  mehr  Nutzen,  als  wenn  er  nach  seinem  Tode  so  viel  Gold 
gäbe,  als  zwischen  Himmel  und  Erde  Platz  finden  könnte",  u.  dgl.; 
„lieber  die  sechs  Irrthümer",  ein  polemisches  Werk  über 
die  kirchlichen  Verirrongen  in  b^trefT  der  Sündenvergebung,  des 
Gehorsams,  des  Kirchenbannes  u.  8.  w.;  ferner  die  „Lehre 
vom  Abendmahl"  (Nürnberg  1583);  „Von  der  Ehe";  „Von 
der  Simonie";  „Der  Spiegel  des  sündigen  Menschen" 
u.  a.  Hinsichtlich  des  letztem  meinte  man,  er  sei  von  den  An- 
hängern Huss'  geschrieben  worden,  als  schon  der  religiöse  Ihkss 
entbrannt  war  —  weil  sich  die  Schrift  boshaft  über  die  katho- 
lische Priesterscbaft  äussert.  Von  den  Werken  über  die  christ- 
liche Ethik  ist  am  bekanntesten  seine  „Tochter  oder  über 
die  Erkenntniss  des  rechten  Weges  zum  Heil"  („Dcerka, 
0  poznüni   cfisty  prave  k  spaseni",   herausg.  von  Hanka,  1825); 


■   Hilferding,  a.  a.  O.,  S.  9. 


.,  Cookie 


Johann  Huss.  93 

„Die  dreifache  Schnur"  („Proväzek  tripramenn^",  1411)  — 
ans  Glaube,  Liebe  und  Hoffnung  u.  b.  vr.  Danach  sind  als  wichti- 
ges Denkmal  seiner  titerarischen  Thatigkeit  und  Propaganda  eine 
Menge  Briefe  geblieben,  lateiniBche  und  cechische,  von  denen 
besonders  bekannt  sind  seine  cechischen  Sendschreiben  an  Freunde 
und  Genossen,  geschrieben  aus  dem  GefängnisB  zu  Konstanz,  voll 
Krgebenheit  in  Gottes  Willen  und  voll  tiefer  Ueberzeugung,  die 
einen  tragisch  erschütternden  Eindruck  hinterlassen.  Endlich  war 
Haas,  wie  man  annimmt,  Verfasser  von  drei  „geistlicben  Lie- ' 
dern"  (Jesu  Kriste,  stedr^  kneze  —  Jesus  Christus,  milder 
Fürste;  JeäiS  Kristus,  bozskä  müdrost  —  Jeans  Christus,  gött- 
liche Weisheit;  Äivy  chlebe,  kteryi  —  Lebendiges  Brot,  das  u,  s,  w. 
im  Kralicer  Cancional,  1576):  dies  war  der  Anfang  der  hussi- 
tischen  geistlichen  Poesie,  welche  sich  in  der  Folge  bedeutend 
entwickelte. ' 

Von  solcher  Art  war  die  umfängliche  Thatigkeit  des  Mannes, 
der  das  Haupt  einer  grossen  religiös-sittlichen  Reform  seines 
Volkes  war  nnd  der  die  entscheidende  Initiative  zu  einer  Reform 
in  Westeuropa  ergriff.  In  der  That,  die  Predigt  und  die  Werke 
Husb'  führen  uns  definitiv  aus  dem  Mittelalter  heraus  und  stellen 
uns  auf  den  sittlichen  Boden,  auf  dem  das  neue  europäische  Selbst- 
bewusstsein  erwachsen  ist.  Huss  war  Scholastiker  nach  dem  Aeug- 
Bem  «einer  Werke,  weil  die  Scholastik  noch  die  einzige  Form 
für  derartige  Arbeiten  war;  aber  eine  ganze  Kluft  trennt  ihn 
z.B.  von  Thomas  von  Aquino:  in  dieser  Form  kamen  hei  Huss 
die  tiefsten  Forschungen  nach  der  christlichen  Wahrheit  und 
das  lebendige  Bewnsstsein  der  berrüchenden  Verderhniss  zum 
Aasdmck.  Sein  nationaler  Kampf  gründete  sieb  auf  das  Streben, 
die  Volksmasse  sittlich  zu  heben.  Seine  kirchliche  und  dogma- 
tische Polemik  war  auf  die  sittliche  Befreiung  der  Persönlich- 
keit gerichtet,  der  er  zum  ersten  mal  ihre  innere  Unabhängig- 
keit und  Selbständigkeit  wiedergibt;  für  sie  stellt  er  als  Gesetz 
nnr    die   Heilige    Schrift    auf    unter    Vernichtung    der   äussern 


'  Hngg'  Sechiache  Werke  wurden  (tPBainineU  in  dor  Aungabp:  Mistra 
Jana  Hutii  Sobrane  Spisy  feeke.  Z  iitijslarSieh  znaiiijoh  pi-aiuenä  k  vy- 
dÄrii  ä|>ra»il  K  J.  Erben  (3  Bde.,  Prag  iaiJ.1,  I8i!ti,  18tl«),  Beim  liritteu 
Bande  findet  sich  eine  bibliographische  üeberaieht  der  Handschriften  und 
alt*D  Drncke  der  t-echiachen  Werke  von  Huss.  Veif;l.  Jirefek,  Ru- 
koTJt  8.  V. 


.....Gooj^lc 


94  Fünftea  Kapitel.    I.   Die  Öechen. 

Autorität,  weil  die  Wahrheit  höher  als  die  Person  und  hoher 
als  jede  Ueberliefemng  stehe.  Das  einzige  den  Menschen  bin- 
dende Gesetz  sei  die  Lehre  dos  Evangeliums,  welche  Huss  in 
ihrer  ganzen  Urspriinglichkeit  auffasste,  und  der  eigene  Verslacd 
des  Menschen.  Kurz,  in  seinen  religiösen  und  ethischen  Be- 
griffen traten  die  Principien  jener  reinen  Humanität  hervor, 
welche  später  die  höchste  ideale  Grundlage  der  europäischen 
menschlichen  Gntwickelung  wurde.  Huss'  unmittelbarer  Einfluss 
'  auf  die  reformatorische  Bewegung  Europas  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert ist  bekannt. 

Huss'  national  -  reformatorischer  Thätigkeit  schlössen  sieb 
als  Freunde  oder  als  (Jegner  an  nicht  nur  alle  massgebenden 
Gelehrten  und  der  gebildete  Theil  der  Gesellschaft,  sondern  es 
wurde  schliesslich  auch  das  ganze  Volk  in  den  beginnenden  reli- 
giösen und  politischen  Kampf  mit  fortgerissen.  Die  Literatur, 
die  lateinische  und  nationale,  wurde  gleich  von  Anfang  an  zn 
einem  Werkzeug  dieses  Kampfes  und  die  literanschc  Thätigkeit 
gewann  einen  Umfang  wie  nie  znvor,  Sie  war  vorwiegend  theo- 
logisch: die  Befreiung  von  dem  drückenden  Joche  des  verderb- 
ten Klerus  war  der  erste  Schritt,  den  die  Gesellschaft  im  Mittel- 
alter thun  musste;  hier  wurde  dieser  Schritt  von  der  Masse  des 
Volks  gethan.  Die  Literatur  reflectirte  den  Ghai-akter  der  Zeit; 
die  stürmische  Aufregung  des  Streites  brachte  eine  Menge  pole- 
mischer Werke  von  beiden  Seiten  hervor. 

Aus  Hubs'  Ideen  entwickelte  sich  die  Thätigkeit  der  andern 
leitenden  Personen  jener  Zeit;  ihre  eifrige  Propaganda  rief  eioe 
ebenso  thätige  Beaction  seitens  der  Anhänger  der  alten  Ord- 
nung, alsdann  aber  auch  der  gemässigten  Anbänger  der  Reform 
hervor.  Die  Ereignisse  und  die  einmal  in  Bewegung  gebracht« 
nationale  Idee  brachten  immer  neue  Fragen:  so  erweiterte  die 
Literatur,  die  anfangs  vorwiegend  geistlich  war,  ihren  Umfang 
allmählich  auf  rein  staatliche  oder  gesellschaftliche  Gegenstände. 
Sie  bewegte  sich  in  zwei  Sprachen:  das  Latein  gab  ihr  Zutritt 
auch  jenseit  der  Grenze  Böhmens,  es  wirkte  aber  auch  zu  Hause, 
weil  die  Kenntniss  der  lateinischen  Sprache  durch  die  Schule 
stark  verbreitet  war.  Die  Bildung  hatte  sich  so  gehohen,  dsss 
im  15. — 16-  Jahrhundert  sogar  Frauen  gar  nicht  übel  zur  Ver- 
theidigung  der  Reform  schrieben. 

Von  den  Männern,  welche  Huss'  Streben  theilten,  rauss  vor 
allem   sein  Freund  Hieronymus    von  Prag    genannt   werden. 

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Hieroujmut  von  Pra^.  95 

dessen  Name  mit  Huss  his  zu  dessen  letztem  Schicksal  verbuu- 
den  ist.  Hieronymus  war  übrigens  mehr  als  patriotischer  und 
religiöser  Agitator  denn  als  Schriftsteller  bekannt.  Er  war 
gegen  10  Jahre  jünger  als  Hubs  (geb.  um  1379),  atudirte  in  Prag, 
ward  1398  BaccalaureuB ;  1399  begann  er  seine  langen  Wande- 
mngen  durch  Europa,  während  der  Zwischenzeiten  in  Frag  lebend. 
Nach  der  Rückkehr  von  seiner  ersten  Beise,  1401,  nahm  er  an 
den  prager  Angelegenheiten  Aiitheil.  Im  Jahre  1402  brachte  er 
aus  Oxford  die  Werke  'Wicliffe's;  1403  reiste  er  nach  Paris,  wo 
er  an  der  Sorbonne  den  (>rad  eines  Magisters  der  freien  Künste 
erhielt,  und  Hess  sich  schon  liier  in  religiöse  Dispute  ein,  sodass 
er  1406  von  dort  fliehen  musate.  In  ebensolcher  Weise  musste  er 
sich  aus  Köln  und  Heidelberg  retten.  Im  Jahre  1407  war  er  in 
Prag;  er  begab  sich  dann  aufs  neue  nach  "Oxford,  von  wo  er  wieder 
floh.  In  den  folgenden  zwei  Jahren  lebte  er  in  Prag,  wo  er,  als 
„Magister"  aufgenommen,  am  üniversitätskampf  Antheil  nahm. 
Fenier  im  Jahre  1410  wieder  Disputationen  in  Pest,  Wien  und 
nieder  Flucht.  Im  Jahre  1412  nahm  er  eifrigen  Antheil  an  dem 
erwähnten  Kampfe  gegen  den  Ablass,  hielt  gegen  denselben  eine 
fulminante  Rede  im  Carolinischen  CoUegium  und  verbrannte  die 
lüpstlichen  Bullen  über  den  Ablass.  Zugleich  mit  Hubs  ent- 
fernte sich  auch  Hieronymus  aus  Frag.  Im  Jahre  1413  begab 
er  sich,  berufen  vom  polnischen  Hofe,  nach  Krakan,  stellte 
sich  dem  König  Wladyslaw  vor  und  reiste  dann  mit  Witowt 
nach  RuBsland  und  Litauen.  Hier  kam  er  mit  griechisch- 
katholischer Bevölkerung  zusammen,  nahm  an  deren  Festen 
theil,  erwies  den  Reliquien  und  Bildern  Verehrung,  sodass  die 
Meinung  bestand,  er  habe  sich  der  griechischen  Kirche  ange- 
schlossen:' dieser  Umstand  diente  nachher  als  Auklagepunkt 
von  katholischer  Seite,  und  für  die  neuem  Historiker  slavophi- 
ler  Richtung  bewies  er  die  innere  Verwandtschaft  des  Hug- 
sitenthnms  mit  der  griechischen  Kirche.  Als  sich  Huss  an- 
schickte, nach  Konstanz  zu  gehen,  rieth  ihm  Hieronymus  ab 
—  er  werde  von  dort  nicht  mehr  zurückkehren;  später  war  er 
aber  auch  selbst  in  Konstanz,  gerieth  zuletzt  in  die  Hände  des 
Concils  und  ward  am  30-  Mai  1416,  wie  sein  Freund,  verbrannt. 
Hieronymus  von  Frag  war  berühmt  durch  seine  Gelehrsam- 
keit, die  selbst  die  des  Huss  übertroffen  haben  soll,  und  seine 
Beredsamkeit.  „Niemals  habe  ich  einen  Mann  gesehen",  sagt 
sein  Freund  und  Biograph,  der  berühmte  Italiener  Poggio  Brac- 

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96  FünfteB  Kapitel.    I.   Die  Öechen. 

ciolini,  „den  man  besser  mit  den  Rednern  der  classischen  Zeit«n 
vergleichen  könnte,  die  in  uns  bo  viel  Bemindening  erregen." 
Auf  dem  Scheiterhaufen  bewies  Hieroymus  eine  ebenso  ruhige 
Männlichkeit  vrie  Hu88.  „NiemaU  ist  einer  von  den  Stoikern 
dem  Tode  mit  so  festem  Sinne  und  ruhigem  Herzen  entgegen- 
gegangen", sagt  derselbe  Bracciolini. '  Hieroujmiis  schdot 
wenig  geschrieben  zu  haben,  und  auch  das  hat  sich  nicht  alles 
erhalten;  man  nennt  ein  lateinisches  Werk  von  ihm:  „Compen- 
dioas  descriptio  vitae  et  mortis  M.  Johannie  de  Hussincte", 
einige  Briefe  und  Üebersetzungen  einiger  Werke  WicIifTe's,  zu- 
sammen mit  Hu88  verfasst.  * 

Die  Verbrennung  von  Huss  und  Hieronymns  machte  gewalti- 
gen Eindruck  in  Böhmen;  gegen  das  Konstanzer  Concil  protestirte 
auch  die  prager  Universität,  deren  Mitglieder  seitdem  thätigen 
Antheil  an  der  Verbreitung  der  Reform  nahmen  und  derselbei 
durch  ihre  Bedeutung  Kraft  gaben.  In  der  Literatur  sprach  sich 
sowol  die  Verschiedenheit  der  durch  die  Reform  erzeugten  Mei- 
nungen, als  ein  Schwanken  der  Gesellschaft,  die  durch  die  neuen 
Ideen  stark  erschüttert  war,  aus.  Wir  nennen  die  Hauptpersonen 
jener  Zeit,  welche  durch  ihre  literarischen  (übrigens  zuweilen 
nur  lateinischen)  Arbeiten  und  lebendigen  Antheil  am  Kampfe, 
der  bald  nach  Huss'  Tode  entbrannte,  hervorragen.  Dahin 
gehört  Jakob  von  Mies  (oder  Jakoubek  ze  Stfibra;  Jaoo- 
bellus ,  gestorben  1429) ,  berühmt  durch  Gelehrsamkeit  und 
Verfasser  vieler  lateinischer  Tractate  und  Reden,  vorwiegend 
polemischer,  und  einiger  Cechischcr  Werke. '  Er  ward  gleich 
von  Anfang  an  ein  eifriger  Anhänger  der  Lehren  von  Huss 
und  ist  durch  die  Einführung  des  Ritus  bekannt,  der  schon 
zu  Huss'  Lebzeiten  die  Husaiten  von  der  katholischen  Kirche 
schied.  Dies  war  der  berühmte  „Kelch"  (calix),  das  Abend- 
mahl „unter  beiderlei  Gestalt",  Brot  und  Wein,  woher  auch  die 


'  Deecriptio  oliitu»  et  Hnpplicii  Hieronymi  Praftensis. 
'  JuDgmann,  S.  41 ;  Rukov6(  I,  314. 

'  „EpiStoly    ned^ini  b  vj'klady  pfes  celj'  rok"   („Soiiiitaf(Bepii>telD  mi' 
Erkläruui^en  durch  dae  ([mizr  Jabr",    lierauitgeifeben  15C4);  „Käzaui  o  po- 

ciivosti"  u.  B.  w.  (I'redigteu  über  die  Rpphtscbtfffniieit"  n.  s.  w.,  l,M5);  „Bob* 
tiiyslne  käzani  a  roKmIuuvani  vi'rnt'  du*e  s  Pan^m  Kristtm'"  (..Fruiurae  Tre- 
iligteu  und  Gesprilclie  doi-  Kläiiliiuen  Seele  mit  dem  Herrn  Cbrialus",  1.M5I; 
„Paasio  Joanuin  Huei";  kirehlicbe  Lieder. 


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Huen'  Nachfolger.  97 

Anhänger  der  Reform  den  Namen  Utraquisten  oder  Calixtiner  em- 
pfingen. Die  katholische  Partei  stellte  seine  Werke  in  eine  Reihe 
mit  den  Büchern  von  Huss ,  und  der  Bescblnss  des  Concils  zu 
Konstanz,  1418  durch  eine  päpstliche  Bulle  bestätigt,  befahl,  dass 
die  Werke  Wicliffe'H,  ins  Öechiscbe  übersetzt  von  Husb  und 
Jakob,  ferner  die  Werke  von  Huss  selbst  (namentlich  ,,Von  der 
Kirche")  und  Jakob  (vom  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt, 
vom  Antichrist  u.  s.  w.)  verbrannt  würden.  In  den  Zwisten  der 
gemässigten  prager  Partei  mit  den  Taboriten  hielt  sich  Jakob 
anfangs  zur  radicalen  Partei  und  suchte  die  Gegensätze  zu 
TersÖbnen,  trat  aber  dann  auf  die  Seite  der  Gemässigten  über. 
8eiDe  Werke  hatten  grossen  Einllnes,  stiessen  aber  auch  auf 
starken  Widerstand ,  sowol  der  orthodoxen  Katholiken  als  der 
radicalen  Taboriten:  der  Mittelweg  befriedigte  weder  diese 
noch  jene.  Johann  von  Jesenice,  ein  naber  Freund  von 
Hnss,  sein  Vertheidiger  in  Rom,  Verfasser  eines  lateinischen 
Tractats  gegen  die  prager  theologische  Facultät  im  Jahre  1412, 
nnd  zuletzt  Verfasser  eines  Werkes  zur  Vertheidigung  von  Huss 
gegen  das  Konstanzer  Concil,  wurde  in  den  Bann  gethan,  an 
den  er  sieb  aber  nach  den  BegrifTen  der  neuen  Lehre  nicht  im 
mindesten  kehrte.  -  Er  war  überhaupt  eine  thätige  historische 
Person  der  Hussitenzeit.  Ebenfalls  mehr  praktisch  als  litera- 
risch wirkte  zu  Gunsten  des  Hussitenthums  der  Magister  Jobann 
von  Kheinstein,  mit  dem  Beinamen  Kardinal,  der  sich  als 
Huss'  Vertheidiger  nach  Konstanz  begab  und  dann  Rjector  der 
Universität  war  (ein  lateinischer  Tractat  vom  Abendmahl  unter 
beiderlei  Gestalt  im  Sinne  des  Jakob  von  Mies).  Besondern  Ein- 
fluBS  übte  der  vielseitige  Gelehrte  Christian  von  Prachatic 
(gest.  1439),  Arzt,  Mathematiker  und  Astronom,  der  für  seine 
Zeit  wichtige  öechische  Werke  auf  diesen  Gebieten  hinterliess, 
einigemal  Rector  der  Universität  und  thätiger  Theilnehmer  an 
den  Ereignissen  war.  Er  war  auch  mit  Huss  eng  befreundet, 
besuchte  ihn  in  Konstanz,  wurde  selbst  seiner  Ansichten  wegen 
zur  Verantwortung  gezogen  und  erhielt  nur  dadurch  die  Frei- 
heit, dass  König  Sigismund  für  ihn  eintrat.  In  der  Folgezeit, 
im  Streite  der  Taboriten  mit  den  Pragern  stand  er  auf  Seit«  der 
Gemässigten,  was  ihm  Verfolgungen  und  Verbannung  eintrug; 
später  kehrte  er  nach  Prag  zurück  und  wurde  kurz  vor  seinem 
Tode  zum  Gubernator  der  Utraquistenpartei  erwählt.  Simon 
voQ  Tiänov  (Tischnowitz;  hussitischer  Tractat  „De  unitate  eccle- 

Prni,  SIiTluhe  LiMulnren.    II,  3.  7 

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98  Fünftes  Kapitel.    I,  Die  CeoLeu. 

siae"  u.  s.  w.)  nabm  am  Streit  der  Universitätsnationen  theil,  an 
der  Vertheidigung  der  Werke  Wicliffe's  und,  als  er  Kectov  der 
Universität  war,  vertheidigte  er  Huss  gegen  den  Erzbiscbof  von 
Prag;  im  Jahre  1417  vertheidigte  dieser  Magister  Huss'  Tractat 
von  der  Kirche.  Er  verbreitete  dag  Hussitenthum  auch  id  Mäh- 
ren, wo  er,  wie  es  scheint,  nach  Niederlegung  des  Hectorats, 
Priester  war,  ging  aber  später  auf  die  Seite  der  Katholiken  über: 
haereticos  acriter  oppugnavit,  bemerkt  über  ihn  der  Jesuit  Bai- 
bin. Ein  Anhänger  von  Huss  war  auch  Prokop  von  Pilsen, 
der  Öffentlich  an  der  Universität  Wicliffe's  Werk  „De  ideis"  ver- 
theidigte, auf  der  stürmischen  Versammlung  im  Jahre  1412  fiir 
Huss  eintrat  und  spater  einigemal  Bector  der  Universität  war. 
Später  ward  Prokop,  der  sich  übrigens  weder  durch  grosse  Ge- 
lehrsamkeit noch  durch  Talent  auszeichnete,  wie  viele  andere, 
ein  Gegner  der  Taboriten  und  Bundesgenosse  ihres  Feindes  Jo- 
hann von  Pribram,  und  ging  in  der  Milderung  seiner  Ansich- 
ten soweit,  dass  er  zuletzt  den  echten  katholischen  Reactionäreu 
nicht  fern  stand.  Endlich  erwähnen  wir  noch  Peter  von  Mla- 
denovic  (gest.  1451),  von  Geburt  ein  Mährer,  der  in  Konstanz 
als  Secretär  Johann's  von  Chlum,  des  Delegirten  der  prager  Uni- 
versität, war.  Huss  empfahl  in  einem  Briefe,  aus  Konstanz  Peter 
den  Prägern  als  seinen  treuesten  Freund.  Später  trat  auch  er 
auf  die  Seite  der  Prager  gegen  die  Taboriten.  Er  schrieb  zwei 
wichtige  Berichte  über  Huss'  Schicksal  in  Konstanz,  den  einen 
grössern  lateinisch,  den  andern  techisch;  der  deutsche  Ge- 
lehrte Agricola  im  JC.  Jahrhundert  gab  sie  in  deutscher  Ueber- 
setzung  heraus,  1538  und  1548,  der  Cechische  Text  wurde  her- 
ausgegeben im  Passionale  1495,  und  besonders,  Prag  lit'dS,  ond 
ohne  Jahr  (IGOO);  neu  herausgegeben  nu  Prag  1870.  Man  nimmt 
an,  dass  Peter  von  Mladenovic  ein  ähnlicher  Bericht  über  das 
Schicksal  des  Hieronjmus  von  Prag  angehört. ' 

Es  gab  eifrige  und  gelehrte  Leute  unter  den  Gegnern  von 
Huss;  sie  vertheidigten  hartnäckig  den  Klerus,  welcher  sich  anf 
dieselben  stützend  die  Oberhand  gewann,  als  sich  die  Kraft  des 
Volkes  im  Kampfe  erschöpfte.     Stanislav  von  Znaim  galt  for 


'  „Zivot  a  skoniiiii  slaVDcho  Mistra  Jevonyma",  a.  1.  p.  a.,  vielleii-ht  zn 
Anfang  lies  17.  Jahrhunderta  gedruckt.  Vor  kui-zcm  gab  JaroBlsv  Goll  den 
alt«n  Text  ilieaer  Erzählung!  nach  einer  Handncbrift  dea  15.  Jahrhunderts  her- 
aus: „Vypsäni  o  Mistru  Jeronymovi  z  Prahy"  (Pn^;  1878). 


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Hiihb'  Gegner.  99 

eiDen  der  besten  Gelehrten  und  Professoren  in  Prag  (Commentar 
zur  Physik  des  Aristoteles:  „UniversalJa  realia"  u.a.);  Huss  war 
sein  Schüler.  Anfangs  vertheidigte  Stanislav  auch  die  Lehre 
Wicliffe'a  und  übertraf  sogar  Huss  durch  seinen  Eifer,  aber 
im  Jahre  1412  trennte  er  sich  ganz  von  ihm;  von  da  an  stand 
er  an  der  Spitze  von  Huss'  Gegnern  auf  den  kirchlichen  Synoden 
und  den  Universitatsconventen  und  schrieb  gegen  Huss  pole- 
mische und  anklagende  Tractate.  Indem  er  sich  auf  den  Aus- 
spruch des  Augustinus  stützte,  dass  der  Gehorsam  höher  sei  als 
alle  andern  Tugenden,  gelangte  er  schliesslich  zum  äussersten  Fa- 
natismus und  rief  gegen  die  Ketzer  die  geistliche  und  weltliche 
Strafe  herbei.*  Stephan  von  Palec  (gest.  nach  1421)  war  einer 
der  ersten,  der  die  Lehre  Wicliffe's  annahm,  trat  aber  dann  nebst 
Stanislav  gegen  Huss  auf  und  war  auf  dem  Konstanzer  Concil 
einer  der  schlimmsten  Ankläger  des  Huss  und  Hieronymus.  Durch 
bemerkenswerthe  Fruchtbarkeit  zeichnete  sich  auch  Andreas 
von  Böhmischbrod  aus,  der  im  Universitätsstreit  auf  natio- 
naler Seite  stand,  aber  eifrig  gegen  Wicliffe  auftrat;  auf  dem 
Concil  zu  Konstanz  war  er  ebenfalls  ein  eifriger  Ankläger  des  Huss. 
Aber  die  erste  Stelle  unter  den  Anklägern  des  Huss  und  Hiero- 
nymus {Pale6,  Michael  de  Causia,  Andreas  von  Böhmischbrod,  Jo- 
hann Protiva)  nimmt  Johann,  Bischof  von  Leitomischl  ein,  der 
ebenfalls  lateinische  Tractate  gegen  Huss,  Episteln  und  andere 
Werke  hinterlassen  hat.  Die  cechische  Geistlichkeit  der  katho- 
hschen  Partei  sandte  ihn  auf  eigene  Rechnung  zum  Konstanzer 
Concil,  wo  er  als  Repräsentant  derselben  galt.  Ferner  Johann 
von  Holesov  (gest.  143G),  Wenzel  von  Cbvaletic,  Stephan 
Dolansky  (gest.  1421),  Verfasser  vieler  antihussitischer  Werke: 
„Änti- Wicliffe",  „Anti-Huss",  „Epistola  invcctivu  matrisEcclesiae 
contra  ahortivos  filios"  u.  s.  v.  * 


'lieber  ihn  die  AbhaodluQg  von  A.  DuvernoiB:  „Stanislav  Znoemskij 
i  JauHug"  (Moekau  1871),  oinBuch  mit  grossen  Foraehungen,  aber  sondcr- 
Itarcr  Tendenz. 

'  Diese  lateinische  Literatur  Aber  Husa  und  die  Hassiten  ist  aehon  vor 
langer  Zeil  geaammelt  worden.  Dahin  gehört  z.  B.  „Inrectiva  contra  Ilua- 
eitae";  „Depositioues  testium"  aue  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts; 
i-ine  äammlang  lateinischer  und  Eechiacher  Tractate,  Synodalacten  (141? — 
I6<)9)  u.  B.  w.,  zusammengestellt  in  der  erateu  Uälfte  des  IT.  Jahrhunderts 
loo  Volineky.     Gedruckte  Sammlungen ;    das  erwähnte  Buch  über  das  Koo- 


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100  FiinrteH  Kapitel.     I.    Die  Ceohen. 

Wäbrend  der  grössten  Glut  der  husKitierhen  Unruhen  und 
Kriege  treten  neue  Schriftsteller  auf,  deren  Thätigkeit  eng  mit 
den  EreigniBsen  verbunden  iet.  In  der  gemäaaigten  Partei  wftren 
besonders  Fnbrsm  und  Rokycana  bekannt.  Johann  von  Pri- 
bram,  gest.  1448),  eine  der  bekanntesten  Personen  seiner  Zeit, 
betrat  den  Schauplatz  in  den  letzten  Jahren  von  Husb;  er  war 
anfangs  ein  eifriger  Anhänger  desselben  und  des  „Kelches",  zeich- 
nete sich  aber  später  mehr  durch  Feindschaft  gegen  das  radi- 
cale  Taboritenthum  als  durch  Eifer  für  die  Vertheidigung  des 
Hussitenthums  aus;  zuletzt  trat  er,  wie  viele  andere,  ganz  von  dem- 
selben zurück,  z.B.  als  er  1427  offen  der  prager  Geistlichkeit  bei- 
trat, die  sich  dem  Papste  unterwarf,  und  als  er  die  Polemik  mit 
Rokycana  über  den  Gehorsam  gegen  den  päpstlichen  Stuhl  führte. 
Seine  umfängliche  literarische  Thätigkeit  war  ganz  der  Wider- 
legung WiclifTe's  und  den  Anklagen  gegen  die  Tahoriten  gewidmet: 
diese  Anklagen  sind  dadurch  sehr  wichtig,  dass  sie  nach  Verlnst 
der  tahoritischen  Werke  eine  werthvolle  Quelle  für  die  Erfor- 
schung der  GeBchichte  dieser  Bewegung  bilden.  Seine  Werke, 
die  lateinischen  nnd  die  dechischen,  haben  den  allgemeinen  Cha- 
rakter der  damaligen  Literatur:  es  sind  theologische  und  polemi- 
sche Tractate,  Quaestiones,  Reden.'  Besonders  wichtig  bezüglich 
der  Nachrichten  über  die  Taboriten  ist  sein  dechisches  Buch: 
„Lebensbeschreibung  taboritiacher  Priester",  wo  er  ihre  Lehre 
darstellt  und  sogar  bisweilen  wörtlich  Stücke  aus  ihren  jetzt  ver- 
lorenen Werken  citirt.  *  Er  griff  besonders  den  Engländer  Payne, 
einen  eifrigen  Tahoriten,  an,  warf  den  Taboriten  vor,  dass  sie  so- 
gar Hubs  und  Wicliffe  hinter  sich  liessen;  wo  er  z.  B.  von  der 
Reinigung  von  den  Sünden  auf  dieser  Welt  spricht,  welche  die 
Taboriten  verwarfen,  drückt  er  sicli  so  aus,  —  dass  sie,  „nachdem 
sie  den  Heiligen  ihre  Macht  geraubt,  jetzt  den  armen  Seelen  di* 
Reinigung  von  den  Sünden  raubten".     Pfihram  trat  auch  gegen 


atanzer  Concil  von  Hardt;  Bernbard  F<'Z,  „Tbeaaurus  AnecdotonHD". 
1721;  die  Werke  von  Höfler,  Palackj'  u.  h.  w.  Alier  si^lir  viel  stecki 
Doch  in  HandsChrifteD, 

'  De  conditio  Di  buB  juati  belli;  De  articulis  Viklefi;  De  profeasione  lidti 
oatholicae  et  errorum  revooatione ;  ArtJculi  et  errores  Taboritanim  n.  •- 
Palack^'a  „Arohiv",  auch  Höfler,  „Geschieht Schreiber  der  hmsiti«:heii 
Bewejjung." 

•  „Zivot  knSii  Täborskych",  Handschrift  U'29,  berauegegebeu  in  „Tj'bor". 
U,  und  in  „Caaopis  pro  katol.  duchovenstvo",  1863. 


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Die  Hneeiten.  IQ\ 

den  6echischeii  Gottesdienst  auf,  den  die  Taboritea  eingeführt 
hatten,  da  sie  vernünftigerweise  fanden,  dass  „in  einer  fremden 
Sprache  lesen  soviel  bedeute  wie  gar  nicht  lesen".  Johann  Bo- 
kycana  (Jan  z  Rokycan,  oder  einfach  Rokycan,  Rokycaua,  1397 
—1471)  trat  auch  nach  Huss  auf  den  Schauplatz;  erstand  schon 
früh  an  der  Spitzte  der  Ütraquisten,  und  wenn  er  sich  auch  als 
Schriftsteller  nicht  durch  Selbständigkeit  und  sonderliches  Talent 
auszeichnete,  so  hatte  er  doch  einen  weiten  Einflass  als  bedeu- 
tender Prediger  und  praktisch  ttiätiger  Mann.  Sein  Name  wurde 
schon  1418  öfTentlich  genannt,  als  man  ihn  nebst  andern  auf 
das  Konstanzer  Concil  berief  „als  einen  der  Obern  der  huaaiti- 
achen  Sekte".  Die  Partei  der  ütraquisten  wählte  ihn  sogar  zum 
Erzbischof  von  Prag;  aber  da  er  die  Rechte  der  Ütraquisten 
vertheidigte ,  zog  er  sich  Verfolgungen  des  Königs  Sigismund 
zu,  musste  aus  Prag  fliehen,  kelxte  erst  unter  Georg  Podebrad 
zurück,  und  war  dann  bis  zu  seinem  Tode  Guhernator  der 
utraquistischen  Kirche.  Rokycana  hat  viele  (^echische  Werke 
hinterlassen,  Homilien  und  polemische  Tractate;  am  interessan- 
testen in  historischer  Beziehung  ist  seine  Polemik  gegen  die 
Böhmischen  Brüder  („Sendschreiben  gegen  die  Irrthümer  der 
Begharden")  und  gegen  Pnbram  zur  Yertbeidigung  des  Abend- 
mahls unter  beiderlei  Gestalt  („Anklage  gegen  die  prager  Ma- 
gister Pf  ibram  und  Hilarius")  u.  s.  w.  Sein  schroffer  Charakter 
zog  ihm  Tiele  Feinde  zu,  besonders  von  katholischer  Seite, 
obgleich  auch  er  mehr  zu  ihr  hinneigte,  als  es  sich  für  einen 
utraquistischen  Erzbischof  und  Vcrtbeidiger  der  Gompactata  ge> 
ziemt  hätte. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  der  andern,  der  radicalen  Seite  der 
hussi tischen  Bewegung. 

Trotz  aller  Schwankungen  der  Anhänger  der  Reform  und  sogar 
Verräthereien  ward  das  Hussitenthum  schon  bald  eine  grosse 
Macht.  Die  Universität  stand  auf  Seite  der  Reform;  Freunde 
Ton  Huss  waren  zu  seinen  Lebzeiten  und  nach  ihm  Rectoren  der 
Universität  und  dies  förderte  die  Verbreitung  seiner  Lehre  ausser- 
ordentlich; die  lebendige  Predigt  seiner  Anhänger  trug  allmäh- 
lich den  religiösen  Streit  ine  Volk.  Das  nationale  Element  be- 
gann sich  auszusprechen;  die  Magister,  bei  denen  es  sich  früher 
nnr  um  gelehrte  Polemik  handelte,  begannen  auch  auf  die  Yolks- 
sympathien  Werth  zu  legen;  die  Literatur  des  Hnssitenthums 
wird  aus  einer  vorwiegend   lateinischen  bald   auch  fiechisch.     Je 

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102  Fünftes  Kapitel.    I,    nie  fec-lieu. 

weiter  ins  15-  Jahrhundert  hinein,  desto  häufiger  finden  sich 
^echische  Denkmäler  dieses  Kampfes.  Im  zweiten  Jahrzehnt 
dieses  Jahrhunderts  dringt  die  Frage  in  die  Maese,  im  dritten 
Jahrzehnt  sehen  wir  schon  die  volle  Entwickelung  der  Volkseiii- 
mischung  in  eine  Sache,  die  hisher  nur  von  den  Gelehrten  und 
der  Geistlichkeit  discutirt  wurde. 

Diese  nationale  Bewegung  entwickelt  sich  in  der  That  ühemus 
schnell:  vier  Jahre  nach  Huss'  Tode  trennt  sich  der  kühnere 
Theil  seiner  Anhänger  schon  in  eine  besondere  radicale  Partei 
ah  ,und  vom  Jahre  1419  an  beginnen  die  blutigen  Hussiten- 
kriege —  so  schnell  ergriff  die  einmal  ins  Volk  gedruDgeoe 
Idee  dasselbe  in  thätigem  und  kriegerischem  Enthusiasmos, 
gegen  welchen  ganze  Kreuzzüge,  veranstaltet  von  den  Päpsten 
aus  den  Gläubigen  des  ganzen  katholischen  Europa,  nichts 
auszurichten  vermochten.  Die  religiöse  Stimmung,  welche  in 
der  Lehre  des  Gegners  „eine  teuflische  Eingebung",  in  seioeu 
Handlungen  „die  Strasse,  auf  welcher  der  Antichrist  zum  Ver- 
derben führt"  sah,  und  meinte,  dass  „die  Unordnung  der  an- 
dern Partei  nicht  zu  dulden  sei",  —  diese  Stimmung  gelangte 
schliesslich  zur  äussersten  Erregung.  Die  frische  Volksmasse 
fühlte  das  alte  Unrecht  stärker,  erwartete  ungeduldiger  künf- 
tige Gerechtigkeit  und  Glück,  und  wurde  wirklich  durch  ihre 
Hoffnungen  zu  einem  Fanatismus  hingerissen,  der  ihr  eine  un- 
besiegbare Macht  gab.  Das  Volk  ging  weiter  auch  in  der  Enl^ 
Wickelung  der  Principien  der  Reform  selbst:  gleichgültig  g^en 
die  Traditionen,  die  den  Herrschenden  werthvoll  waren,  zog  es 
bald  die  logischen  Consequenzen  dieser  Principien,  und  wenn 
sich  die  „  Gemässigten "  mit  kleinen  Ooncessionen  und  Ver- 
besserungen (z.  B.  mit  der  Anerkennung  des  „Kelches")  be- 
gnügten, so  war  das  Volk,  einmal  erregt  und  durch  Wider- 
spruch gereizt,  bereit,  ganz  mit  der  alten  Gesellschaft  zu  brechen 
und  eine  eigene,  neue  zu  gründen.  So  waren  eben  die  Taho- 
riten.  „Sie  traten  offenbar  mit  ihren  Anschauungen  zu  früh 
auf",  sagt  ein  Historiker,  „sie  traten  gegen  die  damalige  Welt 
auf,  and  diese  gegen  sie.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  zn 
einigen  Principien,  welche  sie  direct  und  gleichsam  unerwartet 
aussprachen,  die  spätere  Philosophie  nur  durcli  langes  Nachden- 
ken und  nur  mit  Hülfe  eines  gewaltigen  wissenschaftliehen  Ma- 
terials gelangt  ist,  —  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  ihre 
socialen  Bestrebungen  noch  bis  heute  nicht  veraltet  sind." 

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Die  Tuboi'iten.  103 

Die  Taboriten  waren  der  Tollste  (und  damit  zugleich  der  ex- 
tremste) Ausdruck  des  HuBsitenthums,  seine  consequenteste  und 
zugleich  nationalste  Entwickelung.  Das  Auftreten  des  Taboriten- 
thums  war  sehr  natürlich.  Sobald  die  Idee  proclamirt  war,  dass 
das  wahre  Gesetz  nur  in  der  Heiligen  Schrift  enthalten  sei,  dass 
Hierarchie  und  Geistlichkeit  die  menschliche  Vernunft  und  das 
Gewissen  nicht  beengen  könnten,  als  die  Scheusslichkeiten  auf- 
gedeckt waren,  zu  denen  die  von  dieser  Hierarchie  ausschliess-' 
lieh  vertretene  sogenannte  „Kirche"  gelangt  war,  ist  es  be- 
greiflich ,  dass  die  kirchliche  Obrigkeit  und  schliesslich  die 
gesellschaftliche  Ordnung  jeden  Glauben  verlor.  Das  Bibel- 
lesen war  überaus  verbreitet  und  Leute,  die  ein  neues  Leben 
snchteu,  fanden  darin  alles,  was  ihnen  nöthig  war.  Die  eif- 
rige Ueberzeugung  trieb  dazu  an,  nach  Mitteln  zu  praktischer 
Erftillung  der  gewonnenen  Regeln  zu  suchen,  —  dazu  war 
Freiheit  des  Handelns  nöthig.  Man  musste  sich  gänzlich  von 
der  alten  Gesellschaft  trennen,  —  dies  thaten  auch  die  Ta- 
boriten, 

Der  Entschluss,  bis  zu  den  äussersten  Consequenzen  zu 
gehen,  konnte  nicht  Sache  der  Menge  sein,  die  immer  die 
nihigern  Mittelwege  vorzieht.  Katholiken  blieben  nur  wenige 
in  Böhmen,  aber  die  Mehrheit  blieb,  erschreckt  durch  die 
Schwierigkeiten  der  Arbeit,  bei  einem  gemässigten  Hussiten- 
thum  stehen,  —  in  der  von  uns  angeführten  Reihe  der  Schrift- 
steller sahen  wir,  wie  viele  mit  einer  eifrigen  Theilnahme  an 
der  Reform  begannen ,  aber  mit  dem  Mittelweg  endeten.  Die 
standhaftem  und  eifrigem  wurden  Taboriten.  Leider  ist  ge- 
rade von  diesem  Theil  des  Hussiteuthums  am  wenigsten  be- 
kannt. Anf  uns  sind  nur  wenige  Werke  der  Taboriten  ge- 
kommen; von  andern  haben  sich  nur  zufällige  Bruchstücke 
erhalten,  sodass  es  schwer  ist,  sich  einen  vollständigen  Begriff 
von  dieser  Geistesverfassung  zu  bilden.  Aber  man  kann  mit 
Bestimmtheit  sagen,  dass  es,  wie  es  immer  bei  Volksbewegun- 
gen zu  sein  pflegt,  welche  die  Autorität  verwerfen,  im  Kreise 
der  Taboriten  kein  herrschendes  System  gab;  im  Gegentbeil, 
die  religiösen  und  socialen  Ansichten  waren  sehr  manoichfaltig : 
jeder,  der  fähig  war,  ward  zum  Propagandisten  der  Lehren, 
welche  er  für  richtig  hielt ;  die  Gollision  der  Begriffe  ent- 
wickelte diese  immer  weiter,  sodass  sich  zuletzt  ein  wunder- 
bares Gewirr    von   Ansichten    bildete,   vom    gemässigten    Tabo- 

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104  Fünftem  Kapitel.    I.   Die  Cechen. 

ritenthum  angefaDgen,  welches  zum  uisprüDglichen  Cbristeothum 
zurückkehren  wollte,  bis  zum  Chitiasmus,  Jei-  das  Ende  der 
Welt  erwartete,  und  zum  Ädamitentlium,  das  den  PantlieiBmus 
in  die  Religion  und  den  Communismus  ins  Leben  einführte. 
„Alle  Häresien,  die  nur  im  ChriBtenthum  waren",  sagt  der 
Zeitgenosse  Äeneas  Sylvius,  „alles  das  hat  sich  in  Tabor  ver- 
sammelt und  jedem  steht  dort  frei  zu  glauben,  was  ihm  ge- 
fällt," Aus  der  Gärung  dieser  Ansichten,  deren  Vertreter  bis- 
weilen untet^ingen,  da  sie  den  Hass  der  Menschen  durch 
scharfe  Leugnung  der  Ueberlieferungen  und  durcb  phantastische 
Neuerungen  erregt  hatten,  arbeitete  sich  aber  doch  die  Philo- 
sophie Cbelfiicky's  und  die  social-christliche  Gemeinde  der  „Böh- 
misctien  Brüder"  heraus. 

Diese  Mannichfaltigkeit  der  Lehren,  die  uns  eine  üherauü 
interessante  Erscheinung  der  Cultur  des  15.  Jahrhunderts  dar- 
stellt, wurde  you  den  Zeitgenossen  selbst  sehr  confus  aufgefasst- 
Erhaltene  Nachrichten,  die  vorwiegend  von  unversöhnlichen  Fein- 
den des  extremen  Hussitenthums  herrühren,  stellen  alle  ver- 
schiedenen Zweige  desselben  als  Sache  einer  Sekte  dar,  der  in 
Bausch  und  Bogen  alle  fluchwürdigen  Ketzereien  aufgebürdet 
werden.  Ein  Niederer  Chronist  jener  Zeiten  überliefert  die  Er* 
Wartungen  und  Meinungen  der  extremen  Hussiten  so:  „Sie  sagten, 
in  einigen  Tagen  werde  der  Jüngste  Tag  sein;  deshalb  fasteten 
einige,  an  geheimen  Orten  sitzend  und  jenen  Tag  erwartend  (die 
Meinung  der  Chiliasten)  .  .  .  Diese  Priester  sagten  auch,  dass 
alle  Sünder  umkommen  und  nur  die  Guten  bleiben  würden;  und 
deshalb  erschlugen  sie  die  Menschen  ohne  alles  Erbarmen.  Sie 
sagten  auch,  die  heilige  Kirche  werde  zu  einer  solchen  Unschuld 
gelangen,  dass  die  Menschen  auf  Erden  sein  würden  wie  Adam 
und  Eva  im  Paradies,  dass  sich  keiner  vor  dem  andern  schämen 
werde,  dass  alle  gleiche  Brüder  untereinander  sein  sollen,  und 
dass  es  keine  Herren  gäbe  und  dass  einer  dem  andern  nickt 
unterthan  sei,  und  deshalb  nahmen  sie  den  Namen  «Brüder* 
an  .  .  .  Auch  sagten  sie,  es  werde  eine  solche  Liebe  unter  die 
Menschen  kommen  und  unter  ihnen  sein,  dass  sie  alle  Dinge 
zusammen  und  gemeinsam  haben  werden,  auch  die  Frauen,  in- 
dem sie  erklären,  dass  die  Menschen  freie  Söhne  und  Töchter 
Gottes  sein  sollen  und  eine  Ehe  nicht  sein  dürfe  (die  Meinung  der 
Adamiten):  . .  .Sie  sprachen  auch  nicht  in  christlicher  Weise  vom 
Leibe  Gottes  und  vom  Blute  Gottes  ....  und  von  allen  aiidern 

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Die  Tihoriten.  .  105 

Sacramenten  Gottes,  sie  verBpottend  und  für  nichts  achtend  .  .  . 
sie  wollten  nicht  in  Kirchen  Gottesdienst  halten,  wollten  kei- 
nen Ornat  und  andere  heilige  Gegenstände  beim  Gottesdienst 
haben  (die  allgemeine  Meinung  der  Taboriten)  .  .  .  Den  latei- 
niachen  Gesang  in  den  Kirchen  nannten  sie  ein  Heulen  und 
Bellen  der  Hunde  u.  s.  w."  Viele  solche  Nachrichten  tlieilt  be- 
BOüders  der  von  uns  erwähnte  Pribrani  in  dem  Buche:  „Articuli 
et  errores  Taboritarum"  mit.  Er  zählt  genau  ihre  Meinungen 
über  die  Wiederkunft  Christi  und  das  „Reich  der  Guten"  auf,  ihre 
Meiltungen  über  die  sichtbare  Kirche,  welche  sie  mit  allen  ihreu 
Ceiemonien  als  Menschenwerk  verwarfen,  über  das  einzige  Ge- 
setz, das  in  der  Heiligen  Schrift  enthalten  sei,  über  die  Verehrung 
der  Heiligen  und  Reliquien,  an  die  sie  nicht  glaubten,  über  die 
Reinigung  im  künftigen  Leben,  die  sie  nicht  anerkannten,  über 
die  Verwerfung  des  Priesterstandes,  über  die  Fasten,  Heiligen- 
bilder u.  s.  w.  Im  Grunde  genommen  waren  alle  diese  Dinge, 
nur  zuweilen  von  den  Taboriten  übertrieben  (z.  B.  das  Lesen 
der  Bibel  allein  und  das  Verbot  der  Werke  aller  Doctores  und 
Magister  u.  dgl.),  nur  praktische  Äuwendungen  der  Ideen  von 
Huss,  -i.  B.  im  „Tractat  von  der  Kirche".  Die  Lehre  vom  Anti- 
christ, besonders  von  den  Chiliasten  entwickelt,  hatte  schon  im 
14.  Jahrhundert  Matthias  von  Janov  gepredigt.  Aus  den  Grund- 
thesen, welche  Huss  darlegte  und  die  anfangs  fast  jeder  der 
prager  Magister,  welche  später  gemässigte  Calixtiner  wurden, 
vertheidigte ,  mochten  sehr  consequent  die  Resultate  gezogen 
werden,  welche  von  den  verständigern  Taboriten  gepredigt 
wurden.  Hnas  selbst  würde  wol  (mit  einigen  Ausnahmen)  eher 
die  Taboriten  für  seine  Nachfolger  anerkennen,  als  diejenigen, 
die  es  yermochten,  aus  seiner  Lehre  nur  den  ,, Kelch"  heraus- 
zanehmen. 

Eine  der  interessantesten  Einzelheiten  dieser  praktischen 
Ausführung  der  Urkirche  besteht  in  der  demokratischen  Er- 
vartung der  Vernichtung  jeder  Unterthanenscliaft  und  in  der 
Gemeinschaft  der  Güter.  Auf  der  Berathuug  der  feindlichen 
Parteien  zu  Prag  im  Jahre  1420  —  fünf  Jahre  nach  Huss' 
Tode  —  wui-de  schon  folgender  Punkt  der  taborititischen  Lehre 
verurtheilt:  „Auf  Hradistc  oder  auf  Tabor  ist  nichts  mein 
oder  dein,  sondern  alle  haben  gleichmässig  denselben  Antheil; 
und  immer  soll  allen  alles  gemeinsam  sein,  und  niemand  kann 
etwas   für    sich    hüben  —  sonst,    wenn  jemand   etwas    für  sich 

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106  Flinftea  Kapitel.     I.    Die  Ceohen. 

}iat,  so  BÜndigt  er  tödlich."  Schon  ein  Jahr  später  waren  diese 
communistischen  Principien  eingeschränkt;  im  Jahre  1422  findet 
sich  schon  keine  Erwähnung  mehr  von  den  „Kufen",  die  aufge- 
stellt waren  zur  Sammlung  der  gemeinsamen  Easee.  Die  Ver- 
hältnisse brachten  eine  Theilung  in  „Feld"-  (Kriegs-)  und  „Haos"- 
Taboriten  hervor,  —  die  letztern  beschäftigten  sich  mit  der 
Arbeit  und  lieferten  alles  Nöthige  für  die  erstem;  die  Tabo- 
riten  gingen  vom  Kampf  znm  Handwerk  über  und  umgekehrt. 
Sie  hatten  ihre  Gabematoren,  Verwalter  und  Hauptleute  und  die 
socialistischen  Einrichtungen  erhielten  sich  bis  zur  letzten  Nieder- 
lage derselben  bei  Lipan  (1434).  Falack^  nimmt  an,  dass  dieser 
Socialismus  von  den  Chiliasten  herrühre,  die  schon  1420  von 
den  letzten  Tagen  (consummatio  gaeculi)  predigten.  Dieser  Mythus 
vom  Ende  der  Welt,  welcher  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Cbristenthums  auftrat,  lebte  in  den  stürmischen  Zeiten  des 
Hussitenthums  wieder  auf.  Die  Menschen  mit  ihrer  erhitzten 
Phantasie  hörten  schon  von  Schlachten,  wussten,  dass  bald  ein 
Volk  gegen  das  andere  und  ein  Reich  gegen  das  andere  auf- 
stehen werde;  empfanden  schon  an  sich  den  Hass  um  ihres 
Glaubens  willen  und  sahen  die  Greuel  der  Verwüstung  an  heili- 
ger Stätte,  von  denen  Daniel  prophezeit  hatte;  es  traten  „Lügen- 
propheten" auf  (so  schalten  einander  gegenseitig  die  Prediger  der 
feindlichen  Parteien);  danach  schien  es  natürlich,  zu  erwarten, 
dass  der  Verheissung  nach  auch  „des  Menschen  Sohn"  kommen 
werde  in  seiner  Macht  und  Herrlichkeit.  Die  Lehre  der  Chi- 
liasten  hielt  sich  nicht  lange,  aber  brachte  doch  ihre  Früchte: 
leichtgläubige  Bürger  und  Landleute  verkauften  ihre  Güter  und 
suchten  ihr  Heil  „auf  den  Bergen",  ihr  Vermögen  den  Priestem 
übergebend,  was  zum  ersten  mal  etwas  in  der  Art  eines  gemein- 
samen Besitzes  erzeugte  und  vielleicht  den  taboritischen  Socia- 
lismus herbeiführte.  Im  Jahre  1431  ward  durch  Kriegsgewalt 
die  Sekte  der  „Mittlem"  (Mediocres)  in  Mähren  vernichtet, 
deren  Hauptansicht  darin  bestand,  „dass  nnr  gesetzliche  Ab- 
gaben an  Herren  zu  zahlen  seien,  welche  ein  gesetzliches  Recht 
hätten,  dass  aber  andere  ungerechte  Lasten  aufgehoben  seien". 
Daraus  kann  man  folgern,  dass  es  ausser  den  „Mittlern",  d.  i. 
den  Gemässigten,  auch  solche  gab,  die  sicli  nicht  nnr  von  den 
.  ungesetzlichen ,  sondern  auch  den  gesetzlichen  Lasten  lossagten, 
—  wie  es  die  Chiliasten  auch  erwarteten.  Ebensolche  phan- 
tastische Theorien  erzeugte  die  übrigens  wenig   bekannte  Sekte 

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IHü  TaUoriUm.  107 

der  ,,Adatniten",  welche  von  pantheiBtischen,  vielleicht  von  einer 
häretischen  Sekte  des  Mittelalters  ererbten  Principien  ausgingen 
und  behaupteten,  es  gäbe  weder  Gott  noch  Teufel,  beide  seien 
nur  in  guten  und  bösen  Menschen-,  den  heiligen  Geist  in  sich 
selbst  findend^  verwarfen  sie  alle  Bücher  und  Gebote;  alles 
Vermögfin  war  bei  ihnen  gemeinschaftlich,  die  Ehe  galt  ihnen 
für  eine  Sünde,  —  einige  versuchten  sogar  nackt  zu  gehen,  indem 
sie  die  Unschuld  des  Paradieses  in  sich  voranasetzten ;  endhch 
wDfde  von  ihnen  eine  auch  dem  russischen  Raskol  bekannte 
Personificirung  Gottes  angenommen,  da  sie  einen  gewissen 
Peter  den  Sohn  Gottes  und  einen  Landmann  Nicolaus  —  Moses 
nannten,  .  .  .  Dieser  Ansatz  des  Communismus  fand  einen  Feind 
ID  Zi^ka,  der  die  kleine  Gemeinde  vernichtete,  1421.  Der 
berühmte  Ziika  selbst,  der  Führer  des  taboritischen  Heeres, 
welcher  die  politischen  Anschauungen  der  Taboriten  repräsen- 
tirte,  keinen  Unterschied  der  Stande  kannte  und  ein  Feind  der 
Feudalherren  war,  hatte  durchaus  keine  extremen  religiösen 
Ansiebten,  obgleich  er  bei  alledem  ein  Fanatiker  seiner  Ueber- 
zeogungen  war  und  kein  Mitleid  gegen  jemand  kannte,  den  er 
für  einen  versteckten  oder  offenen  Ketzer  hielt.  In  der  letzten 
Zeit  ging  er  bereits  mit  den  Taboriten  auseinander  und  seine 
nähern  Anbänger,  die  sich  nach  seinem  Tode  (1421)  die  „Wai- 
sen" nannten,  bildeten  die  Mitte  zwischen  den  echten  Taboriten 
nnd  den  Caliitinern.  Sie  erkannten  die  streitige  Transsubstan- 
tiation  an,  verehrten  die  Heiligen,  verwendeten  heim  Gottes- 
dienst Ornate.  Nach  der  Meinung  Palacky's  standen  diese  ge- 
mässigten Taboriten  Huss'  wirklichen  Ansichten  am  nächsten. 

Diese  Seite  des  Üechischen  Lebens  im  15.  Jahrhundert  lässt 
sich  nur  nach  historischen  Zeugnissen  darstellen.  Von  der  lite- 
rarischen Thätigkeit  der  Taboriten  sind  nur  wenige  Spuren  ge- 
blieben, die  Geschichte  der  Literatur  muss  daher  um  so  mehr  ihre 
Aufmerksamkeit  auf  sie  richten.  Sowol  cechische  als  fremde 
Schriftsteller  bezeugen,  dass  es  unter  den  Taboriten  überhaupt 
viele  denkende  und  gebildete  Leute  gegeben  hat.  Der  bekannte 
Aeneas  Sylvius  (später  Papst  Pius  IL),  welcher  selbst  die  Tabo- 
riten besuchte,  und  den  man  schwerlich  der  Parteilichkeit  für 
^ie  zeihen  kann,  erzählt,  dass  ihn  in  Tabor  bessere  Bürger, 
Priester  und  Schüler  in  lateinischer  Sprache  bewillkommnet 
hätten  —  weil  „  dieses  unedle  Volk  nur  das  Gute  an  sich 
hatte,  dass  es  die  W  isscnscliaft  liebte'-.     An  einer  andern  Stelle 

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108  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Cechen. 

sagt  er,  dass  sich  vor  den  Taboriteu  „die  italienischen  Priester 
schämen  müssteu,  von  deneii  kaum  einer  das  Neue  Testament 
vollständig  gelesen  liabe,  während  sich  unter  deu  Taboriten  viel- 
leicht kaum  ein  Weib  finde,  das  nicht  aus  dem  Alten  und  Keueu 
Testament  zu  antworten  Terstande".  Solche  gelehrte  Taboriten 
vertheidigten  mehrfach  ihre  Lehre  auf  Zusammenkünften  und  in 
der  Polemik  mit  prager  Magistern,  und  dazu  war  es  nöthig,  die 
Sache  nicht  schlechter  zu  verstehen  als  diese. 

Es  folgen  hier  einige  Namen  von  Vertheidigern  des  Tabo- 
ritenthums.  Die  prager  Gelehrten  traten  am  häufigsten  gegen 
Peter  Payne  auf,  genannt  der  englische  Magister.  Aus  Eng- 
land wegen  Wicliffitischer  Ansichten  vertrieben,  fand  er  einen 
Zufluchtsort  in  Prag,  wurde  dort  Magister  und  blieb  seitdem 
in  Böhmen.  Er  war  eigenthch  der  einzige  echte  Vertreter  des 
Wicliffitenthums  bei  den  Gechen,  die  überhaupt  von  dieser 
Lehre  einen  sehr  selbständigen  Gebrauch  machten.  Zur  Ver- 
theidigung  Wicliffe's  schrieb  Payne  einige  Tractate,  die  in  Biblio- 
theken zerstreut  sind.  Von  den  einheimischen  Schriftstellern  var 
besonders  bemerkenswerth  der  junge  Priester  Martin  Housks 
(auch  Loquis,  Martinek  oder  Martin  von  Mähren  genannt;  ver- 
brannt 1421),  aus  dessen  Werken  sich  nur  kleine  Bruchstücke, 
z.  B.  bei  PHbram,  erhalten  haben.  Aus  den  vorhandenen  Zei^- 
nissen  lässt  sich  ersehen,  dass  sich  dieser  Ketzer,  der  von  den 
Gemüfisigten  zusammen  mit  seinem  Anhänger  Kanis  verbrannt 
wurde,  durch  eine  besondere  Energie  und  rationalistische  Ein- 
fachheit seiner  theologischen  Begriffe  auszeichnet:  „Wir  sprachen 
viel  mit  ihm  über  dies  und  jenes",  sagt  von  ihm  CheI6ick;f,  „und 
er  sprach  zu  uns,  dass  auf  der  Erde  ein  Reich  der  Heiligen 
sein  werde,  und  dass  die  Guten  nicht  mehr  leiden  würden,  und 
wenn  die  Christen  immer  so  leiden  müssten,  so  wollte  ich  kein 
Diener  Gottes  sein,  —  so  sagte  er."  Aus  historischen  Zeug- 
nissen kann  man  schliessen,  dass  Martin  einer  der  weitgehendsten 
Neuerer  in  Tabor  war :  „Ich  danke  meinem  Gott",  schrieh  er  an 
die  taboritischen  Bruder,  „dass  er  mich  von  Irrthümern  befreit 
hat,  and  ich  erwarte  jetzt  fröhlich  den  Tod."  In  seineu  Ansichten 
über  die  Transsubstantiation  stimmte  er  mit  allen  radicalen  Ta- 
boriteu überein,  erkannte  die  ,, zauberischen  Ceremonien"  nicht  an, 
und  suchte  sie  mit  dem  gesunden  Menschenverstand  zu  erklären- 
Seine  Bestrebungen  waren  auf  eine  solche  sociale  Ordnung  ge- 
richtet, die  das  Ziel  des  Lebens  in   dieses  selbst  setzt.     Einigen 

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Dii^  Tftboilten.  109 

Historikern  jener  Zeit  gilt  er  für  den  Urheber  und  Verbreiter 
der  Sekte  der  CMliasten,  aber  nach  der  Meinung  anderer  ward 
sein  Rationalismus  schon  von  seinen  Anhängern  verändert,  die 
demselben  einen  phantastischen  Charakter  verliehen.  Von  den 
rielen  „Liigenpropheten",  die  von  den  Chronisten  genannt  wer- 
den, erwähnen  wir  noch  einige,  die  irgendein  literarisches 
Denkmal  hinterlassen  haben:  dahin  gehört  z.  B.  der  Priester 
Wilhelm,  der  sich  in  Tabor  verheirathete  und  gegen  die  prager 
Partei  auftrat;  von  ihm  ist  eine  interessante  historische  Denk- 
schrift über  die  damaligen  Ereignisse  erhalten.  Pnbram  er- 
wähnt, dase  Johann  Capek,  einer  der  kriegerischen  Geistlichen 
des  HussitentbumB,  einen  „blutdürstigen  Tractat"  herausgegeben 
habe,  worin  er  „durch  viele  Bücher  des  Alten  Testaments  alle 
die  (hussitischen)  Grausamkeiten  nachwies,  indem  er  rieth  und 
befahl,  dass  sie  alle  begehen  möchten  ohne  sich  zu  bedenken". 
Die  Taboriten  schonten  auch  wirklich  das  Blut  der  Ketzer  nicht. 
Jener  Capek  gehörte  nehst  dem  erwähnten  Loquis,  Biskupec, 
Koranda,  Markolt  von  Zbraslavic  zu  den  HauptgrUndem  der 
taboritischen  Lehre. '  Ulrich  von  Znaim  und  Johann  Nemec 
(d.h.  derDeatsche)  von  Saatz  (Priester  bei  den  „Waisen")  waren 
Abgesandte  auf  dem  Baseler  Concil  und  schrieben:  der  erstere 
eine  Rede  zur  Vertheidigung  der  Punkte  von  der  freien  Predigt 
des  Wortes  Gottes  (in  den  „Acta"  des  Baseler  Concils),  der 
andere  ein  Tagebuch  über  die  Verhandlungen  der  Cechischen 
Boten  auf  dem  Baseler  Concil  1433  u.  a.  Ueber  ihnen  allen  steht 
Nikolaus  von  Pilgram,  mit  dem  Beinamen  Biskupec  (Mi- 
knlää  z  Pelhfimova,  gest.  1459  im  Gefängniss  zu  Podebrad).  Er 
war  schon  1409  Baccalaureus  der  freien  Künste;  ein  [gelehrter 
und  ernster  Mann,  ging  er  gleich  von  Anfang  an  weiter  als  die 
andern  prager  Magister,  trennte  sich  schliesslich  ganz  von  ihnen 
und  trat  zu  den  Taboriten.  Die  Verschiedenheit  der  Meinungen 
in  Tabor  veranlasste  ihn,  eine  Annäherung  an  die  Gemässigten 
zu  suchen,  womit  er  den  definitiven  Zerfall  der  freien  böhmi- 
schen Kirche  abzuwenden  hoffte,  —  aber  die  Annäherung  kam 
nicht  zu  Stande  und  bald  finden  wir  ihn  wieder  in  offenem 
Kampfe  mit  den  Magistern,  besonders  Pribraro.     Leider  haben 

'  Er  dichtete  »ueb  das  Lied;  ..Kindlein,  Ißsset  uua  Gott  singen"  (Dietky, 
Bohn  ipievajme).    Siehe  RukovSf,    I,  131;    PamÄtky  archeol.  a  mistopian^, 


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110  FüiifteK  Kapitel.    I.    Die  l'echen. 

sich  sßiue  Werke  nicht  yollständig  erhalten ;  am  wichtigsten  von 
dem  Erhaltenen  ist  die  lateiniBche  „Chronica  coutinens  causam 
sacerdotum  Taborensium",  bis  1443,  deren  Verfasser  oder  Fort- 
setzer er  war,  Es  werden  auch  noch  andere  Werke  von  ihm  er- 
wähnt, z.  B.  ein  Tractat  gegen  den  extremen  Taboriten  Eaniä, 
gegen  Chelöickj?,  Rokycana  u.  a. '  Der  Priester  Johann  Lukavec, 
welchem  man  den  Anfang  der  Chronik  des  Biskupec  zuschreibt, 
schrieb  auch  ein  Werk  gegen  Bokycana  und  die  Prager:  „Cod- 
fessiones  Taboritarum  contra  Bokicanum  et  alios  theologos  Pra- 
genses",  um  1431  (herausgegeben  in  „Valdensia",  Basel  15C8). 
Endlich  der  im  Kriegslehen  der  Taboriten  berühmte  Priester 
Wenzel  Koranda  der  Aeltere.  Er  war  Priester  in  Pilsen,  er- 
wies sich  schon  früh  als  unbezähmbarer  Agitator  und  wirkte  mehr 
durch  seine  aufregende  Beredsamkeit,  als  durch  seine  Werke. 
Im  Jahre  1419  begab  er  sich  aus  seiner  Stadt  auf  die  damals 
stattfindende  Yolksversammlung  und  ee  folgte  ihm  eine  ganze 
Schar  seiner  Anhänger,  Männer  und  Frauen.  Auf  der  Versainiü- 
lung  munterte  er  das  Volk  zur  Vertheidigung  auf,  weil  sich  seine 
Feinde  vermehrt  hätten:  „Der  Weinstock  ist  hen-lich  erblüht, 
aber  es  werden  Böcke  kommen,  um  ihn  abzurupfen",  deshalb 
sei  es  auch  jetzt  nöthig  „mit  dem  Schwert  in  der  Hand  m 
gehen,  und  nicht  mit  dem  Wanderstab".  Er  selbst  begab  sich 
nach  Tabor  und  ward  einer  der  eifrigsten  Frediger  des  Kampfes, 
indem  er  die  taboritischen  Heere  begleitete  und  ihre  Tapferkeit 
durch  seine  stürmische  Beredsamkeit  anfeuerte.  Von  seinen 
Schriften  ist  nur  bekannt,  dass  solche  vorhanden  waren;  z.B. 
schrieb  er  1421  einen  Tractat  gegen  Jakob.  Während  der 
Reaction  (1437)  war  ihm  verboten  zu  predigen  und  unter  der 
Drohung  des  Ertrinkens  sich  irgendwo  ausserhalb  Tabors  la 
zeigen;  1451  lebte  er  noch  hier,  wo  Aeneas  Sjlvius  mit  ihm 
disputirte,  der  ihn  in  seinen  Memoiren  „Venceslaus  Koranda, 
vetus  diaboli  mancipium"  nennt.  Im  Jahre  1452,  als  Tabor  von 
Georg  Podebrad  unterworfen  wurde,  ward  Koranda  mit  andern 
Hauptpriestern  der  Taboriten  gefangen  genommen  und  verblieb 
bis  ans  Ende  seines  Lebens  im  Gefängniss. 


'  Die  Chronica  wurde  im  16.  Jahrbundert  von  FUcius  111  yricu«  l)eid'^'' 
„CiiiifeBBio  Walüenaium "  herausgegeben,  und  jetzt  in  Höfler's  „(iewhicht- 
Hvlirciber  der  husaitisolien  Bowegunpf".  Ihm  pehört  du«  Lied  an:  ,,Ü  Jesu» 
ChriatUB,   du  Sühn  dei'  roiiicn  Mutter"   {0  Jesu  Krisle,    syuu   matk;  fiate). 


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Die  Taboriteu.  111 

Die  literarische  Geschichte  des  Husaitenthums  -wird  durch  eine 
Menge  Acten,  Sendschreiben,  Genieindeordnungen,  Manifeste  der 
religiösen  Parteien,  Privatbriefe  vervollständigt,  welche  überaus 
wichtig  für  die  Geschichte  sind  und  die  belebte  Bewegung  der 
Zeit  reflectiren.  Einige  dieser  Denkmäler  zeichnen  sich  durch 
ausserordentliche  Prägnanz  aus,  z,  B.  viele  Anfrufe  an  das  Volk 
nnd  private  Sendschreiben,  unter  denen  einige  Sendschreiben 
des  berühmten  Führers  der  Taboriten,  Johann  Ziska  von 
Trocnov  (später  „vom  Kelch",  z  Kalicha,  gest.  1424),  beson- 
ders hervorragen.  Er  wirkt  darin  auf  das  religiöse  und  natio- 
nale Gefühl  der  Cechen,  erinnert  sie  an  die  alten  Vorfahren, 
die  „sich  für  Gottes  Werk  und  ihr  eigenes  geschlagen  hätten", 
and  fordert,  dass  sie  jede  Minute  bereit  sein  sollen,  „weil  schon 
die  Zeit  gekommen  sei". 

Schon  oben  wurde  gezeigt,  wie  eng  die  Sache  der  ^ecbischen 
Nationalität  mit  der  bussitischen  Bewegung  verbunden  war.  Mit 
dem  Wegzug  der  Deutschen  von  der  Universität  und  der  Ent- 
wickelung  des  Hussitenthums  gewann  die  öechische  Nationalität 
mehr  und  mehr  an  politischer  und  socialer  Macht.  In  den  Arti- 
keln, welche  von  dem  Lande  Böhmen  dem  König  Sigismund  über- 
geben wurden  (1419),  ist  schon  davon  die  Rede,  dass  keine  Aus- 
länder, weltliche  oder  geistliche,  zu  Landeaämtern  und  Würden 
zugelassen  werden,  dass  die  Öecheu  überall  im  Königreich  und  in 
den  Städten  die  erate  Stimme  haben  sollten.  In  diesem  Falle  ist 
es  schwer,  die  uechen  der  Unduldsamkeit  zu  beschuldigen,  weil  sie 
in  den  Deutschen  ganz  mit  Recht  Vertheidiger  der  Privilegien,  der 
Kirche  und  des  Despotismus  sahen,  und  weil  man  ihnen  anderer- 
seits auch  keine  Duldsamkeit  erwies:  die  üechen  standen  in  dein 
Ruf  von  Ketzern  und  das  Concil  von  Siena  im  Jahre  1423  gebot  so- 
gar der  ganzen  katholischen  Christenheit,  „nicht  nur  keine  Han- 
delsverbindungen mit  den  bussitischen  Böhmen  anzuknüpfen,  son- 
dern überhaupt  jeglichen  friedlichen  Verkehr  mit  ihnen  zu  meiden. 
Die  cechische  Sprache  herrschte  nicht  nur  in  der  Predigt,  sondern 
auch  im  Gottesdienst,  was  ein  grosser  Sieg  war,  weil  es  allen 
Traditionen  des  Katholicismus  widersprach.  Wenn  nach  diesem 
Siege  der  Nationalität  die  Literatur  keinen  starken  poetischen 
und  wissenschaftlichen  Inhalt  entwickelte,  so  ist  dies  begreif- 
lich in  einer  Epoche,  wo  alles  Leben  im  Kampf  aufging  und 
keine  Zeit  blieb,  sich  zu  concentriren.  Bei  alledem  aeben  wir 
einen  bedeutenden  Fortschritt  der  wissenschaftlichen  Interessen, 

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112  Künftes  Kapitel.     I.    Die  Ceclieu. 

die  Eiitwickelung  des  philosophischen  Kationalismus  und  Ver- 
suche, die  demokratischen  Tendenzen  des  Hussitenthums  nicht 
auf  chiliastischen  Phantasien  zu  begründen,  sondern  auf  einer 
vernünftigen  Auffassung  der  socialen  Beziehungen. 

Wir  gehen  jetzt  zu  andern  Richtungen  der  Literatur  über. 
Während  der  Glut  der  hussitiscben  Bewegung  standen  die  reU- 
giösen  und  socialen  Fragen  in  der  Literatur  in  erster  Linie.  Die 
6ecbische  Poesie  vergass  allem  Anschein  nach  die  romantischen 
Stoffe,  und  ward  selbst  ein  Echo  des  theologischen  und  politi- 
schen Pamphlets,  Ueber  das,  was  im  Gebiet  der  Volkspoesie 
vorging,  lässt  sich  schwer  etwas  sagen  wegen  Mangels  an  Zeug- 
nissen; zuweilen  gedenken  nur  die  Chroniken  und  lateiniBche 
Gedichte  fröhlicher  und  satirischer  Volkslieder,  welche  zu  jener 
Zeit  cursirten  und  offenbar  neu  waren.  Auch  bei  den  Cechen 
fand  die  mittelalterliche  Mode  des  Dichtens  in  lateinischer 
Sprache  grosse  Verbreitung.  Die  Studenten  der  Universität 
machten  lateinische  Lieder  zu  ihrem  Vergnügen,  mit  einigem 
Humor,  aber  sehr  allgemeinen  Inhalts;  eins,  schon  aus  vorhns- 
sitischer  Zeit,  greift  die  Geistlichen  stark  an;  andere,  aus  den 
Zeiten  des  Huss  und  später,  offenbar  von  Katholiken  geschrieben, 
beklagen  sich  über  die  Verderbniss  der  Menschen  und  ihre 
Ueringschätzung  der  Geistlichkeit  (Monachis,  fratribus  ac  monia- 
libus,  Christi  virginibus,  ceteris  fidelibus  vivere  vilescit.  . . .  Clerici 
nonnulli,  laicales  populi  facti  sunt  schismatici,  per  libros  faeretici 
TiVycleff  condemnati  u.  s.w.),  verfluchen  Huss  und  Wicliffe  und 
vergleichen  Zigka  mit  Herodes.  Das  grosse  lateinische  Gedicht 
(1767  Verse)  über  den  Sieg  der  Cechen  bei  Taus  ülur  das  Heer 
des  fünften  Kreuzzugs  im  Jahre  1431,  ward  verfasst  von  Lauren- 
tius  von  Bfezovti.  Es  gab  auch  lateinische  Satiren  in  Versen 
und  in  Prosa,  z.  B.  die  bemerkenswerthe  „Coronae  rogni  Bohe- 
miae  Satyra  in  regem  Ungariae  Sigismundum"  1420,  verfasst  von 
einem  iechischen  Patrioten.  Eh  gab  Satiren  gegen  König  Wenzel 
und  die  Ilussiten,  z.  B,  „Invectio  satyrica  in  regem  et  procereä 
viam  Viklef  tenentes"  1417,  und  viele  andere.  Satire  und  sati- 
risches Lied,  hervorgerufen  durch  die  Ereignisse  des  Tages,  er- 
schienen seit  dem  Anfang  der  bussitischen  Bewegung  auch  in 
techischer  Sprache,  und  traten  an  die  Stelle  jener  unbestimmten 
Si tten Satire ,  von  der  wir  oben  berichtet  haben,  und  verdräagt«n 
zugleich  wahrscheinlich  auch  die  alte  Volkspoesie.  Beides  niuest« 
wol  iß  dieser  stürmischen  Zeit  veralten, 

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Verse  uiiil  Lieder.  H3 

Das  neue,  kunstmässige  wie  halb  volksthiimliche  Lied  sprach 
Tou  den  Ereignissen ,  welclie  das  allgemeine  Interesse  fesselten ; 
es  war  das  Echo  des  religiösen  und  kriegerischen  Enthusiasmus; 
auch  empfing  es,  aus  Anlass  der  unmittelbaren  Ereignisse,  einen 
scharfen  Charakter  der  Aufreizung  und  des  Spottes,  welche  an  die 
Stelle  der  poetischen  Begeisterung  traten.  So  kommen  schon 
früh  gereimte  Pamphlete  vor,  z.  B.  gleich  zu  Anfang  der  Bewegung 
gegen  den  „Magister  Zbynek"  (den  Erzbischof),  der  Wicliffe's 
Schriften  verbrennen  liese.  Ein  alter  Chronist  bemerkt,  dass 
„als  der  Erzbischof  die  Bücher  verbrannt,  Huss  erzürnte  und 
einige  Studenten  auch  zornig  wurden  und  ein  Lied  über  ihn 
dichteten".  Welche  grosse  Verbreitung  solche  Lieder  fanden, 
zeigt  das  strenge  Verbot,  welches  König  Wenzel  gegen  sie  erliesa. 
Die  neuen  Ereignisse  riefen  neue  spöttische  und  boshafte  Lieder 
hervor,  die  auf  den  Strassen  gesungen  wurden  und  ganz  Böhmen 
durchzogen.  So  haben  die  Lieder  viele  Ereignisse  der  hussiti- 
schen  Geschichte  verzeichnet,  gleich  von  Huss'  Zeiten  an,  den 
Kampf  mit  Sigismund,  welchen  das  hussitische  Lied  mehrmals 
richtig  charakterisirt  (z.  B.  von  dem  Siege  über  Sigismund  bei 
Vfsehrad,  1420  u.  a.).  Es  ist  kein  Wunder,  dass  es  am  meisten 
Lieder  und  ganze  lange  Gedichte  gegen  die  römische  Kirche  gab, 
deren  Anhänger  mit  derselben  Waffe  antworteten  und  ganze  Dich- 
tungen über  die  hussitisclien  Ketzereien  schrieben. '  Ein  solches 
Gedicht  (von  48ö  Versen)  wirft  den  Hussiten  viele  ihrer  Irr- 
thüffler  vor  und  versichert,  der  erste  Wunsch  derselben  sei  ge- 
wesen, andere  Menschen  zu  berauben  und  besonders  die  Geistlich- 
keit (die  bussitiscben  Fredigten  von  der  Auf  hebung  der  Kirchen- 
güter), führt  kirchliche  Zeugnisse  gegen  sie  vor,  und  gibt  unter 
anderm  eine  interessante  Andeutung  über  den  volksthümlichen 
Urspruug  der  bussitiscben  Gemeinde:  den  Hussiten  wird  vor- 
geworfen, dass  sie  eine  Menge  von  Predigern  aus  ganz  gewöhn- 
licheu  Leuten  gemacht  haben,  aus  Schustern,  Schneidern,  Flei- 
schern, Müllern  und  aus  allerhand  andern  Arbeitern  und  Hand- 
werkern und  „auch  Frauen  haben  sie  predigen  lassen";  das 
letztere  bestätigt  auch  Aeneas  Sylvius.  Andere  Anklagen  von 
Seiten  katholischer  Satiriker  klingen  sehr  ungereimt:     „Aber  als 


'  Eine  alte  lateiaische  Chronik  sagt:  Caiitabant  Ticlefistae,  oomponeDteB 
cantionea  Dovas  contra  eueleeiam  et  ritue  <;3tholiooB,  seducenteB  populum 
Hiuiiliceu,  et  e  converso  oatholici  contra  eos  .... 

FTrlH,  ÜllTUslu  LiWralUTHD.     11,1.  g 


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114  Fünftes  Kapitel.    1.  Die  CecheD. 

eie  aus  dem  Kelch  sich  zu  betrinken  anfingen",  sagten  sie  zum 
Beispiel,  „begaDnen  sie  zu  stehlen,  zu  brennen,  zu  morden". .  ■ . 
Solche  Gedichte  bilden  schliesslich  den  Uebergang  zur  fieim- 
Chronik;  z.  B.  nennt  das  Lied  über  den  ruhmvollen  Sieg  der 
Hussiten  bei  Aussig  1426,  verfasst  von  einem  eifrigen  Patrioten, 
der  die  Einzelheiten  des  Vorgangs  kannte,  alle  Haupthelden  dieser 
Schlacht  bei  Namen  und  beschreibt  ihre  That«n. 

Auch  hat  sich  ein  Kriegslied  der  Hussiten  erhalten,  das  bei 
den  neuem  öechischen  Patrioten  sehr  populär  ist,  und  mit  den 
Worten  beginnt:  „Die  ihr  Krieger  Gottes  und  seines  Gesetzes 
seid,  bittet  Gott  um  Beistand  und  hofft  auf  ihn,  dass  ihr  end- 
lich mit  ihm  überall  siegen  werdet." 

Dieses  Lied,  welches  man  früher  ZiSka  selbst  zuschrieb,  ist 
ein  charakteristischer  Ausdruck  der  religiösen  Erbitterung,  gibt 
zuerst  kurz  die  Eriegsregeln  der  hussitischen  Schlacht  und  spornt 
dann  den  Muth  der  Krieger  an,  ermahnt,  nicht  darauf  zu  sehen, 
dass  ihrer  nur  ein  Häuflein  gegen  eine  Menge  von  Feinden  sei, 
und  schliesst  mit  der  Aufforderung : 

Und  nan  mit  fröhlichem  Feldgeschrei 
Rnft :     Vorwärts !     HuiTah !     Drauf! 
In  den  H&nden  schwingt  die  Wehr, 
Rufet:     Gott  iBt  nnser  Herr! 
Schlaget  drein,  erschlagt. 
Jedem  Pardon  versagt!' 

Endlich  sind  noch  geistliche  Lieder  vorhanden:  ein  betracht- 
licher Theil  derselben  stammt  schon  aus  der  illtern  Periode, 
dazu  kam  eine  Menge  neuer,  hervorgegangen  aus  den  neuen 
Richtungen  des  religiösen  Lebens;  interessant  sind  insbesondere 
die  geistlichen  Lieder  der  Hussiten.* 

'  Der  wirkliche  Verfatiser  dieses  Lieiles  lieisst  Bohuslav  z  Cechtio. 
S.  „Vybor"  II,  283;  Rukov6e,  I,  133. 

•  Heber  die  alten  weltlicheo  Iiieder  a.  Feifalik,  „Alttech.  Leirhp. 
Lieder  und  Spräche"  (in  den  Denkschriften  der  Wiener  Akademie,  18CSI- 
Am  häofigsten  waren  Terimer  der  gangbaren  Lieder  Fahrende  Schüler,  m- 
genannte  „Vaganten".  Vgl.  ferner  „Vybor",  IL  Bd.;  HauuS,  Mal^  Vybw. 
S.  93— 99.  Deber  die  huneitiBohen  Lieder :  Vrtatko,  „Zlomkj  tiborske" 
(Cas.  Mna.  1874,  S.  110-124);  M.  Koläf,  „Pisu?  husitake  (Pamätkj  AkIi 
IX,  S25  — 834);  vergl.  Zahn,  „Die  geistlichen  Lieder  der  Brüder  in  Böh- 
men, Mahren  und  Polen"  (Kümberg  1874).  üeber  die  geistliche  Poeiie  *■ 
besondi^ra  Joe.  Jirefek,  „Dfjiny  eirkev.  bianictvi  ieakeho"  (Prag  1878). 


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Chronisten.  115 

Die  Reimchroniken  jener  Zeiten  haben  gewöhnlich  weder 
poetische  noch  historische  Bedeutung.  In  letzterer  Beziehung 
Bind  die  historischen  Memoiren  oder  wirkliche  Chroniken  wich- 
tiger, deren  eine  beträchtliche  Menge  erhalten  ist.  Oft  waren 
dies  compilatoriscbe  Arbeiten,  begonnen  von  einem,  fortgesetzt 
nnd  abgeschrieben  von  andern:  überhaupt  gelten  die  Annalen 
jener  Zeit  für  eine  Fortsetzung  der  Chroniken  des  Futkava  und 
Benel  von  Hofovic.^  Sie  sind  jedenfalls  überaus  wichtig  für 
die  Geschichte  der  Hussitenzeit,  zeichnen  sich  bisweilen  durch 
grosse  Lebendigkeit  der  Erzäblnng  aus,  zuweilen  sind  sie  aber 
auch  sehr  farblos.  Bemerkenswerth  ist  z.  B.  die  Erzählung  des 
oben  erwähnten  Wilhelm  vom  Tode  des  Johann  Ton  Seelau,  1422, 
über  den  Feldzug  ^iSka's  in  Ungarn,  1423,  wo  auch  das  Kriegs- 
E^tem  desselben  eingehend  erklärt  wird.  Zu  den  besten  Quellen 
für  die  Geschichte  jener  Zeit  gehört  die  lateinische  Chronik  des 
Laurentius  von  Bfezovä  (Vavrinec  z  BfezoTÖ,  geb.  1370, 
gest.  nach  1437,  nach  Jungmann  14Ö5).  Ein  gelehrter  prager 
Magister,  der  später  am  Hofe  Wenzel's  IV.  diente,  ein  Mann 
von  vielseitigen  Kenntnissen,  der  die  Ereignisse  aus  der  Nähe 
sah,  war  er  befähigt,  eine  Geschichte  seiner  Zeit  zu  schreiben. 
Seine  Chronik  umfasst  nur  8  Jahre  (1414  —  22,  „Historia  de 
hello  Hussitico"),  gehört  aber  nichtsdestoweniger  zu  den  wich- 
tigsten Denkmälern  der  5echischen  Ge  schieb tschreibung.  Sie 
war  lange  eine  beliebte  Lektüre  und  wurde  schon  in  alter  Zeit 
ins  Uechische  übersetzt.  Die  „Geschichte"  ist  vom  Standpunkt 
einer  Partei  aus  geschrieben;  Laurentius  war  strenger  Calix- 
tiner  und  tritt  gegen  die  Taboriten,  Orebiten,  sowie  zugleich 
gegen  die  Katholiken  auf.  Gegen  die  Taboriten  war  er  unge- 
recht uud  verstand  ihre  Bestrebungen  nicht  —  wie  übrigens  fast 
alle  ihre  Gegner.'  Als  lateinischer  Chronist  war  auch  Bar- 
tosek  (Bartos  oder  BartoSek  z  Drahynic)  bekannt,  dessen 
Chronik  die  Zeit  von  1419 — 43  umfasst  und  spätere  Öechische  Er- 
gänzungen bis  zum  Jahre  1464  hat,  wahrscheinlich  von  einem 
andern  Autor.     Dieser  Diener  Sigismund's,  Katholik  und  Rojalist, 


'  Vergl.  Palacky,  StftH  letopiaove,  deasen  „Würdigung",  und  die  nenern 
Untersnchangen  über  die  htiBsitiaolie  Epoche. 

*  Laurentius  ist  oben  als  lateinischer  Dichter  erwähnt;  er  übersetzte 
auch  die  damals  sehr  populäre  „Reise  MoundeviUe's"  (Cesta  po  sv6t£", 
heraosg.  in  Pilsen  1510  u.  ö.). 


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116  Fünftua  Kapitel.     I.   Die  (Rechen. 

faset  die  Dinge  auch  in  sehr  beBchräakter  Wetee  auf.  Oben  sind 
die  Memoiren  Peter's  von  Mladenovic  UberHuss  und  Hieronymug 
von  Prag  erwähnt. 

Endlich  erwähnen  wir  noch  unter  den  historisch  merkwürdigen 
Denkmälern  ein  Werk,  das  den  Namen  Zizka's  trägt,  sein  Kriegs- 
System  (mit  dem  lateinischen  Titel:  „Constitutio  militaris  Joan- 
nis  Zi^ka",  1423):  es  erschien  mit  dem  Namen  Zi^ka's  und  aller 
Hauptanfiihrer,  Rohä£  von  Duba,  Alexius  von  Riesenburg,  Bo£ek 
von  Kunstadt  u.  a.  Das  Buch,  für  das  taboritischeHeer  hefitimmt, 
beginnt  mit  einer  religiösen  Betrachtung  und  ermahnt  das  Volk 
zu  allererst,  in  sich  selbst  alle  Todsünden  zu  vernichten,  um  sie 
dann  an  den  Königen  und  Fürsten,  Herren  und  Büi^em  u.  s.  w. 
„keinerlei  Personen  ausgeschlossen"  zu  vertilgen.  .  .  .  Indem 
sie  eine  strenge  Erfüllung  der  Regeln  unter  originell  anege* 
drückten  Drohungen  fordern,  sprechen  diese  Kriegsartikel  auch 
die  Gleichheit  vor  den  Gesetzen  aus. 

In  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  wurden  Memoire» 
über  Zi^ka  geschrieben :  „Kronika  velmi  p^knä  o  Janovi  Ziikovi", 
die  man  fälschlich  einem  spätem  Chronisten,  Kuthen,  zuschrieb.' 


Mit  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Lipan  (1434),  als  das 
Stadt-  und  Volkebeer  von  der  feudalen  Partei  zertrümmert 
wurde,  verlor  die  Demokratie  und  freie  Kirche  der  Taboriten 
Macht  und  Eintluss;  der  Feudalismus  und  Katholicismus  durften 
an  eine  Wiedererlangung  der  verlorenen  Herrschaft  denken.  Die 
Ideen  der  Taboriten  lebten  noch  fort,  aber  die  Lage  des  Tabor 
war  überhaupt  eine  schwierige;  er  musste  seine  Existenz  gegen 
die  wachsende  Reaction  vertheidigen ;  im  Jahre  1452  ward  er 
definitiv  von  Podährad  unterworfen.  Für  Böhmen  selbst,  das 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  einen  einheimischen,  patriotischen 
König  in  Georg  Podebrad  (seit  1452  Gubernator,  seit  1458KÖDig) 
erlangte,  handelte  es  sich  hei  allen  politischen  Erfolgen  um  die 
Frage  der  nationalen  und  politischen  Selbständigkeit. 

Die  Cechische  Nationalität  stand  in  jener  Zeit  noch  hoch:  das 
Latein  war  mehr  und  mehr  der  dechischen  Sprache  gewieben;  viele 


'  Iltrau^egeben  in  der  erwäbntou  Sc'linfl  von  Jir.  Üoll:   „Vjpwnl  o 
i-u  Jeruayiiiovi  etu."  (Prag  1878). 


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ChroniHten.  117 

einflussreiche  Leute  jener  Zeit  konnten  nicht  lateiniBch,  z.B. 
ansser  dem  alten  ^iika,  Georg  Podebrad,  Ctibor  von  Gimbnrg 
u.  a.  Die  Katholiken  sahen  auch  fernerhin  einen  Schaden  in 
der  Herrschaft  der  cechischen  Sprache  und  kämpften  für  das 
Latein  der  Kirche:  Paul  Zidek  (Paul  von  Prag),  einer  der  be- 
kanntesten Schriftsteller  dieser  Partei,  behauptete  positiv,  das 
Wohl  eines  Staates  werde  gerade  durch  die  Verschiedenheit  der 
Sprachen  erlangt.  Andererseits  fanden  Patrioten,  wie  Viktorin 
TOD  Vsebrd,  dass  an  der  Spitze  der  Regierung  nur  Cechen  stehen 
sollten,  die  Deutschen  aber  sollten  einfach  aus  dem  I>ande  ver- 
trieben werden,  „wie  es  zur  Zeit  der  (altcechischen)  Fürsten  ge- 
heiligten Andenkens  war". 

Dieser  streitige  Punkt,  im  Verein  mit  den  Streitfragen  der 
Religion  und  Politik ,  herrschte  auch  in  der  zweiten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunders  fort.  Die  historischen  Denkmäler  jener 
Zeit  bewegen  sich  in  denselben  Richtungen:  lateinisch  und 
cechisch,  reactionär  und  hussitisch.  Von  den  lateinischen  Chro- 
niken sind  besonders  bekannt :  „ Chronica  P roco p ii  notarii 
Novae  civitatis  Pragensis",  1476;  diesem  Procop,  einem  Ka- 
tholiken, aber  wie  es  scheint,  Feinde  der  Deutschen,  gehört 
auch  das  Bruchstück  einer  cechischen  Reimchronik  an;  Nicolai 
de  Bohemia  (Mitte  des  15-  Jahrhunders),  „Chronicon  Bohe- 
miae";  hier  mag  auch  das  nach  persönlicher  Bekanntschaft 
mit  Böhmen  von  Aeneas  Sylvias  Piccolomini  geschriebene  Buch 
erwähnt  werden:  „Historia  bohemica",  bis  zum  Jahre  1458 
(Rom  1475  u.  ö.),  übersetzt  ins  Cechische  von  Nikolaus  Konäö 
(Prag  1510  u.  ö.)  und  noch  früher  von  Johann  Houska  (14S7); 
ferner  die  „Chronica  Taborensium",  bis  1442.  Die  Cechischen 
historischen  Bücher  jener  Zeit  zeichnen  sich  nicht  durch  be- 
sondere Vorzüge  aus.  Durch  grosse  Fruchtbarkeit  ragt  hervor 
Paul  flidek  (lateinisch  Paulus,  Paulirinus  oder  Paulus  de 
Praga,  ein  Jude,  geb.  1413,  gest.  um  1471):  ihm  gehört  eine 
„Allgemeine  Geschichte"  (darin  auch  die  böhmische)  an,  die 
einen  Theil  seiner  „Spravovna"  bildet,  eines  Buches  über  die 
Pflichten  des  Königs,  das  er  für  Georg  Podebrad  schrieb,, 
und  eine  grosse  lateinische  Encyklopädie  „Liber  viginti  ar- 
tium",  die  von  den  Polen  dem  berühmten  Pan  Twardowski 
zugeschrieben  wurde,  u.a.  Ein  Mann,  äusserst  unverträglich 
im  Leben,  nicht  sonderlich  gerecht,  dabei  prahlerisch,  war  ^i'dek 
auch  in  seinen    Werken  nicht  besonders  gewissenhaft    und    in 

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118  FnDft«B  Kapitel.    I.  Die  Cecheo. 

Wirklichkeit  ein  Parteigänger  der  äussersten  politischen  ncd 
religiösen  Keaction. '  Ein  ebensolcher  Anhänger  derselben  var 
Hilarius  von  Leitmeritz  (1413 — 1469),  anfangs  utraquititi- 
scbes  Mitglied  der  Universität,  dann  iu  Italien  zur  katholi- 
schen Partei  abgefallen.  In  seinen  lat£iniBcheD  und  (l^ecbigchen 
Büchern  und  scharfen  Pamphleten  gegen  die  Oalixtiner,  z.  B. 
gegen  Rokycana ,  herrscht  durchweg  ultramontane  Beschränkt- 
heit; die  Zeitgenossen  nannten  ihn  einen  Apostaten  und  „Halb- 
wisser",  Hilarius  predigte  geradezu,  der  Papst  sei  der  Herr- 
scher aller  Länder  und  die  weltliche  Obrigkeit  sei  verpflichtet, 
nur  auf  die  Erfüllung  seines  Willens  zu  achten;  wenn  aber  die 
weltliche  Obrigkeit  selbst  sich  gegen  den  Willen  des  Papstes 
erhöbe  (wie  bei  den  Cechen),  so  habe  der  Adel  (d.  i.  der  ka- 
tholische) das  Recht,  diese  Obrigkeit  zu  vertreiben. 

Die  buBsitische  und  nationale  Seite  fand  ihren  scharfen  und 
charakteristischen  Ausdruck  in  den  historischen  Werken  jener 
Zeit.  Ausser  dem,  was  in  den  ,,Alt«n  Chroniken",  gesammelt 
von  Palack^  („Stafi  letopisove  öesti"),  enthalten  ist,  sind  be- 
sonders* die  Zusätze  zu  Dalimil'B  Chronik,  geschrieben  um  1439, 
interessant:  „Pocinä  se  krätke  sebräni  z  kronik  öeskj^cb  k 
v^straze  vern^ch  Cechöv".  („Hier  beginnt  die  kurze  Samm- 
lung aus  Cecbischen  Chroniken  u.  s.  w.").  Diese  „Samminng" 
ist  durchdrungen  von  dem  patriotischen  Bestrehen  nach  Er- 
haltung der  Nationalität  und  hatte  ausserdem  den  specielles 
Zweck,  gegen  die  Wahl  eines  Deutschen  zum  König  zu  wirken. 
Die  Feindschaft  gegen  die  Deutschen  war  bei  dem  unbekannten 
Verfasser  ein  bewusstes  System,  das  er  historisch  rechtferiigte: 
„Die  üechen  müssen  sich  eifriger  bemühen  und  mit  aller  Sorge 
hüten,  um  nicht  in  den  Gebrauch  einer  fremden  Sprache  m 
fallen,  und  besonders  der  deutschen;  weil,  wie  die  höbmischeD 
Chroniken  bezeugen,  diese  Sprache  die  schlimmste  ist  zur 
Niederwerfung  der  techischen  und  der  slavischen."  Obgleich 
der  Verfasser  nicht  ganz  mit  Wahrscheinlichkeit  behauptet,  dass 
schon  beim  babylonischen  Thurmbau  die  Deutschen  gegen  Slaven 
feindselig  aufgetreten  wären,  und  dass  Alexander  von  Macedo- 
nien  der  slavischen  Sprache  die  Schrift  gegeben  habe,  so  hat 
er  doch   die   damaligen  Verhältnisse  seiner   Nationalität  ziem- 


'  Vgl.  über  Bcine  Encyklopädie  in  „Casopis"  1837,    1839.     Stellen  i 

■  „Spraiuvoa"  in  „Vybui"',  II. 


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Die  BachdruckerknnBt.  119 

lieb  gut  begriffen,  und,  indem  er  seinen  Mitbärgem  empfahl,  das 
Blat  Gottes,  d.  i.  den  Kelch  zu  lieben,  warnte  er  sie  vor  dem 
Adel  und  der  Geistlichkeit.  Unter  den  eifrigen  Calixtinem  var 
zu  jener  Zeit  durch  seine  (SechiEchen  polemischen  Tractate  Wen- 
zel Koranda  der  Jüngere  (Wenceslaus  Korandiceus,  geh.  um 
1424,  gest.  1519)  bekannt,  dessen  hauptsäcblichstes  Werk  ein 
historischer  Bericht  über  die  Gesandtschaft  PodSbrad's  nach 
Rom:  „Poselstn  kräle  Jiriho",  war.'  Sehr  interessant  ist  durch 
ihre  Details  die  Beschreibung  einer  zweiten  Gesandtschaft  Fo- 
debrad's  an  den  franKÖEischen  König  Ludwig  XI.,  im  Jahre  1464: 
aas  derselben  kann  man  unter  anderm  ersehen,  welchem  Hass 
die  Cecben  fast  überall  in  Deutschland  beim  Volk  begegneten, 
dank  ihrem  Rufe  als  Ketzer-,  den  ihnen  die  Katholiken  bereit«t 
hatten. 


Die  zweite  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  brachte  zwei  neue 
Bildungsmächte  —  die  Buchdruckerkunst  und  den  Humanismus, 
der  sich  unter  dem  Einäuss  der  „Renaissance"  entwickelt  hatte. 
Beide  konnten  nicht  ohne  Wirkung  auf  die  Literatur  bleiben, 
indem  sie  den  Umfang  der  Bildung  erweiterten  und  ihren  Cha- 
rakter veränderten,  aber  der  Humanismus  entfernte  zugleich  auch 
die  Geister  von  der  frühern  Bewegung,  die  energischer  für  die 
nationalen  Interessen  eintrat. 

Die  Buchdruckerkunst  entwickelte  sich  in  Böhmen  mit 
grossem  Erfolg.  Als  das  erste  gedruckte  öechische  Buch  gilt  die 
Trojanische  Chronik  (Kronika  trojanskä),  gedruckt  in  Pilsen, 
1468.  Aber  Cechiscbe  Historiker  fanden,  dass  die  gute  Aus- 
Hibrung  dieser  Ausgabe  bereits  vorausgegangene,  weniger  ge- 
lungene Versuche  voraussetze.  Die  Ausgabe  des  Hussitenliedes 
„Wollen  wir  mit  Gott  sein"  (Chceme-li  s  Bohem  byti)  mit  der 
Jahresangabe  1441,  neu  gedruckt  im  Jahre  1618,  veranlasste  die 
Annahme,  dass  die  erste  Ausgabe  1441  veranstaltet  sei.  Der 
^chische  Indes  verbotener  Bücher,  der  von  den  Jesuiten  in  der 
spätern  Zeit  der  Verfolgungen  zusammengestellt  wurde,  fuhrt 
einige  solche    alte  Daten  an,   unter  andern  ein  „Sendschreiben 

'  Siehe  „Vybor",  11.  Verzeichniss  seiner  Werke  und  Bioffraphie  in 
„BnkoTtt",  I,  392-3%. 


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120  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  CVchen. 

des  Magisters  Johann  Huss  von  Hueinec  aus  Konstanz"  mit  dem 
Jahre  1459.  Die  ersten  Drucker  tragen  alle  fechische  Namen; 
dies  gab  wieder  zu  der  Meinung  Anlass,  dass  der  üechische  Bücher- 
druck  gewissermassen  unabhängig  vom  deutschen  gewesen  sei.  Es 
gab  ferner  eine  Hypothese,  an  die  eifrige  slavische  Patrioten 
unter  den  Öechen  und  Russen  glaubten,  dass  Gutenberg  selbst 
ein  „Johann  von  Knttenberg"  gewesen  sei  ....  Wie  dem  auch 
sein  möge,  der  Buchdruck  breitete  sich  in  Böhmen  sehr  schnell 
aus:  die  pilsener  Druckerei  diente  den  Katholiken,  die  prager 
und  kuttenberger  (1488)  den  Utraquisten ;  die  bunzlauer  (1500) 
den  Böhmischen  Brüdern  u.  s.  w.  Die  polemische  Literatur  jener 
Zeit  gab  diesen  Druckereien  reichliche  Arbeit  und  die  Verbret- 
tung des  Buchdrucks  war  ein  besonderes  Verdienst  der  Böhmi- 
schen Brüder, 

Der  sogenannte  Humanismus,  das  Studium  der  classischen 
Sprachen  und  Literaturen ,  begann  bei  den  Öechen  von  der 
zweiten  Hälfte  des  lö.  Jahrhunderts  an,  unter  Georg  Podebrad. 
Im  Jahre  14ö2  fing  Gregor  von  Prag  (alias  Castulus,  Has- 
talsk^,  gest.  148Ö)  an  der  Universifät  seine  Vorlesungen  über 
die  lateinischen  Schriftsteller  an.  Mit  seinem  Tode  verfielen 
zwar  die  classischen  Studien  an  der  Universität,  aber  der  Geist 
der  Zeit  machte  seinen  Einfluss  geltend  und  die  Zahl  der  Huma- 
nisten wuchs  wieder.  Johann  Rabstein,  der  einige  Jahre  in 
Italien  am  päpstlichen  Hofe  verbracht  hatte,  kehrte  mit  dort 
erworbenen  classischen  Kenntnissen  nach  Hause  zurück.  In 
Pest  wurde  eine  wissenschaftliche  Gesellschaft  Danubia  ge- 
gründet, wo  sich  die  Gelehrten  Oesterreichs,  Ungarns  und  Böh- 
mens vereinten.  Aber  hauptsächlich  machte  der  Humanismus 
während  der  Regierung  Wenzel's  II.  Fortschritte,  als  mit  der 
Kräftigung  des  Katholicismus  in  Böhmen  engere  A'erbindungen 
mit  Italien  geknüpft  wurden. 

Zu  Ende  des  15.  und  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  hatten 
die  classischen  Studien  schon  viele  bedeutende  Vertreter,  wie 
z.  B.  Ladistav  von  Boskovic,  Thurzo,  Augnstin  von  Olmüti. 
Johann  Slechta,  besonders  aber  Bohuslav  von  Lobkovic  »uf 
Hassenstein  (1462—1510).  Obgleich  der  grösste  Theil  seiner 
Werke  lateinisch  geschrieben  ist,  so  nimmt  er  doch  als  Ver- 
breiter des  Classicismus  eine  wichtige  Stelle  in  der  Oechischen 
Literatur  ein.  Eine  Zeit  war  er  Calixtiner,  wurde  aber  danu 
eifriger  Katholik.    Seine  classische  Bildung  empting  er  in  Deutsch- 

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121 

land  und  Italien,  nahm  dann  eine  ehrenvolle  Stellung  am  Hofe 
ein  und  heschaftigte  sich  eifrig  mit  der  Literatur.  Seine  latei- 
nische Satire  „Klage  des  heiligen  Wenzel  über  die  Sitten  der 
Cechen",  1489,  zeugt  vom  Patriotifimus  des  VerfasBers  und  stellt 
interessante  Züge  der  Zeit  dar.  Er  war  auch  ah  Reisender 
berühmt:  auf  dem  Wege  nach  Jerusalem  besuchte  er  Arabien, 
Aegypten,  Kleinasien,  den  Archipel,  Griechenland,  Sicilien, 
Afrika  u.  s.  w.  Sein  Bruder  Johann  begab  sich  auch  auf 
weite  Reisen.  Bohuslav  bracht«  unter  anderm  auch  eine  grosse 
Sammlung  von  Werken  classischer  Autoren  in  Büchern  und  in 
Handschriften  heim.  Sein  Hans  glich  einer  Akademie.  Aber 
seine  ganze  Gelehrsamkeit  und  viele  wahrhaft  humane  Grund- 
sätze, die  er  den  Classikem  entnommen,  befreiten  ihn  nicht  von 
äns<4erst  reactionärer  Gesinnung  in  religiösen  Dingen:  während 
er  die  bürgerliche  Freiheit  forderte,  die  Anmassungen  des  Adels 
verspottete  u.  s.  w.,  bemerkte  er  nicht,  dass  sein  ÜUramontanis- 
mus  in  diametralem  Gegensatz  zu  allen  diesen  guten  Wünschen 
steht. '  Die  classische  Gelehrsamkeit  erleuchtete  auch  andere 
Köpfe  nicht:  z.  B.  Stanislaus  Thurzo,  Bischof  von  Olmütz,  und 
Augustin  von  Olmütz  (Kaesenbrot) ,  welche  unversöhnliche 
Feinde  der  damals  begonnenen  Reformation  waren.  Das  Latein 
war  so  verbreitet,  dass  sogar  zwei  Frauen  lateinische  Schrift- 
stellerinnen waren.  Die  eine,  Frau  Martha,  schrieb  „Excusatio 
Fratrum  Valdensium  contra  bioas  literas  Doctoris  Augustini 
datas  ad  regem",  1498,  zur  Vertheidigung  der  Reform.  Der 
erwähnte  Augustin  und  Bohuslav  waren  äusserst  aufgebracht 
über  dieses  gelehrte  und  scharfsinnige  Pamphlet  und  Bohuslav 
schrieb  eine  Satire  auf  die  Verfasserin.  Die  zweite,  Jobanna, 
aus  dem  Geschlecht  Boskovic,  war  ebenfalls  eine  gelehrte 
Dame:  sie  scheint  der  Brüdergemeine  angehört  zu  haben,  und 
die  gelehrten  Mährer  Benes  Optät  und  Peter  Gzel  widmeten 
derselben  ihre  TJehersetzung  des  „Neuen  Testaments"  (aus  der 
lateinischen  Uebersetzung  des  Erasmus  von  Rotterdam;  heraus- 
gegeben 1555). 


'  K.  Vinatifky  machlci  Uelieraetzungen  aua  «einen  Wurken  uod  echrieh 
»eine  Biographie:  „Pana  Bohuelftva  HaxiStejnHkchu  z  Lobkovic  v^k  a  Spisy 
vyhranc"  (Prag  I83ß).  Vgl.  die  Zeitung  „Narod",  18M,  Nr.  111— 11-1;  Jos. 
Trahläf,  im  „daaopis",  1878. 


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t22  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

Nach  dem  Tode  Gregor's  von  Prag  kamen  die  classischen 
Studien,  wie  oben  bemerkt,  au  der  prager  Universität  in  Vei- 
fall.  Wer  solche  suchte,  musste  auf  auBländisclie  Universitäten 
gehen,  nach  Bologna,  Fadua,  und  später  nach  Wittenberg,  be- 
sonders aU  dort  Philipp  Melanchthon  wirkte.  Von  Ferdinand  I. 
an,  als  in  Böhmen  eine  gewisse  Ruhe  eintrat,  begann  sich 
der  Humanismus  wieder  auszubreiten.  Im  Jahre  1542  begann 
Matthäus  von  Kollin  (Collinus,  gest.  1566)  an  der  prager  Uni- 
versität über  lateinische  und  griechische  Literatur  zu  lesen,  und 
die  griechische  Sprache  wurde  sogar  in  den  Unterricht  der  Stadt- 
schulen eingeführt.  Das  Latein  verbreitete  sich;  es  gab  Mäcene, 
die  dazu  aufmunterten,  und  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
gab  es  in  Böhmen  weder  Stadt  noch  Flecken,  wo  sich  nicht  Leute 
mit  classischer  Bildung  gefunden  hätten.  Die  zweite  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  ist  durch  eine  grosBe  Menge  lateinischer  Dich- 
tungen bezeichnet,  die  höchste  Blüte  erreichte  diese  Kunst  unter 
Rudolf  U.  Ein  Mäcen  jeuer  Zeit  gab  ganze  Sammlungen  latei- 
nischer Gedichte  heraus,  unter  dem  Titel  „Farragines";  ihnen 
folgten  andere  ähnliche  Sammlungen  von  Gedichten  auf  ver- 
schiedene Gelegenheiten,  private  und  öffentliche.  Aus  der  Menge 
der  damaligen  Latinisten  waren  am  bekanntesten  Matthäus 
Collinus,  Johann  Sentigar  (gest.  1554),  Simon  Fagellus  Vil- 
laticus  (gest.  1549),  Vitus  Trajanus  von  Saaz  (gest.  1560), 
Johann  BalbinuB  (gest.  1570),  David  Grinitus  (gest.  1586), 
Procop  LupÄö  (gest.  1587),  Petrus  Codicillus  von  Tulechov 
(gest.  1589),  ThomaE  Mitis  (gest.  1591),  Jobann  Campanus  von 
Vod£iany  (1622)  u.  a.  Wie  aus  dem  angeführten  Verzeicbnies 
zu  ersehen,  formten  sie  auch  ihre  Namen  lateinisch  um:  Mitis 
war  eigentlich  Tich^  (der  Stille),  Codicillus  —  Kni'ika  (Büchlein), 
Crinitus  —  Vlasäk  (der  Haarige)  u.  s.  w. 

Im  Öechischen  Humanismus  waren  gleich  von  Anfang  an  zwei 
ungleiche  Richtungen  vertreten.  Die  einen,  die  reinen  Huma- 
nisten, fanden  alleiniges  Interesse  am  Latein  selbst;  ftir  die  an- 
dern aber  waren  die  classischen  Studien  nicht  das  Ziel,  sondern 
nur  das  Mittet  zur  Vervollkommnung  der  eigenen  Literatur.  Die 
einen,  oft  enragirte  Katholiken,  waren  auch  gleichgültig  gegen 
die  Fortschritte  der  cechischen  Nationalität  und  Literatur;  den 
andern  wollte  es  durchaus  nicht  einleuchten,  dass  das  todte  La- 
tein die  beimische  Sprache  ersetzen  könne,  die  classischen  Lite- 
raturen dienten  ihnen  nur  zur  Bereicherung  der  ebenen  Literatar, 

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aibor  von  Cimburg.  123 

—  ihoen  Bchlosseo  sich  auch  im  allgemeinen  die  Vertheidiger  der 
Nationalität  an. 

An  die  Spitze  der  letztem  stellt  man  gewöhnlich  zwei 
Schriftsteller,  die  beide  nicht  speciell  Humanisten  waren,  heson- 
dere  der  eine  nicht ,  die  aber  unmittelbarer  und  stärker  als  an- 
dere die  rein  nationale  Seite  der  damaligen  Literatur  repräsen- 
tirten  und  eifrig  die  Rechte  der  Volksprache  »ertheidigien.  Die 
Namen  Viktorin's  von  Vsehrd  und  Ctihor's  von  Cimbnrg  zahlen 
za  den  berühmtesten  Namen  in  der  Geschichte  des  böhmischen 
Recht«.  Ihre  Hauptwerke  waren  dem  Kechtswesen  des  Landes 
gewidmet,  das  damals  überhaupt  fleissige  Erklärer  fand.  Die 
unruhigen  Zeiten  des  Hussitenthums ,  der  taboritischen  Kriege 
Q.  s.  w.  hatten  die  Ordnung  der  rechtlichen  Verhältnisse  gestört, 
denen  bald  das  Recht  des  Starken,  bald  socialistische  Theorien 
drohten,  sodass  sich  ganz  naturgemäss  der  Gedanke  einer 
Festigung  der  Rechtsbegriffe  einstellen  mochte.  Daher  sind  das 
Ende  des  15-  und  der  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  reich  an 
juristischer  Literatur.  Dahin  gehören  z.  B.  „Die  Landesordnung 
des  Königreichs  Böhmen  unter  König  Vladislav",  1500,  das 
„Tohitschauer  Buch"  (Kniha  TovaCoTskä)  von  Ctibor,  „Neun 
Bücher  vom  Recht  und  Gericht  und  von  der  Landtafel  in  Böh- 
men" von  Viktorin;  danach  die  „Landtafeln"  („Desky  zemske"), 
Sammlungen  von  Stadtrechten,  welche  den  damaligen  Bechtszu- 
stand,  die  Streitigkeiten  der  Feudalherren  mit  den  Städtern  u.  s.  w. 
reflectiren.  Am  wichtigsten  sind  die  drei  ersten  Denkmäler.  Die 
allgemeine  Idee  war  bei  allen  gleich:  indem  sie  die  durch  die 
politischen  und  socialen  Unruhen  erschütterten  Rechtsgrundlagen 
zu  befestigen  suchen,  wollen  sie  dieses  Ziel  durch  ein  einziges 
Mittel  erreichen  —  durch  die  Erneuerung  der  alten  Rechtsge- 
bräuche.  Aber  ihre  juristische  Bedeutung  war  eine  verschie- 
dene: die  Vladislarische  Landesordnung  war  direct  ein  Gesetz- 
bach; das  Tohitschauer  Buch  und  die  neun  Bücher  Viktorin 's 
waren  nur  eine  private  Anleitung  zur  Ueb ersieht  der  alten 
Rechtsgebränche,  das  eine  in  Mähren,  das  andere  in  Böhmen. 

Ctihor  von  Cimburg  und  Tobitschau  (geb.  um  1437,  gest. 
1494)  war  eine  der  bedeutendsten  Persönlichkeiten  seiner  Zeit 
nicht  nur  in  seiner  literarischen,  sondern  auch  in  seiner  staatlich- 
politischen  Thätigkeit.  Sein  Geschlecht  war  eins  der  ältesten 
und  bekanntesten  im  mährischen  Adel.  Ctibor,  ein  gemässigter 
Calixtiner,  war  ein  warmer  Anhänger  Georg  Podebrad's,    nahm 


124  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  C«chen. 

eine  wichtige  Stellung  im  Königreich  ein,  und  genoss  überhaupt 
grosse  Autorität.  Sein  juristische))  Werk:  „ Beschreibnng  der 
Gebräuche,  Ordnungen,  alter  Gewohnheiten  und  Rechte  des  Mark- 
grafthums  Mähren"  („Sepsäni  ohy6ejä  etc.")  oder  das  sogenannte 
„Tohitschauer  Buch"  („Kniha  Toyaöovskä")  —  verfasat  im  Jahre 
1481  und  vervollständigt  148Q — 89,  ist  vom  Standpunkte  des 
Adels  aus  geschrieben  und  vertheidigt  anf  Grundlage  der  alten 
Zeit  sorgfältig  die  Kechte  der  Herren.  Obgleich  dies  eine  von 
einem  Privatmann  verfasste  Sammlung  war,  so  erlangte  sie  doch 
gewisserm aasen  rechtliche  Kraft.  In  der  cechiscben  Literatur  ist 
Ctibor  auch  noch  durch  ein  anderes,  in  seiner  Jugend  um  1467 
geschriebenes  und  dem  König  Geoi^  gewidmetes  Werk  bekannt: 
„Streit  der  Wahrheit  und  der  Lüge  über  die  Güter  und  die 
Gewalt  der  Geistlichkeit"  („Kniha  hädani  Pravdy  a  Lzi  etc.", 
herausgegeben  zu  Prag  1539).  Letztere  Schrift  ist  in  Prosa  ver- 
fasst  nach  Art  der  allegorischen  Stücke,  die  damals  eine  sehr 
populäre  Form  in  der  europäischen  Literatur  und  dann  auch  bei 
den  Cechen  waren.  Die  Schrift  hat  keinen  poetischen  Werth,  ist 
aber  durch  seinen  Inhalt  interessant.  Die  Wahrheit  föhrt  einen 
Process  gegen  die  Lüge  vor  dem  Gerichte  Gottes:  den  Gerichts- 
hof bilden  die  Apostel  unter  Vorsitz  des  Heiligen  Geistes;  der 
Streit  der  Wahrheit  und  Lüge,  denen  sich  alle  Tugenden  und 
Laster  zugesellen  (z.  B.  „der  Hochmuth,  die  römische  Prinzessin", 
„der  Hass,  geboren  aus  Oesterreich",  ,,die  Faulheit  aus  Polen" 
u.  s.  w.),  stellt  eigentlich  einen  Streit  zwischen  dem  Cbristenthuia 
dar,  wie  es  einerseits  von  den  Hussiten  und  andererseits  von 
der  römischen  Kirche  verstanden  wurde;  er  wird  zuletzt  zn 
Gunsten  der  Wahrheit  entschieden.  Die  hussitischen  Neigungen 
Ctibor's,  die  er  auch  bei  andern  Gelegenheiten  zeigte,  brachten 
ihm  die  Flüche  der  Gegenpartei  ein:  Bobuslav  Lobkovic  prophe- 
zeiht  in  Versen  auf  den  Tod  Ctibor's,  dass  „der  Himmel  für  ihn 
verschlossen  sei,  weil  ohne  den  Kahn  Petri  niemand  zu  den 
Wohnungen  der  Seligen  übersetzen  könne",  dass  „seiner  Strafe 
und  seiner  Qualen  in  Ewigkeit  kein  Ende  sein  werde". ' 

'  Ueber  den  „Streit"  vgl  die  Artikel  von  Baum   nnd  RybiOcH,  P»- 
matky  aroh.  i  miBtupiene,  1H68.    Das  Tob  lisch  au  er  Buch  warrie  von  Uemuth 

herauBgegebeu  (Brunn  1858);  eine  kiitisohe  Ausgabe  mit  VariaDieu  Jcr 
llauclechriften  und  einer  Biographie  Ctibor'a  gab  Vincenz  Brandi  (Ebepd. 
1868).  Die  Untersuchungen  Hormenegild  JireSek's  und  Brandl'a  i»  ^t»- 
Bopis",  1863,  1867,  1868. 

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Viktorin  von  VäehrJ.  125 

Die  Bücher  Viktorin's  (geb.  um  1640,  gest.  1520)  gelten 
als  Schlüssel  zum  Veratändniss  des  alten  böhmischen  Rechts; 
anderereeits  werden  seine  literarischen  Vtrdienste  hocbgescbät^t. 
Sein  Vater  war  ein  einfacher  Bürger  zu  Chmdim;  Viktorin 
Etudirte  auf  der  prager  Universität,  wo  er  mit  grossem  Ruhme 
den  Grad  eines  Magisters  der  freien  Künste  empfangen  haben 
soll;  hier  war  er  auch  später  Professor  der  Philosophie  und 
Dekan,  aber  bald  verliess  er  die  Universität  und  betrat  die 
politische  und  juristische  Laufbahn.  Als  grosser  Verehrer  der 
cUsBischen  Literatur  war  er  mit  den  bekanntesten  6echisc)ien 
Humanisten  jener  Zeit,  wie  Bohuslav  Lobkovic,  Jan  SIechta, 
(iregor  Hrub^  (de  Gelenio)  und  andern,  besonders  mit  dem 
erstgenannten  freundschaftlich  verbunden.  Aber  im  Jahre  1493 
hörte  diese  Freundschaft  auf.  Ans  Anlass  von  Verhandlun- 
gen, die  damals  zwischen  Rom  und  den  iechischen  Calixtinern 
im  Gange  waren,  hatte  Bohttslav  das  lateinische  Gedicht  „In 
Snmmum  Pontificem"  geschrieben;  Viktorin  mochte  das  nicht 
ertragen  und  antwortete  mit  einer  boshaften  Satire  auf  den 
Papst.  Das  juristische  Werk  Viktorin's:  „Neun  Bucher  vom  Recht 
and  Gerichte  und  von  der  Landtafel  in  Böhmen"  („Knihy  devä- 
tery  o  pr&vich  etc.")  —  1499  beendet  und  1508  zum  zweiten 
mal  durchgesehen  —  ist  umfangreicher  als  das  Buch  Ctibor's 
und  gibt  viel  interessantes  Material  zur  Erforschung  der  da- 
maligen socialen  Verhältnisse. '  In  den  Streitigkeiten  des  Adels 
mit  den  Städten  ergriff  Yiktorin  die  Partei  der  letztem  und 
überhaupt  kann  man  in  seinen  Werken  eine  demokratische 
Neigung  bemerken.  Ueberaus  wichtig  in  historisch-juridischer 
Beziehung  wird  das  Buch  Viktorin's  auch  seines  meisterhaften 
Stils  halber  hochgeschätzt,  sodass  es  öechische  Juristen  als  Haupt- 
quelle der  6echischen  juristischen  Sprache  anerkennen.  Ausserdem 
übersetzte  Viktorin  ins  Oechische  einige  Werke  von  Cyprian  und 
Johannes  Cbrysostomus.  Er  war  ein  eifriger  Patriot:  in  seinen 
„Neun  Büchern"  lobt  er  die  alten  Gebräuche  des  böhmischen 
Hechts,  das  Öffentliche  böhmische  Gerichtsverfahren  u.  s.  w.;  im 
Vorwort  zu  seiner  Uetersetzung  des  Cbrysostomus  (gedruckt  zu 

'  Die  „Nenn  Böeher"  vnn  Viktorin  «nrden  herausgegeben  von  dec  Öe- 
cbischen  Matioa  dnroh  Hanka,  mit  einem  Vorwort  Palaeky'B  (Prag  1811). 
Eine  zweite  Ausgabe  wurde  auf  Kosten  des  juristiooben  Verein«  „VSehrd" 
durch  Herrn.  Jiretek  veranstallel  (Prag  1874;  mit  Biograpbie). 

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12G  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

Pilsen  1501)  vertheidigt  er  mit  Patriotismus  die  cechische  Sprache, 
welche  damals  die  Anhänger  des  Latein  yerachteten. ' 

Zu  den  classiscb  gebildeten  Gelehrten,  denen  die  Kenntniss 
des  Altertbums  nur  als  Mittel  diente,  die  nationale  Literatur  und 
Sprache  zu  heben,  gehörten:  Wenzel  von  Pisek  (Vaclav  Pi- 
seck^,  1482—1511),  Johann  Slechta  von  Vsehrd  (gest.  1522)  und 
besonders  Gregor  Hrub^  z  Jeleni  (oder  Gelenius,  gest.  1514), 
dessen  literarische  Thätigkeit  hauptsächlich  in  Uebersetzungen 
und  Erklämngen  alter  Schiiftsteller  und  neuerer  Humanisten 
bestand;  so  übersetzte  er  den  Ghrysostomus,  den  heiligen  Basl- 
liuB,  Cicero,  Pontanus,  Petrarca,  Erasmus  von  Botterdam,  Bo- 
hnslav  von  Lobkovic  u.  a.  Der  Sohn  Gregor's,  Sigmund  Hruby 
(Gelenius,  1497 — IÖ54),  empfing  eine  vorzügliche  classische  Er- 
ziehung unter  Leitung  WenzePs  von  PIsek,  mit  dem  er  in  Italien 
lebte ;  et  bereiste  alsdann  die  griechischen  Inseln ,  ferner 
Frankreich  und  Deutschland.  Im  Jahre  1524  nahm  er  eine  Ein- 
ladung des  Erasmus  von  Rotterdam  an,  zu  Basel  an  einer  neaen 
Ausgabe  der  griechischen  und  lateinischen  Classiker  zu  arbeiten, 
und  erwarb  sich  durch  seine  Gelehrsamkeit  grossen  Bnhm.  Seine 
6echiBche  Sprache  kannte  er  gut,  auch  die  kroatische,  und  die 
Kroaten  sangen,  wenn  sie  bei  ihm  zusammenkamen,  ihre  Volks- 
lieder. Aber  seine  slavigchen  Kenntnisse  verwendete  er  nur  in 
seinem    „Lexikon    sjmphonum"    (Basel  1536,   1544),    wo  er  die 


'  Wir  führen  diese  interesBunt«  Vertheidigung  der  Pechisehen  Sprachf 
an,  „Ich  habe  auch  dieaen  Bui-h  mit  Verzügen  übersetzt  aus  dem  Grund*-. 
damit  sich  unsere  Sprache  auch  hier  erweitei'e,  veredle  und  kräftiger  werde; 
weil  sie  überhaupt  nicht  so  besuhräukt  und  raub  ist,  wie  es  einigen  scheint. 
Ihre  Fülle  und  ihren  Reichthum  kann  man  daraus  ersehen,  das«  allen,  «u 
griechisch  oder  lateinisch  gesagt  werden  kann,  sich  auch  i'echiscb  sagen 
lässt.  Und  es  gibt  keine  Bücher,  weder  griechische  noch  lateinische,  die 
nicht  ins  (fechische  übersetzt  werden  konnten,  —  wenn  ich  mich  nicht  etwa 
täusche,  indem  ich  mich  von  der  Liebe  zu  meiner  Sprache  fortreiseen  luse. 
.  .  .  Mögen  andere  neue  Bücher  verfassen  und  diese  lateinisch  schreibrn. 
und  Wasser  ins  Meer  giessend,  die  römische  Sprache  bereichem  ,  -  — . 
obgleich  auch  derer  bei  uns  sehr  wenige  sind;  ich  will,  indem  ich  Büeber 
und  Schriften  alter  und  wahrhaft  guter  Leute  in  die  techisohe  Sprache 
übersetze,  lieber  den  Armen  bereichern,  als  dem  Keiohen  mit  schlechkn 
und  ihm  unnöthigen  Gaben  aufwartend,  der  Verachtung  und  Emiedrigimg 
verfallen.  Obgleich  ich  auch  lateinisch  schreiben  könnte,  wie  andere 
meinesgleichen,  so  will  ich  doch,  da  ich  weiss,  dass  ich  ein  Ceche  bin, 
zwar  lateinisch  lernen,  aber  Ceohisch  schreiben  und  sprechen." 


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Der  Huniftnismua.  ^27 

Verwandtschaft  der  griechiBchen ,  lateinischen ,  deutschen  und 
slayiBchen  Sprache  zeigen  wollte.  Grossen  Ruf  genoBs  Niko- 
laus Kon&ö  von  Hodiätkov  (oder  Finitor,  gest.  1546).  Dies 
«ar  ein  von  den  Zeitgenossen  sehr  geschätzter  Uebersetzer  und 
Bnchdrucker,  —  ein  rechter  Typus  eines  ^echischen  Schrift- 
stellers der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhundert«.  Seinen  An- 
sichten nach  war  er  ein  gemässigter  Anbänger  der  Gompactata, 
aber  seine  Polemik  war  schwach,  sodass  ihn  einer  der  Böh- 
mischen Brüder  zwar  einen  „guten  Cechen",  aber  „unfähigen 
Glaubenseiferer"  nannte.  Für  ein  Originalwerk  des  Konä£  gilt 
das  „Buch  Tom  Kummer  und  Gram  der  Gerechtigkeit,  der  Kö- 
nigin und  Herrin  aller  Tugenden";  es  ist  dies  wieder  eine 
Allegorie  —  die  Gerechtigkeit  geht  alle  geistlichen  und  welt- 
lichen Berufe,  hohe  und  niedere,  durch,  und  trauert,  dass  sie 
nirgends  wahre  Verehrer  findet.  Im  Jahre  1515  druckte  Ko- 
näö  die  ersten  Proben  einer  cecbischen  Zeitung.  Insbesondere 
aber  übertrug  er  in  die  fiechische  Literatur  fremde  Werke: 
er  übersetzt«  einen  mittelalterlichen  Roman  des  Philipp  Be- 
roaldo,  zwei  Gespräche  Lucian's,  die  böhmische  Chronik  des 
Aeneas  Sylvius,  „Pravidlo  lidskeho  ÜTota",  d.  i.  die  Fabeln  des 
Bidpai  aus  der  lateinischen  Redaction  „Directorinm  hamanae 
ritae"  u.  8.  w.  Die  Masse  der  Uebersetzungen  war  sehr  bedeu- 
tend ;  die  Schriftsteller  zeichneten  sich  nicht  immer  durch  Origi- 
nalität und  Tiefe  aus,  aber  sie  förderten  die  Kenntnisse,  sodass 
das  allgemeine  Niveau  der  literarischen  Bildung  damals  ziem- 
lich hoch  war.  Wie  bemerkt,  wurden  im  Verein  mit  den  Clas- 
sikem  auch  die  Werke  neuerer  Humanisten  übersetzt,  und  diese 
Leute  gaben  damals  in  der  europäischen  Bildung  den  Ton  an. 
Den  Namen  Petrarca,  Boccaccio,  Laurentius  Valla,  Pontanus 
und  besonders  Erasmus  von  Rotterdam  begegnet  man  häufig 
in  der  damaligen  Literatur:  Erasmus  stand  auch  in  directen 
Beziehungen  zu  öechischen  Gelehrten,  z.  B.  Johann  Slechta, 
Sigmund  Hrub^  und  verhielt  sich  ziemlich  sympathisch  zu  den 
Ideen  der  „Böhmischen  Brüder".  Es  ist  daher  kein  Wunder, 
dass  die  Reformation  Luther's  und  dieser  selbst  sogleich  in 
Böhmen  unmittelbare  Verbindungen  anknüpften,  die  mit  einer 
bedentenden  Ausbreitung  der  deutschen  Reformation  bei  den 
Cechen  endeten. 

Bevor  wir  fortfahren,  die  Literaturperiode  des  15.— 16.  Jahr- 
hunderts, welche  die  thätigste  Zeit  in  der  Geschichte  des  iecbi- 

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12^  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Ccclieii. 

sehen  Volkes  bildete,  darzustellen,  kehren  wir  zum  Schicksal  der 
taboritiBchen  Ideen  zurück.  Eb  war  natürlich,  dass  sie  sich  in 
eine  Menge  einzelner  Lehren  zersplitterten,  weil  mit  der  Erscbiil- 
terung  der  frühern  scheinbar  unerschütterlichen  Autorität  in 
der  Gesellschaft  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  die  Frage  nach 
den  sittlichen  Grundlagen  ihrer  Existenz  auftauchte.  Diese  tiefe 
Frage  lag  auch  der  scheinbaren  Willkur  der  persönlichen  An- 
sichten zu  Grunde;  ihre  Mannichfaltigkeit  kam  in  einer  Menge 
religiöser  Sekten  und  politischer  Parteien  zum  Ausdruck.  Der 
Kampf  zwischen  ihnen  war  ein  enei^ischer  und  erbitterter,  aber 
diejenigen,  in  denen  das  Streben  nach  religiöser  und  politischer 
Reform  am  tiefsten  ausgeprägt  war,  blieben  —  wie  es  gewöhn- 
lich zu  geschehen  pflegt  —  in  der  Minderzahl  und  unterlagen, 
trotz  der  heroischen  Vertbeidigung,  ihrer  Ueberzeugungen  in  den 
Hussitenkriegen.  Aber  die  Ideen,  welche  sie  beseelt  hatten, 
gingen  nicht  unter:  sie  lebten  fort,  bisweilen  in  denselben 
formen,  welche  ihnen  die  erste  stürmische  Zeit  des  Uussiten- 
thums  gegeben  hatte,  und  fanden  sogar  ihre  weitere  philoso- 
phische und  sociale  Entwickelung.  Der  Vertreter  dieser  Ent- 
Wickelung  war  eine  in  verschifdeuen  Beziehungen  merkwürdige 
Persönlichkeit  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  Peter 
CheUicky. 

Einige  cecbiscbe  Historiker  nennen  ihn,  vielleicht  nicht  ohne 
Grund,  den  genialsten  Philosophen  seiner  Zeit  in  ganz  Europa. 
Sein  Lebenslauf  ist  bisjetzt  wenig  bekannt,  auch  seine  Werke 
kennt  man  noch  nicht  vollständig,  deshalb  ist  es  auch  schwer, 
seine  Bedeutung  in  der  Geschichte  der  öecbischen  Literatur 
und  der  nationalen  Entwickelung  mit  Sicherheit  zu  bestimmeu. 
Chel^icky  wurde  um  1390  geboren,  seine  Jugend  fallt  also  in 
Hubs'  Zeit.  Seine  Herkunft  ist  unbekannt;  er  studirte  einige 
Zeit  an  der  prager  Universität,  verstand  lateinisch  gut  genug, 
um  die  Kirchenväter  zu  lesen,  und  hatte  keinen  gelehrten  Grad. 
Dafür  suchte  er  eifrig  lebendige  Unterhaltung  mit  „treuen  Cechen". 
So  hatte  er  z.  B.  nicht  seihst  alle  Schriften  von  Wicliffe  geleseu. 
aber  „ich  sprach",  sagt  er,  „viel  über  sie  mit  treuen  Cechen, 
wie  Magister  Johannes  Hubs,  Magister  Jakoubek,  welche  sie 
besser  verstanden  ale  andere  ö'echen".  Er  gehörte  zu  jenen 
„weltlichen  Predigern",  von  denen  er  selbst  sagte:  „nur  die- 
jenigen, welche  die  Gabe  Gottes  und  das  Licht  der  göttlichen 
Weisheit  haben,  können  die  Wahrheit  des  Gesetzes  Gottes  zeigen, 

ü,g:.._.u.,GOOJ^IC 


Peter  ChelCiok^.  129 

darch  vernünftige  und  aufrichtige  Auslegung."  Dies  war  &lso 
Bchon  die  yolle  Freiheit  der  religiösen  Forechnng,  die  zur 
Norm  wurde,  falle  der  Person  des  Erklärers  die  „Gabe  Gottes" 
ZDgescfarieben  werden  konnte.  Gheldick^  suchte  selbst  von  be- 
Booders  geschätzten  Lehrern  Kenntnisse  zu  erlangen,  wie  z.  B. 
Jakob  und  Protiva.  Von  dem  letztern  soll  er  die  Lehre  an- 
genommen haben,  dass  „das  Gesetz  Christi  ohne  Zuthat  mensch- 
Ucher  Gesetze  hier  auf  Erden  eine  wahrhaft  christliche  Glau- 
benslehre ausreichend  begründen  und  errichten  könne ".  Die 
Nachfolge  Christi  war  fnr  ihn  die  oberste  Regel  des  christ- 
Kchen  Lebens;  er  wollte  nur  an  das  glauben,  was  im  Evan- 
gelium steht,  und  verwarf  die  kircbliche  Tradition  „der  Doc- 
tores  und  alten  Heiligen"  gänzlich.  Auf  diesem  Wege  kam 
er  zu  der  Ueberzeugung ,  dass  jede  Anwendung  weltlicher  und 
äusserer  Macht,  Zwang  und  Krieg,  dem  Christenthnm  wider- 
spreche. Deshalb  verurtheilte  er  folgerichtig  Matthias  von  Janov, 
Huss  nnd  Jakob,  wie  auch  die  römische  Geistlichkeit,  dass 
sie  Urheber  von  Blutvergiessen  geworden  wären,  dass  sie  dem 
Volke  das  Schwert  in  die  Hand  gelegt  hätten  um  der  Rfiligion 
Villen.  Als  im  October  1419  auf  die  Frage  ^ii^ka's  und  Niko- 
lans'  von  Husinec  die  prager  Magister  erklärten,  äass  ea  unter 
-gewissen  Umständen  erlaubt  sei,  Kriegsgewalt  anzuwenden, 
stritt  ChelÖicky  gegen  Jakob  und  behauptete,  in  Glaubens- 
sachen dürfe  es  keine  Gewalt  geben.  Die  Lage  der  Dinge  im 
damaligen  Frag  entsprach  nicht  seinen  Ideen;  er  begab  sich  nach 
seinem  Geburtsort,  dem  kleinen  Dorfe  CheRice,  wo  er  sich  mit  sei- 
nen Werken  and  mit  Unterhaltungen  in  einem  Kreise  von  Freun- 
den beschäftigte.  Hier  mnss  man  den  Anfang  jener  „grauen 
Priester"  sehen,  welche  —  nach  den  Worten  eines  alten  Autors 
—  „als  echte  Christen  und  wahre  Nachfolger  der  ureprünglichen 
apostolischen  Kirche  keine  Kriege  und  Aufstände  billigten,  alles 
aus  eifriger  Frömmigkeit  und  Sittlichkeit  erduldeten,  Zi^ka  und 
die  iWaisenn  Halbbrüder  nennend,  weil  sie  Blut  vergossen".  Die 
Anhänger  ChelÖicky's  unterschieden  sich  auch  durch  die  Kleidung. 
Er  setzte  von  Chel5ice  aus  seine  Beziehungen  zu  den  damaligen 
Leitern  der  religiösen  Bewegung  fort;  Peter  Payne,  1437  aus 
Prag  vertrieben,  genose  einige  Zeit  seine  Gastfreundschaft.  Sehr 
tolerant  in  Sachen  des  Glaubens,  disputirte  und  polemiairte 
Cheliicky  freundschaftlich  mit  Rokjcana,  mit  den  Taboriten, 
Bisknpec  und  Koranda;    kam  selbst    nach    Tahor.    Nach  dem 

Ptth,  SUtIkiIi*  LlMMonD.    Q,  S.  9 

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130  FfinfteH  Kapitel    I.  Die  Öechen. 

Falle  Tabora,  1452,  ward  der  EiofluBs  Chel£ick^'B  noch  stär- 
ker usd  es  begannen  Bicb  nacb  dem  Beispiel  seines  Kreises  in 
Chel£ice  andere  Gesellscbaften  und  Brüderscbafteo  zn  bildeo. 
Die  bedenteadste  von  ibnea  war  diejenige,  welche  sieb  um  den 
Bruder  Gregor,  einen  Neffen  Bokycana's,  gammelte,  and  mit 
dem  Chelfiick^  in  engste  Verbindung  trat,  Rokycana  äusserte 
sich  über  Chelöick^  in  bester  Weise,  und  Bruder  Gregor  begab 
sieb  selbst  nach  Chelöice,  um  seinen  Führer  persönlich  kennen 
zu  lernen.  Als  1457  die  Bruderschaft  Gregor'a  zu  Kunwald  ge- 
gründet wurde,  schlössen  sich  ihr  auch  die  Cbel£icer  Brüder  an. 
Cheieick^  selbst,  schon  ein  sehr  alter  Mann,  war  nicht  mehr  dort 
Er  starb  1460.  > 

Die  literarische  Thätigkeit  Cbel£ickjF's  scheint  spät  begonnen 
zn  haben:  man  setzt  sie  in  die  Jahre  1433 — 43,  —  im  Jahre 
1443  ward  er  schon  auf  den  Landtag  zu  Kuttenberg  berufen, 
um  sich  wegen  seiner  Werke  zu  verantworten.  Aber  nach  der 
Menge  seiner  Werke  zu  urtheilen ,  muss  man  annehmen,  dass  in 
jene  Periode  nur  die  hauptsächlichsten  gehören.  Die  Werke 
Ghelöick^'s  waren  folgende:  „Das  Netz  des  Glaubens" 
(„Sit  Tiry",  geschrieben  1455 — 56,  herausgegeben  1521);  der 
„Tractat  vom  Glauben"  („Trakt&t  o  tü^  a  o  n&boienstrf", 
geschrieben  1437,  Handschrift  in  Paris);  das  Werk  rom  Anti- 
Christ  („0  äelmä  a  o  obrazu  jejfm"),  von  dessen  Ausgabe  rieh 
nicht  ein  einziges  Exemplar  erhalten  hat;  „0  rotach  ^sk/ch" 
(„lieber  die  dechischen  Sekten";  nicht  erhalten);  das  „Buch 
der  Auslegungen  der  Sonntagslectionen"  oder  die  Postille  (ge- 
schrieben 1434—36,  herau^egeben  1522,  1529  und  1532);  die 
Werke  „Von  der  Liebe  Gottes"  („0  milovdnf  Boha"),  „Von 
der  Macht  der  Welt"  („0  moci  svfita"),  verschiedene  kleine 
Traotate,  Auslegungen  der  Evangelien  u.  s.  w.,  von  denen  beson- 
ders interessant  sind:  „Rede  von  der  Grundlage  der  menech- 
licfaen  Gesetze"  („6e£  o  z&kladn  z&konft  lidsk^ch"),  „Brief  an 
die  Priester  Nikolaus  und  Martin"  (Lupä6),  welchen  Komenskj 
ein  „goldenes  Schreiben"  nannte  (gedruckt  im  Öasopis,  1874). 
Ein  Verehrer  Chelöick^'s  im  16.  Jahrhundert  lobt  in  der  Vorrede 
zu  der  Ausgabe  des  „Netzes  des  Glaubens"  den  hohen  Werth  seiner 


<  Tgl.  über  ihn  Palaoky,  Oeschiohte;  Gindelj,  „Geschichte  der  Böh- 
mischen Brüder",  I,  13  u.  f.,  490;  äafaUk,  im  „tagopie",  1874;  ßnkovM, 
I,  285—292. 


.....Gooj^lc 


Peter  Chel6iok#.  131 

Werke  fo^endermassen :  „Wer  diese  Bacher  lesea  wird,  dervird 
och  überzeugen,  daes  der  gütige  Gott  anBere  Vorfahren  nicht 
rergessen  hat,  sondern  dass  er  sie  mit  dem  Geist  begabte  nnd 
erfllUta.  . . .  Und  deshalb  besitzt  dieser  vorzügliche  Mann,  ein 
erwähltes  Gefäss  des  Herrn,  grosse  Gaben,  die  ihm  durch  Gottes 
Gnade  verlieben  sind,  bringt  alte  und  neue  Dinge  aus  den 
Schatzkammern  Gottes,  indem  er  diese  Bächer  schrieb  nnd  ab- 
&8Hte,  die  jedermann  aus  allen  Ständen  höchst  nützlich  sind", 
—  nnd  bemerkt,  dass  man  die  Werke  CheKick^'s  selten  finde, 
weil  die  Priester,  welche  Cheliick^  ihrer  Pfründen  halber  venir- 
theilte,  auch  seine  Werke  tot  den  Leuten  tadelten  und  verfolgten, 
indem  sie  dieselben  Ingenhaft  nnd  ketzerisch  nannten,  dass  aber 
andere  Leute  aller  Stände  diese  Werke  liebten  nnd  sich  nicht 
deshalb  von  ihnen  abwendeten,  weil  der  Verfasser  Laie  und  im 
Latein  nicht  gelehrt  war. 

Die  hauptsächlichsten  Werke  GhelCick^'s  waren  das  „Netz 
des  Glaubens"  und  die  „Postille*'.  Das  Netz  des  Glaubens  ist 
die  Lehre  Christi,  welche  den  Menschen  aus  der  finstern  Tiefe 
des  Lebensmeeres  nnd  seiner  Ungerecht^keiten  herausziehen 
BoU.  Der  Mensch  könne  nichts  bewrasen,  er  solle  nur  glauben: 
ohne  Glauben  falle  er  in  einen  finstern  Abgrund,  wo  ihn  die 
Lüge  beherrsche.  Der  Glaube  bestehe  darin,  dass  man  den 
Worten  Gottes  glaube;  aber  jetzt  sei  eine  Zeit  gekommen,  wo 
man  den  wahren  Glauben  für  Ketzerei  ausgebe,  —  und  deshalb 
Küsse  die  Vernunft  zeigen,  worin  der  wahre  Glaube  bestehe, 
falls  dies  jemand  nicht  wisse.  Finstemiss  habe  die  Augen  der 
Menschen  bedeckt  und  sie  erkennten  nicht  das  wahre  Gesetz 
Christi.  Zar  Erklärung  dieses  Gesetzes  weist  Chel£ick^  auf  die 
ursprüngliche  Organisation  der  christlichen  Gemeinde  hin  — 
diejenige  Organisation,  welche,  wie  er  sagt,  in  der  römischen 
Kirche  jetzt  als  abschenliche  Ketzerei  gelte.  Chelöickf  spottet 
mit  boshafter  Ironie  über  die  Baseler  Vertheidiger  der  römischen 
Kirche,  indem  er  von  der  „einfältigen  ursprünglichen  Kirche" 
i^ridit,  welche  Gott  gedient  habe  ohne  Ornate,  ohne  Kirchen 
mit  bemalten  Wänden,  ohne  Musik  und  künstlichen  Gesang  nach 
Noten.  Diese  ursprüngliche  Kirche  war  anch  sein  eigentliches 
Ideal  einer  socialen  Ordnung,  gegründet  auf  Freiheit,  Gleichheit 
nnd  Brüderlichkeit.  Das  Christenthum  bewahrt,  nach  der  Mei- 
nung Cheliick^'s,  noch  jetzt  diese  Grundlagen  in  sich;  es  sei 
nur  nöthig,  dass  die  Gesellschaft  zu  der  reinen  I<ehre  desselben 

9« 

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132  Fünftes  £i,pitel.    L  Die  Rechen. 

znxäckkebrej  und  dann  würde  sich  jede  :andere  Ordnung,  welche 
Könige  and  Päpste  nöthig  mache,  als  überflüssig  erweisen:  in 
altem  sei  das  Gesetz  der  Liebe  allein  ausreichend.  „Der  saure 
Essi^  der  bürgei-licben  Regierung  ist  nur  für  die  Uebertreter 
des  Gesetzes  dieser  Liebe  notbwendig.  Deshalb  ist  infolge  der 
Sünden  die  Notbwendigkeit  königlicher  Ordnungen  und  Gesetze 
ein^treten,  zur  Ahndung  der  Sündsn  und  des  Ungehorsams  gegen 
Qott;  und  jemebr  sich  das  menschliche  Geschlecht  von  Gott 
und  von  seinem  Gesetz  entfernt,  um  so  niehr  mnes  es  sich  an 
diese  (königlichen)  Rechte  halten  und  auf  sie  stützen.  Ich  s^ 
nicht,  dass  das  menschliche  Geschlecht  fest  auf  diesen  Rechten 
stehe  —  es  stützt  sich  nur  auf  sie,  um  nicht  ganz  zu  fallen." 
Es  wären  gar  keine  Gesetze  notbwendig,  wenn  das  Gesetz  der 
Liebe  gehalten  würde  und  wenn  das  Christenthum  auf  der  Erde 
den  Sieg  über  das  Heidenthum  erlangte.  Aus  diesem  Heiden- 
thum  sei  alle  Unordnung  auf  der  Erde  hervorgegangen  und  habe 
die  weltliche  Macht,  welche  von  der  Sünde  komme,  die  Ober- 
hand gewonnen.  —  Historisch  setzte  er  den  Verfall  des  Christen- 
thnms  in  die  Zeiten  Konstantin's  des  Grossen,  den  der  Papst 
Sylvester  ins  Christenthum  eingeführt  habe  mit  allen  heidnischen 
Rechten  und.  heidnischem  Leben:  Konstantin  seinerseits  habe  den 
Papst  mit  weltlichem  Reichthum  und  weltlicher  Macht  belehnt 
Von  der  Zeit  hatten  beide  Gewalten  immer  einander  geholfen  nid 
nur  nach  äusserm  Ruhm  gestrebt;  dieDoctores,  Magister  und  der 
geistliche  Stand  hätten  begonnen,  nur  darum  zu  sorgen,  dass  sie 
die  ganze  Welt  ihrer  Herrschaft  unterwürfen,  hätten  die  Leute 
gegeneinander  zu  Mord  tmd  Ranh  bewaffnet  und  das  wahre 
Christenthum  in  Glauben  und  Leben  ganz  vernichtet.  Chel- 
^ck^  verwirft  vollständig  das  Recht  des  Krieges  und  die  Todes- 
strafe: jeder  Krieger,  sogar  der  Ritter  sei  nur  ein  GewalU 
mensch,  ein  Missethäter  und  Mörder.  . . .  Sonach  verwarf  seine 
Lehre,  indem  sie  sich  auf  das  ur^rüngliche  Cbristenthiim  giün- 
dete,  folgerichtig  auch  die  Gewalt  des  Kaisers  und  Papstes,  die 
Privilegien  der  Stände,  die  Leibeigenschaft:  er  nannte  die 
königlichen  Beamten  einen  Haufen  Müssiggänger,  der  nicht 
unter  Gottes  Gesetz  gehöre,  weil  die  ganze  christliche  Fa- 
milie in  Liebe  und  Recht  gleich  sein  solle;  er  trat. gegen  die 
Bestrafnng  der  Verbrecher  auf,  die  man  nur  durch  brüderliche 
Theilnahme  bessern  solle;  erkannte  keine  Standesuntersckiede 
und  keine  Rechte  .der  Geburt  an,   spottete  über   die  Wapp«i 

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Peter  ChsKiok^:  133 

und  meinte,  da&s  io  der  jetzigen  Gesellschaftsordnung  die  Macht 
des  Äntichrists  herrsche,  der  die  Festangen,  Städte  und  Klöster 
mit  seinem  Geist  eingeiiommen  habe,  welcher  dem  Geiste  Christi, 
seinem  Leben  nnd  Gesetz  znvider  sei  .  .  . 

Ein  anderes  wichtiges  Werk  Chelfiick^'s  war  die  „Postille" 
(AnBt^nng  der  Sonntagsevangelien),  worin  er  Zeugnisse  der  Hei- 
ligen Schrift  für  diejenigen  Ideen  sammelte,  die  er  dann  im  „Netz 
de«  GUnbens"  systematisch  darstellte.  Erklärungen  der  Heiligen 
Schrift  nahmen  Echon  vor  Huss  eine  bedeutende  Stelle  in  der 
ieehiscben  Literatur  ein  nnd  dienten  als  Mittel  der  Propaganda 
für  die  Reformation.  Der  Charakter  der  Erklärung  änderte  sich 
mit  dem  Charakter  der  Zeit:  bei  Miliö  und  Stitnj?  war  die  Er- 
klärung gegen  die  Sitten-  und  Zuchtlosigkeit  der  Kirche  ge- 
richtet; Hubs  wies  schon  auf  eine  falsche  Auffassung  des  Ge- 
setzes bin  und  griff  die  Kirche  selbst  an,  indem  er  jedoch  nicht 
Bowol  ein  neues  System  predigte,  als  die  bestehende  Unordnung 
im  Kirchenwesen  verwarf;  Rokycana  findet  es  nothwendig,  dieser 
Verwerfung  Grenzen  zu  setzen,  und  legt  dadurch  den  Grund  zu 
einer  Reaction.  Chelcick^  stellt  sich  wieder  auf  einen  abso- 
luten Standpunkt:  er  verwirft  die  Meinungen  seiner  Vorgänger 
and  sucht  in  der  Heiligen  Schrift  nicht  Beweise  für  die  christ- 
liche Dqgmatik,  sondern  bemüht  sich,  darin  positive  Grund- 
lagen nachzuweisen,  auf  denen  sich  eine  vollständige  Umbildung 
der  gesellschaftlichen  Verhältnisse  vollziehen  soll. 

Als  Schriftsteller  kümmerte  sich  Chel6ick^  wenig  um  eine 
glatte  Auearbeitang  seiner  Werke;  seine  Sprache  ist  zuweilen 
incorrect,  weitschweifig,  aber  zum  grössten  Theil  originell,  kräftig 
nnd  ausdrucksvoll,  wie  seine  Gedanken  selbst,  und  erhebt  sich 
manchmal  zu  wahrer  Beredsamkeit. 

Die  Lehre  Chelötck^'s,  in  welcher  die  Idee  der  Cechischen 
Reform  ihre  letzte  und  höchste  Entwickelung  und  Darstellung 
erlangte,  fand,  wie  zu  erwarten  war,  nicht  nur  eine  volle 
Verurtheilnng  seitens  der  Katholiken,  sondern  auch  Opposition 
bei  den  Calixtinem  selbst.  Die  Anklagen ,  welche.  Zeugniss  für 
die  Wicht^keit  und  den  Einfluss  ablegen,  die  seine  Bücher  zu 
jener  Zeit  hatten,  reichen  vom  15.  Jahrhundert  bis  ans  Ende 
des  16.  Jahrbnnderts,  wo  die  gröbste  dieser  Anklagen:  „Die  Ver- 
gleichnng  des  Glaubens  und  der  Lebren  der  altern  Brüder" 
(„SroTUÄni  vtry  etc.",   herausgegeben  1582),   verfasst  vom  Je-, 


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134  Fönftea  Kapitel.    1   Die  Öechen. 

Bniten  Wenzel  Stnrm,  erschiea.  Die  Strenge  der  Lehre  Chel- 
Ücltfs  lo<^te  an&ngB  wenig  zur  tliatsaohUchen  Nachfolge  an, 
aber  die  Zahl  ihrer  Anhänger  vuchs  später  beständig.  Seine 
nächsten  Anhänger  nahmen  schon  früh  den  Namen  „ChelÜcer 
Brüder"  an.  In  seine  Ideen  vom  reinen  Christenthnm  liefen  die 
alten  tahoritischen  Bestrebangen  ans  nnd  sie  kamen  zuletzt  that- 
säcblicfa  zum  Ausdruck.  Im  Jahre  1457  wurde  ihnen  gemäss  die 
Knnwalder  Bruderschaft  gegründet;  im  Jahre  1467  wählte  sicli 
dieselbe  Geistliche  und  drei  Bischöfe,  die  zur  Aufrecfaterhaltnng 
der  apostolischen  Tradition  die  Weihe  ron  dem  Bischof  der  Wal- 
denser,  Stephan,  empfingen.  Dies  war  der  Anfang  der  berühm- 
ten Böhmischen  Brüdergemeine,  der  Brüderunion  (Jednota  brat^ 
öesk^ch,  Jednota  bratrskä). 

Die  BrüdemnioD,  welche  eine  so  originelle  nnd  in  gewiesem 
Sinne  energische  Erscheinung  der  Beligionsgeschichte  bildet, 
hatte  ihren  Ursprung  nnd  Charakter  rein  den  Ideen  Ghel6ic^'B 
ZQ  verdanken,  obgleich  sie  dieselben,  wie  wir  sehen  werden,  nicht 
zum  Ausdruck  brachte,  ja  auch  nicht  vollstÄndig  zum  Ausdruck 
bringen  konnte.  Die  Union  war  der  Versuch,  eine  sociale  Ord- 
nong  nach  den  Frincipien  des  Urchristenthums  prak^ch  zu  ver- 
wirklichen,— ein  Versuch,  ausgeführt  von  Leuten  mit  fester  Ueber- 
zeugung  und  sittlicher  Kraft.  Es  war  die  letzte  Coneeqnenz,  zu 
der  die  böhmische  Reformidee  in  den  Grenzen  gelangte,  welche 
ihr  die  gegen  sie  erhobene  Reaction  Hess  oder  welche  histori«^ 
möglich  waren.  Hier  ist  nicht  der  Ort,  das  schwere  Schicksal 
der  Böhmischen  Brüder  zu  erzählen,  die  allgemeinen  und  per- 
siHÜichen  Verfolgungen,  denen  sie  von  Anfang  an  unterworfen 
waren,  und  welche  ihre  bessern  Leute  mit  einer  Mannhaftigkeit 
a^vgen,  die  tiefe  Hochachtung  einflösst  und  eines  bessern 
Loses  würdig  war.  Es  genügt  zu  sagen,  dass  die  bisweilen 
sehr  harten  Verfolgungen  die  aufrichtige  Ueberzeugung  nicht  er- 
schütterten nnd  dass  sich  die  Grundsätze  der  Gemeine  in  eisern 
sehr  grossen  Tbeile  des  böhmischen  und  mährischen  Volkes  ve^ 
breiteten.  Die  Grundmasse  der  „Brüder"  gehörte  ebenderselben 
einfachen  Volksklasse  an,  welche  die  Vertheidiger  der  Lehren 
von  Hubs  nnd  die  Krieger  des  Tabor  Ueferte.  So  war  also  die 
Gemeine  ein  ebenso  selbständiges  und  nationales  Erzeugniss  dei 
^hischen  Volkslebens  und  der  £echischen  Volksidee,  wie  e» 
die  ersten  Urheber  dieser  Bewegung  waren,  wie  Chelcicky  selbst. 


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Die  Brüdemnion.  135 

der  kein  gelehrter  Magister  war,  und  Bmder  Gregor,  der  erste 
praktische  Vollzieher  seiner  Anschauangen.  ^ 

Die  „Bi^üder"  Dehmen  auch  in  der  CechischeD  Literatur  eine 
wichtige  Stelle  ein.  Gleich  von  An&ng  an  trat  in  ihrer  Mitte 
eine  Menge  ron  Schriftstellern  auf;  einige  von  ihnen  gehören  zn 
den  bemhmtesten  Namen  der  iechischen  Literatur.  Es  muss 
äbrigens  bemerkt  werden,  dass  die  Brüderschaft  die  Ideen  Chel- 
ückf'e,  aus  denen  sie  erwachsen  war,  nicht  sowol  weiter  führte, 
als  popularisirte  und  anwendete  —  freilich  bei  weitem  nicht  in 
,  ihrer  ganzen  Kraft.  Gleich  bei  Beginn  fand  die  Brüdergemeine, 
dass  es  zur  Erreichung  der  Einheit  des  Lebens  und  Glaubens 
nötbig  sei,  gewisse  Principien  aufzustellen,  die  ausserhalb  des 
Streites  stünden.  Die  religiösen  Streitigkeiten  spalteten  das 
Volk  in  eine  Menge  Sekten  und  lieferten,  da  sie  seine  Kraft 
Bchwächten,  nicht  das  gewünschte  sittliche  and  praktische  Re- 
Boltat.  Deshalb  bescblossen  die  Brüder,  „alle  Tractate  auf  sich 
beruhen  zu  lassen,  sich  mit  dem  Gesetz  Gottes  zu  begnügen 
Bod  ihm  aufrichtig  zu  glauben".  Den  Werth  oder  Unweith  der 
Tractate  zu  entscheiden,  wurde  den  Aeltesten  öberlassen;  die 
ThäÜgkeit  der  Gemeine  war  auf  die  Praxis   gerichtet,   auf  die 


'  ToQ  dieaea  berfliimten  Brüdern  leiten  ihren  Urspriing  die  apätom 
Gemeinden  ab,  weluhe  anf  demselben  Prinoip  gegründet  wurden  und  noch 
jetzt  beatehen ,  in  einzelnen  Colonien  in  der  Alten  nnd  Neuen  Welt  zer- 
streut,  als  ein  intereBBanter  Analäufer  der  6eobiBoheu  Benegung  des  10.  Jahr* 
buuderta:  es  sind  die  Mähriechen  Brüder,  die  Evangeliaohe  Brüdergemeine 
oder  Zinzendorfiauer,  Hermhnter.  Vgl.  das  oben  von  uns  erwähnte  Bnoh 
von  Gindely,  „Oeachiobte  der  böhmiaehen  Brüder  1484—1609"  (Prag  1867 
—58);  „Dekrety  Jednoty  bratrskS",  von  demselben  und  von  Emier  (Prag 
1865);  desselben  „Quellen  zur  Geachiohte  der  Böhmischen  Brüder"  (Wien 
1659);  Fiedler,  „Todtenbach  der  Geistlichkeit  der  Böhmischen  Brüder" 
(Wien  186S;  Fontes  remm  Anstriocanim);  Jar.  Goll,  „Quellen  und  Unter- 
tachongen  zur  Geschichte  der  Böhmischen  Brüder"  (1.  Bd.  Prag  1878} 
2.  Bd:  ChelCieky  nnd  seine  Lehre.  Ebend.  188S).  Tgl.  anoh  den  Artikel 
TOn  J.  A.  Belfert:  „0  tak  Fe5enych  blouznivoich  nübo^enskyoh  t 
teohioh  a  na  MoraTä  za  otstfe  Joaefa  H"  {CaBopia,  1877,  U,  IV;  1879, 
U— III,  —  e«  handelt  sich  um  das  Schickaal  der  letzten  Reste  des  Hnsai- 
lenthums,  die  bia  auf  unsere  Zeit  gelangt  sind).  AuBBerdem  ältere  Werke: 
Cranz,  „Alt«  und  neue  Brüderliistorie"  (1772),  deren  Fortsetzung  von 
Hegner  (1791—1816);  Schutze,  „Von  der  Entatehung  nnd  Einrich- 
tung der  evangelisoben  Brüdergemeine"  (Gotha  1822),  und  die  äbnliohen 
Werke  von  Sohaaff  (Leipzig  1825)  nnd  Lochner  (Nürnberg  1832). 


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136  Fünften  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

aitüiche  VervoUkomnmuDg  des  MeDBcben.  Die  Ideen  Chel^ick^'s 
wurden  von  den  Brüdern  wörtlich  genommen  nnd  man  hoffte, 
eine  Wiederhetetellung  der  Urkirche  Bei  möglich  und  werde  Eich 
dnrch  bloB  friedliche,  moralische  Mittel,  durch  blosse  Einfuhr 
Timg  frommer  Sitten  und  eine  leichte  klösterliche  Scbattirung 
des  Lebens  rollziehen:  sie  verwarfen  den  Krieg,  die  Standes- 
privilegien, erkannten  keinen  gerichtlichen  und  andern  Eid, 
keine  weltlichen  Obrigkeiten  u.  s.  w.  an  und  beschränkten  sich 
auf  einen  rein  passiven  Widerstand  gegen  die  herrschende  Ord- 
nung der  Dinge  —  aber  diese  Ordnung  dachte  freilich  durch- 
aus  nicht  daran,  einer  activen  Rolle  zu  entsagen.  Der  Wideiv 
Spruch,  welcher  daraus  entsprang,  brachte  die  Brüder  gleich  von 
Anfang  an  in  die  schwierigsten  Lagen,  nöthigte  sie,  Sophismen 
auszudenken,  die  aber  freilieb  die  Widersprüche  nicht  lösten.* 
Die  Gemeine,  die  von  den  besten  Absichten  erfüllt  war  und  den 
grössten  Erfolg  hatte  dank  der  Kraft  ihrer  Idee,  war  in  Bezug 
auf  das  praktische  Leben  in  dem  bedaaerlichen  Irrthum  be- 
fangen, der  den  edelsten  Idealisten  eigen  ist:  —  mit  der  Kraft 
des  sittlichen  Gefühls  konnte  sie  die  herrschende  Ordnung  nicht 
brechen  und  zuletzt  büsste  sie  ihren  Idealismus  durch  den  Unter- 
gang. Wenn  cechische  Hietoriker  Ghelcicky  den  genialsten 
Denker  seiner  Zeit  nennen,  so  führten  seine  Nachfolger,  obwol 
bedeutend  in  ihren  einzelnen  Leistungen,  seine  Lebren  nicht 
weiter  oder  vermochten  es  auch  nicht,  —  vor  allem  wegen  der 
Grösse  der  Aufgabe  selbst  und  wegen  der  Unmöglichkeit,  einen 
reinen  christlichen  Idealismus  in  den  bestehenden  Verhältnissen 
zu  verwirklieben. 


1  Wir  führen  ein  Beispiel  an.  Nach  Chel5icky  war  der  Krieg  ein  Ver- 
breoheu;  die  Brüder  liesBen  ihn  za  [weil  sie  aonst  gegen  die  königlioben 
Werber  mit  den  Waffen  in  dar  Hand  hätten  auftreten  mSsBeu),  aber  mit 
verachiedenen  Beschränknngen :  der  Bruder  durfte  in  den  Kri^  ziehen, 
wenn  die  Sache  dee  Königs  gerecht  war,  dies  war  die  conditio  aine  qna 
uon;  aber,  wenn  möglich,  sollte  er  einen  Ersatzmann  atellea,  oder  um 
Borgdienat,  um  daa  Amt  eines  Wächters,  Dieners  d.  s.  w.  bitten.  „Aber 
wenn  er  gleichwol  geoöthigt  wäre  zu  gelten,  im  Falle  einer  Ablehnung 
seiner  Bitte",  sagen  die  Regeln  der  Brüder,  ,,ao  bdU  er  suchen  in  den 
Dienet  beim  Train  zu  kommen;  sollte  aber  auch  das  nicht  möglich  sein, 
so  möge  er  sich  in  Gottes  Kamen  schlagen,  aber  sieh  hüten,  eiteln  Bnhm 
zu  suchen;  er  möge  zum  öohwert  greifen  mit  Widerwillen."  Gindely, 
I,  86. 


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Die  Brndernmon.  137 

Die  literarische  Thätigkeit  der  Brüder  bestand  in  der  £nt- 
irickeluDg  der  sittliclien,  aber  nicht  der  politisch-sooialen  Con- 
seqoenzen  der  Gedanken  Cbeldick^'s,  in  der  Aaebreituog  und 
potamiacben  Vertbeidigung  seiner  Lehre.  Bei  dem  speciellen 
Charakter  dieser  Literatur  Verden  wir  nicht  auf  die  Einzelheiten 
eingehen;  es  genügt,  die  bedentendeteu  Kräfte  der  Brüderschaft 
aDznfnbren.  Dabin  gehört  vor  allem  ihr  Gründer  und  Patriarch, 
der  Bruder  Gregor  (gest.  1474,  mit  dem  Beinamen  Krejöi, 
d.  i.  Schneider),  der  Sohn  der  Schwester  Rokycana's.  Nach  Voll- 
endung des  Elementarunterrichts  ging  er  ins  Kloster,  trat  jedoch 
bald  wieder  ans,  betrieb  das  Gewerbe  eines  Schneiders  und  suchte, 
wieCbeliick^,  fromme  Unterhaltungen  mit  „treuen  Öecben".  Die 
Unterhaltungen  führten  zu  einer  Annäherung  an  CheUicky,  dessen 
Werke  Rokycana  selbst  ihrem  Kreise  empfahl,  und  mit  der 
ersten  Grundlegung  zur  Brüderschaft.  Aber  die  Sache  lief  nicht 
ruhig  ab.  Rokycana  hatte  nicht  erwartet,  dass  die  Brüderschaft 
Bchon  bald  eifrige  Anhänger  gewinnen  und  zu  einer  Macht  wer- 
den würde.  Im  Jahre  1461  war  der  Bruder  Gr^or  in  Prag,  und 
hier  fanden  Zusammenkünfte  von  Gesinnungsgenossen  statt,  in- 
folge deren  Gr^or  einer  harten  Verfolgnng  unterworfen  wurde: 
er  wurde  ergriffen,  gefoltert,  sass  zwei  Jahre  im  Gefangniss. 
Rokycana  besuchte  ihn  hier  und  bedauerte  sein  Schicksal  „mit 
Krokodilstbränen",  nach  dem  Ausdruck  eines  damaligen  Histo- 
rikers. Die  Brüderschaft  hatte  dann  auch  andere  Verfolgungen 
zu  erdulden,  und  erholte  sich  erst  nach  dem  Tode  Rokycana's 
und  des  Königs  Geoi^.  Obgleich  kein  sonderlich  gelehrter 
Mann,  war  der  Bruder  Gregor  doch  „gewaltig  in  Wort  und 
Feder";  er  war  ein  eifriger  Prediger  der  Ideen  der  Brüder- 
schaft und  hinterUess  viele  Werke  über  christliche  Moral,  die 
zum  Theil  verloren  gegangen  sind.  *  Nicht  weniger  bedeutend 
war  der  Bruder  Lukas  (gest.  1528),  ein  prager  Baccalaureus; 
1480  in  die  Gemeine  eingetreten,  war  er  der  erste  gelehrte 
Theolog,  der  ihre  Lehre  fixirte,  und  einer  ihrer  fruchtbarsten 
Schriftsteller;  er  hinterliess  eine  ganze  Masse  Tractate,  Erklä- 
nmgen,  Briefe  und  polemischer  Artikel  über  verschiedene  Fragen 
der  Lehre  der  Brüderunion,  die  zum  Theil  auch  verloren  sind.  ^ 


'  Ruk0T6t,  IZ,  163—168. 

*  Gindel;,  „Öuopia"   des   Ceohiechcn  MoBeums   lS7i,   führt  gegea 
9U  Werke  i&t  Brüden  Lnkaa  an. 


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138  Fünftes. Kapitel.    I.   Die  Öeohen. 

Die  Union  stellt«  ihre  Lehre  fest  unter  einer  Menge  Bedenken, 
Zweifel,  Streitigkeiten,  Verfolgungen,  und  als  zu  jener  Zeit 
unter  den  Brüdern  der  Gedanke  auFtancbte,  daes  irgendwo  im 
Orient  (Christen  sein  müssten,  die  in  ursprünglicher  Sittenreinheit 
und  Lehre  lebten,  so  wurden  zu  ihrer  Aufsuchung  einige  Männer 
abgesandt,  darunter  Lukas,  dem  die  Aufgabe  zufiel,  die  von 
den  Griechen  und  Bulgaren  bewohnten  Länder  zu  durchreisen. 
Im  Jahre  1491  begaben  sich  die  Pilger  über  Krakau  und  Lem- 
bei^  nach  Suczawa,  wo  sich  Ton  ihnen  der  Edelmann  Mares 
Kokovec  trennte,  der  nach  Russland  reiste.  In  Konstantinopel 
trennten  sich  die  übrigen:  Kaspar  und  Marek  begaben  sich  in 
die  Balkanländer,  Kabätnfk  nach  Kleinamen  und  Lukas  ins 
arische  Küstenland.  Letzterer  kehrte  nach  Jahresfrist  zurück, 
aber  leider  haben  sich  von  seiner  Reise  keine  Nachrichten  er- 
halten. Unterdessen  erlangte  Lukas,  der  schon  Bischof  der 
Brüdemnion  war,  in  derselben  immer  mehr  und  mehr  Einfluse; 
nach  den  Worten  Blahoslav's  war  er  in  ihr  „wie  ein  geschliffe- 
nes Schwert";  sein  Wohnort,  Bunzlau,  wurde  zum  Mittelpunkt 
der  Brüder;  er  war  immer  bereit,  auf  jeden  Wunsch  nach  Be- 
lehrung  zu  antworten,  linderte  die  strenge  von  Gregor  einge- 
führte Disciplin,  und  genügte  den  Bedurfnissen  der  religiösen 
Phantasie  durch  Ausschmückung  der  brüderschaftlicben  Kirchen 
und  des  Gottesdienstes.  Die  Brüdergemeine  breitete  sich  unter 
dem  Adel  und  den  Städtern  aus.  Lukas  nennt  man  ihren  wahren 
Gründer  und  Gesetzgeber.  Nach  den  Worten  BlahoslaT's  war 
er  ein  Mann,  stark  in  Wort  und  That,  treu,  fleissig,  gelehrt, 
unüberwindlich,  wie  es  nie  einen  solchen  in  der  Gemeine  gab, 
und  —  „von  dem  es  besser  ist,  gar  nicht  zu  reden,  als  n 
wenig  zu  sagen". 

Laureutius  Krasonick^  (von  Krasonic,  gest.  1532)  war  ein 
prager  Baccalaureus.  Prokop,  ein  gelehrter Baccalanreus  (gesL 
1507),  ist  in  der  Geschichte  der  Brüderschaft  dadurch  hemer- 
kenswerth,  dass  er  den  Anlass  zur  ersten  Reform  derselben  gab  ^ 
im  Sinne  ihrer  Annäherung  ans  wirkliche  Leben,  —  indem  er  be- 
antragte, die  übertriebene  Strenge  einiger  brüderschaftlichen 
Regeln  zu  mildem.  Er  war  der  Meinung,  die  Brüder  müssten, 
um  Fortschritte  zu  machen,  nicht  mächtige  und  reiche  Leute 
fem  halten  und  sie  veranlassen,  ihrer  Macht  und  ihren  Gütern 
zu  entsagen,  die  sie  zum  Nutzen  der  Brudergemeine  verwen- 
den könnten;   und  behauptete  auch,   der  Mensch  brauche  sich 

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Der  Charakter  dea  Hnamtenthonu.  139 

nicht  der  Lebensfreuden  zu  berauben,  welche  die  frühem  asce- 
ÜBcheD  Regeln  der  Brüderschaft  verboten.  Die  Vorecbläge  Pro- 
kop's,  ^reiche  auch  in  seinen  Werken  dai^elegt  sind,  erzeugten 
einen  Streit,  in  welchem  Lukas,  KraBonick^  und  überhaupt  die 
Mehrheit  aaf  der  Seite  Frokop's  war;  aber  eine  andere  Partei 
stimmte  mit  seinen  Ideen  nicht  überein  und  trennte  sich  zu 
einer  besondeni  Gemeine  ab,  die  nach  dem  Namen  ihres  Füh- 
rers, des  Bruders  Amos  von  Stekno,  Amositen  biess.  Fer- 
ner gehören  in  die  erste  Periode  der  brüdergemeinlichen  Lite- 
ratur: Thomas  von  Pfeloufi  (Tom&g  z  Preloadi,  gest.  1517), 
räuer  der  gelehrtesten  Brüder,  und  Johann  Täborsk^  (gest. 
1496),  beide  anfangs  katholische  Priester,  die  zu  den  Brüdern 
übertraten.  Von  den  Amositen  ist  besondera  bekannt  Johann 
Kalenec,  eine  bedeutende  Persönlichkeit,  dem  Gewerbe  nach 
Heaserscbmied  aus  Prag,  der  scharf  gegen  die  Brüderunion 
polemisirte. 

Gegner  der  Brüdergemeine  gab  es  viele  unter  den  Katholiken 
und  anter  den  Calixtinem  und  die  Polemik  gerieth  von  ernsten 
dogmatischen  Streitigkeiten  dahin,  dass  z.B.  ein  gewisser  Veit, 
«n  Priester,  behauptete,  die  Brüder  erwiesen  der  Ratte  göttliche 
Verehmng,  pflegten  unsittlichen  Umgang  mit  den  Schwestern 
n.  8.  w.  Unter  denen,  die  gegen  die  Brüderschaft  schrieben,  seien 
enröhnt  der  schon  genannte  Augnstin  von  Olmütz,  Koranda, 
Martin  und  insbesondere  Johann  Bechynka. 

Wir  haben  eben  von  einer  Expedition  zur  Aufsuchung  einer 
christlichen  Gemeinde  oder  eines  Volkes,  bei  denen  sich  das 
Urchristentbnm  erhalten  haben  sollte,  gesprochen.  Dieselbe 
ging  nach  Italien,  wo  man  sich  mit  der  den  Brüdern  verwandten 
Sekte  der  Waldenser  näher  bekannt  machen  wollte,  und  in  den 
Orient,  wo  man  nach  der  Ueberliefemng  ein  nrcbristlicbes  Reich 
des  Priesters  Johannes  annahm.  Von  den  Beschreibungen  dieser 
Orientreisen  hat  sich  nur  eine  erhalten,  und  zwar  die  „Reise 
aag  Böhmen  nach  Jerusalem  und  Aegypten",  1491  —  92',  des 
Bmders  Martin  Kabätnik  (gest.  1503)-  Dieses  Untemebmen 
charakterisirt  die  Stellang  der  Brüder  rücksicbtlich  ihres  Grund- 
princips:  sie  hofften  für  ihr  System  den  historischen  Boden  zu 
finden  und  die  ununterbrochene  Tradition  zu  entdecken,  welche 


'  H.  Kabitnik,   „CeeU  z  Öeoh  do  Jenualema  a  Egj^U",   die   erste 
Ao^be,  wie  es  soheint,  1512,  ferner  1577,  1637,  1641  o.  ö. 

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140  Fänfles  Kapitel.    I.   Die  Öechen.- 

sie  sichüicli  mit  der  alten  cbn'stlicben  Gemeinde  verbände.  Aber 
der  Versucb  gelang  für  diesmal  nicht:  im  Orient  fand  sidi  keib 
echtes  Urcbristentbiim. 


Zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  hört  im  Grunde  genommen 
jene  Periode  enei^scher  nationaler  Thätigkeit  auf,  die  znent 
durch  Husb'  Vorgänger  zu  Ende  des  14.  Jahrhunderts  begonnen 
wurde.  Die  ^chische  Beform  hatte  sich  ausgesprochen:  sie 
wies  viele  edle  Bestrebnngen  auf,  viele  Beispiele  kräftigen  Den- 
kens und  Handelns,  sie  öffnete  den  Weg  der  Befreiung.  .  .  .  Dag 
Ende  war  unglücklich,  aber  dies  verringert  die  Grösse  des  5echi- 
ecben  "Werkes  nicht.  Die  Reform  trat  gegen  Principien  aof, 
welche  ganz  Europa  beherrschten,  trat  gegen  sie  in  den  Grenzen 
eines  kleinen  Volksthums  auf;  es  ist  kein  Wunder,  dass  sie 
durch  die  noch  starke  Reaction  unterdrückt  wurde.  Ihr  bleibt 
das  Verdienst  der  Initiative  und  das  Verdienst  mannbaften 
Mnthes. 

Bevor  wir  zu  den  folgenden  Zeiten  Ubei^ehen,  ist  es  nicht 
überflüssig,  noch  bei  der  behandelten  Epoche  zu  verweilen. 
Sie  bildet  überhaupt  die  bedeutendste  Periode  in  der  ganieii 
Öechischen  Geschichte  —  die  Epoche  des  vollsten  Ausdrucks  der 
Nationalität,  der  Kundgebung  der  nationalen  Kräfte,  der  phy- 
sischen, geistigen  und  sittlichen.  Durch  sie  wird  schon  für 
das  15.  Jahrhundert  die  ganze  vorausgegangene  alte  Zeit  od- 
wiederbringlicb  zurückgedrängt;  die  neuere  Wiederbelebung  be- 
steht, sie  mag  wollen  oder  nicht,  nur  darin,  zu  einer  ahnlicben 
ethisch -nationalen  Selbständigkeit  zurückzukehren,  und  nach 
unserer  Ansicht  kanu  sie  auch  nur  in  diesem  zu  schärferm 
Bewnsstsein  erhobenen  Streben  auf  einen  Erfolg  ihres  Kampfes 
hofTen. 

Worin  besteht  aber  der  Sinn  des  Hussitenthnms?  Es  ist  dies 
eine  jener  Hauptfragen,  durch  deren  Lösung  der  Charakter  ganzer 
Jahrhunderte  der  Geschichte  eines  Volkes  bestimmt  und  auch 
noch  für  die  Gegenwart  eine  Lehre  gegeben  wird.  Solche  Fragen 
lassen  sich  gewöhnlich  nicht  leicht  historisch  entscheiden.  Bis 
vor  nicht  langer  Zeit  stellten  die  westeuropäischen  Historiker  Hnss 
nur  als  einen  Vorläufer  der  Reformation  hin,  indem  sie  ihm  seinen 
Platz  zwischen  Wicliffe  und  Luther  anwiesen,  die  Protestanten  — . 

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Die  fauBBitiscbe  Tradition.  141 

mit  Sympathie,  die  Katholiken  —  mit  VerdrusB.  Einige  neueria 
Jechische  UiBtoriker  legen  kein  Gewicht  auf  seinen  Rahm  aU 
Keformator  der  Kirche  und  behaupten,  daes  er  nar  in  einigen 
Becandären  Fragen  vom  Katholiciemus  abgesehen  sei,  schätzen 
aber  in  ihm  im  allgemeinen  noch  die  nationale  Tendenz.  End- 
lich stellten  mseische  Schriftsteller  der  slaTophilen  Schule  (Jelagin, 
E.  NovikoT,  Hilferding)  eine  ganz  neue  Ansicht  auf,  —  Huss  habe 
überhaupt  gar  nicht  eine  Reformation  im  Bpätem  protestanti- 
schen Sinne  im  Auge  gehabt,  sondern  seine  Lehre  stehe  mit 
der  Drsprünglicben  Orthodoxie  (der  griechisch -orientalischen 
Kirche)  der  Slaren  in  Verbindung,  die  einst  auch  bei  den  Rechen 
die. erste  christlidie Kirche  gewesen  sei,  und  deren  Ueberlieferung 
dch  nach  dem  Siege  der  katholischen  Kirche  auch  weiterhin  in  den 
Volksmassen  erhalten  habe,  —  sodass  seine  Predigt  als  ein  Echo 
jener  Tradition  erschien,  indem  sie  gegen  den  verderbten  und  der 
Biarischen  Natur  nicht  homogenen  Kathoticismus  protestirte,  und 
überhaupt  als  ein  Streben,  Ton  den  romanisoh-germanischen  Prin- 
dpien  zu  den  slavischen  zurückzukehren.  Das  Haupt  der  6echi- 
Bchen  Historiographie,  Palaok^,  bestritt  diese  Ansicht,  wie  sie 
überhaupt  von  denen  nicht  angenommen  wird,  welche  einen 
numittelbaren  Zusanmienhang  des  Hussitenthums  mit  der  Refor- 
mation anerkennen.  Der  neueste  Geechichtschreiber  des  Hussi- 
tenthums, Ernst  Denis,  schlägt  einen  Mittelweg  ein,  wie  es  scheint 
den  richtigsten.  Ohne  die  Verwandtschaft  des  Hussitenthams 
mit  der  deutschen  Reformation  zu  leugnen,  verwirft  er  auch  die 
Existenz  tod  Ueberlieferuugen  der  griechisch -slavischeu  Kirche 
CjTiU's  and  Method's  bei  den  Cechen  nicht,  und  erklärt  die 
HeinungBTerschiedenbeiten  über  Hoss  dadurch,  dass  sich  in  den 
verschiedenen  Werken  desselben,  in  den  verschiedenen  Momenten 
seiner  Entwickelang  und  Stimmung  stark  abweichende  Nuancen 
seiner  Ansichten  finden,  sodass  daraus  auch  verschiedene  Schlüsse 
über  dieselben  gezogen  werden  können. 

Seine  Grundgedanken  bestanden  —  negativ  in  der  Ver- 
nrtheilung  der  Verderbniss  und  der  Misbräuche  der  Kirche,  po- 
sitiv darin,  dass  für  ihn  das  Urchristenthum  das  Ideal  der 
Kirche  war,  und  dass  es  zur-Erkenntniss  dieses  wahren  Kirchen- 
thnms  zwei  Quellen  gäbe:  die  Heilige  Schrift,  und  für  das  wirk- 
liche Verständniss  derselben  die  menschliche  Vernunft.  So  konnte 
nun  also  von  seiner  Lehre  sowol  zum  Protestantismus  (Nega- 
tion der  römischen  Kirche  und  Freiheit  der  persönlichen  Aua- 

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142  FünftM  Kapitel    L  IKe  Öeohen. 

legnng)  als  auch  zum  Versuchen  einer  Annäheracg  an  die  grie- 
chisch-katholische Kirche  gelangen  —  wie  ihn  sowol  die  gemu- 
sigten  Hussiten  im  Jahre  1451i  als  die  Brüdergemeine  im  Jahre 
1491  wirklieb  machten.  Der  Einflnss  dnnkler  griechiBch-slaTischer 
Traditionen  im  Hussitentbnm  lässt  sich  schwer  leugnen,  aber  bei 
Huss  war  er  eher  anbevnsat  nnd  unbestimmt;  er  selbst  stand 
ausserhalb  des  Einflusses  der  orientalischen  Kirche,  aber  er  enchte 
sich  mit  ihrer  Lehre  bekannt  zu  machen  nnd  sein  Freund  und 
Genosse  im  Märtyrerthum,  Hieronymus,  „befreundete  sieb  mit 
den  Rechtgläabigen"  in  Westrussland ,  wohin  er  sich  wot  nicht 
ohne  Hubs'  Vorwissen  begeben  hatte.  Ferner  sonderten  sich  in- 
mitten seiner  eigenen  Anhänger  verschiedene  Richtungen  ab:  die 
gemässigten  Calixtiner  and  die  entschiedenem  Taboriten  hielten 
sich  gleichmäesig  für  seine  directen  Nachfolger  —  und  wer  von 
ihnen  dies  mit  mehr  Recht  denken  konnte,  haben  die  Historiker 
noch  nicht  endgültig  entschieden. ' 

Sonach  schliesst  sich  Huss  nnd  die  von  ihm  hervorgerufene  Be- 
wegung gleichmässig  sowol  dem  vorwärts  sdireitenden  Oocideat 
als  dem  conservativen  Orient  an :  mit  dem  erstem  war  er  histo- 
risch verbunden  durch  den  europäischen  Zuschnitt  des  Lebens  and 
der  Bildung  der  Öecben  im  „Schose"  des  KathoUcismns;  mit 
dem  andern  durch  die  instinctive  Ueberliefening  einer  slavischen 
Besonderheit.  An  seine  religiöse  Tbätigkeit  schliesst  sich  nicht 
umsonst  seine  Tbätigkeit  im  Interesse  der  dechischen  Nation*- 
lität  an  (so  sehr  diese  auch  bei  ihm  in  zweiter  Linie  stand). 
Die  Geschichte  ist  immer  noch  voller  Rätbsel,  vieles  im  Zu- 
sammenhang  der  Ereignisse  ist  noch  schwer  zu  erklären;  aber  es 
muss  ein  tiefer  Grund  vorliegen,  warum  gerade  bei  den  Cechen 
die  natioQal*religiöse  Opposition  gegen  den  Katholicismus  im 
15.  Jahrhundert  so  gewaltige  Verhältnisse  annahm,  dass  es  dem 
damals  noch  ganz  katholischen  Europa  nicht  möglidi  war,  sie 
zu  überwinden  —  weder  durch  Bücher,  noch  durch  Scheiter- 
haufen, noch  durch  Kreuzzüge. 


'  Palaokj  edtoiiit  in  der  letzten  Bearbeitung  der  Qe«ohiohte  dei  Hu- 
sitentluiraB  den  Ansicht«!!  der  niaaiachen  Forscher  eine  ConceMJon  xn  muhen. 
Aher  die  nene  Generation  der  Cechisehen  Gelehrten  leugnet  hartnäckig  einen 
Zneammenhang  von  Hubs'  Thatigkeit  mit  den  griechisch-orthodoxen  Deber 
lieferungen.  Vgl.  die  AeuBsemng  J.  Goll'a  über  dM  Bd^  von  KraMt 
Denis,  im  „Cuopia",  1878,  S.  689—593. 


.....Gooj^lc 


Die  hossitiBche  Tradition.  143 

Die  buseitische  Bewegung  wachs  zu  Verhältnissen  an,  wie 
sie  Europa  wol  seit  den  Zeiten  der  Albigenser  noch  nicht 
erfahren  hatte.  Ein  kleines  Land,  umgeben  von  religiösen  und 
nationalen  Feinden,  sich  selbst  überlassen,  von  den  Stammes- 
geooBsen  nicht  unterstützt,  hielt  lange  den  Kampf  aus  ohne  zu 
«eichen.  Dieser  Umstand  weist  auf  das  Vorhandensein  einer 
besondem  innem  Kraft  hin,  —  die  auch  am  charakteristischsten 
in  der  Person  von  Husa  selbst  zum  Ausdruck  kam.  „Der  unter- 
scheidende Zug  seiner  Persönlichkeit",  sagt  Hilferding,  „war 
Qubedingte  Wahrhaftigkeit  in  der  Ausübung  des  christlichen 
Gebotes,  durchaus  fern  von  allen  Mebenrücksicbten."  Dieser 
wahrhaftige  Eifer  für  das  reine  Christenthum  lässt  sich  in  der 
That  in  der  nachfolgenden  religiösen  Bewegung  nicht  verkennen, 
besonders  bei  denen  nicht,  welche  sich  nicht  äussern  (vielleicht 
politisch  nothwendigen)  Erwägungen  hingaben  —  bei  den  Tabo- 
riten,  den  Böhmischen  Brüdern.  Aber  die  Frage,  wo  die  Quellen 
dieser  ernsten  Religiosität,  welche  ganze  Volksmassen  durch- 
drang, ZQ  suchen  sind,  bleibt  noch  dunkel.  Die  blosse  „Sla- 
vidtät"  der  öecben  allein  (d.  i.  der  vermeintliche  allgemeine 
Stammeacharakter  der  Slaven),  die  blossen  Ueberlieferungen  von 
einer  einst  (aber  zu  kurze  Zeit)  bei  ihnen  lebendig  gewesenen 
slanscben  Kirche  werden  diese  Erscheinung  kaum  erklären  — 
äne  ähnliche  Bewegung  gab  es  bei  den  andern  Slaven  nicht,  und 
es  scheint,  dass  man  hierbei  die  bewegenden  Ursachen  zu  einem 
beträchtlichen  Theil  gerade  in  der  deutsch -lateinischen  Bildung 
der  slavischen  Öechen  suchen  muss.  Magister  und  Bacoalaarei 
standen  nicht  amsonst  an  der  Spitze  der  religiösen  Bewegun- 
gen des  Hussitentbnms,  auch  des  entschiedensten  —  bei  den 
Taboriten  und  Böhmischen  Brüdern.  Die  prager  Universität 
streute  einen  grossen  Vorrath  von  Bildung  aus.  Die  Geschichte 
des  HuBsitenthums  wies  viele  Verirrungen  auf,  in  welche  die  auf- 
geregten Massen  unvermeidlicdi  verfallen,  wenn  sie  mit  einem 
male  die  Wahrheit  finden  und  die  Gerechtigkeit  zur  Geltang 
bringen  vollen ,  —  aber  auch  viel  tiefe  Aufrichtigkeit,  Festigkeit 
ond  Selbstaufopferung,  und  diese  Seite  vor  allem  bildet  die 
sittliche  und  historische  Grösse  des  Hassitenthums. 

Die  öechischen  Patrioten  wendeten  sich  bei  den  ersten  Schrit- 
ten der  „Renaissance"  den  Erinnerungen  an  die  hussitisohe  Zeit 
als  der  Glanzperiode  ihrer  Geschichte  zu,  und  in  der  Folge  hat 
sie  nicht  wenige  ernste  Forschungen  hervorgerufen;   aber  das 

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144  Fünftes  Kapitel    I.  Die  Öechen. 

Verbältniss  der  Renaissance  za  der  bistoriechen  Bedentang  des 
HuBeitenthuma  hat  sich  noch  nicht  ganz  geklärt;  die  Beaction, 
welche  das  öechiache  Leben  seit  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
bedrückte,  hat  noch  nicht  ganz  aufgehört;  die  Geister  sind  noch 
direct  oder  icdirect  gebunden;  das  hiBtorische  Bewasstseiii  ist 
noch  nicht  Tollständig  —  aber  Tielleicht  wird  auf  dem  Wege  eines 
grossem  Studiums  und  der  Erfahrung  auch  eine  energischere 
Auffassung  der  nationalen  Aufgaben  in  der  Zukanfl;  kommen. 


Die  teohiscben  Historiker  nennen  gewöhnlich  das  16.  Jahr- 
bnndert,  1026^—1620,  und  besonders  die  letzten  Jahrzehnte  tot 
dem  Untergang  Böhmens  das  goldene  Zeitalter  ihrer  Lite- 
ratur. Aber  dieser  Name  lässt  sieb  nicht  sowol  durch  den 
Inhalt,  als  durch  den  äussern  Umfang  der  Literatur  dieser  Pe- 
riode and  durch  die  Ausbildang  der  Sprache  rechtfertigen.  In 
der  Tbat,  das  16.  Jahrhundert  weist  eine  Menge  Schriftsteller  und 
Bücher  auf,  aber  keine  Belbständige  Entwickelung  der  Literatur, 
sodass  man  diese  Periode  nur  mit  grossen  Einschränkungen  daa 
goldene  Zeitalter  der  (ecbiscben  Xiteratur  nennen  kann.  Der 
wesentliche  Fortschritt  des  16.  Jahrhanderts  besteht  in  der  Ver- 
breitung der  literarischen  Bildung,  aber  die  Literatur  verhert 
mehr  und  mehr  ihre  eigene  Initiative  und  Originalität  und  wiiit 
wieder  anter  fremden  Einflüssen.  Solche  Einflilsse  sind  die 
Renaissance  und  die  Reformation.  Gindely ,  der  Geschicht- 
-scbreiber  der  Böhmischen  Brüder,  rechnet  es  von  katholischem 
Standpunkte  den  6echiBchen  Katholiken  zu  besonderm  Lobe  an, 
dass  sie  die  eifrigsten  Anhänger  der  classischen  Studien  waren, 
—  aber  oben  ist  bemerkt  worden,  dass  diese  an  und  für  sidi 
noch  keinen  Fortschritt  der  Nationalliteratur  bildeten.  Die 
classisobe  Gelehrsamkeit,  Ton  katholischem  Standpunkte  aus 
verstanden,  hörte  auf,  eine  fördernde  Kenntoiss  zu  sein:  Lob- 
koTic  und  andere  Schriftsteller  dieser  Art  waren  unfruchtbar 
für  die  Sache  der  Öecbeu,  wenn  sie  die  Schar  der  ^rbloseo  Nach- 
folger eines  künstlichen  GlaBsicismus  vermehrten.  Es  kam  oft  vor, 
dasB  diese  Leute  in  politischer  Beziehung  nur  WiederherBtelluDg 
der  alten  Ordnaug  und  Vernichtung  alles  dessen  wollten,  was 
in  der  hussitischen  Periode  errungen  war.  Patriotische  Scfarift- 
ateller,  wie  Väehrd,  traten  gegen  dieses  todte  Latein  anf,  «eltifaes 

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,^as  goldene  Zeitalter."  145 

die  Volksbildung  vergasB.  Andererseits  wirkte  die  Reformation 
ein,  die  sclion  früh  nach  Böhmen  drang.  Die  Repräsentanten  der 
iechiBchfli)  Reform  und  die  „Brüder"  standen  in  directen  persön- 
lichen Beziehungen  zu  den  Urhebern  der  deutschen  Reform  — 
ErasmuB  von  Rotterdam,  Luther,  Melanchthon,  Zwingli  u.  s.  w., 
nnd  die  Lehren  der  letztern  fanden  nicht  nur  Aufnahme  in  Böh- 
men, sondern,  als  die  Refonnation  eine  staatlich  anerkannte  Kirche 
wurde,  veränderte  sie  auch  in  hohem  Grade  die  frühere  natio- 
nal-religiöse Bewegung  der  Cechen.  In  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderte,  als  die  Verfolgungen  seitens  des  Katholicis- 
mos  noch  zunahmen ,  wurden  die  Calixtiner  und  Böhmischen 
Brüder  direct  zu  Lutheranern  und  Reformirten.  Das  alte  Hus- 
ntenthum  hörte  auf;  ,, treue  Öechen"  wurden  noch  von  huesiti- 
schen  Erinnerungen  begeistert  und  zeichneten  sich  durch  reli- 
giösen Eifer  aus;  aber  die  Leitung  der  Sache  selbst  gehörte  nicht 
mehr  ihnen.  Von  der  Zeit  an  sind  in  der  öechischen  Literatur 
kräftige  und  selbständige  Erscheinungen  selten. 

Die  interessanteste  Seite  des  goldenen  Zeitalters  bleiben  die 
Erinnerungen  und  Nachklänge  des  alten  nationalen  Hussiten- 
thnms,  und  die  neuen  Versuche  in  dieser  Richtung,  denen  es  aber 
nicht  mehr  beschieden  war,  zu  einer  grossen  historischen  und 
nationalen  Erscheinung  heranzuwachsen. 

Die  dechische  Poesie  wies  schon  in  der  Hussitenzeit  wenig 
Bedeutendes  auf.  Durch  dieselbe  Unfruchtbarkeit  zeichnet  sie 
sich  auch  am  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  und  während  des 
ganzen  goldenen  Zeitalters  aus.  Sie  bestand  zum  Theil  aus 
lateinischen  Gedichten  verschiedener  Art  (oben  sind  die  haupt- 
sächlichsten lateinischen  Dichter  aufgezählt),  zum  TheÜ  aus  über- 
setzten Ritter-  und  geistlichen  Romanen ,  zum  Theil  aus  Nach- 
ahmungen deutscher  Meistersänger ,  voll  Moral  und  Allegorie; 
endlich  aus  geistlichen  Liedern.  Der  bekannteste  Dichter  dieser 
Zeit  ist  Hynek  Podäbrad,  der  dritte  Sohn  des  Königs  Georg 
(1452 — 92),  ein  talentvolle  Mann,  aber  politisch  charakt«r- 
los,  dem  ein  langes  Gedicht  „Der  Maitraum"  („Mäjovy  sen") 
und  eine    Reihe    anderer  sentimental  -  allegorischer  Stücke  an- 


'  Siehe  Hanka,  Btorob.  Sklädani;  über  die  Nachbeaterungen  Hanka'a 
ia„Hnjov^  Ben"  8.  HanuS,  Die geßlaoliten  Gedichte;  NebeBky  im  Öasopis, 
1848;  Mich  ftaflopiB  1872;  Rukovff,  II,  127-129. 

Prwn,  BUTlnh«  UMrMaran.    II,  3.  |0 

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146  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  6eohen. 

Die  geistliche  Poesie  entwickelte  sich  besonclers  in  dieser  Pe- 
riode der  religiösen  Begeisterung,  und  meist  gehörten  auch  die 
bessern  Lieder  den  Böhmischen  Brüdern  an.  Die  bekanntesten 
Namen  waren  hier  der  schon  oben  erwähnte  Brnder  Lnkae,  Jo- 
hann laboFsky,  Johann  Augusta,  Johann  Blaboslav,  Martin 
Michalec  Ton  Leitmeritz  (1484— 1547),  Adam  Sturm  (1530— 65). 
Johann  Augusta  (1500 — 1572),  Bischof  der  Brüdergemeine 
und  eine  ihrer  bedeutendsten  Persönlichkeiten,  schrieb  viel  über 
ihre  religiösen  Fragen,  war  ein  feuriger  Prediger  und  geist- 
licher Dichter;  seine  Gedichte,  mehr  didaktisch  als  lyrisch,  sind 
zum  Theil  im  GefängniBS  geschrieben,  worin  er  volle  fünfzehn 
Jahre  zubrachte.'  Georg  Strejc  oder  Strejöek  (Vettems,  gest. 
1599)  ist  als  Uebersetzer  der  Psalmen  in  der  Brüder-Bibel 
bekannt.  Von  Nichthrüdern  ist  durch  geistliche  Lieder  Martin 
Zämrsk]?  (oder  Philadelphus,  1550 — 92)  bekannt,  ein  evan- 
gelischer Geistlicher,  Anhänger  des  lutherischen  ProtestanUs- 
mus  u.  s.  w.  Ausser  gereimten  Liedern  erscheinen  in  Naob- 
ahmnng  classischer  Muster  metrische  Gedichte;  dahin  gehören 
die  Auslegungen  der  Psalmen  von  Matthäus  Beneäovsk^  (Philo- 
nomus, geb.  um  1550,  gest  nach  1590)^  nnd  Laurentiua  Bene- 
dict! aus  NudoÜer  (geb.  um  1555,  gest  1615).  Slovak  von 
Geburt,  war  Lanrentius  Baccalaureus  der  prager  Universi^ 
Rector  einer  Schule,  dann  Magister  und  Professor,  der  über 
Mathematik  und  classische  Literatur  las,  Verfasser  einer  guten 
6echischen  Grammatik  (Prag  1603)  und  einer  Prosodie. 

Von  weltlichen  Dichtern  auf  der  Grenzscheide  des  15. — 16. 
Jahrhunderts  mögen  zwei  vermerkt  werden.  Nikolaus  Da6icky 
von  Heslov  (1555 — 1626),  ein  öechischer  Adeliger,  hinterliess 
erstens  historische  Memoiren,  wo  er  alte  Chroniken,  Familien- 
traditionen  benutzte ,  und  fUr  die  Jahre  1575  — 1626  süne 
eigenen  Erinnerungen  erzählt,  und  zweitens,  ein  Gedichtbuch 
„Prostopravda",  1620  —  eine  Sammlung  von  Liedern,  Beleh- 
rungen,  satirischen  Anklagen,  die  zuweilen   interessante  Züge 


'  Seioe  Biographie  hat,  wie  wir  weiter  unt^n  sehen  werden,  seiD  Zeh- 
genoaee  und  Gegner  Blahoalav  geschrieben,  d.  a.  RukovSt,  I,  24 — 3€. 

*  Ihm  gehört  anch  eine  Eecbische  Grammatik  an,  herausgegeben  tn 
Prag  1571,  und  ein  „Büchlein  ausgelegter  Eechiacher  Worte,  woher  <ie  stmm- 
mea  und  was  ihr  Sinn  ist"  („Knizka  «lov  Eeakyoh  vyloiSenjch  et«."  Prag 
1587). 


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„Das  goldene  Zeitalter."  147 

der  Zeitcaltur  liefern,  aber  in  der  Form  unbedeutend  und  bis- 
weilen ziemlich  roh  flind.*  Aber  der  bekaunteste  und  frucht- 
barste Dichter  dieser  Zeit  war  Simon  Lomnicky  von  BndeC 
(geb.  1552,  gest.  nach  1622;  sein  Familienname  war  Zebräk, 
den  er  in  Ptochaeus  gracisirte,  wie  er  sich  auch  zuweilen 
schrieb).  Den  höhern  Unterricht  empfing  Lomnicky  in  einer 
Jesnitenschule;  von  Jugend  an  wusste  er  Protectoren  zu  fin- 
den, deren  hauptsächlichster  der  angesehene  Wilhelm  von  Rosen- 
berg war:  dessen  Gunst  erlangte  er  durch  die  Widmung  der 
„Lieder  auf  die  Sonntagsevangelien"  (Prag  1580).  Als  fröh- 
licher Gesellschafter,  dienstfertiger  Versemacher,  hatte  er  viele 
Freunde  im  böhmischen  Adel  und  genoss  die  Gunst  des  Kaisers 
Rudolf.  Im  Jahre  1618,  am  Vorabend  der  stürmischen  Ereig- 
nisse, liess  er  sich  in  Prag  nieder  und  mischte  sich  in  die  po- 
litischen Händel,  im  Dienste  der  aufständischen  utraquistischen 
Stände,  indem  er  in  Versen  Friedrich  von  der  Pfalz  pries  und 
die  „Verräther"  (Slavata,  Martinic  u.  s.  w.)  verurtheilte.  Kaum 
hatten  sich  aber  die  Verhältnisse  nach  der  Schlacht  am  Weissen 
Berge  geändert,  so  „hing  er  den  Mantel  nach  dem  neuen  Winde", 
rühmte  diejenigen,  welche  er  am  Tage  vorher  Verräther  genannt 
hatte,  und  beschuldigte  die  Freunde  von  gestern,  welche  man 
jetzt  der  Strafe  überlieferte.  Hieraus  kann  man  auf  seinen  politi- 
schen und  sittlichen  Charakter  schliessen,  und  danach  auch  auf  den 
poetischen.  Seine  zahlreichen  Werke  sind  nicht  Poesie,  sondern 
Versmacherei.  Er  schrieb  sehr  verschiedenartige  Sachen:  geist- 
liche Lieder,  didaktische  und  satirische  Gedichte,  Verse  auf  ver- 
schiedene Gelegenheiten.  Für  sein  Hauptwerk  gilt:  „Kurze  An- 
leitung für  einen  jungen  Hanswirth"  („Krätke  nau^eni  mlademu 
hospodäfi"),  ein  didaktisches  Gedicht  mit  Zügen  der  damaligen 
Sitten;  „Der  Pfeil  des  Cupido"  („Kupidova  stfela"),  „Die  Hofiart 
des  Lebens"  („P^cha  älvota"),  „Ein  goldenes  Säckchen  gegen  die 
Sünde  des  Geizes"  („Tobolka  zlatä  proti  hri'chu  lakomstvi"),  „Der 
Streit  oder  Process  zwischen  dem  Priester  und  dem  Edelmann" 
(„Hädani  neb  rozepte  mezi  kneiem  i  zemanem")  u.  s.  w. 

Die  geistliche  Poesie  der  oben  erwähnten  Schriftsteller  der 
Brüderunität  wurde  in  besondem  Werken  gesammelt,  die  in  der 


'  AuBZDge  aue  den  hiBtorwchen  Schriften  DaEJuky's  im  CaaopJB,  1827—29; 
Scriptores  rerum  bohem.  II,  448—489.  Separatausgabe  seiner  „Memoiren" 
(Prag  1879);  Stellen  aui  „Proatopravda"  im  Öasopis  1854. 


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148  l''ünf(«B  Kapitel.    I.   Die  Rechen. 

BrüdergemeiBe  zuBammengestellt  wurden  zar  Erbauung  der  Brü- 
der und  zum  Gebrauch  beim  Gottesdienste.  Dies  hatten  die 
Vorsteher  und  Aeltesten  zu  besorgen;  sie  wählten  die  besten 
Lieder  aus  uad  stellten  aus  ihnen  die  sogenannten  Cancionale 
zusammen.  Die  Melodie  zu  den  Liedern  wurde  alten  volksthüm- 
lichen  Motiven  entnommen  oder  yon  den  Brüdern  neu  componirt. 
Jede  einzelne  Gemeinde  hatte  ihr  Cancional.  Andere  kirchliche 
Gemeinschaften  legten  ebenfalls  solche  Sammlungen,  fiechische 
und  lateinische,  an.  Die  Cancionale  waren  ein  Gegenstand  des 
Luxus  in  der  Brüder  -  Kirche  und  haben  ihren  nicht  geringen 
historischen  Werth:  ausser  dem  poetischen  Inhalt,  welcher  die 
Kirchen-  und  Sittenlehre  der  Brüder  überliefert,  sind  sie  in 
musikalischer  Beziehung  interessant  durch  ihre  Motive  und  in 
künstlerischer  durch  ihre  Initialen.  Das  erste  brüdergemein- 
liche  Cancional  „Lieder  zum  Lobe  Gottes"  („FisnS  cbval  boiich") 
ist  1505  gedruckt,  wahrscheinlich  in  Juog-Bunzlau,  wo  schon  in 
Jahre  löOO  die  erste  brüdei^emeinliche  Buchdruckerei  war.  Die 
besten  Cancionale  erschienen  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts. Die  Gemeine  wuchs,  es  machten  sich  grössere  Can- 
cionale nothwendig  und  die  neue  Ausgabe  wurde  Ad.  Sturm, 
Johann  Öerny  und  Johann  Blahoslav  übei-tragen;  da  aber  nach 
1Ö47  die  Gemeine  in  Böhmen  verfolgt  wurde,  so  musste  diese 
Ausgabe  im  Auslände  veranstaltet  werden.  Die  Vorsteher  wen- 
deten sich  nach  Polen,  und  dort  wurde  auf  dem  Gute  des  den 
Brüdern  wohlgewogenen  Grafen  von  Görka  zu  Samtern  (nördlich 
von  Posen)  1061  das  seinerzeit  berühmte  Cancional  von  Samtem 
herausgegeben.  Unter  Maximilian  II.,  als  die  Brüder  wieder 
grössere  Freiheit  in  Böhmen  erhielten,  gaben  sie  ein  noch  um- 
fangreicheres Cancional  1576  zu  Eibenschitz  heraus,  wo  von 
ihnen  1562  eine  Bucbdmckerei  errichtet  worden  war,  die  man 
1578  nach  Kralitz,  einer  Besitzung  des  berühmten  Herrn  Karl 
von  ^erotin,  übertrug.  Das  Cancional  von  Eibenschitz  dürfte  «ol 
für  das  beste  £echische  Bach  in  Bezug  auf  typographische  Aus- 
stattung und  Gravirung  gelten. 

Oben  wurde  der  Beginn  des  iechischen  Theaters  en^hnt. 
Im  16.  — 17.  Jahrhundert  entwickelte  es  sich  in  derselben  Rich- 
tung weiter,  enthielt  also  kirchliche  Mysterien,  Stücke  aus  der 
heiligen  Geschichte  und  Stücke  aus  dem  Volksleben.  Dieses 
Theater  war  eine  Specialitüt  der  Schüler  und  Studenten,  denen 
sich  auch  frühere,  als  Lehrer  beschäftigte  Studenten  anschlössen. 

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„Das  goldene  Zeitalter."  149 

Die  Stücke  wurden  gewölmlich  an  der  Universität  bei  Beginn 
des  Lehrjahres  aufgeführt.  Die  UniTersitätebehörden  führten 
dramatische  VorstelluDgen  ein,  um  die  rohen  Belustigungen  bei 
der  neuen  Aufnahme  der  Schüler,  das  ezamen  patientiae,  zu 
ersetzen  oder  zu  mildem:  es  wurden  lateinische,  aber  auch 
Sechische  Stücke  ans  der  heiligen  Geschichte,  theilweise  auch 
aas  der  classischen  Literatur  oder  der  böhmischen  Geschiebte 
aufgeführt.  Eine  zweite  Gelegenheit  war  der  Cameval,  wo  sich 
die  Studenten  in  die  Frovinzialstädte  begaben  und  von  den 
Zuschauern  Geschenke  für  ihre  Vorstellungen  empfingen.  Noch 
mehr  im  Schwünge  war  das  Theater  im  Jesuitencollegium  (von 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  an),  wo  es  eine  Menge 
Zuschauer  anlockte.  Die  Stücke  wurden  auch  in  den  Private 
häusern  der  Magnaten  bei  feierlichen  Gelegenheiten  aufgeführt 
u.  B.  w.  Aus  der  Reihe  der  dramatischen  Schriftsteller  mögen  ge- 
nannt sein:  der  schon  früher  erwähnte  Nikolaus  Eon4£;  Niko« 
laus  Vräna;  Johann  Aquila;  Johann  Campanus  von  Vod^n 
(Drama:  „Bretislav  und  Judita");  Paul  Kyrmezer  von  Schem- 
nitz;  Georg  Tesäk  Moiovsk^  (von  Geburt  Slovak,  utraquistischer 
Priester,  ein  origineller  Schriftsteller  über  kirchliche  Gegenstände 
und  Epigrammatiker,  gest.  1617),  Simon  Lomnickj  ii.  h.  Es  gab 
Stücke,  die  von  studentischen  Vereinigungen  gemeinsam  geschrie- 
ben waren.  Dass  das  Theater  sehr  populär  war,  lässt  sich  aus 
den  noch  vorhandenen  Nachrichten  über  seinen  Erfolg  im  Pu- 
blikum Bchliessen,  und  aus  den  gedruckten  Ausgaben  von  Stücken, 
die  übrigens  jetzt  eine  grosse  Seltenheit  bilden.^ 

Im  sogenannten  goldenen  Zeitalter  mehi-t  sich  die  literarische 
und  wissenschaftliche  Bildung  merklich:  es  erscheinen  in  den 
verschiedenen  Zweigen  der  Wissenschaft  mehr  oder  weniger  wich- 
tige und  selbständige  Arbeiten;  in  Böhmen  lebten  Gelehrte  ersten 
Ranges  jener  Zeit,  wie  Kepler,  Tycho  de  Brahe;  es  treten  ein- 
heimische Gelehrte  —  Humanisten,  Grammatiker,  Mathematiker, 
Astronomen  oder  Astrologen,  Botaniker  u.  s.  w.  auf.  Der  Bo- 
taniker, Mediciner  und  Theolog  Zaluiansk^  (Mathiades  Hra- 
distenns  Adam,  gest.  1613)  ist  nach  einer  Aeussemng  der  Denk- 
schriften der  prager  Universität  „ein  Philosoph,  dessen  gleichen 


■  Einige  dieser  Stücke  in  der  Aasgabe  von  J.  JireGek,  „Staroteake 
diviidelDi  hry"  (I.  Prag  1878;  Famitky  aihti  liter.  haki,  heransgeg.  von 
der  Eech.  Matica,  III.). 


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150  Fünftes  Kapitel.    1.  Die  Öechen. 

sein  Zeitalter  und  sein  Volk  nicht  beeass",  —  er  boU  um  zwei 
Jahrhunderte  der  Theorie  Linne'a  zuvorgekommeQ  sein.  Es  er- 
schienen viele  Uebersetzuugeu  aus  andern  Sprachen. 

Die  Geschichtsknnde  hatte  auch  viele  Vertreter,  obgleich  deren 
literarische  Bedeutung  nicht  hoch  ist.  Bartholomäus  Pisar 
(oder  Bartolomej  od  sv.  Jilji,  gest.  1535),  prager  Bürger,  dem 
Charakter  der  Zeit  nach  religiösen  Fragen  ergeben,  beschrieb  ein- 
gehend den  Streit,  der  zwischen  den  CaUxtinem  und  der  damals 
aufgetauchten  lutherischen  Partei  geführt  wurde,  wobei  er  sidi 
zu  der  letztem  hielt.  In  seiner  Erzählung  reflectiren  sich  zu- 
weilen malerisch  die  Personen  und  Ereignisse  seiner  Zeit.  ^  Sixtus 
von  Ottersdorf  (gest.  1583),  der  in  Prag  und  auf  ausländischen 
Schulen  studirt  hatte,  zur  Partei  der  protestantischen  Stände 
gegen  die  Partei  des  Königs  gehörte,  hinterliess  ausser  andern 
Arbeiten  „Acten  oder  Gedenkbücher  der  Geschichte  der  beiden 
unruhigen  Jahre  1546  und  1547"  („Acta  aneb  kniby  pamätne 
etc.").  Die  Ausführung  des  Baches  ist  nicht  gleichmässig;  einige 
Theile  sind  ausgearbeitet,  andere  bieten  nur  rohes  Material,  — 
aber  es  finden  sich  darin  sehr  lebendige  Darstellungen  der  Zeit 
Wie  er  die  Literatursprache  beherrschte,  bezeugt  eine  Aeusse- 
rung  Blahoslav'B,  welcher  Sixtus  von  allen  damaligen  prager 
Doctoren  und  Magistern  den  „besten  Öechen",  d.  i.  besten  Ken- 
ner der  Sprache  nennt.'  Einer  der  bekanntesten  Namen  der 
damaligen  Literatur  ist  Wenzel  Hajek  von  Libo£an  (gest.  15Ö3). 
Dem  Namen  nach  zu  schliessen  war  er  ein  Adeliger;  erzogen  im 
Utraqnismus,  ging  er  später  zum  Katholicismns  über,  weshalb 
man  ihnApostata  nannte,  und  bekleidete  verschiedene  geistliche 
Würden.  Wie  ee  scheint,  war  Häjek  als  ein  Mann  von  Kennt- 
nissen bekannt;  wenigstens  forderten  ihn  einige  (Sechische  kaüio- 
lische  Herren  auf,  eine  Chronik  zu  ver&issen,  durch  welche  er 
seinen  Ruf  als  Historiker  erlangte.  Sie  ist  von  den  ältesten 
Zeiten  der  böhmischen  Geschichte  bis  zum  Jahre  1527  geführt 


1  „Kronika  prazskä  o  pozdvüeuf  jednSch  proti  drah^"  (lCi21— 1690k, 
herausgegeben  von  Erben  (Prag  1851).  Kine  lateinüohe  Uebersetnuig  der 
Chronik:  Bartholomaeus  von  St.  Äegidius'  Chronik  von  Prag  in  der  Refor- 
mationszeit,  Chronica  de  aeditione  et  tumoltu  pregenei  1524,  herausgegeben 
von  Höfler  (Pi-ag  1859). 

*  Ueber  ihn  im  Cuopis  1861.  Stellen  ans  seiner  Gesobiohte  im  \j- 
bor,  a 


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Wenzel  H^ek  vou  LiboEan.  161 

Zu  ilirer  Abfassung  waren  ibm  reicbliche  officielle  Documentc, 
Abschriften  ans  den  „Landtafeln"  u.  s.  w.  überlassen.  Das  Bucb 
wurde  1539  volleudot  und  1541  berausgegeben.  Mit  grossem  Bei- 
&11  anfgeDOmmeD,  genoas  die  Cbronik  H4jek's  lange  eine  grosse 
Autorität  bei  den  (echiscben  Scbriftstellem  und  spätem  Histo- 
rikern and  war  besonders  in  der  Periode  des  Verfalls  eins  der 
beliebten  Bücher,  die  sich  ans  alter  Zeit  erhalten  hatten,  um 
so  mehr,  als  sie  wegen  ihres  katholischen  Standpunktes  keine 
Opposition  hervorrief,  und  sich  der  Einfachheit  der  Sprache 
nach  zu  einem  Volksbuch  eignete.^  Aber  schon  einige  Zeitge- 
nossen fingen  an  zu  bemerken,  dass  sich  in  dem  Werke  Häjek's 
ein  Quantum  Fabelei  finde;  neuere  Kritiker,  Ton  Dobuer  an, 
überzeugten  sich  davon  definitiv,  und  Falack^  fand  nicht  Worte 
genug  zur  Klage  über  die  „anerhörte  Schamlosigkeit"  der  Erfindun- 
gen, welche  von  Häjek  in  die  böhmische  Geschichte  aus  eigener 
Phantasie  and  aus  Büchern,  die  nie  existirt  hätten,  hinein- 
getragen seien.^  Wir  nennen  noch  den  Chronisten  Martin  Ku- 
then  von  Springsberg  (gest.  1564).  Prager  Baccalaareus ,  be- 
reiste er  als  Lehrer  in  adeligen  Familien  mit  seinen  Zöglingen 
Italien,  Frankreich  und  Deutschland ,  war  ein  guter  Lateiner, 
schrieb  viele  lateinische  Verse,  Panegyriken  und  Epigramme, 
und  endlich  eine  „Chronik"  von  calixtiniscbem  Standpunkte  ans.^ 
Bohuelav  Bilejovsk^  (geb.  um  1480,  gest.  1555)  schrieb  vom 
Standpunkte  der  gemäsBigten  Calixtiner  eine  böhmische  Kirchen- 
geschichte (herausgegeben  Närnbei^  1537,  und  Frag  1816). 

In  der  GeschichtschreibnDg  trat  auch  die  Brüdergemeine  thätig 
auf.  Sie  begann  schon  früh  die  wichtigsten  Documente  zu  sam- 
meln, die  von  ihr  und  andern  kirchlichen  Parteien   ausgingen; 


'  Eine  zweite  Ausgabe  veranataltetc  Ferd.  Sohönfeld  (Prag  1819). 
EiDc  dentache  üebersetzung  von  Sandel,  Prag  1606,  Nürnberg  1697, 
Leiptig  1718.  Eine  lateinische  üeberaelznng,  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhniiderts ,  von  dem  Piaristen  Viktoriu  a  St.  Cruce,  gab  Dobner 
1762—83  in  sechs  Theilen  heraus. 

'  Vgl.  Würdigung,  S.  273—292;  Dijiny  1,  1.  Bd.,  S.  31 
'  „Kronika  o  zaloieni  zemS  i^eeke  a  prvnich  obyvatelich,  iuiil  knila- 
tecb  a  krälieh  a.  a.  w."  (Prag  1539;  2.  Ausg.,  von  Velbslavm  veranstaltet, 
1685;  3.  Augg.  von  Kramerius,  1817).  Ohen  wurde  erwähnt,  dasa  ihm  noch 
die  „Chronik  von  2izka"  zugeeohrieben  wurde;  aber  Jar  Goll  setzt  die 
selbe  schon  ins  15.  Jahrhundert. 


152  Füaftea  Kapito).    L  Die  (Wken. 

Bie  wollte  einerseits  die  Erinberangeii  an  ihren  eigeneti  Ursprung 
and  die  eigene  Geschichte  bewahren,  andererseits  die  nötbigen 
Materialieo  zur  Vertheidigung  zur  Hand  haben.  Dadurch  kam 
ein  ziemlich  reiches  Archiv  zusammen,  dem  ein  vod  den  Brüdern 
besonders  ernannter  „Schreiber"  TOrstond,  der  sich  durch 
Kenntnisse  und  Talent  auszeichnete.  Hieraas  entwickelte  sich 
die  historische  Schule  der  Brüderschaft,  welche  ihre  bedeutendeo 
Vertreter  hatte. 

Der  bedeutendste  von  ihnen  War  Johann  Blahoslav  (1523— 
157 1 ;  seinen  Namen  hatte  er  aus  dem  Familiennamen  BlaJek 
umgeformt).  Nachdem  er  zu  Hause  eine  soi^fältige  Erziehung 
empfangen,  setzte  er  seine  Studien  an  hohem  Schuleu  fort, 
unter  anderm  brachte  er  ein  Jahr  an  der  Universität  Witten- 
berg zu.  Früh  trat  er  in  die  Brüdergemeine  ein,  die  ihn  nach 
Basel  sandte,  wo  er  von  den  dortigen  Gelehrten,  beBonders 
Sigmund  Hruby,  freundlich  aufgenommen  wurde.  Nach  Hause 
zurückgekehrt,  war  er  Lehrer  an  der  Schule  der  Brüdemnität 
und  wurde  1552  zum  Gehälfen  des  Bruders  Cerny  bestimmt, 
welcher  das  Archiv  der  Gemeine  leitete;  bald  danach  ward 
er  Geistlicher.  Im  Archiv  beschäftigt,  erforschte  Blaboslai 
besser  als  irgendjemand  das  frühere  Schicksal  der  Brüder- 
gemeine, and  schrieb  eine  Geschichte  derselben  bis  zum 
Jahre  1554. 

Die  Arbeit,  der  er  sich  mit  Liebe  hingab,  wurde  dadurch 
unterbrochen,  dass  ihm  die  Aeltesten  wichtige  Geschäfte  in 
Angelegenheiten  der  Brüdemnität  übertrugen,  anCangs  am  Hofe 
zu  Wien  und  dann  in  Magdeburg,  wo  er  mit  dem  Gegner  Me- 
lanchthon's,  Flacius  Illjricus,  Verhandlungen  führte,  der  damals 
eine  gewichtige  Summe  in  den  Angelegenheiten  des  Protestan- 
tismus hatte.  Blahoslav  vertheidigte  in  dem  Streite  mit  ihn 
die  Grundlagen  der  Lehre  der  Brüdemnität  and  schrieb  dann 
seine  Vertheidigung  lateinisch.'  Im  Jahre  löö7  wurde  er  bei 
der  allgemeineQ  Versammlnng  der  Aeltesten  aas  Böhmen, 
Mähren,  Polen  und  Preussen  in  den  hoben  Rath  and  zum 
Bischof  gewählt.  Als  er  sich  darauf  in  Eibenschitz  nieder- 
gelassen, arbeitete  er  im  Verein  mit  den  Brüdern  Öem^  nod 
A.   Sturm    an    der    Redaction    des    brüderschaftlichen    Cancio- 

'  SummuU  qoaedam  brevisBime  collecta  ex  vftriü  soriptia  Frfttnun,  qni 
(al»u  WaldenBea  seu  Fiuardj  vooantur,  de  eorum  Fratram  origine  et  utb. 

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Jahaan  BlalioBl&v.  153 

nab,  velcheB,  wie  obeo  bemerkt,  1561  zu  Saiutern  erscbien. 
BUhoelav  gehört  der  gröEste  Theil  der  Arbeit  an,  und  es  siod 
darin  gegen  &nfzig  Lieder  7on  ihm  veriasst.  Er  bereitete 
eine  Änegabe  des  Brüder-BekenntnisBeB  in  kroatischer  Sprache 
Tor,  übersetzte  das  Nene  Testament  aufe  neue  aus  dem 
Urtext  (herausgegeben  lä(35).  Da  die  Gemeine  Verfolgungen 
lu  erdulden  hatte,  so  wurde  zu  Eibenscbitz  1Ö62  eine  geheime 
Buchdruckerei  errichtet  (ihre  Drucke  wurden  bezeichnet  mit  „ex 
horto"  oder  „ex  insula  hortensi").  Im  Jahre  1564  fanden  zwei 
wichtige  Ereignisbe  statt:  der  Regierungsantritt  des  Kaisers  Ma- 
ximilian, mit  dem  für  die  Gemeine  ruhigere  Zeiten  anbrachen, 
und  die  Befreiung  Johann  Augueta's.  Mit  dem  letztern  hatte 
Blahoslat  viel  zu  kämpfen,  weil  Äugusta  nach  einer  Vereini- 
gung der  Brüder  mit  den  Lutheranern  btrebte,  und  Blatioslav 
mit  allen  Kräften  die  Beintieit  der  Brüdergemeine  vertheidigte. 
Am  meisten  erbitterte  ihn  der  Umstand,  dass  Augusta  die  ein- 
fältigem Mitglieder  der  Gemeine  auf  seine  Seite  zu  ziehen 
suchte  und  gegen  Gelehrsamkeit  und  Wissenschaft  auftrat,  in- 
dem er  sich  auf  die  Worte  des  Bruders  Lukas  berief.  Blahoslav 
trat  mit  einer  feurigen  Zurückweisung  der  Feinde  der  Bildung 
auf  —  sie  gilt  für  eins  der  bedeutendsten  Werke  der  cecbi- 
sckeu  Beredsamkeit  (abgedruckt  im  „Oasopis",  1861)-  Er  be- 
mühte sich  sehr  um  die  Vervollkommnung  der  cechischen 
Sprache,  die  er  vorzüglich  beherrschte,  und  sein  letztes  Werk 
war  eine  bemerkenswerthe  cechische  Grammatik. 

Endlich  wurde  nach  der  Idee  Blaboslav's  eine  neue  Ueber- 
setzoug  der  Bibel  aus  dem  Hebräischen  und  Griechischen  ge- 
macht; es  ist  dies  das  berühmteste  Werk  der  ganzen  Brüder- 
literatur, die  sogenannte  Eralicer  Bibel,  herausgegeben  auf 
Kosten  des  mährischen  Magnaten  Johann  von  Zerotio,  eines 
grossen  Anhängers  der  Brüdergemeine,  zu  Kralitz  1579 — IbO'ö, 
in  sechs  Bänden  (weshalb  sie  die  sechshändige  —  scstidilnä  — 
genannt  wird;  2.  Aufl.  1596;  3.  Ausg.  fol.  1613).  Diese  Ueber- 
Eetzung  gilt  noch  heute  für  das  höchste  Muster  der  ^echiscben 
Sprache.  Blaboslar  erlebte  die  Ausgabe  nicht;  doch  gelangte 
in  die  Kralicer  Bibel  seine  oben  erwähnte  Uebersetzung  des 
Neuen  Testaments. 

Blahoslav  war  einer  der  kräftigsten  Vertreter  der  Gemeine,  und 
neuere  Historiker  erkennen  an,  dass  es  damals  in  Böhmen  und 
Mähren  niemand  gab,   der  ihm  an  Gelehrsamkeit  gleichgekom- 

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154  Fünftea  Kapital    L  Die  (^cheo. 

men  wäre.  Abweichend  Ton  dem  Beiepiel  anderer  „Brüder"  war 
er  besorgt,  dsss  die  jungen  Leute  der  Brildemnität  eine  höhere 
Bildung  empfingen,  und  sandte  die  befähigtem  nach  Wittenberg 
und  Tübingen.  Merkwürdig  ist  ee,  dass  Blahoslav  bei  seiner 
Gelehrsamkeit  und  seinem  Eifer  für  die  Sache  der  Gemeine 
und  obgleich  er  an  ihrer  Spitze  stand,  doch  theologische  Streitig- 
keiten mied:  nach  seinen  Worten  „mochte  er  nicht  so  schreiben, 
wie  er  konnte,  und  wie  er  wollte,  konnte  er  nicht". 

Deber  BlahosUv  und  seine  Werke,  auch  AnszQge  daraus,  siehe  „Cs- 
sopis",  1866,  1861,  1862,  1878,  1876,  1877;  das  Journal  „OsreU" 
1873;  die  Arbeiten  Gindely'ai  „RnkoTgt"  I,  74—84. 

Im  Archiv  der  Brüdergemeine  (aufbewahrt  su  Herrohnt)  bildra 
die  ersten  Folianten,  ausser  ganz  am  Anfang,  die  Arbeit  Blahoslav's. 
Die  Geschicfate  der  Brüdemnität  besteht  aus  zwei  Theilen,  welche 
die  Jahre  1457 — 1541  und  1546 — 54  umfassen.  „Zivot  Jana  An- 
güsty"  („Bas  Leben  des  Johann  Augnsta")  ward  von  F.  Snmavsky 
herausgegeben  (Prag  1838).  8.  1 — 66  gehört  Blahoslav  an;  d» 
übrige  hat  wahracheinUch  der  Bruder  Jakob  BUek  geschrieben,  ein  An- 
hänger Augusta's  und  Genosse  seiner  Leiden,  Zur  Zeit  der  Heraos- 
gabe  des  Cancionals  legte  Blahoslav  seine  Ideen  über  den  Gesang  dar 
in  „Muaica,  d.  i.  ein  Büchlein  Auskünfte,  welche  Sänger  angehen,  ent- 
haltend" („Muaica,  to  jest,  knizka  sp^väköm  n&leÜte  spHivy  r  sobe 
savirajici",  Olmtttz  1658;  2.  verm.  Aufl.  Eibenschitz  1569).  Die  ce- 
chische  Grammatik  von  Blahoslav  gaben  J.  Hradil  und  J.  Jirecek 
heraus  (Wien  1857)-  An  der  Uebersetznng  der  Kralicer  Bibel  nahmen 
ausser  Blahoslav  noch  folgende  Brüder  theiL:  Andreas  Stephan,  Jesaias 
Cibulka,  Nikolaus  Albrecht  von  Kamenko,  Georg  Strejc,  Johann  Capit« 
(Hlaväc),  Paul  Jesen,  Johann  EB'reim,  Lukas  Helle,  und  an  der  weitem 
Durchsicht  Samuel  Susick^  und  Adam  Felin.  In  hoher  WertbscbUnmg 
der  Uebersetsung  atimiuten  Veleslavin  und  der  Jesuit  Steyer  flberein. 
l!4n  umfangreicher  Artikel  von  Jos.  Smaha:  „Die  Kralicer  Bibel,  ihr 
Einfluss  und  ihre  ^Bedeutung  in  der  cechischen  Literatur"  („Krilicks 
bibli  etc."),  im  „Casopis"  1878;  über  ihren  Einfluss  auf  die  spatem 
cechischen  Bibelübersetzungen,  ebend.  1879. 

Zu  der  historischen  Schule  der  Brüderunitat  gehört  ferner 
der  Bruder  Jaffet  (gest.  1614),  der  ausser  andern  Werken  eine 
„Geschichte  vom  Ursprung  der  Brüderunität  und  ihrer  Tren- 
nung von  der  bestehenden  Kirche"  (Historie  o  pilvodu  Jeduotj 
bratrske  etc.")  ,  zu  ihrer  Vertheidigung  geschrieben,  hinterliess. ' 

1  Jiretek,  „Rukov£t",  1,  302—303.  Eine  Stelle  aus  dieser  Qeicbichte 
im  „SvStozor",  1871.  —  AU  1621  das  Kloster,  wo  Jaffet  begraben  war,  den 
Minoriten  zurückgegeben  wurde,  Hess  der  Prior  desKlben  die  Gebeine 
Jaffet's  imd  anderer  Brüder  ausgraben  und  verbrennen. 


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Karl  von  ^erolin.  155 

Aus  derselben  Schule  ging  Wenzel  Bf  ezan  (gest.  um  1619)  her- 
vor, dem  eine  (Jechische  Chronik  bis  zum  Jahre  1160,  gegen 
Häjek  gerichtet,  zugeschrieben  wird,  und  Arbeiten  über  die  Ge- 
schichte dee  Hauses  der  Rosenberge  und  Sternberge  angehören. 
Uebrigens  haben  seine  wegen  der  factischeu  und  chronologi- 
Bchen  Angaben  geschätzten  Arbeiten  keine  literarische  Bedeu- 
tung. 1 

Im  Zusammenhang  mit  der  Brüdergemeine  steht  der  Name 
des  berühmten  Karl  von  ^erotin  (1564 — 1636),  eines  reichen 
und  Tomehmen  mährischen  Herrn,  der  eine  wichtige  historische 
Rolle  in  den  letzten  Schicksalen  der  böhmisch-mährischen  Frei- 
beit  spielte,  obgleich  das  Resultat  seiner  Thätigkeit  bei  weitem 
nicht  seinen  patriotischen  Wünschen  entsprach.  Er  war  der  Sohn 
des  erwähnten  Johann  von  Zerotin,  der  auf  seiner  Besitzung 
Kralitz  der  Buchdmckerei  der  Brüderschaft  und  den  Uebersetzern 
der  Eralicer  Bibel  eine  Zuflucht  gewährte;  seine  Mutter  war 
ebenfalls  eine  eifrige  „Schwester".  Nachdem  er  die  Elementar- 
bildung in  dieser  Sphäre  empfangen,  erlangte  er  die  höhere  zu 
'  Strassburg,  Basel,  Genf,  wo  er  unter  anderm  mit  dem  berühmten 
Theodor  Beza  bekannt  wurde.  Darauf  reiste  er  noch  in  Deutsch- 
land, Holland  und  England,  lebte  lange  in  Frankreich,  wo  er  die 
erste  Eriegserfahrung  und  freundschaftliche  Verbindungen  ge- 
wann. Er  setzte  Hoffnungen  auf  den  Kampf  Heinrich's  IV.  gegen 
die  katholische  Partei,  und  verliess  einmal  sein  eben  begonnenes 
Familienleben,  um  in  Frankreich  an  diesem  Kampfe  theilzu- 
nehmen.  Aber  die  idealen  Hoffnungen  erfüllten  sich  nicht;  zu 
Hanse  trafen  ihn  schwere  Familienverluste,  und  er  zog  sich  auf 
eins  seiner  Güter  zurück.  Die  traurige  Lage  Mährens  rief  ihn 
endlich  zur  Thätigkeit  auf  —  als  man  ihn  tadelte,  „er  handle 
übel,  dass  er  die  Gaben  Gottes  in  sich  verkümmern  lasee".  Auf 
diesen  Vorwurf  antwortete  er  mit  der  „Apologie".  Seine  poli- 
tische Thätigkeit  gab  ihm  eine  hohe  moralische  Autorität;  aber 
in  der  Vertheidigung  der  Interessen  seiner  mährischen  Heimat 
und  der  religiösen  Freiheit  für  seine  nichtkatholischen  Landsleute 
ward  er  vor  eine  zu  schwere  Aufgabe  gestellt;  seine  verständigen 
Bathschläge  beseitigten  den  schrecklichen  Zusammenstoss  nicht, 


■  üeber  ihn  Fr.  MaroS,  im  Casopia  1878.  BFezan's  Biographie  WU- 
helms  von  Rosenberg  („Zivot  Vilema  i  Roämberka"),  herauagegeben  in 
Prag  1847. 


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156  Fünftem  Eapitel.    I.   Die  Ceches. 

dessen  Folgen  sich  auch  an  ihm  durch  seine  Verbaaimng  geltend 
machten.  Im  Jahre  1629  Hess  er  sich  in  Schlesien  nieder,  und 
hesehützte  auch  ferner  bis  aus  Eude  seines  Lebens  die  Brüder- 
gemeine ....  Ausser  der  enrähnten  „Apologie"  verfasste  er  die 
in  historischer  Beziehung  wichtigen  „Denkschriften  über  das 
Patrimoaialgericht"(„ZäpisOTe  0  soudu  pansköm"),  Berichte  über 
einige  mährische  Landtage,  und  endlich  hinterliess  er  eine 
umfangreiche  Correspondenz  yom  Jahre  1591 — 1636',  die  för 
die  Geschichte  jener  Zeit  überaus  wichtig  und  auch  durch  ibre 
literarischen  und  sprachlichen  Vorzüge  bemerkenswerth  ist. 

Das  Ende  des  goldenen  Zeitalters  trägt  bei  den  fechischen 
Historikern  den  Namen  des  Zeitalters  Veleslavin's,  nach  dem 
Namen  des  Schriftstellers,  der  an  der  Spitze  der  Literatur  der 
letzten  Decennien  des  16.  Jahrhunderts  stand.  Daniel  Adam 
von  Veleslavin  (oder  einfach  Veleslavin,  1545 — 99)  kann  als 
charakteristischer  Vertreter  dieser  Literaturperiode  dienen.  Im 
Jahre  1569  „Magister  der  freien  Künste"  geworden,  trug  er  auf 
der  prager  Universität  die  Geschichte  vor;  aber  von  1576  an, 
als  er  die  Tochter  des  bekannten  prager  Buchdruckers  Georg 
Melantrich  geheirathet,  beschäftigte  er  sich  ausschliesslich  mit 
der  Literatur  und  der  Herausgabe  von  Büchern.  Nach  dem  Tode 
Melantrich's  und  seines  Sohnes  blieb  er  der  alleinige  Besitzer  der 
Buchdruckerei.  Er  zeichnete  sich  durch  kein  besonderes  Talent, 
durch  keine  Originalität  der  Gedanken  aus,  war  aber  ein  auf- 
geklärter Mann  und  schätzte  die  literarische  Bildung  hoch,  deren 
Verbreitung  er  sich  auch  zum  Ziel  setzte.  Er  gab  Lehrbücher 
heraus,  schrieb  über  moralische  und  religiöse  Gegenstände,  über 
Geographie,  vor  allem  Geschichte,  übersetzte  vieles  (z.  ß.  die 
„Historia  Bohemica"  des  Aeneas  Sylvius,  —  dies  war  die  dritte 
Uebersetzung  dieses  Buches  nach  Johann  Houska  und  Nik.  Konäc; 
„Die  Chronik  von  Moskau"  des  Matth.  Hosins  u.  a.),  verbesserte 
und    verlegte  Bücher  und  Uebersetzuugen  anderer  SchriftstelleT 


>  Die  „Zapisove"  Bind  herauegegebeii  vod  V.  Braodl  (SBäe.  Braiu)1866); 
von  demselben  aauh  die  BescbreibuDgen  der  LandUge  and  die  „Briefe" 
(Ebend.  1870-72).  Ein  Stück  aus  dem  Tagebuche  Äerotin'a  bei  B.Dudik 
„Mähriaolie  Ceechichtaqu eilen",  S.  358—868  (Bränn  1850).  Ueber  ^erotin  •■ 
Peter  R.  v.  Chlumeukj,  „Carl  von  Zierotin  und  seine  Zeit"  {Brönn  186»; 
die  Abhandlungen  von  Fr.  Dvorskjf,  Pamätky,  1878,  und  Ant.  Rybitka'i 
im  „ÖMopis",  1873. 


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Adam  von  Veleslavfn.  X57 

(die  Chronik  Euthen'B ;  die  jüdische  Geschichte  des  Josephus;  die 
tärkiBche  Chronik  von  LÖwenklau),  schrieb  Vorreden  zu  Büchern, 
die  hei  ihm  gedruckt  wurden.  Sein  Hauptwerk  ist  der  „Histo- 
rische Kalender"  („Kalendär  historick^"),  herausgegeben  zu  Prag 
1578  und  lö90.  Die  Zeltgenossen  nannten  ihn  den  „Archi- 
typographen"  und  der  Ruhm  seiner  literarischen  Thätigkeit 
ging  auf  die  Nachwelt  über.*  Er  hielt  sich  von  Polemik  fem 
und  gehörte  heimlich  zur  Briidergemeine.  Zur  Bestimmung  sei- 
ner Uterarischen  Ansichten  sind  besonders  die  erwähnten  Vor- 
reden wichtig.  Nach  dem  Tode  Veleslavin's  schrieben  mehr  als 
dreissig  Dichter  Gedichte  zu  seinem  Andenken. 

Die  Zeit  wird  dadurch  charakterisirt,  dass  Veleslavin,  ob- 
gleich er  weder  eine  selbständige  Richtung  vertrat,  noch  neuen 
Stoff  brachte,  doch  der  bedeutendste  Schriftsteller  seiner  Zeit 
wurde.  Er  gab  der  ganzen  Periode  seinen  Namen,  weil  er  ein 
vorzüglicher  Stilist  war.  Sprache  und  Stil  Veleslavin's  und  seiner 
bessern  Zeitgenossen  gelten  noch  jetzt  für  musterhaft,  und 
noch  gegenwärtig  stellen  ihn  die  Puristen  als  Beispiel  einer  rei* 
nen  und  echten  fiechischen  Sprache  hin.' 

Von  den  historischen  Schriftstellern  jener  Zeit  sind  noch  zn 
erwähnen:  der  Professor  Prokop  LupäÖ  von  Hiavatev  (gest. 
1587),  der  erstlich  einen  lateinischen  historischen  Kalender  ver- 
fasste:  „Rerum  bohemicarum  epbemeris  seu  calendarium  histori- 
cnm"  (Prag  1584),  zweitens  eine  iechische  „Geschichte  Kaiser 
Karl's  IV."  („Historie  o  cisafi  Karlovi  IV",  Prag  1584;  neue 
Ausgabe  1948),  die,  wie  es  scheint,  das  Bruchstück  einer  um- 
fangreichen, aber  unvollendet  gebliebenen  historischen  Arbeit 
war;  Marcus  Bydiovsky  von  Florentin  (1540— IGlSi),  Magister 
und  Professor  der  Mathematik  und  Astronomie  zu  Prag ,  der  als 
Dekan  das  studentische  Theater  ermunterte,  wirkte  in  der  Li- 
teratur theils  als  lateinischer  Dichter,  hauptsächlich  aber  als 
Historiker,  und  beschrieb  die  Ereignisse  der  Zeit  Maximilian's  II. 
(„Zivot  cfsare  Maximiliäna",    Prag  1589)  und  RudolPs  II.     Der 


'Nacli  der  AeUBserang  des  bekannten  Jesuiten  Balbin:  „Quidqnid  doc- 
tom  et  eraditnm  Rndolpho  IL  imperante  in  Bobemia  luoem  adspexit,  Wele- 
■tawmnn)  vel  autorem  vel  interpretem  vel  adjutorem  vel  ad  extremum  ty- 
pogr^ham  habuiL" 

'Vgl.  die  Schrift  von  KoaJna:  „Hovory  Olympiike"  I.  Brüon,  s.  a. 
11879). 


.._...,  Gooj^lc 


158  Füuftes  Kapitel.    L  Die  Cechen. 

Pole  Bartholomäus  Paprocki  (1540 — 1614),  der  gleichmäsaig  der 
polnischen  und  öechischen  Literatur  angehört,  ist  in  beiden  haupt- 
sächlich durch  seine  genealogischen  und  histonBchen  Bücher, 
durch  eine  Geschichte  der  adeligen  und  ritterlichen  Familien, 
der  Städte  u.  s.  w,  bekannt.'  Georg  ZÄveta  von  Zävetic,  pra^er 
Baccalaureus,  ergriff  in  den  Streitigkeiten  zwischen  Rudolf  and 
Matthias  die  Partei  des  letztern,  genoBS  die  besondere  Gunst  des- 
selben nnd  war  sein  Hofhistoriograpfa ;  ausser  einigen  ofBciellen 
Werken  dieser  Art  schrieb  er  eine  „Hofschule"  („Schola  aulica", 
Prag  1607),  die  seinerzeit  sehr  geschätzt  war. 

Die  Verbreitung  der  Bildung  zeigte  sich  auch  in  einer  be- 
trächtlichen Anzahl  Ton  geographischen  Büchern  and  Reise- 
beschreibnngen.  Schon  im  15'  Jahrhundert  waren  einige  bemer- 
kenswerthe  Reisen  gemacht  und  beschrieben  worden  (die  tan 
Kabätnik  aus  Böhmen  nach  Jerusalem  und  Aegypten;  von  Leo 
von  Roimitäl  nach  Westeuropa,  von  Johann  von  Lobkovic  nach 
Jerusalem).  An  der  Scheide  des  16.  Jahrhunderts  sind  zu  crwah- 
nen  die  Reise  des  Wenzel  Vratislav  von  Mitrovic  (1576 — 1635), 
der  sich  als  funzebnjähriger  Bursche  mit  der  Gesandtschaft  Ru- 
dolfs II.  nach  Konstantin  Opel  begab,  wo  er  dann  infolge  des 
Bruches  zwischen  Oesterreicb  und  der  Türkei  sammt  der  Ge- 
sandtschaft ergriffen  wurde  und  drei  Jahre  in  einem  schreck- 
lichen türkischen  Gefängniss  zubrachte.  Als  er  endlich  nach 
Hause  zurückgekehrt  war,  beschrieb  er  seine  Abenteuer  in  einem 
interessanten  Bache.*  Christoph  Harant  (1564— 1621,  zu  Prag 
hingerichtet),  ein  Cecbischer  Adeliger  und  aufgeklärter  Mann, 
beschrieb   seine  Reise   nach    Venedig   und    ins  Heilige  Land.' 


'  „Zrcadlo  markhrabstvi  moravsk^ho"  („Spiegel  der  Harkgrafacb.  Hih- 
ren";  Olmütz  1693);  „Diadochna,  to  jeit  enkcesBi,  jinak  poaloupnost  knibt 
a  kraltiv  Geakyoh"  („Die  Reihenfolge  der  FürBten  and  Könige  von  BöbmeB", 
Prag  1603)  u.  s.  w.  Ueber  Paprocki  e.  „Öaaopie"  lä(i6.  Bei  der  Bearbeitang 
seiner  5e«hiBchen  Büober  hatte  er  anfaug»  Ceohen  zu  Hülfe,  aber  epäter 
war  er  Belbst  der  Sprache  mächtig. 

'  Die  „PHhody  V.  VratiBlava"  u.  a.  w,  nurden  1777  von  P  eliel  her«ni- 
gegehen,  dann  1807  von  Kramerius,  1856  von  Rozum.  Eine  deattch« 
Uebersetzang,  Leipzig  1786;  eine  englische  von  A.  R.  Wratielaw,  London 
1862;  eine  mssiache  von  K.  PobSdonoacev  (St.  Peterabnrg  1877). 

'„Ceata  z  kralovatvi  teak^ho  do  Benätek  a  odtud  de  3v.  Zeml"  („Bei*e 
ans  dem  Königreich  Böhmen  nach  Venedig  und  von  da  in)  Hflilige  Land", 
Prag  1608,  mit  Abbildungen  von  Harant  eelbat.  Neue  Aaagabe  von  K.  J. 
Erben,  18H. 


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„Dtu  goldene  Zeitalter."  159 

Friedrich  von  Donia  (gest.  vor  1617)  reiste  viel  in  Ungarn, 
Dentechland,  Italien  und  tiinterliess  eine  Beschreibung  seiner 
Beiseo.' 

Endlich  vermehrte  sich  die  belehrende  Literatur  auch  auf 
andern  Gebieten;  neben  der  kirchlicbeD  Polemik  und  Geschichte 
entwickelte  sich  die  Kentnies  der  classiBcheu  Literatur,  wurde 
das  Recht  studirt,  begann  die  Naturkunde  —  sowol  in  selbstän- 
digen Versuchen  als  in  einer  grossen  Menge  von  Uebersetzungen. 
Mit  der  Erweiterung  des  Umfangs  der  Literatur  bildete  sich  auch 
die  Literatursprache  immer  mehr  aus:  (echische  Schriftsteller  ver- 
standen vom  Ende  des  14.  Jahrhunderts  an  einen  volksthiimlichen 
Stil  zu  schreiben;  Huss  und  die  Schriftsteller  des  Hussitenthums 
fahren  in  dem  Wunsche,  auf  das  Volk  zu  wirken,  fort,  sich  einen 
volksthiimlichen  Charakter  der  Schriftsprache  angelegen  sein  zu 
lassen,  wie  in  der  Folge  auch  die  Schriftsteller  der  Briider- 
gemetne.  Der  Einlluss  des  Humanismus  gab  andererseits  einen 
Begriff  von  der  Eleganz  des  Stils. . . . 

Dieser  äussere  Reichthum  der  Literatur  und  die  Ausbildung 
der  Sprache  gaben  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  und 
dem  Vorabend  des  Unterganges  Böhmens  den  Ruhm  eines  „gol- 
denen Zeitalters";  —  wendet  man  sich  aber  an  den  Inhalt  dieser 
Literatur,  so  erweist  sich  diese  Benennung  als  wenig  statthaft. 
Die  Literatur  entsprach  den  Aufgaben  nicht,  welche  die  Zeit 
stellte,  —  wie  ihnen  auch  die  Gesellschaft  selbst  nicht  entsprach. 
Die  tiefen  Ideen,  welche  in  der  vorangehenden  Zeit  in  Angriff  ge- 
nommen waren,  wurden  entweder  verlassen  oder  nicht  weiter  ent- 
wickelt; im  Gegentheil,  die  Reaction  nahm  immermehr  überhand, 
der  Katholicismus  gewann  den  Sieg,  von  der  zweiten  Hälfte  des 
16*  Jahrhunderts  an  treten  in  Böhmen  die  Jesuiten  auf,  die  sich 
eifrig  an  die  Ketzeranklagen  machten  —  damals  als  von  der 
Brüdergemeine  einer  ihrer  würdigsten  Vertreter  sagte:  ecclesiaro 
nostram  ore  destitui,  und  wie  edel  auch  die  Bestrebungen  der 
Gemeine  zur  Gewinnung  des  wahren  Christenthums  waren,  so 
konnte,  ja  wollte  auch  die  Äscetik  ihrer  Lehre,  ihre  Passivität 
doch  die  Volksmassen  nicht  politisch  heben  und  bewaffnen.  „Das 
reine  Christenthum "  verfiel  der  offensten  Gewaltthätigkeit.  Der 
Kampf  dauerte  noch  fort,  aber  die  Kräfte  waren  zersplittert, 
das  Volk    blieb    kalt    gegen  die    hohem  Stände,    die    es    ver- 

'  Siehe  „Öasopis",  1843,  and  das  Journal  „Lamir",  1868. 

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160  fünftes  Kapitel.    L  Die  Cechen. 

gasBen ;  bei  aller  äussern  VergrÖeBerung  der  Literatur,  fühlte  man 
die  Erschöpfung  der  Nation.  In  solcher  Verfassung  vard  Böh- 
men von  der  Katastrophe  des  Jahres  1620  betroffen. 


3.    Die  Periode  des  TerMs. 

Schon  mit  den  ersten  Jahren  des  IT.  Jahrtmaderts  hegano 
sich  diese  Erschöpfung  zu  zeigen,  die  auch  den  schreeklichen 
Umschwung  möglich  machte,  welcher  Böhmen  nach  der  Schlacht 
am  Weissen  Berge  traf.  Diese  Schlacht  versetzte  sowol  der 
nationalen  Selbständigkeit  als  der  Literatur  den  letzten  Schlag. 
Das  17.  Jahrhundert  stellt  nur  die  letzten  Ausläufer  von  dem 
dar,  was  früher  entsprossen  war;  die  Literatur  lebte  nur  noch 
in  der  einen  Generation,  die  in  der  vorhergebenden  Zeit  erzogen 
war;  ihre  besten  und  bedeutendsten  Kräfte  waren  in  der  Ver- 
bannung. 

Oben  ist  von  den  Folgen  der  Schlacht  am  Weieaen  Berge  die 
Rede  gewesen.  Die  besi^ten  Protestanten,  die  Utraquisten  und 
die  Brüder,  die  Mehrheit  der  Nation,  mussten  entweder  Katho- 
liken werden  oder  die  Heimat  verlassen:  eine  Menge  iechischer 
Familien  zerstreute  sich  in  den  benachbarten  Ländern,  wo  sie 
in  fremden  Völkern  untergehen  mussten  —  mit  ihnen  auch  die 
letzten  bessern  Vertreter  des  Hussitenthums :  Arnos  Komenskjr 
(Comenius),  Karl  von  Zerotin,  Paul  Skala  von  Zhore.i  Es  trat 
eine  lange  Periode  des  Verfalls  der  Literatur,  der  Unwissenheit 
und  Unterdrückung  des  Volks  (1620—1780)  ein:  die  kaüioli- 
schen  Klerikalen,  oftmals  Ausläuder,  verlangten  vom  Volke  nur 
die  Erfüllung  der  Ceremonieu  und  überlieeseu  es  danach  sei- 
nem Schicksal;  die  Bücher  der  alten  Zeit  wurden,  als  durch 
Ketzerei  befleckt,  in  Massen  vernichtet,  —  fiir  das  Volk  ver- 
schwanden alle  Errungenschaften  der  frühem  Entwickelung. 
Die  gelehrten  Exulanten  setzten  ihre  Thätigkeit  fort,  vollbrach- 
ten bisweilen  bedeutende  Arbeiten,  aber  diese  wurden  in  der 
Fremde  gemacht  und  blieben  für  das  eigene  Volk  fast  gani 
unfruchtbar.    Das  Land  selbst  war  durch  den  Dreissigjährigen 


'  Vgl.  über  dieee  Zeit  Hilferding,  „Iitorijs  Cechii";  P.  LavrovBkij. 
„Pftdenie  Cethii  v  XVII  v6ke"  (St.  Petersburg  1868;  aus  iana.  Min.  K«. 
ProBv.).  Einer  eingehenden  Diirstellung  derselben  ist  eine  noch  nicht  be- 
endigte Arbeit  des  fechisoheu  Hietorikera  Gindel;  gewidmet. 


.....Gooj^lc 


Job.  Amoe  Eomensk^.  161 

Krieg  äusserst  verwüstet:  die  Bevölkemng  hatte  sich  ausser- 
ordentlich  verringert  infolge  von  Auswanderung  und  Vernich- 
tung, neuer  Zufluss  deutscher  Colonisten  verstärkte  den  Ver- 
M]  der  iechischen  Nationalität  noch  mehr. 

Nach  diesen  Verhältnissen  kann  man  sich  die  Lage  der  öe- 
chischen  Literatur  in  dieser  Periode  vorstellen.  Die  besten  Leute, 
die  gebildetsten  und  reichsten ,  die  vor  allem  der  Heimat  hätten 
dienen  können,  verliessen  das  Land,  in  demselben  blieb  nur  die 
rathlose  Masse,  welche  im  geheimen  einige  wenige  frühere  Ueber- 
lieferungen  bewahrte,  aber  furchtbar  entkräftet  und  unterdrückt 
war;  diejenigen,  bei  denen  sich  alte  Bücher  als  üeiliglhümer 
erhalten  hatten,  mnssten  sie  verstecken,  sonst  drohte  ihnen 
Vernichtung;  officiell  herrschte  die  katholische  Gelehrsamkeit, 
SD  deren  Spitze  die  Jesuiten  standen.  Darum  darf  man  in  dieser 
Periode  nicht  irgendwelche  Fortsetzung  des  frühern  Lebens 
suchen;  vom  Jahre  1620  an  stellt  die  Literatur  das  Bild  eines 
aUmählichen  Absterbens  der  Nationalität  dar.  Die  frühere  Lite- 
ratur dauert  noch  einige  Jahre  anter  der  Emigration  fort,  oder 
kommt  noch  zuweilen  bei  den  stammverwandten  Slovaken  zu  Tage, 
zn  denen  die  iecbischen  Emigranten  ihre  religiösen  und  litera- 
rischen Bestrebungen  brachten. 

Wir  wollen  vor  allem  bei  der  literarischen  Thatigkeit  der 
Emigration,  der  sogenannten  „Exulanten",  verweilen.  Ihre  Wur- 
zel liegt  allerdings  in  der  vorausgegangenen  Entwickelung,  deren 
letzte  Frucht  sie  war:  nach  den  Vorzügen  ihrer  bessern  Werke 
kann  man  beurtheilen,  wie  viel  Kräfte  die  6echiscbe  Literatur 
immer  noch  hätte  aufweisen  können,  wenn  sie  nicht  durch  das 
schreckliche  politische  Schicksal  des  Volks  unterbrochen  worden 
wäre. 

Die  bedeutendste  Persönlichkeit  des  ganzen  17-  Jahrhun- 
derts in  Böhmen  und  bis  zu  den  ersten  Anfängen  einer  Wieder- 
belebung zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  war  Jobann  Arnos 
Komeusky  (Comeuius,  1592 — 1670).  Er  allein  erinneit  an 
die  frühem  Zeiten  durch  seine  umfängliche  Thätigkeit  und 
seinen  Charakter.  Er  verwaiste  schon  in  der  Kindheit  und  war 
bereits  16  Jahre  alt,  als  er  seine  regelrechte  Bildung  begann. 
Er  studirte  in  Herborn  und  Heidelberg,  von  wo  er  die  ersten 
Anregungen  zu  den  spätem  Eigenthümlichkeiten  seiner  Thätig- 
keit —  der  moralisch-religiösen  Mystik  und  der  BeschäftigunK 
mit  der  Didaktik  —  mitbrachte:  sein  eigener  Gedanke  war  damals 

PiHi,  SlftTiHha  LltumlonD.    U,t.  H 

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162  Fuaftcs  Kapitel.    I.  Die  (Blechen. 

der  EntscMuss,  für  die  VerTollkomiiinung  seiner  Muttersprache 
zu  arbeiten.  Von  Heidelberg  machte  er  eine  Reise  Dach  Amster- 
dam, von  wo  er  zu  Fuss  nach  Prag  und  weiter  nach  Mähren 
zurückkehrte.  Hier  wurde  er  Lehrer  an  der  Brüder -Scliule, 
IfilG  Geistlicher,  und  ward  zum  Vorsteher  der  Brndergemeine 
in  Fulnek  ernannt;  im  Jahre  1621  ward  Fulnek  von  den  Spa- 
niern zerstört,  Komensk^  verlor  sein  ganzes  Hab  und  Gut, 
suchte  auf  der  HerrBohaft  Zeroti'n's  eine  Zuflucht  und  wohnte 
in  der  Hütte,  die  nach  der  Ueberlieferung  der  Bruder  Gregor, 
der  Begründer  der  Brüdergemeine,  erbaut  hatte.  Inzwischen 
nöthigten  die  gegen  die  nichtkatholischen  Priester  gerichteten 
Verfolgungen  die  Brüder,  sich  nach  einem  Zuflucbt«ort  umzu- 
sehen, und  sie  entschlossen  sich,  nach  Polen  oder  Ungarn  zn 
ziehen.  Im  Jahre  162H  siedelte  Komensky,  der  damals  Mit- 
glied des  Aeltestenraths  der  Brüderunitat  war,  mit  der  ganzen 
Geroeine  nach  Lisea  in  Posen  über.  Die  Brüder  hofften,  die 
Vertreibung  werde  nicht  von  langer  Dauer  sein;  aber  die  Er- 
eignisse vernichteten,  je  länger  je  mehr,  diese  Hoffnung  und 
schon  bald  begannen  die  Brüder  daran  zu  denken,  sich  in  der 
Fremde  fester  einzurichten.  Komensky  wurde  das  Schulwesen 
ganz  zur  Leitung  übergeben.  .  .  . 

Derselbe  begann  früh  seine  gelehrten  und  literarischen  Ar- 
beiten. Schon  vom  Jahre  1612  an  arbeitete  er  an  dem  „Schatz 
der  dechischen  Sprache"  („Poklad  jazyka  öeskeho"),  schrieb 
historische  und  kirchlich  -  erbauliche  Schriftcben,  1621 — 24  ver- 
fasste  er  eine  metrische  Uebersetzuug  der  Psalmen  (an  Stelle 
der  verlorenen  Üebersetzung  des  Laurentins  von  Nodoser),  1623 
ward  das  berühmte  „Labyrinth  der  Welt"  („Labyrint  svSta  a 
raj  srdce")  verfasst,  1625  das  „Centrum  secnritatis ^'.  In  den 
ersten  Jahren  der  Verbannung  arbeitete  er  eifrig  an  den  Fragen 
der  Erziehung  und  des  Unterrichts.  Die  „Didaktik"  Bodin's, 
die  er  in  der  Bibliothek  eines  böhmischen  Magnaten  fand,  brachte 
ihn  auf  den  Gedanken,  ein  ähnliches  Werk  in  öechischer  Sprache 
zu  verfassen,  und  er  schrieb  in  den  Jahren  1626 — 32  die 
„Didaktik",  dann  das  „Informatorium  skole  matereke"  ',  zuletzt 


'  Die  „Didaktik"  wnrde  von  Purkyn6  zu  Liaaa  im  Jahre  1811  wieder 
cutdeukt  und  von  der  Cechiscben  „Matice"  herausgegeben  im  Jahre  IS49; 
eine  zweite,  vcrbeBserte  Ausgabe  veranstaltete  J.  Ucr^nek,  18TI.  Das 
„Informatorium"  in  neuen  Ansgaben  16ß8  und  1673. 


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Job.  Arnos  Komensky.  103. 

die  berühmte  „Jaoua  linguanim"*,  die  zuerst  lateinisch,  dann 
cechiBch  herausgegeben  wurde  und  ihm  einen  europäischen  Ruhm 
sowie  Freunde  unter  den  Gelehrten  und  den  der  Sache  der 
Bildung  ergebenen  Männern  erwarb.  Dieses  „Geöffnete  goldene 
Thor  der  Sprachen"  brachte  einen  Umschwung  in  den  lateini- 
schen Unterricht  und  gab  demselben  eine  neue  einfache  Me- 
thode. 

Inzwischen  wurde  die  Lage  der  Brüder  in  der  Verbannung 
immer  schwieriger.  Es  kam  der  Dreissigjährige  Krieg.  Die  ver- 
armten Brüder  suchten  Hülfe  unter  den  Protestanten  in  der 
Schweiz,  Holland,  England  —  und  fanden  sie.  Komensky  war 
eios  der  tbätigsten  Mitglieder  der  Gemeine;  ausser  seinen  ge- 
lehrten und  didaktischen  Arbeiten  wirkte  er  bei  der  Brüderschaft 
als  Administrator,  als  Polemiker,  Prediger,  als  Eiferer  für  eine 
Vereinigung  der  evangelischen  Kirchen.  Zu  derselben  Zeit  arbei- 
tete er  an  einem  neuen  Werke,  das  wieder  die  Aufmerksamkeit 
der  gelehrten  Welt  erregte.  Er  plante  eine  „Pansophia  christiaua"; 
seine  Freunde  in  England  gaben  im  October  1637  „Conatuum  Co- 
menianorum  praeludia"  (mit  Hartlieb's  „Porta  Sapientiae")  her- 
aus. Das  Werk  Komensk^'s  erweckte  grosses  Interesse  in  Eng- 
land, wo  man  in  ihm  einen  Manu  sah,  fähig  die  Pläne  auszuführen, 
welche  damals  Bacon  hinterlassen  hatte.  Der  Prodromus  pan- 
sophiae"  Komensky's  ward  1U39  und  1642  zu  London,  1644  zu 
Leipzig  herausgegeben.  Das  „Lange  Parlament"  berief  Komeiisky 
nach  London.  Er  begab  sich  1C41  wirklich  nach  England,  aber 
die  politischen  Unruhen  Hessen  seine  philosophiscb-dJdaktischeik 
Pläne,  um  derentwillen  man  ihn  berufen  hatte,  nicht  zur  Aus- 
führung kommen.  In  London  setzte  er  seine  Arbeit  fort  und 
1641  erschien  daselbst,  in  englischer  Uebersetzung  von  Collier, 
sein  Werk,  dessen  lateinisches  Original,  „Pansophiae  diatyposis", 
1643  in  Danzig  herausgegeben  wurde.  Im  Jahre  1642  begab  sich 
Komensky,  den  man  inzwischen  auch  nach  Frankreich  berufen 
hatte,  nach  Schweden,  wo  sich  unerwartet  ein  Protector  für  ihn 
fand,  der  reiche  holländische  Kaufmann  von  Geer.  In  Schweden 
trat  er  in  Beziehung  zu  den  dortigen  Gelehrten  und  dem  Kanzler 
Axel  Oxenstierna,  —  rou  dem  auch  politisch  das  Schicksal  der 


I  „Janua  linguamm  reaerata  aare&",  lateinisch  herauegegcben  1B31; 
iecbivch  „Zlatä  braaa  jazyküv  otevtenä"  (Lissa  lli3it  u.  öfter),  oinc  oeua 
Aiugnbe  TeranataUete  Tham  (Prag  I8ü5). 


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164  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  (echen. 

cechischen  Exulanten  sehr  abhing.  Der  schwediBchc  Kanzler 
legte  der  „Didaktik"  Komensk^'s  mehr  Werth  bei  ate  der  „Fan- 
Sophia",  und  Komensk^  arbeitete,  nachdem  er  sich  in  Elbing 
niedergelassen,  an  didaktischen  Gegenständen,  ohne  jedoch  seine 
l'hilosophie  zu  rergessen.  Unterdessen  war  er  1648  zum  Bi- 
schof der  Brüderunität  erwählt  worden  und  musBte  nach  Lissa 
übersiedeln.  In  demselben  Jahre  endete  der  Westfälische  Friede 
den  Dreisaigjährigen  Krieg,  aber  in  dem  Vertrag  war  kein  Wort 
zu  Gunsten  der  Brüderunität  gesagt.  Eomensk^  schrieb  darüber 
voll  Kummer  an  Oxenstiema.  Auch  durch  Familienverluste  be- 
trübt, fand  er  eine  Ableitung  in  der  Herausgabe  didaktischer 
(lateinischer)  Werke,  die  er  in  Elbing  verfasat  hatte;  sie  er- 
schienen in  den  Jahren  1648 — 51.  Es  wurde  ihm  immer  klarer, 
dass  sich  die  Brüderunität  ihren  letzten  Zeiten  nähere:  zum 
Ausdruck  kam  dieses  Vorgefühl  in  dem  „Vermachtniss  der  ster- 
benden Mutter,  der  Brüdergemeine"  („Ksaft  umirajici  matkf, 
Jednoty  Bratrske",  16öO).  Man  lud  ihn  dann  nach  Ungarn  ein, 
wo  er  jedoch  keine  geeigneten  Bedingungen  für  seine  Arbeit  fand. 
Im  Jahre  1655  belagerten  die  Schweden  Lis&a,  aber  die  Stadt 
blieb  erhalten,  dank  Komensky;  im  folgenden  Jahre  rächten  sich 
dafür  die  Polen  an  der  Stadt  dadurch,  dass  sie  dieselbe  nieder- 
brannten, wobei  Komensky  sein  ganzes  Vermögen  verlor,  und 
vor  allem  seine  Manuscripte,  die  Frucht  vieljähriger  Arbeit 
Bei  diesem  Brande  gingen  unter:  eine  Sammlung  von  Predigten, 
die  er  im  Laufe  von  vierzig  Jahren  gehalten;  paDsophistische  Ar* 
beiten,  von  denen  es  ihm  besonders  um  die  „Silva  pansophiae" 
leid  war;  der  „Schatz  der  iechiechen  Sprache"  („Poklad  jazjka 
Öeskebo"),  an  dem  er  seit  1612  gearbeitet  hatte.  Die  Brüder 
wechselten  abermals  ihren  Wohnort;  Komensky,  von  Herrn 
van  Geer  berufen,  liess  sich  in  Amsterdam  nieder,  wo  er  einige 
ruhige  Jahre  unter  Freunden  fand,  die  seine  Verdienste  schätzteD 
und  ihn  zur  Vollendung  seiner  Arbeiteu  unterstützen  wollten. 
Komensk^  dankte  ihnen  durch  eine  lateinische  Ausgabe  seiner 
didaktischen  Werke:  „Opera  didactica  omnia"  (4  Bde.  1657). 
Das  Schicksal  der  Brüder  verfolgte  er  auch  weiterhin,  indem  er 
für  die  böhmischen  und  polnischen  Exulanten  Unterstützungen 
sammelte  und  versandte;  auf  seine  Bemühungen  wurden  zwei 
Bischöfe  fiir  die  polnischen  und  böhmiechen  Brüder  gewählt 
Sein  letztes  Werk  war  „Unum  necessarium"  (1668),  lateinisch 
und  £echifich.    Im  Jahre  1670  stai-b  er  zu  Amsterdam  und  ward 

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Joh.  Arnos  Komentk^.  Ig5 

in  der  Kirche  der  französischen  protestantischen  Gemeinde  zu 
Naarden  hegraben.  Im  folgenden  J&hre  starb  auch  sein, Schwa- 
ger Jablonsky,  der  letzte  Bischof  des  böhmischen  Zweiges  der 
Brüdergemeina ' 

Der  Brand  von  Lissa  Teroicbtete  viele  Arbeiten  Komensk^'s, 
aber  auch  das,  was  sich  von  dem  Frühem  oder  Spätem  erhalten 
hat,  bildete  eine  grosse  Masse  verschiedeaartiger  Werke  —  hi- 
storischer, religiös-erbaulicher,  philosophischer,  besonders  didak- 
tischer und  endlich  auch  poetischer. 

Von  den  historischen  Werken,  welche  den  Schicksaleu  der 
böhmischen  evangelischen  Kirche  gewidmet  eind,  ist  besonders 
bekannt  die  „Geschichte  von  den  schweren  Verfolgungen  der 
böhmischen  Kirche"  („Historia  o  teSkjch  protivenstvi'ch  cirkve 
ieske"),  zuerst  lateinisch  erschienen  („Histor.  persecutionuni 
n.  8.  w.",  Leipzig  1648;  die  cechische  Ausgabe  1655;  an  ihr  hat 
auch  Komensk^  mitgewirkt).  Von  religiös-erbaulichen  Werkeu 
verfasste  Komensky  eine  Menge;  eine  Sammlung  seiner  Predigten 
ging  im  Brande  von  Lissa  zu  Grunde;  aber  es  haben  sich  viele 


>  UeberEoroenak^exiBtirt  eine  beträchtliche  Literatur,  iniechiBoher  und 
uidem  Sprachen:  Fr.  Palaoky,  Biographie  Komeneky'B,  C'aeopis  1829,  und 
io  der  Monatsschrift  der  GeaelUchaft  des  vaterläad.  Hnseums,  1829(Radbost 
1871,  S45— 282).—  K.  Storch,  über  die  panaophiBtischen  Werke  EomeDskyV 
Casopis  1851,  1861.  —  A.  Gindely,  über  das  Schicksal  Komeuskj^'s  in  der 
Fremde  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  185Ö).  —  Ev£t,  über  die 
Metaphysik  und  Naturphilosophie  Komensky's,  Casopis,  1869,  IStiO.  —  V. 
GrigoroviE,  Arnos  Komeuekij  (Odessa  18T0).  —  Miropolskij,  „Eo- 
menskij  i  ego  snatenie  v  pedagogii"  (Zum.  Min.  Nar.  Prosv.,  1870,  3  Ar- 
tikel). —  Fr.  J.  Zoubek,  „Zivot  Jana  Amosa  Komenak^ho"  (Prag  1871; 
lam  SOOjährigen  Andenken  an  geinen  Tod ;  die  beste  Biographie  und  ein 
voUständiges  TerzeiehnisB  seiner  Werke),  auch  im  „Casopis",  1871,  1872, 
1876,  1877  und  „Osvfita",  1879,  Nr.  3  (Komensky'a  „Diogenes").  —  „Co- 
menios'  Grosse  Unterrichts lebre.  Aus  dem  Lateiniachen  Ton  Julina  Beeger 
und  Franz  Zoubek"  (3.  Aufl.  Leipzig  1874).  —  Fr.  Lepaf,  „TH  ikolni 
hry  Komenakeho"  („Drei  Schnlspiele  K.'e",  in  „Osväta",  1879,  Nr.  2,  3,  5). 
—  J.  JireCek,  ,Jiiteratara  exulantuv  £eakycb"  (Caaopia,  1874;  RnkovSf,  I, 
369 — 381).  —  Jan  A.  Eomenskij.  Velik^a  Didaktika.  Isdanie  redakcii  iur- 
ntüa  „Semja  i  Skola"  (St.  Petersburg  1875—77,  mit  kurzer  Einleitung).  — 
Vgl.  die  Geschichten  der  Päd^ogik,  z.  B.  von  Karl  Schmidt  —  Ausser 
den  erwähnten  Eechischen  Werken  Komensky's  führen  nir  noch  an:  „Skola 
pansofickä"  („Pansophisuhe  Schule",  Prag  1875);  „Ni'ktere  drobnSjü  spisy'* 
(,3inige  kleinere  Schriften",  Prag  1876).   Beides  von  Zoubek  herausgegeben. 


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16G  Fünftes  Kapilel.    I.  Die  Öechen. 

andere  Werke  dieser  Art  erhalten,  die  zur  Erbauung  und  Er- 
munterung der  zerEtreuten  Emigranten  geschrieben  sind,  z.  B. 
„Eine  unbesiegbare  Burg  ist  der  Name  Gottes,  worin  jeder  sein 
Heil  findet,  der  dahin  flüchtet"  („Nedobytedln^  hrad  jmeno  Hos- 
podinovo  u.  s.  w.",  1622),  „Praxis  pietatis"  (Lissa,  1630  u- ö.), 
„Centrum  securitatis,  Hlubina  bezpecnosti  etc."  („Das  Centmm 
der  Sicherheit  oder  klare  Betrachtung  darüber,  wie  nur  in  Gott 
allein  alle  Sicherheit,  Ruhe  und  Segen  liegt",  Lissa  1633  a.  5,), 
„Weltentsagung "  („V^host  svötu",  Amsterdam  1663),  „Üroeni 
kazatelske"  („Predigerkunst")  u.  a.  Die  Titel  dieser  Werke  deu- 
ten schon  auf  den  Charakter  der  Lehre  Komensk^'s  hin,  deren 
strenge  Religiosität  —  der  herrschende  Zug  in  der  Sittenlehre 
der  Brüder  —  durch  die  schweren  Prüfuugen  der  Verbannung 
noch  verstärkt  wird. 

Besonders  wichtige  Werke  Komenskjf's,  welche  nicht  nur  für 
seine  Zeitgenossen  und  Landsleute  Werth  hatten,  waren  seine 
philosophisch-pädagogischen  Arbeiten  —  die  „Janua  linguanun" 
und  der  berühmte  „Orbis  pictus". '  Diese  beiden  Werke,  denen 
sieb  seine  andern  lateinischen  Werke,  gesammelt  in  „Opera  di- 
dactica"  anschlicssen,  hatten  einen  ausserordentlichen  Erfolg  io 
ganz  Europa;  sie  wurden  in  fast  alle  europäischen  und  sc^ 
einige  orientalische  Sprachen  übersetzt.  Der  berühmte  Bayle 
sagte  von  Komensky's  ,, Janua":  „Quand  Comenius  n'aurait  pubhe 
que  ce  livre  lä,  il  serait  immortalise."  Durch  diese  seine  Werke 
nimmt  Komensky  in  der  Geschichte  der  europäischen  Cultureine 
sehr  hohe  Stellung  ein.  Seine  historische  Bedeutung  wird  da- 
durch bestimmt,  dass'er  in  den  Reihen  der  Opposition  stand, 
welche  gegen  die  pädagogische  Scholastik  und  den  verkehrten 
Classicismus  auftrat,  der  damals  in  den  „Lateinschulen",  anf 
den  protestantischen  Universitäten  und  in  der  katholischen,  be> 
sonders  der  jesuitischen  Erziehung  herrschte;  in  seinen  didak- 
tischen Werken  führte  Komensky  das  befreiende  Werk  weiter 
fort,  dessen  Vertreter  Montaigne  und  Bayle  in  der  französischen 
Literatur,  Bacon  und  Locke  in  der  englischen,  und  der  Pädagog 


'  Der  volle  Titel  „OrbiB  Seasualium  piotus  quadnliuguii,  hoc  t*i 
umniam  fundamentam  in  mundo  rerum  et  m  vita  actiouiun  pictarti  et  du- 
menclatiira  latina,  geimauica,  hungai-iia  et  boliemua  cum  titulorum  jail» 
utquo  voeabulorum  iikIidi."  (^ullmb  1658)  Du  Ccchisihi.  Ausgabe  btu 
viditolnj?  namalovany  etc  "  erachien  in  Leutecbau  (in  der  bloiakei)  1665 

L .        GooQk 


Job.  Arnos  Komensky.  167 

Ratichioe  bei  den  Deutscheu  waten.  Sein  grosses  Verdienst  be- 
stand darin,  dass  er  den  Realismus  in  die  Schule  einführte,  die 
Erziehung  nicht  auf  den  schulmassigen  Buchstaben,  sondern  auf 
die  Beobachtung  der  menschlichen  Natur  zu  gründen  suchte. 
Anregend  hatte  hauptsächlich  Bacon's  „Instauratio  magna"  auf 
ihn  eingewirkt,  aber  er  widmete  der  Sache  ein  so  weites  und 
eelbständiges  Studium,  dass  seine  Theorie  zu  einer  wirklichen 
Tbat  in  der  Geschichte  der  europäischen  Erziehung  wurde.  Ko- 
mensky  ging  Ton  der  Idee  aus,  dass  der  Mensch  nur  durch  die 
Erziehung  Mensch  werde,  und  dass  diese  das  menschliche  Geschlecht 
glücklich  machen  müsse.  Sie  gründe  sich  auf  die  natürliche, 
physische  und  geistige  Natur  des  Menschen;  sie  müsse  auf  die 
Bedürfnisse  dieser  Natur  Rücksicht  nehmen,  müsse  sich  in  ihrem 
Verfahren  durch  die  Anweisungen  und  Eigenschaften  derselben  lei- 
ten lassen;  das  Lehren  müsse  nicht  auf  einem  stumpfen  Einlernen, 
sondern  auf  selbständig  erworbener  Erfahrung  und  Erkenntniss 
begründet  sein ;  statt  mechanischer  Aufstapelung  von  Kenntnissen 
wird  die  Erziehung  bei  Komensky  zu  einem  anschaulichen  Unter- 
richt und  zu  einer  natürlichen  Entwickelung.  Der  „Orbis  pic- 
tus"  sollte  als  Mittel  eines  solchen  Unterrichts  dienen,  —  es  war 
dies  der  erste  praktische  Versuch  einer  rationellen  Pädagogik. 
Der  Unterricht  sollte  vom  Bekannteu  zum  Unbekannten,  vom 
Leichten  zum  Schweren  übergehen;  jedem  Alter  die  entspre- 
chende Nahrung  und  Ai-beit  geben.  Für  die  rerscbiedenen  Seiten 
seiner  Theorie  arbeitete  er  praktische  Anweisungen  und  Beispiele 
aus  ....  Gleichzeitig  trat  Komensky  gegen  den  übertriebenen 
und  oft  falschen  Classicismus  der  damaligen  Schulen  auf,  der 
statt  der  heimischen  Sprache  und  der  christlichen  Begriffe  die 
ganze  Aufmerksamkeit  der  Zöglinge  auf  Horaz,  Plato,  Catull, 
Cicero  u.  a.  lenkte:  „Daher  kommt  es",  sagt  Komensky,  „dass 
wir  mitten  im  Christenthum  schwer  Christen  finden."  Die  chritit- 
liche  Idee  herrscht  in  der  Sittenlehre  Komensky's  vor  und  bildet 
die  zweite  Seite  seiner  Pädagogik,  das  Christenthum  müsse  das 
Ziel  der  Erziehung  sein  und  alle  pädagogischen,  auf  die  sittliche 
Entwickelung  gerichteten  Massregeln  durchdringen ....  Komensky 
ist  freilich  nicht  frei  von  den  Unvollkommenheiten  und  falschen 
Begriffen  seiner  Zeit,  —  wenn  er  z.  B.  in  seinen  realistischen 
Versuchen  die  lebendige  Natur  durch  eine  gemalte  ersetzt,  wenn 
er,  bei  Bestreitung  der  bildenden  Kraft  des  Classicismus,  docli 
der  lateinischen  Phraseologie  zuviel  Bedeutung  beilegte  u.  s.  w. 

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168  FünfUa  Kapitel.    L   Die  Öeoben. 

Bei  alledem  war  sein  System  eine  einheitliche  Anschauung  der 
natürlichen  Bedingungen  der  menschlichen  Natar  und  der  päda- 
gogischen Aufgaben  und  gewann  ihren  Weltnibm  mit  Recht. 
Wenn  wir  in  der  „Didaktik"  Komenskj'R  sympathische  Züge 
eines  überzeugten  christlichen  Philosophen  sehen  und  zugleich 
eines  Eiferers  für  die  Wissenschaft,  so  treten  diese  Züge  noch 
mehr  in  seinen  paneophischen  Arheit«n  herror;  ihr  Ziel  war, 
die  zerstreuten  Kenntnisse  zu  einem  System  zu  vereinigeii, 
das  allen  Gebildeten  zugänglich  sei,  damit  die  Wissenschaft 
äusserlich  mehr  Verbreitung,  innerlich  mehr  Sicherheit 
erlange.  „Mit  unsem  pansopbischen  Arbeiten",  sagte  Eo- 
mensky ,  „streben  wir  danach ,  die  Bildung ,  welche  bisher 
fast  ohne  Grenzen  zerfliesst,  nicht  fest  gegründet  ist,  in 
allen  Tbeilen  schwankt,  in  einer  gedrängtem,  festem  und 
starkem  Weise  in '  Eins  zusammenzufassen ,  damit  es  nicht 
nöthig  sei,  sich  mit  der  Wissenschaft  zu  brüsten,  sondern  sie 
zu  kennen ,  und  nicht  zu  viele  Dinge  zu  kennen ,  sondern 
gute  und  nützliche,  und  zwar  fest  und  fehlerfrei."  Er  wünschte 
eine  möglichst  weite  Ausbreitung  der  Wissenschaft,  damit  sUe 
Christen,  welchen  Bekenntnisses  sie  auch  seien,  in  Freund- 
schaft ihren  gemeinsamen  Fortschritt  suchen  und  sich  am  ge- 
meinsamen Glück  erfreuen.  Komensk^  war  im  wahren  Sinne 
des  Worts  ein  Freund  der  Menschheit,  den  Ideen  vom  Glück 
derselben,  von  einer  christlichen  Welt  und  Aufklärung  zagethao, 
und  arbeitete  zeitlebens  für  dieselben. 

Auch  war  Komeusky  Dichter  —  in  demjenigen  christhch- 
philosophischen  Geiste,  der  alle  seine  Werke  auszeichnet.  Er 
verfasste  geistliche  Lieder  für  das  Brüdercancional,  femer  eine 
metrische  Uebersetzung  der  Psalmen ;  aber  die  Hauptfmcht 
seiner  poetischen  Bestrebungen  war  ein  Werk,  das  zu  den  be- 
kanntesten und  geachtetsten  Denkmälern  der  ganzen  techischen 
Literatur  gehört.   Es  ist  dies  das  berühmte  „Labyrinth  der  Welt".' 


'  „Labyrint  SvSta  a  R^  srdoe"  u.  s.  w.,  das  1631  in  Liua,  a.  L,  nnd 
daDn  in  der  Zeit  der  Verfolgungen  g^en  die  Eeohiaohen  Bücher  n 
Amsterdam  1663,  Berlin  1757  erBcbieu,  wurde  zu  Anfang  der  Wiederbete- 
buug  ia  Prag  1783,  ISOO,  ia  Eöniggrätz  1S48,  in  Prag  1862  bcrauagegeben. 
Deutsche  Uebersetzung :  PbiluaophiBche  Batiriaube  RuIbcd  durcb  alle  Stinde 
der  menacblicbcn  Handlungen  etc."  (Potsdam  1787);  „Das  LabTrittth  der 
Welt  etc.,  über«,  von  J,  Nowotny"  (Spremberg  1872). 


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Joh.  Arnos  Komengky.  169 

Der  ausfübrliclie  Titel  des  BuclieB  gibt  einen  Begriff  von  eei- 
Der  allgemeinen  Tendenz:  „Das  Labyrinth  der  Welt  und  das 
Paradies  des  Herzens,  d.  i.  eine  klare  Darstellung  dessen, 
wie  in  dieser  Welt  und  allen  ihren  Dingen  nichts  ist  ausser 
Eitelkeit  und  Irrthum,  Schein  und  Täuschung,  Zweifel  und 
Schmerz ,  Kummer  nnd  Elend ,  und  zuletzt  Aergemiss  und 
Verzweiäung;  wer  aber  zu  Hause  bleibt  in  seinem  Herzen  und 
sieb  auf  Gott  den  Herrn  allein  stützt,  wie  der  von  selbst  zu 
einer  wahren  und  vollen  Ruhe  des  Gedankens  und  zur  Freude 
kommt"  Der  Verfasser  macht  eine  allegorische  Reise  durch 
das  Labyrinth  der  Welt,  vor  ihm  öffnet  sich  alle  Eitelkeit 
ihres  „Marktes",  er  beobachtet  das  Leben  aller  Berufe  und 
Stände  der  Gesellschaft,  sieht  das  Nichtige  der  menschlichen 
Sorgen,  Bestrebungen  und  Hoffnungen,  die  Machtlosigkeit  der 
menschlichen  Wissenschaft:  auf  seinem  phantastischen  Wege  be- 
gegnet er  zuletzt  Christus  und  sieht  das  Leben  der  , innerlichen 
Christen",  worin  auch  sein  Ideal  besteht.  In  diesem  Ideal  rein- 
cbristlicben  Lebens,  Teiches  vollkommene  Ruhe  und  inneres 
Glück  im  Glauben  findet,  keine  weltlichen  Sorgen,  keine  Eitel- 
keit, keine  Feindschaft  kennt,  nicht  um  Reichthum  und  Ruhm 
sorgt,  —  in  diesem  Ideal  ist  es  nicht  schwer,  die  Ideen  Chel- 
dicky's  vom  Urchristenthum  und  die  Grundthesen  der  Brüder- 
gemeine zu  erkennen.  Die  innerlichen  Christen  (als  welche 
Komensky  die  Brüder  und  die  ganze  Christenheit  sehen  möchte) 
erleuchtet  das  doppelte  Licht  des  Verstandes  und  des  Glau- 
bens: sie  sind  vollkommen  frei,  ihr  Gesetz  ist  kurz,  weil  es 
ganz  in  den  Geboten  Gottes  enthalten  ist,  sie  vereint  die 
Gemeinschaft  der  Gedanken  und  der  Gefühle,  und  endlich  die 
Gemeinschaft  des  Besitzes.  .  .  .  „Ich  sah",  sagt  er,  „dass, 
obgleich  sie  grössentheils  arm  waren  an  dem,  was  die  Welt 
Vermögen  nennt,  obgleich  sie  wenig  hatte»  und  wenig  be- 
durften, doch  fast  jeder  irgendetwas  Eigenes  hatte:  aber 
so,  dass  sich  niemand  damit  vor  dem  andern  verbarg  (wie 
das  in  der  Welt  geschieht),  es  nicht  verheimlichte,  sondern 
gewissermassen  für  alle  besass  und  gern  abgab,  was  jemand 
bedurfte.  Sodass  alle  mit  ihrer  Habe  untereinander  nicht  an- 
ders verfuhren  als  Leute,  die  an  einem  Tische  sitzen,  und 
mit  gleichem  Recht  von  den  Speisen  nehmen.  Als  ich  das  ge- 
sehen  hatte,   schämte    ich  mich,   dass  bei  uns  oft  gerade  das 


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170  Fuuftes  EspiteL    1.   Die  Öeohen. 

Gegentheil  davon  geschieht.  .  .  .  Ich  begriff,  dass  oicht  das  der 
Wille  Gottes  sei."  ...» 

Diese  Verwirklichung  des  Urchristenthums  war  in  der  That 
das  poetische  Ideal  der  Briidergemeine.  Mit  dieser  Predigt 
des  innern  CbristeDthums,  —  die  in  dem  Schauen  von  GoU«s 
Herrlichkeit  und  in  dem  Gebeta  am  Schlüsse  des  „Labyrinths" 
enthalten  ist,  —  schliesst  die  alte  Periode  der  iecbischen  Ge- 
schichte; die  Thätigkeit  Komensky's  ist  das  letzte  Resultat  der 
hussitischen  Bewegung.  £r  „schloss  hinter  sich  die  Thür"  der 
Brüdergemeine  als  ihr  letzter  (eigentlich  vorletzter)  Bischof; 
and  als  der  letzte  Yertheidiger  seiner  nationalen  Sache  ward 
er  zugleich  ein  eifriger  Förderer  der  europäischen  Coltur. 
Dies  war  der  charakteristische  Abschluss  der  verfallenen  cecbi- 
schen  Literatur. 

Von  den  andern  Exulanten  ist  ausser  dem  schon  vorher 
erwähnten  Zerotin  vor  allem  Paul  Skala  von  Zhofe  (1583, 
gest.  nach  1640)  zu  nennen.  Ein  Saazer  Bürger,  Anhäoget 
Friedrich^s  von  der  Pfalz,  evangelischen  Bekenntnisses,  «än- 
derte er  nach  der  Schlacht  am  Weissem  Bet^e  aus  Böhmen 
aus  und  liess  sich  in  Sachsen  nieder.  Er  war  ein  classisch  ge- 
bildeter Mann,  studirte  auf  deutschen  Universitäten,  machte  Bu- 
sen in  Europa  und  schrieb  in  der  Verbannung  erstens  eine  kirch- 
liche Chronologie  und  zweitens  ein  grosses  Werk  über  Kircheii- 
geschichte  von  den  Zeiten  der  Apostel  an  in  neun  Folianten,  in 
deren  drittem  schon  die  Beschreibung  der  Ereignisse  von  1516— 
1623  beginnt:  am  interessantesten  ist  allerdings  der  Theil  des 
Werkes,  wo  er  als  Zeitgenosse  und  Augenzeuge  spricht.  Die  Ge- 
schichte Skäla's  ist  vom  protestantischen  Standpunkte  geschrie- 
ben, aber  er  bemühte  sich  unparteiisch  zu  sein ;  die  Darstellung 


'  Das  Buch  EomenBky'e  entsprach  der  StiiDmnng  des  Volkes.    In  eioem 
Liade  der  teubiecheD  Verb&DuteD  deB  17.  Jahrhunderts  steht  es  oebeu  der 
Kralioer  Bibel  als  einziges  aus  der  Heimat  gebrachtes  Besitztbum: 
Nevzali  sme  s  aebou 

Nie,  po  vSem  vctat 
Jen  Bibli  Kraliokon, 
Labyrint  Sv6tft. 
(Wir  nahmen  nichts  mit  uds  fort,  altes  war  verlöten!     Mur  die  Kr«li«r 
Bibel,   das  Labyrinth  der  Welt)     (Kollir,   „Kar-  Zpiewanky  SlowikAw". 
I,  34.) 


.....Gooj^lc 


Die  Exulanten.  171 

ist  oft  zu  weitschweifig,  aber  enthält  wichtiges  Material. '  Feraer 
möge  Paul  Straneky  {1588 — I6ö7)  genannt  «ein,  obgleich  er 
nar  als  lateinischer  Schriftsteller  bekannt  ist.  Als  Anhänger  der 
Bnidergemeioe  widersetzte  er  sich,  soviel  er  konnte,  der  katho- 
lischen Reaction,  aber  zuletzt  war  er  doch  genöthigt,  die  Heimat 
zu  verlassen,  wobei  er  sein  Vermögen  verlor,  und  litt  grosse 
Xoth;  nachdem  er  sich  zuletzt  in  Thorn  niedergelassen,  ward  er 
durch  seine  Schriftstellerei  bekannt,  und  erhielt  eine  Professur 
am  dortigen  Gymnasium.  Sein  lateinisches  Werk:  „Respublica  Bo- 
jema"  (Leyden  1634,  1Ü43;  Amsterdam  1713,  und  in  der  Samm- 
lung Goldast's:  „Oommentarii  de  regni  Bobemiae  .  .  .  .  juribus  et 
privilegÜE",  1719)  ist  als  eine  merkwürdig  klare  Darstellung  der 
politischen  Verhältnisse  und  des  innern  Zustandes  Böhmens  be- 
kannt, die  noch  bisher,  als  historisches  Material,  ihren  Werth 
nicht  verloren  hat  and  in  einem  classischen  Latein  geschrie- 
ben ist.' 

Derjenige  Theil  der  Exulanten  der  Brudergemeine ,  in  deren 
Mitte  Eomensky  wirkte,  wanderte  nach  dem  Norden  aus',  dabin 
gingen  ^erotin ,  Paul  Skala ,  Stränsky.  Ein  anderer  Strom 
von  Auswanderern  richtete  sich  nach  Südosten,  ins  nördliche 
Ungarn,  in  das  Land  der  Slovaken.  Seit  Huss  herrschte  bei 
diesen  die  öechische  Schriftsprache;  viele  Slovaken  lebten  dann 
in  Böhmen  und  nahmen  an  der  cechischen  Bewegung  und  Lite- 
ratur theil,  wie  z.  B.  Laurentius  von  NudoSer  und  andere.  Mit 
der  Ankunft  der  Emigranten  nach  der  Schlacht  am  Weissen 
Berge  stellte  sich  bei  den  Slovaken  eine  bedeutende  „cecho- 
slovakiscbe"  literarische  Thätigkeit  ein.  In  den  slovakischeu 
Buchdmckereien  zu  Sillein,  Trentschin,  Tyrnau,  Neusohl  wurden 
anfangs  BUcher  der  böhmischen  Emigranten,  dann  der  eigenen 
Schriftsteller  gedruckt  —  meistens,  fast  ausschliesslich,  über 
religiöse  Gegenstände.  So  lebte  also  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert,   als  die   äechische  Literatur  in  Böhmen   selbst  immer 


■  Stellen  darauB  wurden  im  Öaaopis  183t,  1834,  184T,  in  HavIiEek'a 
„Sloran",  1850  gedruckt.  Die  böhmieche  Geeohioht«  von  lliO:}  — 1623  gab 
K.  Tieftrunk  herauB  in  5  Heften,  1865—70  (Monumenta  Hist.  Bohem.). 

'  Anf  dieseB  Buch  stützte  sich  unter  anderai  Hilferding,  aU  er  von  der 
Tradition  der  orientaliacben  Kiivhe  bei  den  Cecben  spraeh.  Aber  die  Ce- 
ohiachen  Kritiker  leugnen  die  Stiobhaltigkeit  der  Gründe,  die  von  ihm  aus 
dem  Baube  Stränaky'B  genommen  sind. 


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172  Fünftea  Kapitel.    I.   Die  Öechen. 

mehr  verfiel,  ein  Schössling  derselben  bei  den  Slovaken.  Hier 
Bind  bekannt  die  Namen:  Georg  Tranovsky,  Elias  Läni,  Sa- 
muel Hruskovic,  Daniel  Krman,  Stephan  Pilank  und  andere, 
von  denen  bei  der  Literatur  der  Slovaken  ausführlicher  die 
Rede  sein  wird. 

In  Böhmen  selbst  stellt  die  Literatur  seit  der  Schlacht  am 
Weissen  Berge  ein  trauriges  Bild  des  Verfalls  dar,  wie  es  Völker 
in  schweren  oder  den  letzten  Zeiten  ihres  historischen  Lebens 
zu  erfahren  pflegen.  Aus  der  Mitte  des  Volkes  wurden  plötzlich 
die  besten  Kräfte  herausgerissen,  nämlich  diejenigen,  welche 
durch  ihre  Entfernung  aus  der  Heimat  die  Festigkeit  ihrer  Ueber- 
zeugung  bekundeten;  die  andern,  welche  der  katholiacben  Beac- 
tion  nachgaben,  thaten  dies  deshalb,  weil  sie  schon  durch  den 
Kampf  gebrochen  waren :  in  herrschender  Stellung  blieben  die 
katholischen  Fanatiker.  —  Für  sie  war  der  ganze  TorausgegaD- 
gene  Inhalt  der  Literatur  nur  Ketzerei,  die  Ternichtet  werden 
musste,  und  sie  vernichteten  sie  wirklich.  Das,  womit  diese  Fa- 
natiker ihr  Land  retten  und  beglücken  wollten,  führte  zu  dem 
Resultat,  dass  die  Literatur  ganz  aufhörte,  d.  h.  dass  das  natio- 
nale Leben  untergraben  wurde:  die  alte  Bildung  hörte  auf,  das 
Volk  verlor  sein  Nationalbewusstsein,  —  unter  solchen  Verhält- 
nissen konnte  eine  Literatur  keinen  Entstebungsgrund  und  kei- 
nen Zweck  haben. 

Einige  Namen,  die  hier  zu  nennen  sind,  lassen,  in  der  ersten 
Generation,  noch  ein  Echo  (wenn  auch  nur  formales)  der  frühem 
Bildung  hören;  oder  es  feiert  das  Jesuitenthum  und  der  Ohscuran- 
tismus  seine  Orgien;  oder  es  tauchen  schliesslich,  zu  Ende  des 
18.  Jahrhunderts,  die  ersten  warmen  Erinnerungen  an  den  alten 
Ruhm  des  eigenen  Volkes  auf,  die  sich  jedoch  noch  nicht  n 
einer  wirklichen  Wiedergeburt  zu  entwickeln  vermochten. 

Der  wichtigste  Schriftsteller  der  katholischen  Partei  in  der 
Zeit  nach  der  Schlacht  am  Weissen  Berge  war  der  bekannte 
Slavata  (der  mit  Martinic  und  Platter  am  23.  Mai  1618  zum  Fenster 
hinausgeworfen  wurde),  später  Kanzler  des  Königreichs  Böhmen. 
Wilhelm  Slavata  (Slavata  z  Chlumu  a  z  Kosumberka,  1572— 
1652)  stammte  aus  einem  Adelsgeschlecht;  sein  Vater  war  ein 
Anhänger  der  Brüdergemeine,  die  Mutter  eine  Lutheranerin,  er 
seihst  wurde  in  der  Brüder -Lehre  erzogen;  aber  später  ging 
er  zur  katholischen  Partei  über,  und  ward  einer  ihrer  enragir- 
testen   Förderer   und   halber  Jesuit;    er  gehörte   mit  xn  den- 

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Der  Verfall.  173 

jenigen  ^bischen  Herren,  welche  Rudolf  II.  dazu  Termochten, 
den  Utraquisten  keine  BekenntnisBfreiheit  zu  gewähren.  Mit 
seinen  persönlichen  Geschäften  in  der  Politik  ist  anch  sein  hi- 
storiBchee  Werk  verbunden.  Den  Anlass  dazu  gab  ein  Werk 
Matthias  Thnrn'a,  des  Buhrera  der  unzufriedenen  Stande,  welcher 
das  Verfahren  seiner  Partei,  unter  anderm  auch  den  Fenster- 
sturz, erklären  und  rechtfertigen  wollte.  Slavata  gelangte  in  den 
Besitz  dieses  Werkes  und  unternahm  es,  seine  Partei  zu  verthei- 
digen.  Unter  der  Hand  wuchs  sein  Buch  zu  dem  Ungeheuern 
Umfang  von  vierzehn  Folianten  an  und  es  sind  darin  ausser  den 
fechiscben  auch  die  Ereignisse  hei  andern  Völkern  dai^estellt. 
Die  Geschichte  Slavata's  ist  vom  Jahre  1527  bis  1592  geführt 
nnd  ausserdem  sind  in  seiner  persönlichen  Vertbeidigung  die 
Ereignisse  des  Anfangs  des  17.  Jahrhunderts  beschrieben.  Sie 
hat  ihren  literarischen  Wertb,  obgleich  sie  manchmal  weitschweifig 
und  ungleichmässig  ist;  aber  jedenfalls  ist  sie  überaus  wichtig 
als  Zeugniss  eines  Zeitgenossen,,  zumal  da  ausser  den  persön- 
lichen „Erinnerungen"  Slavata's  auch  die  Memoiren  seiner 
Freunde  darin  aufgenommen  sind.' 

Zu  der  Zahl  der  Herren  von  derselben  habsburgischen  Par- 
tei gehört  Graf  Hermann  Oernin  von  Chudenic  (1579  —  1651), 
der  1598  mit  Harant  von  PolSic  in  das  Heilige  Land  reiste, 
später  mehrmals  in  politischer  Mission  in  der  Türkei  war  und 
ein  Tagebuch  seiner  Reise  nach  Konstantinopel  IG44 — 45  schrieb.* 
Ignaz  von  Sternberg  hinterliess  eine  Reise  in  die  westeuro- 
päischen Länder,  1664 — 65-  Dies  waren  die  letzten  Herren, 
welche  techisch  schrieben. 


Die  Katastrophe  am  Weissen  Berge  warf  die  ganze  Bewegung 
nieder,  die  sich  in  Böhmen  seit  Ende  des  14.  Jahrhunderts  voll- 
zogen hatte.  Die  Reaction  vertilgte  Menschen,  Einrichtungen, 
Schriften,  welche  den  Stempel  des  Hussitenthums,  der  Reforma- 


'  Auazüge,  hersnBgegebea  von  J.  Jireöek:  „Pam^ti  z  dob  1 
&  Bde.,  Fra^  1866— (iS;  in  der  Einleitung  eine  ausnihrlicbe  BeschreibuDg 
dea  ganzen  Werkes  von  Slavata);  „D£je  ubereke  za  Ferdinonda  I.  Od  1Ö26 
—15«"  {Wien  1857). 

'  Lomir,  1856,  nnd  Mikloeicb,  Slav.  Bibliothek,  II. 


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174  Füuftea  Kapitel,     t.   Die  Öecben. 

tion  der  Brüdergemeine  an  sich  trugen.  Indem  sie  die  AuhäDger 
derselben  zwang,  zum  Katholicisnina  überzutreten,  suchte  die 
Reaction  in  den  Geistern  jede  Erinnerung  an  diese  ßeweguDgea 
zu  verwischen,  oder  diese  Vergangenheit  als  einen  verderblichen 
Irrthum,  als  eine  gefährliche  Ketzerei  hinzustellen.  Von  den 
alten  Historikern  blieb  nurHäjek  unvei'sebrt;  vor  allem  aus  ihm 
soll  sich  auch  das  £ecbische  Volk  einige  ßeminiscenzen  an  seine 
ältere  Geschichte  bewahrt  haben. 

In  diesem  Geiste  wurde  im  17 — 18.  Jahrhundert  die  böhnÜBche 
Geschichte  geschrieben,  und  oftmals  nur  noch  in  lateinischer 
Sprache.  Die  erste  Stelle  in  der  Reihe  dieser  Schriftsteller 
nimmt  der  berühmte  Jesuit,  der  trotzdem  £echischer  Patriot  war, 
Bohuslav  Baibin  (1621 — 88)  ein,  der,  wenn  er  auch  nur  latei- 
nisch schrieb,  doch  in  der  Geschichte  der  ^echischen  Literatur 
wegen  des  Charakters  und  des  Inhalts  seiner  Werke  nicht 
übergangen  werden  darf.  Seine  Auffassung  der  vergangenen  Ge- 
schichte war  reactionär 'katholisch ;  aber  das  Jesuitenthum  hatte 
in  ihm  nicht  die  Wahrheitsliebe  des  gelehrten  Historikers  und 
das  wanne  Gefühl  für  seine  Heimat  und  ihre  Vergangenheit 
vernichtet.  Er  gab  sich  dem  Studium  der  böhmischen  Ge- 
schichte hin;  aber  dieser  Gegenstand  schien  schon  an  sich  ver- 
dächtig, und  als  er  sein  Hauptwerk  ,,Epitome  rerum  hobemica- 
rum"  beendet,  lag  das  Buch  sieben  Jahre  bei  der  Censur  in  Wien 
und  Bom  und  dem  Verfasser  wurde  eine  Busse  auferlegt.  End- 
lich erschien  es  im  Jahre  1677,  dank  der  Verwendung  des  be- 
rühmten wiener  Bibliothekars  Lambecius  und  des  Grafen  Kinskj. 
Im  Jahre  1680  begann  Baibin  umfangreiche  „Miscellanea  histo- 
rica  regni  Bohemiae"  herauszugeben,  welche  eine  Menge  Nach- 
richten aus  der  Geographie,  Alterthumskunde  und  Geschichte 
enthalten.  Einige  Theile  dieses  Sammelwerks,  nämlich  diejenigen, 
welche  sich  auf  die  Geschichte  der  6echischeii  Bildung  beziehen, 
wurden  erst  lange  nachher  herausgegeben.  ■  W^ährend  der  «- 
littenen  Verfolgung  schrieb  Baibin  eine  warme  Vertheidigung  der 
6ecbischen  Sprache,  fiir  welche  damals  die  Zeit  des  grössten  Verfalls 
begann:  dieses  Buch  —  eins  der  bekanntesten  aus  der  Literatur 
der  slavischen  Renaissance  —  konnte  damals  nicht  ans  Licht 
treten  und  ward  erst  später  herausgegeben,   als  mit  den  ersten 


1  Bohemi»  docta.    EJ.  R.  tJngar  (l'ragae  1776—1780).    Pars  II.    Ed.  P. 
Caadidus.     Pragae  1777. 


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Dia  Wioderbelebong.  175 

Ansätzen  der  nationalen  Bewegung  Argumente  zu  ihrer  Verthei- 
dignng  nothwendig  wurden.  <  Baibin  regte  auch  seine  Freunde 
an,  die  böhmische  Geschichte  zu  Btudireti:  „Ee  gibt  keine  gros- 
so^ Freude,  ah  eich  darüber  zu  freuen,  daes  unser  Vaterland 
Bf)  Tiele  in  Krieg  und  Frieden  berühmte  Männer  erzeugt  hat, 
das  Vaterland,  welches  wir  jetzt  erniedrigt  sehen  und  beweinen. 
Arbeitet  an  der  böhmischen  Geschichte,  wenn  ihr  Müsse  habt 
—  denn  unter  uns  Cecben  sind  wenige,  die  ihre  Heimat  zu 
Bchätzen  wissen  und  die  weder  Gäste  noch  Fremdlinge  in  den 
vaterländiscben  Dingen  sind." 

Ausser  Baihin  schrieben  über  die  böbmisch-mährische  Ge- 
Bchichte:  Thomas  Pesina  von  Cechorod  (1629—1680),  Prie- 
ster, dann  Bischof,  der  einen  „Prodromus  Moravographiae  t.  j. 
Predchädce  Moravopisu",  IGG3,  und  einige  andere,  lateinische 
Werke  verfssste;  Johann  Beckovsky  (1658 — 1725),  dem  die 
„Botin  der  alten  böhmischen  Begebenheiten,  oder  böhmische 
Chronik"  („Poselkyne  etarjch  priblhäv  iesk^ch  aneb  Krouika 
ceskä",  I.  Th.  Prag  1700)  angehört,  wo  er  anfangs,  bis  1526, 
die  böhmische  Geschichte  nach  Häjek,  dann,  bis  Leopold  I. 
1C57,  selbständig  darstellt'-,  der  Kanonikus  Johann  Hammer- 
schmied (1658  — 1737).  Von  nichtgeistlichen  Personen  möge 
genannt  sein  Wenzel  Franz  Kozmanecky  (Kozmanecius  oder 
Kozmanides,  1607 — 79),  der  eine  kurze  Beschreibung  des  Dreissig- 
jährigen  Krieges  hinterliess,  ein  Tagebuch  der  Belagerung  von 
1648  und  einige  lateinische  und  6echische  scherzhafte  Stücke 
und  schlechte  Gedichte. 

Danach  aber  war  die  eigentliche  Hauptfrucht  der  katholi- 
schen Reaction  eine  ganze  Literatur  frommer  und  erbaulicher 
Bücher,  besonders  von  Jesuiten  verfasst.  Von  diesen  Schrift- 
stellern sind  die  bekanntesten:  Wenzel  Sturm,  der  übrigens 
noch  zur  vorhergehenden  Periode  gehört  (1533 — 1601),  Jesuit  und 
der  schlimmste  Gegner  der  Brüdergemeine;  Adalbert  Berlieka 
(Scipio  Vojt«ch  Sebestian  oder  Berli6ka  z  Cbmelöe,  geb.  1565, 


'  Diggertatio  apologetica  pro  liugua  glavonica,  praecipne  bobemica  (der 
nnprüngliche  Titel:  De  reg^i  Bohemiue  felici  quoDdam,  nunc  calamitoso 
otatn).  Heraasgegeben  von  Fr,  M.  Pelzel  (Prag  1715).  Ceobische  Ueber- 
wtzmig  von  E.  Tonner  (Prag  1869). 

'  Den  sweiten,  beBOndere  wichtigen  Tbeil  begann  lä(9  Ant.  Rezek 
heranszDgeben. 


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176  FüufteB  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

gest.  nach  1620),  Jesuit,  der  bei  dem  berühmten  Skarga  gebildet 
war;  Georg  Plachy  (oder  Jifi  Perus,  1686—1059);  Matthias  Wen- 
zel Steyer  (Steyr  oder  Styr,  1630—92),  Jesuit,  Begründer  der 
„St.  Wenzels-GesellBchaft"  zur  Herausgabe  öechischer  frommer 
Bücher,  der  unter  anderm  mit  den  Jesuiten  Konstanz  und 
Barner  ander  ,,St.  Wenzels-Bibel"  arbeitete;  Felix  Kadlinsk; 
(1613 — 75),  Jesuit,  wie  gewöhnlich  Verfasser  frommer  Büchlein, 
b^annt  als  guter  poetischer  Uebersetzer,  besonders  gilt  das  ans 
dem  Deutschen  übersetzte  „Zdoroslavläek  v  kratochvilnem  häjeöka 
postaven^"  („Trutznachtigall  etc.",  Prag  1665,  1726)  für  eins  der 
besten  Werke  der  damaligen  Literatur.  Endlich  war  auch  Schrift- 
steller der  in  seiner  Art  berühmte  Anton  Koniaä  (1(91  — 1760), 
das  Muster  eines  jesuitischen  Fanatikers,  der  ßechische  Bücher 
auBspionirte,  confiscirte  und  verbrannte.  Von  seinen  Werken  ist 
nur  eins  weiter  bekannt:  „Clavis  haeresim  claudens  et  aperiens, 
Kli£  kacirske  bludy  k  rozeznani  otvfrajici,  k  vykofeneni  zamy- 
kajici"  ein  Verzeichniss  der  verbotenen  Bücher,  d.  i.  der  alten 
iechischen,  nicht-jesuitischen  Literatur.' 

Das  Resultat  der  Arbeiten  solcher  Leute  war,  dass  nicht  nur 
die  öechiscbe  Literatur  verfiel,  sondern  dass  das  ganze  nationale 
Leben  dem  Untergange  nahe  war.'  Die  hohem  Klassen  wendeten 
sich  immer  mehr  von  der  öechischen  Sprache  und  Literatnr  ab, 
die  weder  einen  politischen,  noch  freigestalteten  religiösen,  noch 
poetischen  Inhalt  bot;  die  Literatur  reducirte  sich  auf  die  erbau- 
lichen Volksbüchlein  der  Jesuiten.  Daraus  erklärt  sich  zur  Genüge, 
warum  die  6echische  Sprache  auch  in  formaler  Beziehung  verfiel. 
Die  alte  literarische  Tradition  war  nicht  ungestraft-  abgebrochen 
worden:  die  Schriftgelehrten  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  be- 
gannen die  Bucbersprache  nach  ihrer  Weise  zuzuschneiden,  und 
ihre  Schriften  wurden  berühmt  als  Muster  von  Geschmacklodg- 
keit  und  Verunstaltung.  Solche  £echische  Tredjakovskijs  waren: 
Wenzel  Rosa  (gest.  1689),  Johann  Wenzel  Pohl  (gest.  1790)  und 
sein  Nachfolger  Maximilian  Schimek  (Simek  1748—98),  der  übri- 
gens einige  nützliche  Bücher  zur  Erforschung  des  Slaventhums  in 
deutscher  Sprache  schrieb.    Pohl,  Kammerthürbüter  am  kaiser- 


I  Heransgegebeu  in  KönigsgräU:  1739,  1749. 

*  UeI>eTdie  jeauilhche  Literatur  a.  Felzel,  „Böhmische,  iDabriicbe  nnd 
schleBiBche  (ielehrte  und  Schriftsteller  aoa  dem  Orden  der  Jesaittu"   (Prag 


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Die  Wiederbelebung.  177 

liehen  Hofe  zu  Wien  und  zugleich  Lehrer  der  iechischen  Sprache 
bei  den  Söhnen  Maria  Theresia's,  hrachte  Dobrovsky  zur  Ver- 
zweiflung, der  anch  im  Druck  mehrmals  gegen  die  ungeschickten 
\eaerungen  desselben  auftrat;  äechische  Historiker  bezweifeln 
nicht,  dass  die  Abneigung  Joseph's  II.  gegen  die  Cechische  Sprache 
dem  Eifer  Pohl's  zuzuschreiben  sei.^ 


4.    Die  WlederMehiing  der  Literatur  and  des  VolksUmms. 

Am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  erreichte  der  Verfall  der  Li- 
teratur die  letzte  Stufe.  Ein  äechisches  Buch  ward  zur  Selten- 
heit: neue  gab  es  nicht,  die  alten  waren  vernichtet.  Der  Fa- 
naUsmuB  der  Jesuiten  zerstörte  i^hische  Bücher  nach  alter 
Erinnemng  sogar  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhun- 
derts. Baibin,  ein  Patriot  nicht  nach  dem  Muster  seiner  Mit- 
brüder,  spricht  mit  Bedauern  von  dem  Schicksal  der  cechiBchen 
Bücher,  die  auf  Scheiterhaufen  verbrannt  und  als  ketzerisch  ver- 
nichtet worden,  selbst  wenn  nicht  einmal  etwas  über  Religion 
darin  stand.  Dies  war  am  Ende  des  17.  Jahrhunderte.  Im 
Jahre  1783  erzählt  Karl  Tham  in  seiner  „Vertheidigung  der 
iechischen  Sprache",  einem  der  ersten  Bücher  der  Renaissance: 
„Es  ist  bekannt,  dass  noch  vor  drei  Jahren  die  sogenannten  Or- 
donnanzen eingeführt  wurden,  welche  wie  hungerige  Wölfe  in 
allen  Gegenden  Böhmens  herumliefen,  jeden  Winkel  durch- 
suchten, und  wenn  sie  irgendwo  ein  (echisches  Buch,  gutes 
oder  schlechtes,  fanden,  es  ergriffen  und,  nachdem  sie  kaum 
hineingeblickt,  mit  Gewalt  wegnahmen  und,  ohne  etwas  in  den 
«^bischen  Büchern  zu  verstehen,  auf  solche  schimpften,  sie 
zerrissen  und  verbrannten." 

Den  ersten  Anstoss  zur  Weckung  des  Nationalbewusstseins 
gab  die  Regierung  Joseph's  U.,  obgleich  dies  gar  nicht  in  seinen 
Absichten  lag.  Es  war  das  Zeitalter  des  aufgeklärten  Absolutis- 
mus; Joseph  war  ein  Mann  mit  den  Ideen  der  französischen 
Philosophie,  der  nicht  nur  nicht  daran  dachte,  die  Sache  der 
Jesuiten    zu    unterstützen,    sondern   alle   ihre   Spuren    vertilgen 


'  „Wäre  doch  der  Beruf,  Seine  Majestät  in  der  böhiuiBcheD  Spraclie 
zu  DOterriobten,  einem  Manne  von  Geschmack  zutbeil  geworden",  Bchricli 
DobrovBky  im  Jahre  1792  (Gesch.  der  böhm.  Sprache,  S.  2U9). 

fmn,  SUTiHhs  Lltentnna.    II,  1.  lg 

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178  Füuftea  Kapitel.    I.  Diu  Rechen. 

wollte.  Der  Orden  selbst  war  vorher  aufgehoben  worden.  Ein 
Feind  des  klerikalen  ObscurantismaB,  wünschte  Joseph  aufrichtig 
die  Aufklämng  des  Volkes,  und  da  in  seinem  vielsprachigeD 
Reiche  die  Frage  nach  der  Sprache,  mittels  deren  die  Auf- 
klärung gegeben  werden  sollte,  eintrat,  entschied  er  sich  für 
die  deutsche.  Von  seinem  Standpunkte  aus  hatte  er  recht:  die 
deutsche  Sprache  hatte  (ausser  dass  sie  politisch  die  herrschende 
war)  damals  mit  Lessing,  Herder,  den  deutschen  „Aufklärern" 
eine  grosse  Bedeutung  für  die  Literatur  und  Bildung  erlangt  — 
während  wir  gesehen  haben,  in  welcher  überaus  mislichen  Form 
er  die  öechische  Sprache  kennen  gelernt  hatte;  aber  wenn  er 
auch  ihre  bessere  Seite  gekannt  hätte,  so  hätte  doch  die  seit 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  stehen  gebliebene  £ecbische  Lite- 
ratur noch  zuvor  sehr  bearbeitet  werden  müssen,  ehe  sie  mit 
Erfolg  der  neuen  Bildung  hätte  dienen  können.  Im  Jahre  1774 
ward  in  den  j^chischen  Schulen  und  der  Verwaltung  die  deuteche 
Sprache  eingeführt.  Den  Öechen  drohte  voUsüindige  Germanisi* 
mng:  die  Bildung,  welche  früher  die  neutrale  lateinische  Form 
trug,  begann  jetzt  eine  deuteche  Form  anzunehmen,  die  noch  ge- 
fährlicher fiir  die  Nationalität  war;  die  faöhern  Klassen  wurden 
fast  definitiv  zu  einer  deutschen  Aristokratie;  die  Volksmasso 
blieb  in  Unwissenheit. 

Aber  die  geplante  Germanisirung  brachte  auch  die  ersten 
Versuche  der  nationalen  Reaction  hervor,  welche  eine  neue  Pe- 
riode der  slaviscben  Literaturen  bezeichnet.  Die  Regierung  Jo- 
seph's  II.  selbst  brachte  die  Möglichkeit  nnd  die  Mittel  der 
Wiederbelebung.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daas  die  aufklä- 
rerischen und  humanen  Ideen  des  18.  Jahrhunderts,  deren  eitnget 
Froselyt  Joseph  war,  einer  der  Hauptfactoren  waren,  denen  die 
(echische  Literatur  ihre  Wiederherstellung  verdankt.  Die  Mass- 
regeln Joseph's  waren  gegen  die  Öechische  Nationalität  gerichtet, 
aber  gerade  sie  gaben  auch  die  Mittel  des  Kampfes  —  denjenigen 
Grad  politischer  und  religiöser  Freiheit,  der  von  selbst  die  ge- 
sellschaftlichen Kräfte  zur  Thätigkeit  anregte.  Die  Politik  Jo- 
seph's  war  für  die  Nationalitat  ebenso  gefährlich,  vrie  wobl- 
thätig  durch  diesen  anregenden  EinÖuss.  Die  bessern  Leute  der 
£echischen  Gesellschaft  wurden  durch  diesen  Ausschluss  äer 
^ecbischen  Sprache  aus  dem  Leben  sehr  betroffen  und  legten 
sich  die  Frage  vor:  hat  sich  wirklich  im  Volke  jede  Fähigkeit 
eines  nationalen  Bewusstseins  verloren,  oder  hat  man  es  nicht 

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Die  Wiedei'belebung.  179 

Tielmehr  nur  zu  wecken,  damit  es  sich  wiederbelebe?  Jetzt 
könnt«  man  einen  Versach  machen,  and  die  nationalen  Beetre- 
butigen  konnten  mit  eben  dem  Geiste  der  Zeit  parallel  gehen, 
der  die  Politik  Joseph's  II.  erzengt  hatte.  Der  Patriotismus 
der  leitenden  Personen  wirkte  in  den  Normen  eben  derselben 
Anfklämng  und  des  Volkswohles,  nur  auf  einem  andern  Wege: 
sie  begannen  sich  am  die  Erweckung  des  nationalen  Geistes  zu 
bemühen,  weil  ihnen  die  Volkssprache  als  das  beste  Mittel  der 
Volksbildung  galt.  Andererseits  weckte  die  Gefahr  der  Germa- 
nidning  historische  Erinnerungen,  die  so  lange  unterdruckt  waren 
und  nun  zu  einem  zweiten  WeikzcDg  für  den  Schutz  der  Natio- 
nalitäft  wnrden.  Aus  solchen  Quellen  ging  die  neue  Bewegung 
der  ^echischen  liiteratur  hervor,  welche  mit  dem  Namen  der 
Renaissance  bezeichnet  wird. 

Die  öechischen  HiBtoriker  tbeilen  gewöhnlich  die  Geschichte 
dieser  Renaissance  oder  der  neuern  (echischen  Literatur  in  drei 
Perioden:  die  erste  —  von  den  zwei  oder  drei  letzten  Jahrzehn- 
ten des  vorigen  Jahrhunderts  bis  zum  Jahre  1820;  die  zweite  — 
bis  1848,  und  die  dritte  —  bis  zur  Gegenwart.  Diese  Einthei- 
luDg  hat  in  der  That  ihren  Grund  in  den  besondern  Charakter- 
ZQgen  jeder  dieser  Perioden. 


Grosse  historische  Vorgänge  haben  gewöhnlich  weitreichende 
Wurzeln.  So  trat  auch  die  fiechische  Renaissance  zu  Tage,  aber 
sie  begann  nicht  erst  mit  den  letzten  Jahrzehnten  des  vorigen 
Jahrhunderts.  Ihre  entfernteste  Quelle  war  die  vergangene  Ge- 
schichte Böhmens,  und  jener  schwer  zu  entwurzelnde  nationale 
Instinct,  der,  so  sehr  er  auch  unterdrückt  sein  mag,  falls  er  nur 
noch  nicht  ganz  vernichtet  ist,  die  Fähigkeit  hat,  bei  der  ersten 
günstigen  Gelegenheit  Bchnell  wieder  aufzuleben.  An  der  cechi- 
sohen  Nationalität  war  so  viel  Gewalt  verübt  worden,  dass  es 
den  Anschein  haben  konnte,  als  sei  es  mit  ihrem  historischen 
Lehen  zu  Ende,  aber,  wie  wir  gesehen  haben,  zur  Zeit  des 
stärksten  Verfalls  war  dennoch  Nationalgefiihl ,  Anhänglichkeit 
an  die  eigene  Sprache,  an  die  Vergangenheit  des  eigenen  Vol- 
kes bemerkbar.  Zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  gewann  dieses 
Gefühl  neue  Kraft:   das  patriotische  Interesse  fiir  das  nationale 

12«      ,  .  . 

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XaO  Fünftm  Kapitel.    I.  Die  f^ecbeo. 

Alterthum  wurde  dnrcb  die  allgemeine  Entwickelnng  der  bistori- 
echen  WisaenBchaft  gefordert.  Die  ersten  wirksamen  Erwecker 
des  £echischen  Volkstbums  waren  gelehrte  Historiker,  dereo  Ar« 
beiten  (oft  nur  lateinische  und  deutecbe)  ihren  Mitbürgern  Liebe 
zur  Heimat  einflössten  und  den  Fremden  gegenüber  das  bistorische 
Recht  ihres  Vaterlandes  nachwiesen  und  vertbeidigten.  Der  zweite 
starke  Bundesgenosse  der  beginnenden  Bewegung  war  die  auf- 
klärende Richtung  der  Zeit,  die  znm  ersten  mal  die  freien  Be- 
Btrebungen  der  Gesellschaft  zum  Ausdruck  kommen  Hess,  während 
die  alten  Vormünder  derselben,  die  Jesuiten,  von  der  Bühne  ab- 
traten. Gerade  unter  solchen  Bedingungen  konnten  sich  überzen- 
gnngstreue  und  ihrer  Sache  ergebene  Männer  finden,  deren  Ar- 
beiten den  ersten  festen  Grund  für  die  Renaissance  legten. 

Bei  der  Eigenthümlicbkeit  der  Sachlage  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, dass  die  ersten  Leiter  der  Renaissance  nicht  bedeutende 
Schriftsteller  oder  Dichter  waren,  sondern  gelehrte  Historiker 
und  Philologen.  Die  alte  literarische  Ueberlieferung  war  so 
verkümmert,  so  verfolgt,  dass  man  glauben  konnte,  sie  habe 
gar  nicht  existirt:  die  vorhandene  Literatur  war  niedrig  und 
durchaus  nicht  geeignet,  einen  Ausgangspunkt  zu  bilden.  Man 
musste  die  Tradition  erneuem,  und  historische  Arbeiten  erecbie- 
uen  als  eine  Nothwendigkeit.  Nicht  zu  verwundern  ist  auch  der 
Umstand,  dass  die  ersten  Urheber  der  Renaissance  kaum  cechi- 
sche  Schriftsteller  genannt  werden  können:  sie  schrieben  weit 
mehr  deutsch  und  lateiniecb  als  6ecbisch. 

Der  älteste  in  dieser  Reihe  von  Arbeiten!  war  Gelasius 
Dobner  (1719—90).  Nach  Beendigung  des  Elementarunter- 
richts trat  er  früh  in  den  Orden  der  Fiaristen,  welcher  im  Unter- 
richtswesen  die  erste  Opposition  gegen  das  Jesuitenthum  bil- 
dete und  der  zu  derselben  Zeit  der  Bildung  in  Polen  bedeutende 
Kräfte  lieferte.*    Das  Leben  Dobner's  verlief  in   der  Tbätigkeit 


I  Der  volle  Titel  dieses  Ordena  ist:  Ordo  olericonun  regiil>Hiim  pMi* 
pemm  Matris  Dei  Boholamm  piamm.  Sein  Stifter  war  der  Spanier  Jo- 
seph CaUsanza  (15Ö6— 1648)  in  den  ersten  Jahren  des  17.  Jabrhuiidert*. 
Schon  in  der  ersten  Hälfte  diesea  Jahrhunderts  treten  die  Piariitea  in 
Oestorreich,  Polen,  Böhmen  und  Mähren  auf;  aber  der  Orden  war  noch 
nicht  zahlreich.  Vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  an  begann  er  sieh  hin' 
zu  vergrÖBserD  und  brachte  viele  bedeutende  Pädagogen  and  Gelehrte  her- 
vor,  die  einen  wohttbätigen  EinflnsB   auf  den  Chamhter  mid  die  Aoibra- 


.....Gooj^lc 


Die  Wiederbelebnng.  181 

eines  Lehrers  und  Rectors  an  den  Schalen  eeioes  Ordens  und 
in  historischen  Studien.  Eine  seiner  nichtigsten  Arbeiten  war 
die  Herausgabe  der  Chronik  Häjek's  (auf  Wunsch  der  i^chiscben 
Piaristen)  in  der  lateinischen  Uebersetzung  des  früher  erwähn- 
ten Viktorin.  Aber  Dobner  blieb  nicht  blosser  Herausgeber,  er 
fügte  der  Chronik  seinen  Commentar  bei  —  der  erste  Versuch 
einer  böhmischen  historischen  Kritik,  wobei  er  auf  die  Unhalt- 
barkeit  vieler  Fabeln  Hajek's  hinwies.  Gleichzeitig  sammelte  er 
Materialien,  schrieb  viele  Untersuchangen  Über  die  Kirchen-  nnd 
politische  Geschichte  Böhmens,  über  Alterthumskunde ,  Biblio- 
graphie u.  8.  w.  Sein  grosses  Verdienst  war  die  Begründung 
einer  böhmischen  historischen  Kritik;  dieses  Verdienst  schätzte 
der  sehr  anspruchsvolle  Schlözer  hoch,  indem  er  sagte,  dass 
Dobner  der  erste  Gelehrte  sei,  welcher  in  der  böhmischen  und 
polnischen  Geschichte  „delirare  desüt".  Ausserdem  brachte 
Dobner  auch  noch  einen  andern  praktischen  Nutzen  für  die 
Sache  der  (echischen  Nationalität:  er  erzog  eifrige  Nachfolger 
nnd  im  Jahre  1770  gründeten  diese  eine  private  gelehrte  Gesell- 
schaft, die  sich  der  Mathematik,  Naturwissenschaft  und  dem 
Studium  des  6echi3chen  Alterthums  widmete  and  sich  1784  in 
die  „Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften"  verwandelte.* 
Dobner  schrieb  nnr  lateinisch  und  deutsch. 

Die  erwähnte  gelehrte  Gesellschaft  wurde  hauptsächlich  durch 
dieBemübungen  Ignaz  Born's  (1742 — 91)  gegründet;  er  war  ein 
böhmischer  Adeliger,  gelehrter  Mineralog,  überhaupt  ein  aufge- 
klärter and  fteisinniger  Mann,  auch  Freimaurer.^  In  der  histo- 
rischen Abtheilung  der  Gesellschaft  sammelten   sich  um  Dobner 


tDDg  der  Bildang  ausübten.  Der  Eintritt  der  Piaristen  an  Stelle  der  Je- 
suiten war  ein  gänzlicher  Umschwung  im  Gange  der  öfientliehen  Bildung 
bei  den  Polen  und  bei  den  Ceoben.  Er  bedeutet  den  Uebergang  zu  der 
neuem,  ordentlichen  Schule,  und  den  Ersatz  des  jesuitiscbeD  Klerikalismus 
durch  einen  milden  Humanismus. 

'  Die  Hauptwerke  Dobner'B:  „Wencralai  Hsgek  a  Liboczan,  Annaies 
Bohemorum  e  bohemiea  editione  latine  redditi  etc."  (6Th1e.,  Pragl764— 86); 
„Monnmenta  historica  nusquam  antehao  edita"  (6  Thle.,  1764 — 86)  und  eine 
Beihe  Abhandlungen  in  den  Publioationen  der  erwähnten  Geaellschart. 

'  Unter  anderm  errate  er  in  den  freien  Zeiten  unter  Joseph  viel  Auf- 
sehen durch  seine  lateinische  Satire  anf  die  Mönche:  „Joan.  Fhirsiophili 
opera;  continent  Monachologiam,  accusationem  PhjBtophili,  defensionem 
Physiophili,  auatomiam  monachi"  {Aug.  Vind.  1784). 


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Ig2  FünfUs  Kapitel    I.  Die  (echen. 

jüngere  Kräfte:  Pelzel,  'Voigt,  Diaban,  Uiigar,  Ihirich,  Proch^ka 
und  vor  allen  Dobrovst^. 

Franz  Martin  Pelzel  (1734—1801)  war  einer  der  verdien- 
testen cechiscben  Fatriotea  jener  Zeit.  Ebenfalls  ein  Schüler 
der  Fiaristen,  ervrarb  er  sich  in  ihrer  Schale  und  auf  den 
Universitäten  Prag  und  Vvien  umfängliche  und  mannichfaltige 
Kenntnisse,  besonders  in  Geschichte  und  Literatur;  einige  Jahre 
verbrachte  er  als  Erzieher  in  de»  Häusern  böhmischer  Aristo- 
kraten, der  Grafen  Stemberg,  dann  der  Nostitz,  wo  er  Gelegen- 
heit hatte,  freundschaftliche  Verbindungen  mit  vielen  Gelehrten 
und  Patrioten  anzuknüpfen  j  spater,  als  1792  an  der  prager  Uni- 
versität zum  ersten  male  ein  Lehrstuhl  der  ^chischen  Sprache 
und  Literatur  errichtet  wurde,  ward  er  mit  Pelzel  besetzt. 
Seine  zahlreichen  gelehrten  Arbeiten  concentrirten  sich  auf  die 
böhmische  Geschichte  und  Sprache.  Das  erste  Werk,  welches 
auf  ihn  die  Aufmerksamkeit  der  Patrioten  und  des  gelehrten 
Publikums  lenkte,  war  eine  kurze  böhmische  Geschichte',  ver- 
fasst  auf  Veranlassung  von  Born;  der  Erfolg  des  Buches  zeigt«, 
welchem  dringenden  BedUrfniss  es  entsprach.  Im  Jahre  17T& 
veranstaltete  Pelzel  eine  zweite,  charakteristische  Publication  — 
die  erwähnte  „Apologie  der  Cechiscben  Sprache"  von  Baibin, 
welche  vom  Publikum  mit  so  warmer  Tbeilnahme  aufgenommen 
wurde,  dass  das  Buch,  obgleich  ordnungsmässig  mit  Bewilligung 
der  Censur  gedruckt,  doch  bald  verboten  und  confiscirt  wurde, 
Weiter  folgte  eine  Reihe  historischer  Untersuchungen,  wie  die 
Biographie  Karl's  IV.,  WenzeVs  IV.,  eine  Geschichte  der  böh- 
misch -  mährischen  Gelehrten  aus  dem  Jesuitenorden,  eine  Ge- 
schichte der  Deutschen  und  ihrer  Sprache  in  Böhmen,  viele 
biographische  Specialforschungen ,  endlich  Arbeiten  über  die 
Grammatik  der  (echischen  Sprache  u.  s.  w,'  Er  stellte  auch  eine 


'  „KnrzgefasBte  GaBohicbte  der  Böhmen,  von  den  iiieeiea  bis  «uf  die 
neuesten  Zeiten"  (Prag  1774,  1779,  1782). 

'  jJtaiBer  Karl  IV.,  König  von  Böhmen"  (1780—81)  and  „Apolt^e  de* 
Kaisers  Kart  IV."  (1786);  „LebensgeBchichte  des  römiaoben  nnd  bÖhmiBobtn 
Königs  Wenzestsus"  (1788-  90);  das  Werk  über  die  JeBnit«n  ist  oben  inge- 
führt;  „Oasohichte  der  Dentschen  und  ihrer  Spr&ohe  in  Böhmen"  (8TbU~ 
1788—91);  „Gmndsätie  der  böhm.  Grammatik"  (1795,  1798;  mit  Üoter- 
BtütEUDg  Dobrovsk^'s).  Mit  demselben  gab  er  die  „3eriptor«B  renun  hohe- 
mioarum"  (2  Thle.  1782—84)  berauB. 


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Franz  Martiu  Pehel.  183 

^echiBche  Bibliographie  gedruckter  Bücher,  von  deren  erEtem 
Erscheinen  bis  1708,  und  eine  Uehersicht  der  cechischen  Litera- 
tar  znaammen,  aber  die&e  Arbeiten  blieben  unedirt.  Endlich 
aDtemabm  er  es,  seine  Geschichte  in  CechiBcbcr  Sprache  und 
ausführlicher  zu  bearbeiten:  es  war  dies  die  „Neue  böbmiscbe 
Chronik"  („Novd  kronika  Coskä"),  in  drei  Bänden  1791 — 96,  bis 
zum  Jahre  1378  geführt;  der  vierte  Band,  bis  1429  reichend, 
bheb  unedirt.  Die  (Sechischen  Historiker  meinen,  dass  Pelzet  mit 
seinen  Arbeiten  wahrscheinlich  mehr  als  alle  seine  Zeitgenossen 
rar  Weckung  des  Nationalgefühls,  zur  Bearbeitung  der  Sprache 
tmd  Literatur  beigetragen  habe.  Seine  „Böhmische  Chronik" 
vurde  ein  populäres  Buch.  Seine  persönlichen  Beziehungen  zur 
böhmischen  Aristokratie  setzten  Pelzel  in  den  Stand,  auch  hier 
Liebe  zum  decbischen  Alterthum  und  Volksthum  zu  verbreiten, 
wie  er  es  mit  seineu  Büchern  unter  den  Bürgern  und  Bauern  that. 
Von  den  andern  Gelehrten  und  Schriftstellern  dieses  Kreises 
nennen  wir  noch  Nikolaus  Voigt  (mit  seinem  Mönchsnamen 
AdauctUE  a  S.  Germano,  1733 — 87),  ebenfalls  ein  eifriger  Alter- 
thumsforscber;  im  Verein  mit  Pelzel,  Rigger  u.  a.  gab  er  Por- 
träts fechischer  Gelehrten  und  Künstler  mit  kurzen  Biogra- 
phien, ferner  Materialien  zur  GeBchichte  der  Sechiscben  Literatur 
heraus.'  Karl  Ungar  (mit  Mönchsnamen  Rafael,  1743 — 1807), 
gelehrter  Humanist,  Professor  der  Theologie  und  Bibliothekar 
der  prager  Universität,  Herausgeber  von  Balbin's  „Bohemia 
docta"  (3  Bde.  1776 — 80),  war  auch  ein  eifriger  Patriot,  und 
sein  besonderes  Verdienst  bestand  in  der  Bereicherung  der  Uni- 
versitätsbibliothek; er  sammelte  für  sie  überall,  wo  er  nur  konnte, 
alte  dechische  Bücher  und  Handschriften  —  die  noch  vor  gar 
nicht  langer  Zeit  die  Jesuiten  zu  verbrennen  pflegten.  Wie  Voigt, 
schrieb  auch  er  lateinisch  und  deutsch.  Ferner  war  einer  der 
bedeutendsten  Gelehrten  jener  Zeit  Wenzel  Michael  Duricb  (mit 
Mönchsnamen  Fortonatus,  1738 — 1802),  Orientalist  und  eifriger 
slaviBcher  Alterthumsforscber ,  der  Dobrovsky  zum  Studium  des 
Altslavischen  aufmunterte.    Sein  Hauptwerk  auf  diesem  Gebiet^ 


'  „Efßgies  virornm  emditomm  et  artifioum  cum  brevi  vitae  operumque 
enaneralioue"  (4  Bde.,  Prag  1773— 82);  „Acta  litteraria  Bohemiae  et  Mora- 
TiM"  (2  Bde.,  X77i-83). 

'  ,3ibliotheca  elavioa  antiquiminiae  dlalocti  commnuiB  et  eooleaiaeticae 
e  Slavonim  geatis"  (1793). 


.....Gooj^lc 


184  Fünfice  Kapitel.    L  Die  Cechen. 

Bollte  die  politische,  kirchliche,  literarische  und  Cnltnrgeschichte 
des  alten  Slaventbums  umfassen,  hÜeb  aber  beim  ersten  Theile 
stehen.  Ein  Schüler  und  Genosse  Durich's  war  Franz  Pro- 
cbäzka  (mit  Mönchsnamen  Faustinuß,  1749-^1809):  er  trat  früb 
in  den  Psulaner-Orden  ein,  wo  Durich,  der  demselben  Orden  an- 
gehörte, auf  seine  Begabung  aufmerksam  wurde;  Durich  oster- 
Btutzte  ihn  nicht  wenig  im  Studium  der  orientalischen  und  claa- 
sischen  Sprachen  und  auch  der  fiechischen  Sprache,  Geschichte 
und  Literatur.  Die  erste  wichtige  Arbeit  Froch&zka's  war  eine 
neue  von  ihm  und  Durich  verbesserte  Ausgabe  der  öechischen  ka- 
tholischen Bibel,  auf  Wunsch  Maria  Tberesia's.  Die  Ausgabe  (nach 
der  Yulgata)  erschien  1778 — 80,  und  Dobrovek^  nannte  sie  eine 
classische  Arbeit.  Darauf  nahm  Procb&zka  in  yerscbiedener  Weise 
an  den  literarischen  Interessen  jener  Zeit  theil.  Die  Lektüre  der 
altöechischen  Literatur  gab  ihm  eine  solche  Kenntniss  der  Sprache, 
dass  sich  damals  in  dieser  Beziehung  niemand  ihm  gleichstellen 
konnte.'  Indem  er  sich  um  die  Hebung  der  öechiscben  Sprache 
bemühte  und  den  Mangel  an  neuen  Büchern  fiir  das  Volk  sab, 
begann  er  alte  Cecbische  Bücher  neu  zu  drucken;  darauf  nahm  er 
wieder  die  Bearbeitung  der  öechischen  Bibel  vor,  und  gab  1786 
das  Neue  Testament,  neu  aus  dem  griechischen  Urtext  übersetzt, 
heraus.  Im  Jahre  1804  erschien  eine  neue  Aasgabe  der  öechi- 
scben Bibel,  mit  Varianten  und  erklärenden  Anmerkungen.  In- 
zwischen wurde  er  zum  Vorsteher  aller  böhmischen  GymoasicD 
gemacht  und  verwaltete  nach  Ungar  die  Universitätsbibliothek. 
Aber  der  vomehmste  Vertreter  der  Bewegung  in  der  Jo- 
sephinischen  Zeit  war  der  berühmte  Abbe  Joseph  Dobrovskj, 
dessen  Wirksamkeit  über  die  Grenzen  der  öeohischen  Nationali- 
tät hinausging  und  eine  grosse  historische  Bedeutung  für  das 
gesammte  Slaventhum  hat.  Joseph  Dobrovsk^  (1753—1829; 
eigentlich  Doubravsky,  sein  Name  war  aber  von  dem  ihn  tanfeuden 
Priester  des  Begiments,  in  dem  sein  Vater  diente,  ialsch  einge- 
sebrieben  worden)  wurde,  da  er  die  Kinderjahre  in  einer  deut- 
schen Stadt  verbrachte,  in  deutscher  Sprache  erzogen,  cechisch 
lernte  er  erst  später,  nannte  aber  dennoch  das  Öechiscbe  seine 
Muttersprache.    Im  Jahre  1786  bezog   er   die  prager  Universi- 

>  Eina  seiner  bekaanteaten  Werke  war:  Misoellaneen  der  böhm.  snd 
mähr.  Literatur,  Beltener  Werke  und  Teraohiedeaer  UandBchriften  (3  Bd«. 
Prag  1784-86). 


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Jusoph  Dobrovsk^.  185 

tat,  leakte  durch  seine  Fähigkeiten  die  AufmerkBamkeit  auf  eich, 
und  die  Jesuiteu  suchten  ihn  für  ihren  Orden  zu  gewinnen: 
1772  trat  er  wirklich  als  Novize  in  Brunn  ein,  aber  schon  im 
folgenden  Jahre  ward  der  Orden  aufgehoben  und  Dohrovsky 
kehrte  nach  Prag  zurück.  Hier  machte  er  sich  eifrig  an  dag 
Stodiam  der  orientalischen  Sprachen,  was  ihn  Durich  nahe- 
hrachte:  1777  lieferte  DobrOYsk^  schon  Artikel  in  die  „Orien- 
talische Bibliothek"  des  berühmten  Michaelis.  Noch  vor  Be- 
endigung seiner  theologischen  Studien  ward  er  als  Lehrer  der 
Philosophie  und  Mathematik  in  das  Haus  des  böhmischeu 
Aristokraten,  Grafen  Nostitz  (in  der  Folge  Statthalters  von 
Böhmen)  berufen,  wo  Pelzel  die  Erziehung  der  Söhne  des  Gra- 
fen leitete.  Dieser  letztere  forderte  Dohrovsky  zum  Studium 
der  böhmischen  Geschichte  und  Literatur  auf,  und  die  Anregun- 
gen Felzel's  und  Durich^s  legten  den  Grund  zu  den  Arbeiten 
und  zn  dem  Kuhme  Dobiovsky's.  Im  Hause  der  Nostitz  ver- 
brachte Dohrovsky  die  besten  Jahre  seines  Lebens,  177U — 87; 
wegen  seines  feinen  und  vortrefflichen  Chaiakters  ward  er  zum 
Liebling  der  Familie  und  kam  hier  mit  den  besten  Männern 
seines  Vaterlandes  in  Berührung.  Bald  begann  er  seine  gelehr- 
ten Untersuchungen  auf  dem  Gebiet  des  böhmischen  Alterthuma 
und  der  Literatur;  in  ihnen  zeigte  sich  eine  kiitische  Kraft,  die 
ihm  in  kurzer  Zeit  grossen  Gelehrtennif  brachte.  Im  Jahre  1783 
wnrde  er  unglücklicherweise  auf  der  Jagd  durch  einen  Schuss 
in  die  Brust  gefährlich  verwundet;  man  heilte  ihn,  aber  die 
Kugel  blieb  im  Körper,  —  diesem  Umstand  schrieb  Dohrovsky 
die  Geisteskrankheit  zu,  die  ihn  iu  den  spätem  Jahren  perio- 
disch befiel.  Im  Jahre  1786  Hess  er  sich  zum  Priester  weihen, 
um  das  Rectorat  des  „Generalseminars"  zu  erhalten;  aber  die 
Stellung  vmr  nicht  von  langer  Dauer,  da  nach  dem  Tode  Jo- 
seph's  II,  alle  Generalseroinare  aufgehoben  wurden;  Dohrovsky 
fand  abermals  seine  Zuflucht  bei  den  Nostitz  und  widmete  sich 
ausschliesslich  seinen  historischen  Arbeiten  über  Geschichte 
des  Slaventbums,  über  das  böhmisch  -  mährische  Alterthum  und 
dessen  Literatur.* 


'  Wir  verzeichnen  einige  eeiner  Werke.  Sein  erster  Yersnoh  war :  „Frag- 
mentnm  Prsgense  evangelii  S.  Harci,  vulgo  autographi"  (1778)  wo  er  aaoh- 
wies,  dase  die  Handschrift  dieses  Evangelinrns ,  welche  in  Frag  aufbewahrt 
wurde  and  für  ein  Autograph  desAposteU  galt,  dnrchans  nicht  von  diesem 

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186  FüDftcB  Kapitel.    I.   Die  Ceuhen. 

Im  Jahre  1791  wohnte  der  Kaiser  Leopold,  nach  seiner  Krö- 
nung in  Frag,  einer  Sitzung  der  gelehrten  Gesellschaft  bei  (ein 
Jahr  vorher  war  ihr  der  Titel  „königlich"  verliehen  worden) 
und  Dohrovsk^  sprach  in  der  von  ihm  dabei  geleeenen  Bede  die 
Bitte  aus,  dasB  der  König  „das  Öechi&che  Volk  bei  seiner  Mutter- 
sprache, diesem  theuem  Erbe  der  Vorfahren,  gegen  Vergewaltig 
gung  schützen  möge".  Im  Mai  1792  begab  sich  Dobrovsky  im 
Auftrag  der  Gesellschaft  nach  Schweden,  um  in  den  dortigen 
Bibliotheken  nach  Handschriften  zu  suchen,  welche  die  Schwe- 
den im  DreissigjährigcD  Kriege  aus  Böhmen  und  Mahren, 
besonders  aus  Prag  im  Jahre  1648  mit  fortgeführt  hatten, 
doch  waren  die  Recherchen  nicht  sonderlich  erfolgreich,'  Aus 
Schweden  reiste  Dobrovsk]?  nach  Petersburg  und  Moskau,  was 
für  «eine  Studien  sehr  wichtig  war,  und  kehrte  im  Februar  1793 
zurück.  Im  folgenden  Jahre  reiste  er  mit  seinem  Zögling  in 
Süddeutschland  und  nach  Venedig ,  femer  bereiste  er  allein 
Oesterreich  und  Ungarn,  und  Böhmen  durchwanderte  er  kreuz 
und  quet  zu  Fuss,  Im  Jahre  1795  traf  ihn  zuerst  ein  Anfall  yon 
Geisteskrankheit,  mit  der  er  lange  zu  thun  hatte,  zu  seiner 
Heilung  beschäftigte  man  ihn  mit  Gartenbau  und  Botanik  — 
dies  wirkte  wohlthätig  auf  ihn,  und  er  schrieb  später  sogar 
nicht  ohne  Erfolg  über  Botanik.  Seit  dem  Jahre  1803  lebte 
er  in  Prag  und  war  Gast  bei  seinen  aristokratischen  Freunden, 
den  Nostitz,  Sternberg,  Öerni'n.  Die  gelehrten  Arbeiten  über 
das  höhmische  Alterthum  sowie  über  die  (Sechiscbe  und  slaviEcbe 
Sprache  nahmen  ihren  Fortgang  und  erlangten  die  Bedeutnug 
einer    grossen    wissenschaftlichen  That.^     Seine  Grammatik   der 


geechrieban  sei.  Vod  1779  ao  gab  er  in  Heften  hereaB:  „Die  Böhmisclte 
Literatur",  „üeher  den  Ursprung  des  Naroeiu  Techeoh"  (1782,  bei  Feliel'i 
Qescbichtc  üübmena);  „H iBtoriiich-kri tische  Untereuchnngeii,  woher  die  SlaTcn 
ihren  Namen  erhalten  haben"  (1T84,  in  „Abhandl.  einer  PrivatgeBelUchaft''); 
„Deber  dio  ältesten  Sitze  der  Slaven  in  Europa"  (1788,  bei  Monoe's  Ge- 
BOhichte  Mährens);  „Geaohiohte  der  böhmischen  Sprache  und  Literatur' 
(1791,  in  den  Abhandlungen,  und  begonders  in  neuer  Bearbeitui^,  1T9S). 

1  In  unserer  Zeit  wurden  sie  von  Beda  Dudik  TerrollEtändigt;  vor 
einigen  Jahren  sind  die  Handschriften  selbst  von  Schweden  znrückgegeb«ii 
worden  und  befinden  sich  jetzt  in  Brunn. 

°  „Kritische  Versuche,  die  ältere  böhmische  Oeschit^tc  von  sp&tem  Er- 
dichtungen zu  reinigen"  (1803 — 19);  „Lehrgebäude  der  böhmiichen  Spncfae" 
(1809, 1819);  „Entwurf  eu  einem  allgem.  Etjmologikon  dar  aUviBidian  Spn- 


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Joseph.  DobrovBkJ.  187 

(iecbischen  Sprache  diente  als  Muster,  nach  welchem  die  Gram- 
matiken anderer  slavischer  Dialekte  hcarbeitct  wurden.  Mach 
der  Stiftung  des  Böhmischen  Museums,  1818,  nahm  Dobrovsky 
von  Anfang  an  theil  an  der  Yerwaltung  desselben  und  später, 
seit  1827,  an  den  vom  Museum  veranstalteten  Publicationeu. 
Im  Jahre  1822  erechien  sein  bedeutendstes  Werk  —  die  erste 
Bestaurirung  der  altslaTischen  Sprache:  „Institutiones  linguae 
slavicae  dialecti  veteris"  (Wien).  Im  Jahre  1828  hatte  er  einen 
Denen  Anfall  seiner  Krankheit,  sein  allgemeiner  Gegundheitszu- 
stand  begann  zu  sinken,  und  er  starb  im  Januar  1829.^ 

Dobrovsky  erwies  der  6echischen  und  überhaupt  der  slavi- 
sehen  RenaissaDce  grosse  Dienste.  Durch  seine  historisch-philo- 
logischen  Untersuchungen  warf  er  zum  ersten  mal  Licht  auf  das 
slarische  Alterthum,  zeigte  den  engen  verwandtschaftlichen  Zu- 
sammenhang der  Stämme  und  Dialekte  und  die  Möglichkeit  einer 
nationalen  Forschung,  that  sehr  viel  zur  Fixirung  der  £echischen 
Sprache.  Seine  Arbeiten  hatten  schon  einen  gesammtslaviscben 
Charakter  und  übten  eine  mächtige  Wirkung  ans.  Das  cechisctie 
Nationalgefuhl  begann  sich  auf  die  allgemein-slavische  historische 
Grundlage  zu  stützen.  Ihn  erkannte  man  als  den  Patriarchen  der 
slavischen  Wissenschaft  an.  Aber  die  Resultate  seiner  Wirksam- 
keit waren  zum  Theil  umfassender,  als  er  erwartet,  oder  ganz 
anderer  Art,  als  er  sie  vorausgesetzt  hatte.  Gerade  die  Be- 
lebung der  ^echischen  Literatur,  welche  seinen  Arbeiten  so  viel 
zu  danken  hat,  erschien  ihm  selbst  als  ganz  fem  oder  gar  als 
unmöglich  —  ausser  etwa  im  Bereich  der  populären  Literatur; 


eben"  (1814);  „GeBchiohte  der  böhm.  Sprache  uad  altem  Literatar.  Ganz 
oingearbeitete  Ausgabe"  (1818);  „CyriU  und  MetKod,  der  Slaven  ApoBteV 
(1823);  „Die  Mährische  Legende  von  Cyrill  and  Method"  (1827).  Zwei 
Bände  gesaminelter  historiBch- philologischer  UnterBuohungen ;  „Slavio" 
(1806,  und  dazu  Olagolitica,  180T)  und  „Slovanka"  (1814,  1815). 

'  F.  Palttoky,  „Joseph  Dohrovsk^'s  Lehen  und  gelehrtes  Wirken" 
(Prag  1833);  dasselbe  russisch  von  A.  CarBkij  (Moskau  1838).  J.  Hauul, 
JLitet&CDi  pfisobeni  Jos.  Dohrovskeho "  (io  den  Denkscliriftea  der  böhm. 
Gesellschaft  der  WisseuBohaften,  1867-  Bd.  XT).  Erst  in  den  letzten  Jahren 
sind  Bruchstücke  seiner  Correspondenz  gedruckt  worden,  z.  B.  mit  Uanka 
(im  Casopis,  1870),  mit  Kopitar,  Jak.  Grimm  u.  a.  (in  Jagii's  Archiv,  Bd.  1, 
II,  IV  und  in  der  Correspondenz  Vostokov's  im  „Sbom.  Akad."  V.  St  Pe- 
tersburg 1873).  Vgl.  noch  Ä.  Vrtätko,  „Hsnka  a  DobrovskJ  v  pomSru 
k  sobS  etc."  (Casopis  1871). 

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Igg  Fünfte»  Kapitel.     L  Die  Öeohen. 

das  böhniiscbe  Altertbum,  die  Geschichte,  die  Sprache  erschie- 
nen ihm  nur  als  Gegenstand  TrisBenBchaftlicber  Untersachung: 
,4asst  die  Todten  in  Ruhe",  sagte  er  und  schrieb  ft^t  ausschUesG- 
Hch  deutsch,  auch  lateinisch,  aber  nur  eehi*  wenig  cecbisch. 
Allein  die  wissenscbafitliche  Untersuchung  brachte  nicht  bloss 
einen  Gewinn  in  abstracto,  wie  Dobrovsky  meinte,  andere  führte 
die  Sache  weiter  schon  mit  offenen  nationalen  Zielen,  die  in  der 
Oeffentlichkeit  und  im  Volksleben  immer  mehr  Raum  einzaneh- 
men  begannen:  als  Stütze  dienten  die  wissenschaftlichen  Arbeiten 
der  Josephinischen  Periode,  in  denen  DobroTsk^  der  oberste 
Rang  zukommt. 

Neuere  öechische  Schriftsteller  ^  bedauern  eine  Schwäche  Do- 
broTsk^'s,  den  reizbaren  Starrsinn,  mit  dem  er  sich  neuen 
Ansichten  widersetzte,  und  den  sie  theilweise  ans  seiner  Krank- 
heit erklärten.  Als  Beispiel  wird  die  „  bedanerliche  Thateache" 
angeführt,  dass  Dobrovsky  scharf  gegen  die  „ältesten  Denk- 
mäler der  £echibchen  Literatur"  auftrat,  die  damals  eben  ent- 
deckt wurden  und  „am  meisten  zur  Belebung  und  Verjüngung 
des  Volksgeistes  beitrugen",  besonders  gegen  das  „Gericht  der 
Libusa",  welches  er  für  das  Werk  eines  zeitgenössischen  Fäl- 
schers hielt;  dass  er  gegen  dasselbe  auftrat,  ohne  es  noch 
gesehen  zu  haben.  Aber  dieselben  Schriftsteller  geben  auch 
zu,  dass  man  „ihm  mit  Unrecht  den  Vorwurf  gemacht  habe, 
als  sei  er  einer  bessern  Ueberzeugung  ganz  unzugänglich  ge- 
wesen ,  —  was  auch  dadurch  bewiesen  werde ,  dass  er  im  Lauf 
deiner  Untei-suchungen  mehrmals  seine  Ansicht  über  viele  Gegen- 
stände geändert  habe";  sie  loben  an  ihm  „die  wahre  Bescheiden- 
heit des  grossen  Geistes",  weisen  auf  seine  immer  bewahrte 
feine  Art  in  den  Beziehungen  zu  andern  hin.  Danach  kann 
man  seine  Feindschaß  gegen  die  „ältesten  Denkmäler"  der  £eohi- 
schen  Literatur  nur  damit  erklären,  womit  sie  auch  tbatsächlich 
erklärt  wird,  mit  seiner  Ueberzeugung  von  ihrer  Unechtbeit; 
mit  einer  solchen  Ueberzeugung  konnte  sich  Dobrovsky  ganz 
vrofal  strenge  gegen  einen  im  Gebiete  der  Wissenschaft  und  des 
Nationalgefühls  angestifteten  Betrug  verhalten,  und  konnte  das 
„Gericht  der  LibuSa"  verdächtigen,  obwol  er  es  nicht  gesehen 
hatte,  weil  er  eben  seine  Leute  kannte.  Wenn  neuere  Cechische  und 
andere  slavische  Kritiker  aufs  neue  zu  der  Ansicht  Dobrovskj's 


'  JireEek,  Vrtätko,  Jak.  Malj!  u.  s 


.,Güoglf 


Die  Zeiten  Joseph'»  II.  Ig9 

ztuückkehren ,  bo  erscheint  ihnen  derselbe  jetzt  noch  mehr 
als  früher  als  ein  grosser  kritischer  Geist  und  reiner  Charakter. 
Wie  vir  gesehen  haben,  waren  die  Urheber  der  iechischen 
Wiederbelebung  in  der  Joseph)  nischen  Periode  grÖBsteutheils 
Geistliche  —  ohne  Zweifel  deshalb,  weil  in  dieser  Sphäre  am 
meisten  äussere  Möglichkeit  gelehrter  Beschäftigungen  vor- 
handen war ;  das  patriotische  Gefühl  zog  zum  Studium  des 
Alterihums  hin  und  der  Zeitgeist  vertrieb  in  Oeäterreich  selbst 
den  alten  Fanatismus  und  gab  einem  freiem  Verhältniss  zum 
Alterthum  Baum.  Freilich  sahen  die  Behörden  auch  jetzt  nicht 
ganz  T ertrau ensTO  11  auf  den  erwachenden  Localpatriotismus,  — 
aber  jedenfalls  waren  andere  Zeiten  gekommen.  Die  nationale 
Bewegung  erstarkte  noch  mehr,  als  das  Bewusstsein  vom  Er- 
wachen des  Gesammtetammes,  von  dem  gesammtslavischen  Zu- 
Bammenhange  auftauchte  and  den  einheimischen  Bestrebungen 
ZQ  Hülfe  kam. 

Von  dei'  Josephini sehen  Zeit  an  äusserte  sich  die  Renaissance 
in  einer  ganzen  Reihe  literarischer  Erscheinungen,  die  das  alt- 
mähliche  'Wachsen  derselben  anschaulich  vor  Äugen  stellen. 
Anfangs  waren  es  gelehrte  Untersuchungen,  die  sich  anf  das 
böhmische  Alterthnm  und  die  böhmische  Geschichte  richteten; 
dann  kam  die  eifrige  Vertheidigung  der  literarischen  Bedeutung 
und  der  Rechte  der  ^chischen  Sprache;  ferner  neue  Ausgaben 
der  alten  Literatur,  die  ihre  frühern  Reichthümer  zeigen  und  die 
unterbrochene  Tradition  erneuern  sollten;  endlich  eine  neue  lite- 
rarische Thätigkeit. 

Oben  sind  die  zahlreichen  Arbeiten  gelehrter  Historiker  an- 
geföhrt,  welche  von  Dobrovsky  zum  Abschluss  gebracht  wurden. 
Die  J^chische  Sprache  aber  war  so  vulgär  geworden,  dass  sich 
die  Patrioten  genöthigt  sahen,  ihre  Rechte  zn  vertheidigen, 
Achtung  vor  ihr  zu  fordern,  zuzureden,  man  möge  sie  sprechen 
und  schreiben  aus  Liebe  und  Ächtung  für  die  Heimat.  Im  Jahre 
1774  gab  Graf  Franz  Kinsky  darüber  eine  deutsche  Schrift 
heraus';  1775  druckte  Pelzel,  wie  früher  erwähnt,  die  „Apo- 
logie" Balbin's;  1778  gab  der  Augustiner  Joseph  Täborsky  eine 
kurze  Beschreibung  des  6echischen  Landes  in  alter  und  neuer 
Zeit  heraus,   und  im  Vorwort  ermahnt  er  seine  Landsleute,  die 


'  „Erinneningen    eines   Böhmen    über    eioen    wichtigen    Gegenstand" 
(1774). 


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190  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Öeuhen. 

Heimat  und  die  heimische  Sprache  zu  lieben';  1783  gab  Ksri 
Tham  eine  warm  geschriebene  Schrift  über  diesen  Gegenstand 
heraus',  der  von  da  an  zum  gewöhnlichen  Thema  der  patrio- 
tischen Erbauungen  wird,  u.  s.  w.  Um  eine  Lektüre  in  der  vat^- 
ländischen  Sprache  zu  geben  und  zugleich  an  das  ruhmvolle 
Alterthum  zu  erinnern,  begann  man  Werke  der  alten  Literatar 
zu  drucken.  Pelzel  gab  ansser  Balbin's  Apologie  die  „Abenteuer" 
des  Vratislav  von  Mitrovic  heraus  (1777);  Faustin  Prochäzka  in 
den  Jahren  1786 — 88  eine  ganze  Reihe  alter  Bücher:  die  Buna- 
lauer  Chronik  (Dalimil),  die  Chronik  Pulkava'e,  die  Reise  Prefit's 
von  Vlkanov  nach  Venedig  und  Jerusalem;  Tomsa  druckte  die 
"Werke  Lomnicky's;  1782  ward  Komensk^'s  „Labyrinth  der  Welt" 
herausgegeben  n.  s.  w.  Dobrovek^  begann  Untersuchungen  über 
die  alten  Denkmäler,  und  in  den  Publicationen  Hanka's  eracU«- 
nen  mannichfache  Texte  aus  altöechiscben  Handschriften  („Sta- 
robylä  Skladanie"  u.  a.) 

Schon  mit  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  taucht  ein  gan- 
zer Kreis  patriotischer  Schrifteteller  auf,  welche  eiMg  an  der 
Wiederherstellung  der  Literatur  arbeiteten.  Dahin  gehören  ausser 
den  früher  erwähnten:  Johann  RuUk  (1744^1812),  WenzelMat- 
thias  Kramerius  (1759  —  1808);  Johann  H;^bl  (1786—1834); 
Karl  Ignaz  Tham  (1763-1816),  der  die  erwähnte  „Vertheidi- 
guttg"  schrieb,  und  sein  jüngerer  Bruder  Wenzel;  Anton  Jaroslar 
Pnchmayer  (1769—1820);  Adalbert  Nejedly  (1772— 1844)nnd 
seinBruder  Johann (1776— 1835);  Sebastian  Hnevkovst^  (1770 
—1847);  der  oben  erwähnte  Franz  Johann  Tomsa  (1753—1814), 
der  unter  audemi  eine  fUr  ihre  Zeit  wichtige  Schrift  über  die 
historischen  Veränderungen  der  dechischen  Sprache  verfaaste.' 
In  Mähren:  Hermann  Gallaä  (1756—1840);  Thomas  Frydaj, 
1759—1839);  der  Planst  Dominicus  Kinsky  (1777—1848).  Bei 
denSloraken:  Bohuslav  Ta,blic,  Georg  Falkovid  u.a.,  tob 
denen  weiterhin  die  Rede  sein  wird. 

'  Kratke  Wfpg&nj  ZemS  Cleske,  uieb  Zuämost  wwech  Uht,  HMcB, 
Hrada,  Zimka  n.  s.  w.  (Prag  1778;  mit  dem  Motto:  Tarpe  e«t  pertgri- 
nam  esBe  in  pstria). 

*  „Obraaa  jazjka  Ceekäbo  proti  zlobiv^  jelio  utrhaSäm"  (1783).  Der 
mähriBohe  Gelehrte  und  Publicist,  Haoke  von  Hankenstein,  gab  ebenhll' 
ilnmalB  eine  „Empfehlang  der  bühmiBchen  Sprache"  (1762,  1783)  lieraai. 

'  „Ueher  die  Veränderungen  der  ^cchiscLeD  Sprache,  nebst  einer  feob. 
Chrestomathie"  (1801). 


.....Gooj^lc 


Die  ersten  Schritte  der  Literatur.  191 

An  diese  Scbrifteteller  scIilieBsen  sich  unmittelbar  die  folgen- 
den Generationen  an.  Zu  thun  gab  es  viel.  Die  zunächst  vorlie- 
genden Anfgaben:  die  Vertheidigung  der  Existenzberechtigung  der 
Sprache  nnd  der  NationaUtät,  die  Restaurirung  dar  Vergangen- 
heit, verlangten  auch  in  der  zweiten  Generation  Arbeit;  endlich 
war  es  nothwendig,  eine  neue  Literatur  zu  schaffen,  die  den 
wirklichen  Bedürfnissen  des  Volkes,  den  herrschenden  Formen 
und  dem  Inhalt  der  neuem  Zeit  entspräche,  die  Sprache  zu  bil- 
den u.  s.  w.  Unter  den  genannten  Männern  gab  es  kein  Talent 
ersten  Ranges,  es  waren  Leute  mit  den  bescheidensten  Fähigkeiten, 
aber  ihre  Aufgabe  war  populär  nnd  sie  waren  von  patriotiBchem 
Eifer  erRillt.  Sie  gaben  alte  cechiscbe  Bücher  heraus,  verfassten 
Grammatiken  und  Wörterbücher,  —  wie,  nach  Dobrovsky,  Tomsa, 
Karl  Tham;  gaben  unterhaltende  und  belehrende  Schriften  für  das 
Volk  heraus,  —  wie  besonders  Kramerius',  übersetzten  aus  frem- 
den Literaturen;  riefen  6echische  Zeitungen  und  Journale  ins 
Leben,  —  wie  Kramerius,  Rulik,  Johann  Nejedly  („HIasatel"); 
machten  Versuche  eines  dechischen  Ibeaters,  —  wie  die  Brüder 
Tham,  von  denen  der  jüngere,  selbst  Schauspieler,  viele  Stücke 
für  das  beginnende  Theater  schrieb,  Komödien  sowol  wie  patrio- 
tische Dramen  (vlasteneckä  hry),  wie  sie  damals  schon  aufkamen, 
and  endlich  vieles  aus  dem  Deutschen,  Französisclien  und  Ita- 
lienischen übersetzte.  Es  beginnen  die  eigentlich  poetischen  Ver- 
SDcbe  von  Wenzel  Tham^,  besonders  aber  die  Gedichte  Fucb- 
mayer's,  der  das  Haupt  der  ersten  neu^echischen  Dicbterscbule 
wurde,  und  dem  sich  Hnevkovsky,  Adelbert  Nejedly,  Joseph 
Rantenkranz  u.  a.  anschlössen.  Diese  Poesie  war  durchaus  nicht 
selbständig,  fand  auch  dazu  keine  Stütze,  weder  in  grossen  Ta- 
lenten noch  in  der  Ueberlieferung :  die  alte  Literatur  lag  zu 
fem  und  gab  keine  Nahrung  für  die  neue  Zeit;  die  Volkspoesie 
galt  noch  nicht  der  Beachtung  werth;  es  blieben  nur  fremde, 
besonders  deutsche,  pseudoclassische  Muster  übrig,  mit  belehren- 
der Tendenz.  Das  Publikum  war  noch  wenig  zahlreich,  wenig 
vorbereitet,  in  den  Anforderungen  sehr  bescheiden. 

Am  nächsten  lagen  deutsche  Muster:  Büi^er,  Gleim,  Weisse, 
auch  Goethe    und    Schiller.     Zu  Anfang    unsers    Jahrhunderts 


'  Tgl.  die  Schrift  von  Ad t.  Rybi&ka  „iivot  a  pSBobem' V.  M.  Eraroe- 
riiwa"  (Prag  1869). 

*  „Buna  V  feil  v&zane"  (1785),  nnoh  sehr  schwach. 


.u.,GüOg[f 


192  Ffinftee  KapiUl.    I.  Die  Öeohen. 

beherrschte  den  (jeschmack  in  der  iechischen  Poesie  die  Geas- 
ner'sche  Idylle:  Gessner  wurde  übersetzt  von  Jobann  Nejedl/, 
Dlaba6,  Hanka,  Chmel;  man  liebte  anch  Florian,  übersetzte 
Theokrit ,  femer  Young's  „Nacht^edanken " ,  MontesqoieD's 
„Tempel  Ton  Knidos";  es  gefiel  die  moralieirende  Idylle  und 
der  MjsticJsmus.  In  der  eigenen  Poesie  traten  anch  Idyllen- 
dichter  auf  und  dank  dieser  Richtung  hatten  die  sentimentalen 
Lieder  Hanka's  grossen  Erfolg  .  .  .  Dieses  Vorherrschen  der 
Idylle  war  begreiflich.  Das  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
kannte  überhaupt  keinen  poetischen  Realismus;  in  den  populären 
Formen  der  Literatur  herrschte  die  Verstandespoesie  vor,  das 
Gefühl  ging  in  Sentimentalität  über,  das  Volksleben  in  die  Idylle. 
Wie  in  der  russischen  Literatur  des  vorigen  Jahrhunderts,  so 
entsprachen  auch  hei  den  Oechen  diese  Motive  vollkommen  der 
Zeit  und  der  Gesellschaft.  Die  Gessner'sche  Idylle  passte  vor- 
trefflich zu  der  beginnenden  Literatur,  zu  den  bescheidenen  An- 
forderungen der  Gesellschaft,  zu  dem  Bedürfniss  des  Lesers,  in 
Büchern  Erbauung,  sentimentale  Träumereien  zu  finden,  nidit 
die  rauhe  Wirklichkeit,  mit  der  man  noch  nicht  zu  kämpfen 
gedachte.  * 

Wie  in  Russland  im  18.  Jahrhundert  war  die  Literatur  voll- 
kommen mit  sich  selbst  zufrieden  und  meinte,  dass  sie,  deutsche 
und  andere  fremde  Dichter  wiederholend,  schon  grosse  Schrift- 
steller besitze  und  keinen  Grund  habe,  jemand  zu  beneiden. 
Die  Schriftsteller  lobten  einander.  „Wenzel  Tham  zeichnet  sich 
durch  Bürger'scben  Geist  aus.  Die  Oden  Puchmayer's  erinnern 
an  die  Erhabenheit  des  Horaz,  in  den  Fabeln  wetteifert  er  mit 
Lafontaine.  .  .  .  Die  Fabeln  Adalbert  Nejedly's  athmen  den  Geist 
Virgirs,  seine  Stanzen  nähern  sich  denen  Tasso's.  Johann  Ne- 
jedl;^,  unser  erhabener  Cicero,  hat  bewiesen,  dass  er  ein  £echi- 
scher  Tyrtaus  und  Alcaus  sein  könnte.  .  .  .  Georg  Palkovife  könnte 
für  die  Cechen  Horaz  sein.  Bohuslav  Tablic  wird  uns  Tibull 
und  Haller  sein.  In  Ro^naj  wohnte  der  Geist  Anakreon's  und 
Bion^B.  ...  In  der  Geschichte  hat  Professor  Kinsky  mit  seinen 
«Fragmenten«  gezeigt,  dass  er  den  Fusstapfen  Tacitua'  folgen 
werde  u.  s.  w."    Mit  Unwillen  wies  man  den  Vorwurf  zurück,  bei 


<  S.  die  ChiirakieriBtik  dieser  Zeit  hei  Jirefek:  „0  Btavn  literatar; 
Ceske  V  letech  18ir.-2Ü"  (Casopis  1878);  Ferd.  Schule  über  die  Eooh,  BU- 
Inde  und  Romanze  (im  Journal  „OflT^ta",  1877). 


....,  Google 


Die  ersten  Schritte  der  Literatnr.  193 

den  Cechen  „gäbe  es  blBher  keinen  Homer,  Petrarca,  Cämoens, 
Milton,  Klopstock",  weil  jedes  Volk  doch  etwas  Eigenes  habe, 
vas  kein  anderes  Volk  besitze.' 

In  der  ersten  Zeit  musste  noch  eine  bedeutende  Schwierig- 
keit überwunden  werden.  Gleich  von  Anfang  an  stellte  sich 
eine  Frage  ein,  die  dann  lange  die  £echiscben  Schriftsteller  be- 
schäftigt hat,  —  die  Frage  der  Sprache.  Die  Schriftsprache 
war  stehen  geblieben,  wie  sie  der  Verfall  der  Literatur  im 
iT.  Jahrhundert  getroffen  hatte;  theils  war  sie  sogar  vom  Volke, 
ias  lange  keine  Bücher  hatte,  vergessen,  tbeils  verdorben  durch 
die  Schrißgelehrten  des  17. — 18-  Jahrhunderts,  und,  jedenfalls 
war  sie  nicht  ausreichend  für  die  neuem  Begriffe.  Wenn  so- 
nach die  Literatur  nicht  hinter  der  Zeit  zurückbleiben  oder 
über  das  Elementarbnch  hinausgeben  wollte,  so  war  es  DÖtbig, 
eine  neue  Sprache  zu  schaffen.  Die  cecbiscben  Schriftsteller 
beschäftigten  sich  eifrig  mit  dieser  Angelegenheit;  aber  schon 
bald  kamen  Streitpunkte  zum  Vorschein.  Die  einen  (an  ihrer 
Spitze  Jobann  Nejedly,  der  Nachfolger  Pelzel's  auf  dem  Lehr- 
stuhl der  techischen  Sprache  an  der  prager  Universität)  mein- 
ten, die  neue  Literatur  müsse  ohne  Veränderungen  die  Sprache 
der  Zeiten  Veleslavi'n's  —  des  alten  „goldenen  Zeitalters"  — 
annehmen ;  andere  fanden,  dass,  durch  welche  Vorzüge  sich  auch 
jene  Sprache  zu  ihrer  Zeit  ausgezeichnet  habe,  sie  doch  für 
die  Gegenwart  ungenügend  sei.  Ein  streitiger  Punkt  war  auch 
die  techische  Versbildung;  die  einen,  wie  Dobrovsky,  legten  ihr 
den  Accent  zu  Grunde,  die  andern  vertheidigten  die  metrische 
ProEodie;  auch  kam  es  zum  Streit  über  die  Rechtschreibung. 
...  Nach  vielen  Anstrengungen,  Zweifeln,  Fehlern  gelang  es 
den  öechischen  Schriftstellern,  schon  in  der  neuen  Generation, 
die  Hauptgrund  lagen  der  Literatursprache  festzustellen;  nach 
einigen  Jahrzehnten  war  die  Cechische  Sprache  schon  reich 
genug,  um  in  befriedigender  Weise  sowol  dem  Dichter  wie  dem 
Gelehrten  zu  dienen.  Aus  nationaler  Eitelkeit  wurden  die  cechi- 
schen  Schriftsteller  extreme  Puristen:  ihnen  beliebte  es,  alle 
Denen  Begriffe,  die  in  die  Literatur  zu  bringen  waren,  mit  öechi- 
schen  Worten  anszudrücken ,  und  sie  bildeten  sogar  in  denjeni- 

>  Das  alles  findet  skh  inderSohnft  von  8eb.  Hnivtiovsk^,  „Zlomky 
o  5««kem  bäanictvi  (Prag  18S0),  und  seine  Augicht  bildete  darclisue  keine 
AtuDahme  in  seiner  literarisohen  Schule. 

Ptfiw,  SUTlHb«  LiMrManD.    n,S. 


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194  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Cechen. 

gen  wissenschaftlichen  Gehieten,  wo  alle  europäischen  Völker 
unbedenklich  griechische,  lateinische  u.  e.  w.  Worte  annehmen 
(z.B.  Physik,  Chemie,  Botanik,  Geologie  u.  s.  w.),  eine  neue 
Terminologie  aus  volksthiimlichen  Worten,  denen  sie  einen 
neuen  Siun  gaben,  und  übersetzten  überhaupt  (oft  buchstäbUch) 
fremde  Worte,  besonders  deutsche,  sodass  in  der  ersten  Zeit  — 
und  noch  ziemlich  lange  nachher  —  die  neue  Literatursprache, 
die  vysoka  £eltina  (das  Hochöechisch)  selbst  für  die  (^ecben, 
welche  nur  die  gewöhnliche  Umgangssprache  kannten,  wenig  ver- 
ständlich war. 

Dieses  Resultat,  die  Bildung  einer  neuÖecbischeD  Literatur- 
sprache, gehört  schon  der  zweiten  Periode  der  cechischen  Wie- 
derbelebung an.  —  Die  Torhereitende  Periode,  von  der  wir 
bisher  sprachen,  ging  nicht  umsonst  vorüber:  in  der  folgenden 
Generation  treten  wirkliche  Talente  in  der  Poesie,  bedeutende 
Arbeiten  in  der  Wissenschaft  auf,  das  Niveau  des  Nationai- 
bewusstseins  hebt  sich,  die  Interessen  der  Gesellschaft  selbst 
wachsen. 


Ungefähr  voinjalire  1820  an  reebnen  die  Cechischen  Schrift- 
steller im  allgemeinen  die  zweite  Periode  der  „Renaissance".' 
In  dieser  Zeit  betreten  in  den  Reihen  der  neuen  Generation 
Männer  den  Schauplatz,  welche  später  als  grosse  Gelehrte  und 


I  Das  iutereBBMite  Schickssl  der  EechiBohen  RenaiBsauoe  hat  nocb  nicht 
Beine  zusaiDineiifBsaeDde  Geschichte.  Den  VerBaoh  einer  golohen  Geschiclite 
vom  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  an  bilden  die  Schriften  von  Jak.  M>l^ 
„Zpomfnky  a  livahy  stareho  vlastenoe"  („Erinnerungen  und  Betrachtangen 
eines  alten  Patrioten"  Pr^l8T2;  eine  Zeit  in  Oesterreich  verboten;  meriwh  in 
„Slav.  Ezegodnik"  II.,  Kiew  1877)  und  „Naäe  znovuzrozeni"  („Unsere  Wieder- 
belebung, UeberBicht  des  feuhischen  Volkslebens  nährend  der  letzten  tvatäg 
Jahre",  Prag  1880).  —  Reiches  Material  zu  einer  solchen  Geschichte  vüiden 
die  Biographien  der  öechischen  Schriftsteller  geben.  Der  allgemeine  Gwg 
der  politischen  Ideen  im  öaterreicbischen  Stsventhnm  mit  ihren  Befielen  in 
der  Literatur  ist  sehr  anschaulich  und  unparteiisch  in  den  Arttkehi  tob 
Job.  Perwolf  dargestellt:  „Slavjanskoe  dviienie  v  Avstrii  1800—1848  g." 
(„Die  slavische  Bewegung  in  Oesterreich  1800—1846",  Russk.  B«  1879, 
Heft  7—9).  Die  Bewegung  des  Jahres  1848—49  ist  von  demselben  eirihlt 
in  „TSstnik  Evropy"  1879,  4.  Heft. 


D,9:.z.a.,  Google 


Gründung  des  BötunischeD  MuBeamt.  195 

Dichter  berühmt  waren  —  Jungmann,  Safafik,  Palacky,  KoJlär, 
Celakovslty;  es  bildet  sich  ein  Gentrum  der  literansch -patrioti- 
schen Thätigkeit  durch  die  Gründung  des  Böbmischen  Museums; 
einen  starken  Eindruck  machte  die  Entdeckung  alter  Denkmäler 
der  (echischen  Literatur. 

Das  nationale  Interesse,  geweckt  durch  die  Führer  der  Jose- 
phinischen  Periode  und  ihre  nächsten  Nachfolget,  breitete  sich 
allmählich  in  der  Gesellschaft  aus.  Das  Nationalitätsgefübl 
ist  in  den  Massen  sehr  langlebig,  vielleicht  noch  mehr  dort, 
wo  ein  Volk  von  ganz  fremden  Elementen,  die  es  immer  an 
seine  Besonderheit  erinnern,  umgeben  und  mit  ihnen  veräochten 
ist;  selbst  nach  jahrhundertelangem  Druck  kann  es  erwaohen 
und  aufs  neue  die  Geister  beleben,  sobald  sich  ihm  nur  ein 
Stützpunkt  bietet.  In  der  Josephinischen  Periode  blitzte  es  so- 
gar in  der  höhmischen  Aristokratie  auf,  so  verdeutscht  sie  auch 
war:  die  Restauriiung  des  Alterthums  konnte  für  sie  nur  etwa 
ein  genealogisches  Interesse  haben,  nichtsdestoweniger  fanden 
sich  im  Kreise  der  Aristokratie  einige  Mäcene,  deren  gesell- 
schaftliche Stellung  die  nationalen  Unternehmungen  förderte. 
Aber  das  Haupteon tingent  der  Patrioten  sammelte  sich  aus 
der  mittlem,  weniger  germanisirten  Klasse  und  vor  allem  aas 
der  Klasse  der  Laudieute,  wo  sich  die  ^chische  Nationalität 
am  meisten  erbalten  hatte.  Aus  der  Landbevölkerung  gingen 
viele  der  bedeutendsten  Vertreter  der  neuöechischen  Literatur 
hervor. 

Eine  besondere  Unterstützung  gab  dem  national-patriotischen 
Gefühl  die  Gründung  des  Böhmischen  Museums.  Im  Jahre 
1818  erliess  Graf  Kolovrat  Libsteinsky  einen  Aufruf  an  die 
„vaterländischen  Freunde  der  Wissenschaften",  und  das  Museum, 
auf  Subscription  eröffnet,  bereicherte  sich  bald  durch  zahlreiche 
Spenden  an  Büchern,  alten  Handschriften,  Antiquitäten,  natur- 
wissenschaftlichen Sammlungen  u.  s.  w.  Graf  Kaspar  Sternberg 
war  der  erste  Präsident  der  gelehrten  Gesellschaft,  welche  sich 
beim  Museum  bildete.'  Ins  Museum  gelangte  unter  andern  die 
Königinhofer  Handschrift    und    in   demselben  Jahre  ward   das 


'  Die  Geschichte  des  Mueeuma  ward  von  V.  MebeskJ  verfssst  und 
1S6S  denUoh  ODd  techisch  beim  fünfzigjährigen  Jabilänm  der  Gründang 
dfla  Hosenms  herauBgegeben ;  Sreznevskij,  „Vospominanija  o  CeSikom  Mn- 
zei"  {ZapUki  Akod.  Nauk  1869,  XIV.  Bd.). 

18* 


hr^...,L,oogk 


196  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Öeolieii. 

„Gericht  der  LibuSa"  diesem  zugesandt.  Um  dae  Museum  con- 
centrirte  sich  die  gelehrte  Thätigkeit;  in  den  zwanziger  Jahren 
begann  die  Museums -Gesellschaft  ihre  Zeitschrift  herauszugeben, 
die  noch  jetzt  fortbesteht  unter  dem  Titel  „Öasopis  Ceskeho 
Museum"  und  viele  Materialien  und  Untersuchungen  über  die 
^cbische  und  slariscbe  Literatur  und  Geschichte  bietet.'  Im 
Jahre  1830  wurde  bei  der  Museums-Ges^schaft  eine  Abtheilnng 
für  VervollkommnuDg  der  6ecbiecben  Sprache  und  Literatur  er- 
öffnet, und  zur  Herausgabe  guter  öechischer  Bücher  eine  be- 
sondere. Verlagsanstalt  unter  dem  Namen  Matica  (1831)  ge- 
gründet; der  Gedanke  selbst  und  die  Bemühungen  um  seine 
Verwirklichung  gehören  hauptsächlich  einem  zweiten  Sternherg, 
I<Yanz,  an. 

Die  Entdeckung  der  Königinhofer  Handschrift  und  des  „Ge> 
richts  der  Libuäs"  brachte  einen  um  so  starkern  Eindmck  her- 
vor, als  die  patriotische  Begeisterung  gerade  damals  Nahrung 
für  den  Nationaletolz  suchte.  Die  neuere  Kritik  findet  in  diesem 
Antriebe  auch  die  Quelle  der  Entdeckung. 

In  den  letzten  Jahren  neigen  sich,  wie  wir  früher  gesehen 
haben,  die  Meinungen  der  slavischen  und  selbst  ^ecbischen  Ge- 
lehrten immer  mehr  der  alten  Meinung  zu,  welche  von  allem 
Anfang  an  das  „Gericht  der  Libusa"  und  selbst  die  Königinhofer 
Handschrift  verdächtigte,  von  den  andern  Werken  gar  nicht  zu 
reden.  Die  Beweise  Feifalik's,  das  Schweigen  Miklosich's,  die 
bedeutungsvollen  Zweifel  Jagi^'s,  die  gelegentlichen  aber  treffen- 
den  Bemerkungen  Wocel's,  die  bibliographischen  Tbatsachen, 
die  Gehauer  nachwiess,  die  kritischen  Untersuchungen  von  Petra- 
sevi£,  Sembera,  Makugev,  Lamanskij,  Vaäek,  die  unzweifelhaften 
Nachweise  der  Fälschungen  in  der  „Mater  Verborum"  durch 
Fatera,  die  Versuche,  das  Alterthum  der  „Görlitzer  Fragment«" 
zu  leugnen,  die  nachgewiesenen  neuen  Radirungen  in  der  KÖnigin- 
hofei'  Handschrift,  —  diese  ganze  Masse  von  Argumenten,  die 
sich  besonders  in  den  letzten  drei  bis  vier  Jahren  angehäuft 
haben  und  von  den  Yertheidigero  der  Echtheit  der  genannten 
Denkmäler  wenig  widerlegt  worden  sind,  nöthigen  den  unpar- 
teiischen Beobachter,   sich  wenigstens  historischer  Folgerungen 


'  „Ukuatel  k  prvnim  50  roEnikSm  Cuopisu  Hnsea"  a.  8.  w.  („Kegirtcr 
zu  den  eraten  50  Jatirg.  des  Csaopis")  bearbeitet  vom  Caatoa  der  Toi'.- 
Bibliothek  Wenzel  SchuU,  Prag  1878. 


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Die  Entdeckung  der  alten  Denkmäler.  197 

Über  das  cecbische  Alterthuin  auf  Grund  jener  Denkmäler  zu 
enthalten. 

Allein,  was  diese  Werke  auch  in  den  Augen  der  nenern  skep- 
tischen Kritik  sein  mögen,  sie  wirkten  auf  den  Gang  der  6echi- 
sclien  Wiederbelebung  bo  stark,  als  wenn  sie  echt  altertbümlicb 
gewesen  wären.  Da  sie  bei  den  Patrioten  als  solche  galten, 
da  die  Zweifel  an  ihrer  Echtheit  bei  Dobrovskj?  der  Grämlich- 
keit des  Alters,  bei  dem  „Mephistopheles"  Kopitar  der  Feind- 
schaft gegen  die  (^echi sehen  Gelehrten  zugeschrieben  wurden, 
60  konnte  es  nicht  anders  sein,  als  dass  sie  das  NationalgefUhl 
hoben.  In  der  That,  das  hohe  Alterthum  von  Liedern  wie 
„ZäboJ"  oder  des  „Gericht  der  Libuia",  das  in  die  heidnischen 
Zeiten  zurückreicht,  zeigt  eine  alte  Cultur,  wie  sie  kein  anderer 
slavischer  Stamm  aufzuweisen  vermag;  die  Königinhofer  Hand- 
schriß,  —  das  kleine  Fragment  eines  grossen  Ganzen  —  eröffnete 
plötzlich  mehrere  Cyklen  alter  Poesie;  ferner  die  „Görlitzer 
Fragmente",  die  „Mater  Verborum"  und  ziemlich  lange  sogar 
das  „Lied  unter  dem  Vysehrad"  und  das  Lied  des  Königs  Wenzel 
—  alles  das  bildete  einen  Gegenstand  nationalen  Stolzes  und 
in  den  Literaturen  anderer  Stämme  erkannte  man  diesen  als 
ganz  berechtigt  an.  Die  slavische  Nationalromantik,  welche 
sich  damals  der  Erforschung  und  Verherrlichung  des  Alterthums 
zuwendete,  fand  im  „Gericht  der  Libusa"  und  in  der  Königin- 
hofer Handschrift  eine  ihrer  besten  üeberlieferungen.  Die  Dich- 
tungen wurden  auch  in  der  europäischen  Literatur  bemerkt, 
wo  man  früher  von  Vuk's  serbischen  Liedern  entzückt  war. 
Goethe,  das  Orakel  der  deutscheu  Literatur,  erkannte  die  hohe 
Bedeutung  der  Königinhofer  Handschrift  für  die  Cecbische  Ent- 
wickelung  an,  und  dies  konnte  die  Feinde  der  nationalen  Be- 
wegung zurückhalten.  Der  Einfluss  dieser  Denkmäler  auf  die 
cechische  Literatur  unterliegt  keinem  Zweifel. ' 

Als  die  ersten  Zweifel  vergessen  waren,  benutzten  die  cechi- 
schen  Historiker  kühn  diese  Wirkung  und  vriesen  mit  Unwillen 
die  skeptische  Kritik  zurück,  besonders  als  Feindseligkeit  gegen 
die  £echische  Nationalität.^    Die  Sache  nahm  jedoch  eine  andere 

'Vgl.  Nebesky,  „Kralodv.  Rukopia",  S.  141  u.  f. 

'Aus  einer  Menge  von  Beispielen  führen  wir  die  Worte  V.  Zelen^'s 
an,  in  dem  Artikel  über  die  {echische  Literatur,  Slovnik  Nau&n^,  II. Bd., 
1.  Abth.  S.  432:   ;,Ea  ist  kein  Wunder,   daSB  diejenigen,  welolie,  von  Uasa 

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198  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Öscheu. 

Wendung,  wenn  die  Kritik  richtig  war.  Die  Gegner  der  Denk- 
mäler konnten  darauf  hinweisen,  und  haben  ea  zum  Theil  ge- 
than,  dass  sich  diese  Angelegenheit  Bchliesslich  als  ein  grosser 
Schaden  für  die  6echi8che  Literatur  herausgestellt  habe.  Gleich- 
viel in  welcher  Ausdehnung,  es  sind  Fälschungen  nachgewiesen; 
sie  waren  freilich  eine  pia  frans,  aber  ihr  Verschweigen  oder  ihre 
Yertheidigung  erzeugt  einen  peinlichen  Eindruck,  um  so  mefar, 
als  durch  sie  nicht  blos  die  cechische,  sondern  überhaupt  die 
slaTische  Erforschung  des  AlterthumB  verdreht  worden  ist  und 
eine  illusorische  Vergangenheit  geschaffen  wurde,  welche  die 
Geister  von  den  wirklichen  Vorzügen  und  wahrhaft  bedeutsamen 
Erscheinungen  des  £echiscben  Alterthums  ablenkte. 

Man  muss  wünschen,  dass  sich  die  patriotischen  Gelehrten 
unter  den  Cechen  aufrichtig  bemühen  werden,  die  Sache  siue 
ira  et  studio  klar  zu  legen,  was  sicher  nur  zum  wahren  Nutzen 
des  (echischen  Nationalhewusstseine  dienen  wird. 


Zu  Ende  des  18-  Jahrhunderts,  als  sich  die  ersten  nationalen 
Bestrebungen  zeigten,  und  noch  in  den  ersten  Jahren  des 
19.  Jahrhunderts  bemächtigte  sich  der  ^echischen  Patrioten 
mehrmals  schwerer  Zweifel  —  ob  sie  nicht  Zeugen  der  letzten 
Tage  ihres  Yolksthums  seien;  aber  dies  hinderte  sie  nicht,  trotz- 
dem angestrengt  zu  arbeiten;  nach  der  richtigen  Bemerkiiog  eines 
dechischen  Historikers  leitete  sie  das  „edle  Gefühl  der  Pflicht", 
bis  zur  letzten  Minute  bei  ihrem  Volke  zu  stehen,  und,  wenn 
möglich ,  den  ihm  drohenden  Untergang  abzuwenden.  Diese 
Thätigkeit,  fast  ohne  Hoffnungen,  aber  mit  tiefer  Anhai^lichkeit 
an  das  eigene  Volk,  wenn  auch  in  seiner  letzten  Stunde,  flösst 
grosse  Hochachtung  ein,  und  es  sind  jetzt  viele  der  Meinung, 
dass  die  Urheber  des  Werkes  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
(wie  Dohrovsky)  stärker  an  Geist  und  Charakter  waren,  als  ihre 
populären  Nachfolger  in  nnserm  Jahrhundert. 

Die  ersten  Schritte  der  neuen  6echi&chea  Literatur  waren 
schwach  und  schwankend,  aber  die  angestrengte  Arbeit  der  Pa- 
trioten bewirkte,  dass  die  Nation  erwachte.    Ausser  den  innem 


geblendet,  bei  den  Blavischan  Tölkern  jede  originale  Bildung  leugnen,  Tor 
allem  ihre  Pfeile  gegen  diese  kostbare  Huidsobrirt  (d.  i.  die  KöDigiiihof«r) 
riahten,  als  das  beredteste  Zeuguisa  der  slavisclien  Bildung." 


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JoBepli  Jungmonn.  199 

Umstandeu,  welche  wir  erwähnten,  hatten  darauf  ohne  Zweifel 
auch  äussere  Ereignisse  Einfluss  —  nämlich  die  Bewegung  in 
der  slavischen  Welt,  welche  auch  bei  den  Cecheu  Stammessym- 
pathieu  und  Hoffnungen  weckte:  die  rusaisch-französischen  Kriege 
und  die  Be&eiung  Serbiens. 

Im  dritten  Decennium  des  19.  Jahrhunderts,  als  Dobrovsky 
seine  Laufbahn  endete,  wirkte  iu  der  öechiechen  Literatur  schon 
eine  ganze  Reihe  Schriftsteller,  die  in  dem  Erbe  der  Vorgänger 
eine  feste  Grundlage  für  weitere  Arbeiten  fanden,  und  obgleich 
der  Zweifel  einige  von  ihnen  beschlich,  arbeiteten  sie  im  all- 
gemeinen doch  schon  mit  bestimmten  Hoffnungen  für  die  Er- 
weckuDg  der  Nationalität.  Unter  ihnen  waren  schon  oftmals 
echte  Kinder  des  Volkes,  die  nach  Absolvirung  der  Schule  die 
Reihen  des  gebildeten  Mittelstandes  vermehrten  und  ihm  ftische 
Völksthümlichkeit  einimpften;  beim  Betreten  der  literarischen 
Laufbahn  vergaesen  sie  nicht  die  Bedürfnisse  des  Volkes  und 
sollten  für  dasselbe  als  die  Quelle  der  nationalen  Kraft.  In 
der  Stimmung  der  Fühi-er  jener  Zeit  war  viel  Idealismus,  der 
geduldig  arbeiten  half  für  ein  hohes  Ziel,  ohne  sich  von  den 
Schwierigkeiten  beirren  zu  lassen;  die  Liebe  zur  Nationalität 
war  mit  Sentimentaliät  gefärbt  und  gestaltete  eich  zu  einer 
romantischen  Theorie.  Es  waren  die  Zeiten  der  Heiligen  Al- 
lianz; ein  politisches  Leben  existirte  nicht,  um  so  mehr  be- 
schränkte sich  der  Patriotismus  auf  eine  friedliche  Weckung 
des  Nationalgefühls,  auf  die  Erziehung  der  Gesellschaft  in  diesem 
Sinne.  Das  Gebiet  der  Bewegung  war  nicht  gross;  dafür  waren 
die  noch  nicht  zahlreichen  Schriftsteller  nicht  durch  politische 
Meinungen  getrennt,  sammelten  sich  im  Gegentheil  in  einen  Kreis 
unter  dem  Druck  der  äussern  Verhältnisse.  Hier  traten  die 
ersten  Panslavisten  auf,  die  entweder  die  alte  Einheit  der  sla- 
vischen  Welt  historisch  restaurirten  und  ihre  gegenwärtigen 
Stämme  verglichen,  oder  poetisch  die  slavische  Einheit  der  Zu- 
kunft begrüBsten.  Dies  lenkte  auf  die  ^echische  Literatur  die 
Aufmerksamkeit  der  slavischen  Patrioten  der  andern  Stämme  — 
—  und  bildete  ihr  neues  historisches  Verdienst, 

Das  war  der  Charakter  der  zweiten  Periode  der  iechischen 
Kenaissance.  Wir  wollen  bei  den  hauptsächlichem  Förderern 
derselben  verweilen. 

Der  älteste  von  ihnen  war  Joseph  Jungmann  (1773 — 1847). 
Er  war  der  Sohn  eines  Leiheigenen,  der  Küster  war  und  sich 

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200  FünfteB  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

auch  mit  dem  Schulimacherhandwerk  beschäftigte.  Die  Heimat 
Jungmann's,  Hndlitz,  war  eine  Besitzung  der  Fürsten  Färstenberg 
und  Jungmann  erhielt  eret  1799,  beim  Eintritt  ins  Lehramt,  die 
Urkunde,  welche  ihn  und  seioe  Kachkommen  von  der  Leibeigen- 
schaft befreite.  Er  besuchte  erst  die  deutsche  Schule  der  näch- 
sten Stadt,  dann  das  Fiaristengymnasium  zu  Prag,  zuletzt  die 
prager  UniTersität,  in  eehr  bedrängteu  materiellen  VerhältnisseD; 
schon  auf  dem  Gymnasium  gab  er  Unterricht,  um  sich  uod 
später  noch  zwei  jüngere  Brüder  zu  erhalten.  Auf  der  UniTcr- 
sität  absolvirte  Jungmann  zunächst  die  philosophische  Facultst, 
dann  die  juristische,  in  der  Absicht,  sich  die  juristische  Garriere 
zu  sichern;  seine  Studien  beschloss  er  1799.  Die  Universität  war 
damals  eben  erst  nach  der  Aufhebung  des  Ordens  der  Verwal- 
tung der  Jesuiten  enthoben:  in  der  philosophischen  Facultät 
blieben  noch  drei  Professoren,  welche  Jesuiten  gewesen  waren 
(Cornova,  Strnad,  Vydra),  die,  wenn  sie  auch  nicht  ihre  Ideen 
aufgaben,  doch  Öechische  Patrioten  waren  und  nützlichen  Ein- 
fluss  auf  die  Erziehung  Jungmann's  ausübten.  Andererseits 
waren  unter  den  Professoren  auch  Vertreter  der  aufgeklärtfin 
Ideen  vom  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts:  der  Professor  der 
„schönen  Wiesenschaften"  war  ein  Verehrer  Hontesquieu's,  Rous- 
seau'», Hume's,  Lessing's  u.  s.  w.  Unter  dem  Einfluss  von  Pro- 
fessoren solcher  Art  gewann  Jungmann  Interesse  an  den  euro- 
päischen Literaturen ;  ausser  der  deutschen  Sprache  konnte  er 
gut  französisch  und  englisch.  Die  von  Jungmann  durchlaufene 
Schule  war  deutsch;  ei-st  im  Jahre  1792  wurde  an  der  pr^er 
Universität  ein  Lehrstuhl  der  öechischen  Sprache  und  Literatur 
errichtet.  Er  war  des  Deutschen  besser  mächtig  als  des  Cecbi- 
schen,  aber  als  er  einmal  in  der  Heimat  war,  musste  er  es  hören, 
wie  ihn  die  Dorfbewohner  verspotteten,  daes  er  nicht  sprechen 
könne,  und  von  da  an  entscbloss  er  sich,  seine  Muttersprache 
besser  zu  lernen.  Vom  Jahre  1795  an  rechnet  man  den  Begion 
seiner  literarischen  Thätigkeit  —  mit  seiner  Betheiligung  an  der 
Gedichtsammlung  Puchmayer's.  So  wurde  man  damale  ^«chi- 
scber  Schriftsteller:  inmitten  der  deutschen  Schule  formten  ihn 
die  unmittelbaren  Eindrücke  des  Volkslebens,  der  nationale 
Patriotismus,  welcher  in  der  Periode  Maria  Theresia's  und  Jo- 
seph's  IL  sogar  bei  jesuitischen  Gelehrten  erwacht  war,  und 
endlich  die  Einflüsse  der  befreienden  Literatur  des  18.  Jahr- 
hunderts.   Der  äussere  Lebensgang  Jungmann's  war  sehr  einfach; 

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Joeeph  Jungmann.  20l 

es  war  das  Leben  einee  Pädagogen  nnd  Gelehrten:  er  war  1799 — 
1815  Lehrer  am  GymnaGinm  zu  Leitmeritz,  dann  in  Prag,  wo  er 
bis  ans  Ende  seines  Lebens  blieb.  Gleich  bei  den  ersten  Schritten 
zeigte  er  sich  als  feuriger  Patriot:  die  Schule,  an  der  er  Lehrer 
war,  wurde  deutsch  gehalten;  er  begann  zuerst  freiwillig  und  un- 
entgeltlich die  cechische  Sprache  zu  lehren,  anfangs  auf  dem  Gym- 
nasium, dann  am  geistlichen  Seminar,  wo  er  es  mit  erwachsenen 
Jünglingen  zu  thnn  hatte,  die  für  den  kirchlichen  Beruf  bestimmt 
waren;  er  weckte  in  ihnen  das  Mationalitätsgefübl  und  bereitete 
kündige  Patrioten  vor,  —  einer  seiner  Schüler,  Anton  Marek, 
wurde  später  sein  intimer  Freund  und  Mitarbeiter. 

Die  erste  bedeutende  Arbeit  Jungmann's  war  eine  Ueber- 
Eetzung  von  Milton's  „Verlorenem  Paradies",  begonnen  1800  und 
herausgegeben  181L  Die  Wahl  erklärt  sich  otTenbar  durch  den 
Wunsch,  zu  zeigen,  dass  die  ihrerzeit  ausgebildete,  wenn  auch 
später  vemacbläasigte  ^chische  Sprache  doch  fähig  sei  zum 
Ausdruck  erhabener  poetischer  Ideen  der  neuem  Literatur,  und 
Muster  dafür  zu  geben,  wie  das  zu  erreichen  sei.  Er  trat  als 
Neuerer  auf:  die  ersten  Förderer  der  BenaiEsance,  wie  Pelzel, 
Johann  Nejedly,  Dobrovsky  (denen  sich  spater  der  Slavak  Georg 
Falkoric  anschlose),  waren  in  der  Sprache  conservativ,  indem 
sie  darauf  bestanden,  die  neue  (!;echische  Literatur  müsse  streng 
der  Sprache  des  „goldenen  Zeitalters",  der  Zeiten  Veleslavin's 
folgen;  Juugmann  erkannte  dies  von  formaler  Seite  an,  meinte 
aber,  dass  hinsichtlich  des  Wortschatzes  die  alte  Sprache  nicht 
im  Stande  sei,  der  neuern  Bildung  zu  dienen,  wenn  sie  sich 
nicht  durch  einen  Vorrath  neuer  Worte  und  Ausdrücke  bereichere. 
Deshalb  bildete  er  neue  Worte,  und  führte  z.  B.  direct  russische 
und  polnische  ein  —  indem  er  schon  davon  träumte  (1810,  wo  die 
Vorrede  zum  „Verlorenen  Paradies"  geschrieben  ist),  dass  die 
„Cechen  allmählich  der  gesammtslavischen  Literatursprache  ent- 
gegengehen müseten".  In  der  Folge  ging  daraus  eine  sich  lange 
hinziehende  Polemik  hervor. 

Eine  zweite  Arbeit  Jungmann's  war  die  später  geschriebene, 
aber  früher  herausgegebene  Uebersetzung  von  Chäteaubriand's 
„Atala"  (1805),  die  ebenfalls  für  die  Entwickelung  der  neuen 
Literatursprache  bedeutend  ist. 

Im  Jahre    1806   gründete  Johann  Nejedlj  ',    der  Nachfolger 


'  Uelier  iUn  siehe  den  Artikel  von  Antun  Bybiüka,  Usvtta,  1877. 

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302  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  Cechen. 

l'ekel'e  auf  dem  Lehrstuhl  der  cechischeu  Sprache  an  der  Uni- 
versität Prag,  die  erste  wichtige  Zeitschrift,  welche  den  Fragen 
der  Literatur  gewidmet  war:  „Hlaeatel  (esky"  („Cecbiscler 
Anzeiger",  1806—1808,  1818).  Im  ersten  Jahi^ang  findet  sich 
ein  bemerkenswerthes  „Gespräch  über  die  Cecbische  Sprache", 
wo  Jungmann  anfangs  den  Verfall  derselben  in  der  Gesell- 
schaft darstellt ,  dann  mit  grosser  dialektischer  Gewandtheit 
und  Kühnheit  ihre  Rechte  auf  eine  neue  Entwickelung  ver- 
tbeidigt.  Die  Wirkung  dieses  „Gesprächs"  war  so  gross,  dsss 
eben  seine  Lektüre  zuerst  das  patriotische  Gefühl  bei  Safank 
und  Palacky  geweckt  haben  soll.  Eine  andere  energische  Ver- 
theidigung  der  ^ecbiscben  Sprache  waren  die  Artikel  Jungmann's 
in  der  Öechischen  Zeitschrift,  welche  1813—14  zu  Wien  Johann 
Hromädko  herausgab.  Damals  lenkten  die  politischen  Ereig- 
nisse die  lebhafteste  Aufmerksamkeit  Jungmann^s  auf  sich,  be- 
sonders als  der  Zusammenstoss  Napoleon's  mit  Russland  nahe- 
rückte;  Jungmann  zweifelte  nicht,  dass  die  Sache  zum  Vortheil 
des  Slaventhums  ausfallen,  dasa  die  Kraft  des  SlaTenthnms  auch 
das  (echische  Volk  retten  werde.  Im  Jahre  1813,  als  die  Bussen 
nach  Böhmen  kamen,  fand  Jungmann  in  den  Begegnungen  mit 
ihnen  eine  neue  Stütze  für  seinen  cechischen  Patriotismus.  Diese 
Ereignisse  hohen  überhaupt  das  Nationalgefühl  im  österreichi- 
schen Slaventhum;  den  Kaiser  Alesander,  „den  grossen  flanschen 
Monarchen",  begrüsste  man  mit  Oden  beim  Einzug  in  die  „ebenso 
slavische  Stadt  Prag";  der  russische  General  machte  beim  Ein- 
zug der  Truppen  in  Frag  dem  Abbe  Dobrovsky  einen  Besuch. 
„Dieser  Krieg  hat  die  Blavische  Welt  berühmt  gemacht",  sagte 
Jungmann  in  einem  Briefe  vom  Jahre  1814> 

Mit  der  Uebersiedelung  nach  Prag  erweiterte  sich  die  Tlüitig- 
keit  Jungmann's  durch  den  grossen  peraönlichen  Einduss,  welchen 
er  auf  die  junge  Generation  ausübte,  als  Schriftsteller  von  Auto- 
rität, Kenner  der  Sprache  und  begeisterter  Patriot.  Dobroreky 
stand  der  neuen  Generation  der  Schriftsteller  ziemlich  fem;  der 
conservative  Nejedly,  durch  seine  Stellung  von  Eiofluss,  yerlangte 
hartnäckig  Beugung  vor  der  alteu  üeberlieferaug  und  Schmei- 
chelei für  seine  Eigenliebe;  Jungmann  wurde  der  Führer  der 
Leute,  welche  Lust  hatten,  in  der  Entwickelung  der  dechtscben 
Literatur  weiter  zu  gehen,  sowie  Hülfe  und  Sympathie  für  ihren 
idealistischen  Patriotismus  suchten.  Der  Zusammenstoss  der 
beiden  angeführten  literarischen  Parteien  erfolgte  in  der  Frage 

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Joaeph  JuDgmanD.  203 

Über  die  Rechtschreibung,  indem  Nejedly  die  alte  BrUder>Ortho- 
graphie  vertheidigte,  Jungmann,  Hanka  u.  a.  aber  das  System 
Dobrovsky's  verbreiteten.  Die  Feindschaft  Nejedl^'s  gegen  Jung- 
mann verstieg  sich  bis  zu  polizeilicher  Denunciation.  Als  die 
Entdeckung  der  „Grünberger"  Handschi-ift  erfolgte,  nahm  sie 
Jungmann  so  warm  auf,  dass  ihn  Dobrovsky  in  Verdacht  hatte, 
an  der  Fälschung  theilgenommen  zu  haben,  von  der  er  selbst 
überzeugt  war. 

Im  Jahre  1818  nahm  Jungmann  den  lebhaftesten  Antheil  an 
der  Gründung  des  Böhmischen  Museums.  Er  wollte,  dass  gerade 
das  Museum  der  Förderer  der  neuen  Kntwickelung  der  ^chi- 
Bcleo  Literatur  werde;  das  erste  Directorium  desselben  hatte 
noch  wenig  Vertrauen  auf  die  Kraft  der  öechischen  Sprache;  die 
Herausgabe  der  Muaeuma-Zeitschrift  wurde  in  zwei  Sprächen  be- 
gonnen, aber  Jungmann  beharrte  bei  seiner  Ansicht,  und  im 
Jahre  1830  wurde,  dank  seinen  Bemühungen,  die  „Üechiscbe  Ma> 
tica"  gegründet,  als  eine  besondere  Abtheilung  des  Museums, 
die  eben  zur  Entwickelnng  der  cecbischen  Literatur  bestimmt 
war;  der  „Oasopis"  des  Museums  begann  bald  nur  öechisch 
herausgegeben  zu  werden,  weil  die  deutsche  Ausgabe  nicht  ging. 
Jungmann  selbst  gründete  schon  im  Jahre  1831  im  Verein  mit 
dem  damals  jungen,  bekannten  Naturforscher  Johann  Presl  die 
erste  wissenschaftliche  Zeitschrift  „Krok",  vor  allem  mit  dem 
Zweck,  eine  öechische  wissenschaftliche  Sprache  auszuarbeiten. 

Inzwischen  fuhr  Jungmann  fort  zu  arbeiten  —  am  meisten  an 
zwei  Hauptwerken,  die  eine  Bedeutung  ersten  Ranges  für  die 
sich  wiederbelebende  Literatur  hatten  und  ihn  schon  lange  be- 
schäftigten. Das  eine  davon  war:  „Die  Geschichte  der  cechischen 
Literatur"  (1825;  2.  Aufl.  1849),  eine  umfangreiche  bibliogra- 
phische Arbeit,  mit  kurzen  Nachrichten  über  den  Gang  der  Bil- 
dung, der  Sprache  und  der  literarischen  Thatigkeit  versehen;  es 
findet  sich  darin  keine  wirkliche  Geschichte  der  Literatur,  son- 
dern es  war  nur  ein  reiches  Verzeichniss  des  Materials,  das  zu 
seltener  Vollständigkeit  gebracht  ist.  Das  andere  Werk  war  das 
„Cechisch-deutscbe  Wörterbuch"  (5  grosse  Bände  in  4.,  1835 — 
1839),  an  dem  Jungmann  seit  1800  gearbeitet  hatte.  Dieses 
Werk  ist  nicht  nur  wichtig  im  Sinne  eines  gewöhnlichen  Wörter- 
buches: es  wurde  zusammengestellt,  als  es  sich  bei  den  Cechen 
um  die  Schaffung  einer  neuen  Literatursprache  handelte,  und 
Jungmann  dachte  zugleich  mit  der  Sammlung  des  vorhandenen 

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204  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

Materials  auch  un  eine  andere  Aufgabe  —  die  Mittel  zu  schaffen, 
welche  zuin  Ausdruck  neuer  Ideen  dienen  könnten.  Diese  beiden 
Arbeiten,  die  Geschichte  und  das  Wörterbuch,  sind  die  Frucht 
eines  ungewöhnlichen  Fleisses;  beide  sollten  die  neue  Literatur 
mit  ihrer  historischen  Vei^angenheit  verknüpfen  und  beide  haben 
noch  bis  heute  keinen  Ersatz  gefunden.  Die  Arbeiten  Jungmann's 
hatten  sonach  eine  breite  nationale  Bedeutung,  wie  in  der  Folge 
die  Arbeiten  Safarik's  und  Palacky'a  und  stellten  seinen  Namen 
in  die  Beihe  der  bedeutendsten  Namen  der  slavischen  Wieder- 
belebung. • 

Die  neue  Literatur  war  von  solchen  Hindernissen,  von  Uebel- 
wollen  oder  wirklicher  Feindschaft  der  Deutschen  und  ger- 
manisirten  Cechen,  von  Besorgniss  und  Verdächtigungen  der  Be- 
hörden, von  der  Herrschaft  der  deutschen  Sprache  und  in  Schule 
und  Verwaltung,  von  der  Tbeilnahmlosigkeit  der  Masse  umgeben, 
dass  sich  die  ersten  Förderer  der  ^echischen  Literatur  unwill' 
kürlich  in  einen  solidarischen  Kreis  vereinten,  wo  sie  einander 
verstanden  und  die  gemeinsame  Sache  führen  konnten.  Deshalb 
sehen  wir,  trotz  der  sehr  uugünstigen  äussern  Verhältnisse  in 
der  Periode  der  Heiligen  Allianz  und  der  Regierung  Metter- 
nich's,  gerade  in  dieser  Zeit  eine  Reihe  energischer  Arbeiter  in 
nationalem  Sinne,  die  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Lite- 
ratur zur  Arbeit  und  zum  Kampf  für  die  Vertbeidigung  der  Na- 
tionalität aufmunterten. 

Fast  um  eine  Generation  jünger  als  Jungmann  waren  die 
Schriftsteller,  welche  im  Verein  mit  ihm  der  öechischen  Wieder- 
belebung einen  festen  Grund  legten.     Aelter  als  die  andern  war 


'  Von  den  Werken  Jungmann'a  nenneit  wir  noch  seine  „Sloveanotr 
(1820;  'i.  Auag.  1845;  ein  Lehrbuch  der  Literatur  und  Chreatomathie);  „S»- 
braue  aplsy  vei'äüm  i  prosou"  („Geaammelte  Scbriften  in  Versen  nnd  Pro»", 
1841);  „Zäpisky"  {„Memoiren"),  sehr  interesflant  in  biographischer  and  üte- 
rarhistoriseher  Hineidit,  erst  vor  kurzem  herausgegeben  im  „  rasopi«" 
1871  (vgl.  Ferd.  Sohulr  in  der  Zeitsohrift  „OsvEta",  1871). 

Eine  Biographie  verfaBste  V.  Zelen^:  „Zivot  Job.  Jungmanna"  (Prag 
1873—74).  Im  Jahre  1873  wurde  das  hundertjährige  JubilSam  seine«  Ge- 
burtataga  gefeiert  nnd  damals  erschienen  einige  biographische  Broschärer. 
In  russischer  Sprache:  Nil  Popov,  im  „Jium.  Min.  Nar.  Prosv."  1873,  Juli; 
Nik.  Zaderackij,  „J.  Jungmann"  (Kiev  1874).  —  Erwähnungen  Jnng- 
mann's  in  den  Briefen  SafaHk's  an  Pogodin  (Moskau  1880,  über  die  weiter 
unten).  —  Briefe  Jungmann's  an  Kollär,  im  „Casopis",  1880. 


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Wenzel  Hankft.  205 

Wenzel  Uanka  (1791 — 1861),  einer  der  eifrigsten  Arbeiter  in  der 
neuem  Literatur.  Sohn  eines  einfachen,  wenn  auch  wohlhabenden 
Laudmanns,  kam  er  im  Hause  seines  Vaters  mit  durchreisenden 
Kauflenten  aus  dem  österreichischen  Slaventhum,  polnischen  und 
serbischen  Soldaten  zusammen,  und  machte  sich  auf  diesem  Wege 
früh  mit  verschiedenen  slawischen  Dialekten  vertraut.  Aber  er 
var  schon  sechzehn  Jabre  alt,  ah  ihn  die  Aeltern  in  eine  höhere 
Schule  schickten,  um  ihn  vor  der  Militärpflicht  zu  sichern.  Er 
studirte  in  Königgrätz  und  in  Prag,  zum  Theil  in  Wien,  absol- 
firte  das  Gymnasium  und  die  Universität.  In  Prag  wurde  er 
1813  mit  Dobrovsky  bekannt,  der  auch  sein  wirklicher  Lehrer  in 
slavischen  Dingen  wurde.  Aus  Hauka  ist  kein  bedeutender  Ge- 
lehrter geworden,  aber  er  arbeitete  unermüdlich  in  der  Durch- 
forschung und  Drucklegung  alter  Denkmäler.  Bei  der  Eröffnung 
des  Böhmischen  Museums  ward  er  dessen  Bibliothekar  und  blieb 
in  dieser  Stelle  bis  zu  seinem  Tode:  in  dieser  Eigenschaft  hatte 
er  Gelegenheit,  viele  persönliche  Verbindungen  mit  Schriftstellern 
anderer  slavischer  Stämme  anzuknüpfen,  was  sehr  wichtig  war, 
da  die  slavischon  Literaturen  ein  Interesse  an  gegenseitigen  Be- 
ziehungen hatten,  aber  noch  wenig  untereinander  bekannt  waren. 
Im  Jahre  1848  nahm  Hanka  lebhaften  Antheil  an  der  politischen 
Bewegung  der  techischen  Gesellschaft,  betbeiligte  sich  am  Sla- 
vischen  Congress,  war  thätiges  Mitglied  des  politischen  Clubs 
„Slovanska  Lipa"  (Slavische  Linde),  kam  während  des  Prager 
Aufstandes  in  Gefahr,  als  die  Soldaten  das  Nationalmuseum  be- 
schossen ....  Seine  literarische  Tbätigkeit  begann  Hanka  schon 
als  Student  —  mit  Gedichten  in  dem  erwähnten  Journal  Hro- 
mädko's  („Prvotiny  peknych  umeni"  —  „Erstlinge  der  schönen 
Künste")  und  in  dem  Sammelwerk  Puchmayer's,  alsdann  in  einem 
besondern  Schriftchen.'  Hanka's  Lieder  gefielen  sehr,  sodass 
einige  von  ihnen  volksthumlich  wurden.  Er  gab  alsdann  eine 
Sammlung  von  Uebersetzungen  aus  der  serbischen  Volkspoesie: 
„Prostondvodni  srbskii  musa  do  Cech  prevedenä"  (1801)  heraus 
und  übersetzte  in  der  Folge  noch  polnische  Lieder,  das  Lied 
vom  Heereszug  Igor's  ins  Oechische,  Demnächst  aber  waren  die 
Arbeiten  Hanka's  meist  der  böhmischen  Geschichte,  Literatur, 
Alterthumskunde   und  Numismatik   gewidmet.     Er  begann  mit 

'  Dvanäotero  pitni  (1815),  dann  in  vermehrter  Ausgabe:  Haukovy  plsaS 
(5.  Aufl.  1861). 


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206  Fänftes  Kapitel.    I.  Die  <3eolien. 

einer  Ausgabe  Ton  Denkmälern  der  alten  Literatur:  „Starobylä 
sklädänie"  (5Bdcbn.,  1617 — 26),  hauptsächlicb  nach  Materialien, 
die  ibm  Dobrovskj  gegeben  hatte,  vo  aber  auch  das  Lied  rom 
VySehrad  und  das  Minoelied  König  Wenzel's  ihren  Platz  fanden; 
im  4- Bändchen,  181d,  erschien  zum  ersten  mal  die  KÖniginhofer 
Handschrift.  Darauf  folgten:  eine  Sammlung  alter  Wörterbücher, 
worin  auch  die  „Mater  Verborum"  erscheint;  Dalimil  im  tecbischen 
und  später  im  altdeutschen  Text;  ein  Tractat  von  Hnss;  das 
Kheimser  Evangelium;  das  Mikodemus-ETangelium  in  altiechi- 
schem  Text;  eine  Reibe  von  Ausgaben  der  Königinbofer  Hand- 
schrift (und  dabei  des  „Gerichts  der  Libuäa"),  eine  davon  die 
Polyglotte  in  allen  slaviscben  und  vielen  andern  europäischen 
Sprachen  u.  s.  v.  Alle  diese  Arbeiten  hatten  zu  jener  Zeit  grosse 
Bedeutung,  wo  die  Aufmerksamkeit  insbesondere  auf  die  Erfor- 
schung  der  Vergangenheit  und  des  Volkstfaums  gerichtet  war. 
Zugleich  war  Hanka  der  eifrigste  Panslavist;  seinerzeit  war  er 
in  Prag  der  beste  praktische  Kenner  der  slavischen  Dialekte 
und  ein  Eiferer  für  die  slavische  Gegenseitigkeit.  Worin  sie 
zu  bestehen  hatte  —  ausser  den  Beziehungen  zwischen  den 
slawischen  Alterthumsforscbem  —  darüber  gab  man  sich  noch 
keine  klare  Rechenschaft,  aber  es  galt  für  nöthig,  ansser  dem 
nähern  Vaterlande,  Böhmen,  auch  des  grossen  Vaterlandes, 
des  Slaventhums,  zu  gedenken.  Bei  dem  Gedanken  an  dieses 
ideale  Vaterland  stellte  sich  die  Idee  von  der  Nothwendigkeit 
einer  gemeinsamen  Literatursprache,  welche  die  zerstreuten  Dia* 
lekte  verknüpfen  sollte,  natnrgemäss  ein;  Hanka  war  bereit,  an- 
zunehmen,  dass  zu  dieser  Sprache  das  Russische  werden  müsse, 
indem  es  andere  slavische  Elemente  in  sich  aufnehme  —  als  die 
Sprache  des  zahlreichsten  und  stärksten  slavisebeo  Stammes. 
Deshalb  nahmen  in  seinen  slavischen  Sympathien  eben  die  Bus- 
sen die  erste  Stelle  ein:  er  bemühte  sich,  anter  seinen  Lands- 
lenten  die  Kenntniss  der  russischen  Sprache  zu  verbreiten  und 
durch  persönliche  Beziehungen  die  Russen  für  den  PanslaviBmua 
zu  interessiren.  1  Seine  Vorstellungen,  wie  die  vieler  andern 
Oecben,  welche  das  russische  Leben  überhaupt  wenig  kannten, 
von  der  slavischen  Stimmung  und  den  Plänen  der  rassischen 
Politik  waren  übertrieben,  aber  er  hegte  bis  ans  Ende  die  Hoff- 


'  üeber  die  Rüsten freundliohkeit  HBnka'a  e.  z.  B.  bei  Hst^,   „Znova- 

eni",  S.  21. 


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Wenzel  Hanha.  207 

nnng,  dass  die  Rettung  des  Slaventhums  von  fremder  Herrscbaft 
and  fremder  Nationalität  in  RuHBland  liege.  Als  ei'  starb,  waren 
seine  letzten  Worte  russisch.  —  Sonach  stand  er  nicht  ohne 
Grund  im  Rufe  eines  Russophilen,  und  dies  war  keine  an- 
genehme Eigenschaft  sowol  in  den  Augen  der  Behörden  als  der 
böhmischen  Deutschen  und  derjenigen  Oechen,  welche  rom  rus- 
MEchen  Wesen  eine  andere  Meinung  hatten  als  Hanka. 

Die  Geschichte  der  Fälschungen  ist  noch  nicht  aufgeklärt, 
die  neuem  Kritiker  (Sembera,  Lamanskij,  Vasek)  zweifeln  nicht 
im  geringsten  an  der  eifrigen  Fälscherei  Hanka's,  besonders  rück- 
sichtlich  des  „Gerichts  der  Libnäa"  und  der  KÖniginhofer  Hand- 
schrift, und  nennen  ihn  direct  den  Verfasser  der  letztern,  denen 
entgegen,  welchen  Hanka  als  zu  wenig  begabt  und  unbeholfen 
galt  (wie  HanuS,  Vrfätko,  Jire^ek).  Wie  dem  auch  sein  möge, 
als  der  letzte  Angriff  gemacht  wurde,  der  offen  gegen  Hanka 
zielte  (im  Tagesboten  aus  Böhmen,  18ö9^,  und  im  darauffolgenden 
Process  das  Gericht  die  Anspielungen  als  Verleumdung  aner- 
kannte, soll  sich  Hanka  schwer  gekränkt  gefühlt,  und  dies  seinen 
Tod  beschleunigt  haben.  Sein  Begräbniss  wurde  mit  ausser- 
ordentlicher Feierlichkeit  begangen.  > 

Oben  sind  erwähnt  worden:  Joseph  Linda  (1793 — 1834), 
Verfasser  eines  historischen  Romans  aus  dem  böhmischen  Alter- 
thum:  „Morgenroth  über  dem  Heidenthura  oder  Vaclav  und  Bo- 
leslav"  („Zäfe  nad  pohanstvem  etc."  Prag  1818),  der  seinerzeit 
grossen    Eindruck   machte,   und  Wenzel  Alois  Svoboda  (1791 

'  Eine  (panegyrische)  Biographie  Hanka's,  verfasst  unter  aeiner  Mitwir- 
kung von  Legis  GlUokeelig,  in  dem  deuteclten  Almanach  „Libasea", 
S.  285-369  (Prag  1863);  eine  ßeibe  Biographien  in  cechuchen  Zeitungen 
1861 ,  insbesondere  in  den  „Kärodni  Liaty " ;  Oslava  pamätky  Väclava 
Hanky  v  HoHn*  vai  dne  7  x&H  1862"  (Prug  1862);  Sreznevakij,  id  Izvüat. 
IL  Otdel.  Akad.  Nauk,  9.  Bd.;  P.  LavrovBkij,  Voaporainaiiija  o  HankE  i 
SafarikS"  (im  jährlichen  Act  der  Charkover  Dnivereität,  1861);  P.  Lavrov- 
Bkij, in  Otef.  Zapiski,  1861,  Nr.  2;  M.  Suchomlinov,  „0  anoienijach 
T.  Hanki  b  Robb.  Akademieju  i  o  vyzovE  ego  v  RosBijn"  (im  Sammelwerk 
„Bratskaja  Poraof";  S.  309—318.  St.  Peferaburg  1876).  Ferner:  die  Ck)r- 
reBpondene  DobvovskJ's  und  Hanka'«  im  „Casopis",  1870;  der  Artikel 
Vrtätko's  über  die  Beziehangen  Hanka's  zu  DohrovakJ,  ebpnd.  1871.  Die 
AeuBserungen  von  HannB  in  „Die  gefälschten  Gedichte".  Endlich  siehe  die 
Traber  erwähnten  Artikel  Lamanskij's  und  die  Schriften  Sembera's  und 
Taiek's.  Wir  führen  noch  den  Artikel  von  J.  Jiretek  an  über  die  Ori- 
ginalgedichte Hanka's  in  den  Jahren  1813— li«,  im  „('asopis"  1879. 


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2G8  Fnoftes  Espitel.     I.  Die  Öechea. 

— 1749,  Navaroveky) ,  ein  thätiger  Schriftsteller,  Dichter  uni 
Pädagog,  Uebersetzer  der  Königinhofer  Handechrift  ins  Deutsche 
bei  ihrem  ersten  Erscheinen,  1819.  Diese  beiden  Schriftateller 
hat  man  auch  iu  die  Frage  über  die  Fälschungen  altßechischer 
Denkmäler  hineingezogen. ' 

Die  Biographie  Safarik's  ist  eine  Geschichte  bemerkenswerther 
gelehrter  Arbeiten ,  welche  hohe  Bedeutung  und  grossen  Rnbm 
in  der  ganzen  slavischeu  Welt  erlangten.  Faul  Joseph  Safarik, 
(oder  Schaiarik,  1795—1861),  seiner  Herkunft  nach  Slovak,  wurde 
in  einem  Bergdorfe  in  Nordungarn  geboren,  wo  sein  Vater  eran- 
gelischer  Geistlicher  war.  Er  war  ein  origineller  und  empfäng- 
licher Knabe;  vor  dem  achten  Jahre  hatte  er  schon  zweimal 
die  ganze  Bibel  darchgelesen.  Nach  Absolvirung  der  nieden 
und  hohem  Gjmnasialklassen  trat  er  1810  ins  evangelische  Ly- 
ceum,  wo  er  fünf  Jahre  als  Stndent  und  zugleich  als  Hauslehrer 
verbrachte.  In  der  Schule  hatte  er  vorlrefTliche,  wissenschaftlich 
gebildete  Lehrer;  dafür  vergase  er  ganz  seine  Nationalitäl, 
welche  die  Schule  zu  Entwurzeln  suchte.  Erst  im  IG.  Lebens- 
jahre tauchte  vor  ihm  diese  Frage  auf,  als  ihm  das  erwähnte 
Juugmann'sche  „Gespräch  über  die  cechische  Sprache"  in  die 
Hände  fiel,  das  auf  ihn  einen  starken,  entscheidenden  Eindruck 
machte.  Unter  diesem  Einflnes  gab  er,  schon  neunzehn  Jahre  alt, 
ein  Bändchen  Gedichte  heraus:  „Tatranski.  musa  z  Ijrau  slowan- 
elcau"  (Leutschau  1814),  hierauf  sammelte  er  mit  einigen  Freunden, 
unter  andern  Kollär,  slovakische  Volkslieder*;  einige  Gedichte 
von  ihm  finden  sich  in  der  Zeitschrift  Hromädko's.  Im  Jahre 
181Ö  begab  er  sieb  mit  seinen  bescheidenen  Mitteln  nach  Jena, 
das  damals  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes  stand.  Hier  vergass  er 
nnter  philosophischen,  historischen  und  philologischen  Studien 
auch  die  slavische  Muse  nicht,  übersetzte  die  „Wolken"  des 
Aristophancs,  Schiller's  „Maria  Stuart",  beschäftigte  sich  mit  ie- 
chischer  Prosodie.  Auf  dem  Rückwege  nach  Hause  im  Jahre 
1817,  wurde  er  in  Prag  mit  Dobrovsky,  Juugmann  und  Hanka  be- 
kannt; in  PressbuFg,  wo  er  in  einer   reichen  Familie   Erzieher 


'  IHe  Biographien  Linda'a  und  ijvoboda'a  sind  oben  angeführt  —  ,.0t- 
vfta"  1879. 

*  PJBni  8w£t«ke  lidu  Sloweiukeho  w  Uhl'jub;  sie  wurden  henn^egeben 
von  KoUÄr  (Pest  1823-27).  Im  2.  Band  itt  ein  Vorwort  äaf^Hk'i.  Die« 
Lieder  gingen  in  die  zweite  vermehrte  Saniinlung  Kollar'a  (1834—36)  über. 


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Paul  Job.  SafaHk.  209 

var,  trat  er  in  freundschaftliche  Beziehungen  zu  Patacby  und 
gab  im  Verein  mit  ihm  unter  Mitwirkung  Jungmann's,  1818,  die 
Schrift;  „Principien  der  dechischen  Poesie"  (,,Poöätkowe  ßeskeho 
bäsnictwj")  heraus,  welche  die  Lehre  Dobrovsky's  von  der  te- 
chischen  Prosodie  bestritt  (Dobrovsk^  gründete  diese  auf  den 
Accent,  Safarik  auf  das  metrische  System)  und  insbesondere  die 
alte  literarische  Schule  der  Pseudoclassicisten  und  Idyllendichter 
in  Unruhe  versetzte,  da  sie  neue  und  hohe  poetische  Forderungen 
aufstellte,  wobei  der  Eigendünkel  der  alten  Schule  einen  harten 
Schlag  erlitt. '  Man  bot  SafaHk  Professuren  an  verschiedenen 
evangelischen  Schulen  Nordungams  an;  aber  die  von  ihm  selbst 
erfahrene  Bedrückung  des  slavischen  Elements  in  jenen  Schulen 
war  ihm  zuwider  und  er  zog  1819  einen  Ruf  nach  Neusatz  vor, 
wo  er  Professor  und  Rector  des  Gymnasinma  der  serbischen 
orthodox  -  katholischen  Gemeinde  wurde.  Er  lebte  hier  bis 
1833-  Neusatz  in  der  Nachbarschaft  von  Karlowitz,  wo  der 
serbische  Patriarch  lebte,  von  Serbien,  der  Fruäka  Gora,  war 
in  seiner  Art  ein  serbisches  Centrnm  und  Safarik  benutzte 
dies  zu  einem  umfänglichen  Studium  des  serbischen  literarischen 
Alterthums  und  der  Sprache,  erwarb  hier  viele  seltene  Bücher 
und  Handschriften.  Hier  begann  auch  die  Reihe  seiner  bedeu- 
tenden gelehrten  Arbeiten,  worin  historische  Fragen  über  das  ge- 
sammte  Slaventhum  aufgestellt  wurden.  Dahin  gehört  die  in 
ihrer  Art  erste  gesammtslavische  „Geschichte  der  Litera- 
tur"', wo  die  slavischen  Stämme  als  ein  Ganzes  zusammen- 
gefasst  sind,  —  eine  fast  ausschliesslich  bibliographische  Arbeit, 
aber  von  philosophisch -historischen  Erklärungen  beleuchtet. 
Gleich  damals  ging  er  schon  an  eine  Umarbeitung  dieses  Buches 
in  rein  biographischer  und  bibliographischer  Form;  gegen  den 
Anfang  der  dreissiger  Jahre  stellte  er  die  serbisch-kroatische  und 
sloTenische  Abtheilung  her,  aber  seitdem  blieb  das  Werk  un- 
vollendet  und  wurde    erst  nach  seinem  Tode  herausgegeben.* 


'  Gegen  dieaes  Werk  von  SafaHk  und  Palack^  war  eeitesa  der  alten 
Schule  jene  Suhrift  IlnSvkoTBkJ'a  gerichtet,  welohe  wir  oben  erwähnten. 

'  Geschichte  der  glavieohen  Sprache  und  Literatar  nach  alle«  Mundarten 
von  Paul  Joseph  Scheffarik  etc.  (Ofen  132C.  VIII  n.  524  S.;  2.  Abdruck, 
Prag  1869). 

'Geschichte  der  eüdalav.  Literatur,  heransgegeben  von  J.  JireEek 
(3  Bde.  Prag  1864-1)6). 

Ptf»,  81»l»h«  LltsiAtDian.    II,  3.  X4 

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glO  FüofteB  Kapitel..   L  Die  Öecben. 

Im  Jahre  1828  erachien  die  erste  Abhaadlung  über  das  ela- 
vische  Alterthum,  dann  eine  Untersuchung  über  die  altserbieclie 
Sprache.  *  Die  letztere  war  sehr  wichtig  durch  die  Behandlung 
des  Gegenstandes  und  die  neuen  Daten  zur  Entecheidung  der 
Frage  über  die  kircheDslaviBclie  Sprache.  Inzwischen  war  die 
Stellung  Safarik's  in  Neusatz  unangelim  geworden  infolge  der 
Bedrückungen  der  ungarischen  Behörden,  und  er  beschloss  weg- 
zugehen. Aber  wohin?  Einmal  war  die  Rede  von  seiner  Be- 
rufiing  an  die  Petersburger  Akademie,  doch  kam  die  Sache  nicht 
zu  Stande,  und  seine  Öechischen  Freunde  beriefen  ihn  nach  Prag, 
wo  man  ihm,  wenn  auch  nur  in  bescheidenem  Masse,  auf  einige 
Jahre  durch  Zusammenschiessen  von  Geld  die  Existenz  sicherte; 
dazu  kam  später  auch  pecuoiäre  Hülfe  aus  Moskau.  Die  Lage 
der  dechischen  Dinge  hatte  sich  gegen  Mitte  der  dreissiger 
Jahre  schon  bedeutend  rerändert:  die  Bewegung,  der  man  an- 
fangs seitens  der  Behörden  kaum  eine  Beachtung  schenkte,  war 
gewachsen  und  weckte  zugleich  den  Verdacht  der  Regierung, 
sodass  es  hei  SaEarik,  nach  seiner  Uebersiedclung  nach  Prag, 
nicht  ohne  Spiouirerei  der  Polizei  abging,  die  ihn  manchmal 
sehr  störte.  Aber  die  Arbeit  schritt  fort  und  im  Jahre  1837 
ward  die  Herausgabe  seines  berühmtesten  Werkes:  „Slavische 
Alterthümer"  („Slovanske  Staro^itnosti")  beendet,  das  von 
da  an  der  Ausgangspunkt  aller  Arbeiten  zur  Erforschung  der 
alten  slavischen  Geschichte  war.'  Dieses  Buch  brachte  SaCaHk 
weitreichenden  literarischen  Ruhm;  sein  Name  wurde  eine  der 
grössten  Autoritäten  in  den  slavischen  Forschungen.  Das  Werk 
war  auf  zwei  Abtheilungeu  berechnet,  eine  historische  und  eine 
cultnrgeschichtliche.  Das  erschienene  Buch  war  die  erste  Ab- 
theilung;  Sa&rfk  trat  auch  an  die  zweite  heran,  aber  der 
Plan  blieb  unausgeführt,  aus  der  zweiten  Abtheilung  worden 
nur  einige  Specialuntersuchungen  über  alte  Ethnographie    und 


■  „Ueber  die  Abkauft  der  Slaven,  nach  Surowieoki"  (Ofen  1828);  ^t- 
biBohe  Leaekömer  oder  hhtonBch-kritisobe  BeleuohtanK  der  wrb.  Moadart" 
(Ebend.  1833). 

*Das  Buch  wurde  iiu  Pobiieube  übersetzt  von  BoAkowaki  (Po»en 
1842—46);  ins  Kuegiscbe  von  Boiljaoakij  (Moakaa  1843;  2.  Aiugabe  in 
b  Büchem;  die  erste  wurde  nicht  beendet);  deutaohe  Ueberaetnwg  tod 
Moaig  Ton  Aehrenfeld,  berauagegeben  von  Heinr.  Wnttke  (Leipaig 
1843—44). 


.....Gooj^lc 


P&nl  Job.  ^tiatik.  211 

Mythologie  gedmckt';  er  erkannte,  dass  es  znr  Darstellung  des 
Cnlturlebens  des  Slaventhums  nocb  an  den  nötliigen  Vorarbeiten 
feUte,  besonders  philologischen.  Er  wendete  sich  der  Philo- 
logie zn  —  und  hier  erschienen  wieder  einige  wichtige  TJnter- 
KDchungen.  Bei  aller  umfänglichen  Gelehrsamkeit  Safarfk's  ging 
es  doch  nicht  ohne  grosse  Fehler  ab:  ein  solcher  war  die  Abhand- 
lang  über  den  yermeintlichen  Öemoboh  (gefunden  zu  Bamberg), 
dem  Safarik,  dank  KolUr,  Glauben  schenkte,  und  woran  er  sich 
später  mit  Yerdmss  erinnerte.  Als  einen  zweiten  grossen  Fehler 
rechnen  ihm  jetzt  skeptische  Kritiker  die  Herausgabe  der  ältesten 


lehrten  Commentaren  von  ihm 
ligiing  an  dem  Buch  des  Grafen 
ich  hauptsächlich  um  verdäch- 


fediischeu  Denkmäler  an,  mit  gele 
und  Palacky  ^,  wie  auch  die  Betheili 
J.  M.  Thnn*:  dort  handelte  es  '. 
tigte  Denkmäler  (die  man  jetzt  geradezu  als  unecht  erklärt),  and 
man  machte  Safarik  Mangel  an  Kritik  zum  Voi-wurf,  durch 
den  er  zum  Vertheidiger  einer  Fälschung  und  eines  Betruges 
wurde.  Zu  seiner  Vertheidigung  kann  man  sagen,  dass  damals 
dieSache  doch  nicht  so  klar  war,  und  z.  B.  sogar  noch  bis  jetzt* 
Gelehrte  von  grosser  Autorität,  wie  Sreznevskij,  angesichts  aller 
neuen  Einwendungen,  und  nicht  durch  öechische  Parteilichkeit 
gebunden  sowol  die  „Mater  Verborum"  als  das  „Gericht  der 
Libnsa"  hartnäckig  vertbeidigten.  Für  die  6echischen  Gelehrten 
verwickelte  sich  die  Frage  über  die  alten  Denkmäler  der  te- 
cbischen  Literatur  noch  durch  die  feindlichen  Beziehungen  zu 
dem  Hauptvertreter  der  damaligen  Negation,  Kopitar,  der 
jedoch  seine  Verdächtigungen  und  Beschuldigungen  nicht  mit 
klaren  Beweisen  belegte  ^  und  die  Ansichten  der  Schriftsteller 


'  Im  „Casopiü",  wo  aDsserdem  viele  andere  kleine  Arbeiten  von  SafaHk 
gedrackt  sind. 

>  Die  ältesten  Denkmäler  der  böhmiBoheu  Sprache  (Pr^  1840). 

>  Oediobte  aus  Böhmens  Vorzeit  (Prag  1615,  mit  einem  Torwort  von 
äafaHk  nnd  Bemerkungen  von  Palack^).  VgL  T.  Lamanakij,  im  „Zum. 
Min.  Nar.  ProBv.,  1879,  Juli. 

*  Tierzig  Jahre  nach  dem  Buche  von  äafaHk  nnd  Palaekf. 

'  Schon  oben  haben  wir  von  Kopitar  gesprochen.  Seine  Feindscbaft 
mit  den  Fecbiscben  Gelehrten  iet  noch  immer  nicht  aufgeklärt.  Vgl.  z.  B. 
die  AensBeningeQ  in  der  Biographie  SafaHk's,  Slovnik  Nau5D^,  IX,  S.  5; 
die  Correspondenz  Celakovaky'a  mit  StanSk,  im  „CaBOpia",  1871,  3.  228 
— 229 ;  die  nberaua  feindseligen  Aeussernngen  nber  den  „Mephistopheles" 
Kopitar  in  den  Briefen  Saf^k'B  an  Pogodin. 

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312  Fünftes  Kapitel.     I.   Die  Öeoheu. 

unterlagen  unwillkürlich  dem  Eindruck  der  Ungerechtigkeit  der 
Beschuldigangen  ....  Im  Jahre  1842  gab  SafaHk  eine  dem  Um- 
fang nach  nicht  grosse,  aber  hochwichtige  Arbeit  wieder  tod  ge- 
Bammtslavischer  Bedeutung  heraus:  „Sloransky  Narodopis",  eine 
kurzge&sste  Uebersicht  der  slaviechen  Ethnographie  mit  der  ersten 
ethnographischen  Karte  der  Elavischen  Stämme.  >  Die  Unsicherheit 
seiner  äussern  Lage  war  Safarik  so  drückend,  dass  er  sich 
1837  entschloss,  ein  Amt  anzunehmen,  welches  seinem  Oeechmack 
sehr  wenig  entsprach  —  das  eines  Censorg;  er  gab  es  1847 
wieder  auf,  nicht  ohne  sich  Unannehmlichkeiten  wegen  des  Ourch- 
lassens  von  Büchern,  übrigens  sehr  unschuldiger  (z.  B.  Zap's 
„Beisen  und  Wanderungen  in  Galizien"  —  „Cesty  a  prochäzk; 
etc.",  1844)  zugezogen  zu  haben.  Schon  im  Jahre  1841  erhielt 
er  die  Stelle  eines  Gustos  an  der  prager  öffentlichen  Bibliothek. 
Sein  Ruhm  war  inzwischen  gewachsen.  Man  bot  ihm  die 
slaviscbe  Professur  in  Breslau  und  Berlin  an  —  da  fand  man  es 
auch  in  Oestcrreich  nöthig,  ihm  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 
Im  Jahre  1848,  gleich  zu  Anfang  der  revolutionären  Wirren  er- 
hielt er  die  Professur  der  slavischen  Philologie  an  der  prager 
Universitärt,  gab  sie  aber  im  folgenden  Jahre  wieder  auf,  als 
er  Bibliothekar  der  Universitätsbibliothek  wurde.  An  den  Er- 
eignissen  des  Jahres  1848  nahm  er  thätigen  Antheil  als  Mitglied 
des  Slaviscben  Congresses;  der  traurige  Ausgang  der  Ereignisse, 
die  hereinbrechende  Reaction  wirkten  auf  ihn  besonders  schwer. 
In  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren  verweilte  er  hesonden 
bei  der  Erforschung  der  altöechischen  Literatur^,  bei  dem  süd- 
slavischcn  Alterthum',  endlich  bei  der  Frage  nach  der  Her- 
kunft der   Glagolica.^     In  dieser  Frage  hegte  er   an&ngs  die 


■  RasBiache  Dcberaetzung  von  Bodjanskij  (Moekaa  1813). 

'  RoEbor  ataroteelie  literalnr;  (Analyse  der  altteohiachen  Idterttar  1842 
und  1845,  in  den  Denksohriften  der  böhtniachen  gelehrten  GeBeltschtnj: 
„Klaaobraai  na  poli  staroi^.  literaturj"  („AehrenloBe  auf  dem  Felde  der  alt- 
fecbiBohen  Literatur"),  im  Caeopis  1847,  1848,  1856;  die  altiecbiiclie  Gnm- 
matik   beim   „VJbor",  I^  u.  s.  v. 

'  „Pam&lky  dtevnilio  pisemaistTi  Jikoelovanilv"  („Denkmäler  de«  alten 
ScbriftwceeuB  der  SfldaUven",  Pra^  ISbl ;    3.  Aufl.  1873). 

*  „Pobled  na  prvovSk  hlaholak^hu  pisemniotvi"  („Bliok  asf  die  Unrit 
dei  glegolitiachen  SchrülweBena",  im  Casopia  18&3),  dawelbe  roBaiMh  von  V. 
Vojtkovakij  (Ziurn.  Min.  Nar.  Proav-,  1855,  Nr.  7—8);  „Pamitkj  hlak- 
piKeninictvi"    („Denkmäler    des  glagolit.  Schriftweaena",    Prag    1853);  „d»- 


.....Gooj^lc 


Franz  Palaok^.  213 

Heinang,  dasB  die  Glagolica  nicht  älter  als  die  Cyrillics  noA 
dem  Anschein  nach  sogar  nach  ihrem  Muster  gebildet  sei;  aber 
taletzt  änderte  er  seine  Ansicht  gänzlich  und  behauptete,  die 
Glagolica  sei  diejenige  slavische  Schrift,  welche  von  Cyrill  er- 
fanden wurde,  und  die  jetzt  sogenannte  Cyrillica  nichts  anderes 
als  eine  Vereinfachung  derselben,  veranstaltet  von  einem  Schüler 
der  Slaven- Apostel ,  Clemens  .  .  .  Seine  Gesundheit  hatte  inzwi- 
schen abgenommen;  zu  leiblicher  Krankheit  gesellten  sich  An- 
falle Ton  Geisteskrankheit.    Er  starb  26-  Juni  1861.  ^ 

Nach  Dobrovsky  war  Safank  die  gewichtigste  gelehi-te  Auto- 
rität in  der  Erforschung  des  Slaventbums.  Seine  „Geschichte 
der  slavischen  Literatur .  aller  Dialekte",  seine  „Alterthümer", 
Beine  „Ethnographie"  waren  eine  wirkliche  Offenbarung  des  wis- 
senschaftlichen Panslavismus.  Obgleich  die  Arbeiten  Safah'k's 
gewöhnlich  ganz  specieller  Natur,  und,  trotz  seines  slavischen 
Patriotismus,  oft  deutsch  geschrieben  waren,  so  äbten  sie  doch 
einen  überaas  starken  Einöuss  in  allen  slavischen  Literaturen 
aus:  sie  fanden  ihre  Erklärer,  welche  das  Bewusstsein  von  der 
historischen  Einheit  der  Stämme  im  Altertbnm  und  von  der 
Nothwendigkeit  einer  moralischen  Einheit  in  der  Gegenwart  ver- 
breiteten. Safank  selbst  war  ein  eitriger  Panslavist  in  dem 
Sinne,  wie  diese  Ansichten  jener  Zeit  herrschten;  aber  ihr  letzter 
Ausdruck  scheint  die  feurige  Hede  auf  dem  Slavischen  Congress 
gewesen  zu  sein*,  —  später  traten  ihm  mehr  die  schwachen  und 
dunkeln  Seiten  der  slavischen  Sache  vor  Augen.    In  der  letztem 


golitisclie  Fragmente"  (Bbend.  1857) ;  „Deber  die  Heimat  und  den  Ursprung 
des  Olagolitismue"  (Ebead.  1858).  Auf  das  letztere  Werk  bezieht  sich  die 
fräber  erwähnte  UnterBachung  von  A.  £.  Tiktorov. 

'  J.  JireEek,  „P.  J.  Sohafarik,  biographiecbes  Denkmal"  (Oeeterreich. 
EeTne,  1865,  8.  Bd.)[  Slovnik  Nanfny,  s.  v.  (1872).  Die  Briefe  äafaHk'B  an 
Eollär,  ein  sehr  iaiereseanteB,  aber  noch  nicht  durchgearbeitetes  Material 
für  die  Biographie  Kafarik's  nnd  für  die  Geacbichte  der  BenaisBance  (Ca- 
BOpia  1813,  1874,  1875);  an  den  kroatiBehea  Schriftsteller  Miklousich  (in 
Knkuyevic'B  Ärkiv,  XU.  1875);  reiches  Material  in  den  „Piima  k  Pogodinu 
iz  BlavjanBkicb  zemel,  1835 — 1861"  ( heran Bgegeben  von  N.  Popov,  Moskau 
1879—80;  im  1.  Heft  dieeea  Werkes  Erinnerungen  an  SafaHk  in  den  Briefen 
BodjanBkij's,  im  2.  Heft  144  Briefe  von  Safank  aelbat,  von  1835  bia  1858). 

Ausgabe  der  Werke;  „Sebranö  Spisy",  Prag  1863^65,  noch  nicht  voll- 
ständig; im  3.  Band  sind  Einzel  anters  nchungen  über  Alterthümer,  Mytho- 
logie, Geaehichte,  Literatur  und  Philologie. 

'Perwolf,  in  „Vestnik  Evropy",  1879,  April. 


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314  I^ünftea  Kapital.     I.   Die  Ceohen. 

Zeit  hörte  man  gegen  ihn  Vorwürfe  Ton  seilen  elaTiBcher  pabio- 
tischer  Idealisten. 

Neben  Safarik  steht  ein  zweiter  leitender  Vertreter  der  nen- 
fiechisehen  Literatur,  der  zuweilen  mit  ihm  zusammen  arbeitete, 
Falack^,  der  „Vater  der  böhmischen  Geschichtschreibung".  Franz 
Palack^  (1798—1876)  ward  im  Prerauer  Kreise  in  Mähren  ge- 
boren, und  stammte  aus  einem  alten  Geschlecht,  das  sich  einst 
zur  Brüdergemeine  hielt,  ihre  Lehre  auch  später  nach  der  katho- 
lisches Reaction  unter  Ferdinand  heimlich  bewahrte,  und  nach 
dem  Toleranzedict  Joseph's  IL  das  Lutherische  Bekenntniss  an- 
nahm. Nach  dem  Besuch  niederer  Schulen  trat  Palacky  1812  ins 
eTangelische  Lyceum  zn  Pressburg  ein.  ,  Der  Unterricht  war  latei- 
nisch, aber  Palacky  war  neben  der  Schule  auch  selbst  tbätig, 
studirte  die  neuern  Sprachen  und  ihre  Literatur;  er  bereitete 
sich  für  den  Beruf  eines  evangelischen  Geistlichen  vor,  gab 
aber  später  diesen  Gedanken  auf,  als  er  sich  mit  der  Philo- 
sophie Eant's  befasste.  Zu  nationalen  Bestrebungen  weckte  ihn 
die  Lektüre  der  alten  und  neuen  ^echischen  Literatur;  besondem 
Eindruck  machte  anf  ihn,  wie  auf  Safarik,  Jungmann's  „Gespräch 
über  die  ^bische  Sprache".  In  Pressburg  arbeitete  er  zum  Theil 
an  Palkoyifi's  Wochenschrift  „T^deunik",  aber  Palkovic  war  ein 
Mann  der  alten .  Schule  und  Palacky  zerfiel  zuletzt  mit  ihm. 
In  der  literarischen  Welt  wurde  der  Name  Palack;^'8  bekannt 
durch  seine  Uebersetzung  einiger  Lieder  aus  „Ossian"  (1817),  die 
damals  grossen  Eindruck  im  Kreise  der  iechischen  Dichter 
machten,  da  Ossian  zum  ersten  mal  in  der  6echischen  Literatur 
erschien.  Im  Lyceum  und  lange  nachher  beschäftigte  ihn  beson- 
ders die  Aeethetik.  Oben  war  von  seiner  Annäherung  an  Sa> 
&rik  die  Rede  und  von  der  Herausgabe  der  Schrift:  „Fo^ätkowe 
äeskeho  bäsnictwj".  Einige  Jahre  darauf  verbrachte  Palacky  als 
Hauslehrer  in  reichen  Häusern,  dabei  setzte  er  die  literarischen 
Beschäftigungen  fort;  einige  Artikel  über  Aesthetik  erschienen 
in  der  Zeitschrift  „Krok". 

Oben  enräbnten  wir,  dasB  diese  Zeitschritl  1821  vod  Jnnginaiui  und 
Johann  Svatopluk  Presl  (1791— -1649)  gegrandet  ward.  Der  letstcre 
war  ein  gelehrter  Mediclner  und  Naturforscher,  der  sich  auch  im  Ge- 
biete der  Literatur  einen  grossen  Namen  gemacht  hat  durdi  seine  Be- 
strebnDgen,  der  entstehenden  Literatur  einen  wissenschalUioben  luhalt 
zu  geben  und  eine  wissenschaftliche  Sprache  aussuarbeiten.  D»s  Haupt- 
werk Presl'a  war  eine  grosse  angewandte  Botanik  („ßoEtlin&r",  lüÖ- — 


Franz  Palook^.  215 

1835,  im  Verein  mit  Graf  Bercbtold),  darauf  eine  Reihe  papalär-wisaen- 
scfaiiftlicher  Bücher  in  verschiedeneD  Zweigen  der  NatarwisBenachaft.  Die 
kleine  Zeitschrift  „Krok",  1821 — 1837,  war  der  erste  Versuch  einer 
wissenscba filichen  Darstellung  in  der  neuen  cechiecheu  Sprache  und  zog 
die  besten  damaligen  literarischen  Kräfte  an  sich. 

Im  Jahre  1823  Hess  sich  Palack^  in  Prag  meder,  wo  ihn 
Jungmann,  Presl,  Dobrovsk^,  Haoka  als  eine  neue  vielverapre- 
chende  Kraft  freuadBchafÜicli  begrüssten.  Eine  zufällige  Arbeit, 
welche  Dobrovsky  dem  Palack^  rorschlog  für  Hormayr'e  „Ta- 
schenbuch" ansznfüliren  —  nämlich  eine  Geschiebte  des  Ge- 
schlechts der  Grafen  Sternberg,  lenkte  Palack^  definitir  auf  das 
faistoTische  Gebiet.  Dobrovsky  brachte  ihn  in  Beziehungen  mit 
den  Grafen  Sternberg,  Kaspar  und  Franz,  und  der  letztere,  ein 
aufgeklärter  Mann,  einer  von  den  wenigen  damaligen  Aristokraten, 
die  auch  t^echiscbe  Patrioten  waren,  schätzte  insbesondere  Pa- 
lacby,  und  forderte  nicht  wenig  seine  persönlichen  nnd  wissen- 
Bchaftlichen  Fortschritte.  Auf  Andringen  Palacky's  bei  den  Stem- 
bergs  bescbloss  der  Verwaltungsrath  des  Böhmischen  Museums 
(an  seiner  Spitze  stand  Kaspar  Sternberg)  von  1827  an  seitens  des  ' 
Museums  zwei  Zeitschriften  heranszugeben,  die  eine  in  deutscher, 
die  andere  in  fiecbischer  Sprache;  zum  Bedacteur  für  beide 
wurde  Falacky  gewählt.  Wir  haben  schon  oben  erwähnt,  dass 
die  deutsche  Zeitschrift  keinen  Erfolg  hatte,  und  im  Jahre  1831 
einging;  dafür  fasste  die  ^echische  feste  Wurzel,  und  ward  eins 
der  wichtigsten  gelehrten  Organe  der  öechischen  Literatur;  es 
ist  dies  der  „äasopis  Öeskäho  Museum",  der  noch  jetzt  fort- 
gesetzt wird.    Palack^  redigirte  ihn  bis  1838. 

Inzwischen  breitete  sich  die  Thätigkeit  Palackj's  immer  mehr 
aus.  Im  Jahre  1827  stellten  die  böhmischen  Stände,  in  denen 
sich  ebenfalls  das  Nationalgefühl  zu  beleben  begann,  Palacky  den 
Antrag,  die  Fortsetzung  der  „Böhmischen  Geschichte"  Pubiöka's, 
eines  Schriftstellers  aus  dem  18.  Jahrhundert,  zu  übernehmen.' 
Palack^  lehnte  nicht  ab,  aber  legte  seinen  hesondern  Plan  vor, 
nach  welchem  eine  böhmische  Geschichte  geschrieben  werden 
miisste;  der  Plan  wurde  angenommen,   man  bescbloss,  Palacky 


<  „Chronologische  Geschichte  Böhmens"  (6  Bde.,  Prag  1776—1808;  bis 
Ferdinand  II.).  PnbiEka  (1722—1809)  war  ein  Schriftsteller  der  alten 
jemitisoben  Sohnle;  das  Bn<ji  ist  zwar  fleiasig  geschrieben,  aber  trocken 
und  ajstemlo*. 


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216  Fünftes  Kapitel.    L  Die  Cechen. 

zum  Historiographen  von  Böhmen  zu  ernentieii  (1829),  abei  die 
Oberbehörden  bestätigten  ihm  diesen  Titel  officiell  erst  1H39. 
Palacky  machte  sich  eifrig  an  die  Arbeit,  studirte  die  histori- 
schen und  Rechts-Quellen  in  den  böhmischen  Archiren  und  in 
Wies,  untersuchte  die  alte  Topographie  Böhmens  vergleichend 
mit  der  gegeniriirtigen,  machte  einige  mehr  oder  weniger  lange 
Reisen  ins  Ausland  zur  Aufsuchung  von  Quellen  der  böhmischen 
Geschichte,  die  in  den  europäischen  Bibliotheken  (zu  München, 
Berlin,  Dresden,  Rom  u.  s.  w.)  zerstreut  waren.  Als  Vorbereitung  zu 
seinem  Werke  veranstaltete  Palacky  Ausgaben  der  Quellen  selbst, 
alter  Chroniken,  Urkunden,  Briefe,  schrieb  Specialuntersuchungen 
n.  s.  w.  >  Im  Jahre  1836  erschien  der  erste  Band  seiner  böhmi- 
schen Geschichte,  die  anfangs  deutsch  und  erst  vom  Jahre  1847 
an  in  ^echischer  Sprache  herausgegeben,  und  in  fiinf  umfang- 
reichen (Doppel-)  Bänden  von  ihm,  gegen  das  Ende  seines  Le- 
bens, bis  zum  Jahre  1526  geführt  wurde.* 

Das  Jahr  1848  rief  Palacky  auf  den  Schauplatz  der  Politik. 
£r  war  der  angesehenste  nnd  einflussreichste  Vertreter  der  Na- 
tionalpartei, die  angesichts  der  Bestrebungen  des  Frankfurter 
Parlaments,  Böhmen  in  die  deutsche  Einheit  hineinzuziehen,  und 
gegen  die  Wiener  Centralisation  auf  dem  historischen  Rechte  Böh- 
mens und  der  Föderativverfassung  bestand,  als  der  einzigen  Form, 
welche  die  verscbiedenartigen  Bestrebungen  der  Völker  der  Oester- 
reichischen  Monarchie  versöhnen  könne.  In  der  Periode  der 
Unruhen  1848 — 49  hatte  Palacky  eine  solche  politische  Autorität, 
dasB  ihm  das  Ministerium  Pillersdorf  ein  Portefeuille  anbot;  auf 
dem  Reichstag  war  er  ein  thätiges  Mitglied  der  Gommission, 
welcher  die  Ausarbeitung  der  Principien  einer  Constitution  über- 
tragen war;  aber  gegen  Ende  dieser  stürmischen  Zeit,  als  der 
Reichstag  von  Kremsier  gewaltsam  geschlossen  wurde,  galt  Pa- 


'  Dahin  gehören  z.  B.  die  PutlioatioDen;  „StaH  letopiaove  EeSti  od  rukn 
1378  do  1527"  („Die  alten  böhmischen  Chroniken  vom  Jahre  1378  bis  1587", 
Prag  1829);  „Würdigung  der  alten  böhmiachen  Gesohiobtschreiber"  (Vn§ 
1830);  ArohiT  teskj,  i  Bde.,  1810—46;  vom  Jahre  1862  an  Fort»et*iUig  de« 
Archivs,  nooh  zwei  Bände;  „Aelteate  Denkmäler  eto."  (1840);  „Popis  ^' 
loTstvI  Eeskebo"  („Besohreibung  des  Eönigreiohs  Böhmen",  Prag  1848). 

*  „Geschichte  von  Böhmen",  vom  Jahre  1836  an;  „D3jin<r  näroda  Ce- 
Bköho  V  Cechaoh  a  V  MoravS"  (Bd.  I.  HI— IV.,  Prag  1848-60;  Bd.  V.,  l.ThL 
1866;  2.  Thl.  1867;  Bd.  II.,  1.  Thl.,  1874;  2.  Thl.,  1876);  eine  nenere  Am- 
gäbe  „für  da«  Volk"  mit  Biographie  von  Kalonsek  (Prag  1878). 


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Frenz  Palacky.  217 

lack^  anf  einmal  für  einen  Terdäcbtigen  Menschen,  gegen  den 
polizeiliche  Aufsicht  nothwendig  Bei.  Er  zog  sich  von  der  Po- 
litik zurück  und  beschäftigte  sich  aufs  neue  mit  seiner  histo- 
rischen Arbeit.  Nach  dem  Erlass  des  „Diploms"  von  1860  er- 
neuerte sich  die  politische  Thätigkeit  Palack^'s;  er  wurde  der 
anerkannte  politische  Führer  des  (echischen  Volkes;  im  Jahre 
1861  ward  er  zum  lebenslänglichen  Mitglied  des  Wiener  Herren- 
hauses ernannt.  Zu  dieser  Zeit  wurde  ein  Organ  gegründet, 
das  seine  Ansichten  vertrat ,  die  Zeitung  „Närodni  Listy";  aber 
bald,  im  Jahre  1863,  erweckte  das  Programm  Palacky's  in  der 
neuen  Generation  Opposition,  und  zum  Organ  Palacky's  und 
seines  Verwandten  und  jÜngern  politischen  Genossen,  L.  Kieger's, 
ward  die  neue  Zeitung  „Ndrod",  später  „Pokrok". 

Palacky  bat  von  allen  ßechischen  Gelehrten  der  böhmischen 
Geschtchtschreibung  die  grössten  Dienste  erwiesen.  Sein  bedeu- 
tendstes "Werk,  die  „Geschichte  von  Böhmen"  ist  mit  einem 
nm fangreichen ,  vor  ihm  in  Böhmen  noch  nicht  dagewesenen 
Studium  der  Quellen  geschrieben  und  erhielt  nationale  Bedeu- 
tung. Einer  der  ersten  Ansätze  der  nationalen  Wiederbelebung 
war  das  Bednrfniss,  sich  der  Vergangenheit  zu  erinnern,  den 
historischen  Zusammenhang  mit  den  frühern  Generationen  wieder- 
herzustellen; das  Volk  musste  ans  der  Lethargie  erwachen,  in 
die  es  durch  den  schrecklichen,  ihm  zu  Anfang  des  17.  Jahrhun- 
derts versetzten  Schlag  versunken  war,  und  das  Hauptverdienst 
in  dieser  historischen  Restaurirung  des  Nationalbewusstseins 
schreiben  die  Uechen  eben  Palacky  zu.  Sein  Werk  blieb  beim 
16.  Jahrhundert  stehen;  aber  es  lieferte  eine  feste  Grundlage 
för  die  historische  Forschung  und  für  das  Nationalgefühl.  Dass 
der  Eindruck  ein  solcher  war,  kann  man  daraus  ersehen,  dass 
im  kritischen  Moment  der  Historiker  zum  politischen  Vertreter, 
zum  anerkannten  Oberhaupt  seines  Volkes  wurde. ' 

'  Ton  den  politischen  Werken  Pslaoky'B  verzeichnen  wir  inabesonderc 
den  Artikel:  „Ueber  Centralisation  nad  nationale  Qleiohbereohtigung  in 
Oeaterreioh"  in  HavliCek'a  Zeitung  „Närodni  Noviny",  1849;  ferner,  „Idea 
Btttta Bakouskeho",  in  der  Zeitung  Närod,  1865,  und  besonders,  auch  deutsah: 
„Oesterreiehische  Staatsidee"  (Prag  1865);  endlich  „Doslov",  sein  politiselieB 
Testament  im  „Radhost",  einer  Sammlung  kleiner  Artikel  über  Literatnr, 
Aesthetik,  Genchichte  und  Politik  {3  Bde.  1871—72).  Das  Testament  er- 
schien auch  deotsch:  „Fr.  PalaokJ'a  Politisches  Vermäobtnias"  (Prag  1872). 
Vgl,  darüber  den  Artikel  von  Makuäev  im  „Golos",  1873,  Nr.  178. 

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218  Fünftee  Kapitel.    I.  Die  Öechen. 

Palacky  fahr  fort  zu  arbeiten  bis  in  seine  letzten  Lebenstage. 
Im  Jabre  1876  gab  er  den  letzten  Band  seiner  Geschichte  heraus, 
geführt  bis  zum  Jahre  1526;  bei  diesem  Jahre  wollte  er  auch 
stehen  bleiben,  in  der  Absicht,  nur  noch  die  innere  Culturge- 
Bchichte  des  13. — 16.  Jahrhunderts  zu  bearbeiten.  Im  Jahre  1876, 
am  23.  April,  wurde  zn  Prag  die  Vollendung  you  Palacky's  Ge- 
schichtawerk  gefeiert;  in  seiner  dabei  gehaltenen  Rede  war 
schon  das  Vorgefühl  eines  baldigen  Todes  enthalten.  Er  starb 
am  26.  Mai.'  „Unser  Volk  schwebt  in  grosser  Gefahr",  sagte 
er  unter  anderm  in  seiner  letzten  Rede,  „ron  allen  Seiten  von 
Feinden  umgeben;  ich  verzweifie  jedoch  nicht  und  hoffe,  dass  es 
ihm  gelingen  wird  alle  zu  überwinden,  wenn  es  nur  wollen 
wird.  Es  ist  nicht  genug  zu  sagen:  « Ich  will  * ,  sondern 
jeder  muss  mitwirken,  arbeiten,  Opfer  bringen,  soviel  er  kann, 
zum  gemeinsamen  Wohle,  besonders  zur  Erhaltung  der  Natio- 
nalität. Das  cechische  Volk  hat  eine  glänzende  Vergangenheit 
hinter  sich,  die  Zeit  des  Huss  ist  eine  ruhmvolle  Zeit;  damals 
übertraf  das  cechische  Volk  au  geistiger  Bildung  alle  übrigen 
Völker  Europas  ....  Es  ist  jetzt  nötbig,  dass  wir  uns  ausbilden 
und  nach  der  Anleitung  des  gebildeten  Verstandes  wirken.  Dies 
ist  das  einzige  Testament,  das  ich  sozusagen  sterbend  meinem 
Volke  hinterlassen  möchte"  .... 

Bisher  haben  wir  von  Schriftstellern  gesprochen,  deren  Name 
oder  Ruhm  in  ihrer  gelehrten  Thätigkeit  lag,  und  welche  das 
eigentlich  literarische,  poetische  Gebiet  fast  gar  nicht  berührten. 
Aber  diese  Namen  mussten  vor  allen  in  der  Geschichte  der  ce- 
chischeu  Renaissance  genannt  werden,  wenn  auch  nicht  in 
strenger  Zeitfolge,  so  doch  nach  der  Bedeutung  ihrer  Wirksam- 
keit —  sie  waren  die  unmittelbaren  Fortsetzer  von  Dobrovsky's 


<  Der  Lebenslauf  Palack^'s  ist  Tielmal«  dargeetellt  worden;  siehe  z.  B. 
V.  Zeteo^,  im  Älmanach  M&j,  1860;  noch  früber  in  „Beiuhatags-Galerie, 
geatliriebene  l'ortraitB  der  hervorragendsten  Deputirten  des  ersten  dsterr. 
ReicliHtags"  (Wien  184f<,  Jasper,  Hügel  &  Manz);  Revue  des  deux  Moodea, 
1855,  April:  L'hietoire  et  l'historien  de  la  Bohäme;  Nil  Popov,  in„Sovreiii, 
L&topiÄ",  1665,  Nr.33;  in  dem  Buche:  „VaeroSB.  etnogr.  vystsvka  i  sUvjan- 
skij  f.j6id"  (Moskau  1867);  Slovnik  NanJiny,  VI.  Bd.  (1867)  s.  v. 

Wichtiges  biographitcheB  Material  enthalten  die  eigenen  Werke  Pa- 
laekj'a,  besonders  die  über  politische  und  geaellschaftliche  Fragen;  oad 
ebenso  seine  Correepondenz;  ein  Theil  derselben,  nämlioh  seine  iotereanuiten 
Briefe  an  KolUr,  gedruckt  im  „Öasopis",  1879. 


.....Gooj^lc 


Johann  Eoll&r.  219 

Werk;  es  wftr  nothwendig,  das  hiBtorische  Bevusstsein  zu  wecken, 
die  Literatur  auf  das  Niveau  der  zeitgeDÖSBiEchen  Bildung  zn 
bringea,  eine  neue  Sprache  auezuarbeiten.  Allmählich  erweiterte 
sich  die  Literatur  nach  Inhalt  und  Leserzahl.  Ah  Schrifteteller 
aus  der  Sphäre  des  Volks  und  theilweise  aus  dem  Mittelstande 
hervorgingen,  fand  sich  daraus  auch  ein  Publikum  zusammen. 
Durch  diese  Bedingungen  wurde  auch  der  Typus  der  Literatur 
bestimmt:  in  dem  Bestreben,  die  Nationalität  zu  wecken,  be- 
mühte sie  sich  zugleich,  sich  den  Inhalt  der  zeitgenössischen 
europäischen  Wissenschaft  und  Poesie  anzueignen  und  anderer- 
seits dem  Volke  eine  populäre  Lektüre  zu  geben.  Dieses  dop- 
pelte Streben  blieb  lange  der  herrschende  Zug  der  Cechischen 
Literatur:  sie  wies  eine  beträchtliche  Menge  TOn  Uebersetzungen, 
gemeinTerständlichen  Publicationen  über  verschiedene  Gegenstände 
des  Wissens  auf  und  schuf  ein  nationales  Publikum  aus  dem  ver- 
achteten und  von  einem  fremden  Element  bedrohten  Volke.  Das 
Nationalbewussteein  drang  aus  den  städtischen  Kreisen  ins  Dorf. 
Endlich  trat  auch  die  techische  Poesie  als  würdige  Kraft  in 
der  nationalen  Entwickelung  auf,  und  wie  in  der  Wissenschaft 
zugleich  mit  der  eigenen  nationalen  Frage  das  Bewusstsein  der  ge- 
Bammtslavischen  Einheit  auftauchte,  so  trat  in  der  Poesie,  neben 
dem  particulären  Patriotismus  eine  warme  panslavistische  Ten- 
denz zu  Tage.  Der  erste  und  bedeutendste  Vertreter  der  Poesie 
dieser  Art  war  Johann  Kollär  (1793—1852),  von  Geburt  Slo- 
vak,  aus  dem  Turoczer  Gomitat.  Der  Vater  hatte  ihn  fUr 
seine  ländliche  Wirthschaft  bestimmt  und  gab  ihn  erst  auf  seine 
dringenden  Bitten  in  die  Schule;  als  derselbe  auch  später  den 
Absichfen  seines  Vaters  nicht  gehorchte,  wurde  dieser  so  er- 
bittert, dass  Kollär  das  väterliche  Haus  verlassen  musste  und 
nur  dank  der  Theilnahme  fremder  Leute  die  Schule  fortbesuchen 
kannte.  Im  Jahre  1812  trat  er  in  das  evangelische  Lyceum  zu 
Pressburg,  wo  wir  schon  Safarik  und  Palacky  sahen.  Nachdem 
er  1815  seine  Studien  beendet,  ward  er  Erzieher,  und,  als  er 
einiges  Geld  zusammengebracht,  begab  er  sich  1816  nach  Jena; 
im  folgenden  Jahre  nahm  er  als  jenenser  Student  an  dem  be- 
rühmten Wartburgfest  theil,  wo  das  junge  Deutschland,  nämlich 
die  akademische  Jugend,  bei  der  Jubiläumsfeier  der  Beformation 
ihren  Uass  gegen  die  Keaction  und  den  Obscurantismus  durch 
ein  phantastisches  Auto  de  Fe  bekundete.  Diese  Stimmung  der 
jungen  Generation,   damals   besonders  stark  in  Jena,   und  der 

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220  Fflnfta«  Kapitel.    I.  Die  Öeohen. 

EinfluBS  der  llDiTersität  hatten  wahrscheinlich  ihren  Antheil 
an  der  eigenthümlichen  Beschaffenheit  der  patriotischen  Be- 
strebungen des  (echö  -  sloTakischeii  Dichters.  Doch  kam  noch 
ein  Umetand  persönlicher  Natur  dazu.  Hier  an  den  Ufern  der 
Saale  und  Elbe  lebten  einstmals  die  polabischen  Slaven,  welche 
durch  deutsche  Feindschaft  und  eigene  Zwietracht  untergingen: 
das  Nationalgefühl,  durch  diese  historischen  BeminiscenEen 
geweckt,  verschmolz  bei  KoUar  mit  der  Liebe,  deren  Gegen* 
stand  Wilhelmine  Schmidt  war,  die  Tochter  eines  deutschen  evan- 
gelischen Geistlichen,  welcher  von  solchen  slavischen  Vorfahren 
abstammte  (er  heirathete  sie  erst  im  Jahre  1835).  Dieses  dop- 
pelte Gerühl  gab  der  Poesie  Kolldr's  ihren  Inhalt;  es  sind  darin 
seine  persönlichen  Freuden  und  Leiden  mit  seinen  Reminiscen- 
zen  an  die  Vergangenheit  des  Slarenthums,  mit  Betrachtungen 
über  die  Gegenwart,  idealistischen  Phantasien  von  der  Zukunft, 
und  Aufmunterungen  zu  einem  nationalen  Patriotismus  ver- 
einigt. Seine  Gedichte  erschienen  anfangs  unter  dem  einfachen 
Titel  „Bäsne"  („Gedichte")  •,  aber  in  den  folgenden  Aus- 
gaben hiessen  sie  ,,Slävy  Dcera"  („Släva's  Tochter")^,  unter 
der  Bowol  die  geliebte  Minna  als  das  gesammtslavische  Vater- 
land verstanden  ward. 

„Sldva's  Tochter"  ist  in  tönenden  und  bisweilen  wahrhaft 
poetischen  Sonetten '  geschrieben,  im  Inhalt  kam  eine  neue  Ten- 
denz scharf  zum  Ausdruck,  welche  gegenseitige  slavische  Liebe 
und  slavische  Einheit  predigte:  es  sind  entweder  patriotische 
Elegien,  hervorgerufen  dnrch  die  Erinnerung  an  den  frühem 
Ruhm,  oder  Aufforderungen  zur  Eintracht  oder  Anklagen  gegen 
die  Abtrünnigen;  das  didaktische  Element  nimmt  in  der  Dich- 
tung sehr  viel  Raum  ein.  Die  poetische  Thätigkeit  KoUär's  be- 
schränkte sich  auf  dieses  eine  Werk  ausser  einigen  wenigen  an- 


■  Trag  1821. 

'  „SIävy  Dcera.  Bäsefi  lyricko-epickä  ve  ttech  zpSvioh"  (Pest  1824). 
Furner:  —  v  päti  npevieh,  und  dazu  hIb  besondere  Schrift  „VJklad" 
(„Auslegung",  Peat  1832;  Pest  1845  in  2  TUeilen;  "Wien  1852;  Prag  1802). 
Eiuzelne  Sonette  wurden  überaetzt  ins  Polnisclic,  auch  ins  Deut«ohe,  Kran- 
züäiBclic,  Ei]glis<7he.  Ins  Russiet^he  ist  die  Einleitung  (im  Vemnasa  dei 
Original»,  Distichen)  und  einige  Sonette  von  A.Berg  Übersetzt,  in  .,Po«iiJa 
Slavjan",  S.  34S— 353. 

)  In  der  Ansgabe  von  IMb  622  Sonette;  in  den  letiten  Ausgaben  64S. 


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Johann  Kollfir.  221 

dem  unbedeutenden  Gedichten.  Nach  seiner  Rückkehr  aus  Jena 
ward  er  evangeliBcher  Prediger  in  Fest,  schrieb  Predigten,  be- 
Bchäftigte  dcb  mit  dem  elavischen  Alterthum  und  der  Volkspoesie, 
tmtemahm  einige  Reisen  zur  Erforechung  der  Ueberreste  (meist 
venneintlicher)  slavischer  Alterthümer  in  Deutschland,  der 
Schweiz,  Italien.  Dahin  gehören  seine  „Volkslieder  der  Slovaken 
in  Ungarn" ',  seine  Untersuchungen  über  den  Ursprung,  die  Alter- 
thümer und  die  Namen  der  Slavcn  (1830,  1839),  seine  „Reise" 
(1843),  endlich  „Das  slavische  Alt-Italien".  Aber  in  diesen,  ge- 
lehrten Fragen  gewidmeten  Werken  macht  sich  wieder  nicht  der 
Gelehrte  bemerklich,  sondern  der  Dichter.  Das  slavische  Alter- 
thum stellt  sich  ihm  hier  in  derselben  poetischen  Gestalt  dar 
wie  in  „Slära's  Tochter";  seine  Phantasie  malte  ihm  sogar  Slawen 
in  Italien.^  Als  die  ungarischen  Unruhen  begannen,  hatte  Kollär, 
der  seine  Landsleute  warm  vertheidigte ,  viele  schwere  Prüfun- 
gen und  Verfolgungen  seitens  der  Magyaronen  zu  bestehen;  bei 
Beginn  der  Revolution  ging  er  fort  nach  Wien,  wo  er  184i' 
den  Lehrstuhl  der  slavischen  Alterthümer  au  der  Universität 
erhielt. 

Endlich  ist  nicht  weniger  als  „Släva's  Tochter"  noch  ein 
Werk  KolUr's  berühmt,  das  seinerzeit  einen  starken  Eindruck 
im  slavischen  Publikum  hinterliess.  Dies  war  eine  kleine 
Broschüre:  „Ueber  die  literarische  Wechseleeitigkeit 
zwischen    den  verschiedenen  Stämmen    und  Mundarten 


'  Als  wir  von  Snfarik  sprachen,  gedachten  wir  der  ersten  Ausgabe  die- 
aer  Sammln  Dg.  Die  zweite,  sehr  vermehrte,  ward  vonKollär  seibat  inPest, 
1834—35,  in  2  Bänden  veranstaltet.  Seinerzeit  galt  diese  Auagabe  SafaHk'e 
für  die  beste  im  Slaventhum;  „Sebrane  Spiay",  III,  408— 409. 

'  „Kozpmv;  o  jmenäch,  poiätkach  i  staroätnostech  n&rodn  Slovan- 
ekeho  etc."  („AbhandlangeD  über  die  Namen,  die  Anfange  und  Alterthümer 
des  elavischen  Yolkea",  Ofen  1830);  „SInva  Bobyn^  a  pSvod  jmena  Slaväv 
ih  SiavjanÖv"  („Die  Göttin  Släva  und  der  Ursprung  des  Namens  Slaven", 
Pest  1839) ;  „Cestopia,  obsahnjiei  ceatu  do  borni  Italie  a  odtud  pfez  Tyrolako 
a  Bavorsko,  se  zvlaltnim  ohledem  na  alavjanake  zivly  (1841)  etc,"  („Reise- 
beachreibnng,  enthaltend  eine  Reiae  uaob  Oberitalien  und  von  da  an  durch 
Tyrol  und  Baiem,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  alaviscben  Elemente", 
Ebend.  1843;  Pr^l863);  „Staroitalia  slavjanskä"  („Dae  slaviscbe  Altitalien"), 
herausg^eben  naoh  seinem  Tode  (Wien  1853;  2.  Anfl.  Frag  1865).  —  Die 
auf  das  elavische  Alterthum  bezüglichen  Schriften  Kollar's  waren  meist  Fban- 
tasic,  über  die  sogar  Freunde,  wie  Safai-ik,  misvergnügt  waren. 


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222  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Cecben. 

der  BlaTiechea  Nation,"'  Sie  war  tod  ebendemselben  pan- 
sUtTistiscben  Patriotismas  eingegeben.  Kollär  erkannte  bei  all 
seiner  LeideuBcbaft  für  die  „Blava"  (den  Kubm),  seines  Stam- 
mes doch  an,  dass  die  jetzigen  Slaven  nnr  ,, Riesen  in  der 
Geographie  und  auf  den  Karten  und  Zwerge  in  der  Kunst 
und  Literatur'^  seien;  die  Ursache  dieser  betrübenden  Thatsacbe 
war  seiner  Meinung  nach  die  Zersplitterung  und  der  Mangel  an 
Einheit  und  deshalb  müssten  sich  die  Slaven  zur  Befestigui^ 
ihrer  nationalen  Bestrebungen  zu  literarischer  Gegenseitigkeit 
vereinigen.  „In  unserer  Zeit",  sagte  er,  „ist  cb  nicht  genug,  ein 
guter  Russe,  ein  eifriger  Pole,  ein  vollendeter  Serbe,  ein  gelehr- 
ter Oeche  2U  sein,  und  ausschliesslich,  wenn  auch  noch  so  gut, 
russisch,  polnisch,  6echisch  zu  reden.  Die  einseitigen  Kinder- 
jähre  des  slavischen  Volkes  sind  vorüber;  der  Geist  des  gegen- 
wärtigen Slaventhums  legt  uns  eine  andere,  höhere  Pflicht  auf. 
nämlicb  alle  Slaven  als  Brüder  einer  grossen  Familie  anzusehen 
und  eine  grosse  gesammtslavische  Literatur  zu  schaffen."  . . . 
Zur  Erreichung  eines  solchen  Resultats  hielt  Kollar  das  gegen- 
seitige Studium  der  Dialekte  für  nothwendig.  Er  erklärt,  welche 
Gefahr  dem  Slaventhum  aus  seiner  Zersplitterung  drohe  und  wie 
nothwendig  ein  geistiger  Verkehr  der  Literaturen  zur  Erfüllung 
der  historischen  Aufgabe  des  slavischen  Stammes  sei  —  die  Ci- 
vilisation  und  die  Bildung  weiter  zu  Tühren  nach  den  germani- 
schen und  romanischen  Völkern,  die  jetzt  ihre  Stelle  einem  neuen, 
frischen  Volke  abtreten  müssten.  Das  Mittel,  welches  Kollär  zur 
literarischen  Vereinigung  vorschlng,   war  k«  ungenügend,  aber 


'  Anfangs  Eeobisoli  geaoliriebea,  dann  (leutacli  erBchienen:  „Ceber  die 
literarieohe  WechaeUeitigkeit  etc.  Ans  dem  Slaviachen,  in  der  Zeitecluift 
Hronka  gedrucktem,  ins  Deutsche  übertragen  and  veimebrt  votn  Verfksaer" 
(Pest  1837).  Die  Broschüre  ^Tu^de  dann  in  fast  alle  slavisoheo  Dialekte  über- 
setzt. Die  zweite  tecliiaohe  Ausgabe:  „0  literami  VKajemDosti  etc.".  fiber- 
setzt aus  dem  Dentaohen  von  Job&nn  Slav.  Tomiiiek  (Prag  1853);  serbiiofa: 
„0  kui^no)  UEigamnosti  etc.",  übersetzt  aus  dem  Dentaoben  von  Dem.  Tto- 
dorovie  (Belgrad  1846)  uad  iu  der  „Zastavn",  1878;  mssisobe  UeberMUon- 
gen  in  „Mosk.  Vedomosti",  1838,  in  „OteC.  Zapiski",  1840,  Nt.  1-8  (von 
Sreznevskij).  Das  llui;]i  lenkte  ancb  im  feindlioben  Lager  groae  Auf- 
merksamkeit auf  sich,  wo  man  es  überhaupt  als  ein  Manifest  des  Paosltvis- 
mns  ansah.  Wir  nennen  z.  U.  den  Artikel  in  „Viertel] abrsobrift  ans  anil 
für  Ongam"  1848,  I,  1.  Hälfte,  8.  122—130,  ans  „Pesti  Hirkp"  (wie  e« 
scheint,  von  Pulszky). 


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Johann  Kollsr.  223 

nichtsdestoweniger  hatte  seine  Schrift  grossen  Erfolg,  von  der 
„Wecheelseitigkeit"  begannen  alle  panslavistischen  Patrioten  zu 
reden,  indem  Bie  in  ihr  die  Panacee  für  alle  Nöthen  des  sla- 
Tischen  Stammes  fanden.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
dies  auch  seine  praktischen  Folgen  hatte  in  der  Kräftigung  der 
panslavistischen  Interessen,  wie  auch  die  Dichtung  KoUär's  einen 
ühnlichen  Einduss  hatte. 

Die  „Slävy  Dcera"  übte  einen  um  so  stärkern  Eindruck  aus, 
als  ihr  äu&serat  idealistischer  Charakter  aufs  beste  der  Richtung 
enteprach,  auf  die  wir  oben  bei  den  Vertheidigern  der  Nationa- 
lität hingewiesen  haben:  die  Uebertreibungen  bemerkte  man  nicht 
—  sie  lagen  im  Wesen  der  allgemeinen  Stimmung;  Lehrhaftig- 
keit  and  Weitschweifigkeit  erschienen  nicht  als  Mangel,  weil  in 
den  Belebrungen  ein,  wenn  auch  abstractes,  Programm  gegeben 
wurde,  wie  es  das  schon  geweckte  aber  noch  nicht  zu  bestimm- 
ter Form  gelangte  Gefühl  suchte.  Der  erhabene  Ton,  in  dorn 
die  Dichtung  gehalten  ist,  passte  aufs  beste  zu  der  idealisti- 
schen Aufgabe.  Mit  der  „Slavy  Dcera"  wird  eine  ganze  Reiho 
poetischer  Erzeugnisse,  welche  dasselbe  Thema  der  gesammtslavi- 
echen  Einheit,  des  vergangenen  und  zukünftigen  Ruhmes  wieder- 
holten, eröffnet.'  In  den  fiinf  Gesängen  der  Dichtung  (Saale; 
Elbe,  Rhein,  Moldau;  Donau;  Lethe;  Acheron)  gehen  die  histo- 
rischen  Reminiscenzen ,  die  Segnungen  und  das  strenge  Gericht 
über  die  Handlungen  und  die  handelnden  Persoiien  des  Slavcn- 
thums  bis  in  das  entfernteste  Alterthum  zurück  und  schliessen 
mit  warmen  Aufmunterungen  zur  Einigkeit  und  Arbeit  für  den 
gemeinsamen  Nutzen.     Dies  war  der  charakteristischste  Ausdruck 


'  Eine  Sammlung  der  Werke  Kollära  (übrigena  unvollständig):  „Spiay 
Jana  KoUfira"  (4  Thle.,  Prag  1862-  63).  Darin  findet  aieU  auch  aeine  iuter- 
esBftnte  Selbstbiographie,  die  übrigena  nur  aeine  Jugendzeit  umfaaat  (IV.  Th. 
S.  89-985).  Die  einzige  Biographie  Kollär'a  ist  der  Artikel  von  ZelenJ, 
im  Almanach  „Mäj",  18C2.  Vergi.  Hnrban,  Pohl'ady,  LS.  127—134.  Für 
den  künftigen  Biographen  ist  ein  interessantes  Material  aufgehäuft  in  den 
Briefen  SafaKk'a  an  Kollar,  im  „Casopis",  1873 u.  f.;  PalaukJ's  ebend.  1879; 
Jnngmann's, ebend.  18S0;  Briefe  Kollär'a  an  N.l. NadeSdin,  in  „Russk.  Archiv", 
1873i  Erinnerungen  an  ihn  und  einige  Briefe  in  „Piäma  k  Pogodinu  izälav. 
zemel",  hei-anageg.  von  N.  Popov  (Moakau  1879—80).  St.  Pif ,  „OCerk  polit. 
i  liter.  istorii  Slovakov"  (in  Slav.  Sbornik  Bd.  I  — II).  Vergl.  über  Kollär 
nocb  weiter  unten,  in  der  Literatur  der  Slovaken. 


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324  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Cechen. 

des  idealistiBchen  Patriotismus  von  den  zwanziger  Jahren  an  bis 
1848  und  Citate  aus  ,,Siävy  Dcera"  waren  bei  den  westslari- 
Bchen  Schriftstellern  die  gewöhnliche  Bekräftigung  patriotischer 
Aufrufe. 

Wir  führen  ein  Muster  der  slaviachen  Aufrufe  KolUr'g  an: 

„Eine  grosse  Sünde  ist  der  grimme  Mord,  ßaub,  Verrath,  Brand,  Gift 
—  solche  Missethäter  sind  werth,  dass  ihr  Blut  und  ihre  Seele  dem  Körper 
entströmen  unter  dem  Schwerte  des  Gerichta;  und  Lüge,  Hochmuth, 
Neid,  Verführung,  weichliche  Wollust,  welche  den  Sitten  nachstellt, 
und  wie  die  Greuel  alle  heissen,  die  auf  die  Erde  aus  der  glühenden 
Hölle  gekommeu  sind.  —  Aber  ich  keune  gleichwol  einen  Brachen 
mit  einem  schwarzen  tiässliclien  Gesicht,  gegen  welchen  diese  Sünden- 
Bplitter  noch  weisser  sein  werden  als  Schnee.  Dieser  eine  raubt,  zischelt, 
lehrt  das  Böse,  schlägt  sich  selbst,  die  Vorfahren  und  Nachkommea, 
und  heisst;   Undank  gegen  das  eigene  Volk. 

„Also,  solange  das  junge  Herz  schlägt,  laast  uns  das  Wohl  der 
lieben  Heimat  suchen ;  ihr  Wachen  weckt  die  Schtuinmernden,  ihr  l'eii- 
rigen  die  Kulten ,  ihr  Lebendigen  alles,  was  verwesen  wilL  Ihr  Ge- 
treuen ,  zertretet  den  verrätheri sehen  Draclien ;  ihr  Fi-eigebigen,  scheltet 
die  von  der  Seite  schielenden,  ihr  Fleissigen  das  Gesindel,  welches  von 
den  blutigen  Schwielen  der  Brüder  lebt  und  ihr  Blut  trinkt:  niemand 
kann  sich  herrlicher  mit  kühner  Stirn  rühmen,  als  der  Patriot,  welcher 
in  seinem  Herzen  das  ganze  Volk  trägt;  —  und  das  mit  Recht,  weil 
auch  er  —  mag  der  Karr  darüber  lachen  —  Gott  RechenBchaft  ab- 
legen wird  für  seine  Schafe. 

„Es  arbeite  jeder  mit  beharrrlicher  Liebe  auf  der  ererbten  Flur 
des  Volkes;  die  Wege  mögen  Terachieden  sein,  wenn  wir  nur  alle  einen 
Willen  haben;  es  ist  thöricht,  mit  unkundiger  Hand  die  Bahnen  des 
Mondes  messen  zu  wollen,  wie  ungeübte  Beine  im  Tanze  zu  versodien 
um  spärliches  Lob.  Besser  bandelt  der,  welcher  in  bescheidenem 
Kreise  arbeitet,  treu  auf  seinem  Feldstück  stehend;  gross  ist  er,  sei  er 
Diener  oder  König;  oft  kann  die  stille  Hütte  des  Hirten  für  die  Hei- 
mat mehr  thun  als  das  Feldlager,  aus  welchem  Zizka  kämpfte. 

„Schreibe  nicht  den  heiligen  Namen  des  Vaterlandes  dem  Lande  m, 
in  welchem  wir  wohnen;  das  wahre  Vaterland  tragen  wir  nur  im  Her 
zen  —  dieses  Vaterland  lässt  sich  nicht  tddten,  noch  rauben;  hent« 
oder  morgen  werden  wir  den  Mörder  der  Heimat  toben  and  du 
Volk  in  seinem  Joche  sehen  —  aber  wenn  wir  uns  im  Geiste  geeinigt 
haben,  wird  das  Vaterland  ganz  sein  in  jedem  Tbeile  des  Bandes; 
zwar  ist  dem  unschuldigen  Gefühl  auch  der  Hain,  der  FInss,  die 
Hütte  theuer,  welche  der  Ahn  seinem  Enkel  hinterlassen  hat;  aber 
die  unaerstörbareu  Grenzen  des  Vaterlandes,  die  sich  der  Spott  an- 
zurühren fürchtet,  das  sind  —  einmüthige  Sitten,  Sprache  und  Ge- 
danken."   (Sonette  241—244). 

Im  Sonett  258  und  dem  folgenden  wendet  sich  KolUr  an  das  ge- 
sammtslavische  Vaterland  „Slavien"    (oder  auch  ÄU-Slavien)    nnd  nadi 


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JohauD  Eollar.  225 

seinem  Beispiel  ei-weckte  dieses  Phantasieland  noch  lange  nachher  (und 
»Ibet  jetzt  noch)  den  Enthusiasmus  der  westsl avischen  Dichter,  ias- 
besondere  der  cechischen :  „0  Slavien,  o  Slavien,  dn  Name  süsser  Töne, 
bitterer  Erinnerungen,  hundertmal  in  Stücke  zerrissen,  um  immer  höher 
geehrt  za  werden." 

Vor  seiner  Phantasie  breiten  sich  die  unübersehbaren  Grenzen  des 
gesammtslavischen  Vaterlandes  aus:  „Alles  haben  wir,  glaubt  es  meine 
lieben  Landsleute  und  Freunde!  Was  uns  unter  die  grossen,  reifen 
Velker  der  Menschheit  setzt;  Land  und  Meer  breitet  sich  unter  uns 
aus,  wir  haben  Gold,  Silber,  geschickte  Bände,  Sprache  und  fröhliche 
Lieder;  nur  Eintracht  und  Äufklilrung  fehlt  uns."  (Sonett  260.)  Er  for- 
dert die  slavischen  Völker  auf,  in  Eintracht  und  Einheit  zu  leben: 
„Macht  der  lieben  Mutter  die  Freude,  ihr  Russen,  Serben,  Cechen,  Polen, 
lebt  einträchtig,  wie  eine  Heerde!"  (Sonett  261)-  „Denn  fremdei 
Durst  saugt  unser  Blut,  und  der  Sohn,  des  Ruhmes  seiner  Väter  ankun 
dig,  rühmt  eich  noch  seiner  Knechtschaft!"     (Sonett  263). 

Während  seiner  Wanderung  an  der  Donau  muss  der  Dichter  an  den 
Untergang  der  slavischen  Reiche,  an  die  jetzige  Knechtung  des  Slaven- 
thums  gedenken,  —  Hoffnung  gibt  es  keine:  ,,0  Gott,  0  Gott",  ruft 
er  aus,  „der  du  es  immer  wohl  gemeint  hast  mit  allen  Völkern:  auf 
Erden  gibt  es  nieipand  mehr,  der  den  Slaven  Gerechtigkeit  erwiese! 
Wo  ich  auch  hinkam,  überall  hat  die  bittere  Klage  der  Brüder  mir  die 
Freude  meiner  Seele  getrübt;  o  du,  Richter  über  alle  Richter,  sage: 
wodurch  ist  mein  Volk  so  schuldig?  Ihm  geschieht  Unrecht,  grosses 
Dnrecht,  aber  unsere  Klagen  und  unsern  Gram  schmäht  die  Welt  oder 
verlacht  sie;  aber  nur  darin  lass  mich  deine  Weisheit  erleuchten:  wer 
ist  hier  der  Sünder?  Der,  welcher  dieses  Unrecht  thutj  oder  der, 
welcher  es  erduldet."    (Sonett  290). 

Zuweilen  treten  dem  Dichter  helle  Bilder  der  Zukunft  des  Slavea- 
thums  vor  Augen,  aber  häutiger  klagt  er  im  Bewusstsein  der  schweren 
Gegenwart  und  sein  patriotischer  Gram  kommt  nicht  selten  in  einer 
wahren  und  tiefen,  wenn  auch  zu  gelehrten  Poesie  zum  Ausdruck. 

Öechische  Kritiker  geben  nicht  ohne  Grund  der  altem  Redaction 
der  Dichtung  Kollär's  den  Vorzug  vor  der  letzten,  wo  sich  zu  viel  von 
dieser  Gelehrsamkeit  findet.  Vergl.  Oelikovsky,  Sebran4Listy,  S.314 
(Prag  1865).' 

Die  Poesie  Kollär's  ist  eine  der  allerbedeutendsten  Erschei- 
Dungen  der  gaDzen  neucechischen  Literatur  und  das  charakte- 
ristischste Werk  der  KeDaissance.  Ihre  historische  Bedeutung  wird 
durch  Vergleichung  mit  der  vorhergegangenen  Poesie  klar.    Wir 


'  Ein  DrtLeil  über  die  Diclitung  KoUiir's  vom  magyarischen  Stand- 
punkte aus  in  der  oben  erwähnten  „Vierteljabrsschrift",  1843,  II,  2,  S.  55 
—87  mit  Uebersetznng  einiger  Sonette. 

Pimr,  Slmiluha  liUeutnran.    II,  a,  15 

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226  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  (Blechen. 

sahen,  dasB  von  Ende  des  18.  Jahrhunderts  an  und  fast  his  Kol- 
l&r  die  (iechische  Poesie  rein  nachahmend  war;  in  ihr  herrEchte 
die  naire  Idylle.  Die  erste  Reaction  gegen  diese  Richtung  ward 
um  1820  gegeben  durch  die  Einführung  Ossian's  in  die  cechische 
Literatur,  der  die  Geister  ins  graue,  romantische  und  geheimniss- 
volle  Alterthum  lenkte,  und  durch  das  Erscheinen  des  „Gerichte 
der  LibuSa"  und  der  Königinhofer  Handschrift,  welche  das  Na- 
tionalgefühl in  hohem  Grade  weckten.  Eine  theoretische  Negation 
der  pseudoclassischen  Idylle  und  der  unhestimmten  Sentimentalität 
war  die  erwähnte  Schrift  Öafank's  und  Palacky's,  1818.  Aber  diese 
Impulse  brachten  noch  keine  klare  nationale  Stimmung  hervor. 
Die  hei  den  Cechen  nicht  reiche  Volkspoesie  war  wenig  geeignet, 
eine  solche  zu  schaffen,  auch  begann  man  damals  sich  erst 
für  sie  zu  interessiren.  So  hatte  KoUär  ein  kaum  erwachtes 
Nationalhewusstsein  vor  sich.  Seine  Dichtung  war  dagegen 
eine  einheitliche,  tief  empfundene  und  kräftig  ausgesprochene 
poetische  Predigt  der  nationalen  Sache ,  welche  ausserdem  nicht 
für  die  engen  Grenzen  des  cechischen  Stammes,  sondern  Für 
die  ganze  slavische  Welt  Geltung  haben  sollte.  Mit  seinem 
Panslavismas  kam  Kollär  Safarik  zuvor,  und  in  der  slavischen 
Poesie  ist  er  bisher  noch  von  niemand  ersetzt  als  Prediger 
der  Gegenseitigkeit  und  der  ethisch-nationalen  Einheit.  Bis 
heute,  nach  zwei  Generationen,  bleibt  die  „Slävy  Dcera"  der 
einzige  poetische  Codex  des  Panslavismus,  der  damals  freilich 
(fügen  wir  hinzu)  bei  weitem  nicht  so  gefährlich  war,  wie  ihn 
die  Gegner  darstellten. 

Der  Zeitgenosse  KoUär's,  ein  zweiter  Dichter  und  Panslavist, 
Franz  Ladislaus  Öelakovsky  (1799 — 1852),  war  der  Sohn  eines 
einfachen  Tischlers,  aber  es  gelang  ihm,  eine  Universitätsbildung 
zu  erhalten,  und  er  beschäftigte  sich  früh  mit  der  Literator. 
Sein  erstes  Werk  waren  „Gedichte"  („Smiäene  bäsne",  1822)  und 
„Slavische  Volkslieder"  („Slovanske  närodni  pi'sne",  3Thle.,  1821). 
worauf  Uebersetzungen  aus  Herder,  Walter  Scott  u.  s.  w.  folgten. 
Die  Werke  Celakovsky's  zeichneten  sich  durch  eine  Reinheit  der 
Form  aus,  welche  für  jene  Zeit,  wo  es  sich  noch  um  die  Fixirung  der 
Literatursprache  handelte,  bemerkenswerth  war.  Seine  eigentliche 
Berühmtheit  beginnt  erst  mit  dem  Jahre  1829,  als  er  das  Buch 
„Wiederhall  russischer  Lieder"  („Ohlas  pisni  ruskych")  herausgab, 
worin  er  mit  einer  für  die  damalige  Zeit  grossen  Kunstfertigkeit 
den  Charakter  der  russischen  Volkspoesie  wiedergab.    Ausser  der 

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Franz  L.  ^elakovakf,  227 

„Slävy  Dcera"  hatte  noch  kein  Werk  der  neuern  Literatur  einen 
solchen  Erfolg  gehabt,  wie  dieses  Büchlein,  und  öechische  Kritiker 
sagen  noch  jetzt,  dass,  ,,wenn  Celakovskj  auch  nichts  weiter  ge- 
schrieben hätte,  ihm  schon  der  uOhlas»  allein  einen  Platz  anter 
den  ersten  Bichtern  sichern  würde".  Es  ist  dies  keine  blosse 
Wiederholung  Tolksthümlich-poetischer  Uotive,  sondern  auch  ihre 
Anwendung  auf  einen  neuen  Inhalt.  Eine  ähnliche  Arbeit  machte 
später  Öelakovsky  auch  in  Bezug  auf  die  ^echische  Poesie  im 
„Wiederhall  Öechischer  Lieder"  („Ohlas  pisni  öeskjch",  1840). 
Seine  äussern  Verhältnisse  waren  ziemlich  bedrängt;  er  lebte  von 
Correcturen  und  Uebersetzungen ;  später  half  ihm  die  patriotische 
Protection  des  Gründers  der  iechischen  Matica,  Fürsten  Rudolf 
Kinsky.  Um  1830  handelte  es  sich  um  die  Berufung  CelakoTsk^'s, 
nebst  Safank  und  Uanka,  nach  Russland;  aber,  wie  früher  er- 
wähnt, kam  die  Sache  nicht  zustande.  Im  Jahre  1834  ward  Öe- 
lakovsky  Redacteur  der  „Prazske  Noviny";  daneben  begann  er 
die  ,,Cechische  Biene"  („Ceskä  Vcela")  herauszugeben,  welche 
nicht  wenig  zur  Belebung  der  Literatur  beitrug.  Im  Jahre  1835, 
nach  dem  Tode  Nejedl^'s,  erhielt  er  den  Lehrstuhl  der  dechischen 
Sprache  an  der  Universität,  und  es  stand  ihm  damit  eine  Arbeit 
nach  seinem  Herzen  bevor;  aber  ein  Umstand  brach  in  unerwar- 
teter Weise  seine  Universitätsthätigkeit  ah.  Während  des  pol- 
nischen Aufstandes  waren  seine  Sympathien  im  allgemeinen  auf 
der  Seite  der  Russen,  aber  das  Schicksal  Polens  vrirkte  gleioh- 
wol  stark  auf  ihn:  er  wollte,  dass  der  Streit  im  Geiste  der  sla- 
vischen  Brüderlichkeit  gelöst  werde,  dass  bei  dem  Sieger  weiter 
Blick  und  Hochherzigkeit  zu  finden  sei.*  Nach  Beendigung  des 
Aufstandes,  als  sich  seine  traurigen  Resultate  entwickelten,  wen- 
deten sich  die  Sympathien  Öelakovsky's  auf  die  Seite  der  Polen, 


)  In  einem  Briefe  vom  IT.  Jan.  1831  äussert  Celakovsky :  „Man  sagt,  dasB 
aaa  Theilen  Polens  wieder  ein  Königreich  werden  wird.  Icli  mochte  es 
wünschen  —  es  wäre  dann  wenigstens  ein  ilavischer  Hof  mehr  in  Europa, 
□nd  die  Küssen  würden  dabei  nicht  viel  verlieren.  SoUle  es  so  werden, 
8o  würde  ich  meiner  Treu'  in  Polen  eine  Professur  oder  ein  anderes  Amt 
übernehmen,  denn  Slaven  wären  daselbst  nütbig  nach  Verdrängung  des  Deut- 
schen von  dort."  Sein  Freund  Kamaryt  schreibt  zu  derselben  Zeit :  „Gäbe 
Gott  Glück  dem  Weissen  Adler!"  Im  August  1831,  bei  Erwähnung  der 
Annäherung  der  russisohen  Truppen  an  Warschau  bemerkt  Celakovskj: 
„Möchte  dies  doch  in  guter  und  grosshcrziger  Weise  enden."  S.  ÖelakovskJ, 
„Sebrane  Listy",  S.  287,  289,  290  {Prag  1865). 

15* 

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228  Fünft««  Kapitel.    I.   Die  (Rechen. 

und  er  sprach  sie  in  seiner  Zeitung  aus.  Die  ÖBterreichische 
Gen8ur  sagte  nichts  dagegen;  aber  die  ruBsische  GesandtBchaft 
in  Wien  mischte  sich  in  die  Sache,  und  OelakoTsky  verlor  zu- 
gleich sowol  die  ProfeBBur  wie  die  Redaction  der  Zeitung.  Aber- 
mals half  Celakovky  die  Witwe  des  Fiireten  Kinsky,  intern  sie  ihm 
zu  ihrem  Bibliothekar  machte.  In  dieser  Zeit  wendete  er  sich 
wieder  der  poetischen  Thätigkeit  zu  und  gab  ausser  dem  er- 
wähnten „Wiederhall  ^eclüscber  Lieder"  die  „Centifolie"  („RüSe 
stolistä",  1840)  heraus.  Die  letztere  geniesst  ebenfalls  grossen 
Ruhm;  es  ist  theils  eine  Lyrik  aus  persönlicher  Empfindung,  theils 
eine  reflectirende  und  dann  etwas  langweilige  Poesie,  übrigens 
mit  lebendigen  Episoden,  wenn  sich  der  Verfasser  den  nationalen 
Interessen  zuwendet.  Die  Bedürfnisse  der  ^ecbischen  Literatur 
nötbigten  auch  äelakoTsky  zu  einer  doppelten  Thätigkeit:  er  war 
Dichter  und  Philolog,  indem  er  an  einem  etymologischen  Wörter- 
buch arbeitete,  und  die  officielle  üebersetzung  der  Criminal- 
gesetze  machte  u.  s.  w.  Im  Jahre  1842  berief  man  ihn  schliess* 
lieh  auf  den  slaTischon  Lehrstuhl  nach  Breslau,  wo  er  sich 
mit  einem  andern  gelehrten  Cecheu,  dem  berühmten  Physio- 
logen Purkyne,  befreundete.  1849,  bei  der  Aenderung  der  poli- 
tischen Verhältnisse,  konnte  er  auf  dasselbe  Katheder  nach 
Prag  übersiedeln:  hier  beschäftigte  er  sich  ausschliesslich  mit 
Philologie,  gab  einige  Hülfsmittel  zum  Studium  der  slavischen 
Sprachen  und  eine  Sammlang  gesammtslavlBcher  Sprichwörter 
(„UudrosloTi  ndroda  stovanskeho  v  prfsloTich",  I8Ö2)  heraus. 
Nach  seinem  Tode  wurden  seine  „Vorlesungen  über  die  ver- 
gleichende slavische  Grammatik"  herausgegeben,  und  zuletzt  die 
„Vorlesungen  über  die  Anfänge  der  Cultur  und  Literatur  der 
slavischen  Völker",  welche  bis  zum  Jahre  1100  reichen.' 

Die  Poesie  Celakovsky's  war  ebenfalls  panslaristiscb.  In  den 
allgemeinen  Ideen  kommt  er  mit  Kollär  überein  und  arbeitet 
für  die  slavische  Annäherung,  indem  er  der  (echischen  Literatur 
national-poetische  Züge  anderer  Stämme  aneignet.  Im  Speciellen. 
in  den  eigentlich  dechischen  Verhältnissen,  machte  der  sehr  ein- 
drucksfähige Charakter  Celakovsk^'s,  gereizt  durch  die  Misge- 
schicke  des  Lebens,  zu  einem  besondern  Zug  seiner  Schriften  das 


I   Cteni  o  poEatcfoh  vzdflanoBti  a  literalury  narodSv  fllovassktch"  (N<>- 
voEwkA  Bibl.,  XXI,  Prag  1877). 


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Franz  L.  Öelakovsk^.  229 

beiseende  Epigramm,  von  dem,  wie  ea  scheint,  auch  jetzt  noch 
nicht  alles  veröffentlicht  ist.  * 

Dies  war  der  Charakter  der  bedeutendsten  Vertreter  der 
zweiten  Epoche  der  Öechischen  Renaissance.  Die  Sache  bewegte 
sich  noch  auf  rein  literarischem  Gebiet;  die  schriftstellernden 
Patrioten  erklärten  die  nationale  Idee  als  ein  historisches  Recht, 
als  eine  sittliche  Pflicht  des  Menschen  gegen  die  Heimat;  sie 
arbeiteten  an  dem  Werkzeug  der  Literatur,  der  Sprache,  um  sie 
der  neuen  Bildung  anzupassen.  Es  war  schon  nicht  mehr  die 
Zeit  der  treuherzigen  Idylle,  aber  immerhin  noch  vorwiegend 
eine  Zeit  des  IdealismuB;  die  Patrioten  waren  noch  ein  unbe- 
deutender Theil  der  Gesellschaft,  aber  geleitet  von  einer  Auf- 
gabe, traten  die  bessern  Leute  in  einen  solidarischen  Kreis  zu- 
sammen und  erreichten  ihr  Ziel.  Die  Cechen  sehen  mit  Stolz 
auf  diese  Periode  ihrer  Literatur,  die  thatsächlich  eine  der  be- 
merkenswerthesten  Erscheinungen  der  ganzen  slavischen  Bewe- 
gung ist,  —  es  war  dies  die  moralische  Auferstehung  einer  fast 
erstorbenen  Nationalität. 

Der  Weg  war  gebahnt;  in  der  weitem  Entwickelung  der  Li- 
teratur, bei  den  Schriftstellern  zweiten  Raines  dieser  und  der 
folgenden  Periode,  finden  wir  nur  eine  Fortsetzung  des  Begon- 
nenen. Der  Mangel  an  Kräften  verursachte  es,  dass  die  Schrift- 
steller der  ersten  Epoche  der  Renaissance  nicht  selten  sehr  un- 
gleichartige Specialitäten  vereinten,  —  KolUr  will  Alterthumsfor- 
scher  sein,  um  das  von  ihm  besungene  alte  „Slavien"  zu  finden; 


■  J.  Hal^,  „Fr. Lad. Öelakovakj" (PrE«  1842).  J.E&nui,  ^ivotapuao- 
benf  Fr.  Lad.  Celakovakeho"  (Prag  1855).  Die  Coirespondeuz  Celakovsk^'s 
mit  seinen  Freunden,  Kamaryt,  ChmelenskJ,  VinarickJ,  io  Sebranfi  Listy 
(Prag  1866;  2.  Anfl.  1869).  Eine  andere  Correspondenz  mit  Wenzel  Stanik, 
im  Öaaopia  1871  —  72;  Briefe  Celakovaky's  an  PurkynS,  ebend.  1878. 
Einige  Briefe  aua  den  Jahren  1823 — 28,  ruBsisch  oder  Sechisch  in  mssi- 
ecbem  Alphabet,  abgedruckt  in  Zaderackij's  „Slav.  Eiegodnik",  S.  286— 
295  (Kiev  1878). 

Seine  poetischen  Werke  wurden  gesammelt  in  der  Ansgabe ;  Fr.  L.  Ce- 
lakovsk^ho  Spiaäv  bisnickjeh  knihy  ieetery  (Prag  1847;  NovoCeskä  Biblio- 
ttJka,  5. VIII):  I.Die  Centifolie;  II.  Wiederhall  ruBsiacher  Lieder;  Ill.Wieder- 
liall  CeohiBcher  Lieder;  IV.  VennisoUte  Gedichte;  V,  Epigramme;  VI.  An- 
thologie (aus  slavischeu  nnd  fremden  Literaturen),  —  in  einem  Bande. 

Eine  neue  Ausgabe  von  CelakovakJ'B  Werken  erscheint  in  Kober's  „Nä- 
rodni  Knihovna"  (Prag). 

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280  Fünftes  Kapitel.    L    Dia  Öeohen. 

GelakoTsky  befasst  sich  mit  Philologie;  SafaHk  übersetzt  „Maria 
Stuart",  Jungmann  das  „Verlorene  Paradies",  der  Physiolog  Pur- 
kyne  übersetzt  Schiller.  In  den  dreissiger  und  vierziger  Jahren 
breitet  eich  die  Literatur  aus;  die  Zahl  der  Schriftsteller  wächst, 
ihre  Thatigkeit  specialisirt  sich  mehr;  der  Umfang  des  Publikums 
vergrÖssert  sich:  aus  dem  Volke  gingen  häufig  auch  Leute  hervor, 
die  selbst  an  der  Renaissance  mitarbeiteten;  in  der  Mittelklasse 
zeigt  sich  Interesse  für  das  eigene  Volksthum  in  der  Form  des 
„Patriotismus"  (vlastenectvi). 

Die  £echische  Poesie  begann  sich  damals  mit  besonderer  Liebe 
den  volksthümlichön  Motiven ,  den  historischen  Reminiscenzen 
zuzuwenden.  Zwei  der  angesehensten  Schriftsteller  jener  Epoche, 
jüngere  Zeitgenossen  Safank's,  Kollär's,  Palacky's,  Wocel  und 
Erben  haben  ebenfalls  einen  in  der  Poesie  wie  in  der  Alter- 
thumskunde  gleichbekannten  Namen.  Johann  Erasmus  Wocel 
(1803 — 71),  Sohn  eines  Beamten  in  Kuttenberg,  zeigte  früU 
besondere  Begabung,  in  der  Kindheit  hatte  die  Lektüre  c«cbi- 
scher  Bücher,  alter  und  neuer,  in  ihm  das  patriotische  Ge- 
fühl entwickelt,  und  obgleich  die  Schulen,  welche  er  durchlief, 
rein  deutsch  waren,  erhielt  es  sich  dennoch.  Schon  auf  dem 
Gymnasium  schrieb  er  eine  Menge  Verse  und  dramatische  Stücke; 
die  letztem  improvisirte  er  bisweilen,  indem  er  die  Rollen  den 
Kameraden  ohne  weiteres  dictirte.  Diese  Schöpfungen  vernich- 
tete er  selbst;  nur  das  hat  sich  erhalten,  was  von  ihm  heimlich 
durch  seinen  Vater  an  einen  Verleger  gelangte  (die  Tragödie 
„Harfa",  Königgrätz  1825).  Nachdem  er  seine  Universitätsstadien 
in  Prag  begonnen,  setzte  er  sie  in  Wien  fort,  wohin  er  sich  im 
strengen  Winter  zu  Fuss  begab,  in  der  Hoffnung,  hier  mehr 
Subsistenzmittel  zu  finden.  Ein  glücklicher  Zu&ll  gab  ihm  eine 
Lehrerstelle  im  Hause  der  Grafen  Öemin,  dann  des  Marquis  Pal- 
lavicini,  des  Grafen  Stemberg,  Salm-Salm,  Harrach;  er  lebte  mit 
ihnen  in  Ungarn,  am  Rhein  u.  s.  w.  Lange  von  der  Heimat  weg- 
gerissen, trat  er  zuerst  als  Novellist  in  deutscher  Sprache  auf  (in 
den  Zeitschriften:  Der  Jugendfreund,  Der  Gesellschafter,  Oester- 
reichisches  Wunderhorn).  Im  Jahre  1834  wandte  er  sich  jedoch 
unter  dem  Einäuss  der  Lektüre  der  Böhmischen  Chronik  Pelzel's 
nationalen  Themen  und  der  nationalen  Sprache  zu,  und  schrieb 
eine  epische  Dichtung,  die  „Premysliden",  die  infolge  von  Censur- 
verschleppungen  erst  im  Jahre  1839  erscheinen  konnte.'    Der 


'  PtemjBlovoi.    B&mÜ  epiokä.    Prag  1889;  1869;  1879  (Spiay,  Bd.  2.). 

ü,g:...uJ,C00glC 


Joh.  E.  Wocel.  231 

Verfaeser  batte  seine  Muttersprache  etwas  vergessen,  aber  die 
Dichtung  batte  nichts  destoweniger  grossen  Erfolg,  dank  ihrer 
Grundidee  —  dem  Streben  nach  einer  freiem  Bewegung  des  natio- 
nalen Lebens.  In  diesen  Jahren  erschienen,  wie  gerufen,  die  Ca- 
pitalwerke  der  öechischen  Renaissance:  Safarik's  „Alterthümer", 
„Kollär's  „Wechselseitigkeit"  (1837),  der  erste  Band  von  Palacky's 
„Geschichte  von  Böhmen"  (1836).  Die  cecbiscbe  Bewegung,  schon 
früher  der  polizeilichen  Aufsicht  unterworfen,  erweckte  jetzt  auch 
die  Feindschaft  der  deutschen  Publiciatik.  Die  Cechen  vertheidig- 
ten  sich  in  ihrer  Literatur,  die  jedoch  nicht  an  die  Gegner  ge- 
langte. Wocel  trat  zu  ihrer  Vertheidiguog  in  einer  Beihe  deutscher 
.\rtikel  in  der  Augsburger  Allgemeinen  Zeitung  auf.'  Vom  Jahre 
1842  an  liess  er  sich  in  Frag  nieder,  um  sich  ganz  der  ge- 
lehrten und  literarischen  Thätigkeit  zu  widmen,  trat  sofort  in 
den  „patriotischen"  Hauptverein  und  allmählich  in  alle  litera- 
risch-patriotischen Anstalten  Prags  ein  —  in  das  Museum,  die 
Matica,  die  Gelehrte  Gesellschaft,  die  Bedaction  des  „Casopis" 
u,  3.  w.  Im  Jahre  1843  gab  er  „Schwert  und  Kelch"  („MeC  a 
kalich"),  eine  B«ihe  historischer  Gedichte  über  die  ruhmyollsten 
Ereignisse  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  in  Böhmen,  heraus.^ 
Dieser  poetische  "Cyklua  schloss  mit  dem  „Labyrinth  des  Ruh- 
mes" („Labyrint  slävy",  1846).  Schon  früher  hatte  Wocel  ein 
deutsches  Buch  über  die  böhmischen  Alterthümer  herausgegeben  *, 
das  den  Anfang  der  gelehrten  Thätigkeit  bildete,  welche  sein 
späteres  Leben  ausfüllte.  Im  Jahre  1848 — 49  nahm  er  eben- 
falls theil  an  den  Ereignissen,  war  Mitglied  des  Reichstags. 
1800  erhielt  er  den  Lehrstuhl  der  böhmischen  Alterthumskunde 
und  Kunstgeschichte  an  der  prager  Universität  und  ward  der 
eigentliche  Begründer  dieses  neuen  Gebiets  der  (echischen  Lite- 
ratur. Er  schrieb  eine  Reibe  von  Abhandlungen  über  das  böh- 
mische Alterthum  und  die  böhmische  Kunstgeschichte  und  als 
Resultat  seiner  Untersuchungen  über  das  Alterthum  erschien  das 
Werk:  „Die  Urzeit  Böhmens"  („Pravek  zeme  feske",  2  Theile, 
1866—68),  das  bedeutendste  Buch  der  cechischen  Literatur  auf 
dem  Gebiete  der  Alterthumskunde.    Wocel   gehören    auch  viele 


*AngBb.  Allg.  Zeitung,  von  1839  bis  1846.    Ueber  diese  Polemik  siehe 
,,CaBtipiB"  1819:    „Naie  iaiaul6  boje". 

'  Neue  Ausgabe,  1874  (Spisy,  Bd.  l.|. 

'  „Gnmdzüge  der  böhm.  AltertbuniBknude"  (Prag  1845). 


.,  Google 


232  FüdAcb  KftpiteL    I.    Die  Öechen. 

werthvolle  Artikel  im  Gebiete  der  Geschichte,  dee  Hechts,  der 
^thetischen  Kritik  an. '  Er  var  überhaupt  einer  der  ernste- 
sten Gelehrten  und  gebildetsten  Männer  der  cechischeo  Gesell- 
schaft, und  grosB  ist  sein  Verdienst  in  der  Hebung  des  National- 
gefuhls  —  Bowol  durch  seine  Poesie  wie  durch  seine  wissen- 
schaftlichen Arbeiten.^ 

Der  andere  verdiente  Dichter  und  Gelehrte,  Karl  Jaromir 
Erben  (1811 — 70),  studirte  auf  einem  Provinzialgymnasiam  und 
an  der  prager  Universität  und  nahm  früh  an  den  kleinen  lite- 
rarischen Journalen  theil.  Nach  Abscbluss  seiner  juridiEchen 
Studien  trat  er  iu  den  Staatsdienst  und  balf  ausserdem  Pa- 
lack^  bei  archivalischen  Arbeiten,  schrieb  alte  Urkunden  ab, 
sab  Archive  durch  und  sammelte  derartiges  Material  in  allen 
Gegenden  Böhmens.  Viel  von  dem  Gesammelten  ging  in  Pa- 
lacky's  „Archiv  Öesky"  über.  Im  Jahre  1848  sandte  ihn  der 
„NationalansBchuss"  nach  Agram,  von  wo  er  den  Oechen  über 
die  Thätigkeit  des  kroatischen  Landtags  berichtete;  1849  nahm 
er  an  der  Comission  theil,  welche  unter  der  Leitung  Safank's 
an  der  Herstellung  einer  fcechischen  juridischen  Terminologie 
arbeitete;  im  Jahre  1850  ward  er  zum  Archivar  des  Bohmi- 
Bchen  Museums  erwählt,  und  im  folgenden  zum  Archivar  der 
Stadt  Prag  ernannt,  was  er  auch  bis  zuletzt  blieb.  Seine 
Thätigkeit  zerfiel  in  verschiedene  Richtungen.  Er  war  erstens 
Herausgeber  alter  Urkunden  und  Werke  der  alten  Literatur'; 
femer  Ethnolog  und  Sammler  von  Volksliedern  und  Volksüber- 


'  Dieae  Artikel  eiud  zerstreut  im  „Casopia",  in  der  ZeitBohrirt  „Pamätk; 
arohaeologicke  a  miatopiane",  in  den  deutschen  Denkaobriften  der  bOhmi- 
acben  GelehrtengeBellaohaft,  den  Deokachriften  der  Wiener  Akademie. 

'  Eine  panegyriache  Würdigung  beider  Richtungen  e.  in  der  Schrift 
von  Wenzel  VIfekr  „Tniby  vlastenecke",  S.  3fi5— 376  (Prag  1879).  Vr. 
Ratki  über  Wocel,  in  „Rad  jugoalav.  ahad.'-,  1873,  Bd.  XXII;  E.  ämidek, 
„Upominka  na  pnblioiatickon  Eianost  J.  E,  Wocela",  im  Casopia  der  mth- 
risohen  Maiica,  1876. 

*  Dahin  gehört:  „R^esta  diplomatioa  neu  non  epiatolaria  Bohemiae  et 
Moraviae"  (bis  sjam  Jahre  1358.  Prag  1855;  eiD  groBaes  Werk,  übersua  wiohlii 
für  die  böhmiache  Geachichte).  Femer  die  Publicalionen:  des  2.  Bande«  der 
„Auswahl  aus  der  teohischen  Literatur"  („VJbor  etc."),  von  BartoK'  Chronit. 
der  Werke  Thomas  StitnJ'a,  der  Legende  von  der  heiligen  KatbariDB.  il(r 
Eeiae  Harant's  von  Poliio,  der  Cechischen  Werke  von  Huaa. 


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Poetische  Literatur.  233 

tiefernngen  *;  Alterthumsforscher  (der  besonders  die  gesammt- 
slavische  Mythologie  erforschte)  und  böhmiBcher  Historiker, 
eodlich  Dichter.  Beim  Sammeln  der  Lieder  und  der  Erfor- 
schung des  Volkslebens  und  Volkscharakters  fand  er  in  den 
Tolkstbiunlichen  Motiven  den  Inhalt  für  seine  Balladensamin' 
lang,  den  „StrauBS  aus  Volkssagen"  („Kytice  z  povceti  nä- 
rodnich",  1853,  2.  Aufl.  1861),  der  von  den  cechischen  Kri- 
tikern in  Bezug  auf  treue  Wiedergabe  des  Volksgeistes  als  eine 
Perle  der  Poesie  und  als  Muster  eines  rein  cechischen  Stils  und 
fechischer  Sprache  hochgeschätzt  wird.  An  ihm  schätzte  man 
auch  die  Bemühungen  um  eine  geistige  Annäherung  der  slavi- 
Bcheo  Stämme  und  Bah  in  der  letzten  Zeit  in  ihm  den  Haupt- 
Termittier  zwischen  dem  CechiBchen  Volke  und  den  andern 
Slaven,* 

Hierauf  führen  vir  nur  in  der  Kürze  eine  Reihe  Dichter  die- 
ser Generation  an.  Der  Zeitfolge  nach  muBS  zuerst  Milota  Zdirad 
Poläk  (eigentlich  Matthias*,  1788 — 1856,  gestorben  als  öBter- 
reichiscber  General)  genannt  werden,  der  dem  Charakter  seiner 
Werke  nach  den  Uebergang  von  der  alten  idyllischen  Schule  zur 


'  „Pisne  Därodni  v  Cechäch"  (3  Bde.,  Prag  1842—45;  2.  Aofl.  1852—56) ; 
dastelbe  3.  Aufl.:  „Prostonarodiii  Geeke  pienf  a  Hkadia",  1862.  Zu  den  Lie- 
dern warden  atich  die  Melodien  bersuBgegeben,  gesammelt  von  Erben  «elbat, 
3  Ufte.,  1844 — 47,  uod  dos  4.,  1860.  Endlich  eine  Sammlung  verschiedener 
■Isvischer  Märchen  in  den  OriginalBprachen :  „Sto  proBtonärodcich  pohädek 
etc.  -V  näFeSioh  puvodnich",  auch  nnter  dem  Titel:  „Slovanskä  titanka" 
(4  Hefte  in  1  Bd.,  Prag  1863—65). 

'  Seine  geBammtBlaviBcheD  Interessen  kamen  zum  AnBdruok  auBBer  in  der 
erwähnten  „Slovanskä  fütanka"  in  einer  zweiten  Schrift:  „Tybrane  b^e  a 
poTäBti  närodni  jin^cb  vitvi  Blovanskjoh"  (Frag  1869;  in  Matice  lidu).  Ein 
umfangreioheB  Material  ist  von  ihm  für  die  gesammtBlaTisohe  Mythologie 
gesammelt.  Er  übersetzte  aus  dem  Rn sBis oh en  Nestor' b  Ännalen,  1867;  das 
Lied  vom  Heereszug  Igor's  und  die  „Zadonitina",  1869. 

Eine  Biographie  Erbeo'B  erschien  Bcbou  zu  seinen  Lebzeiten,  im  Alma- 
nach  Jdäj",  für  1859,  S. 95— 113,  verfaset  von  Wenzel  ZelenJ.  S.  femer 
Kvßty,  1861;  Nekrolog  von  Fr.  RaCki,  in  Rad  jogosl,  akad.,  1871.  XIV, 
110—130;  N.  Lavrovskij,  „OEerk  zieni  u  d^jatebiosti  Erhena",  in  Z;um. 
Min.  Nar.  Prosv.,  1871. 

'  Damals  wurde  es  bei  den  patriotischen  SchriftsiellerD  üebraucb,  ihre 
gewöhnlichen  Namen  in  andere,  altCechiache  oder  literarieche  umzuändern, 
welche  einen  symboliBchen  Sinn  hatten,  oder  es  wnrden  beide  Namen 
nebeneinander  gebraucht,  der  wirkliche  und  der  kimetliohe. 

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234  Fünftes  Kapitel.    I.    Die  ÖecheD. 

neuen,  nationaleo  und  „patiiotiBchen",  bildete.  Er  stand  ia  gros- 
scm  Uuhm  als  Verfasser  der  Dichtung  „Die  Erhabenheit  der 
Natur"  („Vzneäenost  prirody",  Prag  1819),  welche  eine  Bescbrei- 
hung  der  verschiedenen  Schönheiten  der  Natur  enthält.  Hier 
findet  man  poetische  Begeisterung  und  kühnen  Stil;  was  die 
Spraclie  betrifft,  so  kämpfte  Polak  noch  mit  Schwierigkeiten 
und  war  in  vielem  Jungmann  zu  Dank  verpflichtet,  der  80^- 
tältig  die  Sprache  der  Dichtung  verbesserte  und  die  BünleitnDg 
zum  grösBten  Theil  selbst  in  Hexametern  schrieb.  * 

Die  nächsten  Zeitgenossen  und  Freunde  Celakovsky's  wareu; 
Joseph  Vlastimil  Kamaryt  (1797—1833),  Priester,  Sammler 
geistlicher  Volkslieder,  der  auch  selbst  geistliche  und  weltliche 
Lieder  im  volksthümlichen  Ton  verfasste;  Joseph  Krasosla» 
Chmelensky  (1800— 1839),  Dichter  und  „Patriot" S;  Karl  Vina- 
ricky  (1803  —  1869),  Priester.  Ferner  Johann  Pravoslav  Hon- 
bek  (1805 — 1854),  Professor  der  cechischen  Sprache  und  Lite- 
ratur an  der  prager  Universität  seit  1839,  schrieb  grössere  unJ 
kleinere  Dichtungen,  übersetzte  aus  dem  Kussischen  und  Pol- 
nischen, und  ist  besonders  durch  zwei  Werke  bekannt:  „Grab- 
mäler  slavischer  Dichter"  („Hroby  bäsnikü  slovansk^ch")  und 
die  humoristische  ,, Reise  einesDichters  in  die  Unterwelt"  („Ceato 
bäsnikova  do  pekel". '  Franz  Jaroslav  Vacek  (1806 — 69,  er 
heisst  auch  Eamenicky),  Priester,  Verfasser  von  Liedern  in 
volksthümlichem  Geiste,  welche  sehr  gefielen;  Wenzel  Jaromir 
Picek  (1812  —  51),  ein  sentimentaler  Dichter,  Verfasser  von 
ihrerzeit  sehr  beliebten  Liedern  mit  patriotischer  Tendenz;  Bo- 
leslav  Jablonsky  (1813 — 81,  eigentlich  Eugen  Tupy),  Priester, 
einer  der  beliebtesten  Cechischen  Dichter:  „Lieder  der  Liebe" 
(„Pisne  milosti"),  „Vermischte  Gedichte"  („Smisene  bäsne"), 
„Die  Weisheit  des  Vaters"  („Moudrost  otcova");  er  ist  Lyriker, 


'  Eine  vollständige  Auegabe  der  Werke  Poläk't  erschien  in  Png,  IftS, 
in  zwei  Theilen:  I.  Die  Erhabenheit  der  Natur  und  verschiedene  Qediefatt: 
IL   Reise  nach  Italien. 

'  Unt«r  andenn  gab  er  im  Verlauf  von  fünf  Jahren  einen  beeondern 
„Vfnec  ze  zpSvfl  vlastenskych  uvitj  a  obftovanj  dfvkwn  vlaatenak^,  ' 
prfivodem  fortopiana"  (Prag  1835—89)  heraus.  Der  Kraus  (venec)  i»t  *M 
patriotischen  Stücken  aller  damaligen  C-echiaohen  Dichter  „geflochten",  obA 
den  „patriotischen  Jungfrauen"  gewidmet 

'  Scbrane  Spixy  (4  Thle.  Prag  1857—69),  mit  einer  panegyriicben  Bio- 
graphie von  K.  Sabina. 


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Poetiaohe  Literatur.  235 

Didaktiker  und  Patriot.'  Wenzel  Stulc  fgeb.  1814),  Propst 
Ton  Vysehrad,  Herausgeber  eines  geistlichen  Journals,  bekannt 
durcb  seine  patriotischen  und  religiös-mystischen  ,, Erinnerun- 
gen auf  den  Wegen  des  Lebens"  („Pomnenky  na  cestach  ii- 
Tota",  1845),  durch  die  Uebersetzung  von  Mickiewicz'  „Wallen- 
rod"  und  neue  Sammlungen  von  Gedichten  („Perly  nebeskc"  — 
„üimnilische  Perlen",  ,,Dumy  Ceske"  —  „Böhmische  Elegien", 
„Harfa  Sionekä"  —  „Zionsharfe ",  1865 — 67),  wo  die  patriotische 
Idee  wieder  mit  der  Idee  der  (katholischen)  Kirche  verbunden 
ist;  der  Verfasser  sucht  nachzuweisen,  dass  PatriotismuB,  Katho- 
licismus  und  Freiheit  nicht  nur  nebeneinander  bestehen  können, 
sondern  einander  ei^äuzen.^  Baron  Drahotin  Maria  Villani 
(1813 — 83)  gab  zwei  Sammlungen  Gedichte  („Lyra  a  mec"  — 
„Leier  und  Schwert",  1844,  und  „Vojenske  zpevy"  —  „Kriegs- 
lieder", 1846,  1862)  heraus.  Als  satirischer  Dichter  und  Hu- 
raorist genoss  Jaromi'r  Bubes  (1814  —  1853)  besondern  Buf. 
Er  begann  früh  zu  schreiben  und  erlangte  bald  Popularität 
durch  seine  scherzhaften  und  patriotischen  Gedichte,  die  eine 
beliebte  Lektüre  in  den  gesellschaftlichen  Unterhaltungen  (den 
bei  den  Cechen  sogenannten  deklamovänky)  waren,  wegen  ihrer 
leichten  Form  dem  grossem  Publikum  gefallen  konnten  und  ihm 
patriotisches  Gefühl  einöössen  mussten.  Im  Jahre  1842  begann 
er  mit  Fr.  Hajnis  und  W.  Filipek  ein  humoristisches  Journal : 
„Palecek,  milovnik  zertu  i  pravdy"  („Der  Däumling,  Liebhaber 
von  Scherz  und  Wahrheit")  herauszugeben  und  schrieb  noch 
einige  Erzählungen  („Pan  amanuends  na  venku"  —  „Der  Herr 
Amanaensis  auf  dem  Dorfe",  „Harfenice"  —  „Die  Harfenspie- 
lerin"), wo  er  Kenntniss  des  Lebens  und  ein  warmes  Gefühl  mit 
Humor  vereinigt. '    Aehnliche  Hoffnungen  weckte  schon  früher 


'  Seine  „BäBnS"  (Gedichte),  zum  ersten  mal  1841  herausgegeben,  erreich- 
ten in  vermehrtem  Bestände  die  füufte  Auflage,  1872. 

'  Seinen  katholischen  PafriotismuB  hat  Stulc  durch  die  That  bewiesen, 
sie  er  einmal  mit  den  hberalen  Patrioten  im  Jahre  1861  von  seinem  Stand- 
punkt aus  g^en  das  Ministerium  Schmerling  in  der  Zeitung  „Pozor"  auf- 
trat,   womit  er  sich   eine    Geldstrafe  und   zweimonatliche   Gefaugnisshaft 

•Seine  Werke,  „Spisy",  erschienen  in  Prag  (4  Thle.,  1860—61;  2.  Aufl. 
1862).  Von  ihm  ist  das  hekannte  patriotische  Gedicht:  „Ja  jsem  Ceoh" 
(„loh  bin  ein  Cecho"),  rnssiBch  von  N.  Berg  in  „Poezija  SJavjan",  S.  373 
—374. 


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236  Fünftes  Kapitel.     I.  Die  Öechen. 

ein  anderer  Schriftsteller,  Joseph  Jaroslav  Laii(;er  (1806—1846; 
seine  „Koprivy"  —  „BrenueBBcln",  „Kukopia  Bohdanecky"  —  „Die 
Handschrift  von  Bohdanec",  „Selanky"  —  „Idyllen"),  aber  er  gab 
bald  die  literarische  Thätigkeit  auf. 

Isolirt  steht  Karl  Ignaz  Micha  (1810—36)  da,  ein  früh- 
verstorbener  talentvoller  Dichter,  dessen  man  jetzt  als  Vorläufers 
der  gegenwärtigen  Dichterscbule  gedenkt.  Er  besass  die  Be- 
dingungen einer  grossen  Thätigkeit;  er  begann  in  dem  gewöhn- 
lichen patriotischen  Stile  —  mit  kleinen  Gedichten,  historischen 
Erzählungen:  „Knvoklät",  „Cikäni" — „Die  Zigeuner",  welche 
einen  bedeutenden  Erzähler  in  der  Manier  Walter  Scott's  ver- 
sprachen. Aber  Mächa  war  eine  schwärmerische,  concentrirte 
Natur,  immer  der  Reflexion  ergeben,  und  es  machte  sich  an  ihm 
der  EinfluBS  der  ByroQ'schen  Poesie  stark  hemerklich;  ihn  be- 
herrschte die  Disharmonie  zwischen  dem  Ideal  und  der  ViiA- 
lichkeit,  zwischen  der  Natur  und  der  menschlichen  GesellschafL 
Diese  Stimmung  kam  in  seinem  Hauptwerke  „Mäj"  zum  Ausdruck, 
welches  von  der  pedantischen  Kritik  unfreundlich  aufgenommen 
wurde,  aber  um  so  mehr  die  Jüngern  Generationen  begeisterte. 
Diese  negative  Tendenz  soll  aber  nur  vorübergehend  gewesen 
sein  und  Mächa  war  eben  daran,  zu  einer  realistischem  poetischen 
Thätigkeit  zurückzukehren,  als  ihn  ein  vorzeitiger  Tod  ereilte.' 
Zugleich  mit  einer  reichen  Lyrik  entwickelten  sich  auch  an- 
dere Richtungen  der  Poesie.  Das  6echische  Drama  war  nicht 
reich  an  Talenten,  hatte  aber  Schriftsteller,  welche  den  Bedärf- 
nissen  der  nationalen  Bühne  genügten.  Oben  war  von  den  Brü- 
dern Tham  die  Rede,  den  Begründern  des  iechischen  Theaters 
■  im  vorigen  Jahrhundert.  ^    Nach  ihnen  war  ein  eifriger  Arbeiter 

'  „Mäj",  ein  lyriech -episch es  Oediolit,  erachien  im  Todesjahr  Mächt'ii 
1836,  als  1.  Band  von  Mäoha'n  SchrifUn  („Spiati  K.  H.  Mäohy  dU  pimi"); 
er  war  aacb  der  einzige.  Im  Jahre  1848  war  eine  vollständige  Antgabe 
seiner  Werke  begonnen  worden,  blieli  aber  wieder  beim  1.  Bd.  tteheo, 
der  einige  Gedichte  und  eine  umfangreiche  Biographie  enthält.  Endlini 
erschienen  seine  „Gesammelten  Schriften"  („Sebrane  Kpisy")  in  Frag,  1863- 
Deutsche  Uebersetzung:  „Miicha's  Ausgewählte  Gedichte"  von  Alfred  Wald»« 
(Prag  1862). 

Uel)er  die  Biographie  vgl.  uoch:  „Upominka  na  K.  H.  Mächo,  K.  S.". 
im  Almanacli  „Maj",  18."i8,  S.  29.'>— 317. 

'  Uelier  die  Anlange  des  Fechiaohen  Theaters  s.  Johann  H;l'bl,  ..Bi*- 
torie  Ecskelio  divadla"  (Prag  1810);  Leo  Blas s  (Karl  Sabin»),  „Das  Theater 
und  Drama  in  Böhmen  bis  zum  Anfang  des  19.  Jahrbonderts"  (Pn^  IST!)- 

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Drama.  237 

auf  diesem  Felde  Johann  Nepomuk  Stepänek  (1783—1844), 
Ver&sser  einer  Menge  originaler  und  übersetzter  Stücke,  die  im 
al^emeinen  keinen  grossen  literarischen  Werth  hatten,  aber, 
was  wichtig  war,  der  beginnenden  Bühne  Material  gaben.  Ste- 
pänek führte  natürlich  auch  das  nationale  Element  ein  und  nahm 
Stoffe  aus  der  böbmiscben  Geschichte. '  In  literarischer  Be- 
ziehung hatten  weit  mehr  Werth  die  Arbeiten  seiner  Nachfolger 
—  Klicpera  und  Tyl.  Wenzel  Clemens  Klicpera  (1792—1859) 
war  ein  überaus  fruchtbarer  Schriftsteller.  Er  hinterliess  gegen 
fünfzig  Stücke,  Tragödien  und  Komödien;  seine  Stoffe  nahm  er 
schon  bewusster  aus  der  Geschichte  und  dem  zeitgenössischen 
Leben,  seine  Stücke  sind  ehen&lls  nicht  frei  von  grossen  Män- 
geln, aber  er  verstand  es  doch,  Interesse  zu  erwecken,  sodass 
vor  allem  er  es  war,  welcher  der  ^chischen  Bühne  einen  festen 
Grund  legte.  ^  Er  schrieb  auch  scherzhafte  Gedichte  und  histo- 
rische Erzählungen.^  Joseph  Cajetan  Tyl  (1808— 5Ö)  war  ein 
Schriftsteller  mit  einem  leichten  und  lebhaften  Talent,  übrigens 
mehr  in  der  Erzählung  als  im  Drama.  Schon  vor  Abschluss 
seiner  Studien  schrieb  er  einen  Roman  („Statny  Beneda",  1830), 
für  den  er  vom  Verleger  als  Honorar  —  einen  abgetragenen 
Rock  bekam.  Aber  seine  Hauptleidenschaft  war  das  Theater, 
dem  er  sowol  als  Regisseur  wie  als  Dramaturg  und  Schauspieler 
diente.    Tyl  übersetzte  und  schrieb  mehr  als  40  Stücke.  *    Im 


>  Zum  Beiep.  „Die  Belagerung  von  Prag  durch  die  Schweden"  („Oble- 
zeni  Prahy  od  Svädu"),  „Bfetislav".  Sein  populareteB  Stuck  war  die  Ko- 
mödie „Der  Ceche  und  der  Deutscbe"  („Cech  a  NEmec"). 

*  Yoa  Beinen  Tragödien  sind  besonders  bekannt  „Sobfslav",  von  den 
Komödien:  „Divotvomy  klobouk"  („Der  wunderthätige  Hut"),  „Rohovin 
CtverrohJ"  („ßohovin  Viereck"),  „Ziäkuv  mef"  („Das  Schwert  ZiäkaV), 
„Lhä}"  a  jelio  rod"  („Der  Lügner  nnd  sein  Geschlecht"). 

^  Von  den  nächsten  Zeitgenossen  EUcpera's  verzeichnen  wir  noch'  die 
Namen  Fr.  Tarinsky'e  (17%— 1852)  und  S.  Maohä&ek's  (1799— 1816;  die 
Komödie  „Zenichove"  —  „Die  Bräutigame",  und  die  Tragödie  „Z&vii  z 
Falkeniteina"). 

'*  Die  bekanntesten  Bind:  „Pani  Marjänka,  maUca  pluku"  („Frsn  Marianka, 
die  Mntter  des  Regiments"),  „Strakonick^  dudäk"  („Der  Dudelsackpfeifer 
von  Strakonitz"),  „JiHkovo  vidfni"  („Die  Vision  Jifik's"),  „Paliiova  dcera" 
l,4^eB  Mordbrenners  Tochtei*")  und  „Johann  Hubs".  In  einem  seiner  Stücke 
findet  sich  das  berühmte  Lied:  „Kde  domov  mSj"  (Wo  ist  mein  Vater- 
land), das  bei  den  Oeohen  fast  zur  Nationalhymne  geworden  ist. 


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238  Fünftes  Kapitel.    1.  Die  Ceohen. 

Jahre  1833  überoalitn  er  die  Kedaction  der  Zeitung  ,^iitdy  a  njoi" 
(„SoüBt  und  jetzt",  deren  Titel  im  folgenden  Jahre  in  „Kvety"  — 
„Blüten"  umgewandelt  wurde),  wo  er  unter  anderm  eine  Polemik 
mit  Celakovsky's  „V^ela"  führte,  später  gab  er  einige  andere 
Journale  heraus.  Einen  besondern  und  den  gelungensten  Zweig 
seiner  Thätigkeit  bildete  die  Erzählung  und  der  Roman,  mei- 
stens historische  und  patriotische  Themen  behandelnd.  Aber 
die  von  Tyl  dargestellte  Vergangenheit  ist  nicht  so  sehr  histo- 
risch  restaurirt,  als  fingirt,  und  seine  Art  des  Patriotismus  rief 
zuletzt  Witzeleien  hervor. ' 

Als  populärer  Schriftsteller  hatte  Tyl  ein  unzweifelhaftes  Ver- 
dienst in  der  cechischen  Literatur,  indem  er  im  Publikum  pa- 
triotische Interessen  weckte,  doch  die  Eilfertigkeit  und  Zersplit- 
terung seiner  Arbeit  liess  ihn  nicht  zur  Goncentrirung  kommeii 
und  vollendetere  Werke  liefern;  aber  sein  unbestrittener  Vomig 
bleibt  eine  leichte  Erzählung  und  Sprache.' 

Joseph  Georg  Kolär  (geb.  1812),  einer  der  bekanntesten 
Cechischen  Schauspieler,  ist  auch  dramatischer  Schriftsteller 
(die  Tragödien:  „Monika",  „Magelona"  und  besonders  „Zizkova 
Smrt"  —  „ZiSka's  Tod",  die  1850  grossen  Erfolg  hatte  und  dann 
verboten  wurde)  und  einer  der  besten  Uebersetzer  —  er  über- 
setzte Goethe's  „Faust",  einige  Dramen  Schiller's  und  Shake- 
speare's.  Ferdinand  Mikovec  (1826- 1862}  war  ein  kenntniss- 
reicher  Alterthumsforscher  und  dramatischer  Schriftsteller,  dem 
die  Tragödie  „Untergang  des  Geschlechts  der  Premysliden"  (,,Zi- 


■  Für  den  besten  Roman  gilt  „Dekret  KutnoborBk^"  („Daa  Decret  to« 
Kuttenberg")  ans  den  Zeiten  des  Hnss,  übersetzt  in  „Russk.  V^stnik",  1S^ 
Nr.  2—4.  Ale  Muster  von  Anachronismen  verzeichnen  wir  z.  B.,  dus  tt 
einen  gelehrten  deutsohen  Professor  und  dessen  schwärmerische  Tochter 
^nz  so  darstellt,  als  wenn  sie  zu  unserer  Zeit  lebten  und  sogar  dieMi 
Professor  zu  Anfang  des  Ib.  Jahrhunderts  beim  Frühstück  KaJTee  trinken 
lässt,  der  erst  im  Iß.  Jahrhundert  nach  Europa  gebracht  wurde. 

'  „Sebrane  Spisy"  {„Gesammelte  Werke",  i  Thie.,  1844).  Zweit«  Sinini- 
lung (Prag  1857— 59);  dabei  eine  Biographie,  verfasst  von  Wenzel  Filipet 
Zweite  Ausgabe  dieser  Sammlung  {Prag  1867).  Abweichende  AeoBsemngB« 
Jak.  Maly'B  b.  in  den  Biographien  Tyl's  {Slovnik  NauCnJ)  und  Celakovrtt'«- 
Eine  bessere  Biographie  Tyl'a  von  Elise  Kräsuohorska,  in  der  ZeitMhrift 
„OsvSta",  1878,  Nr.  2—3,  Ö— 7;  die  neueste  und  vollatändigit«  von  J.  1- 
TiirnovBkJ   (Prag  1881), 


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Erzählung.  239 

hnba  rodu  PremyslOTskeho")  und  „DemetriuB  Ivanoviö"  („Dimitri 
Ivanorit"),  d.  i.  der  Zareviö  DemetriuB  angehört.^ 

Eeicher  ab  das  Drama  war  das  Gebiet  der  Erzählung,  wo 
die  fecbiBchen  Schriftsteller  eifrig  bowoI  die  Form  des  Walter 
ScottWhen  Romans  ale  die  Novelle  und  Skizzen  aus  dem  Volks- 
leben cultivirten.  Hier  müssen  abermals  genannt  werden:  Klic- 
pera,  Tyl,  Rubes,  J.  G.  Kolär,  K.  I.  Mächa.  Der  Zeit  nach  gilt 
für  den  ersten  Begründer  der  cechischen  Novellistik  Johann  Hein- 
rich Marek  (1801 — 53;  Pseudonym  Jan  z  Hvezdy),  ein  Priester. 
Er  trat  früh  in  der  Literatur  auf  mit  Gedichten,  erlangte  aber 
eineD  beBondern  Ruf  als  Verfasser  romantischer  Erzählungen 
und  historischer  Romane  (am  bekanntesten:  „Mastickär"  — 
„Der  Quacksalber"  —  ans  den  Zeiten  Heinricb's  von  Kärnten 
und  „Jarohnev  z  Hradku"  aus  den  Zeiten  Georg  Podebrad's). 
Eine  strenge  Kritik  eines  seiner  Romane,  verfasst  von  Tyl  (im 
„Caeopis",  1846),  soll  auf  ihn  eine  solche  Wirkung  ausgeübt 
haben,  dass  er  infolge  davon  Beine  literarische  Tbätigkeit  ein- 
stellte.^ Karl  Sabina  (1813—77),  einer  der  thätigsten  Schrift- 
steller, hatte  ein  eigenes  literarisches  Schicksal.  Schon  in  den 
dreissiger  Jahren  trat  er  als  Erzähler  und  Fublicist  auf.  Die  pu- 
blicistiscbe  Thätigkeit  zog  ihm  vielfache  Untersuchungen,  Aneste, 
Gefängniss,  zuletzt  ein  Todesurtheil  zu,  an  dessen  Stelle  eine  lange 
Kerkerhaft  trat,  aus  der  er  nach  achtjähriger  Dauer  begna- 
digt wurde.  Auch  mit  seinen  Romanen  hatte  er  kein  Gluck.  Zu 
Anfang  der  vierziger  Jahre  schrieb  er  den  Roman  „Die  Hussiten". 
Die  Censiir  forderte  fünfmal  seine  Umarbeitung  und  erlaubte  ihn 
endlich,  als  er  in  einzelne  Erzählungen  zerstückelt  war  („Obrazy 
z  XV  a  XVI  stoleti"  —  „Bilder  aus  dem  l.'t.  und  16.  Jahrhun- 
dert", 1844).  Ausser  einer  Reihe  Novellen  und  historischer,  hu- 
moristischer, sittenschildernder  Romane  arbeitete  er  auch  für 
das  Theater.  Oben  ist  sein  Buch  über  die  Geschichte  der  be- 
cbischen  Literatur  genannt  worden.  Aber  diese  ganze  vieljäh- 
rige, fruchtbare  und  gefahrvolle  Tbätigkeit  endete  dem  Anschein 
nach  sehr  bedauerlich.  ^  Ein  sehr  fruchtbarer  Novellist  war  auch 
Prokop  Chocholousek  (1819 — 64).    In  der  Jugend  reiste  er  nach 


>  £r  verfaBste  äea  Test  zd  „Staro^itnosti  &  pamütky  zeme  Ccake",  Prag 
1858 — 63.    1.  Bd.   Den  zweiten  Battd  bearbeitete  K.  Zaj: 
'  Zäbavne  Spiay,  Prag,  1843—47,  zebn  Hefte. 
■  Biographie  in  Slovuik  Nautnj',  uod  in  den  Naelilrugen,  s.  v. 


...,  Google 


240  Fünrtea  Kapitel.     I.    Die  Cechen. 

Italien,  besuchte  Dalmatien  und  Montenegro,  deren  Keautniss 
ihm  später  für  seine  Bomaue  zu  statten  kam ;  im  Jahre  1848  und 
den  folgenden  Jahren  wirkte  er  als  patriotigcher  Publicist,  was 
ihm  bedeutende  Unannehmlichkeiten  seitens  der  Behörden  zuzog. 
Er  war  vorliegend  historlBcher  Romanschriftsteller,  nicht  nur 
auB  der  böhmischen,  sondern  auch  aus  der  südslavi&chen,  ja  sogar 
aus  der  griechischen,  veuetianischen  und  spanischen  Geschieht«. 
Besonders  bekannt  sind  von  seinen  Komanen:  „Die  Templer  in 
Böhmen"  („Templäri  v  CechÄch"),  „Die  Tochter  Otakar's"  („Dcera 
Otakarova"),  „Der  Hof  des  Königs  Wenzel"  („Dvür  kräle  Väclava") 
■  und  eine  Sammlung  von  Erzählungen  aus  der  südslavischen  Ge- 
schichte: „Jih"  („Der  Süden",  1862).  Allein  selbst  fiechische  Kri- 
tiker rechnen  ihn  zwar  zu  den  besten  Belletristen  seiner  Zeit, 
aber  geben  doch  zu,  dass  es  ihm  sowohl  an  Originalität  wie  an 
historischem  Colorit  fehlt,  i  Ludwig  Itittersberg  (1809—1858; 
„Rozbroj  Premyslovoü"  —  „Der  Zwist  der  Premysliden"  a.  a.) 
war  zugleich  Publicist. 

Endlich  folgt  die  Erzählung,  entnommen  aus  dem  Volksleben 
und  auch  fürs  Volk  geschrieben.  Zu  Ende  der  dreissiger  Jahre 
begann  Jos.  Ehrenberger  (geb.  1815),  Priester,  moralische  Er- 
zählungen herauszugeben,  in  denen  sich  auch  gelungene  Züge 
aus  dem  Volksleben  fanden.*  Bei  weitem  höher  an  Talent  und 
zahlreicher  sind  die  Werke  Adalbert  Hlinka's  (geb.  1817,  Pseu- 
donym Franz  Pravda),  der,  ebenfalls  Priester,  eine  Menge  Er- 
zählungen aus  dem  Volksleben  geschrieben  hat,  welche  in  Zeit- 
schriften zerstreut  und  theilweise  auch  gesondert  herausgegeben 
sind. '  Manchmal  verfallen  seine  Erzählungen  in  den  Predigt- 
ton, werden  weitschweifig,  aber  es  gibt  auch  andere,  nach  wei- 
chen ihn  £echiscbe  Kritiker  mit  Auerbach  vergleichen.  Allein 
die  erste  Stelle  auf  diesem  Gebiet  gebührt  unbestritten  einer 
Schriftstellerin,  die  überhaupt  eine  der  besten  Erscheinungen  der 


iRQBiiBch  übersetzt:  „Kosovo  Pole.  IstoriCeskfya  pov^Bt  etc."  (Ki«w 
1876). 

'  Im  Jahre  1849  lenkte  seine  in  „Närodni  Noviny"  abgedruckte  &»li- 
luDg:  „Wie  iah  aus  einem  Cechen  ein  Deutscher  uod  dann  wieder  «na 
einem  Deutschen  ein  Ccohe  wnrde"  („Jak  jsem  eo  gtal  z  Ceoha  N Smoem  etc.^i 
die  Aufmerksamkeit  auf  sieb. 

'„Povidky  z  kr^e"  („Erzählungen  vom  Lande",  5  Bde..  1851-58); 
„Uritcl  z  Milesovio"  („Der  Lehrer  von  MileBovio",  1866)  u.  a. 


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ErKäUnag.  241 

6echi8chen  Literatur  bildet,  —  Boiena  Nemcova  (1820 — 62, 
geb.  Barbara  Pankl).  Ihr  Vater,  ein  kleiner  Beamter,  war  von 
Gebart  ein  Deutscher,  die  Mutter  eine  Öechin.  Die  Erziehung 
lag  in  den  Händen  der  Mutter  und  auch  der  GrOBsmutter, 
welche  sie  dann  in  der  bekannten  Erzählung  mit  dieaem  Kamen 
darstellte.  Sie  heirathete  früh,  1837,  ebenfalls  einen  Beamten, 
mit  Namen  Jos.  Nfimec,  und  da  derselbCj  oftmals  seinen  dienst- 
lichen Aufenthaltsort  wechselte,  konnte  Frau  Nemec  verechiedene 
Gebiete  Böhmens  und  der  Slovakei  sehen  und  sich  mit  dem 
Volkeleben  bekannt  machen,  wie  es  selten  einem  Schriftsteller 
gelingt.  Ihr  literarischer  Geschmack  wurde  zuerst  durch  die 
deutsche  Literatur,  Goethe  und  Schiller,  gebildet;  die  erste  Er- 
zählung schrieb  sie  deutsch,  aber  verbrannte  sie  und  fing  bald 
an  fcechisch  zu  schreiben  (vom  Jahre  1839  an),  —  wozu  sie  ins- 
besondere die  patriotischen  Erzählungen  Tyl's  anregten.  Zuletzt, 
im  Jahre  1842,  Hess  sie  sich  mit  ihrem  Manne  in  Prag  nieder; 
hier  wurde  sie  gleich  mit  dem  Kreise  der  patriotischen  Schrift- 
steller bekannt  und  von  ihnen  machten  sie  vor  allen  Nebesk^ 
und  Dr.  Üejka  mit  der  literarischen  Theorie  vertraut  und  wiesen 
sie  auf  Stoffe  aus  dem  Volksleben  und  der  Volkspoesie  hin.  Vom 
Jahre  1843  an  begannen  in  Journalen  ihre  Gedichte  zu  erscheinen, 
darauf  Volksmärchen  und  ethnographische  Skizzen,  auch  Erzäh> 
lungen  aus  dem  Volksleben.  •  Bald  verliess  sie  wieder  Prag  und 
lebte  in  der  Provinz  und  auf  dem  Lande,  Inzwischen  war  ihr 
Mann  infolge  der  Ereignisse  von  1848—50  in  den  Verdacht  „po- 
litischer Umtriebe"  gekommen,  stand  zwei  Jahre  lang  in  Unter- 
suchung und  verlor  zuletzt  1853  seine  Stellung;  die  Familie  kam 
in  Noth;  die  Gesundheit  der  Frau  Nemec  begann  zu  wanken, 
und  angestrengte  Arbeit  für  die  Familie  untergrub  sie  end- 
lich ganz.  Ihre  besten  Werke  sind:  „Die  Grossmutter"  („Ba< 
bi£ka",  auch  ins  Russische  und  andere  Sprachen  übersetzt),  „Das 
Gebirgsdörfchen"  („Pohorska  vesnice").  Wir  fügen  noch  hinzu, 
dass  sich  ihr  Interesse  auch  auf  das  nationale  Leben  anderer  sla- 
vischer  Stämme  —  der  Russen,  Bulgaren  und  Serben  —  ausdehnte 


'  „N4rodni  bächorky  a,  pov^sti"  („Volkamärchen  und  ErzäLlungen", 
1846);  ,3al>i&ks,  obnizy  venkovskiho  zivota"  („Die  Grosamutter",  183.')); 
^dhonVi.  TeBnioe"  („Das  Gebii^dorfobeu",  1B56);  „Slovenske  pohädky  r 
povSgti"  („SlovakiBohe  Märchen  und  Erzähl nugeo",  1S56);  „Sebrsur  SpUy" 
(„GcBsmmelte  Sohriften",  8  Thle.  1862-63). 

Pxm,  SUTiMh*  LiMratartn.    11,3.  lg 

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242  Fünftes  KapiteL    I.   Die  Öeohen. 

undsiclimit  sehr  Ternünftigeii  Ansichten  iiher  Leben  und  Geaell- 
Bcbaft  vereinte.  Die  Werke  der  Frau  Nemec  zeichnen  eich  über- 
haupt durch  grosse  Vorzüge  aus  —  durch  eine  bedeutende  Kennt- 
niss  dee  VolkslebenB  und  der  Volkssprache,  durch  leichte  Erzäh- 
lung und  Innigkeit-,  sie  fühlt  tief  die  poetische  Seite  des  einfachen 
Volkslebens,  weiss  sie  mit  anziehenden  Sitten-  und  Charakterzügen 
Torzufuhren,  und  in  der  Erzählung  empfindet  man  das  aufrichtige 
und  überzeugte  Streben  nach  dem  Wohle  des  Volkes  und  den 
Wunsch,  ihm  zu  dienen.  Die  Werke  der  Boiena  N^mcova  iraren 
der  Reflex  ihrer  persönlichen  edeln  and  poetischen  Natur,  —  die 
auch  dem  Verfasser  persönlich  eine  freundliche  Erinnerung  ge- 
blieben ist.  I 

Der  angeführte  Inhalt  der  Cechischen  Poesie,  des  Dramas  nad 
des  Uomans,  Tervollständigt  sich  durch  eine  beträchtliche  Mei^e 
von  Uebersetzungen  aus  den  europäischen  und  den  andern  slan- 
sehen  Literatureni  Shakespeare  fand  eifrige  Uebersetzer,  wie  auch 
andere  Schriftsteller  ersten  Ranges.  Femer  besitet  keiner  der 
andern  stavischen  Stämme  so  viele  Uebersetzungen  aus  den  ver- 
wandten slavischen  Literaturen.  Den  Öcchen  waren  in  diesen 
Jahren  und  später  in  Uebersetzungen  bekannt  Pnskin,  Lermontov, 
Gogol,  Turgenev,  Kolcov,  Nekrasov;  Vuk  Kai-adSi£,  Vukotinovii, 
BogoviÄ;  Mickiewicz,  Zaleski,  Konteniowski,  Rzewaski,  Brodntfski, 
Syrokomla  u.  s.  w.  * 

Die  Dichtung  KoUär's  bestimmte  auf  lange  Zeit  die  Kichttuig 
der  Cechischen  Poesie,  indem  sie  in  ihr  die  nationalen  und 
panslavistischen  Bestrebungen  festigte.  Kollär  sprach  sein  Pro- 
gramm mit  erhabenen  und  entschiedenen  Worten  aas:  „Das 
Kleinere  muss  immer  dem  Grossem,  Hohem  unterthan  sein: 
die  Liebe  zur  Heimat  der  Liebe  zum  Vaterland.  Die  Ströme, 
Flüsse  und  Bäche  ergiessen  sich  ins  Meer;  die  einzelnen  Länder, 
Gebiete,  Stämme  müssen  sich  in  die  Nation  ergiessen.    Alle  Slaven 


'  Siehe  Slovnik  NanEuf,  s.  v.;  „Bozens  NEmcova,  biogrofiCeakij  oltaV 
(RuBBk.  VSstnik,  1871,  93.  Bd.,  S.  5C-80). 

■  BesonderB  Arbeitete  in  dieser  Bedebung  der  fleissige  Salinft«t«IIer 
Jakob  M&l^  (geb.  1811),  der  die  „BiblioMka  z&bavn^ho  Eteni"  („Bibüotbek 
der  Unterbai ttmgslektüre")  heranegab.  ADsserdem  ÖbersetiU  er  eine  gaue 
Eeihe  bistoriBoher  und  nnterbaltender  Sobriften,  war  zweiter  Redtetenr  des 
Slovnik  NanCnj,  und  gibt  in  den  letzten  Jahren  ein  kleines  Convenatiaiu- 
Lexikon  beraus:    „StniCnJ  vieobeon^  Slovnik  vEcn;f". 


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FatriotismuH.  243 

haben  nur  Ein  Vaterland,"  „Die  festen  Grenzen  des  Vater- 
tandfls,  welche  die  Bosheit  zn  berühren  sich  fürchtet",  sagt  er 
in  seiner  Dichtung,  „liegen  in  den  Sitten,  der  Sprache  und  den 
einmüthigen  Bestrebungen."  Dieses  Vaterland  ist  das  pansla- 
yiatische  Vaterland,  und  es  wurde  zum  allgemeinen  Ideal;  es 
wurde  damals  auch  toq  Dichtem  anderer  slavischer  Stämme 
angenommen,  sobald  sich  bei  ihnen  die  nationale  Frage  erhob. 
Aber  zu  den  unbestimmten  mystischen  Erwartungen  des  Pansla- 
vismuB  gesellte  aich,  als  ihre  erste  reale  Stufe,  die  Forderung, 
das  nähere  nationale  Gefühl  zu  wecken,  das  eigene  Volksthnm, 
dessen  Sprache,  Literatur  und  Sitten  zu  heben. 

Diese  Motive  wiederholt  dann  die  Masse  der  öechischen  Dichter, 
welche  die  ruhmYolle  Vergangenheit  besangen,  Liebe  zur  Heimat, 
zu  deren  Sprache  und  Sitten,  zum  panslavistischen  Vaterland 
predigten.  Den  Fnsstapfen  Kollär's  folgend,  der  seinen  Lands- 
leuten den  Rath  gab,  ihre  Sprache  und  Sitten  zu  wahren  („Nechte 
ctzfch,  mluvte  vlastni  re6i!"  —  „Lasst  die  Fremden,  sprecht  in 
eigener  Sprache!"),  fordern  die  Öechischen  Dichter  ihre  Landsleute 
beharrlich  anf,  ßechisch  zu  sprechen  und  die  Heimat  zu  lieben. 
Eine  Dichterin  ermahnt  ihre  Mitbürgerinnen,  „mit  dem  ersten 
süssen  Kuss  in  die  Seele  ihrer  Kinder  cechische  Laute  und  heisse 
Liebe  zur  Heimat  einzuäivssen  —  ihnen  die  Namen  der  ruhmvollen 
Väter  zn  nennen  und  an  das  Blot  zu  erinnern,  das  für  das  Recht 
vergossen  worden  ist".  Rühes  widmet  ein  ganzes  langes  Gedicht 
(Ja  jsem  Cech)  dem  Ausdruck  eines  begeisterten  patriotischen  Be- 
wuBstseina:  „Ich  bin  ein  Oeche,  und  wer  ist  mehr?  Der  trete 
vor  und  lasse  sich  hören  u.  s.  w." 

Jahlonsky  spricht  seine  Bereitwilligkeit  zum  Kampf  fürs  Vater- 
land aus,  und  versichert,  dass  er  in  sich  „Löwenblut"  (der  Liiwe 
ist  das  Wappen  des  Königreichs  Böhmen)  fühle:  „Wundert  euch 
nicht,  meine  Lieben,  dass  ich  für  die  Nation  stets  zum  Kampfe 
bereit  bin,  dass  Löwenblut  in  diesen  Adern  strömt;  dass  ich  für 
das  Vaterland  —  für  diese  Mutter  ■ —  mit  allen  Elementen  kämpfen 
möchte,  —  ich  bin  mit  Leib  und  Seele  Üechel  u.  s.  w." 

Ein  anderer  Dichter  fragt,  wo  die  Grenzen  des  slavischen 
Reiches  seien?  Er  sucht  sie  dort,  wo  Zar  Lazar  im  rühmlichen 
Kampfe  unterging,  sucht  sie  an  der  Donau,  wo  der  ruhm- 
volle Zrinyi  kämpfte;  an  der  Moldau,  wo  Zi^ka  seine  Krieger 
zum  heiligen  Kampf  für  das  Volk  führte;  an  der  Weichsel;  auf 
der  mssiBchen  Erde,  wo  die  Flammen  Moskau  ergriffen  —  und 

16* 

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344  Fünftes  Ktqtitel.    I.   Die  Öeohen. 

alle  diese  Grenzen  umfassen  noch  lange  nicht  das  slavische 
Reich.  Endlich  findet  sie  der  Dichter:  „Dort,  wo  die  Sprache 
des  Sohnes  der  SUva  der  Ehre  der  Väter  gedenkt,  reiner  SioD 
und  warmes  Herz  fürs  Vaterland  kühne  Thaten  verrichtet,  die 
Verbrüderten  Liehe  eint —  dort  steht  das  slavische  Reich  1" 


Diese  Grenzen,  welche  durch  „reinen  Sinn",  „warmes  Herz", 
„brüderliche  Liebe"  bestimmt  wurden,  erscMenen  damals  als 
eine  starke  Grenze  des  angenommenen  slavischen  Reichs. 
Thatsächlich  war  die  Grenze  freilich  nicht  ganz  zuverlässig, 
aber  das  wurde  von  dem  damals  eben  erst  erwachten  und  od- 
er&hrenen  Nationalgefühl  nicht  bemerkt.  Die  slavische  Ein' 
heit  schien  gesichert  zu  sein  und  die  Poesie  ward  nicht  müde, 
ihre  Aufrufe  zu  wiederholen.  Der  russische  Iicser  wird  eich 
dabei  nicht  schwer  an  ähnliche  Aufrufe  Chomjakov's,  Tjut^ev's 
und  anderer  Dichter  der  slavophilen  Schute  erinnern.  Es  ist 
begreiflich,  dass  die  nationale  Antipathie  gegen  die  Deutschen 
wuchs:  die  alten  Feinde,  welche  in  der  Vergangenheit  soviel  ge- 
schadet hatten  und  in  der  Gegenwart  die  Nationaliät  bedrohten, 
wurden  den  Patrioten  noch  verhasster,  und  obgleich  die  öster- 
reichische Gensur  sehr  sorgsam  die  Literatur  im  Zügel  hielt,  so 
konnte  der  Leser  doch  zwischen  den  Zeilen  die  wirklichen  Ge- 
danken der  patriotischen  Schriftsteller  lesen.  Kollär  rieth  den 
treuen  Söhnen  des  Vaterlandes  „den  verrätherischen  Drachen  siit 
Füssen  zu  treten";  in  einem  Dorfliede  Gelakovsky's  erzählen  die 
Landleute,  dass  sie  Lein  gesäet  haben  für  ihre  Weiber,  Rosen 
für  ihre  Mädchen  und  Hanf  (zu  Stricken)  für  gewisse  Hallunken, 
welche  der  Leser  zu  errathen  hat.  Es  muss  übrigens  bemeikt 
werden,  dass,  wenn  die  innern  politischen  Beziehungen  zu  den 
Deutschen  ernstlich  zur  Sprache  kamen ,  die  cechischen  Pnbli- 
cisten  im  allgemeinen  eine  grosse  Mässigung  zeigten,  die  auch 
thatsächlich  in  versöhnlichen  Handlungen  zu  Tage  trat,  als  der 
Umschwung  des  Jahres  1848  begann.  Andererseits  war  den  bes- 
sern Leuten  der  Literatur  immer  eine  grosse  Hochachtung  vor 
der  deutschen  Wissenschaft  geblieben  und  die  Literatur  ent- 
wickelte sich,  bei  aller  Originalität  einiger  ihrer  Erscheinungen, 
bei  der  scharf  ausgesprochenen  Tendenz  zur  Unabhängigkeit,  » 


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D«s  J»hr  1848.  245 

iiittioiialem  Cbarahter,  im  allgemeiuen  unter  dem  niächtigen  deut- 
Bcben  EinfluBs,  oder  unter  dem  allgemeinen  europäischen  Ein- 
fluBS  unter  starker  Vermittelung  der  deutschen  Bildung.  Mehrere 
grosse  6echische  Schriftsteller  begannen  sogar  ihre  poetische 
Thätigkeit  in  deutscher  Sprache  —  wie  Wocel  und  Boiena  Nem- 
cova  —  viele  schrieben  ihre  gelehrten  Werke  deutsch  —  wie 
nach  Dobroveky  Safank,  Palacky,  KoUar,  Toraek  u.  a. 

Der  übertriebene  IdeälismuB  und  die  Sentimentalität  des  da- 
maligen „Patriotismus"  riefen  zuletzt  eine  Beaction  in  der  Mitte 
der  Patrioten  selbst  hervor.  In  einer  Kritik  des  Romans  „Der 
letjite  öeche"  von  Tyl,  dessen  Fatnotismus  sich  besonders  durch 
Hulche  Züge  auszeichnete,  fand  Havli'^ek  nöthig  auszusprechen: 
„Diese  unaufhörlichen  Reden  von  Patriotismus,  von  Patrioten 
und  Patriotinnen,  mit  denen  uns  unsere  Schriftsteller  seit  vielen 
Jahren  unbarmherzig  in  Versen  und  Prosa  verfolgen,  und  be- 
lionders  Tyl,  fangen  schon  an  uns  überdrüssig  zu  werden.  Es 
wäre  Zeit,  dass  es  diesem  Patriotismus  gefiele,  von  der  Zunge 
in  die  Hände  und  in  den  Leib  überzugehen,  d.  b.,  dass  wir  aus 
Liebe  zu  unsenn  Volke  mehr  handelten  als  von  dieser  Liehe 
redeten ;  denn  vor  lauter  Erweckung  zum  Patriotismus  vergessen 
wir  die  Bildung  des  Volkes."  < 

In  einer  solchen  Verfassung  war  die  ^cbi&cbe  Literatur,  als 
die  Ereignisse  des  Jahres  1848  begannen.  Die  constitutionelle 
Freiheit  brachte  sofort  eine  starke  Bewegung  in  die  nationale 
Frage;  die  Nationalität,  gesetzlich  anerkannt,  kräftigte  sich  plötz- 
lich in  bemerklicher  Weise,  weil  zu  ihr  Leute  übergingen,  die 
vorher  schwankten  und  unentschieden  waren.  Dies  zeigte  sich 
sogar  in  Wien.  Es  entstanden  slavische  politische  Clubs,  poli- 
tische Zeitungen  erschienen;  die  Fressfreiheit  gab  der  Literatur 
ein  neues  Interesse:  sie  wurde  von  politischen  Betrachtungen, 
patriotischen  Aufrufen  und  Liedern  überschwemmt.  Aber  es 
war  noch  viel  Unerfahrenheit  vorhanden  und  die  journalistische 
Literatur  hatte  die  Aufgabe,  in  ihrem  Publikum  ein  gesundes 
Verständniss  der  neuen  politischen  Verhältnisse  zu  entwickeln 
und  es  an  bürgerliche  Selbständigkeit  zu  gewöhnen.  Die  cechi- 
scben  Politiker  arbeiteten  oft  sehr  vernünftig  an  dieser  Aufgabe, 
wenn  sie  auch  damals  zu  sehr  an  die  Erfüllung  der  slavischen 
Hoffnungen  und  an  den  Bestand   der  constitutionellen  Ordnung, 

<  teeki  VEela,  1845. 

■     ü,g:.z:...,GOOglC 


246  Fünftes  KapiteL    L   IHe  Öeobeo. 

die  ohne  jede  sonderlicbe  Anstrengung  seitenB  der  Cechen  selbst 
erlangt  worden  war,  glaubten.  .  .  .  Unter  diesen  Journalisten, 
die  sich  aus  frühern  Dichtem,  Alterthumsforschem  und  Ethno- 
graphen gebildet  hatten,  war  auch  ein  Schriftsteller  von  sehr  be- 
deutendem Talent.  Dies  war  Karl  Havliöek  (oder  Borovsky, 
1821 — 56)-  Als  er  in  der  Jugend  ins  erzbischöfliche  Seminai 
zu  Prag  getreten,  versprach  Havlidek  mit  seinen  witzigen  Ans- 
föllen  und  satirischen  Versen  ein  Ecblecbter  Tbeolog  zu  «erden 
und  verliess  zuletzt  das  Seminar  zu  seinem  und  seiner  Lehrer 
Befriedigung.  Im  Jahre  1842  begab  er  sich  nach  Moskau,  wo 
er  etwa  zwei  Jahre  als  Hauslehrer  im  Hause  des  Professors  Se- 
vyrev  zubrachte.  Das  Leben  in  Moskau  binterliess  eine  Spar  io 
seiner  Entwickelnng ;  der  kritische  und  oppositionelle  Charakter 
seines  Geistes  prägte  sich  hier  noch  mehr  aus,  er  lernte  die 
gegenseitigen  slaviscben  Beziehungen  besser  verstehen  und  Ge- 
walt und  Willkür  starker  hassen.  Im  Jahre  1844  kehrte  er 
nach  Prag  zurück.  Seine  literarische  Thatigkeit  begann  er  mit 
Artikeln  und  Briefen  über  Busstand,  die  zum  ersten  mal  die 
cechischen  Leser  mit  der  wahren  Lage  der  russischen  Verhält^ 
nisse  bekannt  machten,  —  obgleich  ihm  ein  gewisser  Theil  von 
den  Begriffen  der  Slavophilen  anhaftete,  unter  welchen  er  in  Bnss- 
land  gelebt  hatte.  Unter  anderm  übersetzte  er  ins  Öechische  einige 
Erzählungen  von  Gogol.  Im  Jahre  1846  ward  er  Redacteur  der 
„Prazske  Noviny"  und  der  „Viela",  die  mit  jenen  zugleich  erschien. 
Schon  von  dieser  Zeit  an  gewann  der  talentvolle  Schriftsteller 
Popularität,  die  dann  immer  mehr  und  mehr  wuchs.  Havliiek 
wusste  die  Aufmerksamkeit  der  Gesellscbaft  zu  fesseln,  und  äie 
österreichische  Regierung  schickte  sich  schon  an,  seine  Zeitung 
zu  unterdrücken,  als  die  Märzrevolution  dem  kühnen  Publidsten 
vollends  die  Hände  löste.  Er  nahm  den  thätigsten  Antheil  an 
den  Ereignissen  des  Jahres  1848 — 49  in  Böhmen  und  begann, 
vom  Grafen  Deym  in  materieller  Beziehung  unterstützt,  vom 
Jahre  1848  an  die  Herausgabe  der  „Närodni  Noviny"  —  einer 
Zeitung,  die  bald  gewaltigen  Einfluss  auf  die  Neckische  tie- 
sellscbaft  erlangte  und  überhaupt  die  beste  von  den  slavi* 
sehen  politischen  Zeitungen  war,  welche  damals  in  Oesterreich 
erschienen.  In  seinen  politischen  Ansichten  hielt  sich  Havh'iek 
|iD  die  erste  Constitution  und  an  das  Programm  Palacky's,  aber 
in  diesen  Grenzen  war  er  ein  hartnäckiger  Vertheidiger  des 
nationalen  Bechts  gegen  alle  feindlichen  Anschlage.   Er  fasste  die 


Karl  HavlUek.  247 

octroyirte  Constitution  vom  4.  März  1849  eo  auf,  wie  es  sich 
gebührte,  als  alle  Samenkörner  der  darauf  folgenden  Reaction  in 
sich  enthaltend,  und  trat  in  seiner  Zeitung  scharf  gegen  sie  auf. 
Die  Regierung  forderte  ihn  vor  Gericht,  aber  die  Geschworenen 
gaben  ihm  recht.  Darauf  begannen  fortwährende  Verfolgungen, 
welche  Anfang  1850  mit  dem  Verbot  der  „Närodni  Noviny" 
endeten.  In  demselben  Jahre  begann  er  den  „Slovan"  („Slave") 
herauszugeben,  in  Form  einer  Wochenschrift,  in  Euttenberg,  da  in 
Prag  die  Herausgabe  wegen  des  daselbst  heiTs<diendeD  Belage- 
rungszustandes  nicht  möglich  war.  Aber  der  Kampf  gegen  die 
Reaction  war  schon  unmöglich:  im  Jahre  1851  ward  HavliÖek 
der  Eintritt  in  Prag  verboten,  dann  verbot  man  den  „Slovan", 
endlich  verbannte  man  ihn  selbst  nach  Brisen  in  Tirol.  .  .  .  Auf 
die  Zeit  dieses  Exils  beziehen  sich  seine  „Tiroler  Elegien" 
(„Tyrolske  elegie"),  die  mehrmals  ins  Russische  übersetzt  wurden. 
In  der  Verbannung  ward  HavHöek  von  einer  schweren  Krankbett 
befallen;  man  gestattete  ihm,  in  die  böhmischen  Bäder  zu  reisen, 
aber  nach  Prag  kehrte  er  erst  am  Vorabend  seines  Todes  zurück. 
Havliöek  war  zweifellos  ein  pnblicistisches  Talent;  in  der  kurzen 
Zeit  seiner  Wirksamkeit  hat  er  sehr  viel  zur  Erziehung  der  Ge- 
sellschaft in  derjenigen  Richtung  gethan,  in  der  sie  bei  ihren 
nationalen  Bemühungen  am  wenigsten  vorbereitet  war  —  in  der 
politischen  Richtung.  Sein  klarer  Geist,  seine  Einfachheit  der  Auf- 
fitKung  und  Darstellung,  sein  Witz  und  Humor  gaben  ihm  einen 
grossen  Einiluss  auf  die  Masse,  und  die  Wirksamkeit  Havliiek's 
ist  historisch  um  so  bemerkeuswerther,  weil  in  seinen  Begriffen 
viel  gesunder  praktischer  Sinn  war,  der  ihn  von  schwärmerischer 
Phantasterei  fernhielt.  Er  gehört  noch  zur  panslavistischen 
Schnle,  schätzt  aber  den  Panslavismus  nur  in  dem  Grade,  als  er 
wirklichen  Mutzen  bringen  kann,  ohne  die  Sonderentwickelung 
der  Stämme  zu  hindern.  Die  letzte  Arbeit  HavliÜek's,  die  zu 
seinen  Lebzeiten  gedruckt  wurde,  waren  „Erzählungen",  über- 
setzt aus  Voltaire. ' 


Von  den  fün&iger  Jahren  an  rechnen  die  £echischen  Kritiker 
im  allgemeinen   eine   neue  Periode   ihrer   poetischen  Literatur.    ' 

'    Eine    kurza    Biographie    Hftvliiek'B    bei    Rittersberg,    „Espesni 
tilovnifek    novin.  e.   konverBafini"  (Prag  1860);  anBfnhrlioher  im  „SloTnik 

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248  FflnfteB  Kapitel.    1.  Die  Öeoben. 

Und  in  der  Tbat  die  Ereignisse  des  Jahres  1848 — 49  waren  in 
verscliiedeDer  Beziebung  ein  Umschwung.  Bis  dahin  strebte  die 
üechieohe  Poesie  vorwiegend,  fast  anssohliesslich,  zu  nation&l- 
patriotischen  Zielen:  bei  Kollar  erhob  sie  sich  zn  dem  feier- 
Uchen  Ton  panslaviBcher  Aufrufe,  CelakoTskj  führte  Motive  aus 
der  Poesie  anderer  slavischer  Stämme  ein,  Wocel  erweckte  die  Be- 
miniscenzen  der  heroischen  Zeiten  der  böhmtscheD  Freiheit,  Erben 
bearbeitete  die  Volkspoesie,  die  poetae  minores  schrieben  patrio- 
tische* Erzählnngen,  Dramen,  Lieder  u.  s.  w.  Neben  der  Poe«e 
gingen  Bemühungen  um  populär-belehrende  und  billige  Bücher 
für  das  Volk  einher.  Und  wirklich,  es  war  viel  geschehen.  Das 
Nationalgefübl  wurde  in  einer  beträchtlichen  Masse  des  6ecbi- 
schen  Volkes  geweckt,  in  Prag  und  in  der  Provinz,  wo  sich  in 
den  kleinen  Städten  und  Dörfern  schon  Patrioten  fanden,  welche 
bereit  waren,  die  folgende  Generation  in  demselben  Geiste  zu 
erziehen. 

Der  Umschwung  des  Jahres  1848—49  gab  diesem  Natio- 
nalgefübl freie  Bahn,  —  freilich  nur  kurze  Zeit  fühlte  sich 
das  Volk  aufs  neue  nach  drittbalh  Jahrhunderten  als  ein  freies 
^echisches  Volk.  Die  Keactiou  fiel  bald  auf  dasselbe  mit 
schwerer  Enttäuschnng.  Die  patriotische  Bewegung  ward  fast 
wieder  zn  einem  Verbrechen;  polizeiliebe  Aufsicht  mischte  sich 
aufs  neue  in  die  kleinsten  Kundgebungen  des  öffentlichen  Le- 
bens, hütete  die  Literatur  vor  schlechten  Einflüssen,  verbot  die 
Einfuhr  „gefährlicher"  Bücher  aus  dem  Anstand  (darunter  waren 
sogar  russische!).   Die  Literatur  sank  plötzlich  von  ihrer  frühem 


NanEnf .  S.  such  diu  Abhandlung  V.  Zelen^'s,  „Ze  sivoto  K.  HavliEki-' 
(„Aus  H.'e  Lelen",  bis  zu  seiner  Reise  nftoh  Rusclsad,  in  „Osv§U",  18TS). 
Die  wichtigem  Artikel  bus  den  „Karodni  Noviny"  sind  geskmmelt  io  der 
Ijohrift:  „Duch  Närodniuh  Novin*'  (Kutteuborg  1851).  Uebersetzung  der 
„Tiroler  Elegien"  von  Hilferding  in  „ßussk.  Slovo",  1860,  April;  vou 
N.  Berg  in  „Poezija  Slavjau",  Ij.  380—384.  Stellen  aus  dem  Tagebuch  Hh- 
liCek's,  Ende  des  Jahres  1840  in  J.  W.  l'riS's  Eeohia eher  Zeitung  „Blwut" 
(Berlin  1868,  Probenummer).  Eine  Auggabo  seiner  Werke  hat  V.  Zelenj 
begonnen:  „Sebrane Spisy"  (I.Bd.  Prag  1870);  daraus  deutsch  „DasFestiÜer 
BechtgUnbigkeit "  (in  Moskau;  mit  einigen  einleitenden  Bemerkungen,  im 
„Ausland",  1877,  Nr.  15),  ferner  russisch  die  zwei  Briefe  HavtiCek'e  aus  JIo«- 
kau,  in  Zaderackij's  „tilav.  Eiegoduik",  1877,  S.  117— 190.  —  Eine  satirisoke 
Dichtung  aus  dem  NacUass  Havlf6ek's  ,  JCfest  sv.  Tladinira"  {»Die  Taufe  do 
heiligen  Wladimir")  wurde  bu  Pr^  1877  mit  Abbildungen  henKugegeben. 


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Die  neue  Diobtenobole.  249 

Lebbaftigkeit  berab,  aber  nacb  einem  gewissen  Zwischenraum  der 
Apathie  fing  das  Leben  wieder  an  sieb  in  ihr  zu  regen  —  jetzt 
in  einer  andern  Richtung. 

Nacb  der  Katastrophe,  unter  der  Herrsobaft  jeder  Art  von 
Bedrückung,  begann  Bicb  in  der  j^ecbischen  Poesie  eine  andere 
Stimmung  zu  bilden.  Den  alten  „patriotischen"  Idealismus 
hatte  man  schon  früher  zu  verspotten  angefangen;  es  war  auch 
sonderbar,  Dithyramben  einem  abstracten  panslavistisohen  Vater- 
lande  zn  singen,  das  sich  in  schwerer  Stunde  thatsächlich  nicht 
gezeigt  hatte;  die  neue  Generation  schien  zu  den  frühem  Mitteln 
des  nationalen  Kampfes  das  Vertrauen  verloren  zu  haben  und  er- 
kaltete gegen  sie  nnd  die  alte  poetische  Tradition  —  und  in 
letzterm  Punkte  hatte  sie  nicht  ganz  recht.  Andererseits  fühlte 
man,  dass  die  Poesie  selbständig  werden  müsse,  nicht  nur  als 
Mittel  zur  Erreichung  von  politischen  Zielen,  sondern  dass 
sie  ihre  eigene  Rolle  als  Poesie  erfüllen,  ihren  Inhalt  zu  altge- 
mein menschlichen  Ideen  erweitern  and  als  tendenzloser  Aus- 
druck der  Individualität  erscheinen  müsse.  In  der  Tbat  he- 
gaiin  die  neuiechisdie  Poesie  diese  Unabhängigkeit  zu  suchen; 
es  war  dies  ein  Schritt  vorwärts,  aber  zuweilen  keiu  ganz 
richtiger. 

Gegen  Ende  der  fünfziger  Jahre  reifte  und  organisirte 
sich  eine  neue  Uterarische  Schule  in  diesem  Sinne.  Ihre  Ver- 
treter waren  damals  junge  Leute;  einige  von  ihnen  erlangten 
später  grossen  Ruhm  und  werden  an  die  Spitze  der  neuen  (Sechi- 
scben  Literatur  gestellt.  Der  äussere  Anfang  der  Thätigkeit 
dieser  Schule  war  der  Almanach  „Mäj",  welcher  zu  Ebde  der 
füufidger  Jahre  erschien.  Ihre  innere  Eigentbümlichkeit  bestand 
in  einem  Dienste  der  Poesie  als  reiner  Kunst;  der  Mensch, 
dessen  inneres  Leben  diese  Poesie  darstellen  wollte,  war  nicht 
nur  der  „Ceche"  oder  „Slave"  (wie  früher),  sondern  überhaupt 
der  „Mensch".  Für  den  Vortäufer  dieser  Poesie  galt  weder 
Kollär  noch  Celakovsky,  sondern  eher  der  oben  erwähnte  Mächa. 
Die  Quelle  und  der  Impuls,  unter  denen  sich  diese  Poesie  ent- 
wickelte, war  die  europäische  Literatur  von  selten  ihrer  allgemein 
menschlichen  Ideen  und  Schöpfungen:  Shakespeare  und  Byron, 
später  Victor  Hugo;  der  romantische  Mysticismus,  die  Enttäu- 
schung, die  Flucht  zur  Katar  wurden  die  gewöhnlichen  Mo- 
tive. Die  neue  Poesie  war  überaus  fruchtbar;  eine  ganze  zahl- 
reiche Gmppe  von  Dichtem  bearbeiteten  am  meisten  die  Lyrik, 

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250  FAnfteB  Ekpitel.    1.  Die  Öflobeu. 

doch  auch  das  Epos  und  Drama;  endlich  entwickelten  eich  No- 
velle und  Romau  wie  noch  nie  zuvor.'  Ihre  besten  Früchte 
waren  freilieb  diejenigen,  in  denen  das  Leben  die  Oberhand  über 
die  Anregungen  aus  Büchern  gewann. 

Ehe  wir  zu  dieser  neuen  Schule  übergehen,  verweilen  wir  bei 
einem  Schriftsteller,  der  als  Uebergang  zu  ihr  betrachtet  werden 
kann  und  eine  besondere  Seite  der  öffentlichen  Bew^ping  bei  den 
öechen  ausdrückt.  Es  ist  dies  Joseph  Wenzel  Fri£  (geb.  1829, 
Pseudonym  Brodsk^?),  Sohn  von  Joseph  Fri£,  einem  angesehenen 
Advocaten  und  Professor  der  Hechte  an  der  prager  Universität 
Joseph  Wenzel  begeisterte  sich  früh  an  den  patriotischen  Ideen, 
nahm  Antheil  an  den  Ereignissen  des  Jahres  184S,  war  Freiwil- 
liger bei  den  Slovaken  gegen  die  Ungarn,  wurde  aber,  ver- 
wundet, von  den  Österreichischen  Truppen  gefangen  genommen, 
1841)  befreit,  in  demselben  Jahre  verhaftet  wegen  seiner  Verbin- 
dung mit  der  Revolutionspartei,  1851  durch  ein  Kriegsgericht  in 
18jähriger  Festungshaft  verurtbeilt,  1854  amnestirt,  1858  nach 
Siebenbürgen  verbannt,  1859  freigelassen  unter  dem  Versprechen, 
auszuwandern  und  nicht  mehr  in  die  Hdmat  zurückzukehren. 
Darauf  lebte  er  in  London ,  wo  er  mit  Herzen  bekannt  wurde, 
dann  in  Paris,  wo  er  polnische  Vorlesungen  über  die  dechiscbe 
Literatur  hielt.  Nach  einem  vieljährigen  Emigrantenleben  erhielt 
er  die  Erlaubniss,  nach  Oesterreich  zurückzukehren,  ausser  nach 
Prag,  arbeitete  in  Agram  als  Publicist,  während  des  rassiscfa-türki* 
sehen  Krieges  1876 — 78  war  er  Gorrespondent  einer  (Jechiscben  Zei- 
tung in  Petersburg.  . . .  Nach  einem  solchen  Lebenslauf  wird  der 
Leser  errathen,  dass  die  Poesie  von  Fri£  ultraromantisch  sein 
uiusB.  Sein  „Upir"  („Vampyr")  ist  wirklich  so;  der  Charakter 
desselben  ist  eine  ins  äusserste  Extrem  geführte  mystische  Ro- 
mantik, mit  einer  Welt  jenseit  des  Grabes,  mit  ungezügelter  Lei- 
denschaft, nebelhafter  Darstetlnng  und  vollständigem  Widerstreit 
gegen  die  Wirklichkeit.'  Friti  hat  ohne  Zweifel  dichterisches  Ta- 
lent, eine  kräftige,  ausdrucksvolle  Sprache,  aber  man  wirft  ihm 


I  Veber  dio  ueut:ru  ^ochieulm  Pueeie  a.  diu  vorU-üffliuhu  AbhuiUliing 
vuu  EI.  KiäHQohorskn:  .,Ubraz  uov^jiiho  b&auictvi  (eskebo",  im  ..Cmv 
l>iB",  1877. 

*  Nach  dem  .Ausdruck  der  El.  Kidgnuhorskä  ist  dies  ein  .,  überbyroni- 
sirter  Byron,  ein  Qberdämonisirter  nDsmoun,  ein  mystisohes  Gebriu  *op 
Krusitiski,  ätowaoki,  GoBEUcynski  zusMumeugenominen"  (CMopia  1877),  S.  3(W 


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Die  neue  Dichtereahnle.  251 

Tor,  dass  er  sich  nicht  von  dem  EinflusB  romantiacher  Ueber- 
treibuDgen  und  zugleich  von  einer  Unklarheit  freigemacht  habe, 
die  keinen  nachhaltigen  Eindruck  hinterlaBst.  Ausser  der  Lyrik 
arbeitete  er  insbesondere  im  Drama:  „Kochan  Batiborsk^",  „Va- 
clav IV",  „Hynek  z  Podebrad",  „Ulrik  Hütten",  „Svatopluk", 
„Lihusin  sond"  („Das  Gericht  der  Libusa"),  „Drahomira". ' 

An  die  Spitze  der  neaen  literarischen  Schale  wird  unbestritten 
ein  Dichter  gestellt,  «elcher  den  Stolz  der  neuem  Öechischen 
Literatur  bildet.  Vitezsla?  Hälek  (1835 — 74)  war  wie  sehr 
viele  Cecbische  Schriftsteller  in  einer  Familie  niedern  Stan- 
des geboren,  besuchte  das  Gymnasium  zu  Prag  und  beendete 
1858  den  sogenannten  „philosophischen  Cursus".  Dichter  von 
früher  Jogeud  an,  trat  er  schon  in  demselben  Jahre  mit  einer 
lyrisch -epischen  Dichtung  „Alfred"  auf,  die  auf  ibn  zuerst  die 
allgemeine  Aufmerksamkeit  lenkte,  und  mit  einer  Sammlung  lyri- 
scher Gedichte  „Veierni  pisne"  („Abendlieder").  Im  folgenden 
Jahr  gab  er  noch  zwei  grosse  Gedichte  „Mejrima  a  Husejn"  und 
„Kräsnä  Lejla"  (»Die  schöne  Leila")  heraus;  und  im  Jahre 
1860  sein  erstes  Drama  „Carevie  Aleksej",  dem  eine  Reihe 
anderer  folgte,  von  denen  wir  „Zävis  von  Falkenstein"  und 
„König  Vukasin"  verzeichnen.  In  den  Dramen  trat  ebenfalls  ein 
bedeutendes  Talent  zu  Tf^e,  aber  es  war  auch  eine  zu  deatlicbc 
Nachahmung  Shakespeare's  vorhanden,  zu  viel  Lyrik  und  Mangel 
an  Scenerie.  Die  Hanptleistung  Hälek's  bildeten  lyrisch-epische 
grÖBsere  und  kleinere  Dichtungen  und  die  Erzählung;  von  den 
grossere  Diebtangen  werden  besonders  geschätzt  „Goar"  (1864) ; 
„6emy  prapor"  („Die  schwarze  Fahne",  1867);  „Dedicove  Bile 
Hory"  („Die  Epigonen  des  Weissen  Berges",  1869);  ,,Devce  z 
Tater"  („Das  Mädchen  von  der  Tatra",  1871);  von  den  Balladen 
—  „Fiujtr  Kaiina"  („Der  Gefreite  Kaiina"),  „Blaznivy  Janousek" 


■  Im  Jahr  1855  gab  er  den  Almanacli  „Lada  Niola",  iu  Gunf  lijtil 
,,Vybor  bÄHui"  (.,  Aus  wähl  von  Gedichteo")  lieraua;  ferocr  zu  Paria  im  Vei'em 
mit  L.  Leger  daa  Buch:  „La  Buhüme  hietorique,  pittorcsque  et  litteraire" 
(Paris  186T).  Zu  Bei-lin  begann  er  1868  diu  Wooheuschrift;  „Blanik,  lydeDuik 
samoatatne  omladin;  Ceskomoravakä"  (mit  der  Probcuumtner  lU  Nunimein) 
hei'&UBZUgeben ,  in  slaTisoh-demokratisobem  Geinte.  In  Nr.  4  — !)  „Bakunin 
über  da«  Slsventhnm  (im  Jahre  1862}",  die  Dai'stellung  einer  besondem 
Theorie,  welche  Revolution,  SoeialismuB  uud  PaDslavisDius  miteiuander  ver- 
bindet. Seine  „Gesammelten  Werke"  („Sebrane  Spiey")  crBcheiuen  seit  1879 
in  Prag. 


ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


252  Fünftes  Kapitel,    I.    Die  Ceohen. 

(,,Der  närrische  Janouäek").  In  Prosa  hinterliess  er  den  Roman 
„Der  Komödiant"  and  eine  Keihe  Er^hlungen  aus  dem  Volks- 
leben. Im  Jahre  1866 — 72  redigirte  er  die  iltustrirte  Wocheo- 
schrift  „Kvety"  und  wirkte  an  Terschiedenen  andern  Journalen 
mit.  Seine  lyrische  Thätigkeit  schlogs  mit  einer  Sammlung  Ge- 
dichte „V  prirodÄ"  („In  der  Natur"). 

In  seinen  ersten  Liedern  besang  H&lek  die  Freuden  und  Lei- 
den der  Liebe,  die  hohe  Bedeutung  der  Poesie:  sein  Dichter  ist 
der  bekannte  romantische  „Prophet",  Lehrer  der  Wahrheit,  des 
Guten  und  Schönen.  '■  Diese  Vorstellung  leitete  ihn  durch  seine 
ganze  poetische  Thätigkeit;  aber  seine  lyrischen  Themen  sind 
oft  einförmig  (z.B.  in  den  „Abendliedern"),  und  die  prophe- 
tischen Aeusserungen  yoll  Selbatrertrauen,  aber  unbestimmt.' 

In  der  epischen  Poesie  Hälek's  wiederholen  sich  ebeDfalls 
ijülche  Züge  der  Romantik;  so  ist  in  der  Dichtung  „Dedicove 
Dile  H017"  („Die  Epigonen  des  Weissen  Berges")  dem  historischen 
Thema   der  politischen  Verfolgungen  eine  unnöthige  Pbantas^lc 


■  Z.  B.  aus  den  „Abendliedern"  (XLVIII): 
Gesegnet  der,  welcher  geaslbt  ist  Wm  andern  Hensoben  Geheimnis«  iit, 

ZumSäi^erduroli  dieHand  des  Herrn;  Das  Hegt  vor  ihm  offen  da, 
Kr  hat  in  die  Gerichte  Gottes  geaoliaut   Er  ist  der  Führer  des  Volkes  Göltet 
Und  in  den  mensohlichen  Busen.  ...    lu«  gelobte  Land. 

El'  kennet  den  grosBun  Welteopaalm  ^'  ist  König  grosser  Königreiche, 
Und  den  Gesang,  den  der  V<^el  singt,  Er  mt  Priester  der  Erlösung  der 
Er  versteht  die  Schläge  des  Herzens,  Mensohheit, 

Wenn  es  jauchat  nnd  wenn  es  weint.      Und  was  in  ihm  an  Schition  liegt, 
Das  sind  unendliche  Sohönheiton. 
'  Z.  B.  in  der  Dichtung  „In  der  Natur": 

Im  duftigen  Gedicht  der  Blumenspraohe  der  Wiese, 
In  glänzender  Ausströmnug  niohtliober  Welten 
Lese  ieh  die  Gesetse  aller  Gesetze, 

Welche  aus  der  uralten  Hand  der  Natur  hervorgegaugou  siud. 
Und  der  tjiugvögel  träunierischu  Wehklage, 
DcB  Süliraetterliuga  Ui-sprung,  der  Völker  Sehwiudcu, 
Der  Mcnsuhbeit  Jauchzen  und  ScbmerEensmfc  — 
Das  ist  dieser  Gesetze  einzige  Schrift  u.  b.  w. 
Oder: 

Es  mögen  sich  die  Klüglinge  streiten 
Ueber  Buchstaben  und  über  Gesetze : 
Mir  ging  die  Feldblume  immer 
Ueber  die  Könige  und  die  Salomone  u.  s,  w. 


...,  Google 


Die  neue  Diobteraohnle.  253 

und  Allegorie  beigemischt,  die  den  kräftigen  Eindruck  der  ein- 
facliern  und  realem  Episoden  nur  hindert;  „D£v£e  z  Tater"  ist 
wieder  eine  Dichtung  mit  schönen  Einzelheiten  und  romanti- 
schen Uebertreibungen.  Zu  eeinen  bessern  Werken  gehören  die 
Erzählungen  aus  dem  Volksleben ,  wo  sich  viel  aufrichtiges  Ge- 
fühl and  Liebe  zum  Volke  findet,  wenn  auch  wieder  nicht  ohne 
Ueberfluss  von  Sentimentalität.* 

Für  den  näct^sten  Genossen  Hälek^s  in  der  Schaffang  einer 
nenen  (echischeu  Lyrik  gilt  Adolf  Hejduk  (geb.  183G).  Er 
studirte  auf  dem  Polytechnikum  zu  Prag  und  Brunn  und  war 
dann  Professor  an  einer  Aealschule.  Als  er  1S59  seine  Gedichte 
sammelte  („Bäsne:  Ciginske  melodie,  PisnS,  Mie  poT&£sk&" 
u.  s.  w.),  war  er  schon  ein  bemerkenswerther  Vertreter  der  neuen 
Schule.  Femer  folgten  „Ji2ni  zvuky"  („Südliche  Laute",  1864), 
die  Fmcht  einer  Beise  nach  Italien;  „Lesni  kviti"  („Wald- 
hlnmen");  das  lyrisch- epische  Gedicht  „Milota",  insbesondere 
aber  „Cymbäl  a  husle"  („Cymbal  und  Geige"),  das  für  sein  bestes 
Werk  galt  —  es  sind  Bilder  aus  dem  slovakischen  Leben  und 
der  Natur  des  Landes,  reich  an  poetischen  Gestaltungen.  Li  der 
letztem  Zeit  gab  er  noch  „DedÜT  odkaz"  („Das  Vennächtniss 
des  Ahns"),  ein  allegorisches  Gedicht,  heraus,  worin  das  Suchen 
nach  künstlerischer  Schönheit,  die  Sehnsucht  nach  dem  Ideal, 
die  Disharmonie  mit  dem  Leben  u.  s.  w.,  was  überhaupt  das 
innere  Leben  des  Dichters  ausHillt,  dargestellt  wird:  „Der  Gross- 
vater" —  der  Genius  des  Volkes  —  lehrt  den  Dichter  eine  Zauber- 
musik.  .  .  .  Die  öechischen  Kritiker  nahmen  dieses  Gedicht  mit 
grossen  Lobeserhebungen  auf.* 

Weit  mannichfaltiger  ist  die  Thätigkeit  des  dritten  Haupt- 
schriftstellers  der  neuern  Schule,  Johann  Neruda  (geb.  18.^). 
Es  ist  einer  der  fruchtbarsten  fcecliischen  Belletristen.  Er  be- 
gann sehr  frUh  zu  schreiben.  Seine  eisten  Gedichte,  uiitei'  dem 
Pseudonym  .Tunko  HoTora,  erschienen  im  Jahre  18r)4;  I8fi8  gab 
er  „Hrbitovni  kvi'ti"  („Kirchhofablumen")  lierans  und  gründete  zu 


'  Seit  1878  erscheint  eine  TollHtündi^e  Kammlunt;  ■l'^r  Werke  IIÄlek's 
(„Sebrane  Spiay"),  bei  denen  eine  von  Ferü.  Scbuln  gcROhriebene  Biographie 
in  Aunaicht  gestellt  ist.  Artikel  von  £1.  Krüanohorekii  ül.er  Ilulck  im 
Journal  „OsvSta",  1878,  8.  8fi8— 874;  187D,  S.  582-532. 

'  Bit^praphie  in  der  Zeitsoiirift  „STftozor'-.  1877,  Nr.  7;  Analyse  der 
letzten  beiden  Werke,  ebenda  187C,  Nr.  Ö,  und  .,Osviita",  1879.  IL  952— 95ß. 


D,9:.z.u.,  Google 


254  Fanftes  Kapitel.    I.  Die  Öeohen. 

derBelben  Zeit  im  Verein  mit  Hälek,  Fri£,  Barak  den  erwähnten 
Almanach  „Mäj".  Vom  Jahre  1865  an  leitet  er  die  Kritik  and 
das  Feuilleton  in  den  „N&rodnf  Liety".  Ausser  journalistiBcheo 
Arbeiten  schrieb  er  einige  Theateretücke ,  die  Komödien:  „Der 
Bräutigam  auB  Hanger"  („^enich  z  hladu"),  „Verkaufte  Liebe" 
(„ProdanÄ  täska"),  „Das  bin  ich  nicht"  („Ja  to  nejaeiB");  die 
Tragödie:  „Francesca  da  Rimini".  Schon  als  Student  bereiste 
er  verEchiedene  Länder  Oesterreichs;  im  Jahr%  1863  begann  er 
eine  Reihe  ausgedehnterer  Wanderungen  in  Europa,  Kleinasien, 
Palästina,  Aegypten.  Im  Jahre  1864  gab  er  „Arabesken"  („Ara- 
besky")  und  „Pariser  Bilder"  („PafiJSske  obrä^ky")  und  im  Jahre 
1867  das  „Buch  der  Verse"  („Knihy  verlü")  heraus.  Die  Frucht 
seiner  Reisen  waren  Erzählungen  und  Skizzen:  „Verschiedene 
Leute"  („Riizni  lide")  und  „Bilder  aus  der  Fremde"  („Obrazy  z 
ciziny").  Im  Jahre  1866  gründete  er  im  Verein  mit  H41ek  und 
gab  einige  Zeit  lang  heraus  die  Zeitschrift  „KySty"  („Blüten") 
und  1873  erneuerte  er  mit  demselben  den  „Lumir",  um  den 
sich  eine  Gruppe  der  neuen  Generation  Ton  Belletristen  und 
Dichtern  sammelte,  von  denen  weiter  unten.  Im  Jahre  1876 
begann  er  eine  Sammlung  seiner  Feuilletons  herauszugeben  (bb 
1879  vier  Hefte),  worin  sich  nach  den  Worten  ^hischer  Kri- 
tiker Stücke  finden,  z.  B.  „Trhani",  die  „ihm  den  Ruhm  eines 
genialen  Genremalers  geben  würden,  wenn  er  auch  nichts 
weiter  geschrieben  hätte";  1878  folgten  die  „Erzählnngeu  von 
der  Kleinseite"  („ Malostranske  povi'dky")',  die  von  einigen  für 
das  beste  Werk  Neruda's  gehalten  werden.  Zuletzt  gab  er  „Kos- 
mische Lieder"  („Pisne  kosmicke", '2- Auö.  1878)^  heraus  in  der 
Art  der  Gedichte  Hälek's  („In  der  Natur"),  aber  diese  Natur  ist 
astronomisch  und  kosmographisch.  ...  —  Die  Poesie  dieser  Lie- 
der war  uns  wenig  verständlich. 

-  Hälek  war  der  erste  Dichter  der  neuen  Schule,  aber  Neruda 
gilt  für  den  eigentlichen  Reformator  der  neuen  ^echiscben  Lite* 
ratur.  Ein  vielseitiger,  überaus  fruchtbarer  Schriftsteller,  gilt 
er  vorzüglich  für  den  Begründer  der  cecbischen  Belletristik:  er 
sprach  die  Forderung  des  literarischen  Fortschritts  aus,  die  Koth- 


'  Üie  „Kleinseite"  ist  ein  Sttkdttheil  vnu  Prag  jenseit  der  Moldau. 
'  HputBch  von  G.  Paviifconski  (Leipzig  188]), 


....,  Google 


Die  neue  Diohteriohule.  265 

wandigkeit,  neaen  Ideen  und  Formen  Ranm  zu  gebeo,  und  stellte 
Belbst  Proben  einer  neuen  Manier  auf.' 

Die  genannten  Schriftsteller  stehen  an  der  Spitze  einer  Ple- 
jade  von  Dichtem  und  Novellisten:  einige  von  ihnen  haben 
grossen  Ruhm  in  der  äechischen  Literatur.  Wir  wollen  sie  mit 
ihren  Hauptwerken  kurz  anführen. 

Gustav  Pfleger-Moravsk;^  (1833—75)  ist  Lyriker,  Drama- 
tiker und  Romat^hriftsteller:  bekannt  ist  sein  Roman  in  Versen 
„Pan  VySinsky"  (1858 — 59),  geschrieben  unter  deutlichem  Kinfluss 
von  Mickiewicz  und  Pu^kin,  mit  humoristischer  Färbung;  am 
meisten  ist  er  als  Romanschriftsteller  geschätzt  („Aus  der  kleinen 
Welt"  —  „Z  maleho  aveta").  Der  früh  verstorbene  Rudolf  Mayer 
(1838 — 65),  dessen  Talent  von  den  6echi8chen  Kritikern  hochge- 
schätzt vrird  -.  bei  dem  erhabenen  Charakter  seiner  melancholischen 
Poesie  sah  man  in  ihm  den  eigentlichen  Nachfolger  Mächa '8.^  In 
jungen  Jahren  starb  auch  Wenzel  Scholz  (1838 — 71;  „üskoci", 
,3t--Wenzelslieder"  —  „Zpevy  svatovdclavsk^",  „Unsere  Hütten" 
—  „Nase  cbaloupky").  Rohumil  Janda  (pseudonym  Cidlinsk^, 
Länsk^  u.  a.  1831 — 75),  Dichter  und  Novellist,  ist  besonders 
bekannt  durch  die  historische  Dichtung  „Talafüs  z  Ostrova". 
Julius  Vratislav  Jahn  (geb.  1838),  dessen  beste  Gedichtsamm- 
lung der  „ Rosenkranz"  ( „ Räzenec" )  war.  Alois  Adalhert 
Smilovsk;^  (1837  —  83),  Lyriker  und  dramatischer  Schrift- 
steller, insbesondere  aber  Erzähler  aus  dem  Volksleben.  Ja- 
roslav  GoU  ist  ausser  verschiedenen  Gedichten  auch  durch  seine 
historisch  -  literarischen  Arbeiten  bekannt.  Jarosla v  M  a  r  tt  n  e  c 
(eigentlich  Joseph  Martin,  geb.  1842)  gab  1862  ein  politisch- 
literarisches  Pamphlet  „April"  heraus  und  1863  eine  Sammlung 
Gedichte  „Der  jungen  Generation"  („Mlademu  pokoleni").  Fer- 
ner Hanuä  Venceslav  Tßroa,  der  in  der  Dichtung  „Jaroslav", 
1871  den  epischen  Stil  der  Königinhofer  Handschrift  wiedergeben 
wollte  („BÄsne",  1872).  .  . . 

In  den  letzten  Jahren  hat  sich  die  cechische  poetische  Lite- 
ratur durch  eine  neue  Reihe  von  Schriftstellern  erweitert,  welche 
die  neue  Richtung  derselben  ins  Extrem  geführt  zu  haben  Rcheincn. 


'  Biographien:  „Sloviiik  DauEnj'',  s.  v,,  Kalendäf  von  Arbes,  1879, 
S-  84-87;  Svfetoior,  1878,  Hr.  42. 

*  Eine  SammluBfc  Heiner  Oe<1ioIite  mit  Bin^raphie  nah  Job.  Dnrdik, 
1873,  heraus. 


....,  Google 


256  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  deobea. 

Wie  zu  Ende  der  fünfziger  Jahre  die  Schule  Hälek's  mit  dem 
Almanach  „Mäj"  auftrat,  so  erschienen  zu  Ende  der  sechziger 
Jahre  neue  Gedichtsammlungen,  von  denen  der  „Ruch"  („Bewe- 
gung") und  der  „Almanach  der  äechiechen  Studentenschaft"  („Al- 
manach ^keho  studentstva",  1868 — 70)  am  bemerkenswertbesten 
waren.  In  zehn  Jahren  entstand  ein  neues  Poetengescblecht,  dar- 
unter ein  Talent,  welchem  die  iechiscHe  Kritik  kühn  das  Epi- 
theton „genial"  beilegt. 

Uehrigene  ist  der  Dichter,  dem  die  Mehrheit  der' Stimmen 
einen  solchen  Vorzug  gibt,  noch  jünger  als  diese  neue  Dichter- 
gruppe. Es  ist  dies  Jaroslav  Vrchlick;^  (eigentlich  Emil  Bohus 
Frida,  geb.  1853),  der  jüngste  und  zugleich  kühnste  und  frucht- 
barste Dichter  der  neuen  Generation,  auf  den  man  mit  vielen 
Hoffnungen  blickt.  Sein  Vater  war  Kaufmann;  vom  vier- 
ten Jahr  an  war  er  bei  seinem  Onkel,  einem  Dorfgeistlichen  — 
anfangs  wollte  man  nur  durch  die  Landluft  seine  schwache  Ge- 
sundheit stärken,  doch  blieb  er  dann  ganz  bei  seinem  Onkel 
und  der  bei  diesem  lebenden  Grossmutter.  Der  Onkel,  ein  ge- 
achteter Mann,  bereitete  ihn  auf  die  Schule. vor  und  erzog  ihn 
im  „Patriotismus";  nach  den  Worten  von  Freunden  erscheint 
dies  Gefühl  (Ür  sein  Volk  Vrchlick;f  so  natürlich  und  ootb- 
wendig  wie  die  Luft  —  deshalb  behandle  er  nach  ihrer  Dar- 
stellung auch  keine  patriotischen  Stoffe  in  seiner  Poesie.  Neun 
bis  zehn  Jahre  alt  schrieb  er  schon  Tragödien;  er  war  sieb- 
zehn Jahre  alt,  als  seine  Gedichte  zum  ersten  mal  im  Dmck 
erschienen  —  pseudonym,  da  er  als  Gymnasiast  seinen  wirk- 
lichen Mameu  nicht  hinzufügen  durfte.  Später  wurde  das  Pseu- 
donyme Vrchlick^  sein  gewöhnlicher  literarischer  Name.  Er 
Itereitete  sich  schon  för  das  geistliche  Amt  vor,  aber  Krank* 
heit  nöthigte  ihn,  das  Seminar  zu  verlassen;  er  studirte  dann 
Philosophie  und  Geschichte,  nahm  die  Stellung  eines  Er- 
ziehers in  einer  vornehmen  Familie  an  und  brachte  mit 
derselben  ein  Jahr  (1875—76)  in  Italien  zu.  Nach  Prag 
zurückgekehrt,  war  er  eine  Zeit  lang  Lehrer,  dann  wurde  er 
zum  Secretär  des  prager  Polytechnikums  gewählt.'  Vrchlicky 
gab  in  kurzer  Zeit  eine  ganze  Reihe  von  Sammlungen  seiner 
Gedichte  heraus  —  lyrische  wie:  „Aus  den  Tiefen"  („Z  hlubin"); 


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Jarosiftv  VrohliokJ.  257 

„Träame  Tom  Glück"  („Sny  o  ItÖBti");  „Ein  Jahr  im  Süden" 
(„Rok  oa  jihn"),  Eindrücke  und  Bilder  aus  der  italienischen 
Reise;  „Geist  und  Welt"  („Duch  a  svet");  „Symphonie";  epische 
Gedichte  und  Sammlungen  solcher,  wie  „Vittoria  Colonns"  —  aus 
dem  Leben  Michel  Angelo'e;  „Epische  Lieder"  („Epicke  Bdsne"); 
„Mythen"  („Mythy",  2  Thle.,  1879);  endlich  Uebersetzungen: 
aus  Victor  Hugo,  Leopardi;  in  letzterer  Zeit  ist  von  ihm  eine 
Uehersetzung  Dante's  erschienen. 

Die  6echischen  Kritiker  hahen  die  höchste  Meinung  von  der 
Poesie  Vrchlicky's,  die  Journale,  den  gelehrten  „Casopis"  nicht 
ausgenommen,  sind  einstimmig  in  der  Anerkennung  seiner  Genia- 
lität.'  Seine  grosse  Begabung  unterliegt  keinem  Streit;  die 
Fülle  seiner  Thätigkeit  zeugt  von  dem  Beichthum  seiner  poeti- 
Rrben  Natur,  —  aber  die  Landsleute  des  Dichters  bestiebt  ge- 
wöhnlich, neben  dem  Inhalt,  die  Form,  die  Schönheit  der  Sprache, 
welche  auf  einen  Leser  anderer  Nation  stets  weniger  einwirkt; 
den  Landsleuten  sind  auch  immer  die  nähern  Verhältnisse  der 
Literatur,  in  denen  ihr  Schriftsteller  auftritt,  in  Erinnerung. 
Uns  scheint  der  Massstab  der  äechischen  Kritik  übertrieben  zu 
sein,  besonders  wenn  sie  die  Poesie  Vrchlicky's  zn  einer  euro- 
päischen Bedeutung  erhebt.  Um  zu  dieser  Bedeutung  zu 
gelangen,  ist  es  aber  nöthig,  dass  der  Dichter  auch  als  ein 
Dichter  seiner  Nationalität,  als  slavischer  Dichter  auftrete,  dass 
er  nicht  hei  einer  einfachen  Wiederholung  des  allgemein- euro- 
päischen Gedankeninhalts  bleibe.  Den  russiBchen  Leser,  der 
an  eine  vorwiegend  realistische  Poesie  gewöhnt  ist,  kann  der 
Umstand  in  Verwunderung  setzen,  dass  ein  Dichter,  der  in 
kurzer  Zeit  mehrere  Bände  geschrieben  hat,  fast  nur  entweder 
fremde  oder  abstract  ideale  Themen  wählte,  —  was  sogar  iechi- 
schen  Kritikern  aufgefallen  ist:  man  empfindet  darin  eine  gewisse 
Einseitigkeit,  vielleicht  nur  eine  zeitweilige  —  der  Dichter  steht 
ja  erst  im  Anfang  seiner  Wirksamkeit.^  Das  unterscheidende 
Merkmal  der  Poesie  Vrchlicky's  ist  romantischer  Idealismus  und 


'  Job.  Dardik  hat  kein  Bedenken  getragen,  im  englischen  Athen aeum 
(1878,  Ditc.  W)  über  die  erwähnten  Sammlungen  zu  sagen:  „These  volu- 
mes  .  .  .  give  Vrchlioky  a  foremost  place  among  the  living  poete  not  of 
Bobemis  onlj,  but  of  Euiope." 

*  Die  Cechiflchen  Kritiker  freuten  sich,  als  Vruhliokj' in  Beinen  „Mythen" 
zun  ersten  mal  böhmisohen  Boden  betrat  (OsT^ta,  1878,  I,  S.  423  fg.). 

Pxrlt,  SUTlioha  Lltandiran.    U,  3.  IT 

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258  Fünftes  Kapitel.    I.  Die  Öeoken. 

Reflexion:  der  Dichter  wendet  sich  fortwährend  zu  Fragen  der 
allgemein  menschlichen  Geistesentwickelung  und  GeBchichte.  In 
dieeem  Sinne  ist  beBOnders  cliarakteriBtiacl]  die  Sammlung  „Geist 
und  Welt"  („Duch  a  ST^t"),  wo  er  das  historische  Leben  des 
menschlichen  Gastes,  von  der  primitiTen  zur  antiken  Welt,  dem 
Mittelalter  und  den  neuem  Aufgaben  der  menschlichen  Entwicke- 
lung  darstellen  wollte;  der  Dichter  ist  durchdrungen  Yon  Sym- 
pathie für  die  grossen  Verdienst«  der  wahren  Humanität,  glaubt 
an  den  künftigen  Sieg  des  Geistes  über  die  Natuj-,  —  aber  diese 
Poesie  mit  ihren  welthistorischen  Themen,  grandiosen  Perspec- 
tiven, ins  Weite  gehenden  Absichten,  sehr  abstracter  Nator  und 
nicht  auf  böhmischem  Boden  gewachsen,  ist  eben  eine  von  der 
Lektüre  angeregte  bücherhafte  Poesie;  starken  Einäuss  Victor 
Hugo's  (besonders  der  „Legende  des  Siecles")  hat  man  scbon 
dann  bemerkt. 

Der  zweite,  nach  der  Meinung  anderer  aber  erste  Dichter 
der  neuen  Schule  nach  dem  Tode  Hälek's  ist  Svatopink  Öech 
(geb.  1846);  bekannt  sind  insbesondere  seine  grossem  Dich- 
tungen „Träume"  („Snove")  und  „Die  Adamiten"  („Adamiti",  die 
bekannte  Sekte  des  fun&ebnten  Jahrhunderts).  Das  EracheiDen 
der  „Adamiten",  im  Jabre  18T3,  war  ein  literarisches  Ereigniss. 
Die  Öechen  schätzen  das  Werk  hoch  wegen  seiner  künstlerischen 
Composition  und  seiner  ausgebildeten  poetischen  Form.  Öech 
ist  auch  ein  sehr  begabter  Erzähler,  worüber  weiter  unten. 

Aus  dieser  Gruppe  können  noch  genannt  werden*.  Ladislans 
Quis  (geb.  1846),  ein  Dichter,  der  sich  patriotische  Aufgaben 
stellt,  Liebe  zur  Freiheit  besitzt  (Sammlung  von  Gedichten  „Z 
ruchu",  1872);  Joseph  Wenzel  Slädek  (geb.  I84ö),  bei  dem 
ein  elegischer  Ton  vorwiegt;  das  Leben  in  Amerika  hatte 
ihm  warme  Erinnerungen  an  die  Heimat  eingeäösst;  er  ist  auch 
Uebersetzer  aus  Byron  („Bäsne",  1875);  Rudolf  PokornjF  (geb. 
1853),  ein  patriotischer  Dichter  mit  Stoffen  aus  dem  Volksleben; 
Miroslav  Krajnik  (geb.  1850;  pseudonym  Starohradsky  und 
Jar.  Eopeckj);  Antal  StaSek  (Antonin  Zeman),  der  bemerkeie> 
werthe  poetische  Versuche  über  Stofle  aus  dem  Volksleben  lie- 
ferte (Roman  in  Versen  „Vaclav"),  ausserdem  im  Roman  thätig 
war;  und  viele  andere. 

Von  Dichterinnen  dieser  Zeit  ist  der  populärste  Name  Elisa- 
beth KFäsnoborskfi  (EliSkaK.,  eigentlich  Frau  Henriette  Pech, 
geb..  1847).    Nachdem  sie  früh  ihren  Vater  verloren,   wuchs  de 

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Die  neue  Diohterschule.  259 

anter  dem  Einäaes  der  talentvollen  Mutter  auf;  in  der  patrio- 
tischen Familie  lernte  sie  vollkommen  die  fechische  Sprache 
kennen,  in  welcher  sie  niemals  in  der  Schule  unterrichtet  wurde ; 
in  einem  geselligen  Kreise  von  Künstlern,  der  sich  hei  ihren 
Brüdern  versammelte,  entwickelte  sich  ihr  künstlerisch-literari- 
scher Geschmack.  Sie  begann  mit  Gedichten:  „Aus  dem  Lehens- 
mai"  („Z  mäje  äiti",  1870);  „Vom  Böhmerwald"  („Ze  Sumavy", 
1873),  der  dramatischen  Dichtung  „Der  Sänger  der  Freiheit" 
(„Pevec  volnosti");  dann  gehört  ihr  eine  Reihe  schöner  Erzäh- 
lungen an.  '  In  den  letzten  Jahren  Hess  sie  sich  in  Frag  nieder, 
nahm  an  den  Unternehmungen  der  Frauenvereine  (dem  weiblichen 
Arbeiterverein,  gegründet  von  Karolina  Sv^tlä)  theil,  leitete  die 
Redaction  der  „^enske  Listy"  („Frauenzeitung") ,  schrieb  über 
Literatur,  Musik,  die  Franenfrage.  Von  ihrer  Charakteristik  der 
neuem  ^echischen  Poesie  werden  vrir  weiter  unten  reden. 

Ea  mögen  noch  erwähnt  werden:  Albina  Dvoräk-Mräiek 
(Albina  Dvoräkova-Mrdikova,  geb.  1850),  Bertha  Mühlstein 
(Mühlsteinova,  geb.  1849),  Boäena  Studnicek  (Studnitkova), 
Irma  Geisl  (Geislova)  u.  s.  w. 

In  der  dramatischen  Literatur  werden  ausser  dem  Schrift- 
steller der  altern  Generstion,  Jos.  G.  Kolär,  besonders  geschätzt 
die  Stücke  von  Emanuel  Bozdech  (geb.  1841),  obgleich  er  die 
Stoffe  seiner  Dramen  gewöhnlich  aus  der  Geschichte  fremder 
Völker  nahm :  die  Tragödie  „Baron  Görtz",  die  Komödien  „Zkotiäka 
statnikova"  („Der  Probirstein  eines  Staatsmanns"),  „Sveta  pdn 
V  änpanu"  u.  s.  w.  Franz  Jeräbek  (geb.  1836)  dagegen  be- 
arbeitete vaterländische  Stoffe;  er  betrat  den  Schauplatz  der 
Literatur  zn  Ende  der  fünfziger  Jahre  als  Dichter  und  zu- 
gleich Publicist ,  aber  hauptsächlich  gaben  ihm  seine  drama- 
tischen Werke  Kuf  (,,Die  Wege  der  öffentlichen  Meinung"  — 
„Cesty  verejn^ho  mineni",  1865;  ,,Der  Diener  seines  Herrn"  — 
„Sluiebnik  sveho  päna",  1871,  eins  seiner  populärsten  Stücke; 
„Der  Sohn  des  Menschen  oder  die  Freu&sen  in  Böhmen"  — 
„Syn  Moveka  aneb  Prusove  v  Cechäch",  aus  den  Zeiten  des 
Siebenjährigen  Krieges  u.  s.  w.)  >  Ein  talentvoller  Dramatiker 
ist  auch  Wenzel  Vlfiek  (geh,  1839),  Verfasser  einiger  Komödien 
und  Tragödien,  von  denen  „Eliska  Premyslovna"  besonders  be-- 

'  SvMozor,  1878,  3.  X65,  207. 

17* 

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260  FönfteB  Kapitel.    I.  Die  ÖeoheD. 

ka&Dt  ist.  Aus  der  Jüngern  Generation:  LadislauB  Stronpei- 
nick^,  J.  0.  YeBel^  u.a.  Die  dratnatischen  Stücke  yon  Frii, 
H&lek,  Neruda,  Pfleger  worden  schon  oben  erwähnt. 

Aber  besonders  reich  ist  in  den  letzten  Jahrzehnten  das  Gebiet 
der  Erzählung  nnd  des  Romans  in  den  verschiedenen  Zweigen 
derselben:  Erzählungen  aus  dem  Volksleben,  der  historiscbe  und 
sociale  Roman ,  humoristiscbe  Erzählungen.  Die  Ausdehnung 
dieses  Gebietes  in  der  letzten  Zeit  steht  offenbar  im  Zusammen- 
hange mit  der  Belebung  der  äechischen  Nattonalität,  nachdem 
die  Verheemngen  der  Reactiou  der  fünfziger  Jahre  vorüber  waren. 
Aber  obgleich  diese  Literatur  der  Gesellschaft  oftmals  als  Schule 
des  „Patriotismus"  diente,  so  läset  sich  doch  nicht  sagen,  dass 
der  fechische  Roman  einen  selbständigen  Stil  und  eine  reale 
Darstellung  des  Lebens  ausgearbeitet  habe.  Wie  in  der  neuem 
£echiscben  Poesie  der  Einfinss  Byron's  und  Victor  Hugo's  augen- 
scheinlich ist,  so  ist  in  der  Erzählung  und  im  Roman,  ausser 
George  Sand,  besonders  die  Manier  derjenigen  fremden  Schrift- 
steller bemerkbar,  die  den  Cechen  am  meisten  bekannt  sind,  d.  i. 
der  deutschen. 

Am  selbständigsten  und  interessantesten  ist  unserer  Ansicht 
nach  die  Erzählung  aus  dem  Volksleben,  wo  der  Gegenstand 
seihst  nothwendigerweise  die  grösste  Einfachheit  und  Innig- 
keit  erforderte.  Hier  erscheint  als  würdige  Nachfolgerin  der 
Bo^ena  Nemcova  eine  thätige  und  verdiente  Schriftstellerin,  Ka- 
rolina SvetlfL  (eigentlich  Johanna  Muiäk,  geborene  Rott,  geb. 
1830).  Die  literarische  Laufbahn  betrat  sie  in  dem  erwähnten 
Almanach  „Mäj",  18äS.  Darauf  sicherte  ihr  eine  lange  Reibe 
von  Erzählungen  und  Romanen  in  Journalen  und  vbesondern 
Büchern  die  erste  Stelle  in  der  Dai-stellung  des  Volkslebena. 
Für  die  besten  gelten:  „Das  Kreuz  am  Bache"  („Kh'i  n  po- 
toka"),  „Das  schwarze  Peterchen"  („  Cem^  PetKtek"),  „Der 
Dorfroman"  („Veanicky  roman"),  „Der  Nichtbeter"  („Nemod- 
lenec"j,  „Einige  Bogen  aus  einer  Familienclironik "  („N«ko- 
lik  arcbü  z  rodinnd  kroniky"),  Den  literarischen  Verdiensten 
nach  wird  sie  von  den  fiechischen  Kritikern  höher  als  Frao 
Nemec  gestellt,  —  was  ganz  natürlich  wäre,  da  sie  auf 
schon  gebahntem  Wege  gehen  konnte;  Svetlä  ist  fruchtbarer, 
reicher  an  Phantasie,  aber  uns  scheint,  grössere  Einfachheit 
würde  ihren  Erzählungen    nichts  schaden,   die  manchmal   nicht 


.....Gooj^lc 


Romas,  Erzählung.  261 

frei  von  weitschweifiger  Romantik  sind.'  Auf  diesem  Gebiete 
arbeitete  mit  Erfolg  Ferdinand  SchuU  (geb.  1835),  dessen  Ro- 
man „Der  alte  Herr  von  Domasic"   („Star?  pän   z  Domaäic", 

1878)  als  ein  gelungenes  und  wahrheitsgetreues  Bild  des  Land* 
lebens  sehr  geschätzt  wird.  Wir  fügen  noch  hinzu,  dass  Schulz 
auch  ein  bedeutender  historiBcher  Erzähler  ist.'  Oben  wurden 
erwähnt  Wenzel  SmilovskJ,  Äntal  Staäek;  letzterer  gab  vor  kur- 
zem einen  Roman  „Das  unvollendete  Bild"  („Nedokonfien^  obraz") 
heraus,  der  ebenfalls  durch  die  Darstellung  deb  Volkslebens  be- 
inerkenswerth  ist.  Es  mögen  noch  genannt  sein  Wenzel  Beneä 
Trebizsky,  Priester  („Verführte   Seelen"  —  „Bludne  duäe", 

1879)  u,  a. 

Der  historische  und  sociale  Roman  findet  zahlreiche  Vertreter. 
Von  den  altem  Schriftstellern  arbeitete  hierin  viel  J.G.KolAr,  der 
iibrigeus  mehr  Phantasie  als  historische  Wahrheit  besass.  Janda- 
Cidlinsky  beschäftigte  sich  in  seinen  historischen  Romanen 
besonders  mit  der  Epoche  Geoi^  Podebrad's.  Von  den  Schrift- 
stellern der  neuer»  Generation  erfreut  sich  eines  besondem  Hufes 
der  früher  erwähnte  Wenzel  Vltek.  Ihm  gehört  eine  Reihe  his- 
torischer Erzählungen  an:  „Jan  Paäek  z  Vratu",  „Ondrej  Puklice" 
—  aus  dem  Stadtleben  Böhmens  im  15. — 16- Jahrhundert;  „Pani 
l'icbnickä",  „Dalibor"  u.  s.  w.  Des  grössten  Ruhmes  aber  erfreut 
sich  sein  Roman  aus  dem  zeitgenössischen  Leben:  „Der  Lorber- 
kranz"  („Venec  vavh'novy",  in  Oaveta,  1872,  und  dann  besonders 
1877),  wo  in  der  Erzählung  von  dem  iunern  Leben  des  idealisti- 
schen Dichters  und  dem  Kampfe  mit  seiner  egoistischen  Umgebung 
Züge  aus  dem  äecbischen  Gesellschaftsleben  und  sogar  ziemlich 
leicht  errathbare  Porträts  eingestreut  sind.  Die  Werke  Vlcek's, 
seine  Romane  sowol  als  seine  publicistischen  Sachen,  sind  von  pa- 
triotischem Idealismus  durchdrungen.*  Joseph  Georg  Stankovsk^ 


■  Uebei-  KftToiina  Sv6tlä  s.  OsvEta.  1878.  h<\.  11,  S.  786  fg.;  Kv*ty, 
1880,  Nr.  2;  Svetozor,  1880.  Der  Name  ist  vou  der  ÜrtBohaft  Svttla  ge- 
nommen, der  Heimat  ihres  Mannes  im  nördlichun  Böhmeu,  wo  anuli  der 
SchanpUtz  der  Handlnng  ihrer  beaBem  Erzählungen  iet. 

'  „ÖeSti  vystähoyalci"  („Böbmische  Kxulanten",  1876);  „Z  d6jin  poroby 
lidn  v  Cechäoh"  („Ane  der  Zeit  der  Leibeigenschaft  des  Volkes  in  Böhmen" 
in  Oaveta,  1871). 

*  Die  letztem  sind  gessminelt  in  der  Schrift  „Patriotische  Klagen" 
(„Tozby  vlastenecke ",  Pr^  1879).  VlCek  ist  Bedsotenr  einer  der  besten 
(echischen  Zeitschriften,  der  „Oevita". 


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262  FüDflec  Kapitel.    I.   Die  Rechen. 

(Ifi44 — 80),  ein  sehr  frnchtbarer  Schriftsteller,  ist  VerEaseer  histo- 
rischer Romane:  „König  und  Bischof"  („Kräl  i  bisknp")  aas  den 
Zeiten  Rudolfs  II.,  nnd  besonders  „Die  Patrioten  der  Theater- 
bude"  („Vlastencove  z  boudy")  aus  den  ersten  Zeiten  der  natio- 
nalen Erweckung  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  auch  eines  zeit- 
genössiBchen  Romans:  „Der  Reformator  TOn  Milevsko"  („Milevsk; 
reformätor")  u,  a.  Ivan  Klicpera,  Sohn  des  früher  erwähn- 
ten dramatischen  Schriftstellers,  schrieb  einige  interessante  his- 
torische Erzählungen:  „Böhmische  Exulanten"  („CeSti  Tybnanci"), 
„Die  Schlacht  bei  Lipan"  („Bitva  u  Lipan")  n.  a.  Venceslava 
Luzickä  (,,Auf  den  Ruinen"  —  „Na  zricenioäch" ;  die  Erzählung 
„Die  Mittagsfrau"  —  „Polednice",  ti.  a.);  der  früher  genannte 
Stroupeinicky  u.  s.  w.  • 

Der  sociale  Roman  hat  sich  in  der  allerletzten  Zeit  entwickelt, 
weil  die  „Gesellschaft"  selbst,  d.  i.  der  Mittelstand  nnd  theil- 
weise  der  höhere,  erst  seit  kurzem  zur  Öechisohen  Nationalität 
zDriickkehren.  Die  Grundlagen  waren  schon  in  der  frühem  Pe- 
riode durch  die  „patriotischen"  Erzählungen  und  Romane  gelegt 
worden;  jetzt  breitet  sich  der  sociale  Roman  immer  mehr  aus. 
Wir  haben  schon  einige  Schriftsteller  genannt,  welche  auf  diesem 
Literatiirgehiet  wirkten,  wie  Pfleger,  Svatoplnk  Cech,  Vl&ek,  Ka- 
roUna  Svetlä,  El.  Kräsnohorskd  u.  a.  Wir  nennen  noch  folgende 
Namen:  Sophie  Podlipskä  (geb.  Rott,  die  Schwester  ron  Ka- 
rolina, geb.  I63it)  schrieb  einige  Erzählungen  und  Romane,  von 
denen  die  hauptsächlichsten  sind :  ,tSchicksal  und  Talent"  („Osad 
a  nadäni"),  „Die  Verwandten"  {„Ph'buzni"),  „NalioYsk^".  Alois 
Jirasek  (geb.  1851,  Lehrer  zu  Leitomischl),  der  von  1871  an  in 
der  Literatur  auftrat,  verfasete  eine  Menge  von  Gedichten,  Enäfa- 
lungen  ans  dem  Volksleben  und  Romanen  in  verschiedenen  Jour- 
nalen und  besonders:  „In  der  Nachbarschaft"  („V  sousedstvi",  1874) : 
„Die  Felsenbewohner"  („Skalaci",  1875);  „Das  Geschlecht  der  Tn- 
refiek"  („Tureikove",  1876);  „Am  Hofe  des  Vojevoden"  („Na  dvore 
vevodskem",  1877);  ,, Eine  philosophische  Geschichte"  („Filoso&kä 
historie",  1878)  aus  den  Ereignissen  des  Jahres  1848,  und  andere.* 
Bohumil  Havlasa  (1852—77)  führte  ein  kurzes,  aber  j^iantasie- 


'Siebe  die  Bemerkungen  Tieftrank'a:  „Slovo  o  romiou  a  d^epüe 
j^eskem"  („Ein  Wort  über  den  cechiachen  Boman  und  die  teohisobe  G«- 
aobiobtsohreibang",  im  Oasopie,  18TS). 

*  Seine  Biographie  in  SvetOEor,  1678,  Nr.  (9. 


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Roman,  Erühlung.  263 

volles  Leben:  er  bereitete  Bich  zumEaufmannestande  vor,  wurde 
aber  fahrender  Schauspieler;  dann  verschafften  ihm  seine  Freunde 
eine  Stellung  in  einer  Zuckerfabrik;  im  Jahre  1875  begab  er 
rieh  als  Correepondent  der  „Närodni  Ljsty"  nach  der  Herce- 
govina,  wo  er  die  Abenteuer  des  Kriegs  durchmachte.  Nach 
Hanse  zurückgekehrt,  begab  er  sich  bald  wieder  auf  Reisen  — 
nach  Paris,  in  die  Schweiz;  der  russisch-türkische  Krieg  zog  ihn 
nach  Bussland;  er  ging  in  den  Kaukasus  als  Freiwilliger  eines 
Dragoner-Ilegiments ,  war  bei  Zivin  und  Avliar  und  starb  am 
Typhus  in  Alexandropol,  im  November  1877.  Dennoch  vermochte 
er  in  diesem  kurzen  und  unsteten  Leben  viel  zu  schreiben:  „Aus 
dem  Vagabundenleben"  („Z  potulneho  iivota"),  eine  humoristische 
Erzählung  aus  dem  Leben  der  fahrenden  Schauspieler,  geschrie- 
ben 1871;  „Na  nadrazi"  („Auf  dem  Bahnhof'};  „Leben  im  Ster- 
ben" („Zivot  y  umi'räni");  „Im  Gefolge  eines  Abenteurerkönigs" 
(„V  dru^ine  dobrodruha  kiäle"),  ein  historiBcher  Koman,  das  beste 
seine  Werke;  „Stille  Wässer"  („Tiche  vody")  u.b.w.^  Ein  anderer 
fruchtbarer  Schriftsteller  ist  Johann  Jakob  Arbes  (geb.  1840). 
Er  wurde  früh  belletristischer  Schriftsteller  und  Publicist.  '  Nach- 
dem er  1868  in  die  Zeitung  „Närodni  Listy"  eingetreten,  ward 
er  als  ihr  verantwortlicher  Kedacteur  dreissigmal  wegen  Ueber- 
tretung  des  Pressgesetzes  vor  Gericht  gestellt,  übrigens  aber  nur 
einmal  zu  einigen  Monaten  Gefängnise  verurtheilt.  Vor  kurzem 
sammelte  er  seine  „Romanetta",  die  übrigens  selbst  nach  den  Aeus- 
semngen  fiechischer  Kritiker  überdiemassen  willkürlich  und  phan- 
tastisch sind.  Einer  der  beliebtesten  Erzähler  der  Gegenwart  ist 
der  oben  erwähnte  Svatoplnk  Öech  („Povidky,  arabesky  i  bumo- 
reskj",  3  Bdchn.,  1878 — 80);  in  seinen  Erzählungen  ist  wirklicher 
Frohsinn  und  lebendiger  Witz,  aber  der  „Humor"  wird  hier, 
wie  überbanpt  in  der  feebischen  Literatur,  nicht  im  englischen 
Sinne  verstanden,  den  man  in  Russland  angenommen  bat,  sondern 
im  populären  deutschen,  was  zwei  verschiedene  Dinge  sind.  Endlich 
mögen  noch  genannt  sein  Joseph  Stolba  (geb.  1846),  Verfasser 
einiger  Komödien  und  „Humoresken";  Franz  Herites  (geboren 
1851)  u.  a. 

'  BiographiBohe  Nftchriuhten:  Svfitozor,  X878,  Mr.  17— 18;  Osvite,  1876, 
Mr.  6. 


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364  Fünftes  Kapitel.    I.   Di«  Ceokea. 

So  war  die  breite  Entwickelung  der  neuöechischen  Kunst- 
literatur.  An  der  Lyrik,  dem  subjectiTBteti  und  freiesten  Ge- 
biet der  Poesie,  ist  die  vorberrschende  Stimmung  dieser  Lite- 
ratur besonders  bemerkbar.  Es  ist  die|_Tendenz  der  allgemein 
menschlichen  Ideen,  des  Eosmopolitismus ,  als  dessen  Vertreter 
Vrchlicky  erBcheint.  Wir  haben  vorher  bemerkt,  dass  das  Ein- 
treten dieser  Richtung  seinen  Grund  hatte,  aber  sie  hat  auch 
ihre  schwachen  Seiten. 

In  der  That,  den  wirklichen  Kosmopolitiemus  kann  eine  Li- 
teratur nur  dann  besitzen,  wenn  die  allgemein-menschliche 
Erhabenheit  des  Inhalts  die  natürliche  Frucht  einer  starken  na- 
tionalen Entwickelung  ist.  Die  wahrhaft  grossen  Schrifteteller 
von  solcher  Weltbedeutung  waren  gewöhnlich  zugleich  auch  tief  na- 
tional, und  waren  gross,  weil  sie  national  waren,  wie  Shakespeare, 
Moliere,  Goethe,  Schiller,  Dickens,  Byron.  In  jungen  Literaturen 
von  wenig  Umfang  und  nicht  völliger  Selbständigkeit  kann  die 
kosmopolitische  Tendenz  nur  kiinstlich  und  absichtlich  gesudit 
sein.  Sie  kann  auch  hier  grossen  Werth  haben,  nämlich  einen 
bildenden,  indem  sie  in  die  specielle  und  beschränkt  nationale 
Literatur  umfassende  Ideen  von  allgemein  meuBchlicber  Bedeutung 
hineinträgt.  So  war  es  z.  B.  in  der  russischen  Literatur  vom  vori- 
gen Jahrhundert  an  bis  vor  nicht  langer  Zeit.  Aber  auch  znm 
Zwecke  der  Bitdung  ist  es  durchaus  nöthig,  dass  der  Kosmopoli- 
tismus  den  nähern  Boden,  d.  i-  sein  eigenes  Volk,  nicht  ver- 
gisst;  überhaupt  kann  er  natürlich  und  stark  nur  dann  sein, 
wenn  das  Allgemeiumenschliche  mit  dem  Nationalen  organisch 
verbunden  sein  wird. 

Aber  die  cechische  Literatur  ist  durchaus  nicht  jung,  —  i»igt 
der  Nationalstolz,  —  sie  zählt  ein  Jahrtausend,  angefangen  Tom 
„Gericht  der  Libusa";  sie  hatte  die  grosse  Periode  des  Huseit^- 
thums Aber,  auch  ohne  über  das  9.  Jahrhundert  des  „Ge- 
richts der  Libuäa"  zu  streiten,  ist  die  6echische  Literatur  dee 
iS — 19.  Jahrhunderts  ihrem  Wesen  nach  eine  neue  Erscheinung: 
vom  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  an  hat  sie  ganz  von  Anfang 
an  begonnen  —  mit  grossem  Erfolg  für  die  nationale  Wieder- 
belebung, aber  dafür  noch  zu  wenig  erreicht,  dass  sie  sich  schon 
kosmopolitische  Ziele  stellen  könnte. 

Die  neuere  Schule  stellte  sich,  wie  wir  bemerkten,  der  alten 
bescheidenen,  biedern,  „patriotischen"  Schule  gegenüber  ab 
e  ine  höhere  Stufe   der  Poesie   und  steht  factisch  über  ihr  in 

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KosmopolitisronB.  265 

Bezug  auf  die  Manoichfaltigkeit  von  Stoff  und  Form,  aber  die 
alte  Schale  hat  in  vielen  Beziehungen  mit,  man  möchte  sagen, 
richtigerm  Instinct  die  wahren  Aufgaben  der  fiechiechen  Lite- 
ratur empfunden,  und  z.  B.  die  Nothvendigkeit  einer  engern  Ver- 
bindung mit  den  nationalen  Elementen  und  den  —  gesammt- 
BlaviBchen.  Die  Wiederbelebung  der  j^echiscben  Literatur  selbst 
empfing  ihre  Nahrung  aus  zwei  Quellen:  aus  der  Erinnerung  an 
die  eigene  Nationalität  und  die  alte  Zeit,  und  aus  der  Idee  der 
slaTiBchen  Gemeinschaft.  Die  Sache  ist  aber  lange  noch  nicht 
zu  Ende  geführt:  die  Nationalität  und  die  slaviBchen  Beziehungen 
sind  auch  jetzt  noch  nicht  vollkommen  zum  Bewuestsein  gelangt 
und  anerkannt,  —  wenn  die  Cechen  die  letztern  überhaupt  an- 
erkennen werden;  aber  ohne  dies  bleibt  Böhmen  in  materieller 
und  geistiger  Beziehung  eine  Insel,  der  das  Meer  des  Deutsch- 
thnms  immer  mehr  nnd  mehr  bedrohlich  sein  wird.  Mit  einem 
Wort,  die  ^ecbiscbe  Literatur  kann  sich  nur  zu  einer  allgemein 
menschlichen  Bedeutung  erheben,  wenn  sie  zuerst  durch  eine 
wirklich  breite  Erforschung  ihres  nationalen  Lebeng  gegangen  ist 
und  zweitens  durch  die  Erforschung  und  feste  Begründung  der 
gegenseitigen  slaviscben  Beziehungen,  —  auf  welche  die  Cechen 
bei  andern  Gelegenheiten  selbst  ihre  HofTnungen  bauen,  die  aber 
bisher  bei  ihnen  in  einen  gewissen  Nebel  gehüllt  bleiben. 

Dies  wird  auch  in  der  ceuluBclien  Literatur  selbst  empfunden.  i>aliiii 
gehören  z.  B.  die  Betrachtungen  der  Frau  Kräenohorskä  in  dem  erwähnten 
Artikel  dber  die  neuere  cechiadie  Poesie  („Caaopie",  1877).  Sie  geht 
Ton  dem  Giedanken  aus  —  der  durch  die  Autorität  Ilugo's  unterstützt 
wird  — ,  dass  die  Kunst  nie  sich  selbst  Zweck  sei,  sondern  nur  ein 
Mittel  der  verschiedenartigen  Bestrebungen,  welche  die  Menschheit  besser 
und  glücklicher  machen  wollen.  Um  eo  weniger  sei  die  üechiache  Poesie 
sieb  selbst  Zweck  und  der  Beweis  Jaför  das,  was  sie  in  bemerkenswerthei' 
Weise  zur  Zeit  der  cecbischen  Wiederbelebung  geleistet  habe.  Die  Scbrift- 
stelleHn  vertheidigt  mit  grossem  Eifer  die  alte  poetische  Schule  von 
Kollär,  Celakovsky,  Erben,  Wocel,  welche  das  todte  Volk  mit  den 
Klängen  des  cechischen  Wortes  beleben  wollte,  und  dann  Erfolg  hatte 
....  Die  neue  Poesie  habe  diese  Vorgänger  zu  sehr  vergessen,  und 
nachdem  sie  sich  „Weltthemen"  gestellt,  habe  sie  aufgehört,  die  Heri- 
scberiii  in  der  geistigen  Welt  des  cecbischen  Volkes  zu  sein.  Das  Erbe 
der  alten  Schule  sei  eher  in  den  Roman  und  die  Erzählung  über- 
gegangen, die  dorn  Leben  und  dem  Volke  nahe  geblieben  sind.  Die 
neue  Poesie  klagt  über  Kälte  der  Gesellschaft,  aber  woher  kommt 
diese  Kälte?  An  Talenten  fehlt  es  nicht;  die  öffentlichen  Interessen  haben 
einen  viel  hreitern  Boden  als  früher;    unabhängige  und  gebildete  Leute 

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266  FünfleB  Kapitel.     1.   Die  flechen. 

gibt   eu    in    gröeserei'   Zahl,  —  um    bo    weiter  wirkend    und  feaseluder 
könnte  die  Poefiie  sein.  ... 

Und  so  liegt,  wenn  man  sicli  über  Mangel  an  Interesse  fär  die 
(neuere)  Poesie  beklsgt,  der  Grund  eines  geriogem  Erfolgs  derselben 
nicht  in  der  Gesellscliaft,  sondern  iu  der  Poesie  selbst.  Sie  selbst  hat 
eich  der  Gesellscbaft  entfremdet.  Der  Roman  ist  in  dieser  Beziehung 
glficklicker.  „Die  Poesie",  sagt  Fnitt  Kräsnohorskä,  „kannte  die  Geister 
ätärker  anziehen  mit  denselben  Mitteln,  durch  die  jeder  gute  ßomaii 
Popularität  erlangt  —  es  brauchte  darin  nur  mehr  veredelter  Realiamua, 
mehr  Inhalt,  mehr  lebendige  Wahrheit,  mehr  concretes  Wesen  zu  aeiii; 
und  wie  unser  Leben  seinen  sittlichen  und  praktischen  Kern  augenscheiu- 
tich  in  dem  unaufhörlidien  Kampfe  fOr  unsere  nationale  Existenz  bat,  so 
mnss  auch  der  Kern  der  cechischen  Kunst  —  wenn  sie  die  moderne  uad 
zugleich  kosmopolitische  Hdhe  eines  gesunden  Realismus  erlangen  will  — 
das  cechische  Ideal  und  die  nationale  Tendenz  sein,  durdiaus  nicht 
irgendeine  zerfahrene  Unbestimmtheit,  die  niemals  und  nirgends  einer 
u  Weltliteratur»  Jene  Weltbedeutung  gegeben  hat.  .  .  .  Eine  jede  Welt- 
literatur ist  eine  National literatnr.  Kein  Mensch  wird  ohne  hestimmte 
Nationalität  geboren,  wie  es  kein  Fleckchen  auf  Erden  gibt  ohne  sein 
bestimmtes  Klima;  Wissenschaft,  Philosophie  und  Humanismus  bewegen 
sich  allerdings  in  allgemein  menschlichen,  sogar  kosmopolitischen  Ge- 
bieten —  aber  dennoch  gibt  es  auf  der  Welt  kein  praktiach-kosmo- 
politisches  Leben,  das  nationale  Gepräge  wird  nie  zu  einer  abstracten 
Allgemeiuheit  verwischt,  —  im  Gegentheil,  wo  die  uraprüngliehe  na- 
tionale Eigenthamlicbkeit  verwischt  ist,  ist  dies  nur  durch  den  EinfloM 
einer  andern  starkem  und  aggreasiveo  Nationalität  geschehen.  Wenn 
sonach  ein  Dichter  aus  dem  wirklichen  Leben  herausgewachsen  ist,  so 
ist  dies  unter  dem  Einfluss  seines  Volkes  geschehen  ....  und  er 
musste  entweder  durch  sich  selbst  (lyrisch)  oder  durch  die  von  ihm 
geschaffenen  Gestalten  (episch)  eben  den  idealen  Typus  der  Volkiati 
darstellen.  .  .  .  Und  uns  zwingt  zu  einem  begeisterten  Sueben  dee  cechi- 
schen Ideals  nicht  nur  irgendein  sentimentaler  Patriotismus,  eondem 
das  gebieterische  Schicksal,  und  die  anerbittliche  Wirklichkeit; 
die  politische,  geographische,  sociale  Lage  unsere  Volkes,  die  dringende 
Thatsache  der  Noth  und  die  unabvrendbaren  Ziffern  der  Statistik, 
—  und  solange  diese  Momente  ihre  Wesenheit  nicht  verlieren  werden, 
wird  die  Poesie  nur  dann  mit  dem  Lehen  des  Volkes  verwetfaonn  leiii, 
wenn  sie  aus  demselben  herausgewachsen  und  ihm  entströmt  sein  wird 
wie  sein  eigener  warmer  Hauch." 

So  lauten  die  Urtheile  der  ^ecbischen  Kritik  selbst  Dieses 
Urtheit  gilt  natürlich  nicht  durchweg,  weil  auch  in  der  neaem 
Poesie  die  alte  Ueberlieferung  nicht  ganz  verlassen  ist;  aber 
im  allgemeinen  gibt  es  den  Charakter  der  neoern  kosmopoli- 
tischen Poesie  (z.  B.  ihrer  Koryphäen:  Hälek,  Nemda  und  am 
meisten  Vrchlicky)   und   ihre  wesentlichen  Mangel   richtig  w»- 


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KoBmopolitinnua.  267 

der.*  Aber  andererseits  Ut  auch  der  cechiBcbe  Romiiu  noch  weit 
vom  wahren  RealismuB  entfernt.  Sein  bestes  Gebiet  ist  die  Dorf- 
geschichte, worin  sich  jedoch  immer  noch  zuviel  sentimentale  Ro- 
mantik findet,  die  zun  Tbeil  traditionell  von  der  alten  Schule  her- 
i-ührt,  andemtheils  von  George  Sand  angeweht  ist.  Der  sogenannte 
„sociale"  Roman  leidet  ebenfalls  an  einer  eigenthümlichen  Art  ge- 
ktinstetter  Romantik,  die  dem  Anschein  nach  am  meisten  den 
Deutschen  entnommen  ist:  einen  solchen  Eindruck  machen  sie  auf 
den  russischen  Leser,  der  mit  dem  wirklichen  Realismus  des  eng- 
lischen Romans,  z.  B.  bei  Dickens,  Thackeray  u.  s-  w.,  bekannt 
und  insbesondere  an  den  ruseiscben  Realismus  seit  den  Zeiten 
Gogol's  gewöhnt  ist.  In  der  Mehrzahl  der  Cecbischen  Romane, 
die  wir  gelesen  haben  (und  ihre  Zahl  ist  nicht  klein),  setzt  den 
ruBsiscben  Leser  jener  Mangel  an  realer  Einfachheit  in  Verwun- 
derung: die  Personen  sind  conventionell,  der  Dialog  besteht  zu- 
weilen aus  schwerfällig  rhetorischen  Reden  (wie  z.  B.  in  den 
Romanen  von  Auerbach,  Heyse  and  andern  Deutschen);  in  der 
cechischen  Gesellschaft  treten  Grafen  und  Barone  auf,  die  in 
ihr  in  'Wirklichkeit  keinen  Typus,  sondern  eine  Seltenheit  bil- 
den ;  die  Handlung  ist  romantisch  aufgebaut  u.  s.  w.  Dabei  fehlt 
auch  bier  jener  Grundzug  des  Cechischen  Lebens,  auf  den  die 
eben  angeführte  Kritik  der  (^chischen  Poesie  hinweist:  beim 
Lesen  der  Romane  sieht  man  nicht  den  national-politischen 
Kampf,  der  doch  der  herrsobende  Zug  der  cechischen  „Politik", 
„Geographie",  „Statistik"  u.  s.  w.  ist.  Aber  dafür  muss  man 
zugeben,  dass  bei  den  Cechen  die  literarische  Technik  sehr  aus- 
gebildet ist:  der  Dialog  fliesst  gut,  der  Stoff  wird  gut  ent- 
wickelt und  durchgeführt. 

Die  öechische  Literatur'  hat  eine  schöne  Eigenschaft,  die 
iu  Russland  ganz  vergessen  ist,  —  das  Gefühl  der  Solidarität, 
infolge  deren  jedes  einigermassen  talentvolle  Werk  gleich  be- 
merkt und  mit  Beifall  überschüttet  wird:  es  —  bereichert  die 
Literatur.  Aber  leider  verliert  diese  schöne  Eigenschaft  nicht 
selten  das  Mass:  bei  diesem  „Reichthum"  zeigt  sich  in  der 
Literatur  eine  übertriebene  Vorstellung  von  ihrem  wirklich  vor- 
handenen  Inhalt,   die  Kritik   erschlafft    und    damit    verringert 


'  Vgl  das  Buch  von  Koaiua,  „Hovory  Olympsk^" ;  sehr  BchwerfiUlig 
iu  d«r  Form  (das  Mittel  der  Darstellung  iat  der  Diklog),  ist  e«  nicht  selten 
dem  Inhalt  nach  aehr  interessant. 


D,9:.z.u.,  Google 


268  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Rechen. 

sich  zugleich  das  Streben  iiacfa  neuen  Mitteln  der  nationalen  £ut- 
wickelung. 

Indem  wir  uns  zut-  gelehrten  Seite  der  öechiscben  Literatur 
wenden,  gehen  wir  dem  Plane  ungers  Buches  gemäss  im  Speciel- 
len  nur  auf  die  hiBtorisch- literarischen  Forschungen  ein.  Hier 
stand  die  6echische  Literatur  von  Anfang  der  Renaissance  an 
in  der  vordem  Reihe  und  hat  in  einigen  Beziehangeo  ihre  Stelle 
nicht  verloren.  Es  wirken  noch  jetzt  einige  Veteranen,  jüngere 
Zeitgenossen  SafaHk's,  Falackj's,  Kollär's;  es  kam  eine  neue  üe- 
neration  von  Gelehrten  empor,  welche  eifrig  an  der  Erforschung 
des  iechiechen  Alterthuros  und  des  ftechischen  Volksthums  arbei- 
ten.   Wir  nennen  die  wichtigem  Namen. 

An  die  Spitze  der  gegenirärtigen  ^echiBchen  Historiker  wird 
nach  Palack^  der  verdiente  Forscher  Wenzel  Vladivoj  Tomek 
(geb.  1818)  gestellt.  Nachdem  er  in  Prag  Philosophie  und  die 
Rechte  studirt  hatte,  war  er  einige  Zeit  Advocat,  aber  sein  Hanpi- 
interesse  bildete  die  Geschichte :  seine  ersten  Arbeiten  erschienen 
schon  im  Jahre  1837.  PalackJ  machte  ihm  den  Vorschlag,  sich 
mit  der  Geschichte  der  Stadt  Prt^  zu  beschäftigen,  der  BSif  er^ 
nieister  von  Prag  iotereseirte  sich  für  die  Sache,  und  Tomek 
nahm  zu  diesem  Zweck  eine  Stelle  beim  prager  Magistrat  ein. 
Diese  Arbeit  beschäftigt  ihn  noch  jetzt.  Inzwischen  gab  er  1842 
ein  Buch  über  allgemeine  Geschichte  heraus,  1843  „Deje  zem« 
ceske"  („Geschichte  Böhmens")  •,  1845  „Geschichte  Oesterreichs" 
(„Deje  mocnarstvi  rakouskeho").  Zum  fünfhundertjährigen  Ju- 
biläum der  prager  Universität  verfasste  er  deutsch  deren  Ge> 
schichte.-  Die  Ereignisse  des  Jahres  1848  lenkten  ihn  in  die 
politische  Thätigkeit  ab;  er  war  Mitglied  des  Reichsraths  lu 
Wien  und  Kremsier.  Im  Jahre  1850  erhielt  er  den  Lehrstuhl 
der  österreichischen  Geschichte  an  der  pn^er  Universität 
1858  gab  er  ein  Handbuch  der  österreichischen  Geschichte 
heraus*,   dessen  Hauptidee   darin  besteht,  das«   den  Kern  der 


'  Zweite  Ausgabe,  11*60;  dritte  umgetubeitate,  1864. 

'  „Geschichte  der  pragor  Dniveraität"  (Prag  1848),  Der  VeriMaer  be- 
ganu  auch  dieses  Buch  fechinuh  heraaszugeben,  iu  austubrliclieror  Betrbei- 
tung,  es  ersohien  aber  oar  der  l.Theit  (Prag  t8<y). 

*  PHraCnf  knlha  dejepisu  RakoDskeho,  1.  Theil,  bis  sur  äcUavht  b«i 
MohU. 


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W.  Tomek.  —  A.  Gindaly.  269 

Österreichischen  Geschichte  nicht  das  sogCDannte  Stammland  und 
die  Äblülngigkeit  vom  Deutschen  Reich  bilde,  sondern  da»  alte 
natürliche  Band  nnd  die  Gemeiueamkeit  der  Interessen  derjenigen 
Länder,  die  jetzt  als  Oesterreicb  Terbnöden  sind.  Dies  war 
eine  Entgegnung  auf  die  Ansicht  der  Anbänger  der  deutschen 
Einheit,  dass  eine  Geschichte  Oesterreichs  (d.  i.  in  irgendwelcher 
Absonderung  ron  dieser  Einheit)  keinen  abgescbloBsenen  Sinn  habe 
und  deswegen  unmöglich  sei.  Seinen  Standpunkt  hatte  Tomek 
Kchon  früher  in  einigen  Artikeln  über  diesen  Gegenstand  verthei- 
digt:  ee  ist  derselbe  Standpunkt,  der  Pnlacky  veranlasste  zu  sagen, 
und  Jellachich  zu  wiederholen,  dass,  wenn  Oesterreich  nicht  wäre, 
man  es  schaffen  müsste.  ...  Im  Jahre  18.'}5  erschien  der  1.  Band 
der  „Geschichte  der  Stadt  Prag"  („Dejepis  mesta  Prahj");  1865 
„Grundlagen  der  alten  Topographie  Prags"  („Zäklady  stareho 
mistopisu  praiskeho"),  eine  ausführliche  topographische  Beschrei- 
bung des  alten  Prag,  die  als  Grundlage  zur  weitem  Darstellung 
seiner  Geschichte  diente.  Im  Jahre  1879  war  die  „Geschichte 
Ton  Prag"  bis  auf  vier  Bände  gediehen,  und  zwar  bis  zum  Tode 
Sigismund's;  zu  Ende  desselben  Jahres  erschien  eine  neue  be- 
deutende Arbeit  Tomek's  „Jan  Zi&ka",  eine  Geschichte  des  be- 
rühmten Helden  der  Hussitenkriege.  Tomek  ist  ein  im  höchsten 
Grade  äeiseiger,  ruhiger  und  genauer  Forscher  und  seine  ge- 
nannten Werke  bilden  eine  wichtige  Ergänzung  und  nicht  selten 
Verbesserung  der  „Geschichte"  Palack^'s. ' 

Ein  Schriftsteller  grossem  Stils,  den  man  sogar  als  höch- 
sten Vertreter  der  gegenwärtigen  böhmischen  Geschichtschreibung 
hinstellt,  ist  Anton  Gindely  {geb.  1829).  Nachdem  er  an  der 
prager  Universität  Vorlesungen  in  der  theologischen,  philoso- 
phischen und  juristischen  Facultät  gehört,  war  er  Lehrer  an 
einer  Realschule,  dann  Professor  der  Geschichte  an  der  olmützer 
Univereität,  nach  Aufhebung  derselben  wurde  er  zu  einer  Pro- 
fessur in  Kaschau  in  Ungarn  designirt,  zog  es  aber  vor,  in 
Prag  an  der  Realschule  zu  bleiben.  In  den  fünfziger  Jahren 
machte  er  eine  Reihe  gelehrter  Reisen  in  Böhmen,  Polen,  Deutsch- 
land, Frankreich,  Belgien,  Holland,  Spanien  behufs  Sammlang 
von  Materialien  für  die  böhmische  Geschichte  des  16. —  IT.  Jahr- 
hunderts. Im  Jahre  1862  ward  er  Professor  der  öaterreichiacheu 
Geschichte  an   der  Universität    und   Landesarchirar    des  König- 

'  Biogrephie  in  Svftozor,  1878,  Nr.  23—25. 

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270  Fünftot  Kapitel.    L  Die  (^^ohen. 

reicbs  Böhmen.  Das  Resultat  seiner  unermüdlichen  Foi'echangcti 
war  eine  Reihe  bedeutender  Arbeiten,  die  vir  zum  Theil  schon 
angeführt  haben,  wie  die  „Geschichte  der  Böhmischen  Brüder", 
„Rudolf  II.  und  seine  Zeit"  (beide  deutsch),  die  einen  Platt 
unter  den  besten  Werken  der  neuem  historischen  Literatur  über- 
haupt einnehmen  können;  ferner  die  in  den  letzten  Jahren  deutsch 
und  ^echisch  herausgegebene  „Geschichte  des  böhmischen  Anf- 
standea  vom  Jahre  1618"  -~  „D^jinj  (eskeho  povstanf"  (bisjetet 
STheile),  der  mit  dem  Untergang  Böhmens  endete;  „Geschichte 
des  Dreis&igjährigen  Krieges  in  drei  Abtheilungen"  (Leipzig  18Ö3), 
endlich  viele  wichtige  Specialuntersnchungen,  wie  die  Biographie 
Blahoslav's,  Geschichte  des  Emigrantenlebens  Komensk^'s  u.  s.  w. 
Endlich  begründete  Gindelj  die  Publication  der  „Stare  pamäti 
d^jin  (eskych"  („Alte  Denkmäler  der  böhmischen  Geschichte"), 
eine  wichtige  Sammlung  von  Quellen  für  die  Geschichte  des 
16.  und  17.  Jahrhunderte',  and  gibt  mit  Fr.  Dvorsk^  heranB 
„Sn^my  deskS"  (Verhandlungen  der  böhmischen  Landtage  seil 
1526). 

Der  haupteächlichste  populäre  Historiker  war  Kart  Vladislar 
Zap  (1812 — 1870),  ein  Schriftsteller  zweiten  Ranges,  aber  sehr 
thätig  in  der  böhmischen  Geschichte,  Geographie  und  Alter- 
thumskunde.  Geboren  zu  Prag,  brachte  er  von  1836  an  acht 
Jahre  im  Staatsdienst  in  Galizien  zu,  über  das  er  ein  inter- 
essantes Buch  schrieb.  Seine  Hauptwerke  waren  dann  ein  „Fah- 
rer durch  Prag"  („Prftvodce  po  Praze",  1848;  eine  zweite  Be- 
arbeitung: „Praha,  popsdni  hl.  mesta  kräl.",  1868),  und  be- 
sonders die  „  Böhmisch  -  mährische  Chronik"  („Öeeko-morsTskä 
Kronika";  illustrirt),  eine  populäre  Geschichte  Böhmens  mid 
Mährens,  1862  begonnen  und  in  drei  Büchei-n  bis  1526  geführt; 
nach  seinem  Tode  vollendete  dieses  Werk  Joseph  Eorio,  der 
in  drei  femern  Büchern  die  Geschichte  bis  zur  Gegenwart  führte.' 

Von  den  Historikern  Mährens  muss  Ant.  Boiek  (1802—47) 


■  In  dieser  Kammliuig  eraohienen:  Die  Deorele  der  Brfidergeiaeini. 
lum  DrDok  vorbereitet  von  Emier;  die  Geschichte  Panl  SkäU's,  hennigT- 
geben  von  Tieftmnk;  die  Memoiren  Wilhelm  Slavata'i,  von  Joieph  Jirc- 
Gek;  die  Acta  des  katboliaohen  und  utraqniatiachen  ConiiatoriDina.  von  Kl. 
BorovJ. 

'  Im  Jahra  1880  wurde  von  Kober  die  2.  Anagabe  der  „Chronik^  be- 
gonnen. 


.....Gooj^lc 


Historiker.  271 

genannt  werden,  von  Geburt  ein  Mäbrer,  seit  1831  Professor  der 
iechischen 'Sprache  in  OlmUtz,  seit  1836  Hietoriograph  Mährens 
nnd  später  Vorstand  des  Archivs  der  mährischen  Stände.  Er 
war  ein  fleissiger  Sammler  historischen  Materials,  Verfasser 
einiger  Werke  über  mährisohe  Geschichte  und  Herausgeber 
einer  reichen  Sammlung  historischer  Doeumente. '  Der  Nach- 
folger Bofiek's  im  Amte  eines  mährischen  Bistoriograpben  wurde 
die  gegenwärtige  Haaptautorität  in  der  mährischen  Geschichte 
Beda  Dudi'k  (geh.  1815),  aus  dem  Orden  der  Benedictiner  im 
KloBt«r  Gross-Raigem ,  der  früher  nur  deutsch  schrieb.  Von 
ihm  sind  wichtige  arcbivalische  Forschungen  herausgegeben  >;  vom 
Jahre  1860  an  begann  er  das  Werk:  „Mährens  Allgemeine  Ge- 
schiebte" deutsch  herauszugeben,  die  in  den  bisher  erschienenen 
Banden  bis  zum  Ende  der  Dynastie  der  PHmysliden,  1306,  ge- 
langt ist;  1872  begann  die  (echische  Ausgabe  dieses  Baches  („De- 
jiny  Moravy").  Gechische  Gelehrte  warfen  den  ersten  Arbeiten 
Dudik's  die  antislaviscbe  Tendenz  der  Wiener  Schule  vor;  in 
diesem  Sinne  war  sein  Gegner  ein  anderer  mährischer  Gelehrter, 
Brandl,  von  dem  weiter  unten  die  Rede  sein  wird.  Im  Jahre 
1878  wurden,  dank  den  Bemühungen  Dadik's,  ins  mährische 
Archiv  die  öechiscben  Handschriften  zuriickgeHefert ,  welche  von 
den  Schweden  im  Dreissigjährigen  Kriege  erbeutet  worden  waren 
und  sich  bisjetzt  in  den  schwedischen  Bibliotheken  befanden.' 
Die    Geschichtsknnde    richtete    sich    insbesondere    auf   die 


'  „Mähren  unter  Kaiser  Rndolf  1."  (Brunn  1835);  „Pfahled  knizat  i 
m&rkrsbat  eto.  v  morkrabatTi  moravakem"  (,,Ueberaiokt  der  Füreten  und 
Hu-kgTftfen  eto.  im  Markgrafthiun  Mähren",  Brunn  1850);  „Codex  diplo- 
maticaa  et  epistolaris  Moraviae",  6  Bde.  (die  letzteu  zwei  wurden  nach 
seinem  Tode  hentnegegeben).  Wir  vermerken,  daes  die  Kritik  später  in  der 
KaminlQUg  BoCek's  gefölsobte  Dooninente  entdeokt  hat,  —  nämUch  die  so- 
genannten MoDse'Bohen  Fragmente,  eines  mährischen  Juristen  und  Histo- 

rikero  des  vorigen  Jahrhunderts  {1783—1793).    Ueber  Botek  h.  D'EIvert, 

.JUstor.  Literatnrgesohiohte  Mährene",  ä.  362—372. 

*  Ceroni's  Handsohriften Sammlung  (im  mährisohen  Landeearobiv),  1850; 

„Fonchnngen  in  Schweden  für  Mährens  Oesohichte",  1852;  „Iter  Romanum" 

—  Foraohtu^n  in  römischen  Archiven,  2  Theile,  1866. 

■  SvStoaor,  1878,  Nr.  26,  40.    Viele  Specialforscbungen  Dudik'a  wurden 

gedmckt  in  der  „Oesterreichischen  Revue",  den  Denksehriften  der  Wianer 

Akademie,  im  „Öasopis"  der  miUiriuihen  Matica,  in  den  Denkschriften  der 

böhmiBchen  OelehrtengesellBchaft. 


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273  Fünftee  Kapitel.    I.  Die  Ceohen. 

Sammlung  und  Herausgabe  von  Quellen.  Hier  ist  einer  der  th&- 
tigsten  Gelehrten  Joseph  Emier  (geb.  1836).  Nach  "Beendigung 
seiner  Studien  an  der  wiener  Universität  trat  er  in  das  damals 
eben  gegründete  „Institut  für  ÖBterreicbische  Geschichte"  ein, 
wo  er  eine  gute  Vorbereitung  zu  selbständigen  Arbeiten  in  Ge- 
schichte und  Alterthumskunde  empfing.  1861  nach  Prag  über- 
gesiedelt, erhielt  er  eine  Stellung  am  Landesarcbiv ,  dann  am 
städtischen,  und  wurde  nach  dem  Tode  Erben's,  1870,  desaeii 
Nachfolger  in  dem  Amte  eines  Archivars  der  Stadt  Prag.  Vor- 
her schon  hatte  er  die  Stellung  eines  Docenten  der  historischen 
IIülfswisseuBchaften  an  der  prager  Universität  erhalten.  Er 
legte  eine  ausserordentliche  Thätigkeit  in  der  Erforschung  und 
der  Herausgabe  von  Denkmälern  an  den  Tag.'  Von  1870  an  ist 
er  Kedacteur  des  „Casopis"  des  Böhmischen  Museums.  Anderer- 
seits ist  seine  Thätigkeit  als  Professor  bedeutend;  es  gehwg 
ihm,  eine  Schule  von  Zöglingen  heranzubilden,  welche  in  den 
Localarchiven  Böhmens  arbeiten  und  Liebe  zu  den  historischen 
Denkmälern  erwecken.^ 

Für  Mähren  arbeitet  in  dieser  Beziehung  Vincenz  Braudl 
(geb.  1834).  Seit  1858  Lehrer  der  Geschichte  in  Brunn,  bemühte 
er  sich,  in  der  Jugend  Interesse  für  das  Studium  der  Lande»- 
geschichte  zu  erwecken.'  Im  Jahre  1861  wurde  er  Vorsteher  des 
Archivs  der  Markgrafschaft  Mähren.  Eine  Reihe  seiner  histo- 
rischen Artikel  findet  sich  im  böhmischen  und  mährischen  „Ca- 
sopis", in  der  Zeitschrift  „Pam^tky  archaeologicke  a  mistopisne" 


'  Im  Jahre  I8bi  bereitete  er  zum  Druck  vor  „Dekret;  Jeduot;  Bmtnke," 
(„Deorete  der  Brüdeninitat"),  die  Bp&ter  von  <Tiiidely  henuugegebeB 
worden;  seit  1869  gibt  er  „PozÜMtaikj  daek  zemskjoh"  („Ueberreat«  der 
Landtafelo"),  die  1561  verbrannt  waren,  heraus;  er  ist  Redaeteur  der 
„Quellen  der  böhmierben  Geflchiohte"  („Prameny  d^jiu  I^eak^ch"),  die  fnr 
das  Geld  berauagegebeo  werden,  welches  vom  Volke  für  Poltick}  geaammeli 
wurde;  nach  Erben  überaahm  er  die  „Begesta  Bohemieft"  (3.  Bd.,  Ur- 
kunden und  Acten  bis  (um  Jahre  1310)  u.  s.  w. 

'Biographie:  Slovulk  NauCnJ,  t.  v.;  Svetozor,  1877,  Nr.  15. 

'  Er  gab  damals  deutsch  heraus  „Handbuch  der  mährisohen  Vaterl*od»- 
künde",  1869.  Im  Jahre  1863  wnrde  von  ihm  herauagegeben  „Kniha  pn> 
ka^.deho  Moravana"  („Buch  für  jeden  Mährer").  Später  aobrieb  er  den 
Artikel  „Morava"  (.Mähren)  im  „Hlovnik  NanCnj",  welcher  auch  geaondert 
eriohien:  „StruKnj  pfehled  vlastivMy  Moravskä"  („Kurxe  Ueberticht  der 
Landeskunde  Mährens",  IStiü).  „Olosearium  illustrans  Bofaemico-HoravicM 
historiae  fontes",  1876. 


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LiteratargescUolite.  273 

—  i^cbäologieche  und  topograplÜBche  Denkwürdigkeiten"  u.  s.  w. 
Ein  beBonderee  Verdienst  von  ihm  bilden  die  Publicationen  im 
altem  Schriftwesen,  wie  z.  B.  die  Werke  und  Briefe  ^erotin's,  das 
Tobitschauer  Buch  („Kuiha  TovaöoTskÄ")  und  anderer  Denk- 
mäler der  alten  Rechtsznstäode.  Brandl  ist  einer  der  eifrigen 
Vertheidiger  des  Alterthums  des  „Gerichts  der  Libusa". 

In  der  Reihe  der  eigentlichen  Literarhistoriker  ist  die 
älteste  Kraft  Alois  Adalbert  Sembera  (1807—82).  Ein  jün- 
gerer Zeitgenosse  der  Begründer  der  öechischen  Literatur,  war 
Sembera  Zeuge  und  Tbeilnebmer  ihrer  damaligen  Arbeiten  und 
Bestrebungen.  Jurist  seiner  Bildung  nach,  bekleidete  er  in  den 
dreissiger  Jahren  ein  juristisches  Amt,  dann  eine  Professur  der 
iechischen  Sprache  zu  Brunn  and  Olmütz.  Im  Jahre  1848  nach 
Wien  in  die  Commission  berufen,  welche  an  der  Feststellung 
einer  slarischen  politisch-juridischen  Terminologie  arbeitete,  ward 
Sembera  zum  Professor  der  6echischen  Sprache  und  Literatur 
an  der  wiener  Universität  und  zum  Bedactenr  der  öechisohen 
Ausgabe  des  k.  k.  Gesetzbuchs  ernannt.  Eine  literarische  Thä- 
tigkeit,  in  „patriotischem"  Sinne,  begann  Sembera  sehr  früh,  und 
seine  Arbeiten  waren  inBbesondere  auf  die  historiBch-topogra- 
phische  Erforschung  Böhmens  und  Mährens,  auf  das  Torbistorische 
Alterthum ,  endlich  auf  die  Literaturgeschichte  gerichtet.  ^  In 
den  letzten  Jahren,  eben  in  der  neuesten  Ausgabe  seiner  Lite- 
raturgeschichte, trat  Sembera  als  entschiedener  Gegner  der  Echt- 
heit einiger  znr  alten  Literatur  gezählten  Denkmäler,  besondere 
des  „Gerichts  der  Libuäa"  auf. 


■  Dabin  gehören:  „Popis  Moravy  g,  Slezska"  (.^esobreibung  Mährens 
und  Soblesiena"),  &1b  Erkl&mng  zu  einer  groeaen  Kiirte  Mähreos  (1  Blatt, 
Wien  1863;  2.  Ausg.  1870);  „Parngti  s  znamenitosti  mSsta  Olomoaoe"  („Denk- 
würdigkeiten und  Berühmtheiten  der  Stadt  Olmiits",  Wien  1861);  „Zäpadni 
Stovane  v  pravSkn"  („Die  Weetslaven  in  der  Urzeit",  Wien  1868,  mit  einer 
Karte  Deatfloblanda  und  Illyriene  im  2.  Jahrhundert  nach  Christas,  —  wo  er, 
nicht  londerlich  kritisch,  beweist,  dass  die  Cecben,  Mährer  und  Slovaken 
in  ihren  L&ndem  seit  vorhistorisohen  Zeiten  wohnen.  Vgl.  die  Becendon 
N.  Popov'B  in  „DrevnoBti",  1870,  III,  86u.  fg.)j  „Däjiny  teEi  a  literatory 
Ceek^''  („Oesohiobte  der  (echiaohen  Sprache  nnd  Literatur",  18Ö8 — 61;  4.  Auf- 
lage der  alten  Periode,  1668;  die  „Geschichte  der  Literatnr"  besteht  aus 
einem  Terzeichnisa  der  Schriftdenkmaler  und  Schriftatelier  nach  Rubriken); 
„Zükladove  dialektologie  Ceakoalavanakä"  („Grandlagen  einer  6eohiaoh-aloTa- 
kisehen  Dialektkunde",  1864).  Seiner  Ausgabe  der  Orthographie  Hoss' haben 
wir  schon  früher  gedachL 

Pms,  SlkTiwiha  LIlsntnreD,   n,  1. 


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274  Fünftes  Kapitel.     L   Die  ^chen. 

Der  thätigste  von  allen  HiBtorikern  der  Cechiscbeu  Literabu 
und  der  eifrigste  Vertheidiger  der  Echtheit  der  alt^echischeu 
Denkmäler  ist  Joseph  Jire^ek  (geb.  1825).  Er  beendete  seine 
Studien  an  der  prager  Universität  in  der  juristischen  Facoltät 
im  Jahre  1849,  gelangte  früh  iu  den  Ereis  der  tonangebenden 
öechiscben  Gelehrten,  wie  Palack^,  Erben,  Sa&rik  (er  wurde 
dann  Schwiegersohn  des  letztern)  und  betrat  bald  die  literarische 
Laufbahn;  im  Jahre  1849  leitete  er  für  Wocel  die  Bedaction  des 
„üasopis",  1850  trat  er  in  Wien  in  den  Staatsdienst  im  Caltns' 
und  Unterrichtsministerium  unter  dem  Grafen  Leo  Thun,  betbei- 
ligte  sieb  activ  am  „Videfisk^  Dennik"  („Wiener  Tageblatt"),  der 
damals  von  öechischeu  Aristokraten  gegründet  wurde;  arbeitete 
in  der  Commission,  welche  unter  der  Leitung  Safank'B  an  dei 
Feststellung  einer  elayischen  politischen  Terminologie  thätig  war. 
Im  Jahre  1853—61  gab  er  eine  Reihe  Schulchrestomathien  aus 
der  Öechischen  Literatur  heraus,  beschäftigte  sich  mit  deren  alter 
Geschichte,  druckte  seine  Untersuchungen  im  „Svetozor",  „Ros- 
pravy  filologicke"  („Fhilolog.  Abhandlungen",  Wien  1860),  io 
den  Denkschriften  der  böhmischen  Gelehrtengesellschaft  und  im 
,,öa80pis".  Im  Verein  mit  seinem  Bruder  Hermenegild  (geb. 
1827),  —  der  einen  ehrenvollen  Namen  als  Verfasser  des  oben- 
erwähnten Buches  über  das  Blavische  Recht  in  Böhmen  und 
Mähren  und  überhaupt  als  kenntnissreicher  Jurist  hat',  —  trat 
er  1862  als  Vertheidiger  der  Königinhofer  Handschrift  auf  in 
einer  Schrift  („Die  Echtheit"  u.  s.  w.),  welche  bis  in  die  letzten 
Jahre  als  eine  unüberwindliche  Widerlegung  aller  Zweifel  an  der 
Echtheit  dieses  Denkmals  galt.  Wir  haben  schon  oben  (I,  560) 
von  der  Betheiligung  Jos.  JireCek's  an  den  literarischen  Angelegen- 
heiten der  „Briider",  der  galizischen  Russen,  gesprochen.  Im  Jahre 
1871  ward  er  im  Ministerium  Hobenwart  Minister  des  Cnl- 
tus  und  Unterrichts;  während  seiner  Verwaltung,  welche  neun 
Monate  dauerte,  wurde  die  krakauer  Akademie  gegründet  und 
trat  für  die  £ecbiscben  Schulen  ein  der  Nationalität  güustigei 
Umschwung  ein.  Einige  Zeit  nach  seinem  Abschied  siedelte  er 
nach  Prag  über,  wo  er  den  städtischen  Mittelschulen  vorstand 


'  Vor  Inrnem  eTschien  eine  neue  Arbeit  von  HermeDepld  Jireiek:  „StoJ 
zikooSv  Slovanskjch"  („Sainmluiig  elav.  Gesetze",  Prag  1880),  welche  die 
Denkm&ler  der  alten  Oeaelzgebong  fast  aller  sUvischen  Stämme  bietet,  von 
den  alten  Denkmälern  des  rasaisotien  Rechts  an. 


.....(^lOOglc 


Philologie.  275 

ond  Pi^ident  der  bölmuschen  Gelelirtengesellscliaft  varde.* 
Er  leitete  femer  eine  neue  Ausgabe  der  „Denkmäler  der  altiechi- 
Echen  Literatur'*  (von  ihm  selbst  wurde  neu  herausgegeben  „Da- 
limil"  und  „Divadelni  hry" —  „Schauspiele").  Er  hat  überaus 
fleiseig  in  der  Erforschung  der  alti^echischen  Literatur  gearbei- 
tet: ee  würde  zuweit  fuhren,  seine  diesem  Gegenstande  gewid- 
meten nnd  von  uns  oft  citirten  Arbeiten  au&uzahlen.  Wir 
führen  inabeeondere  den  zweibändigen  „RukovSt"  („Handbuch") 
an,  der  ein  an  thatsächlicben  Angaben  reiches  Sammelwerk 
bildet,  wie  es  auch  für  andere  slaTiscbe  Literaturen  sehr  er- 
wäuBcht  wäre. 

Ein  bemerkenswerther  Schriftsteller,  mit  grossen  Yerdiensten 
auf  diesem  Gebiet,  ist  Wenzel  Nebesk^  (geb.  1818).  Er  wurde 
])ä  Melnik  im  nördlichen  Böhmen  geboren,  an  deu  Grenzen 
des  iechiscben  und  deutschen  Volketfaums,  waul  in  deutscher 
Poesie  und  'Wissenschaft  erzogen,  begann  erst,  als  er  die  Uni- 
Tersität  Prag,  1836,  bezog,  die  Lage  der  Dinge  zn  verstehen, 
nud  trat  entschieden  auf  die  Seite  der  ungerecht  bedrängten 
Nationalität.  Nebeskj  erwarb  sich  eine  umfangreiche  literarische 
Bildung:  schon  vor  der  Universität  las  er  fieissig  Homer  im 
Original,  die  griechischen  Lyriker  und  Tragiker,  durchlebte  die 
Einflüsse  der  deutschen  Philosophie  und  der  deutschen  Poesie, 
beschäftigte  sich  mit  Theologie,  begeisterte  sich  an  der  halb 
mystischen  Naturphilosophie,  von  der  er  sich  unter  der  Ein- 
wirkung der  wirklichen  Naturwissenschaft  befreite,  als  er  nach 
dem  philosophischen  Cursus  Mediciu  studirte.  Seine  litera- 
rische Laufbahn  begann  er  mit  Gedichten  und  kritischen  Ver- 
suchen, einer  epischen  Dichtung  („Protichüdci",  1841);  im  Jahre 
1847  wurde  er  in  dos  politische  Leben  hineingezogen,  arbei- 
tete publicistisch  mit  HavHSek,  war  Mitglied  des  Beichsraths, 
aber  der  Verlauf  der  Sache  war  ihm  widerwärtig,  sodass  er  sein 
Mandat  schon  vor  der  Auflösung  des  Reichsraths  zu  Eremsier 
niederlegte.  Von  1850  bis  1861  war  er  Bedacteur  des  „äasopis*' 
und  SecreUir  des  Museums.  Seine  eigenen  Arbeiten  bewegten 
sich  in  zwei  Bichtungen:  er  schrieb  historiech-ästbetiBche  Gom- 
mentare  zu  den  Denkmälern  der  alt6echischen  Literatur  (der 
EÖuiginhofer  Handschrift,  der  Alexandreis,  Tristram,  Mäjov^  Sen 
—  Der  Maitraum  — ,  Legenden  u.  s.  w.);  andererseits  übersetzte  er 


^  Biographie  im  älovnfk  NanGu^,  b.  v. 

ü,J?.*u.,  Google 


276  Fünftes  Kapitdl.  T.'  ITie  Cechen. 

Aristopfaanes,  Aeschjlus,  Terenz ,  lieughecbiBche  Völkslieder, 
schrieb  über  Shakespeare,  die  griechische  Tragödie,  die  spaniHcben 
RomaDzen  n.  s.  w.  Es  wird  bemerkt,  dadb  seine  Kritik  später 
in  Bezag  auf  einige  Denkmäler  der  altcechischen  Literatur  sehr 
beengt  durch  die  Vonirtheile  der  öechischen  literarischen  Welt 
war,  die  auch  noch  bis  zu  dieser  Zeit  stark  sind. 

Die.  philologische  Literatur  bietet  ebenfalls  viele  verdiente 
Namen.  Der  älteste  der  gegenwärtigen  öechischen  Philologen 
ist  Martin  Hattala  (geb.  1821).  Von  Geburt  katholischer  Slo- 
vak,  studirte  er  auf  ungarischen  Schulen  und  begab  sich  zum 
Abschluss  seiner  theologischen  Studien  nach  Wien.  Hier  erst  er- 
wachte in  ihm  das  Nationalbevmsstsein,  und  er  begann  eifrig 
die  slovakische  Sprache  zu  studireu,  und  dehnte  dann  seine 
Studien  auf  den  nahen  Öechischen  und  andere  slavieche  Dia- 
lekte aus.  Im. Jahre  1848  ward  er  Priester  und  gab  bald  eine 
slovakische  Grammatik  in  lateinischer  Sprache  heraus*;  man 
berief  ihn  als  Lehrer  der  ^echisch-slovakiscben  Sprache  nach 
Pressburg,  darauf  an  die  prager  Universität,  wo  er  seine  Studien 
durch  die  vergleichende  Sprachforschung  unter  Schleicher  ver- 
vollständigte. Hier  gab  er  seine  hauptsächlichsten  Werke  heratis, 
welche  ihm  den  Ruf  eines  der  besten  slavischen  Philolt^en 
brachten,  ä  Im  Streit  über  das  „Gericht  der  LibuSa"  und  die 
Königinhofer  Handschrift  trat  er  für  deren  Echtheit  ein.* 


■  Gr&mmatica  lingaae  slovenicae  collatae  onm  proxime  oognsta  bobe- 
mioa  {Sohemnicii,  1850). 

•Seine  Hauptwerke:  „ZtuIcosIovI  jazyka  staro-  i  noToteek^ho  »  do- 
venekeho"  („Lantlehre  der  alt~  und  neuteobiscben  und  sloTitkiechen  Spnche", 
1864);  „Sklftdbft  jazyka  ieskeho"  („Syntax  der  CechiBcben  Sprache%  1865); 
„Srovn&vad  mluvnice  jazjka  Ceskebo  &  slovensk^ho"  („Vei^leiohande  Gram- 
matik der  Eecbiscben  und  Blovakiachen  Spracbe",  1857);  „Slovo  o  polka 
IgoreTfi"  („Das  Lied  vom  Heereszng  Igor's",  1858);  „PoEatkj  mluTnice  ilo- 
venskä"  („Anfangsgründe  der  slovakischen  Grammatik",  Wien  1860);  r^ 
continuarum  oonsonantium  in  Unguis  slaviois  mutatione"  (Pragl867|;  „Pof*" 
teCne  skoupeniny  soublasek  Eesko-slovenskjch"  („Uripröngliohe  leohiach- 
slOTskiscbe  Consonantengruppen",  1870)  und  eine  Beibe  von  Journalartikdi«. 
z.  B.  über  die  Beziebuugen  der  Sprache  Cyrill's  zu  den  jetzigen  slaTiicben 
Dialekten  („Casopia",  1665);  über  die  liistor.  Grammatik  der  rues.  Spracbe 
von  Buslaev  (ebend.  1862). 

'  „Obrans  LibuBina  Souda  ze  gtanovieka  filologiokäho"  („Vertbeidigong 
des  Gerichts  der  Libnäa  vom  philologischen  Standpunkt",  im  (Jasopis  18BS 
— 1860).     Eine   Vertheidigung   desselben  Tom   paläograpbiBChen,   philol«^- 


.....Gooj^lc 


PHIolo^e.  277 

Ein  zweiter  verdienter  Fhilolog  ist  Johann  Gebauer  (geb. 
1838),  seit  1873  Docent  der  öechischen  Sprache  an  der  prager 
Universität.  Eine  groBse  Anzahl  seiner  Artikel  über  vergleichende 
Sprachwiseenschaft  und  Geschichte  der  Literatur  ist  im  „Öasopia", 
im  „Slovnik  nanfinj?",  im  „Sbomfk  videcky",  in  Jagiß'  „Archiv" 
zerstreut.  Andere  Werke  erschienen  besonders.^  Er  übertrug  auch 
eine  beträchtliche  Anzahl  bulgarischer  Lieder  aus  der  Sammlung 
der  Brüder  Miladinov,  russischer  Bylinen,  endlich  litauischer  und 
italienischer  Lieder,  und  übersetzte  aus  der  Sanskritpoesie.  Von 
den  jungen  Philologen  ist  vor  allem  Leopold  Geitler  (geb.  1847) 
zu  nennen.  Er  studirte  Sprachwissenschaft  an  der  prager  Uni- 
versität anter  Alfred  Ludwig  und  Hattala,  in  Wien  bei  Miklo- 
sich  und  Fr.  Müller.  Nachdem  er  mit  einer  Dissertation  über 
die  gegenwärtige  Lage  der  vergleichenden  Sprachforschung  (Öa- 
sopis,  1813)  begonnen,  gab  er  in  demselben  Jahre  die  schon  früher 
erwähnte  „Altbulgarische  Phonologie"  heraus,  worin  er  auf  Grund 
des  sogenannten  „Volllaute"  (polnoglasije)  nachwies,  dass  die 
russische  Sprache  in  dieser  Beziehung  eine  noch  ältere  Form 
der  slavischen  Sprache  zeige  als  die  bulgansche  und  kirchen- 
slavische.^  In  demselben  Jahre  machte  er  eine  Reise  in  das  rus- 
sische and  preussische  Litauen  zum  Studium  der  lebenden  litaui- 
schen Sprache:  eine  Frucht  der  Reise  (beschrieben  in  „Osväta", 


scheD  nnd  poetischen  Standponkte  ans  in  der  Zeitung  „Prager  Moi^enpoat" 
18&8— 59. 

Die  Äbbandlnsgen  Hattala'e  „üeber  die  gesammtBlaTische  Literatnr- 
Bpraohe"  (OevSt*,  1871 — 72)  und  die  neuere  Schrift  „Bnie  jazyka  Eeskeho" 
(„Wetzstein  der  £ech.  Sprache",  Prag  1877)  aiad  voll  von  einer  zu  na- 
mhigeu  und  onwiBBensohaftlichen  Polemik. 

'  „Etfmologicke  poEätky  ^i^i"  („Etymolog.  Anlange  der  Sprache",  1868)i 
„Die  Blaviachen  Sprachen,  yergleichende  Barlegang  der  hauptaächlichen 
und  chaxakteiiatiechsten  Lautveränderangen  and  Flexionerormen "  („Slo- 
vanske  jalzyky  etc.",  1869);  „Beiträge  zur  Geaohichte  der  Cechisohen  Becht- 
nohreibong  und  altiechiBohen  Ansspracho"  („PHapgvky  k  hlBtorii  etc.", 
1871,  in  Sbomik  vfdeckj);  „Abhandlungen  über  den  Neuen  Bath  dea  Smil 
FIbSIu  eto."  („Üvoby  etc.",  1873.  Ebend.);  „Einleitnng  in  die  Eeohiaohe 
Grammatik"  („üvedeni  etc.");  „Lautlehre  der  (eohitchen  Sprache"  („HUako- 
slovi  etc."). 

*  Tgl.  die  Bemerkungen  von  A.  Potebnja,  im  „Zum.  Min."  1873,  und 
die  Voronezer  Filolog.  Zapiaki,  187&.  Zu  den  Reaultaten  Geitler'a  gelangte 
später  auch  der  deutsche  Gelehrte  Joh.  Schmidt  („Zur  Geachichte  des  Indo- 
g-erman.  Vocsliemua",  1876). 


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278  Fünftes  Kapitel    L  Die  teohen. 

1874)  waren  die  „Litauischen  Stadien".  Im  Jahre  1874 
wnrde  Geitler  auf  den  Lehrstuhl  der  vergleichenden  Sprach- 
wissenschaft an  die  agramer  Umversität  bemfen.  Im  J&hre 
1875  machte  er  eine  nicht  ganz  gefahrlose  wisseoschaftlidie 
Reise  nach  Serbien  und  Macedonien  bis  znm  Athos.  Von  den 
letzten  Arbeiten  Geitler's  erwähnen  wir  insbesondere  seine  Unter- 
Buchungen  aus  Anläse  der  „Entdeckungen"  Verkovi^'s;  er  hatte 
die  ganze  Sammlung  desselben  in  Händen  und  seine  Meinung 
neigt  sich  in  hohem  Masse  zu  Gunsten  der  Echtheit  („Poeticke 
tradice  Thrakä  a  Bnlharü"  —  „Poetische  Traditionen  der  Thraker 
und  Bulgaren",  1878,  Öechisch  und  anch  kroatisch).  Sein  neuesteG 
und  gröratee  Werk  ist:  „Die  albanesischen  und  slavischen  Schrif- 
ten" (Wien  1883),  ein  Versuch,  den  Ursprung  der  glagolitischeD 
Schrift  aus  einer  alten  albanesischen  Nationalschrift  nachzn- 
weiseu. 

Der  Baum  gestattet  uns  nicht,  die  historisch-literarischen  Ar- 
beiten der  Cechen  eingehender  anzuführen,  und  wir  müssen  uns 
'  mit  einer  kurzen  Erwähnung  derselben  begnügen.  In  Bezog  auf 
Geschichte  müssen  noch  genannt  werden:  Anton  Bezek  („Wahl 
und  Krönung  Ferdinand's  I.  zum  König  von  Böhmen*'  —  „Zto- 
lenf  etc.",  1878);  Joseph  Kalonsek  („Die  böhmische  Krooe, 
ihre  Integrität  und  staatsrechtliche  Selbständigkeit"  —  „Konma 
fieskä  etc.",  Öasopis,  1870  u.  a.);  Karl  Tieftrunk,  Clemens 
BoroT;f  (geboren  1838,  im  Gebiet  der  Eirchengeschichte) ,  A. 
Lenz  (theologische  Untersuchung  über  das  Verhältniss  der 
Lehre  des  Hnss  zur  Lehre  der  katholischen  Kirche),  Jaroslaf 
Goll,  Zoubek  u.  a.  In  der  Geschichte  der  Literatur  und  auch 
der  Alterthumskunde:  Anton  Bjbicka  (Skuteösk;,  geb.  1812). 
Ton  dem  eine  Menge  Specialforschungen,  besonders  bic^raphi- 
sche,  herrühren;  Wenzel  Zeleny  (1825 — 75),  Joseph  Truhlär. 
K.  Addmek'  u.a.  In  der  Alterthumskunde:  Joseph  Smoli'k, 
Professor  Smidek,  Baum  u.  b.  w.  In  der  Philologie:  Weniei 
Zikmund  (1816—73),  Fr.  Bartoä  (geb.  1833),  Ant.  Matze- 
nauer  (ein  Werk  über  die  Fremdwörter  in  den  slariscfaen 
Sprachen),  Johann  Kosina,  Anton  VaSek,  M.  BlaiEek  a.  s.*- 


'  Wir  erwähnen  von  den  Arbeiten  Addmek's  be«onders  ein  Werk,  wd- 
oheo  wir  flbrigens  nicht  in  Händen  hatten:  „Die  Zeit  der  Eneclitirog  nnd 
der  Anferveokung.  Umacbau  in  der  CuHurgeschiclite  des  EÖnigreioba  Böh- 
men im  11.  and  18.  Jahrhundert"  („Doba  poroby  a  vzkMEeni  eto."  Pr»g  ISTOL 


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Erforsohimg  des  SlaTentliums.  279 

Die  auf  das  Gesammtslaventhum  und  die  gegenBeitigeo  slayi- 
echen  Beziehungen  gerichtete  Forschung,  in  deren  Begründung 
der  Sechischen  Literatur  ein  groBBes  Verdienst  in  der  ersten 
Hälfte  dieses  Jahrhunderts  zukam,  bietet  in  der  Gegenwart  nur 
wenig  grosse  Arbeiten;  aber  ausgenommen  in  der  rassischen  Lite- 
ratur sind  sie  nii^enda  so  häufig  wie  bei  den  Cechen.  Wenzel 
KfiiSek  (1832—82,  war  Director  der  Realschule  zuTabor)  stellte 
eine  synchronistische  Uebersicht  der  slavischen  Geschichte  zu- 
sammen. )  Der  tfaätigste  Schriftsteller  in  der  Frage  der  sla- 
riachen  Gegenseitigkeit  und  Einheit  ist  Joseph  Ferwolf  (geb. 
1841),  der  jetzt  gleicbmässig  der  öediischen  und  russischen  Lite- 
ratur angehört.  Nachdem  er  seine  Studien  in  der  philosophischen 
Facultät  der  prager  Universität  absolvirt,  war  er  seit  1864  Assi- 
stent und  ArctÜTar  am  Böhmischen  Museum,  im  Jahre  1871  nahm 
er  den  Lehrstuhl  der  slaviscben  Geschichte  an  der  Universität 
Warschau  ein,  wo  er  noch  jetzt  wirkt.  Er  beschäftigte  sich 
früh  rait  der  Erforschung  der  Verhältnisse  der  slaviscben  Völker; 
seine  ersten  Arbeiten  wurden  in  verschiedenen  ^echischen  Publi- 
cationen  gedmckt.  1861 — 71  war  er  Mitarbeiter  am  „Slovnik 
NauCny"  für  slavische  Gegenstände,  Soviel  wir  wissen,  gehört 
gerade  Ferwolf  die  Redaction  der  Artikel  über  Gegenstände 
ans  dem  Bereiche  der  ausser  -  ^echischen  Slaven  an ',  wobei 
eine  beträchtliche  Anzahl  von  ihm  selbst  geschrieben  wurde. 
Nachdem  er  1871  eine  Reise  in  Russland  gemacht  und  in  War- 
schau festen  Boden  gefunden  hatte,  bemühte  er  sich  um  die 
Verbreitung  der  gegenseitigen  slaviscben  Verständigung  and  be- 
gann schon  in  dem  Jahre  1872  viel  in  russischen  Zeitschriften 
über  die  neuere  slavische  Geschichte  und  Gegenseitigkeit  zu 
schreiben.'  Ferner  hat  in  der  Reihe  der  ^echischen  Schriftsteller, 


I  „DSjin;  närodä  alovanskych  v  prehleda  aynchroiiistiokem  se  stmCa^ 
obrazem  jioh  oBvEty,  literatury  a  utnEni  etc."  (Tabor  und  Jfeuhaiu  1871; 
mit  30  genealogisohen  Tafelo).  Tgl.  von  demselben  dieAbhandlnng:  „Epocby 
i  obeah  dfjiii  närodS  Blovansk^oh"  („Die  Epochen  nnd  der  lohslt  der  Ge- 
Bchiolite  der  Blavieohen  Völker",  im  üasopia,  1877). 

»  Vgl.  Slovnik  NauGnJ,  X,  547. 

'  Folgendes  iat  eine  Beihe  der  haaptsäoblichen  Arbeiten  PerwolTs: 
„Ueber  die  slavische  Gegenseitigkeit"  („0  vzsjemnoBti  Blovanske",  Prag 
1867);  „Briefe  über  Polen  und  Bussland"  („Listy  etc.",  itn  Casopis,  1872, 
Heft  3);   „Cechen  und  Polen  im  16—16.  Jahrhundert"   („CeohoTe  i  Poläci 


....,  Google 


280  FÜDfteB  Kapitel    L   Dia  (Rechen. 

die  über  andere  slaviscbe  Stämme  schrieben,  der  junge  Gelehrte 
Joseph  Ronatantin  Jire<Sek  (geh.  1854,  der  Sohn  von  Joseph), 
Docent  an  der  prager  Universität,  jetzt  im  hulgariBcheo  Unter- 
richtsministerium thätig,  sich  schon  einen  ehrenvollen  Namen  er- 
worben. Er  widmete  sich  der  Erforschung  der  Elaviscfaen  Völker 
auf  der  Balkanhalbinsel;  schon  im  Jahre  1872  gab  er  eine  „Biblio- 
graphie der  neubulgarischen  Literatur"  („Enigopis  na  blgarskata 
kniSnina")*  heraus;  darauf  ausser  einer  grossen  Anzahl  ein- 
zelner Abhandlungen  in  „Öasopis"  and  „Osvita"  die  schon  firöher 
von  uns  erwähnte  „Geschichte  der  Bulgaren",  welche  iecbiscb 
und  deatsch  erschien,  und  zweimal  ins  Russische  übersetzt  ist' 
Einige  Kritiker  urtheilten  hart  über  einige  Unvollständigkeiten 
oder  Fehler  dieser  Arbeit;  aber  wir  schätzen  sie  hoch  nicht 
nur  als  die  Arbeit  eines  jungen  Gelehrten,  sondern  überhanpt 
als  einen  bedeutenden  Versuch  einer  Gesammtdarstellung  der 
bulgarischen  Geschichte,  wie  sie  die  slavische  Literatur  noch 
nicht  hatte.  Das  Erscheinen  des  Buches  fiel  glücklich  mit  dem 
Kriege  zusammen,  welcher  den  Grund  zur  bulgarischen  Unab- 
hängigkeit legte;  es  erhielt  dadurch  für  die  Bulgaren  noch  eine 


eto.",  in  der  ZeitBcbrift  „OsvSta",  1873);  „Die  orientoliaclie  Fi^e  —  ebe 
slaviache  Fr^^"  („T^ohodni  ot4zka  et«.",  ebend.  1878);  „Die  glavische  Be- 
wegDug  unter  den  Polen  1800—1830"  („Slovanakä  huuti  ete.",  ebend.  1879). 
Rnssiaoh:  „Öeoben  und  RuBaen"  („Öeobi  i  Rusakie",  in  ,3es5da<',  1872, 
Nr.  6  u.  7);  ,fiie  slavisobe  Gegeneeitigkeit  von  den  älteaten  Zeiten  bis  im 
18.  Jahrhundert"  („Slavjanskiyft  vzaimnoBt  etc.",  St.  Petereb,  1874;  im  Zura. 
Min.  Nar.  ProBV.  and  besonder«;  eine  reiohhaltige  Znaammenstellnng  einzelner 
ThatBauben  der  gegenseitigeD  Beziehungen  der  elaviBoben  Stämme);  „Die 
GermanisimDg  der  baltisohen  Slaven"  („Germanizaeija  Baltgskiob  SUTJan", 
St.  PeierBbnrg  1876);  „Die  Waräger-RuBBen  und  die  baltiBoben  Slaven"  („Vu^ 
jagi-Roi  etc.",  2uru.  Min.  1677,  aus  ÄnlasB  der  Büober  tob  GedeonoT 
und  Zabllin);  „Alexander  I.  und  die  Slaven"  („Alekaander  I  i  Slavjane",  in 
Drevn.  i  Nov.  RoBeija,  J877,  Nr.  12) ;  „Die  slavieche  Bew^ping  m  Oeeter- 
reioh  1800- 1848"  („SlaTJanskoe  dvifenie  v  Avstrii  1800— 1848  g.",  in  „EnMk. 
RSE",  1879,  Heft  7—9);  „Die  glaviBche  Bewegung  im  Jahre  1848"  („SUvjwi- 
Bkoe  dTÜenie  1848  g.",  in  „VSatnik  Evropy",  1879,  Heft  4). 

Deutaoh:  „Die  Blaviscb-orientaliaohe  Frage.  Eine  faietorisebe  Studie" 
(Prag  1878). 

>  Siehe  darüber  I.  Bd.  S.  129,  Anmerk. 

'  Die  eine  Uebersettong  ersuhieu  za  Warachan  von  Jakovlev;  die  lo- 
dere tu  Odessa  von  Bruun  und  Palanzov.  Wiohtig  ist  die  letalere,  w 
welcher  der  Verfasaer  Berichtigungen  und  Ergänzungen  geliefert  bat 


besouilere  Bedeutung.  —  Endlich  können  noch  als  Schriftgtetler 
über  das  Slaventhum  genannt  werden  Fr.  Kofinek  (1831 — 74); 
Joseph  Ladislaus  Pi6*;  Primus  Sobotka,  Johann  Cern^,  Jo- 
hann Lepaif  n.  a. 

Sehr  eifrig  übersetzten  auch  die  £echiBcben  Schriftsteller  auB 
den  Literaturen  der  übiigen  Slaven;  man  kann  Bagen,  dass  sieb 
bei  den  Cecben  die  UeberBetzungsthätigkeit  auf  diesem  Gebiet 
mehr  entwickelt  hat  als  bei  irgendeinem  andern  slavischen 
Stamme.  So  gibt  es  aus  der  ruesischen  Literatur  Uebersetzun- 
gen  von  Fuskin  (Vincenz  Bendl),  Lermontov,  Gogol,  Ryleev, 
NekrsBOT  (Ign.  Meissner),  GonÖarov,  Turgenev  (Em.  Vavra) 
Sev^enko  u.  s.  v.  Aus  der  polnischen  Literatur:  Mjckiewicz, 
Slowacki,  Malczewski,  Brodziäski,  Syrokomla,  auch  Eorzeniowski, 
Bjaszewski  u.  a.  w.  Was  die  südslaviscbe  Literatur  betrifft,  so 
gab  Joseph  Hole£ek  UeberBetzungen  bulgariBcher  Lieder;  Sieg- 
fried Kapper  (1821 — 79),  ein  prager  Jude,  Bchon  lange  durch 
seine  poetischen  TJebertragungen  serbischer  Lieder  in  die 
deutsche  Sprache  bekannt,  gab  5echiBch  ein  poetisches  Bild 
des  Kampfes  des  Südslaventhums  mit  den  Türken  nach  monte- 
negrinischen Volksliedern  heraus.^  Es  gibt  UeberBetzungen  aus 
Ma2urani6,  aus  Gundulid,  aus  den  BerbiBchen  Märchen  von  Ka- 
rad2i£  a.  s.  w.  Eine  ganze  Sammlung  von  Uehersetzungen  aus 
der  slaviscben  Poesie  gab  Fr.  Vymazal  heraus  („Slovanskä 
poezie",  2  Thle.).  Das  Studium  der  andern  slaviscben  Spra- 
chen verbreitet  sieb,  und  es  gibt  -wieder  bei  den  Öechen  die 
meisten  Lehrbücher  auf  diesem  Gebiete,  in  der  letztern  Zeit 
insbesondere  fiir  die  russische  Sprache. 

Aber  die  bedeutendste  Frucht  der  international  -  slaviscben 
Studien,  wie  überhaupt  die  bedeutendste  Erscheinung  der  lite- 
rarischen Bildung  der  Cecben  ist  der  von  uns  oftmals  citirte 
„Slovnik  Nauön^"  („Wissenschaftliches  Wörterbuch").  Ausser 
dem  gewöhnlichen  Inhalt  solcher  encyklopädischen  Nachschlage- 
werke ist  er  besonders  durch  den  reichen  Schatz  an  Artikeln 
über  das  Slaventhum  wichtig.    Die  Kedaction  des  Werkes  konnte 


*  lieber  das  FanilieDlebeD  bei  den  Slovaken  und  den  ung&risohen  Rus- 
sen, im  „Öaeopis",  1878;  seine  umfangliclie  Arbeit  über  die  Slovaken  (rus- 
siaolt  im  Slsv.  Sbomik)  wird  weiter  unten  angeführt  werden. 

*  „Zpävy  lidu  srbskebo"  („Lieder  des  serbischen  VoUcea",  Prag  1872 
—78).    Seine  Biographie  von  Ferd.  Schulz,  in  „Osvfta",  1879. 

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282  Fünftes  Kapitel.    I.   Die  Öeohen. 

mit  vollem  Recht  im  Nachwort  sagen,  daes  vor  allen  osdem 
Encyklopädien  der  ^chische  „SloTufk  Nan^ny"  den  Vorzog  haben 
werde,  in  slavischen  Dingen  die  einzige  zuverlässige  Quelle  zu 
sein,  weil  —  ohne  von  den  fremdsprachigen  Encyklopädien  m 
reden,  für  welche  das  Slaventhum  eine  unbekannte  Welt  ist 
—  thatsächlich  keine  andere  slavische  Encyklopädie  (und  ihrer 
gibt  es  leider  nur  sehr  wenige)  ihre  Aufmerksamkeit  auf  diese 
Gebiete  der  Ethnographie  und  Geechichte  in  solchem  Masse  und 
so  gründlich  gelenkt  hat  wie  der  (echische  „Slovnik  Naufny.' 
Wir  vermerken  noch  den  ersten  Versuch  einer  gesammtelaTi- 
schen  Bibliographie  (worin  jedoch  die  russische  Literstar  fehlt): 
„Slovansk^  Katalog  bibliografick^",  welcher  1877  von  Ä.  Michä- 
lek  und  Jaroslav  Eloufek  begonnen  wurde.  Bisjetzt  erschienen 
fünf  Jahrgänge,  1877—81."  Seit  1881  gibt  Eduard  Jelinek  eine 
den  gesammtelavischen  Interessen  gewidmete  Zeitschrift  „Slovansky 
Sbornik"  heraus. 


Die  (Sechisch-mährische  Journalistik  ist  sehr  reich  und  man- 
nichfaltig,  besonders  im  letzten  Jahrzehnt.  Relativ  genommen, 
im  Verhältniss  zur  Volkszahl  des  Stammes,  dürfte  sie  im  allge- 
meinen bei  den  Üechen  reicher  sein  als  bei  irgendeinem  der 
slavischen  Stämme.  Es  gibt  Zeitungen  und  Journale,  Bovol 
periodische  Sammelwerke  als  Serien  von  Büchern  in  allen 
Zweigen;  die  wissenschaftlichen  Fächer,  die  Belletristik,  die 
kirchlichen  Angelegenheiten,  die  Technik  und  die  Gewerbe,  die 
Pädagogik  haben  ihre  Fnblicationen.  Von  den  wisEenschaftlichen 
Journalen  sind  besonders  bekannt,  ausser  dem  „Casopis"  des 
Böhmischen  Museums,  die  „Listy  filologicke  a  paedago^ck^" 
(„Philolog.  und  pädagog.  Blätter"),  „Pamatky  archaeologicke  i 
mistopisne"  („Archäolog.  und  topogr.  Denkwürdigkeiten"),  dei 
„Casopis"  der  Mährischen  Matica,  die  politisch-juridische  Zeitnog 
„Pr&vnik",    Von  den  literarischen  Journalen:    „Osveta"  („Auf- 


■  Bd.  X,  547—548. 

'  Ueber  diesen  Katalog  (Jahrg.  1877—78)   siehe  die  Abhtmdlnng  in 
,.BdT8enblatt  Mr  den  dcutBohen  Buchhandel",  1880,  Nr.  103^   ein  NMhtng 


....,  Google 


tlärung"),  „Kvety"  („Blüten",  von  Vitesl.  Halek,  jetzt  Svat. 
Öech),  „Lumir",  der  illuetrirte  „Syßtozor"  {„Weltrandschau") 
u,  B,  V.  Die  Matica  gibt  Werke  emeten  literarisch-wissenschaft- 
lichen Inhalts  heraus;  zur  Herausgabe  von  populären  und  hei- 
letristischen  Büchern  existirt  eine  besondere  „Volks  -  Matica" 
(„Matice  lidu").  Endlich  gibt  ^  für  die  Belletristik  eine  ganze 
Reihe  von  Sammelwerken:  „Närodnj  bihlioteka"  („Volksbiblio- 
thek"), „Libuäe,  matice  zibavy  a  nmeni"  („Ijibusa,  Matica  für 
Unterhaltung  und  Wissen");  „Salonni  bihlioteka"  („Salonbiblio- 
thek"); „Lacinä  knihovna  närodni"  („Billige  Volksbibliothek") 
u.  s.  w,  Uebersetzungen  aus  fremder  Poesie  werden  in  dem 
Sammelwerk  „Poesie  svetovä"  („Weltpoesie")  herausgegeben. 

Die  politische  Zeitungsliteratur  beginnt  eigentlich  erst  mit 
dem  Jahre  1848-  Nach  Havb'cek  machte  die  eintretende  Reaction 
eine  Publicistik  unmöglich,  und  eine  neue  Bewegung  trat  ein 
nach  den  „Patenten"  und  „Diplomen"  in  den  sechziger  Jahren. 
Die  leitende  Rolle  in  der  politischen  Literatur  spielte  Palack^  und 
sein  Schwiegersohn  Franz  Ladislaus  Rieger  (geb.  1818).  Bei 
der  neuen  constitutionellen  Ordnung  wollten  sie  ein  Zeitungsorgan 
zur  Darstellung  und  Vertheidiguug  ihrer  Ansichten  haben.  Rieger 
wurde  die  Herausgabe  einer  Zeitung  nicht  bewilligt,  doch  bekam 
die  Erlaubniss  dazu  Julius  Gregr  (geb.  1831),  Jurist  seiner  Bil- 
dung nach.  Im  Jahre  1861  begann  seine  Zeitung  „Närodni  Listy" 
(„Nationale  Blätter")  zu  erscheinen,  welche  in  der  That  dem  Aus- 
druck der  politischen  Idee  Falack^'s  und  Rieger's,  d.  i.  des  föde- 
ralistischen Programms  diente.  Aber  die  volle  Uebereinstimmung 
der  Führer  der  alten  Generation  mit  den  jungem  dauerte  nicht 
lange,  sodass  die  erstem  im  Jahre  1863  eine  neue  Zeitung,  den 
„Närod"  („Nation")  gründeten;  spater  brachte  der  „Pokrok" 
(„Fortschritt")  ihr  Programm  zum  Ausdruck.  Hier  begann  die 
Trennung  der  „Altcechen"  und  „Jungfiechen".  Der  Grund  der 
Spaltung  war  der  Hauptsache  nach  eine  Verschiedenheit  in  den  An- 
sichten über  die  polnische  Frage,  die  damals  durch  den  Aufstand 
auf  die  Tagesordnung  kam,  und  die  innere  Politik.  Die  Jungöechen 
sympathisirten  mit  dem  Aufstande  und  verhielten  sich  sehr  feind- 
lich gegen  Russland;  den  Altcechen  galt  dies  für  unverständig; 
in  den  innem  Angelegenheiten  sprachen  sich  die  Jung£echen 
mehr  demokratisch  aus  und  verurtheilten  das  Bündniss  mit  der 
Aristokratie,  das  ihre  Gegner  für  nothwendig  hielten  zum  Zu- 
sammenhalt der  nationalen  Kräfte.    Aber  in  allgemeinen  Fragen 

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284  FünfteB  Kapitel.    T.   Die  Öecheo. 

gingen  beide  Parteien  auch  ferner  Hand  in  Hand;  beide  waren 
Föderalisten  und  Vertheidiger  des  historiBchen  Rechts  der  „böh- 
mischen Krone".  Ohne  iibrigeuB  ia  weitere  Details  des  politi- 
schen Lebens  der  Öechen  einzugehen,  nennen  wir  nur  die  haupt- 
sächlichsten politischen  Kräfte  und  Schriftsteller.  Einer  der  be- 
kanntesten und  einflussreichsten  war  Johann  Skrejäcvsk^  (1831 
— 83),  der  behufs  eines  erfolgreichen  Kampfes  mit  der  feindlichen 
deutschen  Journalistik  von  1862  an  die  bekannte  Zeitung  „Po- 
litik" herauszugeben  begann.  Sein  Bruder  Franz  (geb.  1837) 
gründete  1Ö67  die  schon  erwähnte  illustrirte  Zeitung  „Svfitozor", 
,  Emmanuel  Tonner  (geb.  1829)  nahm  schon  seit  1848  an  der  po- 
litischen Bewegung  theil;  spater  arbeitete  er  in  den  „Närodni 
Listy",  wo  er  1863  eine  Beihe  von  Artikeln:  „Poläci  a  ÖechoTe" 
(„Polen  und  Öechen")  veröffentlichte,  welche  später  besonders 
erschienen  und  eben  die  Ansicht  der  Jungöechen  über  die  pol- 
nische Angelegenheit  aussprachen,  Karl  Sladkovsk^  (1823  — 
80),  eine  der  bedeutendsten  politischen  Kräfte  der  £echischen 
Gesellschaft,  praktischer  Politiker  im  demokratischen  Geiste,  der 
viele  Jahre  seines  Lebens  im  Kerker  verbrachte  und  gegen 
Ende  desselben  den  griechisch  -  orthodoxen  Glauben  annahm. 
Er  galt  fUr  das  Oberhaupt  der  Jungöechen.  Vincenz  Vävra 
(1824 — 77),  der  ein  stürmisches  politisches  Leben  durchmachte, 
unter  anderm  einige  Jahre  im  Kerker  sass,  nahm  1849  den 
thätigsten  Antheil  an  den  Ereignissen,  war  im  Verein  mit  Dr. 
Podlipsk;^  Kedacteur  der  damals  gegründeten  Zeitung  „Noviny 
Lipy  Slovanske",  darauf  brachte  er  bei  Eintritt  der  vollen 
Reaction  einige  Jahre  im  Kerker  zu,  beschäftigte  sich  dann 
aufs  neue  in  der  Publicistik  und  gab  mit  Dr.  Fink  die  Zei- 
tung ,,Hla8"  („Stimme")  heraus  bis  1865,  wo  er  sie  mit  den 
„Närodni  Listy"  vereinte.  Die  extreme  ultramontane  Partei  hat 
ihr  Organ  in  der  Zeitung  „Cech"  mit  der  gewöhnlichen  kleri- 
kalen Tendenz.  Endlich  gibt  es  viele  kleine  populäre  Journale 
u.  6.  w.  Mähren  hat  einige  eigene  Zeitungen  und  seine  „Matica". 


Die  ^echische  Literatur  spielt  eine  der  Hauptrollen  in  der 
neuern  slavischen  Renaissance,  seit  der  Zeit,  als  in  ihren  Reihen 
die    ersten    kräftigen  Förderer  derselben  auftraten:     Dobrovsk^, 

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Die  gegeovärtige  Lage.  286 

SaiaHk,  Koll&r.  Bis  vor  kurzem  wirkten  in' ihr  die  letzten  Ver- 
treter dieser  ersten  entscheidenden  Periode,  und  hier  haben  sich 
alsdann  lebendiger  als  bei  den  andern  die  gesammtslavischen 
Interessen  erhalten.  Wien,  vo  sich  so  viele  slavische  Elemente 
TersammelteB,  und  Frag  selbst,  -wohin  viele  südslavische  Jüng- 
linge kamen,  am  ihre  Bildung  abzuschliessen,  gaben  auch  eine  be- 
queme Gelegenheit  zu  gegenseitigen  slavischen  Beziehungen,  und 
den  Weg  zur  Entwickelung  des  gesammtslavischen  Interesses  bei 
den  Cechen.  Auf  dieses  Interesse  leitete  von  altersher  die  na- 
tional-politische Lage  Böhmens.  Mit  dem  Krwachen  des  natio- 
nalen Bewussteeins  der  Stämme  tauchte  naturgemäss  die  Idee 
von  der  Solidarität  der  Österreichischen  Slaven  auf  zur  gemein- 
samen Vertheidigung  der  Stammeseigenthümlicbkeit  und  des 
historischen  Rechts ;  während  der  Unruhen  1648  —  49  kam 
diese  Idee  durch  Thaten  zum  Ausdruck,  wie  z.  B.  der  slavi- 
Bche  CongresB,  die  Verbindungen  der  Öechen  mit  den  öster- 
reichischen Serbo  -  Kroaten ,  die  Absenduug  (echiscfaer  Frei- 
williger zu  den  Slovaken  als  Hülfe  gegen  die  Magyaren.  Die 
Theilnahmlosigkeit  ßuselands  und  der  russischen  Gesellschaft  an 
der  slavischen  Frage  (die  Einmischung  Busslands  in  den  un- 
garischen Krieg  war  ausschliesslich  militärisch  und  dynastisch) 
bewirkte,  dass  das  Slaveuthum  zum  Zweck  der  Selbsterbaltung 
es  für  nöthig  hielt,  nicht  nur  Oesterreich  zu  erhalten,  sondern 
„es  zu  schaffen,  wenn  es  nicht  vorhanden  wäre"  —  dasselbe 
Oesterreich,  von  dem  es  selbst  so  viel  leidet.' 

Die  äussere  Entwickelung  des  literarischen  Lebens  ist,  wie 
wir  bemerkt  haben,  sehr  bedeutend.  Die  weite  Entwickelung 
der  Volksschule  und  der  mittlem  Bildung,  worin  sich  die 
Cechen  mit  bemerkenswerther  Ausdauer  den  Gebrauch  der  Volks- 
sprache erkämpft  haben,  lieferte  den  £echischen  Büchern  ein 
grosses  Contingent  von  Lesern.  —  Die  schwere  frühere  Lage  der 
halbtodten  Nationalität  erforderte  eine  beharrliche,  langsame 
Arbeit,  die  sich  mit  kleinen  Erfolgen  begnügte;  die  fortwährentl 
vorhandene  Gefährdung  der  Nationalität,  angesichts  desFeic- 
des,  erinnerte  an  die  Nothwendigkeit  dieser  Arbeit;  die  Cechen 
haben  eine  bedeutende  Ausdauer  erlangt.  Jede  Errungenschaft 
erfreute;  die  bescheidenste  Arbeit  wurde  geschätzt;  in  der  Litc- 

'  Dm  Obige  ist  vor  dem  Eintritt  des  MiniBteriuma  Tnaffe  in  Cialeitha- 
aien  gesohriebea.  Der  Uebergetzer. 


....,  Google 


286  Fünftes  Kapitel.    1.   Die  Ceohen. 

ratiir  entwickelte  sieb  das  Gefühl  der  Solidarität,  welche  die 
Bedentung  der  gemeinsamen  Sache  erhöht.  Selbst  die  Män^l 
der  CecbiBchett  Kritib,  der  geBellscbaftlicben  und  liteTarischeo, 
aaf  die  wir  Gelegenheit  hatten  hinzuweisen,  rühren  meist  von 
der  fortwährenden  Anwesenheit  des  Gegners  her,  aDgesichte 
dessen  man  auf  jedem  Schritt  nnd  Tritt  die  Tbatsachen  des 
eigenen  nationalen  Lebens  vertheidigen  und  dem  eigenen  Pu- 
bliknm  Vertrauen  auf  seine  Kräfte  einflössen  mnss,  —  wobei 
man  manchmal  leider  einen  weitem  nationalen  Horizont  aus 
dem  Auge  lässt. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  zu  dieser  Entwidcelnng 
der  £echischen  Literatur  die  dentechen  Einflüsse  und  die  Ein- 
flÜBse  desjenigen  Staatswesens,  in  welches  die  Cechen  gestellt 
sind,  ihre  Hülfe  erwiesen  haben.  Die  deutsche  Schule  diente  der 
6ecbi8cben  zum  Muster;  daneben  waren  die  reichen  Quellen  der 
deutschen  Literatur  zur  Hand;  die  constitutionelle  Freiheit  des 
öffentlichen  Lebens  gab  hei  allen  Schwankungen,  die  es  in  Oester- 
reich  durchzumachen  hatte,  doch  schliesslich  auch  Raum  für  na- 
tionale Kundgebungen.  Die  Cechen  haben  diese  Verhältnisse  be- 
nutzt: die  Freiheit  der  Versammlungen,  der  Bildung  Ton  Clubs 
und  Gesellschaften,  deren  es  in  Menge  gibt;  nationale  Demonstra- 
tionen  feierten  die  Namen  verdienter  Patrioten,  förderten  die 
patriotischen  'Unternehmungen. 

Unter  solchen  Verhältnissen  und  bei  dem  geringem  Interesse 
an  allgemein  slavischen  Fragen  in  den  andern  Literaturen  war  es 
begreiflich  genug,  dass  sich  die  öechische  Literatur  zuweilen  an 
die  Spitze  des  slavischen  Bewusstseins  stellte.  .  . .  Viele  Sei- 
ten und  Eigenschaften  derselben  verdienen  volle  Achtung  nnd 
trugen  viel  zn  ihrer  Bedeutung  für  das  Slaventhnm  bei.  —  In 
unserer  Darstellung  sind  jedoch  viele  Desiderata  angeführt,  deren 
Erfüllung  sich  mehr  nnd  mehr  nothwendig  macht,  damit  die 
öechische  Literatur  ihre  Bedeutung  in  der  gesammtslaviscben 
Frage  behalten  könne. 


.yGoOgIf 


II.  Die  SlOYalien. 

Eine  Literatur  in  der  eigenen  Sprache  der  Slovaken  ist  eine 
neue  Erscheinung,  die  kanm  hundert  Jahre  zählen  mag,  eine 
Erscheinung,  bescheiden  dem  Umfang  nach,  aber  sehr  inter- 
essant in  Bezug  auf  ihre  Entwickelung.  Bis  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  bedienten  eich  die  Slovaken  auf  literarischem  Ge- 
biet der  Cechischen  Sprache,  wenn  nicht  des  Lateinischen;  ihr 
eigener  Dialekt  war  die  Sprache  des  localen  Volkelebens  nnd 
sachte  Bich  nicht  auf  die  Höhe  einer  Literatursprache  zu  er- 
heben. Das  Auftauchen  einer  slovakischen  Literatur,  die  Ab- 
trennung der  Slovaken  von  der  Cechiachen  Literatur  ist  eine 
der  interessanten  Episoden  der  slavischen  Renaissance  und  stellt 
bisweilen  eine  nahe  Parallele  zu  der  Entwickelung  der  kleinrus- 
sischen  Literatur  dar.  Hier  wie  dort  stritt  man  über  das  Recht 
des  „Dialekts"  auf  eine  besondere  Literatur;  die  Hauptnatio- 
nalität  hielt  in  beiden  Fällen  die  Sprache  des  einen  Stammen 
für  einen  „Dialekt";  dagegen  behauptete  dieser,  dass  der  Dia- 
lekt eine  „  besondere  selbständige  Sprache "  sei ;  in  beiden 
Fällen  wurden  die  literarischen  Bestrebungen  des  Stammes  von 
der  Hauptnationalität  zumeist  mit  Erbitterung  oder  Unwillen  auf- 
genommen, als  verderblicher  „Separatismus",  als  Verrath  am 
Ganzen  angesehen,  aber  die  Separatisten  bewiesen,  indem  sie 
auf  der  localen  Literatur  als  einer  Nothwendigkeit  für  die  erste, 
nächste  Erweckung  des  nationalen  Lebens  bestanden,  zuweilen 
gleichzeitig  ein  weit  eifrigeres  Streben  zum  gesammtslavischen 
Ganzen. 

Der  Name  Slovak  war,  wie  die  slovakischen  Schriftsteller 
mit  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  eine  neuere  Umformung  des 
alten  Namens  des  Gesammtstanunes:  Slovenin  (so  bei  Nestor, 
dem  UÖDch  Cbrabr  u.  s.  w.).    Die  elovakische  Frau  ist  eine  „^^O' 

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288  Fünftes  Kapitel.    II.    Die  Slovaken. 

venka"  (Slavin);  das  Land  der  SloTaken  „Sloveneko"  (Slavien).' 
In  ähnlicher  Weise  hat  sich  der  alte  Stammeename  nur  noch  hei 
den  Slovenen  (eigentlich  Slovencen,  korutaniBchen  Slaven)  erbalteii. 
„Eb  ist  nicht  zu  verwundern",  sagt  ein  slovakiscber  Schriftsteller 
und  Patriot,  „dass  der  Slovak,  sohald  iß  ihm  das  nationale  Be- 
vusstsein  erwacht,  sich  gleich  als  Slave  fühlt  und  erkennt"  . . ., 
d.  h. 'obgleich  das  slovakische  Volk  schon  lange  und  auch  im 
gegenwärtigen  Augenblick  von  Fremden  äusserst  bedrängt  nnd 
sehr  arm  ist,  so  scheint  es  den  slovakischen  Patrioten  doch,  daBS 
der  Slovak  ein  Slave  xaV  ^ox^^v  sei.  „Dabei  helfen  vielleicht 
auch  historische  Reminiscenzen",  bemerkt  derselbe  Schriftsteller: 
„DieSlovaken  nahmen  früher  als  viele  andere  Slaven  das  Christen- 
thum  an,  und  zwar  das  griechisch-katholische,  und  noch  daia 
von  den  Slaven-Aposteln,  den  heiligen  Cyrill  und  Method.  Bei 
dem  slovskiecben  Volke,  auf  seinem  vaterländischen  Boden, 
legten  die  heiligen  Briider  die  ersten  Grundlagen  zu  einer  slsr 
vischen  Literatur  durch  die  Uebersetzung  der  Heiligen  Schrift. 
Bei  den  Slovaken  entstand  unter  dem  Fürsten  BastisUv 
und  dem  grossmährischen  König  Svatoplak  der  erste  slavigcbe 
Staat.  Vielleicht  entvrickeln  der  jetzige  Verfall  des  slovakischen 
Volkes  und  seine  Bedrängung  durch  mächtige  fremde  Völker 
in  ihm  unwillkürlich  die  Idee,  dass  nur  siavisches  SelbstbevrnsBt- 
sein,  slaviscber  Geist  und  slavische  Hülfe  es  aus  den  unaufhör- 
lichen Verfolgungen  und  scbliesslichem  Untergang  retten  kön- 
nen. Es  ist  unleugbar,  dass  der  Slovak  tief  fühlt  und  glaobt, 
dass  er  unter  dem  tausendjährigen  fremden  Joche  seine  Natio- 
nalität nicht  verloren,  sich  nicht  in  einen  Dentscben  oder  Ma- 
gyaren umgewandelt  habe  nur  dank  der  grossen  Volkszahl  und 
Macht  des  slavischen  Stammes,  vor  allem  aber  des  russifichen 
Volkes,  das  auf  seine  Bedränger  Einfluss  ausgeübt  habe,  wenn 
auch  nicht  direct  und  unmittelbar,   so  doch   schon  durch  seine 


.'  Dealialb  Leisat  daa  Adjectivum  für  Volk  und  Sprache  eigenttieh  tlo- 
venieoh,  welche  Bezeichnung  auch  in  der  alovakiBcben  und  EeoMschen  Lil*- 
ratur  angewendet  wird,  und  nicht  alovakiBoh.  Auch  Pypin  hat  im  Original- 
text die  Bezeichnung  eloveniach  angenommen,  obgleich  eonst  im  RuMiBchen 
slovakisch  häufiger  ist  Im  Deutschen  iet  nur  der  Name  Slovak  gebrioch- 
lieh,  weshalb  wir  auch  in  der  Uebereetzung  die  adjectiviBche  Form  slova- 
kiBch  beibehalten.  Unter  Slovenen  (eloveniBcb)  werden  im  Deutsofaen  be- 
kanntlich nur  die  Slaven  in  Erain,  KäiTiten,  Steiermark  und  Iitrien  v<c- 
Btanden  (I,  369-395).  Der  DebenetMr. 

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HiatoriBcIie  Bemerkimgen.  289 

drohende  Existenz.  Alles  das  übt  anf  den  Slovaken,  den  Slo- 
Tenen,  die  Wirkung  ans,  dass  er  sich  nicht  nur  als  Slovaken, 
sondern  zugleich  auch  als  Slaven  fühlt." ' 

Starker  Fatriotismue  ist  immer  ein  wenig  Poesie.  Sie  fin- 
det sich  auch  in  den  angeführten  Zeilen.  Aber  auch  Schrift- 
stellern anderer  staTischer  Stämme  stellt  sich  das  slovakische 
Volk  dar  als  begabt  mit  besondern  Fähigkeiten  zum  Ausdruck  der 
gesammtslavischen  Idee.  So  verhielten  sich  zu  ihm  besonders 
die  rassischen  Panstavisten.  Hilferding  sagte  schon  zu  Ende  der 
fünfziger  Jahre  in  einer  besonders  schweren  Zeit  der  slovakiscbeD 
Bewegung,  bei  einem  äusserst  unsichem  Bestand  der  Literatur: 
„Die  sloT&kiscbe  Literatur  stellt  sich  als  eine  Art  ChaoB  dar-, 
aber  ich  zweifle  nicht,  dass  sich  aus  diesem  Chaos  fruchtbare 
Principien  entwickeln  werden."'  Er  schätzte  die  Wirksamkeit 
Stür's  überaus  hoch,  ohne  noch  das  Werk  za  kennen,  welches 
später  Yon  Lamanskij  rassisch  herausgegeben  wurde.  Der  letz- 
tere sah  in  den  Slovaken  „fast  den  begabtesten  und  besonders 
uns  Bussen  sympathischen  Stamm".  „Die  nächsten  Nachbarn 
und  Freunde  der  ungarischen  Russen,  die  Slovaken,  dienen  als 
VermittelungBglied  einerseits  zwischen  Russland  und  den  Mäh- 
rem  und  öechen,  andereraeits  durch  ihre  zahlreichen  und  blühen- 
den Ansiedelungen  in  Mittelungarn,  zwischen  der  Theis  und  der 
Donau,  zwischen  Russland  und  den  Serben  und  Kroaten.  Wenn 
es  der  rosBischen  Sprache  wirklich  beschieden  ist,  die  gesammt- 
slavischo'  diplomatische  Sprache  zu  werden,  so  wird  ihre  Aus- 
breitung bei  den  Slaven  vorzüglich  durch  Ungarisch -Russland 
und  die  Slovaken  erfolgen." ' 

Die  slovakische  Spraohenfrage  wird  verschieden  aufgefasst 
einerseits  von  den  Cechen,  andrerseits  von  den  Slovaken.  Nach 
der  Meinung  der  erstem  ist  dieser  „Dialekt"  ein  abgerissener 
Zweig  der  Cechischen  Sprache  und  in  den  alten  Denkmälern 
der  letztern  (wir  bemerken,  dass  die  cecbischen  Kritiker  insbe- 
sondere das  „Gericht  der  Lihaäa"  und  die  Königinhofer  Hand- 
schrift meinten)  findet  sich  eine  solche  Aehnlichkeit  mit  dem 
heutigen  Slovakischen,  daas  sie  einfach  nur  als  Sprachvarietäten 


•  M.  D.,  „SloTaki",  in  ^nm.  Min.  1868,  Aug.  S.  558. 
'  Les  SlavCB  Oocidentaux,  oder  „Sobr.  SoEin."  II,  78. 
'  In   der  Ausgabe   von  Stär'B  Werk:    „SlaTJanstTO  i  mir  bndnKago", 
(  Torwort  Lamanskij'B,  S.  V  u.  VI. 

Pt™,  Bi»Ti«h.  Li.«..«...  n,  a.  ^19  ^  ^^  {^^qqqIc 


390  Ffluft.aa  EapiteL    IL   Die  Slovaken. 

eines  Dialekts  erscheinen ;  „  der  einfache  Slorak  würde  die 
altj^chische  Sprache  leichter  versteheD ,  als  der  Ceche  der 
Gegenwart." '  Die  slovakiscben  Schriftsteller  dagegen  sprachen 
gern  von  der  Sonderstellung  ihrSs  Volkes  und  ihrer  Sprache, 
und  Safafik  selbst  hielt  in  seiner  „Gescliichte  der  slaTiEcken 
Sprache  und  Literatur"  die  Slovaken  für  ein  besonderes  Volk 
neben  den  Öechen  und  Polen,  bebandelt  ihre  Literatur  gesondert 
und  spricht  seine  Sympathie  für  die  Ausarbeitung  der  slovakischeu 
Sprache  zu  einem  besondem  literarischen  Typus  aus^,  wenn  er 
auch  später  in  seiner  „Ethnographie",  die  Slovaken  nur  als  einen 
Zweig  des  öechoslovenischen  Volkes  und  ihre  Sprache  als  Dia- 
lekt anerkannte,  und  sich  in  einem  andern  Falle,  von  dem  weiter 
unten  die  Rede  sein  wird,  gegen  eine  Absonderung  ihrer  Literatur 
aussprach.  Die  enge  Zusammengehörigkeit  dieser  beiden  Spra- 
chen unterliegt  keinem  Zweifel,  —  aber  dabei  muss  man  zugleich 
zu  einer  richtigen  Würdigung  des  slovakischeu  literarischen  „Se- 
paratismus" in  die  Bedingungen  eindringen,  welche  einen  solchen 
hervorbrachten.  . . . ' 


'  SloTiük  uanfin^,  Artikel  Slovioi.  Debrigena  Bpruh  eine  solche  He^ 
nuikg  schon  Dobrovsk^  aus;  in  der  S.  Ansgabe  der  „Geschiobte  der  böhmi- 
schen Literatur",  1808,  sagt  er:  „Das  Slovakisohe  würde  ohnehin,  nena 
man  geringe  Terechiedeaheiten  der  neaeru  Sprachen  weniger  beachtet,  mit 
dem  AltböhmiBohen  zu  einer  Mundart  zneammenschmelzen."  Eine  andere 
Ursache,  warum  der  Slovak  die  altCechiBohe  Sprache  besser  verst^en  «flrde. 
besteht  darin,  daes  die  letztere,  wie  wir  sehen  werden,  bei  den  Slonken 
ganze  Jahrhunderte  lang  EircheDsprache  war,  das  MeuEechische  aber  ooter- 
dessen  viele  Neubildungen  einführte,  die  in  der  alten  Sprache  nicht  beitsn- 
deu,  und  abo  auch  den  Slovaken  fremd  sind. 

'  Geschichte  der  slayisohen  Sprache  etc.  S.  388—389  {1826).  Vgl  ?ii. 
Slav.  SbomJk,  I,  150-151;  U,  106. 

'  In  Bezug  auf  Geschichte,  Geographie  und  Ethnt^raphie  der  Sli>- 
vaken  eiehe;  J.  Rohrer,  „Versuch  über  die  BlaviBohen  Bewohner  Oertfr^ 
reichs"  (Wien  1804).  —  L.  Bartholomaeides,  „Comitatus  GömörieniB 
notitia  hist.-geogr.-Btalistica"  (Leutechaa  1608).  —  Csaplovics,  „QemUiir 
von  Ungarn"  {2  Thle.  Fest  18S9)  nnd  als  Ergäniung  dazu:  „Ungarns  Voi' 
zeit  und  Gegenwart  verglichen  mit  jener  des  Auslandes"  (Preasburg  ISä!)!. 
—  B.  Pr.  Cerwen&k,  „Zrcadio  Slowenska"  (heransgeg.  von  U.  J.  Harbin- 
Pest  1844).—  MikuUI  DQhnanj,  „Historia  povstauja  «lovenskjeho  >  roks 
1848"  (Skalitz  1860).  —  SlavomU  Öekanoviö,  „Stav  a  dCje  niroda  u 
zemi  uberske"  (Prag  1851).  —  M.  D.  (ein  bekannter  slovakisoher  Sehrift- 
steller),    „Slovaki    i    Slovenskoe    oko(je    v    Ugorfeinfi"    (2om.   Min.   S»'- 


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Hiatorisob«  Bemerkangen.  291 

Die  älteste  Geechicbte  des  slovakischen  Volkee  ist  wie  ge- 
wöhnlich „mit  Finstemiss  bedeckt".  Man  nimmt  an,  dass  die 
Slovaken  io  ihr  jetziges  Land  zu  Ende  des  5.  Jahrhunderts 
nach  Christi  Geburt  eingedrangen  sind,  als  die  Bugier,  Heruler 
und  Gepiden  von  da  weggezogen  waren.  In  jenen  JahrhuDderten 
theilten  die  Slovaken  wahrscheinlich  die  Geschicke  der  andern 
Stammeszweige,  der  Cechen  und  Mährer,  z.  B,  in  der  Periode  des 
Grossmähriscben  Reichs;  aber  die  Grenze  der  Slovaken  gegen  die 
Mährer  lag  nicht  dort,  wo  wir  sie  jetzt  finden,  sondern  irgendwo 
mitten  in  Mähren  selbst,  d.  h.  die  Slovaken  breiteten  sich  damals 
weiter  nach  Westen  aus  als  jetzt.  Von  demselben  oder  einem 
verwandten  Stamme  war  das  sogenannte  Fannonien  besetzt:  nach 


PrOBT.  1868,  AnguBt,  9.  556-645).  —  Franz  V.  Saeiuek,  „Die  SloTakea. 
Eine  ethnographische  Skizze"  {2.  Aufl.  Prag  1875;  eine  kurze,  aber  lehr- 
reiche Broschüre).  Die  andern  Werke  dieeea  Schriftstellera  werden  im  Text 
•Dgefnhrt.  —  „Slovaki  i  Bnaekie  v  BtatistikS  Vengrii"  (in  Slav.  Sbomik,  I, 
1875,  8.  621— 626).  —  Lftdislaif  PiC,  OCerk  poHtiSeakoj  i  literaturnoj  istorii 
Slovakov  za  poBlSdnija  ato  Igt"  (in  „Rlav.  Sbomik",  I,  18Tf>,  S.  89-206;  11, 
1877,  S.  101— 210).  —  A.  V.  äembera,  „Mnoho-li  jest  Ceoha,  Moravauft  a 
Slovikfl  ft  kde  obfv^i?"  (im  Cechischen  „Caaopia"  und  beaonders,  Prag  1877). 

—  G.  A.  de  Vollan,  „Madjar;  a  nacionakiaja  borba  v  Vengrii"  (mit  einer 
ethnographieohen  Karte  UngaroB.  St.  Petersbni^  1877).  —  Slovnik  NauEn^, 
Artikel  Slov4oi  (Slovaken).  —  Job.  Borbis,  „Die  evangeliacb- lutherische 
Kirche  ÜngaroB  in  ihrer  gesohichtlicbeu  EDtwiokelimg  nebst  einem  Anhang 
über  die  Geaohichte  der  proteatantigohen  Kirchen  in  den  dentsch-alaviscdien 
Ländern  nnd  in  Siebenbürgen"  (Nördlingen  1861).  —  DieGesohichtawerke  über 
Oesterreich;  Bücher  über  die  Geaobichte  Ungarn«  von  Feaaler,  Mfgl&th  n.s.w. 

—  Agaton  Giller,  „Z  podroiy  po  stowackim  kraju"  (1876.  Dieae  Schrift  war 
dem  Verfasser  nicht  tai  Hand). 

üeber  die  Sprache:  BernoUk,  siehe  im  Text.—  M.  Hattala,  dessen 
hierher  bezügliche  Werke  sehon  oben  angeführt  sind.  —  A.  V.  Sembera, 
„Zükladove  dialektolc^e  eeskoslovenake"  (Wien  1864).—  J.K.  Viktorin, 
„Grammatik  der  slovakiBohen  Sprache"  (Pest  1860;  i.  Aufl.,  1878).  —  Emil 
tetnf,  „Stovenakä  6itanka"  (Wien  und  Neusohl  1864—65).  —  J.  Loos, 
„Wörterbuch  der  deutschen,  ungarischen  vind  alovakisohen  Sprache"  (Pest 
1870). 

Zur  Literatorgeaohichte:  P.  3.  Sohaffarik,  Geschichte  der  slavisohen 
Sprache  und  Literatur,  3.  870—398  (Ofen  1826).  -  B.  Tablie,  Poeme; 
Sloveniti  veriovci,  siehe  im  Text.  —  M.  J.  Hurban,  „Slovenako  a  jeho 
2ivüt  literarni"  (in  Slovenskje  Pohl'adi).  —  Lad.  Pi6,  in  den  oben  auge- 
fuhrlea  Abhandlungen.  —  J,  VlSek,  „Literatnra  na  Sloveneku,  j^i  vmik, 
rozvoj,  Tfznäm  a  üapPchy"  (Prag  1881). 

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292  FünftoB  Kapitel.    II.  Die  Slovaken. 

Vernichtung  des  Avärischen  Keicbes  durch  Karl  den  Grossen 
nahmen  dieses  verwüstete  Land  Slovaken  von  den  Karpaten  und 
aus  Mähren  ein;  hier  herrschten  mäbrisch-slovakische  Fürsten, 
z.  B.  Pribina,  Fürst  von  Nitra  (Neutra),  sein  Sobn  Kocel,  später 
Svatopluk.  Am  westlichen  Ufer  des  Plattensees  war  nach  ^chisch- 
slovakischen  Historikern  im  9.  Jahrhundert  die  Grenze  zwischen 
der  kroatisch -sloveni^chen  Mundart  und  jener  der  Uahrer  und 
Slovaken. 

Das  Christenthum  erscheint  auf  slovakischem  Boden  schon 
vor  Mitte  des  9.  Jahrhunderts,  aus  deutsch -römischer  Quelle; 
darauf  erst  brachte  Methodius  die  alaviscbe  Liturgie  nach  Pan- 
nonien.  Aber  die  Liturgie  in  der  Volks-  oder  Stammessprache 
erhielt  sich  nicht  lange  und  musste  zuletzt  der  lateinischen  wei- 
chen. Grossmähren  vereinte  die  slaviscben  Kräfte  nicht  auf 
lange.  In  den  letzten  Jahren  des  9-  Jahrhunderts  begannen  die 
Einfälle  der  Magyaren  und  endlich  machte  im  Jahre  907  die 
Schlacht  bei  Pressburg  dem  Bestand  Grossmährens  ein  Ende. 
In  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  wurde  das  slorakische  Land 
den  Magyaren  vom  höhmischen  König  Boleslav  abgenommen 
(und  973  in  kirchlicher  Beziehung  dem  damals  gegründeten  Bis- 
thnm  Prag  zugezählt);  im  Jahre  999  wurde  Mähren  und  dasSlo- 
vakenland  von  Boleslaw  Chrobry  von  Polen  erobert,  aber  nach 
seinem  Tode  entriss  König  Stephan  von  Ungarn  dem  polnischen 
König  Mieszko  wieder  das  Slovakenland,  das  seit  dem  (1026 — 31) 
bis  zu  diesem  Augenblick  zu  Ungarn  gehört.  Die  Geschichte  der 
Slovaken  fällt  weiterhin  mit  der  Geschichte  des  ungarischen  Staate 
zusammen.  Der  letzte  Schatten  von  nationaler  Unabhängigkeit 
der  Slovaken  war  die  Zeit  des  Matthias  von  Trencin,  der  nach 
dem  Aufhören  der  Dynastie  Arpad  (1301)  auf  unbekannte  Weise 
fast  alle  slovakischen  Comitate  in  Besitz  nahm  und  sie  unab- 
hängig regierte  bis  zum  Jabre  1312,  als  er  von  Karl  Robert 
geschlagen  vmrde.  Mit  Matthias  von  Trenöfn  fielen  die  letzten 
Reste  slovakischer  Selbständigkeit;  die  Volksüberlieferung  hat 
seinen  Namen  als  den  des  letzten  Repräsentanten  und  VertJiei- 
digers  der  Freiheit  (und  der  griechisch-katholischen  Kirche)  be- 
wahrt; die  Magyaren  gewöhnten  sich  daran,  das  slovakische  Land 
einfach  das  ,4jand  des  Matthias"  (Mätyas  földje)  zu  nennen. 

Unter  der  ungarischen  Herrschaft  behielten  die  einzeloen 
Nationalitäten,  welche  Ungarn  bildeten,  gleichwol  ihre  Frei- 
heit.   Der  bedeutendste  der  alten  Organisatoren  Ungarns,  König 

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Historische  -Bemerkungen.  293 

Stephan  (der  Heilige)  hatte  den  Grundsatz,  dass  „ein  Reich 
mit  einer  Sprache  und  einer  Sitte  schwach  und  zerbrechlich 
sei"*  und  nahm  nach  diesem  Grundsatz  für  Ungarn  die  natio- 
nalen Institutionen  der  Slaven  an,  besonders  die  Gan-  und 
ComitatsverfaBSQDg,  die  sich  bis  heute  erhalten  hat;  in  den 
Namen  der  Staatsämter  Ungarns  kann  man  leicht  ihre  alte 
:>lavt8cbe  Quelle  erkennen. '  Die  Nationalitäten  waren  gleich- 
berechtigt, nnd  darunter  auch  die  Slaven,  um  so  mehr,  als 
das  Geschlecht  Arpad  in  verwandtschaftliche  Beziehungen  zu 
den  benachbarten  Fürsten  trat  und  vom  elaviscben  Element 
stark  durchdrungen  war ;  das  slovakische  Volk  hatte  sein 
Färstenthnm  Neutra  (Nitra),  das  von  Fürsten  aus  königlichem 
Geschlecht  regiert  wurde.  Nach  dem  Aufhören  der  Dynastie 
Arpad  änderten  sich  diese  VerhältDisse  nicht,  unter  anderm 
auch  deshalb  nicht,  weil  den  ungarischen  Thron  slaviscbe 
Könige,  öechen  und  Polen,  bestiegen.  Andererseits  wurde  der 
Zusammenstoss  der  verschiedenen  Nationalitäten  durch  einen 
sehr  wesentlichen  Umstand  neutralisirt,  nämlich  durch  die  offi- 
cielle  Herrschaft  der  lateinischen  Sprache.  Es  war  augenschein- 
lich schwer,  die  Sprache  der  Sieger  für  die  neuen  verwickelten 
Verhältnisse  des  staatlichen  Lebens  und  der  Bildung  zu  organi- 
siren,  und  das  Latein,  welches  die  Sprache  der  Kirche  und  kirch- 
lichen Schule  war,  ward  auch  zur  Sprache  des  politischen  Lebens, 
der  Gesetzgebung,  zuletzt  sogar  zur  Umgangssprache.  ■ —  Der 
Verfall  der  politischen  Bedeutung  der  Nationalitäten  begann 
erst  unter  denHabsburgern;  zuletzt  erlitt  die  Gleichberechtigung 
eine  offene  Beeinträchtigung,  und  mit  den  Gesetzen  von  1790 
wurde  der  Grund  zu  jener  exclusiven  Superiorität  des  magyari- 
schen Volks  und  jener  Identificining  des  ungarischen  Staates 
mit  der  magyarischen  Nation  gelegt,  —  welche  zur  Quelle 
des   hartnäckigen  innem  Kampfes   in  Ungarn   in  neuerer  Zeit 


'  Die  berühmtea  Worte,  welche  er  aeinem  Sohne  zur  UnterweiBung 
sagte;  „Nam  auiuB  linguae,  uniasqae  moris  regnum  imbecille  et  fragile  eet" 
und  ferner:  „Grave  enim  tibi  est  bnjus  olimatiB  tenere  regnam,  nisi  Imita- 
tor conBuetadinis  ante  reguantium  exstiteriB  regiim.  Quis  Graecus  regeret 
lAtinos  graeois  moribus,  ant  quia  Latinna  regeret  Oraecos  latinis  moribna?" 

'  Z.  B.  „nadvoniik"  —  m^.  nädor  {lat.  Polatinug,  comes  palatii  regii) ; 
.,znpaii"  —  magyar.  iap4n  (Voreteher  einer  iupa,  Gespansohaft);  „tovamik" 
—  magyar.  t&mok  (lateinisch  lavemicuB  regia)  u.  a. 

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294  Fünftea  Kapitel.    IL   Die  Slovaken. 

und  zur  Ursache  dee  äussereten  Elends  für  die  slovakiscbe  Na- 
tionalität wurde. 

Die  Verbindung  der  Slovaken  mit  den  öecben  and  Mähren) 
wurde  nicht  unterbrochen.  Eine  ihrer  denkwürdigsten  Erschei- 
nungen war  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  die  Herrschaft  des 
berühmten  Ck»)dottiere  Jiskra  von  Brandeis  in  den  slov&ki- 
Bchen  Comitaten  und  die  Verbreitung  des  HussitenthnmB  da- 
selbst. Jiskra  wurde  1439  von  der  Königin  Elisabeth  herbei- 
gerufen zur  Vertheidignng  der  Rechte  ihres  minorennen  SohDes 
Ladislans.  Er  hatte  vorher  mit  seiuen  huEsitischen  Scharen  gegen 
die  Türken  mit  Erfolg  gekämpft,  wurde  wirklich  ein  eifriger 
Parteigänger  Ladislaus'  und  blieb  im  Kampfe  mit  dessen  Gegner, 
Johann  Hunyadi  und  später  Corrinus,  im  Laufe  von  fast  zwanzig 
Jahren  Herr  des  slovakischen  Landes.  Zu  derBelben  Zeit  und 
später  regierten  Anhänger  Jiskra's  und  slovakische  Magnaten 
mehr  oder  weniger  unabhängig  verBchiedene  Gebiete  des  Slo- 
vakenlandes.  Die  Herrschaft  Jiskra's  wird  seitens  der  Historiker 
eben  durch  den  slavischen  Charakter  des  Landes  erklärt,  wo  er 
sich  festsetzte,  wie  infolge  eben  desselben  Charakters  die  slova- 
kischen  Comitate  Einäuss  auf  die  Berufung  der  iechiacben  Kö- 
nige Ladislaus  und  Ludwig  übten. 

In  die  Zeiten  Jiskra's  fällt  auch  die  Befestigung  des  Hussi- 
tenthums.  Nach  der  Meinung  slovakischer  Historiker  komite 
es  hier  festen  Fuss  fassen,  weil  es  einen  vorbereiteten  Boden 
fand  in  der  nicht  ausgestorbenen  Ueberliefemng  von  der  alten 
nationalen  Kirche.  In  alter  Zeit  bestand  hier  eine  slavische 
Kirche  und  sie  hatte  wahrscheinlich  zur  Zeit  des  heiligen 
Stephan  grosse  Ausbreitung;  aber  schon  früh  begann  auch  eine 
Gegenwirkung  des  Katholicismus.  Die  ungarischen  Historiker  rech- 
nen die  Ausbreitung  des  „Christenthums"  Stephan  zu  besondenn 
Buhme  an;  die  öecho-slovakiscben  Schriftsteller  meinen,  seine 
Wirksamkeit  habe  neben  der  Bekehrung  wirklicher  Heiden  darin 
bestanden,  dass  er  Christen  slavischen  Ritus,  die  in  den  alten  un- 
garischen Literaturdenkmälern  als  „pagani"  bezeichnet  werden  (wie 
in  der  russischen  umgekehrt  die  Katholiken  —  „poganaja  latjd", 
heidnisches  Lateinerthum ,  hiessen)  zum  Katholicismus  bekehrt 
habe.  Aber  die  Anhänglichkeit  an  den  slavischen  Ritns  war  so 
gross,  dasB  der  Kampf  um  denselben  während  der  ganzen  Periode 
der  Arpaden  dauerte;  und  obgleich  er  später  grösstentheils  dem 
Katholicismus  wich,  so  behielt  doch  das  Gedächtniss  des  Volb 


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Historisobe  Bemerkangen.  295 

eine  Abneigang  gegen  den  letztem.  Das  Hussitenthum  firiBchte 
die  alten  Erinnerungen  auf,  und  eine  Menge  von  Kirchenbüchern, 
velche  ron  den  HuBsiten  elngeföhrt  Trurden,  erweckte  in  den 
Slovaken  daa Streben  nach  einer  nationalen  Kirche.* — Die  erete 
Bekanntschaft  der  Slovaken  mit  den  Hnseiten  setzt  man  schon 
in  die  Jahre  1425 — 30.  Zur  Zeit  der  Herrschaft  Jiskra's  siedel- 
ten sich  dessen  hussitische  Banden  und  herbeigerufene  iSechische 
Golonisten  an  verschiedeDen  Orten  des  Slovakenlandes  an;  mit 
den  Truppen  und  Ansiedlern  kamen  cechische  Priester  und  unter 
den  angegebenen  Bedingungen  sowie  bei  der  Verwandtschaft  der 
Sprache  und  der  Nationalitat  breitete  sich  das  Hussitenthum  unter 
den  Slovaken  selbst  aus.  Die  Verfolgungen  der  Böhmischen  und 
Mähriscben  Brüder,  die  Schlacht  am  Weissen  Berge  führten  neue 
Emigranten  herbei,  und  schliesslich  wurde  der  Gottesdienst  in 
<^cbiBcher  Sprache  bei  den  Slovaken  fast  allgemein.  Später,  als 
sich  die  ßeformation  Lutber's  ausbreitete,  fand  sie  natnrgemäss 
auch  bei  den  Slovaken  Eingang  (die  dabei  den  (ecbischen  Gottes- 
dienst bewahrten)  nicht  nur  im  Volke,  sondern  auch  unter  dem 
Adel,  der  unter  anderm  auch  auf  einen  materiellen  Vortheil  bei 
der  Confiscation  der  Kirchengüter  speculirte.  Bei  den  Magyaren 
breitete  sich  zu  gleicher  Zeit  der  Calvinismus  aus.  Der  Katho- 
licismuB  ergab  sich  allerdings  nicht  leicht:  gleich  bei  den  ersten 
Schritten  wurde  das  Lutherthum  verurtheilt';  aber  der  un- 
mhige  ZuBtand  Ungarns,  die  Eroberung  des  grössten  Theils  des- 
selben (der  eigentlich  magyarischen  Comitate)  durch  die  Tür- 
ken (1541  —  1686)  gestattete  der  katholischen  Reaction  nicht, 
ihre  ganze  Macht  zu  entfalten.  Gleichwol  wirkte  die  Reaction 
80,  dasB  sie  einen  Aufstand  hervorrief,  in  welchem  sich  poli- 
tische mit  religiösen  Interessen  verbanden.  Der  Wiener  Friede 
1606,  der  Wahlreichstag  zu  Pressburg  1608,  der  Friede  von  Linz 
1647,  endlich  das  Toleranzpatent  Joseph's  II.,  und  insbesondere 
die  Gesetze  von  1790  machten  der  religiösen  Verfolgung  ein 
Ende;  der Protestantismos  wurde  gesetzlich  anerkannt  —  obgleich 
kleine  Chicaneu  des  Katholicismus  und  der  innere  Zwist  im 
Protestantismus  selbst  nicht  aufhörten. 

Trotz  der  politischen  Gleichberechtigung  der  Nationalitäten 


>  M.  D.,  im  Zarn.  Min.  1868,  Aug.  S.  606. 

*  Latherani  comburoator  —  war  die  Verordnung  jener  Zeiten,  welche 
im  CorpnB  Juris  Hungarici  anAiewahrt  ist. 

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296  Fünftes  Kapitel.    IL   Die  Slovoken. 

nacli  altem  UDgariBcbem  Staatsrecht,  —  auf  welchem  die  slo- 
vakischen  Historiker  gegenüber  den  ungarischen  bestehen,  — 
wurde  die  Lage  der  Slovaken  je  weiter  je  schwieriger.  Zu 
den  slavischen  Institutionen  gesellten  sich  schon  toq  den  ereten 
Jahrhunderten  der  ungarischen  Geschichte  an  feodale,  welche 
allmähUch  zu  Toller  Knechtung  der  Volksmasse  führten:  die 
Bevölkerung  des  ungariBchen  Staats  theilte  sich  in  zwei  Schich- 
ten, zwischen  denen  ein  ganzer  Abgrund  tag  —  die  eine  war, 
nach  lateinischer  Terminologie,  der  populus  (die  Aristokratie 
and  alles,  was  Adelsrechte  genoss;  wie  bei  den  Polen  nur  die 
Szlachta  das  „Volk",  die  Nation,  war),  die  andere  die  misera 
contribuens  plebs,  welche  die  ganze  übrige  Masse  der  BerÖlke- 
rung  bildete.  Nur  der  populus  hatte  politische  Rechte :  auf  den 
Reichstagen  sassen  die  höhere  Geistlichkeit,  die  Magnaten  und 
der  Adel.  Die  Bürger  der  freien  königlichen  Städte  genossen 
im  Weichbild  ihrer  Stadt  die  Rechte,  welche  der  Adelige  be- 
sagst aber  in  Bezug  auf  das  Comitat  galt  eine  solche  Stadt 
für  einen  Adeligen;  in  Bezug  auf  das  ganze  Land,  im  Reichs- 
tag, hatten  alle  freien  Städte  zusammen  nur  eine  Stimme. 
Das  Volk,  nicht  der  erwähnte  populus,  sondern  das  wirkliche 
Volk  war  dazu  verurtheilt,  alle  Lasten  zu  tragen:  sowol  die 
persönlichen  Verpflichtungen  gegen  den  Gutsherrn ,  als  die 
Staatssteuem  und  den  Kriegsdienst.  In  der  ersten  Zeit  ge- 
nossen die  Untertbanen  mancherlei  Erleichterungen,  und  ihre 
Lage  war  erträglich;  aber  allmählich  erwuchs  aus  ihrer  Unter- 
tbänigkeit  die  Vorstellung,  dass  Grund  und  Boden  nurEigenthom 
der  Adeligen  sei',  auf  dem  die  Bauern  nur  geduldet  seien. 
Seit  der  Goldenen  Bulle  1222  bis  ins  16.  Jahrhundert  wieder- 
holten sich  mehrmals  Gesetze  über  die  Freizügigkeit  der  Baneni 
—  ohne  Zweifel  deshalb,  weil  diese  Freiheit  thataäcblicb  vom 
Adel  verletzt  wurde.'  Die  Bedrückung  des  Volks  führte  m 
einem  Bauernaufstand  in  Südnngarn,  der  mit  schrecklichen  Hin- 
richtungen, der  Vernichtung  einiger  Zehntausende  von  Bauern 
und  einer  neuen  Gesetzgebung  endete  (1514).  Die  Freizügigkeit 
wurde  definitiv  aufgehoben,  die  Bauern  wurden  in  vollem  Masse 


'  Der  Ansdruck:  domiuas  terrestriB  findet  eich  Bobon  im  Geaeti  lom 
Jahre  1405. 

*  Im  15.  Jahrhundert  hob  das  Gesetz  aelbat  viermal  seitweilig  die  Frei- 
zügigkeit auf  —  jedesmal  auf  ein  Jahr. 


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Historische  Bemerknngcu.  297 

leibeigen,  mit  dem  üblichen  VerluBt  der  bürgerlichen  Rechte. 
Diese  elende  Lage  dauerte  bis  zu  den  Zeiten  Maria  Theresia'» 
fort,  unter  welcher  1766  die  sogenannte  Urbarialverfassung  ein- 
geführt wurde;  sie  bestimmte  zum  wenigsten  das  Mass  des 
Bodens,  den  die  Bauern  benutzen  sollten,  und  die  Dienste,  zu 
denen  sie  dafür  dem  Gutsherrn  verpflichtet  waren.  Der  Reichs- 
tag des  Jahres  1836  stellte  auf  dieser  Grundlage  in  aller  Form 
ein  Statut  über  die  Beziehungen  der  Gutsherrn  und  Bauern  auf. 
In  beiden  Fällen  hatte  die  slovakische  und  russische  Bevölke- 
rung Vortheil  bei  der  Vermessung  des  Landes,  aber  nicht  hei  der 
Festsetzung  des  Maasses  der  Pflichtigen  Arbeit. 

Der  Feudalismus,  welcher  zwar  die  nationalen  Beziehungen 
nicht  direct  berührte,  reflectirte  sich  doch  an  ihnen  in  der  ent- 
Bcbiedensten  Weise.  Die  Standesinteressen ,  d.  i.  die  einfachen 
materiellen  Yortheile,  standen,  wie  gewöhnlich,  höher  als  die  na- 
tionalen; der  slovakische  Adel  iiess  sein  Volk  im  Stiche,  ging  in 
den  ungarischen  populus,  d.  i.  in  den  ungarischen  Adel  über,  und 
schloss  sich  dann  allmählich  aach  der  magyarischen  Nationalität 
an.  Das  slovakisefae  Volk  hatte  im  eigenen  Adel  weder  seine 
Vertreter  noch  Vertheidiger.  Als,  vom  vorigen  Jahrhundert  an, 
eine  absichtliche  Magyarisirung  begann,  trat  der  Adel  mit  sel- 
tenen Ausnahmen  in  die  Reibe  der  „Magyaronen",  und  unter 
diesen  war  z.  B.  Graf  Zay  einer  der  mächtigsten  und  schlimmsten 
Verfolger  seiner  eigenen  Nationalität. 

Um  zur  neuem  Zeit  überzugehen,  müssen  noch  zwei  Umstände 
angeführt  werden,  welche  Einfluss  auf  das  Schicksal  der  slova- 
kiscben  Nationalität  hatten:  die  katholische  Reaction  gegen  den 
Protestantismus  und  die  mit  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  be- 
ginnende Bewegung  der  magyarischen  Nationalität. 

Die  katholische  Reaction  trat  hier  schon  mit  dem  16.  Jahr- 
hundert auf,  insbesondere  mit  dem  Erscheinen  der  Jesuiten. 
Ihr  energischster  Vertreter  war  zu  Ende  dieses  und  in  der 
ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Peter  Päzmdny  (aus  einer 
calvinistischen  Familie),  ein  sehr  eifriger  Jesuit,  Bischof  von 
Gran.  Er  bekehrte  mit  Erfolg  Magnatenfamilien  zum  Katho- 
licismus,  brachte  es  dahin,  dass  der  Kaiser  eine  Verordnung 
über  die  Rückgabe  der  Güter,  welche  vom  Adel  in  der  Zeit  der 
Reformation  in  Besitz  genommen  waren,  an  die  katholische 
Geistlichkeit  erliess,  gründete  zu  Tymau  zunächst  eine  Schule 

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298  Fünftes  Kapitel.    IL   Die  Slovaken. 

zur  Erziehung  adeliger  Kinder,  dann  1637  eine  UniTersität,  wo 
er  den  Unterricht  den  Jesuiten  übertrug. 

Die  ersten  Erfolge  ermuthigten  die  Katholiken,  und  sie 
machten  sich  ohne  Umstände  an  die  Rekatholisation ;  auf 
die  Gewaltthätigkeiten  antworteten  auch  die  Protestanten  mit 
Gewalt,  und  die  religiöse  Frage  spielte  nicht  die  letzte  Rolle 
in  den  ungarischen  Revolutionen  des  17-  Jahrhunderts.  Der 
■wiener  Hof  sah  nicht  ohne  Befriedigung  auf  die  Kräftigung 
des  Katholicismus ,  aher  verschiedene  Umstände  nöthigten  zur 
Vorsicht.  Im  Jahre  1681  musste  der  Kaiser  Leopold  die  Frei- 
heit der  Bekenntnisse  bestätigen,  wenn  auch  wieder  mit  einigen 
Bevorzugungen  zu  Gunsten  des  Katholicismus.  Dieses  Gesetz 
war  bis  zu  Joseph  IL  in  Kraft. 

Im  Jahre  1773  verbot  Maria  Theresia  den  Jesuitenorden 
-und  gründete  aus  seinen  Besitzungen  einen  Universitäts-  und 
Lehrfonds  (die  katholische  Universität  wurde  von  Tyrnao  nach 
Pest  verlegt);  Joseph  IL  hob  einige  andere  Orden  auf,  aber  der 
Unterricht  in  den  katholischen  Schulen  blieb  in  den  Händen  der 
Geistlichkeit.  Das  „Toleranz-Patent"  Joseph's  IL  und  insbeson- 
dere das  Gesetz  vom  Jahre  1790  führten  verständigere  und  ruhi- 
gere Verhältnisse  zwischen  den  Bekenntnissen  ein;  es  war  dies 
ein  bedeutender  Umschwung,  aber  leider  wirkten,  wie  vrir  be- 
merkt haben,  innere  Zwiste  des  Protestantismus  selbst  wieder 
in  betrübender  Weise  auf  das  Schicksal  der  slovakischen  Na- 
tional itat. 

Sonach  zeigte  die  vielfache  Wiederholung  der  Gesetze  über 
die  Glaubensfreiheit  seit  dem  16.  Jahrhundert,  dass  es  an  einer 
solchen  fehlte,  und  es  rang  wirklich  der  Katholicismus  damals 
vieles  dem  Protestantismus,  sowie  zugleich  der  Nationalität  ab. 
In  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  besserte  sich  die  Lage 
des  slovakischen  Volkes  verbältnissmässig:  die  Urbarialverf&ssuiig 
erleichterte  das  Schicksal  der  Bauern ;  der  lutherische  Tbeil  der 
Bevölkerung  empfing  eine  grössere  kirchliche  Autonomie  —  in 
diesem  Thoile  des  Volkes  trat  denn  später  auch  die  lebhaftest« 
nationale  Bewegung  hervor. 

Aber  von  Ende  des  18.  Jahrhunderts  erwachs  der  slovaki- 
schen Nationalität  ein  neuer,  unversöhnlicher  und  unbändiger 
Feind  —  die  Magyarisirung. 

Seit  der  Gründung  des  Staats  lebten  die  Magyaren  im  Laufe 
von  800  Jahren  unter  andern  Nationalitäten,   ohne  nur  einmal 

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Histoiiaclie  Benerknngen.  299 

den  Anspruch  auf  auascMiessliche  Herrschaft  ihres  Volkethums 
zu  erheben.  Sogar  das  positive  Gesetz  sprach  Ton  voller 
bürgerlicher  Gleichheit  der  Stämme  (die  Gesetze  Matthias'  II., 
1608 — 1609).  Eine  der  Hanptgruudlagen  dieser  Gleichheit  war 
die  Herrschaft  der  lateinischen  Sprache,  die,  wie  oben  bemerkt, 
Ton  alter  Zeit  her,  wegen  der  Unmöglichkeit,  dass  eine  halbwilde 
Sprache  unter  entwickeltem  Völkern  in  Politik  und  Bildung  herr- 
schen konnte,  von  den  Magyaren  als  Sprache  der  Kirche  ange- 
nommen worden  war  und  dann  zur  gewöhnlichen  Sprache  nicht 
nur  der  Schule,  sondern  auch  der  Gesetzgebung,  vor  Gericht, 
in  der  Verwaltung,  auf  den  Reichstagen  und  in  den  hohem 
Klassen  sogar  zur  Umgangssprache  wurde.  Zur  Zeit  der  Refor- 
mation war  die  magyarische  Sprache  nahe  daran,  ins  kirchliche 
Leben  und  in  die  Fresse  einzudringen;  aber  die  katholische  Re- 
action  gab  wieder  dem  Latein  das  Uebergewicht,  Ein  scharfer 
Umschwung  trat  mit  den  theoretisch-liberalen  und  centralisti- 
Bchen  Plänen  Joseph's  II.  ein.  Das  von  ihm  erlasBcne  Gesetz 
forderte,  dass  innerhalb  dreier  Jahre  in  allen  Richtungen  des 
staatlichen  Lebens  die  deutsche  Sprache  eingeführt  werde;  die 
Comitate  protestirten  gegen  diese  ohne  Zustimmung  des  Reichs- 
tags gegebene  Massregel,  und  das  Gesetz  wurde  wegen  der  Schwie- 
rigkeit der  Ausführung  nebst  andern  Neuerungen  (ausser  dem 
Toleranz-Patent)  aufgehoben.  .  .  .  Aber  dies  gab  den  Anstoss  zu 
einer  nationalen  Renaissance  der  Magyaren.  Auf  dem  Reichstag 
des  Jahres  1792  wurde  der  Unterricht  der  magyarischen  Sprache 
für  obligatorisch  an  den  mittlem  und  hohem  Schulen  erklärt,  — 
damit  es  später  möglich  sei,  die  Beamten  aus  Leuten  auszuwählen, 
welche  die  magyarische  Sprache  verstünden.  Die  Unruhen  der 
Napoleonischen  Kriege  Hessen  die  innere  Bewegung  nicht  zur 
Entwickelung  kommen,  aber  iu  der  Mitte  der  zwanziger  Jahre  des 
gegenwärtigen  Jahrhunderts  erhob  sich  die  Frage  aufs  neue.  Sie 
wurde  auf  dem  Reichstag  von  dem  berühmten,  damals  noch 
jungen  Grafen  St-Szechenyi  aufgestellt,  dessen  nationaler  Patrio- 
tismus grossen  Eindruck  machte  und  den  Grund  zu  den  weitern 
nationalen  Bestrebungen  des  Magyarenthums  legte:  schon  im 
Jahre  1827  wurde  die  ungarische  Akademie  gegründet,  dann  das 
magyarische  Theater,  dann  nationale  Clubs.  .  .  .  Die  Frage  der 
magyarischen  Sprache  erhielt  sofort  einen  politischen  Cha- 
rakter. Bisher  verstand  man  unter  dem  „Volke  Ungarns",  wel- 
ches durch  den  Reichstag  repräsentirt  wurde,  alle  Bewohner  Un- 

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800  Fünftee  Kapitel.    11.  Die  Siovaken. 

garng  ohne  Ausnahme,  -welche  politische  Rechte  genossen;  aber 
jetzt,  als  an  die  Stelle  der  lateinischen  Sprache  dee  Reichstage 
und  der  Verwaltung  (welche  die  StammeBunterschiede  ausglich 
oder  neutralisirte)  die  magyarische  zu  treten  begann  und  der 
Reichstag  danach  strebte ,  die  letztere  definitiv  als  Staata- 
sprache zu  befestigen,  ward  die  frühere  Gleichheit  gestört  und 
der  UDgarifichen  Nationalität  die  ausschliessliche  Superioritat 
und  Herrschaft  zugeeignet. 

Bald  erschien  -wirklich  eine  Reihe  von  Gesetzen,  welche  diese 
Herrschaft  befestigten,  die  Gesetze  der  Reichstage  von  1830. 
1832—36,  1839—40  führten  allmählich  die  magyarische  Sprache 
in  die  Verwaltung,  die  Gerichtsbarkeit,  die  militärischen  und 
kirchlichen  Angelegenheiten  ein;  der  Reichstag  von  1843 — 44  ver- 
ordnete (He  Einführung  des  Unterrichts  in  magyarischer  Sprache 
an  den  hohem  und  Mittelschulen;  der  Reichstag  von  1848  dehnte 
diese  Vorschrift  auch  auf  die  Volksschulen  aus. 

Auf  den  ersten  Blick  erschien  die  Veränderung  sehr  natur- 
geroäss  und  sie  wäre  es  auch  in  vollem  Masse  gewesen  für  die 
eigentlich  magyarischen  Länder,  als  die  Entfernung  eines  sonder- 
baren Ueberbleibsels  des  Mittelalters,  als  der  Ersatz  einer  todten 
Sprache  durch  eine  lebende;  aber  die  Reichstage,  welche  nur 
die  privilegirten  Stände  vertraten,  entschieden  ohne  die  Völker 
und  diese  wurden  eines  wesentlichen  Rechts  beraubt:  nämlich, 
die  nichtmagy arischen  Völker  konnten  den  Schutz  des  Gesetzes 
und  das  politische  Recht,  Kirche  und  Schule,  nor  geniessen,  wenn 
sie  magyarisch  verstanden,  und  würden  dieselben  also  nicht  als 
Bürger  ihres  Staats,  sondern  als  Magyaren  geniessen.  In  der 
Praxis  zeigte  sich  dies  sofort,  als  die  Gerichte  und  VerwaltnngB- 
behörden  aufhörten,  Schriftstücke  anzunehmen,  welche  nicht  in 
magyarischer  Sprache  geschrieben  waren.  .  .  .  Die  schroffe  Ein- 
führung der  magyarischen  Sprache  in  Schule  und  Kirche  ver 
letzte  das  Recht  der  Nationalitäten  in  der  wesentlichsten  und 
empfindlichsten  Weise. 

Es  ist  begreiflich,  dass  sich  mit  dem  offenen  Auftreten  dieser 
Tendenzen  der  Widerstand  der  nichtmagyariscben  Nationalitäten, 
der  Serben,  Kroaten,  Siovaken  einstellte.  Die  letztern  verhielten 
sich  zu  der  Sache  verschieden.  Die  Katholiken,  besonders  die 
Geistlichkeit,  neigten  sich  dem  Magyarenthum  zu:  die  dechische 
Sprache,  welche  von  den  protestantischen  Siovaken  in  der  Kirdie 
gebraucht  wurde,  war  in  ihren  Augen  ketzerisch,  hueeitisch,  die 

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Historisobe  Bemerkimgen.  301 

slovakische  zu  ungebildet  und  niedrig;  dabei  bot  das  Magyaren- 
tham  auch  materielle  Vortheile.  Andere  verhielten  sich  die  Pro- 
testanten, die  sich  ganze  Jahrhnnderte  an  das  Cechische  als  die 
Kirchen  spräche  gehalten  hatten  und  nicht  leicht  ihre  Nationali- 
tät aufgeben  konnten.  Es  erhob  sich  der  Kampf  zwischen  den 
slovakischen  Lutheranern  und  den  magyarischen  Patrioten.  Im 
Jahre  1839  starb  der  Generalinspector  der  lutherischen  slova- 
kischen  Kirche;  den  Magyaren  gelang  es,  wie  man  sagt  durch 
allerlei  Ungerechtigkeiten,  an  seine  Stelle  den  obenerwähnten 
Grafen  Zay  zu  bringen.  Zay  war  der  eifrigste  Magyaromane  und 
seine  Verwaltung  machte  sich  sofort  durch  Propaganda  des 
Magyarenthums  im  Kirchenwesen  und  durch  Verfolgung  der 
patriotischen  ^echisch-slovakiscben  Schule  bemerklieb. 

Die  magyarische  Bewegung  war  ziemlich  complicirt.  Einei- 
seits  trug  sie  sich  mit  den  Ideen  des  europäischen  Liberalis- 
mus: hier  wurde  sie  zu  einer  oppositionellen  und  zuletzt  revolu- 
tionären Bewegung  gegen  den  alten  heuchlerischen  Despotismus 
Oesterreichs;  sie  bewies  dabei  grosse  Energie,  die  auch  bei  den 
slavischen  Schriftstellern,  selbst  den  extremsten*,  Anerkennung 
fand  und  noch  berühmter  in  Westeuropa  wurde  —  der  Name 
Kossuth's  war  ebenso  populär  wie  der  Garibaldi's.  Aber  an- 
dererseits lag  in  der  magyarischen  Bewegung  auch  jene  natio- 
nale Exclusivität,  von  der  wir  sprachen:  von  dieser  wusste 
man  in  Europa  wenig  oder  gar  nichts  und  die  Magyaren  blie- 
ben die  Heroen  sowie  später  die  Märtyrer  für  die  Freiheit. 
Ihre  Gegner  wurden  zum  reactionären  Lager  gezählt:  sie  ver- 
theidigten  ja  sowol  die  todte  lateinische  Sprache  als  die  verwit- 
terte Österreichische  Monarchie,  —  aber  sie  vertheidigten  sie 
eben  deshalb,  weil  sich  ihnen  in  diesen  Formen  die  einzige 
Möglichkeit  einer  nationalen  Existenz  bot,  und  bei  dem  ma- 
gyarischen Liberalismus,  der  nur  eine  magyarische  Freiheit  zii- 
liess,  ihrem  Volksthum  nur  der  Tod  bevorstehen  konnte.  Oester- 
reich  war  für  sie  gewjssermassen  ein  Keil  gegen  den  magyari- 
schen Keil. 

Nach  der  magyarischen  Theorie,  —  in  welcher  sich  die  ganze 
abetossende  Roheit  der  nationalen  Unduldsamkeit  überaus  an- 
Bcbaulich  ausdrückte,  — repräsentirten  die  magyarischen  Bestre- 


I  Vgl.  HilfsFdiag,  Sobr.  Soein.,  II,  115;  b.  auch  K.  Adämek,   „Zä- 
klady  vj-voje  Mad'arav"  (Prag  1879). 


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303'  Fünftea  Kapitel.    II.   Die  Slovakea. 

bungen  die  Sache  der  Cirilisation  und  der  bärgerlichen  Freikeit; 
einen  Widerstand  dagegen  stellte  die  Theorie  als  Obscurautis- 
muB  and  Trägheit  bin.  Sonach  wurde  das  Streben  der  Slo- 
vaken  den  Magyaren  in  doppelter  Beziehung  verhasst  —  sowol 
als  Opposition  gegen  die  politische  Hegemonie  wie  als  Feind- 
schaft gegen  die  liberalen  Ideen.  Diese  nnliberale  Färbung 
hat  die  antimagyarische  Bewegung  der  Serbo-Kroaten  und  Slo- 
Takeu  in  der  Mehrzahl  der  westeuropäischen  Darstellungen 
dieser  Angelegenheit  behalten:  die  slavische  Bewegung  war  reac- 
tionär  und  „panslavistisch".  > 

Graf  Zay  bemühte  sich,  wie  vir  bemerkten,  das  Magyarische 
auch  in  das  kirchliche  Leben  der  Lutheraner  einzuführen  oder 
das  letztere  zu  einem  Weg  für  die  Ausbreitung  des  Magyaren- 
thums  zu  machen.  £r  speculirte  darauf,  dies  durch  eine  cal- 
vinisch-lutherische  Union  zu  erlangen ;  da  die  magyarischeD 
Protestanten  vorzüglich  CalviniBten  waren,  die  slovakiBcheD  aber 
Lutheraner,  eo  sollte  auch  hier  die  Union  das  formale  Recht 
für  die  magyarische  Hegemonie  liefern.  Die  Unionsvorschläge 
fanden  bei  den  Slovaken  keine  Sympathie ;  auf  den  kirch- 
lichen „Conventen"  landen  feindliche  Zusammenstösse  des  ma- 
gyarischen nnä  slovakischen  Patriotismus  nnd  Kirchenthums  statt 
—  hier  begegneten  sich  die  Führer  beider  Seiten,  wie  Eossuth 
und  KoUär;  Graf  Zay  »erfolgte  offen  die  sloTakischen  Professoren 
und  patriotischen  Studentenvereine  zu  Pressbnrg  und  Leutschau. 
'Appellationen  der  Slovaken  an  den  „König",  d.  i.  den  Kaiser 
von  Oesterreich,  hatten  keinen  Erfolg.  In  den  vierziger  Jahren 
verschärfte    sich  der  nationale  Kampf    immer  mehr;   das  Ma- 


.■  Dieaen  Charakter  der  Beziebnngen  begriffen  Belbst  so  anfgekUrte  Zeit- 
genossen wie  Herzen  nicht,  allerdings  aus  Mangel  an  Kenntnisa  der  Ver- 
hältnisse. In  der  Folge  waren  einige  slavophite  Sehriftsteller  ongelialteD 
darüber,  daes  im  UDgarisuben  Krieg  des  Jahres  1849  das  mssisohe  Offiner- 
uorpa,  nie  bekannt,  sehr  mit  den  Ungarn  sympathisirte :  diese  Tbatsaobe 
erklärt  Bich  aus  verschiedenen  Qründen,  —  erstens  aus  denselben,  welebe 
den  Aussprach  erteog^n:  W§gier,  Polak  —  dwa  bratanki  et«.  (Der  Ungar 
und  der  Pole  sind  Vettern  etc.);  zweitens  dadurch,  daas  das  msaiidw 
Offiziercorps  keinen  Begriff  von  den  BeEieliuitgeD  dieser  sjmpatluKhen 
Ungarn  zu  den  Stamm  es  verwandten  der  Offiziere  hatte;  aber  neben  dieaer 
UnkcnntnisB  war  andererseits  auch  eine  begreifliche  Sympathie  fQr  ein 
Volk  vorhanden,  das  für  seine  Unabhängigkeit  gegen  das  in  Rnssland  nicht 
populäre  Oesterreich  kämpfte. 


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Historiache  Bemerkungen.  303 

gyarentham  Bchreckte  vor  Gewaltth&ten  nicht  zurück;  die  bIo- 
vakischen  Führer  hatten  die  brutalsten  Verfolgungen  zu  er- 
dulden. Unter  den  Magjaren  gab  es  zwar  aufgeklärte  Patrioten, 
die  sich  über  diese  Gewaltthätigkeiten  ärgerten,  wie  der  er- 
vähnte  Graf  Szechenyi,  wie  der  bekannte  Historiker  Ungarns, 
Graf  Majlath,  —  aber  ihre  Ermahnungen  zur  MasEigung,  zur  Ach- 
tung gegenüber  der  fremden  Nationalität  waren  yergeblich:  man 
hörte  nicht  auf  sie.  Die  Erregung  wuchs  und  endete  mit  dem 
magyarischen  Aufstand  gegen  Oesterreich  im  Jahre  1848 — 49, 
und  mit  dem  Aufstand  der  Slovaken  gegen  die  Magyaren.  • 

Der  ungarische  Aufstand  nöthigte  auch  die  slovakiscben  Pa- 
trioten, in  den  offenen  Kampf  zu  treten:  sie  nahmen  theil  am 
slavischen  Congress  zu  Prag,  traten  in  Beziehungen  zu  den 
Serben  und  Kroaten,  zu  dem  Ban  Jellachich,  und  hatten  schliess- 
lich auch,  nachdem  sie  Freiwillige  gesammelt,  ihren  Antheil  an 


1  Die  EreiguiBse  der  dreUeiger  and  vierziger  Jalira  haben  eine  ganze 
polemiache  Literatur  hervoi^ebraoht.  Wir  wollen  eioigea  daraus  anführen, 
was  zum  Theil  mit  der  ti^er  ei^ähnten  polemischen  Literatur  ans  Anlas» 
des  „lUyriemus"  gemeinsam  ist. 

Die  ungariiohen  Zeitnngen  der  vierziger  Jahre:  Tarsalliodö,  Szizadunk, 
Pesti  Hirlap  (heransgegeben  von  Koasnth),  Athenaeum  u,  s.  w.  —  „Schreiben 
des  Grafen  Karl  Zay  an  die  Professoren  zu  Lentschau"  (Leipzig  1841 ;  gegen 
einen  Brief  des  Grafen  Zuj,  der  im  Täraalkodö  abgedruckt  war).  ^  Graf 
Zay,  „ProteatantiamuB,  MagyariBmuB,  Slaviamua. .  . ."  (Antwort  auf  das  Vor- 
hergebende).  —  Thomas  VilägOBväry  (JobannPaul  Tomääek),  „Der  Sprach- 
kämpf  in  Ungarn"  (Agram  1841). —  „Ungarische  Wirr eo  und  Zerwürfnisse" 
(Leipzig  1843;  beide  Schriften  gegen  den  Magyarismua).  —  „Slavismus 
und  Pseudomagjarismus"  (Leipzig  1842;  gegen  die  Broschüre  von  Zay).  — 
(Lnd.  Stür)  „Die  Beschwerden  und  Klagen  der  Slaven  in  Ungarn  über  die 
gesetzwidrigen  Uebergriffe  der  Magyaren.  Vorgetragen  von  einem  ungn- 
riachen  Slaven"  (Leipzig  1843).  —  Graf  Leo  v.  Thun,  „Die  Stellung  der 
Slovaken  in  Ungarn"  (Prag  1843;  Polemik  gegen  Pulszky).  —  „Vierteljahrs- 
Bcbrift  ans  and  für  Ungarn.  Heraasgcgeben  von  Dr.  Emriuli  Henazlmann'' 
(3  Dde.,  Leipzig  1613;  von  magyarischer  Seite).  —  C.  Beda,  „Yertheidigun}; 
.der  Deutschen  und  Slaven  in  Dngam"  [Leipzig  1843;  gegen  die  Vierte:- 
jahrsschrift).  —  S.  H****,  „Apologie  dea  ungarischen  Slaviamus"  (Leipzig 
1843).  —  L.  Stör,  „Das  neunzehnte  Jahrhundert  und  der  Magyarismus" 
(Wien  1846).  —  „Der  Magyariamus  in  Ungarn  in  rechtlicher,  geiobichtlicher 
and  sprachlicher  Hinsicht  u.  s.  w."  (2.  AuÜ.  Leipzig  164«).— „M.M.  Hodza 
V.  D.  H.,  Der  Slovak.  Beiträge  zur  Beleuehtang  der  elavischeu  Frage  in 
Ungarn"  (Prag  1646;  mit  interessanten  historisuhen  Naohriohten).  —  Die 
slovakischen  Werke  werden  im  Text  angeführt  werden. 


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304  Fünftes  KapiteL     IL   Die  Slovsken. 

den  kriegerischen  UnternehmougeD  gegen  die  Magyaren.  Aber 
das  Jahr  1S48  brachte  auch  dem  eloTakischen  Volke  eine  ge- 
visee  Freiheit:  das  Feadalwesen  und  die  Leibeigenschaft  wurden 
aufgehoben;  die  Unterthanen  erhielten  bürgerliche  Rechte;  für 
die  Literatur  trat  die  Pressfreibeit  ein. 

Wie  alle  Slawen,  welche  gegen  die  Ungarn  zur  Vertheidigung 
Oesterreichs  aufgestanden  waren,  so  gewannen  auch  die  Slovaken 
nichts  in  ihrer  politischen  Lage,  was  das  Verhältniss  zum  Ha- 
gyarenthum  betrifft.  Das  Becennium  der  Reaction  nach  l^iedei- 
werfuQg  des  Aufstandes  durch  fremde,  d.  i.  russische,  Hände 
war  You  einem  Sinken  der  Bewegung  begleitet,  die  auch  Oeeter- 
reich  selbst  zu  statten  gekommen  war;  aber  während  dieser  Zeit 
reiften  neue  Arbeiter  für  slovakischen  Patriotismus  heran.  In 
den  sechziger  Jahren  wurde  die  Bewegung  aufs  neue  lebendig;  im 
Jahre  1861  wurde  die  slovakische  „Matica"  gestiftet,  es  erneuerte 
sich  die  Literatur  und  die  poUtische  Tbätigkeit,  —  aber  pohtisch 
bleibt  die  Nationalität  immer  noch  schutzlos  und  dies  zeigte  sieb, 
als  in  der  Mitte  der  siebziger  Jahre  die  Matica,  in  welcher  sich 
ein  Centrum  der  nationalen  Bildung  der  Slovaken  bildete,  toü 
den  magyarischen  Behörden  mit  roher  Gewalt  geschlossen 
wurde. 


Hanptdateu  der  slovakisehen  Gescbichte. 

V.  Jahrhuodert  nach  Christus.     Termuthliche  Anknnfl  der  Stov&ken 

in    ihr  jetziges  Land,    nach  Wegzug  der  Rugier,    Hemler    und 

Gepiden. 
830.  Fürst  Pribina  von  Neutra.     Anachlusa    des  Gebietes    von  Nentn 

an  GroBsmährea. 
660.  Die  erste  urkundliche  Erwähnung  des  Slovakenlaudes. 
870.  Methodius,  Erzbiachof  ron  Mähren  und  Pannonien. 
907.  Einfall  der  Magyaren.     Untergaog  GroBsmährens;    Unterwerfong 

des  Slovakenlandes  durch  die  Magyaren. 
955-  Eroberung  des  Slovakenlandes  aus  der  Hand  der  Magyaren  dordi 

Boteslav  von  Böhmen. 
973.  Gründung  des  Erzbisthums  Prag,  zu  welchem  das  Land  der  Slo- 

vaken  gehörte. 
975.  Taufe  des  ungarischen  Königs  Geysa  I. 
999.  Eroberung  Mährens  und  des  Slovakenlandes  durch  Boleslav  Chrobiy 

von  Polen. 
1000.  Krönung  Stepban's  (des   Heiligen)   zum   König   von    Ungarn    und 

Grandung  des  Erzbisthums  Gran,  mit  dem  ein  beträchtlicher  TbeÜ 

des  slorakischen  Landes  vereint  wurde. 


.....Gooj^lc 


Die  ältere  Zeit,  305 

]02fl.  Stephan  erobert  vom  polnüchen  KSaig  Mieiayriaw  das  Slovaken- 
land,  daa  Beitdem  za  Ungarn  gehört. 

1222.  König  Andreas  It.:  Die  Bulla  Äurea,  GrOndung  der  Staataver- 
fasan ng  Ungarns. 

1301.  Tod  Andreas'  III.,  des  letzten  aus  der  Dynastie  der  Arpaden. 

1312.  Niederlage  des  Matthias  tod  Trencin  durch  Karl  Robert  nnd  der 
definitive  politische  Verfall  des  slovakischen  Landes. 

1440—1463;  1458—1462.  Jiakra  von  Brandeis;  die  Hussiten  nnd  das 
Hussiteuthuni  unter  den  Slovaken. 

1Ö13.  Bauernaufstand  in  Sfldungam. 

1514.  Niederwerfung  des  Au&tandes  nnd  EinfOhrnng  der  vollen  Leib- 
eigenschaft der  Bauern. 

1526.  Schlacht  bei  Mohac.  Ungarn  wird  unter  Ferdinand  I.  (Anfang 
der  Dynastie  Habsburg  in  Ungarn),  Johann  Zäpolya  und  die 
Türken  getheilt. 

1696.  Der  Friede  von  Karlowitz.  Definitive  Rückgabe  der  ungarischen 
Linder. 

1705 — 11.  Kaiser  Joseph  I^   König  von  Ungarn. 

1712—40.  Karl  IH.  (VI.). 

1740—80.  Maria  Theresia. 

1780 — 90.  Joseph  IL 

1790 — 92.  Leopold  ü. 

1792.  Frana  L 

1804.  Beginn  des  Kaiserthums  Oesterreich. 

1835.  Ferdinand  V. 

1848.  Franz  Joseph. 


Aus  der  altem  historiscben  Periode,  aus  den  Zeiten  des  alt- 
slsvischen  GottesdieDstes,  hat  sich  bei  den  Slovaken  keiu  ein- 
ziges Schriftdenkmal  erhalten ;  nach  der  Tradition  sind  die 
glavischen  Kirchenbücher  bei  der  Einnahme  von  Nentra  durch 
Matthias  von  Tren£in  verbrannt.  ^  Für  das  älteste  Denkmal 
des  slovakischen  Dialekts  gelten  die  Kirchenlieder  mit  slova- 
kischen  Glossen  von  Wenzel  Bzeneck^,  vom  Jahre  1385.^  Die 
Kotwickelnng  der  ^echichen  Cultur  im  14.  Jahrhundert  lockte, 
wie  man  annehmen  rnnss,  auch  die  Slovaken  in  die  £ecliiBchen 


>  PiE,  im  Siav.  Sbomik,  1, 100,  Aumerk.  Nach  seinen  Worten  sind  in 
letzterer  Zeit  von  Mitgliedern  der  nngariscbea  Akademie  einige  aiavisohe 
Urkunden  gefunden  worden,  doch  werden  sie  von  ihnen  versteckt  gehalten. 
Vgl.  Slovnik  nauEnJ,  b.  v.  Sloväci,  S.  58S.  ÖeohiBoh-slovakiBche  Urkunden 
gibt  es  vom  15. — 16.  Jahrhundert  an. 

>  Blovnik,  ebend.;  JireFek,  Rnkovif,  1,  118, 

Ftpik,  SUtIuIw  Litentnrui.  H,  S.  20 

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306  FüuCteB  Kapitel.    IL    Die  Slovoken. 

Schulen;  wenigsteos  trat  der  StammesTerband  dadnrcli  zweifellos 
zu  Tage,  dass  sich  die  Bewegung  der  Hussiten  ins  slovakische 
Land  verpflanzte.  Ihre  Ankunft  bildete  eine  Epoche  im  religiösen 
und  literarischen  Leben  der  Slovakea:  mit  den  hussitischen 
Kriegern  und  Ansiedlern  kamen  auch  hussitische  Priester;  noter 
den  Slovaken  begann  die  neue  Lehre  sich  zu  verbreiten  und  mit 
ihr  fechisclie  Bücher,  die  jenen  ganz  Tersiandlich  waren:  äe 
hatten  dann  später  dieselbe  Erälicer  Bibel,  die  Cancionale  nnd 
religiösen  Tractate.  Die  ^echische  Sprache  ward  ron  da  an  zur 
Kirchen-  und  Büchersprache  der  Slovaken  und  ihre  Herrschaft 
dauerte  fast  nngetheilt  bis  ans  Ende  des  vergangenen  und  den 
Anfang  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts.  Bei  den  sloTakischen 
Protestanten  ist  die  fiechische  Sprache  noch  jetzt  die  Sprache 
der  Bibel  und  der  Kirche;  in  ihr  wird  die  Predigt  gebalt«n; 
Bücher  solcher  Art  werden  sogar  heute  noch  in  der  alter- 
thiimlicben  Bechtschreibung  gedruckt,  welche  bei  den  Öechen 
selbst  verlassen  ist. 

Im  16.  Jahrhundert  nahmen  die  slovakischen  Protestanten 
die  Lehre  Lathers  an;  Slovaken  begaben  sich  zum  Studium 
nach  Wittenberg,  aber  der  Gottesdienst  in  slaviscber  Spracht 
erhielt  sich  unverändert.  Die  Verfolgung  gegen  die  BöbmischeD 
und  Mährischen  Brüder  und  der  definitive  Verfall  des  Pro- 
testantismus in  Böhmen  nach  der  Schlacht  am  Weissen  Berge 
führte  ins  slovakische  Land  neue  Emigranten;  die  BöhmiBchen 
Brüder  brachten  ihre  Bücher,  ihren  protestantischen  Eifer  mit, 
legten  Schulen  aQ  —  die  ^chische  Literatursprache  verbreitete 
sich  noch  mehr. 

Seit  der  Einführung  des  böhmischen  Protestantismus  bei 
den  Slovaken  beginnt  ihre  eigene  Literatur-  nnd  Schularbut. 
Seit  dem  16.  Jahrhundert  sehen  wir  schon  eine  beträchtlidie 
Zahl  guter  Schulen:  in  Bosenau  1525,  in  Bänovci  1527,  in  Bait- 
feld  1639,  Leutschau  1542,  Schemnitz  1560,  Käsmark  157ä. 
Altaohl  1576,  Trenün  1582,  Eperies  1594,  Kaschau  1597  u.  s.  *- 
Es  waren  dies  nicht  blos  Volks-  und  Mittel-,  sondern  zuweilen 
auch  höhere  Schulen,  wo  bekannte  slovakische  Schriftsteller  und 
Gelehrte  als  Lehrer  thätig  waren.  Die  Lehrertbätigkeit  war  ge- 
wöhnlich die  Vorbereitung  zur  Uebemahme  von  kirchlichen  Aem- 
tern  und  die  Lehrer  waren  nicht  seltei)  Leute  mit  höbereT 
Bildung,  welche  sie  in  der  Heimat  oder  im  Auslande  erworben 
hatten.    Von  1574  an  wurden  hei  den  Hauptechulen  Buchdmk- 

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Die  ältere  Zeit.  307 

kereien  gegründet:  die  ältesten  bekannten  öechischen  Bächer, 
die  bei  den  Slowaken  gedruckt  wurden,  sind:  Luther's  KatecIuB- 
mus,  herausgegeben  in  Bartfeld  1581,  und  Pruno's  Katechismus 
in  Freistadtl  1581  oder  1583. 

Da  die  Schule  ihren  Anfang  toq  einer  religiösen  Partei  nahm, 
die  Bildung  sich  im  Geiste  derselben  entwickelte  und  zu  ihren 
Zwecken  bestimmt  war,  so  ist  es  natürlich,  dass  die  daraus 
herrorgegangene  Literatur,  besonders  in  jener  Zeit  religiöser 
Erregung,  einen  hervorragend  religiösen  Charakter  hatte;  und 
wenn  man  noch  hinzufügt,  dass  viele  slovakische  Schriftsteller 
nach  dem  Gebraach  der  Zeit  und  des  Landes  lateinisch  schrie- 
ben, so  ist  es  nicht  zu  verwundem,  dass  diese  Jahrhunderte,  bis 
zur  zweiten  Hälfte  des  18-,  wenige  Werke  bieten,  die  in  rein  lite- 
rarischer Beziehung  interessant  wären.  Gewöhnlich  sind  es  Ge- 
betbücher, Katechismen,  geistliche  Lieder,  Predigten  u.  s.  w. 
Dabei  waren  die  ZeitTerhältnisse,  im  16. — 17'  Jahrhundert, 
entsetzlich  schwer:  die  Einfälle  der  Türken,  die  innem  Kriege 
zwischen  Ferdinand  und  Johann  Zäpolya,  die  gransamen  Gesetze 
gegen  die  Evangelischen  förderten  die  literarische  Thatigkeit 
wenig.  Die  aus  jener  Zeit  stammenden  Kirchenlieder  sind  von 
einem  Gefühl  der  Trauer  durchdrungen,  welches  Hülfe  und  Be- 
freiung sucht.  Verfasser  solcher  Lieder  im  16.  Jahrhundert  waren: 
Johann  Sylvanus  (gest.  1572);  Georg  Bäuovak^,  Rector  der 
Schute  zu  Sillein  (gest.  1561);  der  Geistliche  Johann  T^borsky 
(gest.  um  1576),  Johann  Fruno  aus  Freistadtl  (gest.  1586)  und 
andere,  dereu  Lieder,  6echiBch  geschrieben,  sich  in  den  evange- 
lischen Gesangbüchern  vorfinden.  Auf  diese  Zeit  beziehen  Edch 
auch  einige  historische  Lieder,  z.  B.  über  die  Niederlage  bei 
Mofaa£,  über  Nikolaus  Zrinyi  bei  der  Belagerung  Szigeths  15fi6, 
über  das  Schloss  Murdn  und  andere,  aber  nicht  sowol  volks- 
thümliche,  als  schriftgelehrte,  wie  ähnliche  Lieder  bei  den  Uechen 
jener  Zeit,  und  ebenfalls  wieder  techisch  geschrieben.  >  Im  17. 
Jahrhundert  waren  die  Zeiten  noch  drückender:  innere  Zwiste, 
politische  Händel,  religiöse  Verfolgungen  waren  nicht  günstig 
für  die  Fortschritte  der  Bildung.  Aber  wir  sehen  noch  einige 
Schriftsteller,  welche  die  letzten  Ausläufer  der  iechiech-hnssi- 
tischen  Literatur  bei  den  Slovaken  bilden.    So  war,  neben  dem 


'  Einige  kaben  sicli  in  Handiubrifteb  erhalten)  andere  sind  nur  nach 
den  Titeln  iu  ilen  Canuiünaleii  bekannt.    Siehe  Koltir,  Nir.  Zpiew.,  L 


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308  FüDÜes  EapiteL    11.   Die  Slovaken. 

oben  iD  der  ßechiBchen  Literatur  erwähnten  LanrentiaB  von  Nu- 
doier,  einer  der  besten  geistlichen  Dichter  jener  Schule  hier 
der  evangelische  Prediger  Georg  Tranovsk^  (1591 — 1637), 
von  Geburt  Schlesien  seine  „Cithara  Sanctorum  neb  Zalmj 
a,  pisne  duchoYDi  stare  i  nove  u.  s.  w."  (Liptau  1635)  wnrde 
ah  kirchliches  Cancional  nicht  nur  bei  den  Slovaken,  soudem 
auch  bei  den  Evangelischen  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien 
angenommen  und  ist  zum  Theil  noch  bis  heute  ein  Kirchen' 
buch  der  slovakischen  Protestanten  geblieben.  In  der  „Citbara" 
■waren  einige  Dutzend  aus  dem  Deutschen  übersetzte  Lieder,  150 
von  Tranovsk^  eelbst  geschriebene  oder  verbesserte.  Nach  der 
Bibel  war  dies  das  verbreitetste  Buch:  von  1635  an  hatte  es 
gegen  zwanzig  Auflagen,  welche  beständig  die  erste  Sammlung 
vermehrten.  Vor  Tranovsky  sind  als  Verfasser  von  Kirchen- 
liedern bekannt:  Elias  Läni  (1570 — 1618),  evangelischer 
Superintendent,  welcher  seine  Kirche  eifrig  gegen  Päzmany  nnd 
die  Jesuiten  vertheidigte ;  später:  Joachim  Kaiinka  (1602— 
78,  von  Ruiemberg,  gest.  in  der  Verbannung  in  Sachsen)  u.a. 
Stephan  Pilarik  (gest.  1678),  Vorsteher  einiger  Brüderschaften 
und  später  Aeltester,  der  um  seiner  Religion  vrillen  viele  Ver- 
folgungen und  allerhand  Ungemach  in  der  Gebogenschaft  bei 
den  Türken  zu  erdulden  hatte,  beschrieb  unter  anderm  in  Veisen 
seine  Abenteuer:  „Sors  Pilarikiana."  '  Ferner  Daniel  HorÄiCka 
(Sinapius),  evangelischer  Prediger  und  fruchtbarer  Schriftsteller 
auf  dem  Felde  der  religiös-erbaulichen  Literatur,  in  der  zweiteo 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts;  im  Jahre  1673  ans  der  Heimat  durch 
religiöse  Verfolgung  vertrieben,  brachte  er  zehn  Jahre  in  Schle- 
sien und  Polen  zu  und  fasste  zuerst  unter  den  Slovaken  den  Ge- 
.  danken  von  der  Nothwendigkeit,  die  eigene  Sprache  zu  bearbeiten, 
von  der  grossen  slavischen  Völkerfamilie,  von  der  Nothwendigkeit, 
die  eigene  Nationalität  zu  erhalten  u.  s,  w.  Von  seinen  Werken 
ist  besonders  interessant  „Neoforum  Latino-Slovenicum",  1678, 
wo  sich  dreissig  Dekurien  slovakischer  Nationalspricbwörter  finden 
und  ein  Vorwort,  worin  seine  Gedanken  über  den  Werth  der  al»- 
vischen  Nationalität  dargelegt  sind. 

Gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  verfallt  die  Bildung  und 
Literatur  unter  den  ungünstigen  politischen  Verhältnissen,  und 


'  In  SiUein,  1666;  EWeite  Autgabe:  „PonauSnä  pHhodj  eto."  Ton  Bolin- 
Blav-Tablio  (äkalik  ia04). 


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Die  ältere  Zeft.  309 

belebt  sich  wieder  vom  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  an,  dank 
einigen  gelehrten  SchriftgtellerD,  welche  derselben  ihre  Anstren- 
gungen widmen.  Dahin  gehört  Matthias  Bei  (Belius,  1684 — 
1749),  eine  der  hedeutendsten  Persönlichkeiten  in  der  Ge- 
scbichte  der  slovakischen  Bildung  und  zugleich  „magnnm  decus 
Unngariae".  Er  besuchte  anfangs  Landesschulen  und  studirte 
dann  in  Halle;  nach  Hause  zurückgekehrt,  war  er  zuerst  Rector 
des  Gymnasiums  zu  Neusohl,  dann  des  Lyceums  in  Presshni^ 
(hier  auch  evangelischer  Frediger)  und  gab  diesen  Anstalten 
ein  grosses  Ansehen.  Er  war  ein  grosser  Gelehrter,  Kenner 
der  lateinischen,  deutschen,  ^echischen  und  angarischen  Sprache 
und  er  erlangte  seinen  Hauptmbm  durch  lateinische  Werke 
über  Geschichte  und  Geographie  Ungarns. '  Dabei  schätzte 
er  zugleich  seine  Öechisch  -  slovakische  Sprache  hoch  und  sein 
Hauptwerk  in  dieser  Beziehung  war  die  Revision  der  ßrüder- 
Bibel  im  Verein  mit  Daniel  Krman  (Ausgaben:  Halle  1722, 
1745,  1766);  er  übersetzte  auch  das  berühmte  Buch  von  Joh. 
Arndt,  „lieber  das  wahre  Christentbum"  u.  s.  w.  Sein  Mitarbeiter, 
Daniel  Krman  (1663  — 1740),  studirte  ebenfalls  im  Auslände 
und  war  Superintendent  in  Schemnitz:  er  war  lateinischer  Schrift- 
steller und  äechisch-alovakischer  Dichter  in  metrischer  Form. 
Wie  Bei,  wendete  sich  auch  er  der  slavischen  Vergangenheit  zu 
und  wies  auf  die  Stammeseinbeit  der  Slaven  hin.  *  Er  starb  im 
Gefängniss  zu  Presshui^,  nach  neunjähriger  Haft,  Femer  ist  in 
der  Reihe  der  ^echisch-slovakiscben  Patrioten  und  Schriftsteller 
Samuel  HruSkovic  (geh.  zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  gest. 
1748)  zu  nennen:  er  studirte  in  Wittenberg  und  war  evangelischer 
Prediger  und  Superintendent;  in  der  Literatur  gilt  als  sein  Ver- 
dienst die  neue  Ausgabe  von  Tranovsk^'s  „Cithara",  vermehrt 
auf  tausend  Lieder,  darunter  von  HmSkovic  selbst  verfasste. 
Wir  nennen  endlich  Paul  Dolesial,  welcher  in  der  Mitte  des 
18-  Jahrhunderts  wirkte:  er  war  Verfasser  einiger  lateinischer 
grammatischer  Werke  über  die   böhmische  Sprache,   besonders 


'  ,3oi)K^B6  antiquae  et  novae  prodromns"  (Noritnb.  17S3,  fol-);  „Vo- 
titia  Hnngariae  novae  bistorico -geographica"  (1736—42.  4  Bde.  and  der 
Anfang  des  5.)  etc.  Auseerdem  viele  Lehrbücher  für  die  damalige  latei- 
nisohe  Sohnle  und  erbanliohe  BücheT. 

'In  HandBchrift  iat  unter  andenn  ein  Werk  Krmao's  erhalten:  „De 
Slavomin  origine,  disBertatio  de  ruderibas  hiatoriarum  eruta". 


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310  Fünftea  KapiteL    IL    Die  Slovaken. 

„Grammatica  Slavico-bohemica"  (1746,  mit  einem  Vorwort  von 
Bei),  der  auch  eine  Sammlang  elovakischer  Sprichwörter  beigefögt 
ist,  —  und  einiger  ^Verbe  in  fiechischer  Sprache. 

Die  eben  angeführte  literarische  Thätigkeit  kann,  wie  he* 
merkt,  als  eine  Fortsetzang  der  ^echischen  HusEdten-  und  Brüder- 
literatur  gelten;  —  sie  redete  auch  die  Sprache  der  letztem. 
In  ihr  reflectirt  eich  auch  die  damalige  Gelehrsamkeit,  beson- 
ders die  deutsche,  welche  die  sloTakischen  Protestanten  direct 
auf  den  deutschen  protestantischen  Universitäten  schöpften;  in 
der  Religion  setzt  sich  der  öechisch -deutsche  Pietismus  fort. 
Beides  wirkte  in  jedem  Falle  woblthätig,  indem  es  höhere  sitt- 
liche Forderungen  einflösste,  welche  die  slovakischen  Schriftsteller 
direct  zum  nationalen  Selbstbewusstsein  föhrten.  Leider  war 
ihre  Wirksamkeit  durch  die  politische  Schwäche  des  slovakischen 
Protestantismus  äusserst  erschwert:  B^l,  Krman,  Hruskovic  und 
viele  andere  mussten  religiöse  Bedrückungen  erdulden.  Die 
Poesie  jener  Zeit  trägt  auch  den  Stempel  derselben:  sie  besteht 
in  der  protestantisch-kirchlichen  Dichtkunst  der  Cancionale  nnd 
Gesangbücher;  das  religiöse  Gefühl  war  ohne  Zweifel  auftichtig, 
aber  in  den  geistlichen  Liedern  herrschte  der  Mysticismus  vor, 
ausgedruckt  in  prosaischen  Vei-sen. 

Gegen  Ende  des  18-  Jahrhunderts  besserte  sich  die  Lage 
der  Dinge.  Die  literarische  und  gelehrte  Thätigkeit  vollzog  ucfa, 
wie  wir  sahen,  fast  ausschliesslich  im  Kreise  der  protestantischeD 
Geistlichkeit,  und  eben  für  diese  öffnete  eich  mehr  Spielranm, 
als  eine  grössere  Bekenntnissfreiheit  eintrat,  die  besonders  durch 
das  Patent  Joseph's  II.  proclamirt  wurde.  Aus  der  Zahl  der  ge- 
lehrten und  geistlichen  Schriftsteller  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  mögen  genannt  sein:  M.  Holko  (1819—1785)' 
ein  fieissiger  Historiker,  der  einige  lateinische  Werke  in  Hand- 
schrift hinterlassen  hat,  auch  Volkslieder  sammelte,  die  später 
in  die  Sammlung  Eollär's  gelaugten ;  sein  Sohn  war  ebenfalk  eis 
gelehrter  Schriftsteller,  Begründer  der  Bibliothek  zu  Kis-Hont, 
bei  der  sich  auch  eine  gelehrte  Gesellschaft  bildete.  *  Lftdislavs 
Bartholomaeides  (1754 — 1825),  Rector  einer  Schule,  dannevan- 


'  ErodiU  sooieta«  Kie-Honteneis,  welche  eine  SMOmlniig  ihrer  Arbeiten 
herausgab:  Solemnia  Bibliothecae  Kts-Hontensis,  wobei  sn<di  einige  !Mh<^ 
BloTftkiaohe  Werke    abgedniokt  waren.    Vgl.  Kollär,   N4r.  Zpiew.  I,  Vor- 


.....Gooj^lc 


Die  ältere  Zeit.  Sil 

gelischer  Geistlicher,  welcher  lateinische,  deutsche  und  &echo- 
sloYakische  Bücher  schrieb,  sittlich-belehrenden  Inhalte,  insbe- 
sondere lateinische,  der  Beschreibang  (Ingarns  gewidmete  Werke, 
vrelcbe  eine  wichtige  Quelle  bilden.  Michael  Institoris  Mo- 
soTsk^  (1733 — 1803),  einer  der  eürigsteu  Förderer  des  slova- 
kischen  Protestantismus  und  der  Bildung,  Verfasser  von  Predigten, 
geistlichen  Liedern  u.  s.  w.  in  Cecho-slovakischer  Sprache.  Michael 
äemian  (1741 — 1810),  der  zu  Hause  und  an  den  deutschen  Uni- 
Tersitäten  Halle  und  Jena  studirte,  Prediger  und  Verfasser  geist- 
licher Lieder,  einer  kurzen  Geschichte  Ungarns;  er  veranstaltete 
auch  eine  neue  revidirte  Ausgabe  der  Brüder  -  Bibel ,  1787. 
Andreas  Plachy  (1755—1810),  ebenfalls  Prediger,  Dichter 
geistlicher  Lieder  und  auch  Herausgeber  eines  wissenschaftlich- 
literariscben  Sammelwerks  „Stare  Noviny"  („Alte  Neuigkeiten", 
Altsohl,  1755—86).  Stephan  Leska  (1757— 1818),  Prediger  und 
Snperintendent,  geistlicher  und  weltlicher  Dichter  und  slova- 
kiecher  Patriot,  der  schon  in  Beziehungen  zu  Dobrovsk^,  Jung- 
mann  und  andern  Förderern  der  (Sechischen  RenaisBance  stand; 
unter  anderm  stellte  er  eine  Sammlung  von  Wörtern  zusammen, 
welche  von  den  Magyaren  aus  der  slavischeu  und  andern  Spra- 
chen entlehnt  sind.'  Georg  Bibay  oder  Rybay  (1754 — 1812), 
evangelischer  Prediger,  der  in  Jena  studirte  und  eine  grosse 
cechisch-slovakische  Bibliothek  sammelte;  er  arbeitete  viel  an 
der  Öechischen  und  slovakischen  Sprache,  aber  seine  Arbeiten 
Illieben  im  Manuscript. 

Sonach  gesellen  sieb  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhun- 
derts dem  frühern,  fast  nur  protestantisch -pietistischen  Inhalt 
der  Literatur  immer  mehr  wissenschaftliche  Interessen  zu  —  die 
Erforschung  des  eigenen  Landes,  der  Geschichte  und  die  Hin- 
wendung zur  gesammtstavischen  WurzeL  Auf  diesem  Wege  be- 
gegnen sich  die  slovakischen  Arbeiter  mit  der  öechischen  Re- 
naissance und  treten  sogar  in  directe,  persönliche  Verbindung  mit 
derselben. 

Aber  ehe  wir  zu  diesen  neuen  Beziehungen  übergehen,  müssen 
wir  einer  andern  Seite  des  literarischen  Lebens  bei  den  Slovaken 
gedenken,  nämlich  der  Thätigkeit  der  slovakischen  Katholiken.^ 


i  ElenchuB  vocabnlomm  Europeornm  inprimis  SUviconimM&gju'ici  osub 
(Pest  182Ö). 

'  Wir  bringen  die  Zahl  der  Slovaken  nach  den  GlaubensbekenntniBBen  io 


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312  Fünftes  Kapitel.    II.   Die  Slovaken. 

Was  wir  bisher  bespracheu,  war  das  Werk  der  evangeliecben 
Slovaken  und  bezog  sich  Dicht  auf  die  Katholiken.  Bei  den  letz- 
tem trat  eine  eigene  Literatur  auf,  geformt  nach  andern  Hh' 
Btem  —  denen  katholischer  Frömmelei.  Zu  Tymau,  dem  Cen- 
trum der  katholischen  imd  jesuitischen  Propaganda,  erschienen 
Schriften,  wie  „Der  Seraphinische  Schatz"  („Serafinsk4  poklad- 
nice"),  „Die  goldene  Qnelle  des  ewigen  Lebens"  {„Zlaty  pramen 
etc.")  (zu  Ende  des  17.  Jahrhunderts)  n.  s.  w.  Die  katholischen 
Bücher  begannen  sich  von  den  protestantischen  auch  in  der 
Sprache  zu  unterscheiden.  Den  Katholiken  galt  für  häretisch, 
„hussitiscb",  diejenige  (echische  Sprache,  welche  damals  die 
Schriftsteller  unter  den  protestantischen  Slovaken  allgemein 
angenommen  hatten;  deshalb  beschlossen  die  Katholiken  für 
ihre  Bücher  den  Localdialekt  anzuwenden.  >  Man  begann  mit 
einer  willkürlichen  Mischung  (echischer  und  slorakischer  Formen 
und  Wendungen  und  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  gab  der 
katholische  Slovak,  Alexander  Macsay,  seine  Predigten  schon 
in  ziemlich  reiner  slorakischer  Sprache  heraus.'  Nach  ihm 
dauerte  wieder  jene  Sprachverwirrung  fort,  welche  die  slovald- 
schen  Katholiken  TOn  den  Protestanten  trennen  sollte,  und  gegen 
Ende  des  Jahrhunderts  ward  diese  Trennung  schon  zu  einer 
auegeprägten  und  bewussten  Tendenz.  Dieselbe  befestigte  Jos. 
Ign.  Bajza  (1754 — 1836),    dessen  literarische  Thätigkeit  in  die 


Erinnernug.  ^aHk  zählt  im  ganzen  gegen  2,750000  Slovakeii,  davon  l,9fi0000 
Katholiken  aa<l  gegen  800000  Protestanten.  Czörnig  redacirt  (mit  Unrecht) 
die  ganze  Zahl  anf  1,780000.  Nach  den  „Statist.  Tabellen"  Kur  eUuu^;»- 
phiechen  Karte  de«  Peterab.  Slav.  ComiteB  gibt  es  im  ganzen  an  2,980000 
Slovaken,  wovon  an  1,580000  Katholiken  und  640000  Protestanten-  Swinek 
(Die  Slovaken,  2.  Aufl.,  S.  13)  zählt  im  ganzen  gegen  3  Millionen  SloTikes, 
davon  2Vi  Millionen  compacte  Bevölkerung,  aber  in  der  Zählung  nach  dem 
OlaubensbekenntnisB  (S.  S3]  findet  sich  irgendein  sonderbarer  Fehler. 

'  Es  ist  interessant  zu  vergleichen,  daas  zu  Anfang  der  Eecbtsohen 
RenaiBSanoe,  schon  in  unserm  Jahrhundert,  die  Cechisohen  Patrioten  die- 
selbe Frage:  „I>t  die  5echisohe  Sprache  hnssitiech?"  zu  stellen  nnd  äanat 
zu  antworten  hatten.  S.  die  Memoiren  Jungmann's  im  Cacopis,  18T1, 
B.  273. 

'  „Chleby  prvotin  neb  käzani  na  nedJle  cel6bo  roku"(,3rote  derEnt- 
linge  oder  Predigten  auf  die  Sonntage  des  ganzen  Jahres",  Tjmaa  1716)- 
Ueber  die  Sprache  dieser  Predigten  vergl.  Slovnik  Nsn^n^,  a.  v.  Beraottk; 
Pii,  in  Slav.  Sbomik,  1,119. 


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Der  Beginn  der  Spaltnog  mit  den  Öeohen.  313 

Jahre  1783— 1'?20  fällt';  Georg  Fandly  (Juro  F.),  auch  ein 
katholisclier  Priester,  welcher  Fredigten,  historische  UDd  wirth- 
schaftliche Bücher  a.  B.  V.  Bchneb^;  aber  vor  allen  Anton  Berno- 
läk  (1762 — 1813).  Er  war  katholischer  Priester  nnd  schrieb  in 
slovakischer  Sprache  nur  zwei,  drei  Werke,  hatte  aber  hauptsäch- 
liche durch  eine  Keibe  grammatiEcher  Arbeiten  Einfiuss^  welche 
die  sloTakiBche  Sprache  der  kathoÜBchen  Schriftsteller  regel- 
recht fiziren  sollten.  Er  rerfasste  auch  ein  grosses  slowakisches 
Wörterbuch,  das  erst  nach  seinem  Tode  herausgegeben  wurde. 
Die  Yon  ihm  auf  solche  Weise  festgestellte  und  mit  dem  Na- 
men Bernola^ina  bezeichnete  Schreibweise  war  eine  Zeit  lang 
sehr  verbreitet.  Diese  Bestrebungen,  eine  besondere  Literatur- 
sprache zu  schaffen,  begegneten  überhaupt  grosser  Unterstützung 
in  der  katholischen  Geistlichkeit;  die  Grammatik  Bernoläk's 
wurde  zur  Grundlage  genommen.  Im  Jahre  1793  bildete  sich 
zu  Tyrnau  ein  katholisch -literarischer  Verein  mit  dem  Zweck, 
Bücher  in  der  neuen  Sprache  herauszugeben,  deren  Kauf  für  die 
Mitglieder  des  Vereins  obligatorisch  war.  Im  Gegensatz  zu  ihm 
bildete  sich  zu  Pressburg  ein  Verein  von  Protestanten,  von  dem 
weiter  unten  die  Rede  sein  wird;  übrigens  zerfiel  der  Tyrnauer 
Verein  noch  vor  dem  Tode  Bernoläk's.  Aus  der  Zahl  der  ka- 
tholischen Geistlichen,  welche  den  Fnsstapfen  Bernoläk's  folgten, 
seien  noch  erwähnt  Adalbert  Anton  Gazda  (gest.  1817),  Franzis- 
kaoeTmÖnch  und  Prediger,  der  einige  Predigtsammlungen  heraus- 
gab*; der  Kanonikus  zu  Gran,  Georg  Palkovii  (1763 — 1835),  ein 
grosser  Protector  der  Anhänger  Bernoläk's,  der  ihre  Bücher  ber- 

>  Rene  mladenoa  prihodi  a  akuAenosti  (1T83);  Slovenskä  dvojuäsobnä 
epigTBiDat&  (SlovakiBche  dopp  eis  innige  Epigramme,  1794);  Vesele  üCinky  a 
reCeni  (Fröhliche  Thaten  und  Reden,  1795)  u.  b.  w. 

*  D&vemä  zmloava  mezi  mniohom  a  diablum  o  pi^^nich  potatkaoh  etc. 
reholiüiukich  („Yertraulichea  Gegpräch  zwischen  Mönch  und  Teufel  über  die 
ersten  Anfange  n.  ».  w.  der  Ordeueleute",  1789);  Z  JiHbo  Fapänka  HiBtorie 
gentia  Slavioae  vytab  („Anazug  aaa  Georg  Pap&nek'a  Historia  geutia  Slavicae", 
1795);  Frihoduä  a  sväteGn6  k&zne  („Gelege Dheita-  und  Feiertagspredigten", 
1795). 

•  Diaaertatio  philologico-eritica  de  literis  Slavorum  jPoBonii  1787;  und 
dabfii:  Linguae  alavicae  per  regnum  Hungariae  usitatae  orthographia);  £ty- 
mologia  vocum  alavicaniro  (1791);  Granimativa  alavioa  (1790,  dabei  eine 
Sammluug  von  Sprichwörtern,  aua  DoleJal  nnd  von  B.  selbst  gesammelt). 

'  FmctoB  maturi,  t.  j.  Zrale  ovoce  (179S);  Hortua  florum,  t.  j.  Zahrada 
kvetni  (1798)  u.  s.  w. 


.....Gooj^lc 


314  Fnuftes  Kapitel.    IL  Die  Slovakea. 

ausgab  uDd  selbst  eiae  Uebereetzung  der  Bibel  nach  derVulgata 
anfertigte';  Alexander  Radnay  (de  Rudna  a  Divek  UjEaln, 
1760  —  1831),  seit  1819  Füretpriiuas  von  Ungarn,  der  ebenfollB 
die  slovakische  Nationalität  beschützte  und  Predigten  in  slova- 
kischer  Sprache  schrieb;  unter  seiner  Mitwirkung  wurde  das 
wichtigste  Werk  von  Bemoläk  herausgegeben,  das  nicht  bei 
Lebzeiten  des  Verfassers  gedruckte  slovakische  Wörterbuch.' 
Aber  der  bedeutendste  katholische  Schriftsteller,  der  schon  als 
ein  Ruhm  des  ganzen  Volkes  gilt,  war  Johann  Holl^  (1785— 
1849).  Er  besuchte  die  katholische  geistliche  Schule  und  beendete 
seine  theologischen  Studien  in  Tjmau;  1808  wurde  er  Priester 
und  verbrachte  einen  grossen  Theil  seines  Lebens  in  Hadunic« 
an  der  Waag,  wo  er  sich  buchstäblich  im  Schose  der  Natur, 
unter  einer  Ungeheuern  Eiche  im  benachbarten  Hain,  seinen 
Phantasien  und  der  Poesie  hingab.  Die  Reibe  seiner  Werke  be- 
ginnt mit  einer  kleinen  Sammlung  von  Uebersetzungen  aus  clas- 
siscben  Dichtem  und  mit  einer  Uebersetzung  von  Virgil's  Aeneide.' 
Im  Jahre  1833  erschien  sein  erstes  selbständiges  und  hauptsäch- 
lichstes Werk  —  die  heroische  Dichtung  „Svatopluk"  (,^.,  wi- 
Cazskä  Basen  w  dwanästi  Spewoch").  Im  Jahre  1835  fo^te  eine 
epische  Dichtung  in  sechs  Gesängen,  „Cyrillo-Methodiada". 
Einzelne  Dichtungen  HoUy'S  wurden  im  Almanacb  „Zora",  wel- 
cher vom  Jahre  1835  an  erschien,  gedruckt.  Im  Jahre  1841 — 12 
erschien  eine  vollständige  Sammlung  seiner  Werke,  herausgegeben 
von  einem  damals  in  Pest  wirksamen  Kreise  von  Liebhabern^; 


'  Svatä  piemo  Btar^ho  i  Dovebo  zakona,  podlft  obeonebo  latinakSho,  od 
HV.  Bimako-Katoliobej  cirkvi  potvrd'enebo  b  prirovninim  grtmtovnilio  tekatu 
(I,  Gran   1829;  II,  183?). 

'  Slovar  Slovensky,  Cesko-Latinsko-Kßmeeko-UherskJ:  Ben  lifliioon 
Slavicum  Bohemico-Latino-Germanioo-Ungarionm  autore  Ant.  Bernolü, 
nobili  PftiinoDio  SaUniczeDsi  |Budae  1825—27,  6  Bände). 

'  „HoüliEne  Bäafie  Herdineke,  ii^legiacke  a  Liricke  t  Wirgili»,  TeokriU, 
Horoera,  Owidia,  Tirtea  aRoraoa"  („VerBuhiedene  Gedichte,  epische,  lyriMbe 
aus  Virgil  etc.",  Tyrnau  1824);  „Virgiliova  Eneida"  („VirgU'a  Aeneis",  Tf 
nau  18:J8)  —  beide  Bücher  in  Bchwabaeher  Schrift  gedruckt,  wie  auch  die 
folgende  Dichtung.  Sie  alle  wurden  auf  Kechnang  eines  „gewiteen  Frenn- 
tles  der  Bluvakisoben  Literatur"  herausgegeben.  Es  war  dies  der  KiDDuikag 
Ueoi-g  Falko  Vit. 

<  Basfie  Gana  Holleho.  Widane  od  Spolka  MUow&ikow  ReCi  a  Liten- 
luri  Ölowenskeg,  TVe  itirooh  zwazkocb  (Pest  1841  —  42.  Mit  einer  Bio- 
graphie des  Schriftstellers). 


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Joli.  Holiy.  315 

darin  wurde  auch  der  metrische  „Katolicki  Spewnik"  („Katholi- 
sches Liederhuch"),  der  zu  gleicher  Zeit  auch  besonders  heraus- 
kam, aufgenommen.  Im  Jahre  1846  erschien  von  ihm  eine 
zweite  Sammlung  gereimter  geistlicher  Lieder.  1S63  kam  eine 
Sammlung  ausgewählter  Werke  HoU^'s  heraus,  die  von  J.  Vik- 
torin Teraostaltet  und  dem  „Andenken  der  1863  vollzogenen 
tausendjährigen  Jubelfeier  der  glücklichen  Ankunft  Cyrill's  und 
Method's  in  den  slovakischen  Ländern"  gewidmet  war.' 

Jobann  Holl^,  der  bekannteste  Name  der  slovakischen 
Poesie,  ist  eine  sehr  charakteristische  Persönlichkeit  der  sla- 
viscben  Renaissance.  Sein  ganzes  Leben  brachte  er  in  der 
stillen  Umgebung  seiner  bescheidenen  Landpfarre  zu;  aus  der 
Mitte  des  Volkes  hervorgegangen,  verliess  er  niemals  sein 
Land;  er  hatte  keine  andere  literarische  Bildung  als  diejenige, 
welche  die  geistliche  scholastische  Schule  bot,  —  daraus  erklärt 
sich  die  Manier  seiner  Poesie.  Seine  Stellung  als  katholischer 
Priester  gab  ihm  geistliche  Lieder  ein;  aber  danach  herrscht 
in  seiner  Poesie  das  Gefühl  der  Kationalität  vor,  in  der  Gestalt 
jenes  phantastischen  national-slavischen  Patriotismus,  den  wir  in 
der  neuem  öechischen  Literatur  besprachen  und  dessen  höcli- 
ster  Ausdruck  die  „Slavy  dcera"  war.  Für  Holly  war  diese 
„Släva",  die  fingirte  Mutter  des  gesammten  Slaventhums,  fast 
ein  reales  Wesen  und  keine  romantische  Abstraction;  seine  Poesie 
ging  nicht  aus  dem  idealen  Kreis  dieser  „SMva"  heraus  und 
war  fast  ausachliesslich  gerade  auf  die  ersten  Jahrhunderte  des 
Slaventhums  gerichtet,  welche  dabei  zugleich  die  ersten  Jahr- 
hunderte seiner  Heimat  waren,  die  einzigen  ihrer  nationalen 
Selbständigkeit,  Sein  Land  gilt  ihm  für  den  Mittelpunkt  des 
Slaventhums  und  seine  Landsleute  für  dessen  reinste  Vertreter. 
£r  blieb  denn  auch  in  diesem  Kreise:  die  zeitgenössischen  Bestre- 
bungen, Sorgen  und  Leiden  des  Slaventhums  ezistiren  gewisser- 
maesen  für  ihu  nicht;  sein  slavischer  Patriotismus  spricht  sich, 
wie  bei  Eollär,  in  Reminiscenzen  aus,  in  der  Personi£cirung  der 
„Sl&va"  —  der  Mutter,  welche  über  den  Untergang  ihrer  Söhne 
weint  Solcher  Art  ist  z.  B.  die  „Trauer  der  Mutter  Släva" 
(„Pläß  Matky  SUvy")-.  Die  Mutter  Släva  klagt  über  den  Verlust 
ihrer  zahlreichen  Kinder,  welche  nicht  nur  die  Gebiete  des  Bal- 
tischen Küstenlandes  besetzten,  wo  sie  von   den  Deutschen  ver- 


>  Jana  Holläho  Spisy  bianiokä.    So  Üvotopisom  u.  s.  w.  (Peet  1863). 


816  Fönfteg  Kapitel.    11.  Die  Slovaken, 

schlungen  wurden,  Bondem  auch  (nach  der  etwas  problematischen 
Uebei-zeugung  patriotischer  Alterthumsforscher  jener  Zeit)  das 
Rheingebiet,  Belgien  und  Britannien.  Die  Mutter  Släva  denkt 
an  die  für  sie  fröhlichen  Zeiten  jener  Fülle  ihrer  Söhne  nnd 
weint  über  ihr  folgendes  Schicksal,  —  aber  aie  kennt  die  Ur- 
sache dieses  Schicksals:  sie  gingen  unter,  weil  sie  gutherzig, 
friedlich,  gerecht  waren,  weil  sie  nicht  Kampf  und  Gewaltthat 
liebten.  Das  Leben  der  alten  Slaven  stellte  sich  dem  Dichter 
als  ein  friedliches  Idyll  dar;  sie  waren  bedrängt,  weil  ihre 
Feinde  schliniine  Gewaltmenschen  waren.  .  .  .  Dieser  Inhalt 
mag  als  zu  naiv  erscheinen;  aber  damals  liebte  man  es  im  west- 
lichen Slaventhum,  sich  diese  Idylle  vorzumalen:  die  neu  begon- 
nene nationale  Poesie  wandte  sich  an  ein  Publikum,  welches 
kaum  der  Naivetät  der  Volksmasse  entwachsen  war,  nnd  war 
ihm  Terständlich ;  in  dieser  naiven  Poesie  tönte  aufrichtige  Liebe 
zu  allem  Volksthümlichen ,  zur  Einfachheit  und  Gerechtigkeit 
durch.  Die  Form  der  Poesie  HoU^'s  war  die  Frucht  seiner  Bil- 
dung: in  den  Classikem  erzogen,  nahm  er  in  Bausch  und  Bogen 
die  Form  der  classischen  Epopöe  Homer^s,  Virgil's  und  die 
Klopstock's  an:  er  schrieb  seine  Dichtungen  in  „Gesängen",  sein 
Vers  war  der  Hexameter  nnd  Pentameter  und  vereinzelt  —  an- 
dere classiscbe  Metra.'  Aber  so  gekünstelt  und  in  der  Form 
verfehlt  auch  die  Poesie  Holl^'s  war,  sie  wurde  zu  einem  cul- 
tarhistorischen  Factum  als  eine  Aeusserung  des  allgemeinen  naä 
localen  slavischen  Patriotismus:  sie  wurde  gleichmäseig  von  bei- 
den Parteien  der  slovakischen  Patrioten  anerkannt,  den  Katho- 
liken und  Protestanten:  Holly  wurde  ein  nationaler  Dichter. 

Wir  kehren  zur  protestantischen  Seite  zurück.  Die  Rich- 
tung Bernoläk's  hatte,  wie  wir  gesehen  haben,  specifisch -katho- 
lische Charakterzüge:  sie  erkannte  für  die  Slovaken  die  fechiscbe 
Literatursprache  nicht  an,  mit  der  sich  die  Traditionen  desHas- 
sitenthums    und    Protestantismus    verknüpften    und    fortsetzten. 


'  Die  LnndBleate  des  Dichters  finden ,  daas  Holl^  „Klopttock  äberinß 
Kowol  im  Inhalt  seiner  Gudichte  als  auch  in  der  Form  denelben,  indein 
er  iich  in  dieser  Bczieliuug  Yirgil  nähere,  zuweilen  sogar  Hone'* 
(Sliiv.  Shornik,  I,  138).  Diese  raralleÜairung,  weither  dann  weiterhin 
ilureh  Vergleichungen  hewieaen  wird,  bringt  freilich  in  sonderbar«  Weiw 
Dinge  zusamnien,  denen  nichts  weiter  gemeiDsam  ist  als  die  entlebnl« 
Anssenseite. 


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Boh,  Tsblio.  317 

Wie  man  von  katholiBcher  Seite  die  Schreibweise  Bernoldk'e  zu 
verbreiten  wünschte,  so  bestanden  die  protestantischen  Slovaken 
aaf  der  Aufrecfaterhaltuug  der  £echischen  Ueberlieferung.  Es 
bildeten  sich  zwei  bestimmte  Parteien.  Die  Protestanten  be- 
fürchteten, dass  die  Trennung  in  der  Literatur  für  beide  Seiten 
eine  schädliche  Schwächung  der  nationalen  Einheit  sein  werde, 
imd  traten  ihrerseits  zu  einer  „Gesellschaft  der  5echo-slovaki- 
schen  Literatur  und  Sprache"  in  Pest  zusammen,  mit  der  Ab- 
sicht, die  Reinheit  und  Einheit  der  (echo-slovakischen  Literatur- 
sprache zu  bewahren  und  Volksbücher  herauszugeben.  Dies  war 
im  Jahre  1801:  die  Haupturheber  der  Sache  waren  Tablic,  Ha- 
maljar,  Bartbolomaeides ,  Godra  und  andere.  Die  Gesellschaft 
hielt  sich  nicht  lange  infolge  der  damaligen  unruhigen  Verhält- 
nisse sowie  auch  persönlicher  Zwiste,  aber  das  Resultat  ihrer 
Bemühungen  war  die  Gründung  eines  Lehrstuhls  der  ^echo-slo- 
vakisf^en  Sprache  am  Lyceum  zu  Pressburg,  der  dann  eine 
Stütze  der  slovakiBchen  Literatur  wurde.  Im  Jahre  18J2  grün- 
deten einige  Patrioten  (derselbe  Tablic,  Loviö,  Rybay,  Szeberinyi) 
eine  zweite  literarische  Gesellschaft  —  „Der  Bergstädte",  mit  den 
frühem  Zielen;  auch  sie  bestand  nicht  lange,  gab  einige  Bücher 
heraus  und  gründete  einen  Lehrstuhl  der  ^echo-slovakischen 
Sprache  zu  Schemnitz.  Den  Lehrstuhl  zu  Pressburg  nahm  1803 
eip  später  bekannter  Förderer  der  (echo-slovakischen  Literatur, 
eiD  (zweiter)  Georg  Palkoviö  ein. 

Bohuslav  Tablic  (1769—1832),  evangelischer  Prediger,  stu- 
dirte  an  LaudesBchulen ,  dann  in  Jena.  £r  war  einer  der  thä- 
tigsten  Schriftsteller  bei  den  Slovaken  in  öechischer  Sprache. 
Ausiier  moralischen,  kirchlichen  wie  auch  dem  Volke  praktisch 
nützlichen  Schriften  waren  seine  Hauptwerke:  „Poezie"  (Waitzen 
1806 — 12,  vier  Theile)  —  eine  Sammlung  von  Gedichten;  diese 
aiod  schlecht,  aber  das  Buch  hat  grossen  Werth  wegen  seiner 
Beilagen,  welche  Nachrichten  über  slovakische  Schriftsteller  vom 
16-  Jahrhundert  bis  zu  Anfang  des  19.  enthalten';  eine  eben- 
solche literarhistorische  Bedeutung  haben  die  „Slovensti  VerSovci" 
(„Slovakische  Dichter",  Skalitz  1805,  Waitzen  1809,  zwei  Theile), 
eine  kleine  Sammlung  aus  den  Werken  alter  slovakischer  Schrift- 


'  „Erinnerungeii  dn  die  iecho-slovakiachen  Dicliter,  welche  ia  Ungarn 
geboren  wurden  oder  wenigstens  dort  lebten"  („Pameti  öeBkoBlovanBkych 
bÄamtftv  äto.'*) 

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318  Fünftes  Kapitel.    II.  Die  Slov&ken. 

steller.    Später  gab  Tablic   auch  eine  Uebersetzung  von  Pope's 
„Versuch  über  den  Menschen"  und  Boilean's  „Poetik"  herauB. 

Tablic  faad  eine  Stelle  in  der  Dichtung  Eollär's  (Sl^v;  Dcen, 
Lethe,  die  Sooette  48  —  49,  der  ganzen  Folge  Sonette  435 — 436): 
Koll&r  verurtbeilt  ihn ,  dasa  er,  obgleich  ein  reicher  Mann ,  nichts  l%r 
die  BDdung  aeinea  Volkes  renuacht  habe.  In  den  Comnientaren  za 
Beiner  Dichtung  erklärt  Kollär  diese  Verurtheilung  und  bemerkt:  „Tablic 
war  6in  grosser  Freund  des  Yolkea,  aber  —  auch  des  Geldes.  Wemi 
jemand,  so  konnte  er  ein  ewiges  Andenken  bei  den  Slovaken  uai  Cecben 
hinter! aa Ben."  Das  Vennägen  Tablic's  ging  in  die  Hände  seiner  magya- 
riadien  Verwandten  aber;  in  ebendiesen  Uändea  soll  auch  seine  grosse 
cecho-sloTakiscbe  Bibliothek  untergegangen  sein.  Vergl.  Hnrban,  Po- 
hl'adi,  I,  92—95. 

Georg  Palkovifi  (1769 — 1850;  zu  unterscheiden  von  dem 
oben  genannten  Kanonikus  Palkovif),  ein  protestantischer 
Slovak,  studirte  an  den  Landesscholen ,  dann  in  Jena;  nach 
Hause  zurückgekehrt,  wurde  er  Lehrer  und  erhielt,  wie  oben 
erwähnt,  im  Jahre  1803,  den  zu  Pressbui^  errichteten  Lehr^ 
etuhl  der  Öecho-slovakischen  Sprache  und  Literatur.  Diesen 
Lehrstuhl  hatte  FalkofiÖ  bis  1837  inne,  wo  er  ihn  zeitweiUg 
an  Stör  abtrat  —  und  er  trug  nicht  wenig  zur  Ansbreitung 
der  elavischen  Studien  in  jener  ersten  Zeit  der  „Renaissance" 
bei.  Er  schiieb  sehr  viel  (unter  anderm  belehrende  und  prak- 
tisch nützliche  Bücher  für  das  Volk)  und  war  der  eifrigste  Ver- 
theidiger  der  fiechischen  Ueberlieferung,  —  bis  zu  dem  Grade, 
dass  er  mit  den  Cechen  selbst  hartnäckig  stritt,  indem  er  die 
Reinheit  der  altÖechischen  Sprache  gegen  jede  sie  störende 
Neuerung  vertheidigte.  Die  Norm  für  PalkoTi6  war  die  Sprache 
Veleslavin's,  und  er  trat  im  Verein  mit  den  Cechen  Hnßykorek^ 
und  Nejedl^  gegen  die  neue  Schule  in  die  Schranken,  welche 
Neuerungen  in  der  Sprache  und  Rechtschreibung  einführte,  — 
insbesondere  gegen  Jungmann.  In  der  Folge  vereinte  sich  jedoch 
Palkoviö  mit  den  Cechen  der  neuen  Schule,  um  gegen  die  Be- 
strebungen, eine  besondere  slovakische  Literatur  zu  gründen, 
aufzutreten.  Am  bekanntesten  sind  seine  folgenden  Werke:  ,rDie 
Muse  von  den  slovakiscben  Bergen"  („Muza  ze  slovensk;^cb  bor", 
Waitzen  1801),  eine  Sammlung  von  Gedichten;  „Vaterlandskunde^ 
(„Znämost  vlasti  uherak^",  Fressburg  1804,  nur  der  1.  Theil) 
in  Versen;  1812  —  18  gab  er  den  „T^dennik"  („Wochenblatt"), 
ein  kleines  volksthümliches  Journal,  heraus;  1832— 47  ein  zweites 

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§s£iJrik.    KoU&r.  319 

Journal  —  „Tatranka",  eine  periodische  Schrift  Terschiedeoeii 
Inhalts  „für  Gelehrte,  Uebergelehrte  und  Ungelehrte",  an  der 
1840  Stür  und  Hurban  mitwirkten.  Im  Jahre  1808  gab  er  in 
neuer  Revision  die  fiecbische  Bibel  heraus.  Endlich  war  ein  sehr 
wichtiges  Werk  für  seine  Zeit  das  böhmisch-deutsch-lateinische 
Wörterbuch  mit  Hinzufügung  tob  mährischen  und  slovakiachen 
Idiotismen.  * 

Eine  besondere  Anregung  des  Nationalgefiihls  bei  den  Slo- 
vaken  wurde  durch  zwei  Schriftsteller  hervorgebracht,  welche, 
beide  Slovaken  von  Geburt,  damals  die  kräftigsten  Arbeiter  auf 
dem  Gebiete  der  ganzen  slavischen  Renaissance  wurden.  Dies 
waren  Kollar  und  SafaHk  (slovakisch:  Safarik).  Die  slovakischen 
Historiker  bemerken  nicht  ohne  Grund,  dass  zur  Entwickelung 
dieser  allgemeinen  nationalen  Richtung  bei  beiden  der  Einflns& 
jener  Reinheit  und  Unmittelbarkeit  gewirkt  habe,  in  der  sich  das 
slaviscbe  Element  in  ihrem  heimatlichen  Stamme  erhalten  hat. 
In  der  That,  die  Slovaken,  welche  seit  den  ältesten  Zeiten  ihre 
politische  Unabhängigkeit  verloren  hatten,  blieben  doch  in  einer 
vereinsamten  Lage,  bei  der  sich,  besonders  in  den  Gebirgsgegen- 
den, viele  Eigenschaften  des  Charakters  und  des  Lebens  unberührt 
von  dem  EinÖuss  fremder  Stämme,  der  besonders  bei  den  Oechen 
so  stark  in  die  Augen  fällt,  erhalten  konnten.  Die  Abwesenheit 
jedes  Gedankens  an  die  Möglichkeit  einer  gesonderten  politischen 
Existenz  bewirkte  es,  dass  sich  das  nationale  Streben  der  slova- 
kischen Patrioten  leicht  in  eine  Idealisimng  des  Slaventhums 
überhaupt  verwandelte:  sie  hatten  nicht  wie  andere  Stämme  eine 
Vergangenheit,  etwas  historisch  Denkwürdiges,  was  sie  vernünf- 
tigerweise hoffen  durften  zn  restauriren,  und  die  ganze  Glut  des 
nationalen  Gefühls,  welche  sich  bei  den  andern  eben  hierauf 
richtete,  wandte  sich  bei  ihnen  an  einen  idealen  Patriotismus, 
an  ein  gesammtslavisches  Vaterland,  an  den  Panslavismus  —  in 
dem  oder  jenem  Sinne  oder  Umfang.  Wir  erwähnten,  dass 
bei  den  slovakischen  Gelehrten  lange  vor  Beginn  der  eigent- 
lichen „Renaissance"  Ideen  dieser  Art  auftauchten.  Genau  so 
traten  in  neuerer  Zeit  die  charakteristischsten  Panslavisten  ge- 


'  Böhuiech- deutsch- lateiuBohes  Wörterbuch  mit  BeÜti^ng  der  äen 
Slovaken  uud  Mähreru  eigenen  Auedrücke  und  Redeuaarten  (Prag  182U; 
Freaaburg  1821,  2  Theüe).  —  Wir  verzeiobneo  noch  eine  deuteehe  Schrift: 
„Beetreitung  der  Neuerungen  ia  der  böhmischeo  Orthographie"  (1830). 

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320  Fanftes  KapiteL    11.  Die  Slovaken. 

rade  bei  den  Slovaken  anf:  Kollär,  dessen  „Sl&Ty  Dcera"  und 
„Slavische  WechBelBeitigkeit"  in  der  geBammten  elarischen  Welt 
widerhallten,  —  als  fast  die  einzige,  wahrhaft  geBammtslaviscbe, 
poetische  Kestauration  der  nationalen  Einheit;  Safafik,  der  in 
ebenso  gesammtslavischer  Weise  das  slavische  Alterthum  restau- 
rirte,  eine  Geschichte  der  elavischen  Literatur  sammelte  und 
die  Elavischen  Stämme  ethnographisch  zusammenzählte:  —  dahin 
gehört  auch,  etwas  später,  der  Panslavist  Ludevit  Stür,  von 
welchem  weiter  unten  die  Rede  sein  wird. 

Weder  Eoll&r  noch  Safarib  dachten  überhaupt  au  eine  be- 
sondere slovakische  Literatur;  dem  einen  wie  dem  andern  er- 
schien das  BlovakischotfflUt  nur  als  ein  Theil  des  Öechischen 
Stammes.  SafaHk  spricht  sich  in  den  Briefen  an  Eollar,  1821 — 
28,  mehrmals  gegen  eine  Absonderung  der  slovakischen  Literatur- 
sprache Ton  der  £echischen  aus^;  er  erinnert  an  die  enge  Ver- 
bindung der  Slovaken  mit  den  öecben  in  Religion  und  Sprache 
zu  den  Zeiten  des  Hussitenthoms,  —  ebendeswegen  hielten  sich 
die  evangelischen  Slovaken  bis  heute  noch  an  die  öechische 
Sprache,  und  die  Katholiken  verwürfen  sie^;  auch  er  zieht  die 
alten  Verbindungen  vor.  Eine  Absonderung  der  slovakischen 
Literatur  kam  ihm  schon  deshalb  nicht  in  den  Sinn,  weil  er 
überhaupt  sehr  dunkel  in  die  Zukunft  seines  Stammes  sah.* 
Nichtsdestoweniger  trugen  gerade  die  Arbeiten  Safafik's  und 
Eollär's  zu  den  separatistischen  Bestrebungen  der  slovaklBchen 
Patrioten  bei.    Sie  wirkten  nicht  blos  auf  das  gesammtslaviGche 


1  S.  „ÖMopis",  1873,  3.  121-132. 

'  „Im  16.  Jahrhundert  waren  bowoI  die  Cechen  als  niuere  Slovaken 
zugleich  neu-  oder  rechtgläubig.  Das  ist  ein  teures  Asdenkeiil  Ei  itt 
nicht  zu  verwundern,  daae  sich  auch  heute  noch  die  evangelischen  Slovakeo 
inr  Eechiscben  Sprache  halten,  die  Katholiken  sie  vemerfenl  Freilich  iat 
das  gediegene  Cechiach  ans  dem  16.  und  16.  Jahrh.  hoBsitisch-evangeliBch." 
Ebcnd,  S.  389. 

*  „Ich  habe  keinen  Grund",  sagt  er  in  einem  Briefe  vom  Jahre  1SS4, 
„vor  meinen  wahren  und  anfrichtigen  Freunden  zn  verheimlichen,  was  klar 
vor  meinen  Gedanken  und  meiner  Seele  eteht,  d.  i.  dass  ich  nicht  die  ge- 
ringste Hoffnung  habe,  es  werde  jemals  unter  untern  ungarischen  Slo- 
vaken besser  werden.  Meintm  Herzen  ist  ea  sehr  schmerzlich,  dass  ich 
diese  Oeberzeugung  durch  keine  Erwägung  widerlegen  kaunj  was  ich  auch 
in  Gedanken  dagegen  vorbringe,  alles  wendet  eich  zn  ihrer  BesUtigung- 
—  Wenn  ihr  anders  meint,  wohl  ench,  wohl  euch;  ich  kann  mich  leider 
niemals  mit  euch  in  diesem  Glttcke  vergleichen."    Ebend.  S.  388. 

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J.  Koll&r.    E.  Ktum&ny.  321 

Gefühl,  —  welches  besondere  die  Dichtung  KoUär's  weckte, 
Bondem  anch  aaf  den  slovakisclien  Localpatriotismus.  In  der 
ersten  Zeit  hegte  SafaHk  selbst  den  Gedanken  einer  grössern 
Besonderheit  seines  Stammes.  In  der  „Geschichte  der  slavi- 
echen  Literatur"  widmete  er  einen  besondem  Abschnitt  der 
Geschichte,  Sprache  und  Literatur  der  Slovaken;  ohne  für  sie 
eine  besondere  Literatur  zu  fordern,  verlangte  er  doch,  dass  in 
der  mit  den  Cechen  gemeinsamen  LiteraturspracLe  den  Eigeo- 
thümlichkeiten  des  slovakischen  Idioms  gebührende  Beachtung 
geschenkt  werde.*  Safarik  und  Kollär  kommt  auch  das  Haupt- 
Terdienst  in  der  ersten  Erforschung  des  slovakischen  Volksthums 
ZQ.  Oben  sagten  wir,  dass  eine  der  ersten  Arbeiten  Safarik's  zur 
Erforschung  des  Slaventhumg  eine  Ausgabe  slovakischer  Lieder 
war  (1823 — 27),  die  später  von  Kollär  neu  herausgegeben  und 
sehr  vennehrt  wurde  (1834—35). 

Im  Verein  mit  Safarik  und  KoU^  vrirkte  Karl  Eozminy 
(1806 — 66),  einer  der  verdientesten  slovakiBcben  Patrioten.  Nach- 
dem er  zu  Hause,  dann  an  deutschen  Universitäten  studirt,  war 
er  später  Professor  der  evangelischen  Theologie  an  der  wiener 
Universität  und  Superintendent  des  Pressburger  Kreises  und 
nahm  eifrigen  Antheil  an  den  politischen  Angelegenheiten  und 
der  Literatur  seines  Volkes.  Er  schrieb  viel  fiir  das  Volk  und 
gab  1836 — 38  in  decfaiscber  Sprache  zu  Neusohl  ein  kleines 
Journal  „Hronka"  heraus,  wo  unter  anderm  zum  ersten  mal  die 
Abhandlung  Eoll^'s  über  die  slaviscbe  literarische  Gegenseitig- 
keit erschien. 

In  den  dreissiger  Jahren  begann,  -wie  wir  oben  erwähnten, 
die  nationale  Bewegung  der  Magyaren  sich  besonders  zu  kräfti- 
gen, und  parallel  damit  taucht  die  nationale  Reaction  auf:  wie 
es  zu  jener  Zeit  bei  den  Berbo-Kroaten  geschah,  so  begann  jetzt 
eine  besondere  Bewegung  auch  in  der  slovakischen  Literatur. 
Die  nationalen  Theorien  der  „Renaissance"  waren  ihr  günstig. 
Nachdem  die  slovakischen  Patrioten  die  Vertbeidigung  der  natio- 
nalen Rechte  ihres  Volkes  übernommen,  begnügten  sie  sich 
schliesslich  nicht  mit  dem  iechischen  Slaventhum  ihrer  Literatur, 
and  begannen  auf  ihrem  specifisch  slovakischen  Charakter  zu 
bestehen,  —  wollten  nicht  „Cecho-Slovaken"  sein,  sondern  ein- 


'  S.  die  Vorrede  zu  „Pjeni  gwStBke"  („Weltliote  Lieder",  1828)  und 
„Ge«chichte  der  tlav.  Sprache  und  LiterBtnr",  S.  389—890. 

PiPiK,  BUTliohe  Lltsratuira.    11,3.  21  ,    .  , 

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322  FünftBH  Kapitel.    II.    Dia  SloVaken. 

facb  und  auBHchlieBslidi  Slovaken.  So  wurde  der  früher  von  ka- 
tholischer Seite  proclamirte  Separatismae  jetzt  auf  andern  Grund- 
lagen auch  TOD  den  Protestanten  verkündet. 

Anfangs  hielten  sich  die  protestantisch -slovakischen  Patrio- 
ten noch  an  den  ftüheru  iecho-sloTakischen  Boden  und  erst 
später,  als  die  Bewegung  selbst  stärkere  Wurzel  im  Fablikum 
zu  fassen  begann,  suchten  sie  für  dieselbe  auch  eine  rein  volks- 
thümli che  Form  zu  finden,  und  gelangten  zum  literarischen  Sepa- 
ratismus. 

Unter  dem  Einfluss  der  Anregung,  welche  die  Arbeiten  Kol- 
Mr's  und  SafarCk's  brachten,  begann  sich  in  der  jungen  Genera- 
tion der  Sloraken  Interesse  an  der  Erforschung  des  Slaveathums 
zu  entwickeln.  Mit  Ende  der  zwanziger  Jahre  bilden  sich  an 
den  Lyceen  und  Gymnasien  unter  der  Jugend  literarische  Ver- 
eine; der  hauptsächlich ste  war  der,  welcher  bei  dem  slaTischen 
Lehrstuhl  zu  Pressburg  errichtet  wurde;  andere  waren  in  Leut- 
Echau,  Eperies,  Käsmark  u.  a.  Jene  Pressburger  Gesellschaft 
hinterliess  insbesondere  ihre  Spur  in  der  Entwickelung  der  slo- 
vakischen  Literatur.  Die  Mitglieder  des  Vereins,  aus  der  akade- 
mischen Jugend  bestehend,  beschäftigten  sich  unter  Leitung  Pal- 
koTÜ's  nicht  nur  selbst  mit  dem  Studium  des  Slaventhums,  sondern 
bemühten  sich  auch  um  Eröflnung  anderer  solcher  Vereine  und 
unterhielten  mit  ihnen  Beziehungen.  Die  Verschiedenheit  des 
Bekenntnisses  trennte  schon  die  jonge  Generation  der  Patrioten 
nicht  mehr. 

Zu  derselben  Zeit  sammelte  das  Interesse  an  der  Literatar 
die  Slovaken  auch  ausserhalb  der  Schule  in  Vereine.  Dahin  ge- 
hört die  literarische  Gesellschaft,  welche  1834  zu  Pest  von  dem 
slovakischen  Patrioten  Martin  HamuljÄk  (1789  —  1859)  mr 
Ausbildung  der  slowakischen  Sprache  und  Literatur  gegründet 
wurde.  Der  Zweck  derselben  rief  grosse  Sympathie  in  der 
katholischen  Geistlichkeit  hervor;  an  ihr  nahmen  sogar  6i- 
-schöfe  theil,  —  obgleich  der  Protestant  Koll&r  Präsident  der 
Gesellschaft  war.  Dieselbe  gab  während  ihrer  zehnjährigen  Exi- 
stenz vier  Bände  des  Almanachs  „Zora"  (1835,  1836,  1839,  1840). 
eine  Sammlung  der  Werke  Holl^'s  u.  a.  heraus.  Mitarbeiter  ao 
der  „Zora"  waren  HoU^,  Hamiilj&k,  Godra,  Äello  u.a.*    Die 


■  Letzterer  gab  auoh  besouderB  vierBäbdcben  eigener  Oedichle  her«»: 
„B&«dS  od  Ladowjta  2ella"  (Peat  1642;  in  £echischer  Sprache).   &  irt  din 


LiterariHche  GeBellschaften.  323 

preasburger  Studenten  (Samo  Ghalüpka,  Ludevit  Stür,  M.  Hodäa, 
Groesmann  a.  a.)  gaben  auch  eine  Sammlung  eigener  Gedichte 
heraus:  „Früchte  des  GoetuB  der  Schüler  der  äecbo-slovakischen 
Sprache  in  Pressburg"  („Plody  etc.",  1836)  wieder  im  pansla- 
vistischen  Geiste  KolUr'B. 

Inzwischen  verdächtigten  die  Magyaren,  die  damals  hartnäckig 
ihre  eigene  Propaganda  führten,  die  sloTakische  Bewegung  und 
im  Jahre  1837  hob  die  Stattbalterei  die  studentischen  litera- 
rischen GeBellschaften  auf.  Sie  hörten  formell  auf  zu  beBtehen, 
aber  die  slovakische  Jugend  ging  auch  femer  in  dieser  Richtung 
vor,  geleitet  von  eifrigen  Patrioten.  In  Pressburg  wurde  1837 
zu  Palkovifi's  Adjunct  der  später  berühmte  Ludevit  Stur  er- 
nannt, der  zu  den  Hauptkräften  der  eben  aufgelösten  GeBell- 
schaft  gehört  hatte;  als  er  sich  1838  zur  Vervollständigung  seiner 
gelehrten  Bildung  nach  Halle  begab,  vertrat  ihn  zeitweilig,  1838 — 
39,  ein  anderer  Patriot,  Pravoslav  Öervenäk;  im  Jahre  1839  kam 
Star  zurück.  Zu  Leutschau  wirkte  in  ähnlicher  Weise  der  Pro- 
fessor Michael  Hlavä^ek  u.  a. 

Benjamin  Pravoslav  Gervenäk  (1816 — 43),  welcher  in  der  Heimat, 
dann  in  Halle  studirt«,  war  einer  der  wärmsten  Anhänger  aeiner  Na- 
tion. Von  seinen  Werken  wurden  herausgegebeii:  eine  Schrift  Über 
Kirchengeachichte,  aus  dem  Deutschen  umgearbeitet  und  mit  der  slavi- 
sdien  Kirchengesciuchte  vervo  11  stand  igt  (herausgegeben  ohne  seinen  Na- 
men, 1842),  vor  allem  aber  „Zrcadlo  Slovenska"  („Der  Spiegel  des  Slo- 
vakenlandes"),  in  cechischer  Sprache  nach  seiuem  Tode  von  M.  Hurban 
heranagegeben  (Pest  1644)  mit  ausführlicher  Einleitung  und  der 
Biographie  Gervenitk's.  Handschrift  blieb  eine  Geschichte  dee  Slaven- 
thnms,  welche  von  ihm  fttr  den  Unterricht  in  Pressbiirg  verfaast  wurde. 
Der  „Spiegel"  enthält  Nachrichten  über  die  älteste  Periode  der  Slovaken, 
über  die  alte  heidnische  Mythologie,  eine  kurze  Ueberaicht  der  weitem 
-Geschichte,  Bemerkungen  über  den  Charakter  der  Slaven  und  speciell 
der  Slovaken,  endlich  Aber  die  Lage  der  letztern  in  neuerer  Zeit  unter 
dem  Druck  der  Magyaren.  In  dieser  letztem  Abtheilung  (S.  98 — 126) 
finden  sich  interessante  Angaben,  die  dem  Historiker  der  Slovaken  zum 
Bilde  der  damaligen  Verhältnisse  dienen  kdnnen. 

Im  Jahre  1840  gaben  die  Mitglieder  des  literarischen  Zirkels 
zu  Leutscbau,  unter  Leitung  von  Hlaväfiek,  einen  kleinen  Alma- 
nach  heraus,  worin  Proben  ihrer  literarischen  Arbeiten  gesammelt 


der  Hauptsache  nach  eine  zuweilen  ziemlich  gelnngeue  Wiederholung  der 
patriotischen  und  pauukvistiauhen  Themen  Kollär's. 

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S24  Füuftea  Kapit«t.    II.  Die  SloTtaten. 

waren  („Gitrenka  6ile  w^boni^gäi  präce  uiencfi  Cesko- Stören- 
sk^cli  A.  W.  LewoCskJch"):  auch  diesmal  waren  die  Gedichte 
der  Studenten  voll  Äeusserungen  über  slavische  Brüderlichkeit, 
Gegenseitigkeit,  künftigen  Ruhm.  Die  magyarischen  Zeitungen 
sahen  darin  Erregung  von  Haas  gegen  das  Magyarenthum  and 
Drohung,  Graf  Zay  schritt  officiell  ein,  mit  formellen  De* 
Bchuldigungen  gegen  die  leutscbauer  Professoren.  Daraas  ging 
eine  ganze  Polemik  hervor,  welche  in  magyarischen  und  deut- 
schen Zeitungen  und  Broschüren  geführt  wiirde;  seitens  der  Slo- 
vaken  traten  darin  insbesondere  Caploviö,  Stür,  Hodia,  Hurbao 
auf.  Ueber  Stür  ward  1843  eine  Untersuchung  Terhängt  and 
er  wurde  seines  Lehrstuhls  enteetzt.  Die  sloTakischen  Studen- 
ten bemühten  sich  um  seine  Kiickkebr,  verliessen,  als  ihre  Be- 
mühungen fruchtlos'  blieben,  Pressburg,  siedelten  nach  Leutschan 
über  und  traten  hier  wieder  zu  einem  literarischen  Verein  zu- 
sammen; doch  wurde  auch  dieser  bald  von  den  Behörden  auf- 
gelöst. Nach  einiger  Zeit  reichten  die  Studenten  der  pester 
Universität  dem  Statthalter  eine  Bittschrift  um  Errichtung  eines 
Katheders  der  slavischen  Sprachen  ein;  die  Bitte  blieb  natür- 
lich unerfüllt  und  gegen  die  Studenten,  die  jene  Frechheit  be- 
gangen hatten,  ward  eine  Untersuchung  eingeleitet. 

Unter  solchen  Bedingungen  waren  besondere  Anstrengungen 
zum  Kampfe  mit  dem  Magyarenthum  erforderlich,  und  die  Thätig- 
keit  der  Patrioten  nahm  besonders  zwei  Richtangen:  einerseits 
wurde,  soweit  möglich,  ein  offener  politischer  Kampf  gegen  die 
magyarischen  Frätensionen,  von  dem  wir  schon  gesprochen  haben, 
geführt,  die  Vertheidigung  des  eigenen  Rechts  bei  der  wiener 
Regierung,  welche  sich  als  machtlos  erwies,  und  in  der  deutseben 
Presse  (die  Broschüren  von  Stür,  Uod^  u.  a.)  betrieben;  der  Kampf 
in  den  kirchlichen  Angelegenheiten  gegen  die  von  Graf  Zay  vot> 
geschlagene  Union  fortgesetzt  u.s.  w.;  andererseits  erwuchs  defi- 
nitiv das  Streben,  eine  besondere  Literatur  in  der  slovakiscben 
Volkssprache  zu  gründen. —  Es  ist  bekannt,  woran  zuletzt  die  poh- 
tiscben  und  nationalen  Bestrebungen  der  Magyaren  scheiterten. 
Die  slovakiscben  Patrioten  fühlten  lange,  dass  sich  die  Dinge 
zu  einem  revolutionären  Zusammenstoss  zuspitzten,  und  traten 
gegen  die  magyarische  Bewegung  auf:  obgleich  die  Losung  der 
magyarischen  Bewegung  die  „Freiheit"  war,  und  obgleich  die 
Slovaken  selbst  zum  Tbeil  Vortheil  daraus  ziehen  durften  (die 
Aufhebung  der  Leibeigenschaft,   die  Freiheit  der  Presse),  —so 

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Verfolgungen.  325 

wurde  doch  im  allgemeinen  als  Bedingung  der  Freiheit  die  Ma- 
gysrisimng  hingestellt.  Die  slovakischeD  Führer  standen  auf 
Seite  der  wiener  Regierung  >,  und  als  die  ungarische  ReTolution 
ausbrach,  standen  sie  selbst  —  Leute  der  Literatur,  Frofeesoreu, 
Priester  —  an  der  Spitze  des  beiraffneteo  Aufstaudes  ihres  Volkes 
gegen  die  Magyaren.  —  Hierzu  musste  das  Volk  vorbereitet, 
das  Selbstbewusfitsein  in  den  Massen  geweckt,  und  um  mit  dem 
Volke  in  einer  ihm  verständlichen  Weise  reden  zu  können,  in 
dessen  eigner  Sprache  geredet  werden  —  hierin  liegt  der  Haupt- 
grund jener  separatistischen  Bewegung,  welche  bei  den  Slo- 
vaken  toi  dem  Jahre  1848  scharf  hervortrat  und  gegen  welche 
sich  äechische  Schriftsteller  als  gegen  einen  nationalen  Verrath 
erhoben. 

Ohne  in  die  Einzelheiten  dieses  politischen  Kampfes  einzu- 
gehen ,  wenden  wir  ans  zu  den  literarisch  thätigen  Männern, 
die,  wie  erwähnt,  häufig  auch  die  politischen  Führer  waren. 

Im  Vordergrund  steht  der  Name  Ludevft  Stiir's.  Er  ward 
1815  zu  Uhrovec  im  Trentschiner  Comitat  in  einer  evangelischen 


1  Der  erwühute  Cerven&k  schrieb  schon  im  Jahre  1842:  „Man  sagt: 
■werdet  Magyaren,  weil  nnr  damit  unter  udb  Freiheit  nnd  Bildung  er- 
blühen wirdn,  oder  genauer  zu  reden,  «nnr  dadurch  vermag  eich  Ungarn  vom 
österreichi sehen  Hofe  loamreiBBen  und  selbständig  und  berühmt  in  Eu- 
ropa an  werden».  Aber  aus  allem  geht  klar  hervor,  dass  die  Magya- 
ren diese  Freiheit  nur  für  sich  haben  wollen,  weil  es  den  Slowaken  nicht 
freisteht,  etwas  Aehnliches  für  sieb  zu  thun.  . . .  Aber  aus  allen  diesen 
Redereien  geht  nichts  anderes  hervor  als  nur  das  Eine,  dass  sich  solche 
Eiferer  eine  üngebnndenheit  und  eine  Lage  der  Dinge  wünschen,  wo 
keine  Obrigkeit  über  ihnen  wäre  nnd  kein  Höherer  nnd  Stärkerer  zur 
bQrgerliohen  Ordnung  nnd  znm  Qehorsam  anhielte.  .  . .  Was  sind  das  für 
Frennde  der  Freiheit  nnd  der  Bildung,  die  b.  B.  die  Bearbeitung  der  slova- 
kiechen  Sprache  nnd  die  slovakiscben  Bücher  so  schel  ansehen,  welche  die 
evangelischen  Slovaken  und  die  Calvinisten  gewaltsam  uniren  wollen  und 
zwar  nur  so,  dass  sie  von  Anfang  an  magyarisirt  werden?  —  0  erbärmlich, 
erbärmbch  ist  diese  Freiheit,  schimpflich  nnd  ihres  Namens  unwürdig 
die  Selbständigkeit  nnd  kläglich  die  Bildung,  welche  nur  durch  Terratb 
g^en  das  königliche,  rechtmässig  herrschende  Haus,  nur  dadnrch  bestehen 
können,  dass  sechs  Millionen  Menschen  (d.  i.  den  nichtmagy arischen  Be- 
wohnern Ungarns)  ihrer  natürlichen,  ihnen  von  Gott  gegebenen,  im  Laufe 
eines  Jahrtausends  von  den  Königen  nnd  der  Landeabehörde  unverletzten 
und  unter  so  viel  Dnmhen,  Erschütterungen  nnd  Schwankungen  des  Vater- 
landes bisher  soi^^ltig  bewahrten  Rechte  beraubt  werden!"  (Zroadio, 
S.  104—105). 


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326  Fünftes  Kapitd,    U.   Die  Slovaken. 

Familie  geboren,  besuchte  das  GymnaBium  zn  Raab,  dana  das 
preesbui^er Lyceum,  wo  sein  ält«rer  Bmder  Karl,  später  eben- 
falls als  slovakiscber  Patriot  und  Schriftsteller  bekannt,  femer 
Samo  Chalüpka  seine  Genossen  waren,  und  wo  etwas  später 
Hurban,  Hodza  und  andere  Förderer  der  slorakischen  Wieder- 
belebung studirten.  Das  pressburger  Lyceum  war,  wie  wir  &<Aon 
bemerkten,  die  Hauptpflanzschule  der  sloTakischen  literarischen 
und  patriotischen  Bewegung.  Stür  war  eine  feurige  Natur  und 
wurde  unter  dem  Einfluss  der  Werke  SafaHk's  und  Kollär's  eins 
der  eifrigsten  Mitglieder  des  Pressburger  akademischen  Vereins. 
In  demselben  (unter  der  Leitung  von  Palkovii)  war  zuerst  Samo 
(Jhalupka,  dann  Stür  Vicepriisident.  Im  Jahre  1837  wurde  er 
Palkoviö'  Adjunct  auf  dem  Lehrstuhl,  1838—39  studirte  er  in 
Halle,  dann  kehrte  er  nach  Pressburg  zurück.  Er  war  die 
Seele  des  Studenten -Vereins  am  Lyceum  and  erlangte  einen 
grossen  Einfluss  auf  die  slovakigche  und  serbische  Jugend,  indem 
er  in  ihr  das  Nationalgefiihl  weckte.  Aber  seine  glänzende  Pro- 
fessur war  nicht  von  langer  Dauer;  im  Jahre  1843  war  er  schon 
gezwungen,  sie  niederzulegen.  Dies  wendete  ihn  definitiT  der 
Literatur  zu.  Stür  hatte  schon  früher  an  fiechischen  Journalen 
wie  „Kvgty",  „Vlastimil"  und  in  slovakischen  Publicationen  in 
iechischer  Sprache  wie  „Hronka",  „Tatranka"  mitgewirkt.  Jetzt 
gab  er  zu  Leipzig  die  oben  genannten  Schriften  in  deutscher 
Sprache  heraus  zur  Vertheidigung  der  Rechte  des  slovakiscben 
Volkes  gegen  die  magyarischen  Angriffe,  nahm  thätigen  Antheil 
an  dem  neuen  patriotischen  Verein  „Tatrin",  der  1844  unter 
dem  Vorsitz  Hod^a's  gegründet  wurde  und  sich  zur  Aufgabe 
machte,  mit  allen  gesetzlichen  Mitteln  die  literarische  und  wirth- 
schaftliche  Bildung  des  sloTakischen  Volkes  zu  fördern.'  Der 
Verein  suchte  die  Protection  der  wiener  Regierung,  aber  die 
Verhältnisse  waren  so  verwickelt  und  gespannt,  dass  die  slovaki- 
scben Patrioten  nur  mit  grösater  Mühe  ihre  patriotischen  Unter- 
nehmungen fortfuhren  konnten.  Schon  in  den  ersten  viersiger 
Jahren  bemühten  sie  sich  um  die  Genehmigung  einer  slovakischen 
Zeitung.  Bis  dahin  hatten  die  slovakischen  Patrioten  kein  ein- 
ziges Organ  zur  Vertheidigung  der  Interessen  ihrer  Nationalität 
gehabt:  man  musste  deutsche  Broschüren  in  Leipzig  drucken,  in 

'  Ueber  den  Tatrin   s.  Hurban,  Pohl'adi  1851,  II,  H— 58;  Hodla, 
DobrDo  hIovo  Slovikoin,  1817. 


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Luderit  ätür.  327 

die  „Allgemeine  Zeitusg",  in  kroatische  Zeitungen  schreiben; 
aber  wenn  es  auch  auf  diesem  Wege  möglieb  var,  theilveiEe  den 
Gegnern  zu  antworten,  so  war  es  doch  unmöglich,  das  eigene  Volk 
mit  der  Lage  seiner  Sache  bekannt  zu  machen.  Eine  Zeitung 
in  der  eigenen  Sprache  war  durchaus  nothwendig.  Stür  erlangte 
schlieBslich  die  Genehmigung,  wenn  auch  mit  manDichfacben  Be- 
schrenkungen,  und  vom  August  1845  an  begannen  unter  seiner 
ßedaction  die  „Slovensk^  narodnie  Novini"  („Slovakische  Natiooal- 
zeitung"),  mit  der  literarischen  Beilage  „Orol  Tatranski"  („Der 
Adler  von  der  Tatra")  zu  erscheinen.  Als  die  Zeitung  zu- 
erst geplant  wurde,  hielten  Stür  und  seine  Freunde  noch  an  der 
cechiechen  Büchersprache  fest,  aber  in  dem  Verein  „Tatrin" 
wurde  schon  bald  dieser  Gegenstand  verhandelt  und  die  Patrio- 
ten kamen  zu  der  Ueberzeugung,  dase  es  nothwendig  sei,  in 
der  Sprache  des  Volkes  zu  schreiben.  Die  „Slovenske  Novini" 
begannen  in  der  Volkssprache  zu  erscheinen,  wobei  Stür  den 
frühem  Tymauer  Dialekt  (der  theilweise  mit  dem  Öecbischen 
gemischt  ist)  mit  dem  weit  reinern  slovakischen  Dialekt  seiner 
Heimat ,  des  Trentschiner  Comitats ,  vertauschte.  Ein  Jahr 
früher  war  die  Volkssprache  von  seinem  Freunde  Hurban  im 
Atmanach  „Nitra"  (2.  Band,  1844)  angenommen  worden. 

Die  Annahme  der  Volkssprache  brachte  zum  Theil  die  eyan- 
gelischen  Slovaken  der  katholischen  Seite  näher:  die  Patrioten 
beider  Parteien  versammelten  sich  gemeinsam  im  „Tatrin";  der 
Dichter  der  katholischen  Slovaken,  Holl^,  der  in  seinen  letzten 
Lebensjahren  stand,  sprach  seine  Befriedigung  über  die  Bestre- 
bungen des  Stür'schen  Kreises  aus  und  segnete  seine  Unterneh- 
mungen. Aber  andererseits  führte  die  Annahme  der  Volkssprache 
zu  einem  feindlichen  Zwiespalt  sowol  inmitten  der  Slovaken 
selbst,  als  mit  der  fiechischen  Intelligenz.  Es  sympathisirten 
mit  der  Neuerung  nicht:  erstens  sehr  viele  von  den  katholischen 
Slovaken,  welche  für  die  „Bemolat^ina"  eintraten  oder  es  vorzogen, 
in  Freundscfaaft  mit  den  Magyaren  zu  bleiben;  zweitens  verhiel- 
ten sich  feindlich  dagegen  die  Patrioten  der  altem  Generation, 
welche  die  (echiscbeDlleberliefemngen  und  die  öechische  Bücher- 
sprache festhielten ;  endlich  sahdie  öechische  Intelligenz  hierin  einen 
wirklichen  Verrath  an  der  den  Öechen  und  Slovaken  gemeinsamen 
nationalen  Sache.  Stür  und  seine  Freunde  hatten  einen  ganzen 
Storm  seitens  der  Öechen  und  ihrer  slovakischen  Bundesgenossen 
auszuhalten,  unter  welchen  gegen  Stür  selbst  Kollär  und  Safafik 

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328  FüutieB  Kapitel.    II.    Die  Slovaken. 

auftraten.  Um  seine  Neuerung  zu  vertheidigen,  gab  Stür  zwei 
Schriften  heraus:  „Nauka  reci  slovenskej"  ( „ WiaseuBchaft  der 
elOTakiBchen  Sprache")  und  „Näreöje  SlovenBkao  alebo  potreba 
pisanja  V  tomto  u.  s.  w."  („Der  Blovakische  Dialekt  oder  die  Noth- 
wendigkeit,  in  diesem  Dialekt  zu  schreiben",  FreBsburg  1846). 
Das  Böhmische  Museum  gab  gegen  Star  ein  Buch  heraus,  wo  zu 
säiner  Verurtheilung  eine  lange  Reihe  von  Meinungen  und  Aeusse- 
rungen  alter  und  neuer  Schriftsteller  beider  Stämme  zu  Gunsten 
der  literarischen  Einheit  der  Cechen  und  Slovaken  zusammenge- 
tragen war,  • 

Aus  dem,  was  wir  über  die  Lage  der  Slovaken  gesagt  haben, 
kann  man  theilweise  ersehen,  welche  von  den  beiden  Parteien 
recht  hatte.  Schon  in  den  zwanziger  Jahren  hatte  SafaHk  die 
Nothwendigkeit  anerkannt,  in  der  5echischeu  Büchersprache  der 
Slovaken  rein  slovakischen  Eigenthümlichkeiten  Itaum  zu  ge- 
wahren, um  sie  dem  Volke  zugänglicher  zu  machen.  In  der 
That  konnte  die  5echische  Sprache  den  Slovaken  nicht  voll  ge- 
nügen, und  zwar  je  weiter  je  weniger:  sie  gelangte  zu  den  Slo- 
vaken als  fertige  Bücher-  and  Eirehensprache  in  den  Zeiten  des 
Hu&sitenthums;  aber  die  neue  öechische  Sprache,  —  als  sich  die 
iechischen  Schriftsteller  daran  machten,  sie  mit  neuen,  oftmals 
wörtlich  aus  dem  Deutschen  übersetzten  und  bisweilen  äusserst 
gekünstelten  Worten  und  Wendungen  zu  „bereichem",  —  wurde 
für  diejenigen  unverständlich,  welche  nur  mit  den  alten  For- 
meu  in  den  Grenzen  des  alten  Inhalts  bekannt  waren.  Deshalb 
mochte  auch  Palkovi5  mit  gutem  Grund  ao  eifrig  die  literarischen 
Ueberlieferungen  Veleslavin's  gegen  die  neuen  (echischen  Schrift- 
steller vertheidigen.  KolUr  versuchte  slovakische  Elemente  in 
die  Sprache  der  „Slävj  Dcera"  hineinzutragen.  Die  Kirchen- 
bücher der  protestantischen  Slovaken  haben  sogar  hie  heute  die 
ungeschickte,  von  den  Cechen  in  alter  Zeit  angenommene  Schreib- 


'  „Hlasowä  o  potFebfi  jedüot;  Bpieownebo  jazjka  pro  Ceohy,  HonTUij 
ft  Slov&kj"  (Prag  1646,  VIII  u.  340  S.)  Hier  sind  angeführt  AeniMnin^ 
von  Iiaorentios  voq  Nuiloier,  Arnos  Eomessk^,  Hstthia«  Bei,  Dobrovik^, 
Tablio,  Palack^,  Jangmann,  §afaKk,  Jona«  Zäborsk^,  Koller,  Sembera,  F»l' 
koviS,  Sam,  Ferienöik,  Paul  Joeephi,  Szeberinji  u.  b.  w.,  endlich  ftllerlei  ge- 
sammelte Aeuaserangen  von  Slovaken  Tersohiedener  Oegenden.  Eine  api- 
führliche  DarstelluDg  der  atreitigen  Punkte  jener  Frage  findet  sich  bei  Pia, 
Slav.  Sbomik,  II,  101 — 1^.  Viel  interessantes  polemiscbes  Material  über 
diesen  Gegenstand  bei  Hnrban,  „Poh]'adi". 

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Ludevit  §tiSr.  329 

weise  beirahrt.  Die  (ecbische  Sprache  könnte  bei  den  Slovaken 
lebensfähig  sein,  wenn  sie  früher  ausserhalb  des  Gebiets  der 
rein  kirchlichen  Literatur  Boden  gefasst  hätte;  aber  sie  war 
nicht  die  Sprache  des  öffentlichen  ofBciellen  Lebens  und  die  ärm- 
lichen Mittel  für  Schulen  bei  den  Slovaken  gaben  ihr  nicht  die 
Möglichkeit,  sich  in  der  ganzen  Volksmasse  zu  verbreiten.  Fer- 
ner mieden  die  weit  zahlreichem  katholischen  Slovaken  die  ^edhi- 
Bche  Sprache  ganz  als  hussitisch.'  Unterdessen  kamen  für  das 
nationale  Leben  der  Slovaken  kritische  Momente;  zur  Verthei- 
dignng  des  nationalen  Rechts  mussten  die  Volksmassen  selbst 
herangezogen  werden,  und  es  war  sehr  natürlich,  dass  die  theo- 
retischen Erwägungen  über  die  £echo-slovakische  nationale  Ein- 
heit vor  den  dringenden  Bedürfnissen  der  Zeit  und  dem  nähern 
Interesse  des  Volkes  zurücktraten. 

Endlich  hegte  Stur  selbst  eine  umfassendere  Idee.  Ihn 
fesselte  jene  £echo-slovakische  Einheit  nicht,  um  welche  sich 
die  cechische  Intelligenz  bemühte,  weil  er  es  schon  damals 
für  nothwendig  hielt,  nach  einer  weit  umfänglichem  Einheit  zu 
streben,  nämlich  der  gesammtslavischen ,  welcher  sich  die  eine 
wie  die  andere  Nationalität  im  Verein  mit  dem  übrigen  gleich- 
berechtigt anschliessen  sollte;  unterdessen  würde  sich  eine  £echo- 
slovakische  Einheit  in  dem  Sinne  der  öechischen  Intelligenz  nur 
zur  Kräftigung  der  Öechen,  zum  Nachtheil  der  Slovaken  voll- 
ziehen und  würde,  indem  sie  den  Cechen  ein  neues  Contingent 
von  einigen  Millionen  slovakischen  Volkes  hefert«,  diese  veran- 
lassen, zu  sehr  auf  ihre  eigenen  Kräfte  zu  bauen,  sie  in  ihrem 
partiellen  Provinzialismus  bestärken  und  im  Endresultat  der  lite- 
rarischen Einheit  des  Gesammtslaventhums  schaden,  welche  (nach 
den  Ideen  Stür's)  eben  das  gemeinsame  Ziel  werden  sollte  nicht 
nur  als  Ideal,  sondern  als  Mittel  der  Rettung.  .  .  . 

Die  Zeitung  Stür's  soll  in  der  geistigen  und  gesellschaftlichen 
Entwickelung  der  Slovaken  Epoche  gemacht  haben ;  es  wachs  das 
nationale  Bewusstsein,  man  begann  verschiedene  nützliche  Unter- 
nehmungen zu  begründen  —  Mässigkeitsvereine ,  Urbarmachung 
wüster  Ländereien,  Sparkassen  u.  a.  w.    Inzwischen  wurde  Stiir 


>  Am  dieBen  Punkt  rnnsste  auch  die  SechUche  Literatur  stoBBen.  Vgl. 
in  den  Memoiren  Jnngmsnn'B  die  AbhaDdluugj  „Jazyk  Zeeikf  huaitsk^-li ?" 
(„let  die  Eeohische  Sprache  hnssitiseh")  im  Öasopis,  1871,  S.  273;  über  dae 
künstlich  Geschraubte  der  neuen  techiachen  Sprache  (Ebend.,  8.  274—275). 


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330  FünfteB  Kapitel.    U.  Die  Slovaken. 

1847  von  der  Stadt  AltBohl  zum  Reichstagaabgeordneten  gewählt 
und  betrat  bo  direct  den  Schauplatz  der  Politik.  Er  verthei- 
digte  ale  talentvoller  Redoer  energisch  die  Rechte  seineE  Volkes 
auf  dem  Btürmischen  Reichetag  zu  Pressbargj  aber  die  Erre- 
gung der  Magyaren  führte  schon  zum  offenen  Aufstand  und  die 
Lage  Stür's  wurde  gefährlich;  er  stellte  die  Heraasgabe  der 
Zeitung  ein,  gab  seinen  Sitz  im  Reichstag  auf  und  fioh  nach 
Wien,  nahm  dann  am  slawischen  Gongress  in  Prag  theil,  trat  in 
Beziehungen  zu  den  Kroaten  und  Serben,  zum  Ban  Jellachich,  und 
rüstete  slovakische  Freiwillige  nach  Ungarn  aus.  Die  Magyaren 
setzten  einen  Preis  auf  seinen  Kopf. 

Nach  1849  lebte  Stür  zurückgezogen,  mit  der  Erziehung  der 
Kinder  seines  Bruders  Karl  (1811 — Öl;  auch  eines  sloTakischen 
Schriftstellers  und  Patrioten)  und  mit  literarischen  Arbeiten 
beschäftigt:  „Zpevy  i  pisnl"  („Gesänge  und  Lieder",  Pressbnrg 
1853),  und  besonders  die  bekannte  Schrift,  schon  in  £echi- 
scher  Sprache:  „Ueber  die  Volkslieder  und  Märchen  der 
slavischen  Stämme"  („0  närodnich  pi'snich  a  povestech  plemen 
slovanek^ch",  Prag  1853).  Er  arbeitete  an  einem  grossen 
historischen  "Werke  über  das  SlaTentham,  das  unTolIendet  blieb. 
Er  starb  an  einer  Wunde,  die  er  sich  aus  UnTorsichtigkeit 
auf  der  Jagd  zugezogen,  im  Jahre  1856.  Er  hinterliess  noch 
ein  bemerkenswerthes  Werk,  welches  in  den  Jahren  1852—53 
deutsch  geschrieben  wurde  und  eine  ausführliche  und  begeistert« 
Darstellung  seiner  Tbeorie  des  Panslavismus  enthält;  dieses 
Werk  wurde  russisch  von  V,  l.  Lamanskij  herausgegeben:  «Das 
Slaventhum  und  die  Welt  der  Zukunft.  Eine  Botschaft  an  die 
Slaven  von  den  Ufern  der  Donau"  (russ. :  „Slavjanstvo  i  mir  bn- 
duBcago  etc.")  •  Diese  Tbeorie  ist  ein  neuer  interessanter  Be- 
leg der  panslavistischen  Ideen,  welche  sich  in  der  nationalen 
Bewegung  der  Slovaken  aussprachen,  und  steht  den  Theorien 
des  russischen  Slavophilenthums  sehr  nahe,' 

■  In  „Ctenija"  der  Moak.  Gesellschaft,  1867  und  besonders.  Ueber  du 
Werk  8.  „VSstnik  Evropy",  1878,  November,  S.  334  fg. 

'  Eine  Biographie  ätür's  wurde  von  seinem  Freunde  und  GenoMen 
Hurban  erwartet;   aber  sie  ist  noeh  nicht  eraobienen. 

Jetzt  kann  angeführt  nerdeni  Die  Biographie  Stür's  in  Ruask.  BesMa, 
18«0,  Heft  1,  VermisohteB,  S.  51—60;  Slovnfk  NsuSny,  8.  v.;  K.  A.  Jeoi, 
,,fierbake  gjmnftaialne  towaratwo  w  Budyiiige  wot  1839  Uaö  do  18M"  (i» 
(«801)18  der  iaueitzer  Macioa,  1865);  Pi6,  in  Slav.  Sbomik  I— U.   Die  Ideen 

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Ludevit  Stör.    J.  Hurban.  331 

Stür  gehörte  zu  den  bedeuteodsteD  Trägern  der  gesammten 
slavischen  KenaiBsance.  Im  Ändenkea  seiner  Landsleate  steht 
er  in  hoher  Achtung  als  der  verdienteste  Urheber  der  neuem 
nationalen  Bewegung  bei  den  Slovaken.  „Seine  wissenschaft- 
liche Bildung",  sagt  ein  zeitgenössischer  sloTakiscber  Patriot, 
„seine  umfassende  Bekanntschaft  mit  der  slavischen  Welt,  sein 
hochsittliches  Leben,  seine  feurige,  binreissende  Bede,  mit  einem 
Wort  seine  ganze  Persönlichkeit  hob  und  begeisterte  die  Ju- 
gend so  sehr,  dass  man  getrost  sagen  kann,  das  ganze  jetzige 
nationale  Erwachen  der  Slowaken  ist  fast  unbestritten  sein  Werk. 
Aus  den  jungen  Leuten  des  pressburger  Instituts  bildeten  sich 
so  viele  Apostel  des  SlaTenthums  heran,  als  Mitglieder  waren. 
Die  jetzt  wirkende  Generation  sind  entweder  Genossen  oder 
Schüler  Stür's  oder  Schüler  seiner  Schüler.'" 

Ein  würdiger  Mitarbeiter  Stür's  war  Joseph  Miroslav  Hur- 
ban (geb.  1817).  Er  studirte  auf  dem  Pressburger  Lyceum  und 
nahm  eifrigen  Antbeil  am  Studentenverein ;  auf  Kosten  des  letz- 
tern bereiste  er  1839  Böhmen  und  Mähren  zu  literarischen  und 
patriotischen  Zwecken  und  beschrieb  später  seine  Reise;  1840 
wurde  er  evangelischer  Geistlicher,  Seine  erste  Schrift  war  die 
Beschreibung  der  Reise:  „Cesta  Sloväka  ku  bratrüm  slovanskym 
na  Morave  a  t  Öechäch  1839"  („Reise  eines  Slovaken  zu  sei- 
nen slavischen  Brüdern  in  Mähren  und  Böhmen-',  Pest  1841); 
mit  dem  Jahre  1842  begann  er  den  Almanach  „Nitra"  (6  Bänd- 
ehen, 1842—54,  und  ein  7.,  1877)  herauszugeben,  worin  ihm 
selbst  einige  Gedichte  und  Erzählungen  angehören.^  Das  erste 
Bändchen  der  „Nitra"  erschien  in  £echischer  Sprache,  abei- 
vom  2.  Bändchen,    1844,   begann  Hurban  slovakisch  zu  scbrei- 


StDr's  über  die  NotbweDdigkeit  einer  gesonderten  Entwiokelung  des  sloraki- 
ivhen  Volktthams  nnd  aeiDer  Literatur  s.  ia  seinen  erwähnten  Schriften  vom 
Jahre  1846,  in  dem  posthumen,  von  Lamanakij  heranegegebenen  Werke;  sie 
Bind  aach  in  einem  intereesanten  Briefe  btür'B  an  Pogodin  vom  Jahre  184<) 
dargelegt  („Piima  k  Pogodinn  iz  elav.  zemel",  8.  465—467). 

>  M.  D.,  im  „iam.  Min,  Mar.  ProBV.",  1858,  Aug.,  8.  619.  Vgl.  die 
nocli  enthusiastischere  AeuBsernng  von  Pauliny-Töth,  in  deeBen  „Unter- 
haltungen" (s.  die  Erzählungen:  äkola  a  zivot;  Tri  dni  zo  zivota.  Ludevita 
Störovho). 

'  Im  CecMschen  Journal  „KvSty"  1844  erschienen  eeine  „Svatoplnkovci, 
anebo  pid  Hie  velkomoravgk£"  („Die  Nachfolger  Svatopluk's  oder  der  Unter- 
gang des  GroBsmähriBchen  Reiches")  und  besonders,  Prag  184S. 


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382  FöDftes  Kapitel.     II.  ]>ie  Slovaken. 

ten  —  es  war  dies  das  erste  Auftreten  der  Stür'schen  Schule. 
Harban  nahm  alsdann  thätigen  Antheil  am  „Tatrin"  und  an  der 
Zeitung  Stür's  and  im  Jahre  1846  begann  er  selbst  ein  wissen- 
schaftlich-literarisches Jonmal  „SlovensVje  Pobradi"'  herane- 
;£ugeben,  im  allgemeinen  sehr  interessant  und  wichtig,  als  Aus- 
druck der  damaligen  slovakischen  Bewegung  und  als  Material 
zu  ihrer  Geschichte.  Hier  findet  sich  z.  B.  eine  umfangreiche 
Abhandlung  von  Hnrban  selbst:  „Slovensko  a  jeho  üvot  lite- 
rärni"  („Das  Slovakenland  und  sein  literarisches  Leben",  in  drei 
Heften  des  1.  Theils),  die  ausfuhrlichste  Darstellung  der  Lite- 
raturgeschichte der  Slowaken,  welche  bisjetzt  existirt.  Zu  gleicher 
Zeit  schrieb  er  ein  Buch  über  die  Union  ^  gegen  die  erwähnten 
Bestrebungen  des  Grafen  Zay  —  indem  er  vom  theologisch-histo- 
rischen Standpunkt  den  Unterschied  zwischen  dem  Lutherthnm 
und  dem  Calvinismus  darlegte  und  die  Unmöglichkeit  einer 
Union  beider  nachwies.  Dieses  Buch  brachte  ihm  den  Titel  eines 
Doctors  der  Theologie  von  der  Universität  Jena  ein,  sowie  heftige 
Feindschaft  und  Polemik  von  seiten  der  Magyaren  und  ihrer 
Partei.  Neben  der  literarischen  Tbätigkeit  arbeitete  Hnrban  für 
die  praktische  Bildung  seines  Volkes;  schon  im  Jahre  1840  grün- 
dete er  in  seinem  Kirchspiel  eine  Sonntagsscbule  uud  verbrei- 
tete die  Mässigkeitsvereine.  Zugleich  mit  den  literarischen  Ideen 
Stür's  theilte  Hurban  auch  dessen  politische  Ansichten,  spielte 
in  den  Ereignissen  von  1848 — 49  eine  nicht  weniger  bedeutende 
Rolle  und  zeigte  sogar  noch  mehr  unerschrockene  Energie  als 
Yolksredner  und  Führer.  Als  Kollar  und  seine  Freunde  im 
Kampfe  ermüdeten,  stand  Hurban  mit  Stur  und  Hodia  an  der 
Spitze  des  Volkes,  in  dessen  Mitte  sie  durch  kühne  Vertheidi- 
gung  seiner  Sache  grossen  Einäuss  erlangten.  Hurban  und  seine 
Freunde  traten  in  Beziehungen  zu  den  Sechiscben  and  serbo- 
kroatischen Patrioten  und  organisirten  den  slovakiscben  Auf- 
stand gegen  die  Magyaren.    Hurban  insbesondere  gewann  grosse 


'  Der  ausführliche  Titel:  „Slov.  Pohl'odi  na  vedi,  amefija  a  literttnm" 
(I.Theil,  Heftl— 5,  SkaliU  1846, 1847,  IWl;  2.Thl.,  Heft  1-6  [vomW.Jnli 
18.^1  sdJ.  EbeBd.1851;  3.  Tbl.  [mit  verändertem  Titel:  „SlovensW  PoU'ady 
ua  literatüru,  umenie  a  zivot"  und  in  Wochenheften],  Mr.  1 — 2fi,  Tyman 
1852;  4.  ThI.,  Nr.  1—»,  TjTnau  1852). 

'  Unift  Sili  apojenf  Latheränä  a  Ealvin}^  v  Ohräch,  vysvStleni  etc." 
(Ofen  1846;  in  fiechincber  Sprache). 


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J.  HnrbuL  833 

Popularität  unter  eeineo  Landsleuten:  er  war  im  wahren  Sinne 
des  Worts  der  Mann  des  Volks,  für  den  die  nationale  Frage 
kein  abstractes  Theorem  und  kein  literarisch  con&truirtes  Ideal 
war,  sondern  eine  unmittelbare  That;  er  war  für  sein  Volk  reli- 
giöser Lehrer,  Schriftsteller,  politischer  Kämpfer  und  KriegfUhrer. 
Nach  den  Unruhen  der  Bevolutionszeit  kehrte  Hurhan  in  sein 
Kirchspiel  Hlubokä  zurück,  um  wieder  als  Pastor  und  Schriftsteller 
zu  wirken.  Er  setzte  die  „Pohl'adi",  den  Almanach  „Nitra"  fort, 
gab  1855  ein  Lehrbuch  der  evangelischen  Theologie  heraus, 
mischte  sich  1861  wieder  thätig  in  den  damals  ausgebrochenen 
Streit  über  die  Lage  der  evangelischen  Kirche.'  Von  seinen  bel- 
letristischen Arbeiten  seien  erwähnt  die  historische  Erzählung: 
„Gottäalk"  (in  Nr.  7  u.  8  der  „Slovan.  Besedj",  1861),  „Piesne 
na  teraz"  (Wien  1861)  und  viele  Gedichte  in  öecbjschen  und  slo- 
vakischen  Journalen  und  Almanachs.  Viele  Lieder  Hurban's  sind 
fast  zu  Volksliedern  geworden.  In  den  letzten  (6.  und  7.)  Bänd- 
chen der  „Nitra"  kehrte  et  zur  fiecho - slovakischen  Sprache 
zurück,  was  auch  ^echische  Dichter  in  die  Zahl  seiner  Mitarbeiter 
zog,  wie  Hejduk,  Bud.  Pokorn^  u.  a.'  Mit  dem  Jahre  1864  be- 
gann er  die  „Cirkewni  Listy"  („Kirchenzeitung")  herauszugeben, 
den  Angelegenheiten  der  evangelisch -lutherischen  Kirche  gewid- 
met, in  der  gewöhnlichen  altfechischen  Sprache  der  evangeliscb- 
slovakischen  Kirche,  in  alter  Orthographie  und  schwabacher 
Druckschrift. 

Michael  Miloslav  Hodia  (geh.  1811),  evangelischer  Prediger 
wie  Hurhan,  entstammte  auch  dem  Kreise  des  Fressbarger  Ly- 
ceums  der  dreissiger  Jahr«  und  ging  denselben  Weg  wie  die 
obengenannten  Patrioten.  Seit  1837  Geistlicher,  nahm  er  zu 
Anfang  der  vierziger  Jahre  thätigeu  Antheil  an  den  kirchlichen 
Angelegenheiten   der  Slovaken,    an  der  Gründung    des  „Tatrin" 


'  Hierauf  bezieht  eich  dae  Buch:  „Die  evangelisch-lutherische  Kirche 
in  ihren  innem  Elementen  und  Kämpfen  mit  besonderer  RüukeJcht  auf  dne 
aiovakische  Volk,  das  sein  Heil  in  dieser  Kirche  aucht"  („Cirkew  EnaDge- 
licko-Lutheränskä  w  jejich  wnitrnicb  iiwlech  etc."  2  Bde,  Skalitz  1861;  in 
Gechischer  Sprache,  mit  alter  Orthographie  und  schwabacher  Schrift). 

'  Die  „Kitra",  hieaa  in  slovakigoher  Sprache  im  Titel  weiter;  „Dar 
drahim  krajanom  Slovenskim  obetuvam"  („Geschenk  den  lieben  alovaki- 
teheu  Landsleuteo  dargebracht"),  Cechiaoh  „Dar  doeräm  a  aynum  Sloveuaka, 
Morsv;,  f)eoh  a  SIezaka  obftovany"  („Geschenk  den  Töchtern  and  Söhnen 
der  Slovakei,  Mähren«,  Böhmens  und  Schlesien«  da^ebracht"). 

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334  Fünftes  Kapitel,    lt.  Die  Slovaken. 

und  überhaupt  an  der  nationalen  Bewegung;  1848  gehörte  er 
zu  den  eifrigsten  Führern  des  Volks,  auf  das  er  durch  sein  be- 
geistertes Wort  grosse  Wirkung  übte.  Sein  erstes  literarisches 
Werk  waren  volkstbümliche  Erzählungen,  dann  Schriften  über 
die  Frage  der  slovakischen  Literatursprache',  welche  Hodza 
unter  anderm  gegen  die  Angriffe  der  feechischen  „Hlasy"  ver- 
theidigte.  Nach  Erlass  des  Kirchenpatents  1859  führte  Hodäa 
■wieder  einen  hartnäckigen  Kampf  mit  der  magyarischen  Partei 
in  der  Kirchenfrage. 

Das  Erwachen  des  Nationalgefühls,  welches  bei  den  Slova- 
ken  Yom  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  au  und  dann  in  den 
zwanziger  und  dreissiger  Jahren  bemerkbar  ist,  sprach  sich 
auch  in  der  poetischen  Literatur  durch  eine  Fülle  neuer  Erscfaei- 
nungeu  aus,  die  zeigte,  welche  sittliche  Kraft  gerade  im  na- 
tionalen Selbstbewusstsein  liegt.  Nach  Holl^  und  besonders 
Kollär  taucht  eine  ganze  Reihe  von  Dichtern  mit  der  Bewegung 
der  dreissiger  Jahre  und  in  Verbindung  mit  dem  Kreise  des 
Pressburger  Lyceums  auf;  Hurban  und  Stur  waren  zum  Theil 
auch  Dichter. 

In  der  Reihe  der  patriotischen  Dichter  dieser  zweiten  Gene- 
ration war  der  älteste  Samo  (Samuel)  Chalüpka  (1812—83)- 
In  seiner  Familie  herrschten  Liebe  zum  Volksthum  und  litera- 
rische Gewohnheiten:  sein  Vater,  Adam,  evangelischer  Geistlicher, 
schrieb  Gedichte;  der  ältere  Bruder,  Johann,  ebenfalls  Geistlicher, 
war  dramatischer  Schriftsteller.  Samo  fand  schon  auf  dem  Gym- 
nasium einen  Lehrer,  der  ihn  früh  sowol  mit  der  öecho-slovaki- 
schen  Literatur  als  mit  der  Geschichte  des  Slaventhums  bekannt 
machte,  sodass  Samo  ein  schon  vorbereiteter  Leser  der  „SHvy 
"Dcera"  war.  Auf  dem  pressbui^er  Lyceum  war  Chalüpka  ein 
Führer  unter  seinen  Mitschülern.  Darauf  lebte  er  einige  Zeit  in 
Wien,  wo  er  mit  Studenten  anderer  slavischer  Nationalitäten  be- 
kannt wurde.  Im  Jahre  1834  wurde  er  Geistlicher  und  erhielt  1840 
die  Pfarre  zu  Hornä  Lehota,  wo  Tor  ihm  sein  Vater  40  Jahre  ge- 
wirkt hatte.    Das  Leben  in  der  Bergöde  hinderte  ihn  nicht,  sich 


'  Nämlich  in  UteiniBcher  Sprache:  „EpigeneB  SloTenica«.  Liber  pri> 
inua.  TeDUmen  orthographiae  Blovenicae"  (Leut8ohaul847);  „Dobrno  bIotc 
Sloväköm"  {„Ein  gates  Wort  an  die  Slovaken«,  Ebeod.  1847);  „V6tin  o  slo- 
venCina"  (Ebend.  1818),  gedruckt  nach  der  Abäudemng  der  CeoBiir  und 
später  mit  Beifügang  der  von  der  Ceusnr  geBtriohenen  Stellen. 


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Somo  Chalüpka.    A.  SlidkoviB.  335 

an  den  patriotischen  Unternehmungen  zu  betheiligen;  er  war  auch 
einer  der  ersten,  welcher  die  Frage  der  neuen  Literatursprache 
erhob.  Die  Gedichte  Chalüpka's  erschienen  schon  in  den  vierziger 
Jahren  in  Sammelwerken,  Journalen  und  Almanache;  sie  wurden 
erst  später  gesammelt  („Spevy  Sama  Chalüpky",  Neusohl  1868). 
Es  sind  kleine  epische  Stücke,  Balladen  und  lyrische  Gedichte, 
die  in  gleiches  Niveau  mit  den  Werken  von  Erben  und  Öela- 
kovskjf  gesetzt  werden,  und  thatsächlich  vielleicht  hinsichtlich 
der  Kraft  und  Einfachheit  höher  als  diese  stehen,  da  sie  von 
der  sentimentalen  Romantik  der  Öechischen  Dichter  frei  sind; 
das  slavische  Gefühl  ist  bei  Chalüpka,  wie  überhaupt  bei  den 
bessern  slovakischen  Schriftstellern,  ebenfalls  weit  natürlicher.  . . . 
Chalüpka  besitzt  im  Manuscript  eine  Sammlung  von  Volkssagen 
und  abergläubischen  Meinungen,  welche  BoÜena  NSmcova  benutzt 
hat,  als  sie  bei  ihm  zu  Gaste  war,  Er  ist  mit  andern  slavischen 
Literaturen  bekannt,  hat  das  slavische  Alterthum  studirt  und 
fügte  z.  B.  seinen  Gedichten  eine  Reihe  antiquarischer  und  histo- 
rischer Anmerkungen  bei. 

Andreas  Slädkoviö  (1820—72;  sein  Familienname  ist  Bra- 
xatoris)  war  der  Sohn  eines  evangelischen  Lehrers,  der  in  der 
slovakischen  Literatur  durch  eine  Geschichte  seiner  Vaterstadt 
Krupina  (1810)  bekannt  ist;  diese  Stadt  war  auch  der  Geburts- 
ort von  Andreas.  Die  Familie  war  zahlreich  und  arm:  Andreas 
war  das  achte  von  14  Kindern.  Seine  Schulbildung  erlangte  er 
unter  äusserster  Armuth,  zuerst  in  Schemnitz,  wo  Slädkoviö  einen 
Uterarischen  Verein  mit  nationalen  Zielen  gründete  mitten  unter 
feindlichen  Zusammenstössen  mit  den  magyarischen  Studenten; 
im  Jahre  1840  ging  er  ins  Pressbui^er  Lyceum  über,  und  der 
Vater  konnte  ihm  nur  zwei  Papiergulden  auf  den  Weg  gehen. 
Hier  fand  wieder  eine  lebhafte  Tbätigkeit  statt  im  Kreise  der 
GenoBseo ,  unter  dem  Einäuss  der  Poesie  Kollär's  und  der 
Vorlesungen  Stür'e.  1842  begab  sich  Slädkoviö  zum  Studium 
der  Theologie  nach  Halle,  kehrte  nach  zwei  Jahren  zurück, 
lebte  von  Privatunterricht,  und  erhielt  1847  eine  evangelische 
Pfarre.  Im  Jahre  1849  war  er  der  Verfolgung  der  Magyaren 
ausgesetzt,  von  welcher  ihn  nur  die  Nachricht  vom  Vorrücken 
der  russischen  Armee  befreite.  Bald  wurde  er  eine  der  Haupt- 
personen der  nationalen  Bewegung  in  seiner  Gegend.  Er  gilt 
für  einen  Dichter  ersten  Ranges  in  der  neuern  slovakischen  Lite- 
ratur.   Die  ersten  Gedichte  druckte  er  in  Huiban's  „Nitra",  als  er 

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336  Fünftes  Eapitel.    II.  Die  Slovak^. 

nocti  auf  dem  Preseburger  Lyceum  war;  aber  EeinBubm  begimit 
erst  mit  der  Dichtung  „Marina",  herausgegebea  zu  Pest  1846. 
Ihr  MoÜT  ist  eine  unglückliche  Liebe  des  Dichters  selbst:  das 
Mädchen,  welches  er  liebte,  heirathete  auf  Antrieb  ihrer  Mutter 
einen  andern;  zu  diesem  Motiv  gesellten  sich  Einflüsse  der  „Släv; 
Dcera",  —  sodass  „Marina"  nicht  nur  oder  vielmehr  nicht  so 
sehr  eine  lebendige  Person  ist,  als  eine  Idealisirung  der  Liebe, 
übertragen  in  eine  höhere  sittliche  Sphäre,  verschmolzen  mit 
religiösem  Gefühl  und  der  Liebe  zum  eigenen  Volke;  deshalb 
erscheint  die  Dichtung  zu  allegorisch  und  abstract,  aber  trotz- 
dem und  trotz  der  Unebenheit  der  poetischen  Form  wird  sie 
hei  den  öecho-slovakischen  Kritikern  hochgeschätzt.  Sein  Haupt- 
werk ist  „Detvan",  —  ein  Mittelding  zwischen  Epos  und  Idjll.' 
Der  Stoff  bezieht  sich  auf  die  Zeiten  des  Matthias  Corvinus: 
der  Held,  Martin,  stammt  aus  der  Detva,  einer  slovakischen 
Berggegend  in  Nordungarn,  und  in  die  einfache  Geschichte 
der  Liebe  dieses  Bergbewohners  und  seines  ruhigen  Lebens, 
das  durch  eine  gewaltsame  Werbung  zur  königlichen  Armee 
unterbrochen  wird,  sind  Bilder  der  Bergnatur,  des  nationalen 
Lebens  und  nationaler  Charaktere  verflochten.  Sich  mit  „Det- 
van" bekannt  machen  —  sagen  die  5echo  -  slovakischen  Kri- 
tiker —  heisst  die  Slovaken  kennen  lernen;  aber  man  bemerkt, 
dass  den  fremden  Leser  der  vollkommen  passive  Charakter  des 
Helden  in  Verwunderung  setzen  wird,  „Dem  ausläudiscben  Leser^, 
sagt  einer  dieser  Kritiker,  „erscheint  der  StofT  des  tDetvan* 
allerdings  etwas  Bonderbar,  und  Slädkovi6  hätte  sich  ohne 
Zweifel  auch  Helden  anderer  Art  aus  jener  Zeit  herauraucbeu 
können,  als  die  Slovaken  unter  dem  Einfluss  der  öechen  eben 
zu  nationalem  Leben  erwacht  waren,  —  Helden,  die  zu  verstehen 
und  mit  denen  zu  sympathisiren  es  für  den  ansländiBchen  Leser 
leichter  wäre;  aber  er  hat  uns  eine  getreue  Darstellung  des  slo- 
vakischen Volkscharakters  gegeben,  des  Lebens  und  der  Denk- 
weise  des  einfachen  Slovaken,  des  Bergbewohners,  dessen  Lob 
es  war,  ein  tapferer  Krieger  zu  werden  und  sein  Blut  für  ein 
Land  zu  vergiessen,  das  für  ihn  nicht  seine  Heimat  bildet."  .  •  ■ 
Weit  schwächer  ist  „Milica"'  aus  dem  serbischen  Leben,  in 
Byron'scher  Art,   und  „ Svätomärtiniada ,   närodni  «5)08"  (P«9t 

'  Dieae  Dichtung  erschien  im  5.  B&ndchen  der  „Nitrk",  1853. 
*  Im  AIni»naoh  „Eoukordift",  1668. 

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Janko  Kral'.  337 

1861),  eine  Beschreibimg  des  politischen  CongreBses  der  Slo- 
vaken  1861 ,  zu  Thuröcz  Sz.  Marton.  Aber  poetische  Vorzüge 
leigt  wieder  die  letzte  Dichtung  „Gröf  Mikuliä  Subi6  Zrinsk^". 
Endlich  gehören  SlädkoviC  riele  kleine,  bisweilen  sehr  schöne 
Gedichte  aa,^ 

Eine  originelle  Persönlichkeit  war  der  slovakische  Dichter 
Janko  Krär  (geb.  um  1824).  Er  studirte  auf  dem  pressburger 
Ljceutn  und  hatte  die  Absicht,  in  die  Kanzlei  eines  Advocaten  zu 
Fest  einzutreten,  aber  eine  solche  BeschäfliguDg  passte  nicht  für 
seine  lebendige  und  äusserst  originelle  Nator;  im  Jahre  1848 
verwickelte  er  sich  in  die  politischen  Unruhen,  soll  den  Commu- 
nismuB  unter  den  slovakischen  Landleuten  gepredigt  haben,  in 
der  Meinung,  dase  er  dadurch  stärker  auf  sie  wirken  werde,  sam- 
melte die  Jugend  und  bereitete  einen  Aufstand  vor;  von  den  Ma- 
gyaren ergriffen,  wurde  er  zum  Tode  durch  den  Strang  verur- 
theilt  und  nur  durch  die  Fürsprache  Jellachich's  gerettet,  brachte 
aber  bis  1849  im  Gefängniss  zu  Pest  zu.  Nach  Berichten  zu 
achliessen,  war  er  ein  wunderlicher  Phantast:  er  führte  ein  va- 
girendes  Leben,  konnte  nicht  lange  in  einer  menschlichen  Woh- 
nung bleiben,  verbrachte  die  Zeit  in  der  Einsamkeit,  in  den 
Einöden  der  Karpaten,  soll  bis  nach  Bessarabien  umhergeirrt 
sein  —  dabei  überraschte  er  durch  sein  Talent  und  seine  um- 
fangreichen Kenntnisse;  er  pflegte  kein  Buch  bei  sich  zu  haben, 
aber  er  war  der  französischen  und  englischen  Sprache  wohl  mäch- 
tig, kannte  Shakespeare  vorzüglich;  ein  von  ihm  magyarisch  ge- 
Bchriehenes  Lied  hält  sich  noch  bis  jetzt  im  Volke.  Koll&r,  Stiir 
nnd  andere  Schriftsteller  pflegten  ihn  zu  besuchen,  wenn  sie  er- 
fahren, wo  er  war.  Bei  solcher  Lebensweise  gelangte  die  poe- 
tische Thätigkeit  KrÄl's  nur  zufällig  in  die  Presse,  —  er  ver- 
brannte gewöhnlich  selbst,  was  er  schrieb.  Nach  seinen  Aben- 
tenem  in  Ungarn  hielt  er  es  nicht  für  sicher,   dort  zu  bleiben. 


■  Eine  Biograpliie  SlädkoviE's  s.  bei  Pii,  Slav.  Sbornik,  II,  129—183; 
204 — 206;  Vit.  Hondek,  im  Eechiechen  „SyStozor",  1878,  Nr.  19— 20.  Vgl. 
^vätenie  pamiatk;  slovenKk^ho  baenika  Andreja  Slidkovita  (Brasatoriaa), 
eiena  Eakladatel'a  Matice  Slovenakej  etc.,  7.  Avg.  1872"  (Thuröoi;  Sz.  Har- 
ton  1872). 

SlädkoviE's  Gedichte  wurden  von  Viktoriu  herausgegeben:  „Spisy  baa- 
nicke"  (Nensohl  1861,  uen«  Anag.  in  der  Eechisohen  „Natioaslbibliothek" 
Kober'fl). 

Fnn,  SUtUoIu  UMiMortD.    11,1  22 

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338  Fünftea  Kapitel.    IL  Die  SIoTftken. 

und  lebte  einige  Monate  bei  einigen  Freunden  in  Mähren,  aber 
darauf  ging  er  heimlich  von  ihnen  fort  und  ist  seitdem  spurlos 
verschwunden.  Seine  Gedichte  sind  in  mährischen  und  slovaki- 
schen  Pnblicationen  zerstreut,  unter  andern  in  der  „Nitra".  Die 
Gedichte  KrÄl's  wie  Chalüpka's  zeichnen  sich  durch  die  anziehende 
Einfachheit  ihres  volksthümltcben  Tones  sowie  durch  eine  ans 
ihnen  heraualenchtende  Liebe  zum  eigenen  Volke  aus.' 

Johann  Botto  (geb.  1829)  studirte  inLeutschau,  dann  ander 
pester  Universität  and  wurde  darauf  Landmesser.  In  Leutschau 
wurde  er  ergriffen  von  der  patriotischen  Stimmung  der  nach 
Pressburg  übergesiedelten  Schüler  Lud.  Stur's.  Sein  HauptwerV 
ist  eine  Dichtung  über  „JanoÖik",  einen  beliebten  Helden  der 
nationalen  Ueberliefemng  und  der  Poesie,  mit  dem  Ideeii  von 
nationaler  Selbständigkeit  and  Freiheit  verbunden  sind.  Oben 
bemerkten  wir,  dass  sich  (echische  Dichter  in  der  letzten  Zeit 
manchmal  an  Land  und  Leben  der  Slovaken  wendeten  und 
dort  Nahrung  für  ihre  Poesie  suchten:  Halek,  Hejduk,  Eud. 
Pokorn^.  Die  beiden  letztern  betbeiligten  sich  auch  an  slova- 
kischen  Publicationen  und  haben  jetzt  die  Idee  gefasst,  eine 
„öecho-slovakische  Bibliothek"  („Knihovna  £esko-Blovenski") 
herauszugeben,  in  der  Absicht,  die  Cechen  mit  der  Literatur  der 
Slovaken  bekannt  zu  machen  and  die  Bahn  zur  WiederhersteUang 
einer  Einheit  zu  brechen.  Die  „Lieder"  („Sp5vy")  Johann  Bot- 
to'e  waren  der  erste  Band  dieser  PublicatioD  (1880).^ 

Von  den  slovakiachen  Novellisten  steht  Johann  Ealin^äk 
(1822 — 71)  im  Vordergrande.  Sohn  eines  evangelischen  Geist- 
lichen, studirte  er  zuerst  in  Leutschau,  wo  damals  der  oben  er- 
wähnte slovakische  Patriot  Hlavä^ek  wirkte,  dann  am  Lyceum 
zu  Pressburg  unter  Stür.  Hier  war  er  als  Lehrer  tbätig.  Im 
Jahre  1843  wurde  er  mit  in  die  Untersuchung  gezogen,  welche 


i  Slovnik  Nftufin^,  b.  v.;  Pi6,  SUv.  Sborn.,  H,  128—129,  143-145; 
Hnrban,  in  „Nitra",  7.  Jalirg.  1877,  364-865. 

*  Rud.  Pokern^  legte  eeiaen  Gedankea  über  den  Gegenstand  b  irr 
Broechüre  „Literämi  eboda  Cesko-alovenskä"  („Die  lilerariBche  Einigaog  der 
Cechen  nnd  Slovaken",  1880)  dar,  die  der  VerfasHer  während  »eioer  Arbeii 
leider  nicht  zur  Hand  hatte.  —  In  demselben  Sinne  gab  Jos.  Holo^'^ 
eine  Broachüre  heraus:  „Podejme  ruku  Slovaküm"  („Lasst  hob  dea  Slova- 
ken die  Hand  reichen",  1880).  Die  Eeohischen  Patrioten  überUasen  dt-n 
Slovaken  den  Gebraach  ihrer  Sprache  in  der  poeüschen  Literatar,  >ber 
empfehlen  für  wiaeenBchaftliche  Arbeiten  die  Gechisohe  Sprache. 


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gegen  Palkovifi,  St6r,  Francisci  begonnen  war;  hierauf  studirte 
er  bis  1845  in  Halle.  Vom  Jahre  1846  an  war  er  Director  des 
Gymnasiums  zu  Modern  und  Teschen  und  stand  in  der  Reihe 
der  vornehmsten  Patrioten :  sein  Einfluss  dehnte  sich  auch  auf 
die  Belebung  des  slavischen  Elements  im  germanieirten  Schlesiea 
aus;  um  seine  Sache  zu  fördern,  trug  er  kein  Bedenken,  nach 
Deutschland  zu  gehen,  um  Hülfe  für  die  arme  studirende  evan- 
gelische Jugend  bei  dem  König  von  Preussen  zu  suchen.  Es  ist 
kein  Wunder,  dass  ihn  die  Behörden  los  sein  wollten,  und  im 
Jahre  1866  gab  man  ihm  den  Abschied.  Der  Abbruch  seiner 
Thätigkeit  war  ihm  lästig;  nachdem  er  sich  in  Thuröcz  Sz.  Mar- 
lon niedergelassen,  begann  er  vom  März  1870  an  ein  Journal 
„Orol,  ^asopis  pre  z&bavu  a  pouCenie"  („Der  Adler,  Zeitschrift  für 
Unterhaltung  und  Belehrung")  herauszugeben,  starb  aber  schon 
im  folgenden  Jahre.  Gerade  am  Todestag  Ealindäk's  erschienen 
seine  „Erzählungen"  (als  I.Heft  des  „Sloveuskjf  nar.  Zäbavnik"). 
Die  Herausgabe  des  „Orol"  übernahm  nach  ihm  sein  Hauptmit- 
arbeiter Andreas  Truchl^  SytnianskJ. 

Endlich  ist  von  den  Männern  dieser  Generation  noch  zu  er- 
wähnen Samuel  Tomäsik  (geb.  1813)-  Evangelischer  Geistlicher 
seit  1833  und  Patriot  schrieb  er  in  Fejerpataky's  „Pozomfk",  in 
„Hronka"  und  „Tatransk^  Orol",  war  Verfasser  sehr  beliebter 
weltlicher  und  patriotischer  Lieder,  Mitarbeiter  am  neuen  eran- 
gelischen  Gesangbuch  and  Verfasser  von  Erzählungen  (erschie- 
nen im  „Sokol"  von  Pauliny-Toth ,  von  welchem  weiter  unten). 
Er  ist  der  Dichter  des  bei  den  Cechen  berühmten  Liedes:  „Hej, 
Slovane"  („Auf,  ihr  Slaven!  etc."),  welches  zuerst  in  slovaki- 
fleher  Form  erschien.* 


'  Hej  Sloväoi  I  eite  naSa  alovenakä  reE  ige, 
Dokial'  naSe  veruä  srdce  za  näK  närod  bye: 
Zije,  iije  ducb  aloveuBk]',  bnde  zit  navek;; 
Hrom  a  peklo,  mame  vaie  proti  n&m  sü  vztekyl  d.  s.w. 

(Äaf  Slovakeul  Noch  lebt  unsere  alovakisclie  Sprache,  bo  lange  unser 
treues  Herz  fSr  unser  Volk  schlägt:  es  lebt  der  slovaldsohe  Geist,  er 
wird    ewig   leben;  Donner   und   Hölle,    vergeblich   ist  euer  Toben  gegen 

Dieses  und  andere  patriotisclie  slavische  Lieder  finden  sich  in  dem 
Sammelwerk ;    „Veuiec  uärudnich  pieeni  slovensk^cb.    Vyü  a  v;dal  M.  Cb. 


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340  Fünftes  Kapitel.    IL  Di«  SloToken. 

Die  Ereignisse  des  Jahres  1848 — 49  erfiillten  nicht  die  Hoff- 
nungen, welche  die  Führer  der  Slovaken  hegten.  Nach  Unter- 
drückung des  ungariBchen  Aufstandee  bemühten  sich  die  Slovaken, 
in  den  Staatedienst  zu  kommen,  um  ihrem  Volksthnm  eine  Stütze 
zu  geben,  und  im  grössten  Theil  der  Gomitate  wurde  das  Slova- 
kische  als  officielle  Sprache  eingeführt;  im  Jahre  1850  wurde 
diese  Sprache  in  den  Mittelschuleo  zum  ersten  mal  nicht  obliga- 
torischer Lehrgegenstand  —  und  1855  auch  obligatorischer;  in 
einigen  rein  slovakischen  Gymnasien  wurden  mehrere  Gegenstände 
in  öechischer  Sprache  vorgetragen.  Allein  sobald  sich  der  Stand 
der  Dinge  für  die  Wiener  Regierung  gebessert  hatte  und  sie  auf- 
hörte, die  Magyaren  zu  fUrchten,  gegen  welche  die  Slovaken  ein 
Werkzeug  gewesen  waren,  verloren  die  letztem  auch  die  wenigen 
gewonnenen  Vortheile;  die  bewährtesten  Patrioten  wurden  in  rein 
magyarische  Ortschaften  versetzt.  Inzwischen  änderte  sich  auch 
die  politische  Lage  der  Magyaren.  Im  Jahre  1860,  20.  October, 
wurde  das  Magyarische  in  Ungarn  ofEcielle  Sprache.  Als  die 
Gewalt  in  die  Hände  der  Magyaren  zurückkehrte,  erklärte  man 
diejenigen,  welche  unter  Bach  in  den  slovakischeD  Comitaten 
gedient  hatten,  für  „politisch  todt"  und  entfernte  sie  in  Ge- 
stalt einer  „Epuration"  ans  dem  Dienste. 

Nach  jener  heftigen  Bewegung,  welche  sich  in  den  rier- 
ziger  Jahren  vollzog,  führte  die  allgemeine  Reaction,  welche  in 
den  fünfziger  Jahren  eintrat,  auch  bei  denSlovaken  eine  Periode 
des  Stillstandes  herbei.  „Das  Decennium  der  Jahre  1850 — 60", 
sagt  ein  slovakischer  Historiker  ■,  „war  zum  grössten  Theil  auch 
für  die  Slovaken  ein  Jahrzehnt  voller,  gewaltsam  aufgedrunge- 
ner Lethargie.  Aber  dieses  Decennium  that  den  nnschätzbaren 
Dienst,  dass  es  die  vorhandenen  jungen  Kräfte  reifen  liess, 
auch  politisch,  und  politische  Reife  ist  in  Ungarn  eine  nothwen- 
dige  und  kostbare  Sache.    Es  weckte  die  schlummernden,  on- 


Drabym  bratom  &  Beatrani  sloveoekjfm,  v  B&mote  i  v  dmiatvdoli  rodol'nbydi 
venonaD^"  („Eraoz  slovakischer  VolkBlieder",  NeuBohl  1862). 

Der  altere  Bruder  des  geoannteD  Dichters  Johann  Paul  (welcher  «ich 
EechJEch  TomUek  sohrieb,  geb.  1802)  hielt  mit  SaliÜk  und  KolUr  tn  der 
Einheit  der  LiteratnrBpraohe  fest,  aber  ataud  frenndliofa  au  den  alovtküch- 
pfttriotieehen  Bestrebungen  der  neuem  Zeit,  ond  vertheidigte  ala  Fablieüt 
die  Sachs  seiner  Landeleute  in  Ungarn. 

■  M.  D.,  im  ^urn.  Min.  1868,  Aug.,  S.  639. 

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OrÜDdnng  der  Matica.  341 

entschiedenen  Kraft«  und  befreite  sie  von  dem  magischen  Zeichen 
des  Magyarenthums ;  auch  weckte  es  viele  neae,  frische,  jugend- 
liche Kräfte." 

Im  Gebiete  der  Literatur  var  das  bedeutendste  Ereigniss  der 
folgenden  Zeit  die  Gründung  der  slorakischen  Matica:  mit  dieser 
Institution  war  bei  den  West-  und  Südslaven  gewöhnlich  eine 
Belebung  des  Volksthnros  verbunden. 

Im  Jahre  1861,  6. — 7.  Juli,  fand  in  Thnrocz  Sz.  Marton  eine 
zahlreiche  slovakische  Volksyersammlung  statt  mit  dem  Zweck, 
eine  Denkschrift  über  die  Forderungen  des  slovakischen  Volkes 
zur  Vorlage  an  den  ungarischen  Reichstag  zusammenzustellen. 
Die  Forderungen  bestanden  in  der  Aufrecbterhaltung  der  natio- 
nalen Eigenart  der  Sloraken  im  slorakischen  Gebiet  Ober- 
ungams,  in  der  nationalen  Gleichberechtigung  und  folglich  in  der 
Herrschaft  der  slovakischen  Sprache  innerhalb  des  erwähnten 
Gebietes  im  öffentlichen  und  politischen  Leben ,  in  Kirche  und 
Schule.  Der  Reichstag  und  einflussreiche  Magyaren  (wie  De41c, 
Tisza,  Eötvös)  sahen  die  Sache  mit  mehr  oder  weniger  Feind- 
schaft an,  und  die  Patrioten  entschlossen  sich,  die  Denkschrift 
durch  eine  besondere  Deputation  dem  Kaiser  and  König  zn 
überreichen.  Die  Deputation  kam  im  December  1861  zu 
Stande,  und  der  katholische  Bischof  Stephan  Moyses  fand  es 
möglich,  an  ihre  Spitze  zu  treten.  Die  Deputation  erreichte 
nichts,  aber  die  Versammlung  selbst  wirkte  in  belebender 
Weise  auf  den  nationalen  Patriotismus.  Auf  derselben  Versamm- 
lung wurde  beschlossen,  eine  literarische  Gesellschaft  unter  dem 
Namen  Matica  zu  gründen,  es  wurde  ein  Statut  verfasst,  die 
allerhöchste  Bewilligung  erwirkt  —  mit  verschiedenen  Beschrän- 
kungen des  Projects,  —  und  am  4.  August  1863  kam  in  dem- 
selben Thuröcz  Sz.  Marton  eine  zweite  Volksversammlung  zu 
Stande,  wobei  die  Gründung  der  slovakischen  Matica  feierlich  pro- 
clamirt  wurde.  Zu  ihrem  Präsidenten  wurde  der  Bischof  Moyses 
erwählt,  zum  geschäftsfuhrenden  Viceprasidenten  Kuzmäny,  und 
zum  Ehren-  und  lebenslänglichen  Vicepräsidenten  Johann  Fran- 
cisci;  im  Jahre  1866,  nach  dem  Tode  Kuzmäny's,  nahm  dessen 
Stelle  der  bekannte  Schriftsteller  Wilhelm  Pauliny-Töth  ein. 

Die  eifrigsten  Theilnehmer  an  dieser  Satihe  waren  Francisci 
und  Pauliny-Töth.  Johann  Francisci  (literarischer  Name  Janko 
RymaTsk^,  geb.  1822)  war  ein  etwas  jüngerer  Zeitgenosse  Stür's, 
Hnrban's,    HodSa's    und    Patriot   derselben    Schule.      Er    stu- 

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343  Fünfles  Kapitel    IL    Die  Slovaken. 

dirte  in  Leutschau  und  PreGsbnrg,  clen  HauptzuflachtBorten  der 
damaligen  patriotischen  Bewegung  in  der  jungem  Generation. 
Das  Nationalgefühl  erwachte  bei  ihm  früh;  er  sammelte  mit 
vielen  Freunden  Volkslieder,  Ueberlieferungen,  Gewohnheiten-,  in 
Pressburg  festigte  sich  diese  seine  Richtung  und  damit  zugleich 
begannen  kleine  und  grosse  Verfolgungen.  In  jene  Zeit  fällt 
sein  Gedicht  „Mojim  vratomikom"  („Meinen  Zeitgenossen",  ge- 
druckt in  Hurban's  „Nitra"  1844),  gewidmet  zwanzig  Genossen, 
welche  —  nach  der  Entfernung  Stiir's  vom  Pressbui>;er  Lehr- 
stuhl —  im  strengen  Winter  tod  Pressburg  nach  Leutschau 
flohen.  Francisci  wurden  auch  die  Vorträge  über  die  slovakiache 
Sprache  und  Literatur  in  Leutschau  verboten.  Hier  nahm  er 
am  „Tatri'n"  theil  und  gab  „Slovakische  Märchen"  („Sloveaskje 
povesti",  1845)  heraus.  Später  studirte  er  die  Rechte,  und  be- 
gann den  juristischen  Dienst,  als  die  Revolution  des  Jahres  1848 
susbrach.  Er  trat  in  die  Nationalgarde  in  seiner  Heimat,  aber 
als  er  sich  im  Verein  mit  St.  Daxner  und  Mich.  Baknlini  wei- 
gerte, gegen  die  Serben  und  Kroaten  zu  ziehen,  und  nach  ihnen 
auch  die  sIovakiBchen  Freiwilligen  das  Gleiche  thaten,  wurden 
Francisci  und  seine  Freunde  zum  Tode  durch  den  Strang  verur- 
theilt;  die  Niederlage  der  Magyaren  verwandelte  ihre  Strafe  in 
GefängnisB,  aus  dem  sie  das  Einrücken  Windiscbgrätz'  in  Pest 
befreite.  Später  trat  er  in  die  Reiben  der  slovakischen  Volon- 
täre ein.  Nach  Niederwerfung  des  magyarischen  Aufstandes  er- 
neuerte  er  seinen  Dienst  in  der  Verwaltung  und  verstand  es, 
sich  selbst  die  Achtung  der  Magyaren  zu  erwerben.  Im  Jahre 
1861  begann  er  die  „Peät-budinske  Vedomosti"  herauszugeben, 
worin  er  die  Rechte  seines  Volkes  eifrig  vertheidigte,  und  io 
demselben  Jahre  kam  nach  seiner  Idee  jene  Volksversammlung  zu 
Thuröcz  Sz.  Marton  zu  Stande,  von  der  wir  oben  gesprochen  haben, 
und  wo  er  einstimmig  zum  Präsidenten  erwählt  wurde;  sein 
Freund  Daxner  war  Verfasser  des  von  jener  Versammlung  an- 
genommenen Memorandums  über  die  Forderungen  des  slovaki- 
schen  Volks. 

Eine  andere  bemerk enswerthe  Kraft  zum  Theil  dereelbeD 
Schule  war  Wilhelm  Pauliny-Töth  (1826— 77).  Sein  Grossvater, 
Vater,  Onkel,  waren  evangelische  Geistliche;  nachdem  er  früh 
seinen  Vater  verloren,  blieb  er  in  den  Händen  der  Mutter,  einer 
feurigen  Patriotin,  welche  den  Knaben  mit  der  Lektüre  der 
,,Slävy  Dcera"  erzog;  aber  als  er  zwei  Jahre  in  die  magyarische 

ü,g:.._...,GOOJ^IC 


W.  Paullny-Töth.  343 

Schale  gegangen  war  (um  die  Sprache  zu  lernen),  ward  er  unter 
dem  EiuflnsB  seines  Lehrers  so  von  den  magyariBchen  Dichtern 
begeistert,  dass,  als  er  zu  seiner  Mutter  zurückkehrte,  sich  diese 
entsetzte,  als  sie  in  ihrem  Sohne  einen  voltetändigen  Magyaren 
erblickte.  Der  Fehler  mueste  verhessert  werden  und  die  Mutter 
gab  Wilhelm  auf  das  Gymnasium  zu  Modem,  welches  Karl  Stur, 
LudevifB  Bruder,  leitete.  Aber  der  Einfluss  der  ersten  Schule 
erhielt  sich  lang'e;  seine  patriotischen  slovakischen  Freunde  ge- 
denken mit  Bedauern  seiner  Vorliebe  fiir  die  Magyaren,  seiner 
Ansicht,  dasB  an  den  schlechten  Beziehungen  des  Magyarenthums 
zum  Slaventhnm  nicht  die  echten  Magyaren  schuld  seien,  son- 
dern die  Magyaronen,  Renegaten,  entarteten  Slaven.  Erst  gegen 
das  Ende  seines  Lehens  soll  sich  Pauliny  überzeugt  haben,  dass 
dieser  Unterschied  nicht  besteht.  Vom  Gymnasium  trat  Pau- 
liny ins  Lyceum  zu  Fressburg  ein,  wo  er  noch  Ludevit  Stür 
Torfand  und  durch  dessen  Person  begeistert  wurde  ^;  hier 
machte  er  sich  mit  dem  ganzen  Kreise  der  slovakischen  Patrioten 
bekannt,  nahm  am  „Tatrin"  thejl,  bereiste  des  Land.  Im  Jahre 
1846  begab  er  sich  als  Erzieher  nach  Serbien,  kehrte  aber  bald 
in  die  Heimat  zurück.  Die  Unruhen  des  Jahres  1848  trafen 
sich  an  Paaliny  in  sehr  trauriger  Weise:  er  lebte  in  Eremnitz 
unter  Magyaren,  Und  auf  die  Beschuldigung,  dass  er  am  slo- 
vakischen Aufstand  theilgenommen  habe  (von  dem  er  thatsach- 
lich  nichts  wusste),  verhaftet,  musste  er  zwischen  dem  Galgen 
und  dem  Eintritt  unter  die  Honv^ds  wählen.  Er  zog  das  letz- 
tere vor  und  nahm  an  einigen  Treffen  bis  zur  Niederlage  der  Ma- 
gyaren durch  Jellachich  thei] ;  darauf  blieb  Fauli'ny  in  Pest,  half 
zur  Befreiung  von  Francisci,  Dazner  u.a.  und  ging  in  die  slo- 
vakische  Landwehr  über.  Nach  Unterdrückung  des  Aufstandes 
lebte  er  in  Pressbarg  und  arbeitete  an  der  „Pressburger  Zei- 
tung", die  damals  in  unparteiischem  Geiste  geleitet  wurde  und 
eine  zuverlässige  Quelle  für  die  Geschichte  jener  Zeit  (1849 — 51) 
bildet.  Im  Jahre  1850  trat  er  in  den  Verwaltuugsdienst ;  1853 
ward  er  nach  dem  Bach'schen  System,  eine  Nationalität  durch 
die  andere  zu  unterdrücken,  zum  Commissar  im  rein  magyari- 
schen KecskemSt  ernannt,  lebte  dort  bis  1861  und  wusste  sich 
durch  seine  gemässigte  und  gesetzliche  Handlungsweise  die  Ach- 


'  Oben   Bind   die  liebevollen  Remini scenzen   an  Stör  in  Paaliny'B  Er- 
zählungen erwähnt  worden. 


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344  Fnnft«s  Kapitel.    II.  Die  Slovaken. 

tuBg  der  Magyaren  zu  erwerben.  Hier  heirathete  er  die  Toch- 
ter eines  dortigen  Adeligen,  von  welchem  anf  ibn  der  anga- 
rische Adel  überging  und  der  Zusatz  zu  seinem  Familiennamen 
—  Töth.  Er  hing  immer  noch  an  den  Magyaren,  sah  aber, 
dass  dem  „Magyarenthum  der  Kamm  wächst",  nach  dem  Aus- 
druck seines  Biographen  Hurban,  und  hielt  es  für  nötbig,  wieder 
für  die  Sache  seines  eigenen  Volkes  aufzutreten.  Vom  März  1861 
an  begann  er  in  Fest  das  satirische  Blatt  „öemokiüainik"  („Hexen- 
meister") herauszugeben,  wo  er  sich  noch  sympathisch  zu  der 
neuen  Bewegung  der  Magyaren  yerhielt,  aber  seit  der  Versamm- 
lung zu  Sz.  Marton  ward  es  ihm  klar,  dass  diese  Bewegung  sei- 
nen Landsleuten  nichts  Gutes  verspreche  und  seine  Satire  wen- 
dete sich  nun  vollständig  gegen  die  Magyaren.  Von  1862  bis 
Ende  1869  leitete  er  neben  dem  „ÖemoköaJnik"  die  Herausgabe 
des  Jonmal  „Sokol",  und  dieses  Unternehmen  erlangte  ebenfalls 
eine  grosse  Popularität.  Fauliny  nahm  dann  thätigen  Antbeil 
an  der  Gründung  der  slovakischen  Matica,  und  ward  nach  dem 
Tode  Kuzmäny's,  im  Jahre  1866,  geschäftsführender  Vicepräsident 
derselben  und  Bedacteur  von  deren  „Letopis".  *  Er  nahm  femer 
Antheil  an  den  kirchlichen  Angelegenheiten  der  Evangelischen, 
da  er  zum  „Senioralaufseher"  im  Neutraer  Kreise  gewählt  wurde, 
arbeitete  in  Angelegenheiten  der  Schule  n.  s.  w.  Seine  tbeilweise 
von  uns  angeführte  literarische  Thätigkeit  war  sehr  mannicbfal- 
tig:  er  war  populärer  Dichter,  sehr  beliebter  Erzähler,  gelehrter 
Publiciet.  Seine  in  den  Journalen  und  Sammelwerken  zerstreuten 
Erzählungen  mit  patriotischer  und  moralischer  Tendenz  sind 
überhaupt  lebendig  geschrieben  mit  localem  Colorit.' 


1  Letopis  MaticeBSlovensk^j.  Jahrg.  L  Wien  1864;  II.  Thnröei  Sa 
Marton,  1870;  weiterhin  war  Pauliny  Redactenr:  Band  III— XI,  in  Skaliü 
aoA  TharäcE  Sz.  Marton,  1867— 74.  Mehr  erschien  vom  Letopia  nicht,  «eü 
auch  die  Matica  geschlossen  wurde. 

*  Sie  sind  gesammelt  in  derPublication:  „Besiedk;"  („Unterhai tungea'. 
4  Bde.  Skalitz  1866—70),  Es  sind  darin  auch  Uebersetzungen  aiu  andern 
Sprachen,  nnter  anderm  auch  aus  dem  Russischen  —  aber  leider,  aus  F.  Bul- 
garin. Die  Gedichte  wnrden^naoh  dem  Tode  PauUny's  von  aeiner  Tochter 
gesammelt:  Biane  Viliama  Panliny-Totha.  Sobrala  jeho  dcera  Maria  (Thor. 
St.  Marton  1877). 


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Katholische  Sohriftsteller.  345 

Die  Schriftsteller,  von  deaen  wir  bisher  gesprochen  haben, 
gehören  dem  evangelischen  Theil  des  slovakischen  Volkes  an  und 
waren  die  Hauptvertreter  des  slovakischen  literarischen  „Sepa- 
ratismos",  der  von  den  Cechen  so  verurtheilt  wird.  Aus  dem 
Gesagten  dürfte  man  wol  ersehen,  dass  der  „Separatismus"  keine 
zufällige  Laune  war,  sondern  ein  natürlicher  Trieb,  ja  sogar 
eine  Nothwendigkeit,  weil  in  den  kritischen  Momenten  der  ersten 
Selbsterkeuntniss ,  welche  das  slovakische  Volk  durchlebte,  das 
Bedürfniss  eintreten  musste,  direct  zu  dem  eigenen  Volke,  also 
in  der  Sprache  desselben  zu  reden.  Es  ist  begreiflich,  dass 
gerade  die  besten,  talentvollsten  und  energischsten  Leute  von 
diesem  Streben  beseelt  waren.  Es  ist  auch  begreiflich,  dass, 
als  dieser  Beweggrund  zurücktrat,  die  eifrigsten  patriotischen 
Schriftsteller  sich  wieder  der  Sechischen  Sprache  zuwenden  konn- 
ten. So  wurde  Cecbiscb  herausgeben  das  bekannte  Buch  von  Star 
„Ueber  die  slavischen  Volkslieder  und  Märchen";  so  gab  Hurban 
die  letzten  zwei  Bändchen  seiner  „Nitra"  (VI  u.  VII)  schon  in 
(Sechischer  Sprache  heraus.  Aber  der  Separatismus  dauerte  gleich- 
wol  fort. 

In  den  letzten  Decennien  trat  auch  im  katholischen  Lager 
eine  besondere  Thätigkeit  zu  Tage.  In  Bezug  auf  die  Sprache 
brachte  einen  neuen  Umschwung  hervor  der  von  uns  schon 
firöher  genannte  fechisch-slovakische  Philolog  Martin  Hattata. 
Der  erste  „Separatismus",  hervorgerufen  von  BemolÄk,  wie  oben 
erwähnt,  machte  den  Tymaner  Dialekt  zur  Büchersprache.  Tyr- 
nan  war  einer  der  Hauptpunkte  der  katholischen  Bevölkerung 
und  katholischen  Bildung;  der  Dialekt,  dem  Öechischen  nahe- 
stehend, galt  nicht  für  echt  slovakisch,  deshalb  vrarde,  als 
die  Literaturfrage  von  Stür  aufs  neue  gestellt  wurde,  anstatt 
deeselben  der  Trentschiner  Dialekt  eingeführt.  Hodia,  der  aufs 
neue  die  Frage  nach  der  rein-slovakischen  Sprache  erörterte, 
emp&hl  den  Liptauer  Dialekt.  Jetzt  führte  Hattala  noch  ein 
neues  Element  ein  —  den  Altsohler  Dialekt;  in  seinen  Werken, 
angefangen  von  der  lateinischen  „Grammatica  lingnae  Slovenicae", 
1850,  ist  die  slovakische  Sprache  von  seinem  Standpunkte  aus 
grajnmatisoh  genau  fixirt  und  diese  Fiximng  ist  jetzt  die  herr- 
Bcbende. 

In  der  Beihe  der  katholischen  Schriftsteller  sind  besonders 
bekannt  Pal&rik,  Viktorin  und  Radlinsk^.  Johann  Pal4rik 
(Pseudonym    Beskjdov,     geb.  1822),    seit    1847    katholischer 


346  Fünftes  Kapitel.    U.   Die  Slovaken. 

Priester,  gründete  1850  zu  Schemnitz  ein  kirchliches  Joamal 
„Cyrill  a  Method",  wo  er  für  grössere  kirchliche  Freiheit  und 
für  Wahrung  der  Volksinteresseu  in  kirchlichen  Dingen  eintrat, 
zog  sich  deshalb  eine  Verurtheilang  seiner  Obern,  eine  monat- 
liche Haft  im  Klostergefangniss  zu  und  vurde  gezwungen,  einige 
seiner  Schriften  zu  viderrufen.  Im  Jahre  1851  nach  Pest  ver- 
setzt, gab  er  das  genannte  Journal  in  andere  Hände  und  lei- 
tete hier  einige  Jahre  die  „Katolicke  NoYiny",  wo  er  unter 
an  denn  das  Becht  einer  slovaki  sehen  Literatursprache  gegen 
die  Anhänger  des  Cecbischen  vertheidigte.  Eine  besondere  Ab- 
theiluDg  seiner  literarischen  Arbeiten  war  seine  dramatische 
Schriftstellerei  —  unter  dem  erwähnten  Pseudonym.  Ihm  ge- 
hören die  Komödien:  „Incoguito",  „Drotär"  („Der  Drahthin- 
der"),  „Smierenie"  (,,Die  Versöhnung"),  die  grosse  Popularität 
geniessen  wiegen  der  treuen  Darstellung  des  slovakischen  Lebens 
und  gelungenen  Durchfuhrnng  des  dramatischen  Stoffes.  Er  gilt 
für  den  eigentlichen  Urheber  des  slowakischen  Theaters;  seit 
dem  Jahre  1858  treten  bei  den  Slovaken  Dilettantenvereine  auf 
und  besonders  beliebt  sind  die  Komödien  von  Palärik. '  Er 
war  auch  thätiger  Theilnebmer  an  den  Fublicationen  geinee 
Freundes  Viktorin  und  veröffentlichte  1864  in  dessen  Almanacli 
„Li'pa"  seine  Theorie  der  slavischen  Gegenseitigkeit.  Anbäoger 
der  Stammesautonomie,  tritt  er  für  den  slavischen  Föderalismns 
gegen  Centralisation  und  Absolutismus  ein;  Ansichten  solcher 
Art,  von  ihm  schon  früher  in  der  Presse  und  auf  der  Versamm- 
lung zu  Sz.  Marton  18G]  ausgesprochen,  zogen  ihm  Angriffe  der 
Gegenpartei  zu,  unter  anderm  in  Pauliny's  „Öernokna&oik".  In 
den  letzten  Jahren  arbeitete  Palärik  an  Elementarbücbern  für 
die  katholischen  Schulen.^ 

Josef  Viktorin  (geb.  1822),  studirte  auf  katholischen  SohD- 
len,  gelangte  unter  dem  Einäuss  Palärik's  zum  nationalen  Pa- 
triotismus, wurde  18^5  mit  Stur  bekannt  und  ward  Hitarbeiter 
der  damals  gegründeten  „Stoveuske  Noviny",  Dies  zog  ihm,  wie 
Palärik,  die  Beschuldigung  des  „Fanslarismus"  und  eine  Unter- 
suchung zu,  wie  sie  früher  gegen  Stür  in  Pressburg  geführt 
worden    war.    Trotzdem  wurde  Viktorin  1847  Priester;  znßiUig 


'  „Drama ticke  Spiay"  (Dramatische  Werke",  Peel  1870).  Seine  Komödien 
wurden  auch  in  serbisch- kroatischer  Sprache  mit  Erfolg  anfgefahrt. 
'  Biographie  im  „Slovoik  naoenj". 


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EalholiaoHe  Scbriftateller.  347 

ward  ihm  dne  katholische  Pfarre  in  der  Nachbarschaft  von 
Harban  zutheil,  mit  dem  er  eich  auch  befreundete.  Dies  war 
abermals  ein  Änlaas  zu  Beschuldigungen  von  magyarischer  Seite, 
nud  im  Jahre  1848  kam  er  ins  Gefängniss.  In  den  fünfziger 
Jabren  schloss  er  sich  derjenigen  slorakischen  Partei  (D.  Lichard, 
Paldrik,  Radlinsk^  u.  s.  w.)  an,  die  sich  damals  unter  der  Pro- 
tection des  Ministers  Grafen  Thun  abermals  um  die  Verbreitung 
der  cechischeu  Sprache  bemühte,  gegen  Hurbau  und  dessen  Partei. 
Viktorin  nahm  thätigen  Antheil  an  der  Polemik,  die  sieb  über  die- 
sen Gegenstand  zwischen  den  Zeitungen  „VidenskyDennik"  (dem 
Organ  der  öecbischen  Aristokraten),  „Praiske  Noviay"  und  Hav- 
IKek's  „Slovan"  einerseits  und  Hurhan's  „Pohl'adi"  andererseits 
entspann.  Im  Jahre  1858  gab  Viktorin  den  Almanacb  „Kon- 
kordia" heraus,  wo  seine  Artikel  6echiscb,  die  Palarik's  aber 
slovakisch  geschrieben  waren.  Darauf  gab  er  den  Almanacb 
„Lipa"  heraus  (3  Bücher,  1860,  1862,  1864),  wo  er  wieder  auf 
die  Seite  der  Separatisten  trat,  zum  Aerger  der  Cechen.  Von 
Beiner  slovakischen  Grammatik  war  schon  oben  die  Bede.  Vik- 
torin ist  ein  eifriger  Patriot,  der  sich  zugleich  um  die  Entwicke- 
lung  der  slovakischen  lAteratnr  (er  gab  die  Werke  von  Jobann 
Holiy,  und  die  von  Zäborsky  heraus)  und  um  die  Erhaltung 
ihrer  Verbindungen  mit  der  6echischen  Literatur  bemüht. 

Wir  haben  schon  Andreas  Radlinsk^  (gest.  im  April  1879) 
genannt:  er  war  vorwiegend  kirchlicher  Schriftsteller  und  Jour- 
nalist und  gab  zu  verschiedenen  Zeiten  die  „Katolicke  Noviny 
pre  dom  i  cirkev"  („Katholische  Nachrichten  für  Haus  und 
Kirche"),  die  erwähnte  Zeitschrift  „Cyrill  a  Method"  (mit  der 
Beilage:  ,,Priatel'  äkoly  i  literatury"  —  „Freund  der  Schule  und 
Literatur"),  Predigten  u.  a.  w.  heraus.  Er  war  einer  der  eifrig- 
sten Vertheidiger  der  Absonderung  der  slovakischen  Literatur. 

Oben  haben  wir  Palärik  und  Pauliny-Töth  als  dramatische 
Schriftsteller  erwähnt.  Schon  früher  trat  auf  diesem  Gebiet  der 
früh  verstorbene  slovakische  Schriftsteller  Nikolaus  (Mikuläs) 
Dohnäny  (gest.  1852)  auf,  dem  das  Drama  „Podmaninovci" 
(herausgegeben  in  Leutschau  1848)  angehört.  Aber  insbesondere 
ist  ein  fruchtbarer  Dramatiker  der  wol  älteste  von  den  slova- 
kischen Scbriftstellern  der  Gegenwart,  Jonas  Zäborsk;^  (geb. 
1812).  Seine  Ausbildung  war  durch  Mangel  an  materiellen  Mit- 
teln erschwert;  aber  er  empfand  früh  national-patriotischen 
Eifer,  und  sandte,  gereizt  durch  die  Angriffe  der  Renegaten  auf 

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348  FQnftes  Kapitel.    II.  Die  Slovaken. 

die  Sache  des  Voltes,  an  Eollar  eine  Ode  „An  die  Slovaken" 
(,,Na  SloväkoT"),  die  auch  in  der  damals  erscheinenden  „Zora" 
(1836)  abgedruckt  ward.  Alsdann  brachte  er  ein  Jahr  in  Halle 
zu  mit  StÄr,  Cervenak  und  Grossman.  Nach  seiner  Rückkehr  in 
die  Heimat  gab  er  „Bäjky"  („Fabeln",  Leutschau  1840)  heraus. 
Nachdem  ihn  ebenfalls  Beschuldigungen  des  Panslavismus  be- 
troffen, und  er  ausserdem  materielles  Misgeschick  zu  erdulden 
gehabt  hatte,  blieb  er  nicht  standhaft  gegen  die  Ueberrednngen 
—  zum  Katholicismus  überzutreten.  Im  Jahre  1848  setzten  ihn 
die  Magyaren  ins  Gefängniss  unter  der  Beschuldigung,  dass  er 
einen  Aufstand  plane;  thatsächlich  sympathisirte  er  gar  nicht 
mit  dem  Aufstand,  indem  er  keine  Hoffnung  auf  denselben  setzte, 
sodass  Stör  um  deswillen  eine  unversöhnliche  Feindschaft  gegen 
ihn  fasste.  Wir  bemerken,  dass  Z&borsky  vorher  auch  seine 
„Stimme"  in  jenes  Sammelwerk  gegeben  hatte,  das  vom  Böh- 
mischen Museum  gegen  die  literarischen  Neuerungen  Stär's  her- 
ausgegeben wurde.  Im  Jahre  1851  gab  er  eine  Sammlung  Gedichte 
heraus  („Zehry,  Basne  a  dve  Keöi",  Wien  1851,  in  welche  auch  die 
frühem  Fabeln  übergingen);  sie  fanden  aber  ein  so  strenges  und 
ungerechtes  Urtheil  seitens  M.  Dohndny's  und  Kalin^äk's  in  Hnr- 
hnn's Zeitschrift',  dasa  Zäborsk;?  aufhörte  zu  schreiben.  Erst  in 
den  sechziger  Jahren  kehrte  er  wieder  zur  Literatur  zurück  mit 
einer  langen  Reihe  von  jetzt  schon  slovakischen  Dramen:  zwei 
derselben  wurden  unter  dem  Pseudonym  Vojan  Josefoviß  in  der 
„Lipa"  1864  abgedruckt;  ferner  gab  Viktorin  dessen  „Bäsne  dra- 
matick^"  („Dramatische  Gedichte",  Pest  1865),  dann  seine  „Pseu- 
dodemetriaden"  („Läedimitrijady  öili  hörky  Liedimitrijovake  t 
Rusku",  Pest  1866)  heraus,  d.h.  eineReihe  von  neun  Dramen,  welch« 
die  Ereignisse  des  Interregnums  von  der  Ermordung  des  Zare- 
witscb  Demetrius  bis  zu  den  ersten  Jahren  der  Regierung  Michael 
Romanov's  darstellen.  Endlich  wurden  17  Stücke  von  Pauliny- 
T6th  herausgegeben  in  den  Beilagen  zu  dessen  Journal  „So- 
kol".'    Auch  schrieb  ZäborskJ  Erzählungen,  kleine  satirische 


>  Slov.  Pohl'adi,  I,  185—198  {1861).  Die  Sohrift  von  ZäborekJ  i»t  in 
üeobiHcber  Sprache  geschrieben  mit  Beimisobaug  von  elo*akiecbeB  El^ 
menteu,  da  er  für  eine  literarische  Tereinigung  mit  den  Öeohen  eintrtt; 
die  Kritiker  fanden,  dass  er  nur  der  Eechischen  Sprache  Gewalt  antbne, 
woför  ihm  auch  die  Ceohen  niobt  danken  würden. 

'  NeneJAnsgahe:  „Divadelne  hry"  (Skalits  1870). 


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Die  Wirksamkeit  der  Matioa.  349 

Artikel  u.  s.  w.  Allein  das  Hauptwerk  Zaborsk^'s  bilden  seine 
zahlreichen  Dramen :  ihr  Inhalt  ist  im  allgemeinen  der  alten  Ge- 
schichte der  Slovaken  entnommeii,  und  man  rechnet  ihm  zu  beson- 
derm  Verdienst  an,  dass  er  unter  Vermeidung  der  gewöhnlichen 
Liebesthemen  sieb  um  eine  getreue  Darstellung  der  Ereignisse 
bemüht  —  er  schickt  Beinen  Stücken  historigcbe  Erzählungen 
über  den  Gegenstand  des  Dramas  voraus,  die  zuweilen  sehr  lang 
sind.  Diese  Popularisirung  der  Geschichte  mag  in  der  Tbat 
als  ihr  Hauptwerth  für  eine  Literatur  gelten,  die  an  solcher 
Lektüre  nicht  reich  ist. 


Die  Gründung  der  slowakischen  MaÜca  war  eine  neue  Be- 
lebung des  Volksthums :  die  Matica  begann  ihr  Jahrbuch  ,  Jjetopis" 
herauszugeben;  ihr  flössen  beträchtliche  Spenden  an  Büchern, 
Alterthümem  und  Geld  zu.  Im  „Letopis"  (zwei  Hefte  jähr- 
lich) wurden  Abhandlungen  insbesondere  über  Alterthümer, 
Geschichte,  Topographie  und  das  nationale  Leben  der  Slova- 
ken gedruckt;  Mitarbeiter  waren  ohne  Unterschied  die  Schrift- 
steller beider  Bekenntnisse  —  so  traten  hier  auf  J.  L.  Holuby, 
Fr.  Sasinek,  P.  Z.  Hostinsk;^,  Sam.  Tomäsik,  Jonas  Zähorsk^,  Hur- 
ban,  Samo  Ghalüpka,  Michael  Godra,  Dan.  Lichard  u.  a.  In  den 
Jahren  1860 — 70  erschienen  nicht  wenige  Zeitungen  und  Jour- 
nale: „Pelfbudinske  vedomosti"  von  Francisci,  Mich.  Feren^ik, 
die  sich  spater  in  die  „Narodnie  Noviny"  in  Thuröz  Sz.  Marlon 
umwandelten;  „Orol"  („Der  Adler"),  Zeitschrift  für  Unterhaltung 
und  Belehrung  von  Ealinfiäk  und  Sytuiansk^;  „Obzor"  („Um- 
schau"), Landwirthschaftliche  Zeitung  von  Liebard;  Slovenske 
Novinj;  „Cirkveni  Listy"  („Kirchenzeitung")  von  Hurban;  „Cyrill 
a.  Method"  von  Radlinsk^;  „Priatef  ludu"  („Der  Volksfreund") 
u.  s.  w.  Die  magyarische  Regierung  hielt  es  zur  Gegenwirkung 
gegen  diese  patriotische  Literatur  für  nöthig,  ein  slovakisches  Organ 
zu  haben  —  in  früherer  Zeit  waren  dies :  „Krajan"  („Landsmann"), 
„Koruna"  („Krone"),  „Vlastenec"  („Patriot"),  aber  sie  konnten 
sich  nicht  halten ;  jetzt  spielt  diese  Rolle  die  politische  Zeitung 
„Svomost"  („Eintracht"). 

Die  Matica  war  das  einzige  Centrum  der  national-literarischen 
Interessen  und  erlaugte  immer  mehr  Popularität  in  diesem  Stnoe 

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350  FünTtea  Kapitel.    II.  Die  Slovaken. 

Allein  ihre  Tage  waren  schon  gezahlt.  Im  Jahre  1874  hatten 
die  Slovaken  eine  neue  schwere  Verfolgung  zu  erdulden.  Zu 
Ende  der  sechziger  Jahre  gelang  es  ihnen,  drei  slovakische  Gym- 
nasien zu  errichten  (ein  katholisches,  zwei  protestantische),  welche 
eine  Hoffnung  der  nationalen  Bewegung  waren,  weil  sie  eine 
Erziehung  in  der  heimischen  Sprache  geben  konnten.  Die  ma- 
gyarische Partei  erreichte  es,  dass  diese  Gymnasien  als  „pan- 
slavistisch  und  dem  UDgarischen  Staate  gefahrlich"  einer  Unter- 
suchung unterzogen,  und  obgleich  diese  die  Ankl^e  nicht  be- 
stätigte, doch  alle  drei  geschlossen  wurden;  gleich  darauf  wurde 
auch  die  Matica  einer  Untersuchung  unterworfen  und  ihre  Thä- 
tigkeit  eingehalten.  Ihre  Sammlungen  und  die  Bibliothek  wurden 
sequestrirt. 

Dies  war  ein  gefahrlicher  Schlag  für  die  Nationalität,  die 
hier  mit  ihren  bescheidenen  Mitteln  ihre  nationalen  Schätze  ge- 
sammelt hatte  und  durch  jähe  Gewaltthat  verlieren  musste.  .  . . 
Die  slovakische  Literatur  stellte  sich  Hilferding  zu  Ende  der 
fünfziger  Jahre  als  ein  „Chaos"  dar.  Einen  solchen  Eindruck 
dürfte  sie  auch  jetzt  wieder  machen.  Die  localen  Kräfte  haben 
keinen  Schutz  gegen  das  Magyarenthum ;  die  slavische  „Gegen- 
seitigkeit" ist  wie  gewöhnlich  nicht  da;  die  eifrigsten  Patrioten, 
wie  Hurban,  geben  die  slowakische  Sprache  zu  Gunsten  der 
öechischen  auf, 

Nicht  lange  vor  ihrer  Schliessung  nahm  die  Matica  noch  eine 
wichtige  Publication  vor:  ein  Archiv  alter  öechisch-slovakiscber 
Urkunden  uqd  Schriftdenkmäler  *  und  eine  Sammlung  von  Volks- 
liedern. Der  Bedacteur  der  erstem  Publication  war  der  fleissige 
Schriftsteller  und  warme  Patriot  Franko  Viktor,  oder  Vitazoslar. 
Sasinek  (geb.  1830).  In  einer  armen  Familie  geboren,  war  er 
im  16.  Jahre  schon  ein  Kapuziner  Laienbruder,  1853  wurde  er 
Priester,  trug  kirchliche  Gegenstände  in  verschiedenen  katho- 
lischen Schulen  vor,  erhielt  1863  die  Erlaubniss  aus  dem  Orden 
zu  treten,  und  1864  ernannte  ihn  der  erwähnte  Bischof  Moyses 
zum  Professor  der  Dogmatik  am  Seminar  zu  Neusohl  und  mm 
Prediger  an  der  bischöflichen  Hauptkirche.  Sasinek  legte  eine 
ausserordentliche  Thätigkeit  an  den  Tag,  nahm  Antheil  au  allen 


'  Archiv  Btarjch  SeBko-alovenak^oh  liBtin,  plamennosti  s  dejepiEn^cK 
püvodin  pre  dejepjs  a  üteratiiru  Slov&kov  (2  Bde.  Tliurücz  Sz.  Uuloa 
1872-7S). 


.....Gooj^lc 


Suiaek.    T^tuukf.  351 

patriotischen  Unternehmungen,  wie  z.  B.  an  der  Gründung  der 
„Peit-budinske  Vedomosti",  an  der  Gründung  der  „Matica", 
schrieb  viel  in  Versen  und  Prosa  in  slovakische  und  nichtslova- 
kische  Zeitschriften,  verfasste  lateinische  Lehrbücher,  geistliche 
Liederbücher  u.  s.  w.  Endlich  trat  er  als  der  hauptsächlichste 
Historiker  der  Slovaken  hervor:  von  ihm  sind  ein^e  Werke  über 
die  Geschichte  des  Slovakenlandes  und  Ungarns,  und  es  gibt 
fast  kein  Heftchen  des  Letopis  der  Matica,  das  nicht  eine  anti- 
quarische oder  geschichtliche  Abhandlung  von  ihm  enthielte. ' 
Mit  dem  Aufhören  der  Matica- Zeitschrift  hat  Sasinek  eine 
eigene  Zeitschrift  unternommen,  welche  der  sloYakischeo  Ge- 
schichte, Topographie,  Alterthumskunde  und  Ethnologi«  gewid- 
met ist.' 

Aber  auch  in  dieser  unsicbern  und  schwierigen  Lage  glimmt 
der  nationale  Patriotismus  fort.  In  der  oben  genannten  deut- 
schen Schrift  hat  Sasinek  auch  dem  nichtslovakischen  Publikum 
von  den  rohen  Gewalttbaten  gegen  seine  Nation  erzählt;  die 
Patrioten  hegen  Hoffnung  auf  die  Gerechtigkeit  ihrer  Sache. 
Die  Freunde  des  slovakischen  Volkes  begrüssten  mit  grosser 
Sympathie  ein  neues  Lebenszeichen  in  der  slovakischen  Literatur, 
das  Schriftchen  „Tatry  a  More"  („Die  Tatra  und  das  Meer", 
Thuröcz  Sz.  Marton  1880),  eine  Sammlung  lyrischer  und  epischer 
Gedichte  eines  Dichters  der  neuen  Generation,  Vajansk^  (Pseu- 
donym). Die  Tatra  ist  die  Heimat  des  Dichters,  das  Meer  ist 
das  Adriatische,  wo  er  Länder  des  verwandten  Slaventhums  be- 
sucht hat.  In  seinen  Gedichten  finden  sich  Anklänge  an  die 
romantische  Manier  der  üecben,  sie  sind  ungleichtnässig,  haben 
aber  viel  selbständigen  Charakter  und  poetische  Originalität; 
der  nationale  Patriotismus  spricht  sieb  in  scharfen  Zügen  aus, 
besonders  in  der  Dichtung  „Herodes",  dessen  Name  dem  Erb- 


'  Seine  haupiaBohlicheteti  geBohiohtlicheu  Werke  sind  folgende:  „Dejiny 
drievnjch  närodoT  na  ÜEemi  terajSieho  Uhoreka"  („Geachichte  der  alteii 
Völker  auf  dem  Gebiet  des  heutigen  Ungarn",  Skalitz  1867  mit  Karte ; 
2.  Ausg.  Thoröcz  Sa.  Marton  1878),  —  „Dejiny  pofiatkov  terajSieho  ühorBka" 
(„Geschichte  der  Anfänge  des  jetzigen  Ungarns",  SkalitK  18G8,  mit  Karte). 
—  „D^iny  kr&l'ovatva  Uhorekeho"  („Geschichte  des  KönigreiohB  Ungarn." 
1.  Bd.  Das  Hans  Arpad,  1009—1800,  Neusohl  1869.  2.  Bd.  Versohiedene  Dy- 
naetien,  1300—1526.    Thnröcz  Sz.  Marton  lh71— 77). 

'  SloTenskJ  letopis  pre  historiu,  topografiu,  archaeologiu  a  ethnografiu. 
Der  1.  Jahrgang  oder  Band  erschien  Skalitz  1876;  der  2.   1877. 


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352  Fünftes  KapiMl.    IL    Die  Slovaken. 

feinde,  dem  Magyaren,  gegeben  iet.  öecbische  Kritiker  le- 
griissten  die  Schrift  Vajansk^'ä  mit  grosser  Sympathie,  konn- 
ten sich  aber  der  Frage  nicht  enthalten:  „Ob  für  immer  das 
enge  Band  zerrissen  sei,  welches  einst  die  öechen  und  Slo- 
vaken zu  einem  mächtigen  £echo-slovaki&chen  Volke  vereinte. 
Ob  sich  niemals  mehr  diese  nationale  Einheit  erneuern  lasse 
und  ob  dies  nicht  ihnen  und  uns  und  dem  ganzen  Slaventhom 
nützlich  sei.'" 

Die  Frage  verwickelt  eich  durch  neuere  Nachrichten  über 
begonnene  Auswanderungen  der  Slovaken  nach  Amerika  noch 
mehr. 


»  8.  Kvety,  1880,  Januar,  8.  110—122.  128. 


.yGoOgIf 


m.  Die  Volfcspoesie  bei  den  Cechen,  Mährern  und  Slovaken. 

Die  historischen  Nachrichten  über  die  Volkspoesie  der  Cechen, 
wie  auch  der  Mährer  und  Slovaken,  sind  für  die  alte  Zeit  sehr 
dürftig.  Bei  den  alten  lateinischen  Chronisten,  von  KoBmas  von 
Prag  an,  in  einigen  altcechischen  Werken  finden  sich  Erwähnun- 
gen über  den  Gesang  von  Liedern,  aber  aus  diesen  Angaben 
kann  man  fast  nur  die  nackte  Thatsache  der  Existenz  einer 
Volkspoesie  abstrahiren,  die  man  auch  ohne  dies  schon  a'  priori 
annehmen  könnte.  Die  Grundfrage,  -welche  hier  entgegentritt, 
besteht  darin:  existirte  bei  den  Cechen  (in  historischer  Zeit)  eine 
epische  Poesie?  Man  hat  sich  an  die  Ansicht  gewöhnt,  die 
Epik  sei  eine  nothwendige  Begleiterin  alter  Zeit,  und  bei  den 
Cechen  wurde  sie  nicht  blos  vorausgesetzt,  sondern  auch  durch 
Thatsachen  nachgewiesen,  nämlich  durch  die  Existenz  von  „Li- 
buSa's  Gericht"  und  der  Königinhofer  Handschrift.  So  kehren 
wir  wieder  zu  der  früher  bebandelten  Frage  zurück. 

Wir  können  den  gegenwärtigen  Stand  der  Frage  genügend 
priicisiren,  wenn  wir  zwei  entgegengesetzte  gelehrte  Meinun- 
gen anführen.  Die  eine  wird  in  der  Schrift  von  Jos.  und 
Hermenegild  JireCek,  „Die  Echtheit  etc."  dargelegt,  worin 
tlaa  Epos  der  genannten  Denkmäler  vertheidigt  und  die  dürf- 
tigen Erwähnungen  der  alten  Denkmäler  über  die  Volkspoesie 
in  dem  Sinne  ausgelegt  werden,  dass  eine  epische  Poesie  be- 
stand. Die  andere  Meinung  ist  von  Jagi<5  •  ausgesprochen 
worden,  der  (IS76)  zwar  die  Echtheit  jener  Denkmäler  nicht 
direct  leugnet,  aber  deutlich  seinen  starken  Zweifel  daran  zu 
erkennen  gibt  nnd    entschieden  in  Abrede  stellt,    dass  es  nach 

'  In  der  erwähnten  „Gradja  etc.",  in  russischer  Tleberaetzunfi  in  Zh- 
.lorackij'a  „Slav.  E/eÄodnik"  für  1878,  S.  179—193. 

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354  Fünftes  Kapitel.    III.  Öecho-Slovaken. 

ihnen  erlaubt  sei,  irgendwelche  Schlüsse  über  die  Existenz  einer 
Epik  in  historisch  bekannter  Zeit  bei  den  Cechea  zu  ziehen,  und 
indem  er  die  Erwähnungen  über  die  Lieder  in  den  Chronikec 
analysirt,  in  ihnen  auch  nicht  die  geringste  Andeutung  gerade 
auf  das  Epos  findet.  Im  Resultat  seiner  sehr  bündigen  Unter- 
suchungen sagt  Jagi6:  „Mit  Recht  kann  man  bezweifelt),  dass 
das  iechische  Volk  im  13-  und  14.  Jahrhundert  eine  andere 
Volkspoesie  hatte,  als  jetzt.  Ich  meine  die  Kategorie,  den 
Charakter,  den  ganzen  Typus  und  nicht  den  Inhalt  der  einzelnen 
Lieder.  Der  Inhalt  gleicht  den  Blätternr,die  im  Herbst  Tom 
Baume  fallen,  und  im  Frühling  neu  ausbrechen,  aber  ebenso 
wie  früher.  Dies  lässt  sich  wenigstens  durch  einige  kleine  Zeug- 
nisse beweisen.  In  den  handschriftlichen  Sammlungen  der  welt- 
lichen, nicht  volksthümlicben,  sondern  Eunstlyrik  gibt  es  noch 
hier  und  da  ein  durch  und  durch  volksthümliches  oder  als 
Nachahmung  eines  solchen  gesungenes  Lied.  . . .  Woraus  ent- 
nehmen wir,  dass  dies  Volkslieder  sind?  Eben  daraus,  dass 
sie  der  gegenwärtigen  volksthümlichen  Lyrik  so  wunderbar  ähn- 
lich sind.  Folglich  hat  das  6echische  Volk  in  fünfhundert 
Jahren  nicht  im  geringsten  den  Charakter  seiner  Volkslyrik  ver- 
ändert .  ,  .  ." 

Ohne  die  ganze  Argumentation  Jagi6's  anzuführen ,  bemerken 
wir  nur,  dass  sie  bisher  von  der  fiechischen  Kritik  nicht  um- 
gestosscn  ist,  sondern  im  Gegentheil  die  Zweifel  am  altfechj- 
Bchen  Epos  wachsen. 

Positive  Zeugnisse  über  volksthümliche  lyrische  Lieder  gehen 
bis  ins  14.  Jahrhundert  zurück.  In  den  Handschriften  haben  sich 
sehr  viele  erhalten,  wenn  auch  nicht  vollständige  Lieder,  so  doch 
ihre  Anfangsworte  oder  Anfangsverse  —  der  Melodie  halber. 
Die  Sache  verhält  sich  so:  die  Compoiiisten  kirchlicher  Lieder 
passten  ziemlich  häufig  den  Rhythmus  derselben  der  Melodie 
von  damals  allgemein  bekannten  und  beliebten  Volksliedern  an: 
die  geistlichen  Dichter  erwarteten  ohne  Zweifel,  ihre  Lie*ler 
würden  sich  besser  im  Gedächtniss  halten,  wenn  sie  nach  einer 
bekannten  Melodie  gesungen  würden.  Deshalb  wurde  in  den 
handschriftlichen  und  später  in  den  gedruckten  Sanunlungeo  von 
Kirchenliedern  gewöhnlich  vermerkt,  dass  das  Lied  nach  dem 
und  dem  Volksliede  gesungen  werde,  das  dann  mit  dem  ersten 
Vers  angeführt  war.  Ausser  dem  Rhythmus  erhielt  sicK  so 
auch  die  Melodie:  in  einigen  Cancionalen  wurde  der  Anfang   des 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


Die  Volkapoesie.  355 

Volkaliedes  angeführt,  in  andern  die  Melodie  in  Noten  daznge- 
Bchrieben,  in  noch  andern  geschah  beides  nebeneinander.  Ausser 
den  Cancionalen  gibt  es  noch  andere  Aufzeichnungen  auf  leeren 
Blättern  und  Umschlagen  von  Handschriften,  die  wie  zur  Zer- 
streuung von  langweiliger  Arbeit  gemacht  sind,  z.  B.  manchmal 
in  schweren  lateiniechen  Tractaten  u.  s.  w.  Auf  diese  weltlichen 
und  Yolksthümlichen  Lieder  in  alten  Handschriften  haben  die 
Öechischen  Gelehrten  schon  lange  ihre  Aufmerksamkeit  gelenkt, 
Z.B,  Palacky  (im  „Oasopis",  1H27},  dannHanka,  Jungmann, 
Safafik,  Hanns,  aber  mit  der  grössten  Vollständigkeit  sind 
diese  Zeugnisse  und  Stücke  von  Liedern  in  speciellen  Arbeiten 
von  Feifalik  und  Jiref^ek  gesammelt.' 

Es  ist  begreiflich,  dass  dio  Dürftigkeit  der  erhaltenen  Ueber- 
reate  keine  feste  Grundlage  bietet,  um  über  das  Alter  und  den 
Grad  der  Productivität  der  Volkspoesie  bei  den  Cechen  einen 
SchlusB  zu  ziehen;  diese  Fragmente  geben  nur  die  Möglichkeit 
über  ihren  Typus  in  den  gegebenen  Epochen  zu  urtheilen.  Es 
ist  begreiflich,  dass  die  Öechen  auch  schon  Jahrhunderte  lang 
vor  diesen  Zeugnissen  ihre  Volkslieder  als  den  natürlichen 
Ausdruck  des  persönlichen  Gefühls,  der  Religion,  der  Feste 
hatten;  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  schon  in  alten  Zeiten 
wichtige  historische  Ereignisse,  die  das  Volk  bewegten,  auch 
Lieder   zum  Preise    und    zur  Verurtheilung   hervorriefen  —  wie 


'  Julius  Feifalik,  AltfeuhiBche  Loiohe,  Lieder  iiud  Sprüche  des  XIV. 
und  XV.  Jahrhunderts  {in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie, 
Bd.  XXXIX,  627 — 743);  vgl.  aueh  die  andern  Untersuchungen  dieses  Schrift- 
stellers fiher  die  altfechische  Literatur.  Hier  sind  fOrn  XIV. — XV.  Jahr- 
hundert 99  lyrische  Gedichte  verzeichnet,  der  Mehrzahl  nach  aus  der  Euost- 
lyrik,  doch  sind  auch  einige  augenscheinlich  rein  volksthümliche  (vgl,  S.  041 
— 1>46)  darunter,  für  weiche  Feifalik  inshesondere  die  Nummern  XXI — XXVI 
seiner  Sammlung  hält.  Jirerek,  „Zbjtky  Geskj'ch  pisni  närodnich  ze  XIV 
ilü  XVllI  v&ku"  (im  Üsopis,  1K7i),  S.  44-59).  Hier  sind  an  133  Anfangs- 
veree  gesammelt  und  zum  theil  gnn/e  Lieder  naiAi  alten  Sammlungen,  Cau- 
cioaalen  n.  s.  w. 

Die  frühem  Arbeiten  zur  Sammlung  vim  Liederfragmenten  sind  in 
diesen  Abhandlungen  angefiihrt.  S.  auch  Rukovfl,  11,121;  VJbor  z  liter. 
eeeke  11,  639— G4G;  MalJ  vjbor,  S.  93-99.  Vgl.  noch  ein  Lied,  das  nicht 
in  diese  Saramlaugen  jielangt  ist:  Mistr  Lepiü,  maudr}  hmJ'ii^,  aus  einer 
Handschrift  des  15.  Jahrhunderts,  bei  Safaf'ik,  „Klasohräni"  (im  f'asopis 
1848,  H,  '271— 27-2;  in  den  Gesammelten  Werken  ist  dieser  Text  nicht  vor- 
hält den). 


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366  Fünftes  Kapitel.    IIL  Cecho-Slovakeu. 

eine  Masse  von  Liedern  der  letztern  Art  in  der  huseitischen 
Epoche  aufkam  und  trotz  aller  Verbote  im  Lande  circulirte  als 
Echo  der  Stimmung  in  der  GeaellBchaft  und  im  Volke.  —  Aber 
alles  das  gelangte,  besonders  in  alter  Zeit,  nicht  zu  schriftlicher 
Aufzeichnung:  die  alten  Chronigten  waren  gewöhnlich  Scbriftge- 
lehrte,  die  mit  mehr  oder  weniger  Verachtung  solchen  Er- 
scheinungen des  Volkslebens  gegenüberstanden;  dabei  TCrurtheilte 
die  Kirche  bei  den  Cechen,  wie  auch  bei  den  Küssen  und  über- 
haupt im  Mittelalter,  die  Volkspoesie  entweder  als  eine  Spur  des 
Heidenthums,  was  sie  nicht  selten  auch  war,  als  eine  Unterhal- 
tung, die  mit  der  neuen  ascetischen  Moral  in  Widerspruch  stanrl. 
oder  direct  als  eine  obscöne  Sache,  was  die  Lieder  wahrschein- 
lich zum  Theil  auch  in  der  That  waren. ' 

Der  bei  den  öechen  früh  begonnene  lateinisch-deutsche  Ein- 
fluss  führte  in  den  gebildeten  Kreisen  die  Kunstpoesie  ein,  die 
aufs  neue  die  selbständige  Volkspoe&ie  in  den  Hintergrund 
drängte.  Den  Gebildeten  schien  die  Poesie  des  Volkes  nicht  der 
Beachtung  werth,  und  die  einzigen  Leute,  welche  sich  für  die- 
selbe interessirten ,  waren  diejenigen,  die  zwischen  den  zwei 
Schichten  standen,  dem  höbern  Stand  und  der  Schule  auf  der 
einen  und  dem  Volke  auf  der  andern  Seite.  Dies  waren  die 
„Schüler"  (zäk),  „Vaganten",  die  nämlich  aus  der  mittlem  und 
ni ed er n  Klasse  hervorgingen  und  dem  gewöhnlichen  Leben,  seinen 
Sitten  und  seiner  Poesie  noch  nahe  standen.  Sie  waren  auch 
selbst  Verfasser  von  Liedern,  deren  nicht  wenige  in  den  alten 
Sammlungen  von  Liebes-,  Scherz-  und  maccaronischen  Liedern 
verzeichnet  sind,  und  die  Volkslieder,  welche  sich  aus  jenen 
Zeiten  erhalten  haben,  erscheinen  gewöhnlich  in  Sammelbändea 


'  Aus  dem  15.  Jahrhundert  führt  Feifalik  (S.  G43,  Acmetk.)  ein  interps- 
aautea  Citat  aus  einem  unbekannlen  Autor  an,  der  im  Gt^geutheil  unwillig 
war,  dass  man  zu  Beiucr  Zeit  „die  guten  Volkalieder"  verbot,  und  die 
liederlicben  nicht  verbot;  er  verurtheilt  die  Leute,  qui  bonas  valgares  e»n~ 
tiones  probibeut,  quae  sunt  ex  lege  dei,  sanotis  evangeliis  ac  epistoUa  et 
prophetiB  et  apostolicia  dictis  compositae,  6t  non  prohibent  cantue  mere- 
tricum,  qui  ad  lasciviam  et  adalteria  provocant  et«.  Die  Sache  verhält  sirb 
so:  im  15.  Jahrhundert  verliot  die  Kirche  diese  „guten  Lieder'*,  «elclic 
Gegenstände  aus  der  Heiligen  Schrift  behandelten,  um  Anlässe  zur  KeUer«i 
zu  vermeiden;  aber  sie  lenkte  ihre  Aufmerksamkeit  wahrscheinlich  nicht 
auf  die  gewühnliehen  Lieder,  unter  denen  auch  solche  vorkommeu  mocit^n, 
die  als  cantus  nieretricum  uhnraklerisirt  sind. 


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Die  Volkapoedie.  357 

mit  ernsten  Schulexcerpten  u,  s.  w,,  unter  welchen  auch  fröhliche 
Lieder  aufgezeichnet  sind. 

Das8  Lieder,  welche  in  den  alten  Sammelwerken  angeführt 
oder  erwähnt  werden,  wirklich  volkstbümliche  waren,  schliesst 
man  aus  ihrer  Manier  und  den  Angaben  der  Melodie,  die  für 
allgemein  bekannt  gilt,  und  endlich  aus  der  Aehnlichkeit  ihrer 
Anfänge  mit  Liedern,  welche  noch  jetzt  bei  den  Cechen,  Mäh- 
rern und  Slovaken  bestehen.  * 

Man  kann  naturlich  nicht  behaupten,  dass  jene  alten  Lieder  ge- 
lude  dieselben  sind  wie  die  heutigen,  mit  denen  sie  eine  Aehn- 
lichkeit haben.  In  den  ältesten  Liedern  zeigt  sich  manchmal  bei 
gleichem  Anfang  ein  doppelter  oder  dreifacher  Rhythmus,  d.  h.  es 
gab  auch  damals  schon  bedeutende  Varianten;  es  ist  kein  Wun- 
der, dass  der  Rhythmus  der  alten  Lieder  nicht  immer  mit  dem 
der  neuern  übereinstimmt.  Man  kann  nur  annehmen,  dass  das 
alte  und  neue  cechische  Lied  dem  Typus  nach  gleichartig  waren, 
dass  es  wenigstens  Tom  14.  Jahrhundert  einem  Baume  glich, 
auf  dem  sich  mit  jedem  neuen  Frühling  neue  Blätter  zeigten. 

Soweit  man  nach  diesen  wenigen  üeberresten  von  ganzen 
Liedern  und  Anfangsverseu  schliessen  kann,  war  die  jVolkspoesie 
bei  den  Cechen  schon  seit  dem  14.  Jahrhundert  im  Vergleich 
mit  andern  slavischen  Stämmen  stark  modernisirt.  Dies  v&tg 
sehr  natürlich  bei  den  Begegnungen  mit  den  lateinisch-deutschen 
Einflüssen,  die  von  altersher  im  Sechischen  Leben  wirkten  und 
seine  alten  Stammesunterschiede  verwischten.  So  drang  in  Böh- 
men schon  früh  mit  den  deutschen  Sitten  die  deutsche  höfische 
Poesie  ein;  am  böhmischen  Hofe  waren  deutsche  Minnesänger, 
joculatores,  und  schon  im  12-  Jahrhundert  vrird  ein  ,joculator" 
mit  cechischem  Namen  „Dobreta"  erwähnt;  es  treten  die  er- 
wähnten „Vaganten"  auf  —  sie  popularisirten  allmählich  die 
Kunstpoesie  der  Liehe  und  des  Scherzes,  welche  sich  schliess- 
lich in  das  Gebiet  des  Volksliedes  einzudrängen  begann.  Es 
ist  bekannt  —  unter  andenn  aus  der  Erfahrung  des  Volkslebens 
in  RuBsland,  —  dass  sich  die  Dorfpoesio  zwar  bei  isolirtem 
Leben  fest  an  die  Tradition  hält,  aber  bei  Begegnung  mit  dem 
Stadtleben  ziemlich  leicht  vor  einer  relativen  Bildung,  vor  neuen 
Sitten  weicht.  Die  Fülle  von  Kunstliedern,  die  gelegentlich  der 
politischen  Unruhen  des  15. — 16.  Jahrhunderts  gedichtet  wurden* 

■  Beispiele  siuho  iu  dcu  „Ei'gäuzungen  uud  Beri(;htiguugcii". 

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358  Föaftee  Kapitel.    DI.   Cecho-Slovaken. 

die  Zunatune  der  „Vaganten",  lassen  annehmen,  dass  das  Volks- 
lied bei  den  Öechen  in  hohem  Grade  von  den  Einflüssen  der 
deutschen  Sitten  und  der  Kunstdichtung  berührt  war;  dies  sprach 
sich  sowol  in  seinem  Inhalt,  dem  schon  jene  natürliche  Naive- 
tät  fehlt,  wie  wir  sie  bei  Stämmen  finden,  welche  weniger  von 
städtischer  und  fremdländischer  Civilisation  berührt  sind,  als  in 
der  Form  aus,  wo  dem  Verse  wahrscheinlich  schon  früh  der 
Reim  beigegeben  wurde. 

Eine  neue  und  consequente  Beachtung  der  Volkspoesie  fällt  in 
den  Anfang  des  jetzigen  Jahrhunderts.  Das  erste  Beispiel  dieser 
Art  will  man  in  den  „Prvotiny"  („Erstlinge")  von  Ilromädko  ini 
Jahre  1814  finden,  wo  die  serbische  Liedersammlung  von  Vuk  uud 
die  russische  von  Prac  angezeigt  waren  und  auf  die  Nothwendig- 
keit,  äecbiscbe  Lieder  zu  sammeln,  hingewiesen  wurde.  Darauf 
wurde  1817  bekannt,  dass  man  bei  den  Slovaken  an  eine  solche 
Sammlung  gehe,  und  in  demselben  Journal  begannen  slovakische 
Lieder  zu  erscheinen.  Hanka  versuchte  eine  Uebersetzung  ser- 
bischer Lieder  herauszugeben,  um  alsdann  seine  Landsleute  mit 
der  Volkspoesie  anderer  slavischer  Stämme  bekannt  zu  machen, 
aber  das  Unternehmen  hatte  keinen  Erfolg  und  ward  nicht  fort- 
gesetzt. Endlich  erweckte  ein  besonderes  Interesse  an  dem  Gegen- 
stände das  Erscheinen  des  „Gericlits  der  Libusa"  und  der  Königin- 
liofer  Handschrift,  und  die  erste  Arbeit  über  Volkspoesie,  die 
Erfolg  hatte,  war  das  früher  genannte  Buch  von  Celakovsky, 
wo  ausser  (ecliiscben,  mährischen  und  slovakischen  Liedern  Pro- 
ben der  Volkspoesie  fast  aller  slavischen  Stämme  mit  techischer 
Uebersetzung  gegeben  wurden.'  Im  Jahre  1825  wurde  schon  eine 
bedeutende,  wenn  auch  wenig  correcte,  Sammlung  von  Melodien 
herausgegeben.  Im  Jahre  1834  liess  Jar.  Langer  im  „Casopis" 
einige  Lieder  erscheinen ,  welche  sich  auf  Hochzeits-  und  andere 
Gebräuche  bezogen. 

Noch  zu  der  altern  Generation  der  cechischen  Patrioten  ge- 
hörte ein  eifriger  Sammler  von  Alterthümern,  nationalen  Ge- 
bräuchen und  Poesie,  Wenzel  Krolmus  (oder  Grolmus,  1787 — 
1861).  Unter  dem  Einflüsse  der  ersten  ficcbischeu  „Patrioten", 
besonders  Jungmann's,   aufgewachsen,  reiste  er  schon  während 


I  '  Sluvanskt  närodni  piaDÜ  (3  Bde.  Prag  1822—29).    Kioe  Auswahl  daraus 

in  deutscher  Uelieraefzung :    Slavische  Volkslieder,  von  Jos.  Weniig  lU*"«^ 
1830). 


....,  Google 


Die  Volkspoesie.  369 

der  Studentenzeit  im  Lande  herum  und  studirte  Alterthum  und 
Volksthum.  Nachdem  er  1815  Priester  geworden,  lebte  er  in 
Provinzialstädten ,  erlangte  bald  grosse  Popularität  im  Volke, 
sogar  unter  den  Nichtkatboliken ;  endlich  nahm  er  sich  vor,  die 
katholische  Agende  ins  Cechische  zu  übersetzen  und  nach  ihr 
Gottesdienst  bei  Nichtkatboliken  zu  halten.  Dieser  Umstand 
und  überhaupt  seine  besondere  Popularität  zogen  ihm  nicht  wenig 
Ungelegenheiten  mit  seinen  Obern  zu,  die  ihn  von  Ort  zu  Ort 
versetzten  und  ihm  zuletzt  1843  den  Abschied  gaben.  Alter  und 
Kränklichkeit  hinderten  ihn  nicht  an  der  Volksbewegung  des 
Jahres  1848  Theil  zu  nehmen.  Er  arbeitete  viel  in  der  Alter- 
thumskunde,  besonders  an  Ausgrabungen,  und  lieferte  viele 
Alterthümer  für  das  Böhmische  Museum  und  Privatsamm- 
lungen,  gab  auch  viel  Material  zu  dem  Buche  Kalina's. '  In 
dieser  Alterthumskunde  war  er  ein  äusserst  eifriger  Forscher 
und  —  Phantast:  er  üprach  mit  Ueberzeugung  von  dem  vor- 
historischen Alterthum,  fand  Spuren  von  Opfern  für  Cernoboh, 
entdeckte  ohne  Mühe  altcechische  Runen  und  las  sie  mit  Leichtig- 
keit u.  s.  w.  Der  Verfasser  lernte  ihn  zu  Endo  der  fünfziger  Jahre 
als  hinfälligen  Greis  kennen,  der  jedoch  auflebte,  wenn  er  von 
seinem  Lieblingsthema,  dem  böhmischen  Alterthum,  zu  sprechen 
begann.  Er  war  der  Typus  eines  alten  „Patrioten".  Wissen- 
schaftliche Kritik  hesass  er  sehr  wenig,  aber  seine  ethnogra- 
phischen Arbeiten  hatten  ihrerzeit  nicht  geringen  Werth,  wenn 
auch  zuweilen  nur  als  Anregung  von  Fragen:  es  kam  ihm  nicht 
darauf  an,  in  der  böhmischen  Alterthumskunde  von  Vishnu  und 
Siva,  von  Cernoboh  u.  s.  w.  zu  reden,  das  alte  Slaventhum  stellt 
sich  ihm  in  der  Gestalt  der  „Slavia"  dar,  —  aber  über  das  Volks- 
leben seiner  Zeit  gibt  er  nicht  wenige  schätzbare  Nachweise,* 


'  M.  Kaiina  von  Jäthensteiu,  „Bübmens  heidnische  Opferplätze, 
Gräber  und  Alterthümer"  (Prag  183G). 

'Sein  Hauptwerk;  „Staroteake  povÖsti,  zpävy,  hry,  obyCeje,  Blftvnosti 
i  näpSvy  ohledem  na  bajeBlovi  tesko-slovanskc,  jez  sebral  V.  S.  Sumlork" 
(seiu  Käme  verkehrt  gelesen,  „Altfeohiacbe  Erzählungen,  Lieder,  Spiele, 
Gewohnheiten,  Feste  u.  6.  w.",  13  Hefte  oder  3  Bände.  Prag  1846— 61); 
„Posledni  BoziStG  Cernoboha  s  mnaiiii  naSkalsku  v  kraji  Boleslavekem"  (, JHe 
letzte  Opferstätte  Cemobohs  mit  Runen  in  Skalsko  im  BunzUner  Land", 
Pr^  1857);   „Agenda  EcBki"  {„Cechische  Agende",    Prag  1818). 

Vgl.  noch  Aber  ihn  inTomek'sUnterBuchungea  über  das  „Gericht  der 
Libuäa". 

ü,g :.._..  ..GOOJ^IC 


360  Fünftes  Kapitel.    III.   Ceoho-Slovaken. 

Für  ein  claHsisuhes  i^uch  gilt  die  von  uus  früher  erwähnte 
Sammlung  öechischer  Volkslieder  vou  K.Jar.  Erben:  zum  ersten- 
mal erschien  seine  Sammlung  1842 — 43;  die  dritte  Ausgabe  in 
den  sechziger  Jahren.  •  Erben  befasste  sich  auch  mit  der  andern 
Seite  der  Volkspoesie  —  dem  Märchen;  wir  haben  oben  sein 
hierher  gehöriges  Buch  genannt.  Auf  die  Märchen  irar  schon 
früher  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  worden:  es  erzählten  und 
bearbeiteten  sie  z.  B.  Jakob  Maly^  Bozena  Nemcova,  J.  K. 
TyP  und  besonders  J.  K.  z  Radostova,  welcher  in  den  fünf- 
ziger Jahren  ein  umlängliche  Sammlung  cechischer  Märcbeu 
herausgab.*  Leider  bleibt  sehr  häufig  der  Leser  —  und  mit 
ihm  auch  der  Forscher  —  ohne  Anweisung,  in  wie  weit  sich 
die  Sammler  an  die  originale  Erzählung  des  Volkes  gehalten 
haben,  d.  i.  wie  viel  darin  rein  ethnologisches  Material  und  wie 
viel  literarische  Bearbeitung  ist. 

Zu  Anfang  der  siebziger  Jahre  bildete  sich  in  Prag  ein  Verein 
von  Freunden  des  VolksthumB,  dem  Anschein  nach  hauptsächlich 
aus  der  akademischen  Jugend,  unter  dem  Namen  „Slavia",  der  die 
Sammlung  und  Herausgabe  von  Erzeugnissen  der  Volksliteratur 
unternahm  und  später  unter  der  Leitung  Gebauer's  stand.  Der 
Kreis  dieser  Erzeugnisse  war  der,  den  schon  Krolmus  bezeichnet 
hatte,  und  die  „Slavia"  nahm  zur  Regel,  in  ihre  Sammlung  nur 
Nichtpublicirtes  oder  neue  Varianten  aufzunehmen.  ^  Unter  an- 
derm  lenkten  die  Herausgeber  auf  den  Rath  Gebauer's  ihre  Auf- 
merksamkeit darauf,  dass  man  bei  der  Niederschrifl  volksthüni- 
licher  Erzeugnisse  die  Unterschiede  der  Localmundarten  bewahre. 


'  Prostouärodni  Ceske  pfunS  a  rikadla  (Cechiaclie  Volkelieder  und  Siirüchu, 
Prag  1862—64,  ein  starker  Band). 

*  Närodoi  Eeske  pohädky  a  povesti  (Cechisühe  Volkemärchen  und  Er- 
zählungen, Prag  1838),  nnd  namentliuh:  Sebrane  bäohork;  a  povSati  narodai 
(OeBammelte  Volkemärchen  und  Erzählungen,  Frag  1845). 

■  DrobnSjlI  povfdky  prostonärodni  (Kleine  volksthümlicbe  Enäliliuigcu, 
in  Beinen  GeBatnmelten  Werken). 

'  Närodni  pob&dky  (Volksmäroben,  12  Hefte.  Pra^;  1856— 58;  S-  ^a&. 
iu  2  Bdn.    Prag  1872). 

'  Närodn!  pobadky,  pisni^,  hry  a  obyEcje.  Vydävä  pc(i  komise  pru 
nbiräni  när.  pohädek  etc.  litcrärni  feinickj  spoiek  „Slavia"  v  PraiB  (1-  Ab- 
thcilg.  4  Hefte,  Pr^  1873—75;  2.  Abthlg.  mit  dem  auHführliuhen  Titel: 
„Nirudni  pienf,  pohädky,  poveati,  i^ikadla,  prislovi,  potclcadb,  ubycejc 
väeobeune  a  zejmena  prävni",  i  Heft«,  Prag  1877—78). 


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Die  VolkBiiocBii.  361 

Für  Mäbi-en  ist  dur  hauptsächliehstti  und  bedeutendste 
Sammler  Franz  Susil  (1804—1868).  Von  Geburt  Mährer,  seit 
1827  PrieBter,  dann  Professor  der  Theologie  zu  Bmnn,  war  er 
in  Mähreu  einer  der  ersten  Wecker  des  national-slaviscben  Pa- 
triotismus und  lange  nachher  sein  hauptsächlichster  Vertreter. 
Er  war  claesischer  Gelehrter,  Theolog,  Dichter  und  Ethnolog, 
auch  ein  eifriger  Förderer  der  Gesellschaft  des  heiligen  Cyrill 
und  Method  (Dedictvi  sv.  Cyrilla  i  Methodeje),  welche  für  die 
national  •patriotische  Literatur  arbeitete.  Er  gab  eine  Antho- 
logie TOD  UeberBetzungen  aus  Ovid,  Catull,  Properz  und  Musaus 
heraus,  1861;  ein  sehr  geschätztes  Werk  über  die  öechische 
Prosodie,  1861;  eine  Uebersetzung  des  Neuen  Testaments,  die 
für  eine  der  besten  Erzeugnisse  der  ^echiscben  theologischen 
Literatur  gilt.  Seine  eigenen  (geistlichen)  Lieder  sind  schwer- 
fällig in  der  Form,  aber  von  einem  warmen  patriotischen  Ge- 
fühl durchdrungen.  Er  nahm  sich  früh  vor,  VolkUeder  zu  sam- 
meln, da  er  Besorgniss  hegte,  dem  Cechischen  Stamm  drohe 
Untergang ,  wie  dem  Baltischen  Slaventhum ;  später  fesselten 
ihn  die  poetischen  Schönheiten  dieser  Erzeugnisse.  Seine  erste 
Sammlung  erschien  im  Jahre  1835 — 40;  die  2.  Ausgabe,  1860', 
zählt  zu  den  besten  Sammlungen  slavischer  Lieder  in  Bezug  auf 
die  Fülle  des  Materials,  die  Genauigkeit  der  Aasgabe,  den  Reich- 
thum  an  volksthümlichen  Melodien. ' 

Ein  anderer  fleissiger  Sammler  ist  Beues  Method  Kulda  (geb. 
1820).  Ebenfalls  Mährer  von  Geburt,  studirte  er  auf  dem  Semi- 
nar zu  Brunn  und  bildete  sich  überhaupt  unter  dem  Einäuss  Susil's 
aus;  seit  1845  Priester,  ward  er  ebenfalls  ein  warmer  Förderer 
der  nationalen  Sache,  nahm  an  den  patriotischen  Unternehmun- 
gen in  Mähren  und  später  in  Böhmen,  sowie  an  der  Gesellschaft 
des  heil.  Cyrill  und  Method  theil;  im  Jahre  1870  ward  er  Ka- 
nonikus zu  Vysehrad  in  Prag.  Seine  literarische  Thätigkeit  kam 
zunächst  in  religiösen  und  belehrenden  Büchern  für  das  Volk 
zum  Ausdruck  —  in   demjenigen    katholischen  Geiste,    der  von 


'  Moravake  narodiii  piaoe  s  näpävy  do  tcxtu  vhidSuJini  (Brüun  ISliO, 
ein  )p-OBaer  Band  von  800  S.  Tuxt  in  zwei  und  drei  Spalten  mit  der  Me- 
lodie für  jodca  Lied). 

'  Vgl,  Aber  den  Charakter  der  Wii-ksatiikcit  der  kalbuliaeliun  Ueiatliub- 
k«it  und  der  Oesollschaft  des  heiligen  Cyrill  und  Method  bei  Uilferdiug, 
Sobr.  SoEin.  II,  99—100. 


D,9:.z.a.,  Google 


362  Fünftes  Kapitel.    III,   Cocho-SIovaken. 

HüferdiDg  verurtlieilt  wird,  aber  sich  dadurch  zur  Genüge  er- 
kliirt,  dasa  die  katholische  Geistlichkeit  iii  Mähren  die  Haupt- 
stütze der  nationalen  Bewegung  bildete;  zweitens  in  sehr  werth- 
vüUen  ethnologischen  Arbeiten.  Seine  „Volksmärchen  und  Er- 
zählungen aus  der  Umgegend  von  Boscnan"  oder  der  sogenann- 
ten mährischen  Walachei  erschienen  als  besonderes  Buch  im 
Jahre  1854;  darauf  gab  er  1870 — 71  in  dem  damals  gegründeten 
„Casopis"  („Zeitschrift")  der  mährischen  Matica  „Volksaber- 
glauben und  Gebräuche"  aus  demselben  Kreise  heraus.  Beides 
vereinte  er  dann  in  einer  neuen  Ausgabe. '  Die  mährische 
Walachei  zeichnet  sieb  nach  den  Worten  Kulda's  durch  eine 
besondere  Reinheit  des  cechiscb- mährischen  Volkstbums  aus, 
und  der  Sammler  bemühte  sich,  die  Volksmärchen  in  ihrer 
ganzen  volksthümlichen  Echtheit  zu  überliefern.  Ihm  gehört 
auch  eine  interessante  Darstellung  der  cechischen  Vo  Iks- 
bochzeit  mit  ihren  Gebräuchen,  Reden,  Liedern  und  deren  Me- 
lodien an.' 

Früher  als  Kulda  sammelte  mährische  und  schlesische  Volks- 
märchen Matthias  Mikäicek,  in  den  vierziger  Jahren.^  Seit 
1880  gibt  Fr.M.  Vräna  mährische  Volksmärchen  und  Erzählun- 
gen in  Heften  heraus,  und  er  bemüht  sich  besonders,  sie  getreu 
nach  dem  Volksmunde  wiederzugeben.^ 

Der  ersten  Forschungen  über  die  Volkspoesie  der  Slovakeu 
haben  wir  oben  gedacht,  als  von  den  Arbeiten  Safarik's  und 
KoUär's  die  Rede  war.  Zu  jener  Zeit  waren  dies  bei  den  SIo- 
vaken  und  Cechen  die  Männer,  die  am  lebendigsten  die  Volkspoesie 
empfanden  und  am  bewusstesten  die  Nothwendigkeit  ihrer  Er- 
forschung erkannten.    Nach  der  Liedersammlung  Safank's,  l>'23 


'  Moravske  näroiloi  pohädky,  povesti,  obyCeje  a  povevy  (2  Bde,  Prag 
lSU  —  lr>).  In  der  Vorrede  (I,  S.  14)  gedenkt  Kulda  mit  Befriedigung  der 
sympathischen  Acusserung  Hilferding'a  über  sein  Werk. 

'  Svadba  V  mirodü  teHko-alovanskem  Ci  Bvadcbni  obyCeje,  teti,  pru- 
niluvy,  pHpitky  a  73  svadcbuidi  pisni  a  näpiSvä  etc.  (ülmütz  1863;  ä.Ausg- 
18Hli;  a.  Au8g.  1875). 

'  Shirka  povCsti  inoniv8l(>'ch  i  sleKskych  [4  Hefte,  Olmütx  1843-4»; 
a.  Ansg.  1850).  —  Närodni  bächorky  (2  lieft«,  Znaini  1845).  —  Pohidky  ■ 
povidky  lidu  moravskebo  (Brünu  1847). 

<  MoravBke  uävodni  pohadky  ii  povSsti  (Brunn  1860  fg.) 


...,  Google 


Dio  Volkspocsic.  363 

— 27,  folgte  die  umfangreiche  zweibändige  Sammlung  KollärV 
Schon  in  der  „Slävy  dcera"  feierte  Eollar  den  Beichthum  des 
slavlEchen  Liedes;  in  den  Erklärungen  zu  seiner  Dichtung  liihrte 
er  eine  Reihe  Zeugnisse  selbst  von  ÄUBländern  über  diese  poe- 
tische UeberfüUe  an.'  Die  Ausgabe  der  Lieder  ist  mit  grosser 
Sorgfalt  ausgeführt:  sie  ist  überaus  manniclifaltig  und  diese 
Mannichfaltigkeit  ist  in  der  Anordnung  des  Materials  nuancirt; 
den  Liedern  sind  viele  historische   und   ethnographische  Erklä- 


'  Närodaie  Ziiiewänky  tili  pjsuS  Bwütskü  Slowäkä  w  UbräcL  gak  po- 
»politiiho  liJu  tak  i  wjääjuh  atawüw,  aebrane  od  mnulij'cb,  w  pofädek  uwcdcüiJ, 
wynw&tlenjnii  opfttfeue  a  wydaue  od  Jana  Kollära  (W,  Biidjnf,  1834—35). 
Vor  dieeeo  Ausgaben  waren  einige  nlovakiache  Lieder  abgedruckt  wonlcn 
in    dem   Joamal    Hromädko's   und    in   Celakovakj'a   Sammlung   alav isolier 

'  Im  Vorwort  zum  zweiten  Bajid  aeiner  „Slovakiscben  Lieder"  weial 
Safarik  ebenfalls  mit  Stolz  auf  die  wunderbare  Verbreitung  von  Liedern 
t>ei  den  Slovaken  hin,  die  einen  allgemeinen  slaviacben  Zug  bildet  und  der 
selbst  den  Feinden  dea  Slaveutliums  niulit  unbemerkt  bleiben  konnte.  Ein 
Deutsoher,  Yerfasaer  des  Buchea:  „Freymüthige  Bemerkungen  einea  Ungare 
über  »ein  Vaterland"  (Teutachland  1799)  —  aagt:  Eine  auBaerordentlioho 
Liebe  zum  Gesang  bildet  einen  weaeutliolieu  und  aoliünen  Zug  der  Slaven. 
Luatig  iat  ee  über  die  Felder  zu  geben  zur  Zeit  der  Ernte:  da  singt  allca. 
Selten  trifft  es  sich,  daas  eine  slaviauhe  Frauensperaon  aoliweigt:  sie  schwatüt 
oder  Hingt.  In  deatsclieu  Stüdtcn,  wo  slavische  Mädchen  dienen,  kehren 
sie  immer  am  Morgen,  wcon  sie  eiuh  mit  Gras  beladen,  in  Gruppen  sin- 
gend zurück.  Die  Slaven  haben  hierin  einen  entsuhiedenen  Vorzug  vor  den 
Deutschen,  die  Keiehard  mit  Recht  sauglose  Deutsche  genannt  bat. 

Safi^k  führt  noch  ein  andei-ea  deutaoliea  Zeugnisa  an  aus  dem  „Gemein- 
nützigen und  erjieitcrnden  Ilauakulcnder  für  das  OeatciToichiache  Kaiserthum 
auf  das  Jabr  1823"  (Wien),  wo  eine  Weinlese  zu  Tokay  beschrieben  wird: 
Die  merkwürdigate  von  den  Gruppen  fleissiger  Arbeiter  bilden  die  Ungarn. 
Obgleiuh  aie  ebenso  wie  die  andern  Arbeiter  aus  jungen  Burschen  und 
Mädchen  bestehen,  ao  biirt  man  doch  von  ihnen  selten  ein  Volkalled.  Fröh- 
licher gellt  die  Weinlcae  vor  sich  bei  den  Zipser  Doutseben.-  Al>cr  das 
["egste  Leben  erhebt  siuii  bei  den  i^lovaken,  die  hierher  vou  den  Bei^n  zur 
Weinlese  herabkoraiticu.  Sie  verbringen  keine  Minute  ohne  ihre  Lieder 
in  den  nianuichfaltigstcn  Melodien  anzustimmen.  Und  die  slovakiscben 
Volkslieder  sind  wirklich  interessant,  theils  wegen  ihrer  beaoudem  Melodie, 
die  zuweilen  überaus  angenehm  und  durch  die  Gefügigkeit  der  Sprache 
verschönert  ist,  thcila  wegen  ihres  Inhalts,  Ihre  elegiaohen  Lieder  siogeu 
die  Slovaken  mit  rührendem  Gefühl  und  nur  einige  fröhliche  Lieder  singen 
sie  mit  voller  Stimme.  Der  grösste  Theil  ihrer  Lieder  könnte  dem  Künst- 
ler viel  Material  zu  den  vorzüglichsten  Variationen  geben. 


....,  Google 


364  Fünftea  Kapitel.    HI.    Cecho-Slovaken. 

niiigeii  beigefügt.  Kollär  beklagte  sich,  dass  viele  seiner  Land- 
leute seinem  Unternehmen  sehr  kalt  begegneten,  aber  zugleich 
zeigte  es  sich,  dass  die  Lieder  schon  seit  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts  die  Aufmerksamkeit  der  Patrioten  auf  sich  ge- 
lenkt hatten,  und  Kollär  konnte  aus  alten  Aufzeichnungen  einige 
interessante  Denkmäler  der  alten  Poesie  entnehmen.' 

Wir  verzeichnen  noch  eine  Tvenig  bekannte,  kleine  Sammlung 
slovakisclier  Lieder,  die  noch  früher  als  die  Sammlung  Kolldr'G 
von  L  Sreznevskij  zu  Charkov  nach  den  Worten  dahingelangter 
liausirender  Slovaken  zusammengestellt  wurde.' 

Mit  der  Gründung  der  slovakischen  Matica  wurde  auch  eine 
neue  Sammlung  von  Erzeugnissen  der  Volksliteratur  unternom- 
men ^,  die  nach  der  Schliessung  der  Matica  nicht  fortgesetzt  zu 
buiii  scheint.  In  dieser  Ausgabe  sind  die  Eigenthumlichkeiteii 
der  localen  Volkssprache  beobachtet. 

Die  erste  kleine  Sammlung  slovakischer  Märchen  veranstaltete 
iu  den  vierziger  Jahren  der  schon  früher  von  uns  genannte  Fran- 
cisci,  unter  dem  Pseudonym  Rymavsk^.*  Eine  zweite  Samm- 
lung unternahmen  zu  Ende  der  fünfziger  Jahre  August  Horislav 
Skultety  und  Paul  Dobsinsky.*  Letzterer  begann  uuläugtit 
die  Herausgabe   einer   neuen  Reihe   slovakischer  Märchen,  diu 


*  SafaMk  äussert«  sich  später  über  die  Saminlung  Kollar'e:  „Dies  ist 
oiu  reicher  Schatz  von  Liedero,  wulil geordnet,  correct  gedruckt  Dod  mit 
den  nothwendigeu  Erläuterungen  versehen ,  ein  Schatz ,  wie  sich  eines 
solchen  in  diesen  UeziehuDgeu  kaum  ii^cndein  anderer  Zweig  des  Slaven- 
thnrns  rühmen  kann.  Dass  der  Herausgeber  ausaer  reineu  Volksliedem  iu 
seine  Sammlung  auch  einige  andere,  von  gelehrten  Yerfassem  stammeodu 
und  im  Volke  beliebte  Lieder  aufgcnummen  hat,  ist  schon  auf  dem  Titel 
angegeben  und  wird  im  Buche  selbst  ausführlicher  erklärt."  S.  Casopis,  IStfi, 
oder  Sebrane  Spiay,  III,  409. 

'  Slovackija  pSsni  (Charkuv  1832.    16.  ÜO  S.). 

'  Sbumik  SlovcuHkJuh  näruduich  pieaui,  povesti,  piislovi,  porckadicl 
häiluk,  hier,  obyCajov  a  puvior.  (1.  Bd.  1870;  2.  Bd.,  l.Ucft  1B74.  Thuröcz 
Sz.  Marton). 

*  Slovcnskjc  povesti.  U»)iorjadau  a  vidau  Janku  Himavaki  (Leutschau 
1845). 

'  Puv^ati  prastaryeh  bäjetnych  ÜnaÜv.  Sloveusku  povCsti  (8  Ueft. 
BoBCUBu  uud  Schcmuitz  1858—61). 


.,Güoglf 


Die  Volkapoeeie.  3(i5 

nicht  in  die  erste  Ausgabe  gelangt  waren ',  zum  Theil  unter  Bei- 
betialtung  der  Looalmuniäarten. 

Von  der  Volkspoeeic  des  techischen  Stammes  gibt  es,  wie  wir 
gesehen  haben,  gar  manche  und  gute  Sammlungen,  aber  ilirc 
historische  Erforschung  ist  bisher  noch  sehr  ungenügend,  bo- 
sonders  von  dem  kritischen  Standpunkte  aus,  der  sich  in  der 
neuern  ethnologischen  Wissenschaft  heraus  arbeitet.  Ausser  den 
erwähnten  speciellen  Commentaren  zu  den  Liedern  und  Ueber- 
liefemngen,  ausser  einzelnen  Seiten,  wo  aus  der  Volkspoesic 
Material  für  die  slavische  Mythologie  genommen  wurde  (wie  in 
iten  Untersuchungen  von  öafarik.  Erben,  Hanus,  der  russischen 
Mjthologen),  ist  die  Volkspoesie  der  Oecheu,  Mährer  und  Slo- 
vaken  noch  nicht  in  ihrer  gesammten  historischen  Entwickelung 
dargestellt  worden.  Einer  der  ersten  Versuche  einer  allgemeinen 
Charakteristik  wurde  in  dem  Buche  von  0.  M.  Bodjanski.): 
„lieber  die  Volkspoesie  der  slavischen  Völker"  („0  narodnoj 
poezii  slavjanskich  plemen",  Moskau  1837)  gemacht.  Ein  ähn- 
liches allgemeines  Werk  stellt  das  Buch  von  Ludevi't  Stür  über 
tUe  Volkslieder  und  Märchen  der  slavischen  Stämme  dar ' : 
lobendig  geschrieben,  gibt  es  nur  eine  Darstellung  der  allge- 
meinsten Eigenschaften  der  slavischen  Volkspoesie  und  weist  nur 
in  wenigen  Warten  auf  ihre  Unterschiede  bei  den  verschiedenen 
SUimmen  hin  (S.  142—144). 

Nach  IStür  scheint  es  kein  zweites  zusammenbssendes  Werk 
weder  über  die  slavische  Volkspoesie  im  allgemeinen,  noch  im 
besondern  über  die  cecbo-slovakischen  Stämme  zu  geben.  Wir 
wollen  einige  Specialarheiten  anführen. 

Die  slovakischen  Patrioten  schätzen  ihre  Volkspoesie  beson- 
ders hoch,  aber  diejenigen,  welche  ihre  Bedeutung  erklären  woll- 
ten, verstanden  sie  zumeist  in  einem  abstracten,  etwas  mystischen 
Sinne.  Janko  Rymavskj'  sah  in  den  Märchen  eine  Manifestation 
des  selbständigen  slavischen  Geistes  und  Prophezeiungen  über 
die  Zukunft  der  Slaven.    Auf  Grund  der  Märchen  verfassto  ein 


'  Prostonäroilnic  Slovenske  povesti.  Ufporjadnl  a  vydävä  Pavol  I>olj- 
iSinsky  1.  lieft,    Turocz  S(.  Marlon  18H0  (ein  kleinns  Schriftchen), 

'  0  näroduich  pinnieh  n  povi'Btei^h  pimiien  nlovanfikych  (Pmtt  tSTiS), 
l>iPBes  von  uns  schin  früher  erwälmtc  Buch  vrurile  ursprünglich  nlovakiscli 
(feschrieben  nnil  dano  von  Kalinfiik  ina  C'ecbische  übersetzt,  (Vgl.  iJo- 
biinsky,  Üvahy  etc.  S.  4.) 


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366  Fünftes  Kapitel.    III.    Cecho-SIovaken. 

anderer  Schriftsteller,  Peter  Zäboj  Kellner-HoatinskJ,  eine 
Darstellung  der  „Slovakischen  Glaubenswissenschaft"  {„Slovenski 
Veronauka",  Gross-Revüca  1872).  P.  Dobsinsk^  schrieb  „tJyahy 
o  sloTensk^ch  poveatiach "  ( „Beti-acbtungen  über  slovakische 
Märchen",  Thuröcz  Sz.  Marton  1871),  wo  auf  Grund  der  Mär- 
chen eine  ganze  Volksphilosopbie  aufgeföhrt  wird,  nach  den  Ru- 
briken: Das  Fabelhafte  der  Erzählungen,  Gotteskunde,  Welt- 
kunde, Menschenkunde,  Die  Verhältnisae  des  Menschen,  Das  Schick- 
sal u.  s.  w, ,  aber  es  fehlt  an  elementarer,  kritischer  Bearbeitung 
und  z,  B.  der  Ausscheidung  der  eigentlich  slovakischen  Besonder- 
heiten aus  dem  allgemeinen  Märchentypus.  '■ 

Bei  den  öechen  sind  Forschungen  über  die  Volkspoesie  eben- 
falls selten;  aber  hier  finden  wir  schon  andere  ForschnngK- 
methoden.  Wir  nennen  insbesondere  das  Bach  von  Sobotka: 
„Das  Pflanzenreich  und  seine  Bedeutung  in  den  Volksliedern. 
Erzählungen,  Fabeln,  Gebräuchen  und  abergläubischen  Anschau- 
ungen der  Slaren.  Ein  Beitrag  zur  slav.  Symbolik"  („Bostlinstvo 
a  jeho  vj?znam  v  närodni'ch  pi'sni'ch  etc.",  Prag  1879).  Primus 
Sobotka  hat  seit  lange  seine  Untersuchnngen  über  die  slaviscbe 
Symbolik  begonnen^  und  erweiterte  sie  zu  einer  erschöpfenden 
Abhandlung  über  die  Pflanzen  in  der  slavischen  Volkspoesie.  Er 
nahm  die  Lieder  und  Traditionen  aller  slavischen  Stämme  zur 
Grundlage  und  benutzte  als  Richtschnur  die  neuen  Untersnchun- 
gen  über  MytHologie  und  Ethnographie,  darunter  auch  einige  rus- 
sische. Sein  Buch  bietet  viele  interessante  Vergleiche,  Vor  kor- 
zem  erschien  der  Anfang  einer  weitern  Arbeit  Sohotka's,  über  das 
Thierreich  in  der  Volkspoesie.  Ein  sehr  interessantes  Thema  "rählte 
J.  Dunovsky  in  einer  Abhandlung  „Ueber  das  deutsche  Volks- 
lied im  Verhältniss  zum  slavischen"^;  sein  Ziel  ist,  zu  unter- 
suchen, wie  sich  im  Liede  der  gegenseitige  Einfluss  beider  Stämmp 
geltend  gemacht;  wie  sich  der  fremde  Stoff  unter  Annahme  dos 
slavischen  Gewandes  verändert  hat,  wie  ins  slavische  Lied  viele 
fremde,  zuweilen  den  slavischen  Charakter  geradezu  ins  Gesicht 


'  Wir  führen  noch  die  Artikel  im  „Letopis"  der  elovakiacben  Mali''" 
an:  S^Binek,  Slovania  a  hndba,  III-IV,  Heft  1 ,  S.  H-20.  Jsn  Bfli». 
„Myälienky  o  vj'vine  niirodnej  hudby  b  slovenHkeho  appvu",  X,  Hrft  i- 
S.  10-29. 

'  In  „Osv5ta",  lö72. 

'  Im  Jmimal  „Kvf-ty"  1879,  Heft  7—12. 


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Die  Volkapoesic.  367 

schlagende  Elemente  gelangt  sind,  wie  in  schon  vollständig  ger- 
manisirten  Ländern  ein  eigenthümlicher  Strom  ursprüngliclien 
slavischen  Alterthums  durchschlägt.  Der  Gegenstand  ist  sehr 
wichtig  und  verdiente  eine  eingehendere  Untersuchung.  Dann 
bleibt  noch  zu  bemerken  übrig,  dass  sich  einzelne  Beschrei- 
bungen des  Volkslebens,  einzelner  Specialitäten  der  Volkspocsie 
u.  B.  w.  in  wissenschaftlichen  und  populären  Journalen  zerstreut 
finden.' 

Sonach  ist  eine  ernste  Erforschung  der  techischen  Poesie 
kaum  erst  im  Beginnen.  Stür,  dessen  Buch  noch  immer  eine 
Autorität  bleibt,  stellte  hei  Bestimmung  der  relativen  Bedeutung 
der  Volkspoesie  der  slavischen  Stämme  die  altfechische  Poesie 
in  den  Vordergrund,  dann  die  kleinrussische,  serbische  und  zu- 
letzt die  russische.  Wie  weit  man  geneigt  ist,  dieses  Verhaltniss 
noch  jetzt  aufrecht  zu  erhalten,  kann  man  aus  den  Ansichten 
Jagic's  ersehen.  Stür  bemerkte  nur,  dass  die  spätere  fechische 
Poesie  ihre  frühere  Selbständigkeit  und  ihren  alten  Reichthuni 
verloren  habe. 

Man  darf  annehmen,  dass  die  cechische  Poesie,  —  so  weit 
jetzt  die  historischen  Zeugnisse  und  Erwägungen  reichen  —  ein 
Epos,  wie  es  der  russische,  serbische  und  bulgarische  Stamm  be- 
sitzen, gar  nicht  gekannt  hat;  sie  war  ausschliesslich  lyrisch,  mit 
einem  mehr  oder  weniger  reichen  Elemente  von  Festliedern, 
worin  sich  auch  ihre  hauptsächliche  Alterthümlichkeit  erhalten 
hat.  Die  frühen  Einflüsse  fremder  Sitten,  des  städtischen  Le- 
bens, der  Schule,  verwischten  mehr  und  mehr  ihre  ursprünglich 
slavischen  Züge,  die  sich,  wie  gewöhnlich,  weit  lebendiger  dort 


'  S.  z.  B.  im  „('aaopis"  der  mährisclien  Matica  {l>is  1883,  13  Jalirpän^l  • 
die  AHikd  von  V.  Hrandl;  Fr.  Uartoä,  Tliom.  Simbera  u.  a.  w. 
Eodliiili  bc/ielien  siuli  auf  die  feuliisulio  Volknpocsio  verachicdeiio  Arlieilcii 
iD  deutsch  LT  Sprache,  wie  üebereetzuiigeu  vou  Occliiacli  od  Liedern  (Wenzigl, 
von  Märchen  und  Traditionen  {Waldau,  Weuzig,  Grohmann),  ethnograplii- 
Bche  Werke  der  Ida  von  Düriugsfeld  und  des  Baron  Reinsberg  u.  s.  w. 

Wir  vcrzeicbnen  noch  das  Urtbeil  über  die  f  echieche  Volkspoesie  in  dem 
Buche  Chojecki'B,  „rechja  i  Czochowie",  1, 209— 2l.'>.  Interessant  ist  eine 
AeuBscrimg  über  die  EecUisohen  Scliriftsteller ,  die  naeh  der  Meinung  t'ho- 
jecki'fl  fast  alleKachahmer  des  Volksliedes  sind,  aber  alle  nur  aelten  »einen 
Charakter  richtig  wiederzugeben  verstehen:  „Es  war  dies  ein  Bauer  de« 
Thealera,  hübsch  aufgeputzt,  aber  nur  mit  so  viel  innerer  Wahrheit,  wie 
sieh  davon  auf  die  Bühne  bringen  liess." 


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368  FüDftea  Kapitel.    III.   Cechö-Slovaken. 

erhielten,  wobin  jeneEinBüsse  nicht  drangen:  so  findet  eich  tod 
diesem  Ursprünglichen  mehr  in  den  Liedern  der  Hährer  nnd 
Slovaken.  Dam  Anschein  nach  hätte  die  hnssitische  Periode 
Material  zn  einem  neuen  Epos  geben  können:  aber  diese  Bewe- 
gung war  als  eine  kräftige  nationale  Bewegung  innerhalb  des 
Volkes  selbst  in  zwei  Parteien  getheilt;  es  gab  keinen  einheit- 
lichen allgemeinen  Aufschwung,  —  wie  er  z.  B.  in  den  Kosaken- 
kriegen  war,  welche  das  neue  Epos  der  Kleinrussen  schufen,  ja 
überhaupt  war  die  Periode  einer  frischen ,  inhaltreichen  Volks- 
poesie schon  vorüber. 

Es  genügt,  die  (^echischen  Lieder,  z.  B.  die  Festheder  mit  den 
russischen  zu  vergleichen,  nm  zu  sehen,  dass  die  6echiBchen  eine 
weit  neuere  Formation  bilden:  in  ihnen  ist  bei  weitem  schwächer 
vertreten  oder  fehlt  ganz  jenes  archaische  Element,  das  so  viele 
Nachklänge  altnationaler  ethischer  Anschauungen  und  poetiscben 
Gefühls,  80  viel  naive  Tiefe  und  unverfälschte  Schönheit  in  sieh 
fasst.  Die  Neigung  zur  Poesie  lebt  noch  im  Volke,  aber  sie 
schafft  Lieder,  die  schon  den  neuen  Verhältnissen  des  ganzen 
Volkslebens  entsprechen  —  bis  zu  dem  Grade,  dass  der  liebende 
Jüngling  und  das  liehende  Mädchen  in  einem  mährischen  Liede  als 
„galan"  und  „galanka"  (1)  auftreten ;  die  Einmischung  neuen  Inhalte 
war  von  einer  Veränderung  in  der  Form  begleitet,  z.  B.  von  einer 
Theilung  in  regelmässige  Strophen,  vom  Reim.  Schon  längst  ist 
bemerkt  worden,  dass  sich  das  6echische  Lied  unter  deutschem 
nnd  stadtischem  Einfluss  auch  in  seinem  Ton  in  ungünstiger 
Weise  verändert  hat.  .  .  .  Bei  alledem  hat  das  Volkslied  der 
Cechen,  Mährer  und  Slovaken,  wo  Bich  seine  Alterthümlichkeit 
besser  erhielt,  und  dann  die  Märchen,  Ueberlieferungen  und  aber- 
gläubischen Meinungen  noch  viel  echte  l'oesie  und  originellen 
Typus  bewahrt.  Es  ist  zu  wünschen,  dass  der  national-poe- 
tische und  cnlturhistorische  Inhalt  aller  dieser  ETzeugnisse  end- 
lich einen  erfahrenen  historisch  -  ethnographischen  Erforsoher 
linden  möge. 


.yGoOgIf 


Seclistes  Kapitel.' 

Diu  Baltiseke  SUTenthnm.  —  Die  LanBttzer  Serhen 
oder  Wenden. 


Die  Lausitzer  Serben  oder  Wenden  in  der  preuesischen  und 
«ächetschen  Lausitz  sowie  ferner  die  pommerachen  Slovincen  nnd 
Kainken  am  östlichen  prenssischen  Ufer  des  Baltischen  Meeres 
bilden  jetzt  einen  kleinen  Bruchtheil  einer  einst  weit  verbrei- 
teten slavischen  Bevölkerung,  welche  den  ganzen  Norden  des 
heutigen  Preussen  bedeckte,  im  Norden  an  das  Baltische  Meer,  im 
Westen  an  die  Elhe  (zum  Theü  diese  sogar  weit  überschrei- 
tend), im  Osten  an  Böhmen  und  Polen  grenzte.  Diese  Slaven,  in 
einige  grosse  und  in  eine  Menge  kleiner  Stämme  getheilt,  und  bei 
den  neuem  Historikern  nach  der  geographischen  Lage  das  Balti- 
sche oder  Polabiscbe  (d.i.  ander  Elbe  gelegene) Slaventhum  ge- 
nannt, bildeten  niemals  ein  nationales  und  politisches  Ganzes.  Wann 
sie  zuerst  im  Baltischen  Küstenland  nnd  an  der  Elbe  aufgetreten 


'  In  dieiem  Kapitel,  soweit  es  die  Landsleut«  des  Uebenetzera,  die 
l^ausitzer  Serben,  betrilR,  bat  derselbe  mit  Zustimmung  de«  Herrn  VerfctB- 
»en  eiaige  Aenderungen  und  Ergänzungen  Torgenommen,  tbeila  auf  Grund 
eigener  Erialirung,  theila  snf  Grund  von  Materialien,  die  ibm  einige  seiner 
li^ndaleute  zur  Yerfügung  stellten.  Da  es  sieh  dabei  nnr  um  Ricbtigstellung 
und  Ergänzung  von  Thatsaoben  handelt,  die  dem  Herrn  Verfasser  nicbl  ?.\i- 
gänglicb  waren,  oder  erst  in  die  Zeit  nach  Erscbeinen  des  Originals  fallen, 
so  hat  derselbe  die  gegenwärtige  Fassung  des  Abschnitts  nach  Einsicht  in 
den  Inhalt  gebilligt.  I>ie  Einscfaiebungen  im  Test  und  Anmerkungen  unter 
demselben,  welche  vom  Ueliersetzer  herrühren,  sind  durcU  Einachluss  in  (  ] 
(»«merklich  gemacht. 

PTr»,  SIsTlnh«  LlterltOT«!!.    11,2.  24         /  . 

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370  Seohstei  Kapitel.    Das  Baltische  Slaventhum. 

sind,  darüber  bietet  die  Greschichte  keine  zuverlässigea  Angaben; 
doch  ist  die  Hypothese  sehr  wahrBcheinlich ,  dase  sie  von  Osten 
nach  Westen  aus  den  LäDdem  an  der  Weichset  vorgedrungen  siud. 
Das  Baltische  Staventhum  zerfiel  in  drei  Hauptgrappen:  das  nord- 
westliche Land  nahmen  die  Obotriteo  ein,  im  Osten  und  Süden 
von  ihnen  wohnten  die  Luticen  und  Wilzen,  jenseit  der  Oder  die 
Pomorjanen  (Pommern).  Die  Lausitzer  Serben  bildeten  eine  ver- 
wandte aber  getrennte  Gruppe,  welche  auch  zum  Theil  ein  an- 
deres historisches  Schicksal  hatte. 

Den  Stammeseigenthumlichkeiten  nach  gehörte  das  Baltische 
Slaventhum  eigentlich  zum  lechischen  Zweige  —  wie  schon  Nestor 
zum  Gesam ratstamme  der  Lechen  anerst  die  Poljanen  (d.  i.  die 
eigentlichen  Polen),  dann  „andere  Lechen",  als  die  Luticen, 
Mazovsanen  oder  Mazuren  und  Pomorjanen  oder  Pommern 
rechnet.  Aber  während  sich  die  östliche  Hälfte  des  lechischen 
Stammes  zu  dem  polnischen  Staate  vereinigte,  blieb  die  west- 
liche Hälfte  zersplittert,  sie  gelangte  nicht  nur  su  keiner  Einheit, 
sondern  lebte  fortwährend  in  einem  verzweifelten  innem  Streite, 
und  bereitete  dadurch  ihren  Untergang  vor.  Historische  Ueber- 
lieferungeb  berichten  von  den  natürlichen  Reichthümern  der 
Jjänder  des  Baltischen  Staventhums,  von  blühenden  Handels- 
städten des  Küstenlandes,  vom  Unternehmungsgeist  der  slaviscben 
Seefahrer,  Kaufleute  und  Abenteurer;  die  Sage  hat  die  Ueber- 
lieferutig  von  den  Reicbthümern  Wolins  noch  weiter  ausge- 
schmückt; in  letzterer  Zeit  suchen  russische  Historiker  hier,  in 
den  Gebieten  des  Baltischen  Slaventhums,  jene  kühnen  und  ener- 
gischen „Waräger-Russen",  welche  den  Grundstein  zum  russi- 
schen Reiche  legen  sollten. 

Allein  alles  das  ist  zu  Staub  geworden  und  uotei^egangen. 
Die  Geschichte  des  Baltischen  Slaventhums  ist  ein  hartnäcki- 
ger, tragischer  Kampf  mit  den  Germanen,  mit  Normannen. 
Dänen  und  Deutschen,  ein  Kampf,  der  sich  mehrere  Jahrhsn- 
derte  lang  hinzog  und  mit  dem  Untergang  des  Slaventhums 
endete.  Die  Gefiihr  einte  die  Stämme  nicht;  es  gab  Versuche 
gemeinsamen  Handelns,  aber  häufiger  ging  Feindschaft  gegen  die 
Deutschen  mit  gegenseitiger  innerer  Feindschaft  einher,  und  die 
Deutschen  fanden  bei  dem  einen  Stamme  Hülfe  gegen  den  andern- 
Karl  der  Grosse  führte  gegen  sie  einen  systematischen  Krieg;  in 
seinem  Heere  kämpften  schon  Slaven  gegen  Slaven.  Der  Kampf 
war  jetzt  schon  kein  blosser  Kampf  feindseliger  Stämme  mehr, 

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HistfftiBohe  Bemerknngea.  3?1 

sondern  zagleich  ein  religiöser:  das  christliche  Germanentbum 
bemühte  sich,  die  Slaveo  politisch  zu  überwinden  sowie  zugleich 
daa  Christentlinni  bei  ihnen  einzuführen.  Es  gab  aufrichtige  und 
selbstlose  Prediger  des  Evangeliums,  wie  der  berühmte  Bischof 
Otto  von  Bamhei^,  aber  häufiger  war  die  Einführung  des 
Christenthums  eine  Folge  der  kriegerischen  Unterwerfung.  Die 
Zwietracht  inmitten  des  SlaventhnmB  selbst,  die  locale  Ezcln- 
Birität,  die  Unfähigkeit  zu  gemeinüamem  Handeln  machten  nur  dem 
Feinde  die  Sache  leichter;  Dänen  und  Deutsche  nahmen  immer 
mehr  slavischen  Boden  in  Besitz,  hatten  die  Botmässigkeit  über 
slaviscbe  Fürstentbümer  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts war  das  Baltische  Slaventhum  entweder  durch  die 
Deutschen  ganz  unterworfen  oder  stand  doch  in  voller  Abhängig- 
keit von  denselben. 

Der  Untergang  des  Baltischen  Slaventbums  wurde  von 
neuem  slavischen  Historikern  immer  als  eine  traurig  -  gross- 
artige  tragische  Lehre  dargestellt.  Die  Ursache  des  Verfalls 
lag  im  Baltischen  Sljiventhum  selbst:  sie  bestand  in  „der  Sorg- 
losigkeit der  Existenz,  der  geistigen  Schwerfälligkeit,  dem  Man- 
gel an  Sorge  um  die  Zukunft,  in  einer  gewissen  instinctiven 
Abneigung,  sich  dazu  zu  bequemen,  Berechnungen  von  langer 
Hand  anzustellen,  Umschau  zu  halten  und  seine  Stellung  zu 
erwägen,  um  dann  auf  der  Bahn  bewussten  Handelns  zu  einem 
fest  bestimmten  Ziele  vorwärts  zu  schreiten;  —  ein  solches  histo- 
risches Gebrechen  hatte  andere  im  Gefolge;  consei-vatives 
Festhalten  am  ererbten  Culturzustand  und  Stagnation,  das 
Unvermögen ,  private  Interessen  dem  Gemeinwohl  zu  opfern, 
Neigung  zu  Feindschaft  und  Zwietracht  zwischen  den  einzelnen 
Gauen." ' 

Der  allgemeine  historische  Sinn  jener  Ereignisse  war  das  Zu- 
sammentrefTen  zweier  verschiedener  Stufen  der  historischen  Ent- 
wickelung.  Die  Deutschen  hatten  mit  der  Annahme  des  Christen- 
thums und  der  römisch- christlichen  Bildung  und  eben  hierdurch 
ein  moralisches  und  geistiges  Uebergewicbt  erlangt.  Das  Slaven- 
thum vermochte  nicht,  diesem  einen  gleicliwerthigen  Inhalt  gegen- 


■Kotljarevtkij,  „Drevuosti  jurid.byU  BoltSlavjait"  (Prag  1874).  VgU 
'  intereeaanteu  Bemerkungen  über  die  Baltisoheu  Slaven  von  Chomja- 
V  in  den  Briefen  an  Hilferding  (in  Bartenev's  ,,Rus»ikij  Archiv"). 


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372  Sechstes  Kapitel    Du  Baltische  Slareuthnm. 

überzuetellen,  und  nachdem  ee  sieb  jenem  XJebergewiclit  uiiter- 
iforfen,  unterwarf  es  sich  aacb  dem  Werkzeug  desBelbeu  —  der 
dentscben  Nationalität.  Die  üiihe  Annahme  des  Gbristenthnms 
und  die  Staatenbildnng  bei  den  Üechen  und  Polen  brachte-  hier 
aacb  den  Strom  der  Gennanisirung  zum  Stillstand. 

Mit  dem  definitiven  Siege  der  Deutschen  begann  in  der  ganzen 
Ausdehnung  der  Länder  des  Baltischen  Slaventbums  eine  Periode 
schneller  Gennanisirung.  Die  Einbürgerung  des  ChristenÜiumR. 
welches  selbst  schon  «ine  Folge  der  Ueberwindung  war,  besei- 
tigte die  religiösen  Motive  des  Kampfes,  welche  bei  den  heid- 
nischen Slaven  von  so  starker  Wirkung  gewesen  waren,  und 
hatte  die  deutsche  Golonisirung  im  Gefolge,  welche  dem  natio- 
nalen Wesen  und  später  der  Existenz  des  Slaventhums  selbst 
den  letzten  Schlag  versetzte.  —  Sobald  die  politische  Herr- 
schaft den  Deutschen  gehörte,  ging  die  Golonisirung  mit  raschen 
Schritten  vor  sich.  Das  Land,  in  jenen  Jahrhunderten  von  einer 
Menge  Wälder  und  Sümpfe  bedeckt,  hatte  viele  unbewohnte 
Strecken ;  die  hartnäckigen  Kämpfe  verringerten  die  Bevölkerung 
noch  mehr,  und  als  in  den  neuen  Ländern  der  Boden  an  die 
deutschen  Bitter  vertheilt  wurde,  stellte  sich  mit  diesen  auch 
eine  dentsche  Bevölkerung  ein.  In  die  Reihen  des  deutschen 
Vasallenadels  ging  vor  allem  der  slaviscbe  Adel  über;  die 
Geistlichkeit  bestand  ausschliesslich  aus  Deutschen;  die  Städte, 
die  frühern  slavischen  sowol  als  die  neuerbauten  deutschen, 
erhielten  deutsche  Bürgerschaft  mit  deutschem  Recht.  Die 
Slaven  blieben  Dorfbewohner,  damit  waren  alle  Bedingungen 
einer  vollständigen  Germanisirung  gegeben.  „Der  slaviscbe 
gemeine  Mann  hörte  in  der  Stadt,  auf  der  Burg,  in  Kirche 
und  Schule,  von  seinen  Lehrern,  den  Priestern,  schliesslich 
-auch  von  den  ihm  benachbarten  Bauern  nur  die  deutsche 
Sprache.  Letztere  begann  mehr  und  mehr  auf  den  slavischen 
.Dialekt  einzuwirken,  der,  da  er  nur  ein  Besitztbum  des  ge- 
wöhnlichen Volkes  war,  nicht  zur  Literatursprache  warde.  Der 
deutsche  Einfluss  berührte  zunächst  die  formale,  lexikale  Seile 
der  slavischen  Sprache,  die  eine  Menge  fremder  Worter  anoabm; 
weiterhin  erfasste  er  aber  auch  die  materielle  Seite  der  Sprache, 
ihren  grammatischen  und  syntaktischen  Bau,  sodass  schliesslich 
|die  slaviscbe  Sprache  ein  verstümmeltes,  hässliches  Conglomerat 
darstellte,  das  ganz  und  gar  von  deutschem  Geiste  durclizogra 
war.     In  der  heimischen  Sprache  redeten  zum  grössten  Theil  nur 

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IlistoHscho  Bemei'kungeD.  373 

die  alte»  Leute,  die' Jugend  aber  begann  sie  zu  vergesgen  und 
die  Sprache  ihrer  Herren  und  Lehrer  Torzuziehen."  ^ 

Schon  die  Enkel  des  berühmten  Niklot,  eines  der  Fürsten 
der  Baltischen  Slawen,  nahmen  deutsche  Sprache  und  Sitten  an 
und  forderten  die  Kräftigung  des  deutschen  Elements  gegenüber 
dem  slavischen.  Die  forstlichen  Familien,  welche  sieb  erhalten 
hatten,  germanisirten  sich  überhaupt  gern,  schrieben  lateinische 
und  deutsche  Urkunden,  umgaben  sich  nach  deutschem  Brauch 
mit  einem  Hofstaat  u.  s.  w.  Der  letzte  Vertreter  des  Fürstenge- 
schlechte  zu  Rügen,  Yyslav  oder  Vyleslav,  zu  Anfang  des  14-  Jahr- 
hunderts, wurde  sogar  ein  deutscher  Minnesäuger.  Der  Fürst 
Barnim  von  Stettin,  einer  einst  reichen  slavischen  Stadt,  um 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  war  schon  ein  entschiedener  Partei- 
gänger des  deutschen  Elements  und  ein  Feind  seines  Stam- 
mes; ein  deutscher  Dichter  lobte  ihn  als  „sauften  Fürsten  von 
Stettin'^.  Hier  kam  beispielsweise  die  slaviscbe  Herkunft  des 
Fürstengeschlecbts  nur  in  dem  einen  Merkmal  zum  Ausdruck, 
dass  dieses  Geschlecht  fortwährend  slavische  Namen  anwendete 
—  bis  zu  seinem  Erlöschen  im  17.  Jahrhundert. 

In  der  ersten  Zeit  nach  der  Unterwerfung  schloss  man  die 
Slaven  noch  nicht  vom  öffentlichen  Kecht  aus;  sie  durften  z.  B. 
städtische  Bürger  sein,  aber  mit  dem  15.  Jahrhundert  beginnen 
directe  Ausschliessungen  der  Slaven  aus  dem  Stadtrecht  und  den 
vrichtigem  Zünften.  Später  wird  das  Slaventhum  schon  geradezu 
verachtet:  slavische,  „wendische"  Abkunft  hatte  Verlust  von 
Rechten  zur  Folge;  „wendische"  Sprache  und  Sitte  wird  zum 
Gegenstand  des  Gespöttes.  Das  slaviscbe  Volk  begann  sich  vor 
dem  Fremden  zu  verstecken,  die  junge  Generation  Tüblte  sich 
zu  dem  uobeengteu  deutschen  Leben  hingezogen,  und  die  Natio- 
nalität starb  ab. 

Die  Germanisirung  ging  sehr  rasch  vor  sieb.  Nachdem  sie 
im  13-  Jahrhundert  begonnen,  war  sie  der  Hauptsache  nach  schon 
im  15.  Jahrhundert  beendet,  hier  früher  dort  später,  je  nach 
ilcu  verschiedenen  örtlichen  Verhältnissen.  Mitte  des  15.  Jahi^ 
hundert»  finden  sich  schon  sehr  wenige  Slaven  zwischen  Elbe  und 
Oder;  sie  hielten  sich  länger  im  Gebiet  der  Niederelbe;  im  süd- 
westlicheu  Theil  Mecklenburgs  gab  es  noch  Slaven  bis  zu  An- 
fang  des   16.  Jahrhunderts,  und  jenseit  der  Elbe  in  Lüneburg 

■  Perwolf,    Gernianizaoija  n.  b.  v,.,  S.  28. 

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874  Sechstes  Kapitel.    Das  Baltische  Slavcntlium. 

bis  An&ng  des  IS-;  Ueberreste  der  Pomorjanen  oder  Pommern, 
Kasnben  und  Baltischen  Slovincen  haben  eich  noch  bis  zn  ansern 
Tagen  erhalten .... 

Dae  Schicksal  der  Baltischen  Slaven  hätte  in  unserer  Dar- 
stellung übei^angen  werden  können.  Wenn  sich  auch  Andeu- 
tungen von  der  Existenz  eines  Schriftwesens  bei  ihnen  finden, 
so  hat  es  doch  wahrscheinlich  keine  Literatur  gegeben.  Anderer- 
Beits  kann  aber  das  Baltische  Slarenthnm  einen  Platz  in  der 
Geschichte  der  slsvischen  Cultur  finden  aus  mehrern  ßründen. 
Erstene  nach  der  negativen  Seite:  es  ist  eine  Ruine,  welche 
von  dem  Untergang  eines  ganzen  Stammes  Zeugnies  gibt,  eines 
Stammes,  der  rein  slavisch,  einst  mächtig  war,  aber  dann 
schnell  zerging.  Der  Proceas  des  VerschwiDdens  lässt  sich  ver- 
folgen, doch  bleibt  letzteres  immerhin  rätheelhaft  wegen  der 
Schnelligkeit,  mit  der  er  sich  vollzog.  In  neuerer  Zeit  bat  dieses 
historische  Schicksal  die  slavischen  Patrioten  immer  schwer  be- 
trübt; sie  sahen  darin  eine  Lehre,  welche  vor  innerm  Zwist  anter 
den  Brüdern  warnt;  aber  man  darf  auch  die  andere  Lehre  nicht 
vergessen,  welche  vor  Sot^Iosigkeit  um  die  Zukunft  und  gei- 
stiger Schwerfälligkeit  warnt.  Zweitens  verdient  das  Baltische 
Slaventhum  hier  Beachtung  als  ein  Gegenstand,  der  in  den  letzten 
Jahrzehnten  besondere  Aufmerksamkeit  in  der  wissenschaftlicheii 
Literatur  der  Slaven  erregte. 

Dem  Baltischen  Slaventhum  ist  in  letzterer  Zeit  eine  reiche 
Literatur  historischer  und  philologischer  Forschungen  gewidmet 
worden,  welche  die  Vergangenheit  dieser  Ruine  zu  restauriren 
suchen.  Die  Untersuchungen  stützen  sich  vor  allem  auf  die  Chro- 
nisten, welche  den  Kampf  der  Deutschen  mit  diesen  Slaven  nnd 
die  Bekehrung  der  letztern  zum  Christenthum  beschreiben;  aber 
ausser  jenen  Nachrichten  kann  man  das  alte  Gebiet  der  slavi- 
schen Fürstenthümer  auch  nach  einer  Menge  von  slavischen  geo- 
graphischen Namen  bestimmen,  die  sich  noch  in  weit  spätem 
Urkunden  erhalten  haben ,  ja  theilweise  noch  jetzt  in  mehr 
-oder  weniger  verstümmelter  Form  existiren ;  auch  haben  sich, 
wenn  auch  nur  bruchstücksweise,  Zeugnisse  von  der  Sprache 
der  Baltischen  Slaven  erhalten,  welche  es  möglich  machten,  die 
Stammeszugehörigkeit  derselben  aufzuklären.  Nur  von  ihrem 
östlichen  Zweige  haben  sich  noch  jetzt,  freilich  auch  im  Scbirin- 
den  begriffene,  Nachkommen  in  den  Kasuben  und  Slovincen 
erhalten,  vom  westlichen  und  mittlem  Zweige  sind  nur  wenige 

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HUtoriBohe  Bemerkuagen.  376 

Fragmente  der  Sprache  geblieben,  die  sieb  zufällig  erhalten 
haben. 

Hier  hielt  Sich  das  Blaviscbe  Element  am  längsten  in  Lüne- 
burg. Zu  Anfang  des  18-  Jahrhunderts  kannten  nur  noch  alte 
Lente  die  Sprache  ihrer  Väter.  In  Wustrow  wurde  1751  der 
letzte  Gottesdienst  in  slaTischer  Sprache  abgehalten.  Nach  dem 
ZengnisB  von  Potocki  und  Adelung ^  starb  die  slavische  Sprache 
gegen  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  definitiv  aas;  doch  behanp- 
tete  noch  am  1836  der  deutsche  Gelehrte  Wersebe,  dass  es 
noch  za  jener  Zeit  alte  Leute  gegeben  habe,  welche  alariscb 
konnten. 

Zum  ersten  mal  wurde  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  Ueber- 
reste  des  Volksthums  und  der  Sprache  der  Baltischen  Slaven, 
schon  als  einen  Gegenstand  wissenschaftlichen  Interesses ,  von 
dem  berühmten  Leibniz  gelenkt.  Auf  seinen  Wunsch  schickte 
ihm  der  Pastor  zu  Lüchow,  Georg  Mithof,  1691  einige  Nach- 
richten über  jene  Slaven  nebst  einer  kleinen  Sammlung  von 
WÖrtera  und  Gebeten;  sie  vrarden  erst  nach  Leibniz'  Tode  von 
Eckardt  herausgegeben  („HiBtoria  studii  etymolog."  Hannover 
1711).  Darauf  sammelte  Johann  Pfeffinger  in  Lüneburg  im 
Jahre  1698  einige  hundert  Wörter,  das  Vaterunser  und  ein  Hoch- 
zeitfigedicht  in  „wendischer"  Sprache,  welche  auch  bei  Eckardt 
herausgegeben  sind.  Aber  die  reichste  Sammlung  veranstaltete 
der  Pastor  Christian  Henning  zu  Wustrow,  der  schon  lange 
Nachnchten  über  die  slavischen  Bewohner,  seines  Kirchspiels 
gesammelt  hatte,  indem  er  Wörter  und  Phrasen  aus  dem  Munde 
des  Bauern  Johann  Janieschge  aufzeichnete;  diesem  Wörterbuch 
fügte  er  kurze  Nachrichten  über  das  „wendische  Volk"  und  ins- 
besondere die  Lüneburger  Wenden  bei,  1705.  Die  folgenden 
Sammler  wie  Johann  Parum-Schulze  (1658 — 1734),  Domeyer, 
Pastor  zu  Dannenberg  (in  den  Jahren  1743 — 45),  und  andere  be- 
nutzten der  Hauptsache  nach  die  erwähnten  drei  Vorgänger. 
Schliesslich  begannen  sich  für  die  Reste  der  „Wenden"  die 
neuem  slavischen  Gelehrten  zu  interessiren,  wie  Dobrovskj^ 
(in  ,,Slovanka"),  Öelakovskjf,  welcher  das  ganze  genannte  Ma- 
terial in  ein  vollständiges  Wörterbuch  gesammelt  haben  soll, 
(lo(^h  ist   seine  18;J0  nach  Petersburg  gesandte  Arbeit  verloren 


■  Voyage  dan«  qaelqitCB  parti'en   de  la  BaBse-Sflic,   1795;   Mitbridatei 
(1806,  1809—17). 


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376  ättohatee  Kapitel.    Die  Loniitzur  Serben. 

gegangen;  inabesondere  aber  Pfui,  HiHerding  und  Scblei- 
cher,  denen  die  Hauptarbeiten  in  der  ReKtaurirung  der  Sprache 
der  Liineborger  Wenden  oder  der  alten  Drevjanen  angehören. 

&chlie8Blich  verzeichnen  wir  noch  die  Arbeiten  über  die  Ge- 
schichte  des  Baltischen  Staventhume  im  allgemeinen.  Sie  wurden 
insbesondere  seit  dem  vorigen  Jahrhundert  begonnen,  von  deut- 
schen Gelehrten,  welche  ihre  Localgeschichte  zu  erforschen  Buchten, 
und  bei  den  Anfangen  derselben  auf  Slaven  sties&en.  Wir  führen 
in  der  Anmerkung  das  durch  ihre  Arbeiten  gelieferte  reiche  Ma- 
terial an;  jene  Arbeiten  werden  noch  jetzt  eifrig  fortgesetzt 
In  der  neuem  slavischen  Literatur  ist,  von  Safank  (in  seinen 
„Alterthümem")  angefangeu,  schon  eine  ganze  Reibe  bedeutender 
Forschongen  über  das  Battische  Slaventhum  vorhanden,  deren 
Verfasser  abermals  Hilferding,  ferner  A.  Pawiüski,  A.  Kot- 
Ijarevskij,  J.  Perwolf  u.  a.  waren.» 


'Die  Lilerfttur  über  das  Baltische  Slaventhum  bildet >ine  umfioglicfae 
Maaae  biatorischer  Quellen  und  neuerer  Unterauohungea.  Die  alten  Nach- 
richten finden  tioh  bei  den  lateiniBOh^dentsolien  und  d&niRohen  Chroniaten 
und  Speoialhiatorikern,  wie:  Einhard,  Biop«ph  Ku-l'a  dea  Groaaen  and 
Chroniat,  geat.  SW;  Widukind,  auhrieb  um  967— %8;  Thietmar  von  Merae- 
bnrg,  geat.  1016;  Adam  von  Bremen,  schrieb  um  1075;  der  Mönch  Ebon, 
Biograph  Otto'a  von  Bambei^,  achrieb  um  1161 ;  Herbord,  um  dieselbe  Zeit; 
Ilclmold,  aohrieb  1172;  Saxo  Urammattcua,  aohrieb  um  1181 — 13U8  u.  ».; 
ferner  in  alten  Urkunden,  die  in  umfaasendea  Ausgaben  gesammelt  sind, 
z.  B.  von  Leibniz  (Scriptores  rerum  Brunsw.),  Fftbriciua  (Urkunden 
!Mr  Geacbichte  des  Fürstenthums  Rügen),  Hasielbaoh  und  Koaegarten 
(Codex  PomeraDiae  diplomatious),  Klempin  und  Prümers  (PomroerMhes 
Urkundenbuch),  Langebek  (Scriptores  rei-um  Danic&rum),  Riedel  (Codei 
diplomatious  Brandenburgenais),  Raumer  | Reges ta  historica  Brandenburg.!, 
Sudendorf  (Urkundenbuch  zur  Gesch.  der  Herzöge  von  Braunschveig  nud 
Lüneburg  und  ihrer  Lande);  [Jahrbücher  des  Vereins  für  mecklenburg.  Gt- 
Bchichte  und Landeakunde  (seit  18SG] i  A.  Brückner,  „Die  slaTiMben  Anaic- 
delangen  in  der  Altmark  und  im  Magdeburg] toben"  (Leipzig  1879)]  o.  s.  v. 

Zahlreiche  Forschungen  über  Loaalgeaohiohte  eracheinen  schon  seit 
dem  vorigen  Jahrhundert,  ja  sogar  noch  früher  in  den  Arbeiten  deutscher 
Gelehrter,  die  sich  von  alteraher  eifrig  mit  dem  tlrforachen  der  Geachichte 
ihrer  einst  dem  Baltischen  !jlaventhum  aborobcrien  Länder  bt:«chä(tiKt(.'n. 
Wir  nenuen  z.B.  äohwartz,  „Einleitung  znr  Geographie  der  norddeulsch- 
alaviachen  N'ation"  (Ureifswald  1T4&).  —  Lütsow,  „Versuch  einer  ]Kvg- 
malischen  Geschichte  von  Meoktenhurg"  (Berlin  IS27— 35).  —   Barthold, 


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HiBturJBühe  fiemerknogen.  377 

Die  Renaissance  des  kleinen  StammeB  der  Lausitzer  Serben  oder 
Wenden  in  der  säübsiechen  und  preuasiechen  Lausitz  bildet  eine  der 


„GeBohiohte  von  Räg«D  und  Pommern"  [4  Bde.  Hamboi^  1839 — 46).  — 
Gieaebreoht,  „Wendische  Gesohichten"  (a  Bde.  Berün  1843).  —  Wigger, 
„Mecklenbui-gwche  Annsien  bia  zum  Jahre  1066"  (Schwerin  1860);  —  end- 
lich eine  Reihe  epeoieÜer,  melir  local er  Forschungen,  die  wir  nur  theilwuisc 
üDführen  können,  wie:  Fidicin,  „Dae  Territorium  der  Mark  Brandenbui^" ; 
Klöden,  „Entstehang  der  Städte  Berlin  und  Kölln";  Jaoobi,  „Slaven- 
ond  Teutschthum  in  ouHur-  und  ftgrarhiBtorisoben  Studien,  beBonders  aas 
Lftnebnrg  und  Altenburg";  Hammeratein,  „Der  Bardengau";  K-Andree, 
„Wendiache  Wanderstudien"  u.  a.  Deateobe  Gelehrte  haben  ihre  Aufmerk- 
«ajnkeit  ancb  auf  die  beaondere  ethnographische  Seite  des  Gegenatandee 
gelenkL  Die  slaviechen  Stämme  dieser  Länder  babeu  nach  Verlust  der 
Sprache  nicht  ganz  ihre  ethnographischen  Unterschiede  verloren  und  be- 
wahren aie  noob  in  Zügen  des  Volkslebens  nnd  den  Ueberlieferungen.  In 
dieser  Beziehung  haben  Foracbungen  angestellt:  Hennings,  „Das  Hanno- 
versohe  Wendland"  (Lüchow  1862);  „Sagen  und  Erzählungen  aus  dem  Uan- 
noversohen  Wendlande"  (Ebend,  1864);  Köhler,  „Volksglaube  im  Voigt- 
lande"; E.  Ziehen,  „Wendische  Weiden;  Erzählungen  aus  dem  wendischen 
Volksleben"  (Frankfurt  1854);  „Geschichten  und  Bilder  aus  dem  wendischen 
Volksleben"  (2  Bde.    Hannover  1874). 

In  den  alaviachen  Literaturen  haben  sich  nach  SafaKk  („Staruzil- 
uoati";  „Slov.  Nirodopis",  S.  107— 109)  besonders  russische  Gelehrte  mit  dem 
Baltisoben  Slaventfaam  befasat.  Von  nenem  Werken  vgl.  hinaiobtlieh  der 
Geschichte:  A.  Hilferding,  „Istorija  BsHijskioh  Slavjan",  (1.  Bd.  Moskau 
1855,  und  vollständig  in  Sobr.  Sofin.  4.  Bd.  St.  Peterabut^  1874).  —  A.  Pa- 
vinskij,  „Polabakie  Slavjane"  (St.  Petereb.  1871).—  F,  J.  Fortingkij, 
„Titmai-  Merzeburgakij  i  ego  ohronika"  (St,  Petersb.  1872).  —  A.  Kotlja- 
revskij,  „Drevnosti  prava  Bali.  Slavjan"  (Pre^l874);  „Kniga  o  drevnostjacli 
i  iatorii  Pomorakich  Slavjan  v  XII  v£k5"  (die  Erzäbinngen  von  Otto  von  Bam- 
berg in  Beang  auf  slaviache  Geachiohte  und  Alterthümer.  Prag  1874).  Vgl. 
Ziltwitz,  „Die  drei  Biographien  Otto's  von  Bamberg"  (in  Forschungen 
zur  deutschen  Gesch.  GoUingen  1876.  XV L).  —  J.  Lebedev,  „PoalEdnj^a 
borba  Balt.  Slavjan  protiv  onfme&enija"  („Der  letzte  Kampf  der  baitischen 
Slavea  gegen  die  Gciiuanisirung",  1.  Thl.:  Der  Kampf  der  Obotriten  und 
Lntioen  gegen  Heinrich  den  Löwen  und  Waldemar  L;  3.  Tbl.:  Uebersicht 
der  Quellen  der  Geschichte  der  Balt.  Slaven  von  1181—70.  Moskau  1876). 
—  J.  Perwolf,  „Qermanizaoija  Balt.  Slavjan"  (St.  Petersb.  1876).  —  [Sie- 
uiawaki,  „Poglfd  na  dzieje  Slowian  zaohodnio-pöhiocnych  miedzy  Kabq 
(Elbf)  a  granicami  dawnej  Polaki  od  czaeu  wyatfpenia  ich  na  widownig 
dziejowf  sd  do  ntraty  politycznegQ  bytu  i  znamion  narodowycli"  (Gneaen 
1881).] 

Bezüglich  der  Sprache:  Bnrmeiater,  „lieber  die  Sprache  der  früher 
in  Mecklenhui^    wohnenden    Obotriten-Wenden",  (Rostock  ,1840);  dasselbe 


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378  Sechites  Kapitel.    Die  Laueitzer  Serben. 

intereBsantesten  Episoden  der  gegenwärtigen  slavischen  Bewegung. 
Das  Völkchen  der  Lausitzer  Serben,  von  altere  her  von  den  Deut* 
sehen  unterworfen  und  umringt,  hat  seine  Nationalität  zu  bewahren 
vermocht  und  hat  ihr  in  letzterer  Zeit,  besonders  seit  Ausgang  der 
dreisüger  Jahre  dieses  Jahrhunderts,  so  grosse  patriotische  Bemüh* 
ungen  zt^ewendet,  dass  es  allem  Anschein  nach  seinen  Bestand  ge- 
sichert hat,  wenigstens  bekundete  es  sein  Volkstbum  so  eifrig,  wie 
es  noch  nie  während  seiner  tausendjährigen  Abhängigkeit  geschah. 
Diese  Renaissance  begann  ebenso  selbständig,  wie  bei  den  andern 
Nationalitäten;  sie  entwickelte  sich  aus  den  eigenen  örtlichen  Be- 
dürfnissen des  kleinen  Stammes,  —  sohloss  sich  aber  dann,  als 
sie  schon  einen  festen  Grund  in  seinem  eigenen  Bewusstsein  ge- 
funden hatte,  der  gesammtslavischen  Bewegung  an  und  betrat 
die  Bahn  der  slaviscben  Gegenseitigkeit.  Vertreter  der  slavischen 
Bewegung,  Gelehrte  verschiedener  alavischer  Stämme,  wie  Fa- 
lacky,  Maciejowski,  Stür,  Milutinovic,  Sreznevskij,  Bodjanskij 
(später  Hilferdiug,  Lamanskij,  Zmorski,  W.  Bogustawski  u.  a.)  be- 
suchten das  neuentdeckte  Feld  nationalen  Lebens,  berichteten 
darüber  in  der  slavischen  Publicistik,  und  halfen  so  auch  den 
Lausitzern  selbst  ihren  nationalen  Zusammenhang  mit  den  übri- 
geu  Völkern  des  Gesammtstammes  zu  finden.  Seitdem  gehört 
der  vergessene  Stamm  zur  Gesammtsumme  der  slavischen  Na- 
tionalität und  die  gelehrte  slavische  Pilgerschaft  vergisst  nicht, 


ruBBiscb  in  „Trudy  Rosa,  Akiid."  (1841,  IV,  S.  1— öS).  —  J.E.  Wocel,  ,4'»- 
mätky  Lutiok]?oli  Slovanfl"  (im  CaBopin  Ceek.  M.,  1849,  2.  Bd.  S.  104—1271. 
—  A.  Hilferding,  „Pamjatniki  nar££ija  Zalabekiob  I>revljan  i  Glinjan'' 
'  (St.  Petersb.  18&6);  dasselbe  deutaoh  unter  dem  Titel:  SprEohliche  Denk- 
mäler der  Drevjaner  Dud  Glinjaner  (Bautzen  1861).  —  Hauuaoh,  „Zar 
Literatur  und  Geschichte  der  slaw.  SpracLen  in  Deutachlanil,  nameutliah 
der  Sprache  der  ehemaligen  Klbeslaven  oder  Polaben"  (in  Miklosich's  Sla«. 
Bibliothek,  2.  Bd.,  Wien  1858.  Eine  ausföhrliahe  bibliographische  Ueber- 
sieht  der  Sammlungen  des  alten  baltischen  Dialekte).  —  Pfui,  „Pomniki 
Putobjan  S^owjaaSäinj"  (im  „Öasopis"  der  lansiteisoh-ierb.  MaJioa,  1863, 
S.  28-67,  69-138;  1864,  S.  189-196,  199-241).  -  J.Bandouin  de  Cgnr- 
tonay,  „0  drovno-polskom  JMykS  do  XIV  st"  (Leipzig  1870).  —  A.  Schlei- 
cher, „Laut-  und  Formenlehre  der  polabischen  Sprache"  (St.  Petersb.  1871. 
Vgl.  iiurn.  Min.  Nar.  Prosv-,  1873,  168;  11,  424-446).  —  S.  Miknokij. 
„Oatatki  jazyka  polabakich  Slavjan"  (St.  Peterab.  1871).  —  Vgl.  aach  die 
oben  angeführten  Nachrichten  über  die  Ueberreste  der  Slaven  in  Yoromtrn, 
die  Eaiuben  (II,  1,  483). 


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nbtorischc  Bemerkungen.  379 

anf  ihren  Reisen  Bndyiin  (Bautzen)  zu   besuchen,   wo  sich  die 
Bildnngsthätigkeit  dieses  kleinen  Stammes  concentrirt. 

Die  jetzigen  Lausitzer  Serben  bilden  einen  kleinen  Ueber- 
rest  derjenigen  Slaren,  welche  einst  den  Norden  des  beutigen 
Deutschland  bewohnten,  doch  waren  sie,  wie  oben  bemerkt,  auch 
schon  in  alten  Zeiten  eine  besondere  Stammesvarietät  den  eigent- 
lichen Polabisohen  Slaven  gegenüber.^  Zwischen  Saale  undHulde, 
zwischen  dem  jetzigen  Leipzig  und  Dresden,  nach  Norden  zu  wahr- 
scheinlich bis  „SerbistS"  (jetzt  Zerbst)  und  südlich  bis  zu  den 
böhmiscben  Bergen  wohnten  die  Serben  mit  ihren  verschiedenen 
Unterabtheilungen;  von  ihnen  aus  jenseit  der  Elbe  die  Mit(Saner 
um  Bndysin;  von  den  letztem  nach  Norden  zu,  in  den  Niede- 
rungen, die  iMÜ&aner  u.  s.  w.  Diese  kleinen  slavischen  Völker- 
schaften sind  den  mittelalterlichen  Schriftstellern  schon  vom  6. — 
7.  Jahrhundert  an  bekannt  und  vom  8. — 9.  Jahrhundert  an  werden 
sie  unter  dem  allgemeinen  Namen  der  Wenden  (Winiden,  Wene- 
den)  oder  Serben  (Sorben,  Surben),  sowie  unter  speciellern  Stam- 
mesbenennungen  erwähnt.  Später  ward  in  Deutschland  der  Name 
Wenden,  bei  den  Slaven  der  Name  Lausitzer  (Luii6ane)  der 
herrschende,  während  sich  die  Lausitzer  Serben  in  ihrer  eigenen 
Sprache  auch  heute  noch  nur  Serben  (Serbja,  Serbjo)  nennen. 
Nach  den  rorhandenen  spärlichen  historischen  Daten  zu  schlies- 
sen,  zeigte  das  Leben  der  Lausitzer  Serben  die  bekannten  Züge 
der  slavischen  patriarchalischen  Demokratie;  aber  die  einzelnen 
Gemeinden  wohnten  nach  slaviscber  Gewohnheit  gesondert  ohne 
genügenden  Verband  untereinander,  und  der  Mangel  an  Einheit 
Öffnete  der  deutschen  Herrschaft  den  Weg,  die  sich  schon  seit 
Karl  dem  Grossen  ihr  Ziel  in  diesen  slavischen  Ländern  steckte. 
Von  da  an  wurde  dieser  Theil  der  Polabischen  Slaven  allmählich 
unterworfen,  zuerst  die  Serben  unter  Heinrich  I.,  dann  dteMil£a- 
uer  und  LuziJ^ner  unter  Otto  dem  Grossen:  gegen  das  11.  Jahr- 
hundert  hörte   ihre  Stammesselbständigkeit  anf.     Die  Hoheits- 

'  Wir  bringen  die  Btatistiaohen  Zahlea  in  Erinnemog.  Die  LaDeitzer 
Serben,  nach  Budilovit  („Statist.  Tablic]r",  8t.  Peterab.  1875)  im  ganzen 
gegen  136000,  zerfftllen  in  zwei  Stämme,  Ober-  und  NiederlaDsitzer,  nud 
gehören  zwei  Staaten  und  znei  GlaubenebekenntniBBen  an.  Oberlanaitxer 
Serben  gibt  ee  9iKK)0,  von  denen  52000  za  Sachsen,  44000  in  Prenaaen 
gehören;  sie  mnd  ProteHtantcn  mit  Ausnahme  von  10000  Katholiken.  Nieder- 
lansit7.er  Serben  gibt  es  gegen  40000  Protestanten,  in  Prensaen.  [Die  Zäh- 
lung von  1880  läaateine  Gesammtzabl  von  160000  annehmen.] 

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3gO  Sechstua  Kapitel.    Ui.e  Lausitier  Serben, 

rechte  über  das  Lausitzer  Land  waren  dann  noch  lange  Gegeo- 
stand  von  Streitigkeiten  und  es  ging  aus  einer  Hand  in  die  andere 
über:  es  kam  an  di6  Markgrafen  von  MeisBeu  und  Brandenburg, 
stand  unter  der  Herrschaft  der  Polen,  gehörte  lange  (bis  zum 
eigenen  Untergang  Böhmens)  der  böhmischen  Krone  an  ~^  die 
übrigens  die  elavische  Nationalität  dee  Landes  vor  deutscher 
Unterdrückung  nicht  schützte  —  zuletzt  kam  es  an  Sachsen,  machte 
die  Schrecken  des  Dreissigjährigen  Krieges  durch,  ward  zwischen 
Sachsen  und  Preuseen  getheilt,  denen  jetzt  auch  die  noch  vor- 
handenen Theile  des  lauBitzisch-serbischen  Volkes  angehören. 

Die  deutsclie  Unterwerfung  hatte  zur  nächsten  Folge  eine 
Knechtung  des  Volks  und  einen  allmählichen  Untergang  der 
Nationalität.  Das  unterworfene  Land  wurde  unter  die  Landes- 
herren, die  Ritter  und  die  Kirche,  vertheilt;  die  &dien  Landleote 
wui-den  zu  leibeigenen  Bauern,  waren  aller  Rechte  beraubt,  mit 
Arbeiten  und  Abgaben  überlastet,  das  schutzlose  Opfer  von  Raab 
und  Gewalt.  Etwa«  besser  war  die  Lage  derer,  welche  dem  Landes- 
herrn  unmittelbar  nnterthan  waren  —  aber  die  allgemeine  Lage  des 
Landes  bot  ein  Bild  schrecklicher  Bedrückung  und  Rechtlosigkeit, 
jtugleich  mit  dem  Vei-fall  der  Volksfreibeit  begann  der  Verfall  des 
Volksthums  selbst:  die  fortwährenden  Beraubungen;  dieUebersie- 
delung  von  Slaven  in  deutsche  Länder,  wo  sie  unter  der  fremdeo 
Bevölkerung  verschwanden  (am  Rhein  und  Main,  in  Baiem  und 
sogar  in  Holland);  die  deutsche  Colonisation ,  welche  die  Städte 
und  die  den  Slaven  entrissenen  Ländereien  besetzte;  derEinfluse 
der  Kirche,  welche  lateinisch  und  deutsch  sprach;  endlich  die  ge- 
wöhnliche Wirkung  der  Herrschaft  eines  fremden  Stammes  —  alles 
das  erdrückte  mehr  und  mehr  das  slavische  Element,  welches  nur 
in  der  geknechteten  Landbevölkerung  lebte  und  für  die  Deutschen 
Gegenstand  äusserster  Verachtung  war.  Die  gegenseitige  Feiud- 
Schaft  war  so  gioss,  dass  der  Sachsenspiegel  verordnen  musste, 
dass  „ein  Wende  nicht  gegen  einen  Deutschen  und  umgekehrt 
nicht  dieser  gegen  jenen  vor  Gericht  Zeugniss  ablegen  könne, 
da  es  bekannt  sei,  dass  jede  Partei  zum  Schaden  der  andern  be- 
reit sei,  jede  Unwahrheit  durch  einen  Eid  zu  bekräftigen".  Im 
13.  Jahrhundert  hielt  sich  die  serbisch-wendische  Sprache  noch  im 
kirchlichen  Gebrauch  und  vor  Gericht,  aber  gegen  das  14- Jahr- 
hundert hin  war  die  deutsche  Nationalität  schon  so  erbtarkt, 
dass  von  da  an  die  deutschen  Fürsten  die  wendische  Sprache 
aus  den   Gerichten   zu   verdrängen   begannen:    im  Jahre   1427 

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Historisohe  BemerkuDgeu.  3S1 

geschah  dies  auch  zu  Meissen,  dem  ebematigen  Oentrum  des  ser- 
bischen Volkes.  Gegen  die  Zeit  der  Kefonnation  hin  hatte  sieh 
das  Gebiet  der  Lawsitzer  Serben  schon  sehr  vennindert;  der  west- 
liche Theit  desselben  war  schon  definitiv  germaniairt,  die  Grenze 
der  deutschen  Sprache  ging  nach  Osten  weit  über  die  Elbe 
hinüber  und  das  Andenken  an  die  Slaven  erhielt  sich  (wie  in 
den  Gebieten  der  Niederelbe,  Oder  und  an  der  Ostsee)  nur  in 
den  Ortsnamen.  Die  Reformation  hatte  eine  gewisse  Hebung  des 
slavischen  Volkethums  zur  Folge,  aber  auch  nach  ihr  ward  das 
wendische  Gebiet  immer  kleiner.^ 

Das  Christenthum  drang  ins  Gebiet  der  Lausitzer  Serben  dem 
Anschein  nach  von  zwei  Seiten  ein.  Die  Predigt  des  deutschen 
Katbolicismus  hatte  hier  bei  weitem  nicht  den  wilden  Charakter, 
mit  dem  sie  zu  den  Baltischen  Slaven  gebracht  wurde,  und  die- 
sen Umstand  erklärt  man  damit,  dass  die  Lausitzer  Serben  schon 
zum  Christenthum  vorbereitet  waren  durch  diejenige  Missione- 
thätigkeit,  welche  von  dem  der  orientalischen  Kirche  angehören- 
den Slaveothnm  über  Polen  und  Böhmen  gekommen  war,  und  sich 
demgemäsB  schneller  unterwarfen.  Die  Lausitzer  Serben  standen 
schon  im  9.  Jahrhundert  in  Verbindung  mit  dem  Grossmahri- 
scheu  Reich,  gehörten  sogar  eine  Zeit  lang  zu  demselben  (wie 
sie  später  in  Verbindung  mit  den  öechen  standen)  und  deshalb 
meint  man,  daes  das  byzantinisch -slavische  Christenthum  des 
Cyrill  und  Method  aach  in  ihr  Gebiet  gedrungen  sei.  Die  Tra- 
dition sagt,  der  heilige  Konstantin  sei  in  die  Gegend  von  Görlitz 
gekommen  und  habe  dort,  wo  sich  jetzt  der  Hainwald  befindet, 
an  der  Stelle  eines  heidnischen  Tempels  eine  christliche  Kirche 
errichtet.  Bis  vor  nicht  langer  Zeit  hielt  sich  der  Gebrauch 
einer  frommen  Pilgerfahrt  zu  einem  alten  Kreuz  auf  dem  Jauer- 
iiiker  Berge  am  Tag  des  heiligen  Wenzel,  des  Königs  von  Böh- 
men —  die  protestantischen  Bewohner  schlössen  sich  der  katho- 
lischen Procession  an  und  man  sang;  „Herr  erbarme  dich  unser", 
vielleicht  entstanden  aus  dem  Gebet,  welches  sich  unter  dem 
Isamen  des  Gebets  des  heiligen  Adalbert  (Hospodine  pomiluj 
ny)  bei  den  Cecben  als  Andenken  an  den  alten  slaviscben  Gottes- 
dienst erhalten  hat.  Es  ist  bekannt,  dass  bei  den  Lausitzern 
auf  der  rechten  Seite  der  Elbe,  welche  ihr  Volksthum  unter  dem 

'  Verffl.  dift  Karten,  welche  den  Werken  von  BogDstawski  und  Bich«id 
Andre««  beigegeben  nirnl,  und  die  Ergänzungen  Itürnik'B:  im  „Slav.  Sboroik", 


....,  Google 


382  Sechatea  Kapitel    Die  Lftusitzer  Serben. 

politischen  EinflusB  deröechen  und  Polen  besser  bewahrt  hatten, 
die  slavische  Sprache  im  kirchlichen  Unterricht  nicht  nur  im 
11.  Jahrhiindert,  unter  dem  Bischof  Benno  von  Meissen  (gest. 
1106),  sondern  aach  noch  im  ]2.  und  sogar  im  13.  Jahrhundert 
angewendet  wurde,  als  noch  die  lau&itzisch- serbische  Sprache 
einen  Vertheidiger  an  dem  Bischof  Bruno  hatte,  der  von  jedem 
Priester  Kenntniss  der  serbischen  Sprache  verlangte.*  Die 
Historiker  haben  auch  die  Bemerkung  gemacht,  dass  diejenigen 
Prediger  des  GhristeDtbums  bei  den  Baltischen  Slaven,  die  sich 
der  slavischen  Sprache  als  Mitte]  bedienten,  tod  den  benachbar- 
ten Lausitzer  Serben  kamen :  so  schrieb  der  Bischof  Boso  von 
Merseburg  (971)  Blavisch;  ein  anderer,  Werner  (1101),  Hess  sich 
Bücher  in  slaviscber  Sprache  anfertigen;  der  Bischof  Bruno  von 
Altenburg  (1156)  nabiu,  als  er  sich  zur  Bekehrung  der  Obotriteu 
aufmachte,  fertige  slavische  Predigten  mit  und  las  sie  dem  Volke 
Tor.^  Mau  nimmt  übrigens  an,  dass  diese  slavischen  Bücher 
kaum  in  der  eigentlichen  serbisch-wendiscbeD  Volkssprache  ge- 
schrieben gewesen  sind:  weui^tens  finden  eich  in  der  Sprache 
der  Lausitzer  Serben  Spuren  von  Einflnss  der  altslavitichen  nnd 
öechiscben  Sprache,  die  trotz  alles  spätem  Einflüsse«  des  Dent- 
scheu  noch  bemerkbar  sind.  Die  ursprüngliche  Aehnlichkeit  der 
Dialekte  mochte  Bücher  in  einem  andern  slavischen  Dialekt  den 
Lausitzer  Serben  zugänglich  machen,  besonders  bei  den  politi- 
schen Verbiodungeo  und  der  Nachbarschaft,  welche  sie  mit  den 
Öechen  vereinten.  Dass  Cechiscbe  Bücher  in  einer  spätem  Periode 
des  Mittelalters  bei  den  Lausitzer  Serben  in  Umlauf  waren, 
unterliegt  kaum  einem  Zweifel.  Das  älteste  bekannte  kleine 
Denkmal  der  lansitzisch-serbischen  Sprache  ist  ein  wendischer 
Bürgereid  aus  der  Zeit  vor  der  Reformation  (s.  Casopis  1875, 
S.  49).» 


>  W.  BogoBtawaki,  S.  187. 

'  Sresnevalfij'a  htoriG  o&erk  (a.  outen)  S.  34. 

*  Zur  Geaoliichte  und  Ethnographie  der  Lanaitzer Serben  vgl.:  SafiKk. 
Altertliflmer,  %  43 — 44.  Gebhardi,  „Geacbiohte  aller  wenduDh-BlaviBcben 
Staaten"  (4  Bde.  UaUe  1790).  —  Känffer,  „Abriae  der  oberluu.  (ie- 
scbicbte"  (3  Bde.  Görlitz  1603).  —  Chr.  Knauthe,  „Derer  Oberlusitier 
Sorberwenden  Klrcbengeschiohte"  (Görlitz  1767).  —  Worbs,  „Gescliichte 
der  Niaderlausitz"  (2  Bde.  ZQlliohau  1824).  —  Sobeltz,  „Getchicble  der 
Ober-  nnd  NiederlaDaitz "  (Halle  1847,  nnd  Fortsetzung  im  „LannUer  Ma- 
. gazin").  —  K.  JenE,  „PowjeBÖ  wo  serbakiob  kralaob"  (im  Casopis  M»*>ey 


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Anfänge  Aee  Schriftthum*.  383 

Nach  den  erwähnten  unklaren  Andeutungen  über  ein  sla- 
vi&ches  Schriftweeen  bei  den  Lausitzer  Serben,  und  dem  an- 
gegebenen kleinen  Ueberrest  eines   solchen   sind  Versuche,   die 


Berbskaje,  1849).  —  W.  BognsIkWeki,  „Uyn  dxiejöw  aerbolniyokioh"  (Pe- 
tersburg ISUl).  —  Slovnik  naufny,  a.  v.  Lnzice,  Srbove  LuziCti.  —  Engel- 
hardt,  „ErdbeecItreibuDg  der  Mark  Ober-  und  Nieder! auütz"  (2  Bde.  Dres- 
den 1800).  —  Jakub,  „Serbeke  Home  tuüicj"  (Bautzeo  1848).  —  Köhler, 
„Geachicbte  der  Oherlausitü "  (Görlitz  1864).  —  R.  Andres,  „Wendische 
Wanderatudien.  Zur  Kunde  der  Lausitz  und  der  Sarbenwenden"  (Stuttgart 
1814.  Mit  einer  etfanogr.  Karte.  Gegen  ihn  H6mik  in  „Slav.  Sbomik").  — 
V.  Tiasot,  „Voyage  aux  paya  annei^a"  (Paris  1876.  Darlegung  des  Inhalts 
und  einige  Bemerkungen  im  Journal  ,^uiii5an",  1877). 

Zmt  Sprache:  A.  Seiler,  „ Kurzgefassto  Gi-ammatik  der  aorbenwendi- 
aclien  Spi-acbe  nach  dem  BudiBain er  Dialekt"  (Bautzen  1830). —  J.  P.  Jor- 
dan, „Oramniatik  der  wendisch -serbiacben  Sprache  in  der  Oberlausitz" 
(Prag  1S41;  nach  dam  System  Dobrovskf s).  —  F.  Schneider,  „Grammatik 
der  nendiaoben  Sprache  katholischen  Dialekts"  (Bautseu  1858),  —  J.  £. 
Smoler  (deutsch  Schmaler),  „Kleine  Grammatik  der  serbiach- wendischen 
Sprache  in  der  Oberlausilz"  (Bautzen  1853  u.  ö.);  „Pi«mfnjenja  serbskeje 
r JCe  wot  13.  do  IC.  iftatotetka"  (im  Journal  Luiiean,  1864,  Nr.  5,  S.  24—26). 
—  CT.  Pfui  (deutauh  Pfuhl),  „Lant-  und  Formenlebre  der  oberlau aitzi ach- 
wendischen  Sprache.  Mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  Altslaviscbe"  (Bautzen 
1867).  —  [G.  Liiebaoh,  „Syntax  der  wendischen  Sprache  in  der  Oberlauaitz" 
(Bautzen  1884].]  —  K  Novikov,  „0  vainf^iiob  osobeunostjaoh  luziokioh 
uarSCij"  (Moskau  184if).  —  F.  Miklosich,  in  der  „Vergl.  Grammatik".  — 
Böse,  „Wendisch  -  den  tKclies  Handwörterbuch  nach  dem  obertausitzer  Dia- 
lekt" (Grimma  1840).—  J.E.  Schmaler,  „Deutsch- wendiaches  Wörterbuch 
mit  einer  Darstellung  der  aJlg.  wendiBcbeo  Rechtschreibung"  (Bautzen  1843. 
XXXIS,  160  S.).  —  J.  G.  Zwahr,  „Niederlausitzisoh-wendisch-deuteohes 
Handwörterbuch"  (Spremberg  1847.  Xn,  476  S.).  —  Pfol,  „Serbaki  rfow- 
nik"  („Wendisches  Wörterbuch."  Unter  Mitwirkung  von  H.  Seiler  und  M. 
Hömik.  Bautzen  1866.  8.  XXV,  1210  8.  Wendiaoh-dentaoh  mit  deut- 
Bohem  Wortregister). 

Zur  Literatur:  I.  S  reznevskij,  „latoriieskij  o£erk  serbo-luziokoj 
literatury"  (in  2um.  Min.  Nsr.  Prosv.  1844,  Mai,  S.26— 66).  —  E.  JenE, 
„Stawizny  serbskeje  rfiie  a  narodnoaöe"  (im  (^asopis  Mac.  Serb.  1849  —  54) 
nnd  eine  Reihe  anderer  historiaoher  sowie  auch  bibliographischer  Artikel 
in  derselben  Publication.  —  A.Hilferding,  „Narodnoe  vozroidenie Serbov- 
LnäiEan  v  Saksonii"  (Russk.  BesSda,  1856,  X,  Vermisohtes  S.  1—35;  Sobr. 
Satin.,  11,  19—49). —  W.  Bognalawski,  in  dem  angeführten  Werke;  über 
die  neuem  Zeiten  benutzte  er,  wie  Hilferding,  die  Mittbeilungen  von  Smo- 
ler.—  F.  Douoha,  „O  postupu  närodnoati  Srbäv  Luzlckych"  (im  Öasopis 
fesk.  Mus.,  1845).  —  M.  Uornik,  „Re6  a  pisemniotvi  Inliokyoh  Srhäv" 
(im  Caaopia  Eesk.  Mua,,  1856);  ,^isty  Jana  Kollara  do  LniSio"  (Ebend.  1861)4 


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384  fieobsta«  Kapitel.    Die  Lansitzer  Serben. 

Sprache  derselben  za  literarischem  Gebrauche  zu  Terwenden, 
orst  von  der  Reformation  an  bekannt.  Die  bussitiscbe  Be- 
wegung der  Oechen  fand  hier  keinen  Widerhall;  der  gebil- 
dete Theil  des  Volkes  war  schon  deutsch  und  hielt  sich  in 
dieser  Eigenschaft  damals  eifrig  zum  Katholicismus;  die  Land- 
bevölkerung var  zu  sehr  unterdrückt  und  blieb  an  der  Bewegung 
der  Kreuzziige  gegen  das  Hussitenthnm  und  die  TaboritiBchen 
Heere  unbetheiligt.  Dagegen  hatte  die  Reformation  Lnther's,  ah 
eine  deutsche  Sache,  weitgebenden  Erfolg  im  ganzen  Lande,  der 
sich  auch  an  der  slaTiscben  Bevölkerung  desselben  widerspiegelte. 
Im  16.  Jahrhundert  var  das  lauattzisch- serbische  Volksthnm 
schon  in  äusserstem  Verfall,  aber  das  Streben  nach  Verbreitung 
und  Befestigung  des  Protestantismus  nöthigte  jetzt,  sich  der 
Volkssprache  zuzuwenden,  und  gab  Anstoss  zur  ersten  litera- 
rischen Thätigkeit  in  der  lausitzisch -serbischen  Sprache,  wenn 
man  einige  religiöse  Schriften  nach  erangelischem  Bekenntniss, 
denen  sich  dann  auch  einige  ähnliche  Versuche  der  katholischen 
Geistlichkeit  anreihten,  eine  Literatur  nennen  kann.  Von  dieser 
Zeit  an  erscheinen  Sammlungen  von  Uehersetzungen  einzelner 
Stücke  der  Heiligen  Schrift,  von  den  nothwendigen  Gebeten,  Legen- 
den, geistlichen  Liedern  u.  s.  w.,  welche  von  den  Geistlichen  zum 
Volke  übergingen.  Es  gibt  eine  Nachricht,  der  zufolge  schon  za 
Anfang  des  16-  Jahrhunderts  ein  lausitzisch-serbischer  Katerhis- 


„EDtstebniig  nnd  bisherige  Thätigkeit  der  Ma6ioa  Serbeka"  (iD„Neue«Liiii^ 
M^tSEin",  39.  Bd.);  „Lu^yoianie"  (in  der  polniaohen  WocheiiBohrift„Watt«'' 
inPoueo,  1874,  Nr.  16fg.)j  „MinuvSee  deijatil^tie  u  Serbov-LniiEiD"  (imSUv. 
Sbornik.  St.  Peterab.  18TT,  11,  85-99);  „0  poalednim  pftilet!  u  toüek^eb 
■Srbäv"  (in  Jelinek'a  Sbornik  Slovansky.  Prag  1861,  S.  79  —  84);  «aeh  noe 
Keihe  kleinerer  hiatoriacb-Uteroriscber  Artikel  imÖssop)BMa^.Serb.,Jftbrg.Sfg. 
—  H.  Dnfman,  „Pismovstwo  katboUkieh  Serbon"  (BantEen  18G9.  Eine 
nehr  genaue  Bibliographie  der  Bücher  nnd  biognipbieohes  Verieiebnisa  der 
Schriftsteller.  Forttetzung  davon  im  Cuopis  Haö.  Serbek.  1873-74).  —|P- 
A.  Ko£ubinikij,  in  „OtEet;  o  pnteieBtvii"  (Odessa  1876).  —  K.  Jene. 
„Pismowatwo  a  spisowarjo  delnjoluSiBkich  Serbow.  Wot  (1548)  1674— 18Sl>" 
(im  ^^asopis  Ma6.  Serb.,  1880,  S.  73—164,  und  bewodera,  Leipzig  ISBI)-- 
J.E.  Smoler'a  wendiaobe  Ueberaetzung  des  obigen  Abaobnitt«  mit  eioigra 
berichtigenden  Bemerkungen  a.  d.  T.  „Stawizny  loÜiko-Berbsk^e  Ütentnry. 
Z  kuihi  A.  N.  Pypina  a  W.  D.  SpaaowiEa  tlstorija  alavjauskioh  litmitor- 
2.  izd.o  pfetoii)  J.  £.  Smolef"  (im  LniiHn,  1879—81,  Nr.  11—13  nnd  li««m- 
der»,  Bautzen  1881).  —  K.  Grol,  „Iz  poi^zdki  k  LniHriuiam"  (in  litMija 
fit.  Petersi).  a)av.  bli^[otv.  ObSPeatva,  1888)].  ' 


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Anfönge  den  Schriftthiims.  385 

mus  gedruckt  wurde,  doch  hat  sich  bisher  noch  kein  einziges 
Exemplar  dieser  Ausgabe  gefunden.  Später  gibt  es  in  den  Samm- 
lungen übersetzter  geistlicher  Lieder  auch  wendische  Originale. 

Das  älteste  nennenswerthe  Denkmal  der  lausit^isch-serbischen 
Sprache  ist  ein  handschriftlicheB  Neues  Testament  vom  Jahre 
1548  (in  der  königl.  Bibliothek  zu  Berlin),  dessen  Uebersetzer 
Nikolaus  (Miklawuech)  Jakubica  war.  Die  Uebers^tzung  ist 
nach  dem  Lutber'schen  Text  gemacht  mit  Benutzung  der  Vulgata 
und  dabei  unter  sehr  starkem  Einftuss  der  t^chischen  Ueber- 
setzung,  was  ohne  Zweifel  darauf  hinweist,  dass  es  der  lausitzisch- 
serbiscben  Sprache  damals  an  Mitteln  des  Ausdrucks  mangelte. 
Die  Sprache  der  Uebersetzung  galt  anfangs  für  oberserbiech 
oder  für  einen  mittlem  Dialekt  zwischen  dem  ober-  und  nieder- 
serbischen;  allein  nach  der  eingehenden  Untersuchung  A.  Les- 
kien's  ei'wiea  sich  der  Text  als  niederserbisch,  ohne  jedoch 
mit  irgendeinem  der  jetzt  dort  bestehenden  Dialekte  zusam- 
menzufallen.' Danach  ist  das  erste  bekannte  gedruckte  Buch 
ein  Gesangbuch  mit  einigen  Gebeten  und  dem  Ijutherischen 
Katechismus,  herausgegeben  in  niederserbischer  Sprache  tob 
dem  evangelischen  Pastor  Albinus  Moller.  1574-  Dann  gab 
1610  Andreas  Tharaeus  einen  niederlaii sitzischen  Katechis- 
mus heraus  unter  dem  Titel  „Enchiridion  Vandalicum".'  Im 
oberlausitzischen  Dialekt  ward  das  erste  Buch,  Luther's  klei- 
ner Katechismus,  schon  1597  von  dem  Geistlichen  Wenzel 
Worjech  (Warichius)  herausgegeben.  Danach  Hess  1627  der 
Geistliche  Gregor  Martin  eine  Uebersetzung  der  sieben  Buss- 
psafanen   erscheinen.  —    Dies  ist  das  Hauptsächlichste,    was  aus 


'  Eine  kleine  Probe  dieses  Heuen  TeBtameuts  gab  zuerst  Jeut  (,.^*i" 
fitarSej  eerbekaj  mkopisttj",  im  Caaopis  Mw'.  Serb.,  1862),  dftnn  wurde  der 
J.Brief  des  Jakobua"  von  Hprmann  Lotse  hei'ansgegebeu  (Leipzig  1867: 
itum  kund ertj übrigen  .lubiläum  diT  Laasitzer  Predigei^esellBohaft,  der 
t(anze  Text  S.  IG— 2^);  zuletzt  gab  A.  Leskien  aus  diescc  HandeuLrift  äan 
Kvangelinm  de»  Marcus  in  Jagic's  Archiv,  I,  161—249  (1876)  beiaua,  mit 
imilanglioher  Untersuchung  über  die  Sprache,  Bemerkungen  über  den  Ueber- 
setzer S.  202.  W.  Nehring  führt  in  demselben  Archiv  (S.  514)  noch 
eia  altes  niederlaiisitüisch  -  sarhisches  Bruchstück  aus  der  ersten  Hälfte  de» 
lA.  Jahrhunderts  an. 

'  Eine  Beschreibung  des  einzigen  vorhandenen  Exemplar«  gab  Hörnik 
im  Casopis  1869;  philologinuhe  Analyse  von  A.  Leskien  in  Jagif's  Archiv, 
II,   126  —  129. 

F»»,  SUrlicha  LlUritiirBn.   11,3.  25 

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.3S6  Sechstes  Kapitel.    Die  Lauaitzer  Serben. 

der  erBten  Periode  der  literariechen  Tbatigkeit  der  Lausitzer 
Serben  belcannt  ist.  Es  wird  bemerkt,  dase  die  letztem  beiden 
Scbriften  mit  gegenüberstebendem  deutscben  Text  gedruckt  «aren, 
nicht  nur  für  die  deutschen  Geistlichen,  sondern  auch  um  das 
Volk  an  die  deutsche  Sprache  za  gewöhnen.  Aber  der  Protestan- 
tismus verbreitete  sich  weit  schneller  als  die  Germanisirong,  und 
dies  nöthigte  schliesslich  dazu,  für  Bücher  in  der  Volkssprache 
zu  eorgen,  um  das  Volk  im  Glauben  zu  befestigen. 

Das  17.  Jahrhundert  brachte  neue  Nothstände  über  das  Volk, 
und  die  Nationalität  verfiel  immer  mehr;  der  Dreissigjäbrige  Krieg 
und  der  ganze  Verlauf  der  Ereignisse  waren  der  Germanisiruiig 
sehr  förderlich ;  aber  zu  Ende  desselben  Jahrhunderts  riefen  die 
Bedürfnisse  der  religiösen  Belehrung  eine  literarische  Bewegung 
berror,  deren  bemerkenswerthester  Vertreter  Michael  Brance), 
(oder,  wie  er  auf  deutsch  hiess,  Frenzel*,  1628 — 1706),  eyangeli- 
scher  Frediger  zu  Postwitz  in  der  Oberlaueitz,  war.  Er  hatte  zum 
ersten  mal  ein  richtiges  Verständniss  für  die  Bedürfnisse  des  VoUes 
und  für  die  Nothwendigkeit,  die  Sprache  wiederherzustellen,  und 
arbeitete  fleissig  an  der  Uebersetzng  der  Heiligen  Schrift:  er  über- 
setzte das  Neue  Testament  und  einige  Tbeüe  des  Alten,  wobei  er 
auch  Öechieche  und  polnische  Texte  benutzte.  Unterstützt  von  den 
Landstönden,  stellte  er  eine  Druckschrift  für  die  lausitzisch-serbi- 
Bcben  Bücher  her  mit  einer  von  den  Cecheu  entlehnten  Orthogra- 
phie, druckte  kirchliche  und  erbauliche  Schriften  für  das  Volk,  gab 
1670  das  erste  Bruchstück  seiner  Uebersetzung  aus  der  Heibgen 
Schrift  heraus,  das  Evangelium  des  Matthäus  und  Markus,  IfiJQ 
den  Psalter,  der  später  viele  Ausgaben  hatte,  und  erlebte  im 
Alter  die  vollständige  Ausgabe  seiner  Uebersetzung  des  Neuen 
Testaments.  Aber  seine  Orthographie  gab  er  später  auf  nnd 
nahm  eine  andere  an,  welche  Pastor  Bierling  in  der  Schrifl: 
„Didascalia  seu  ortbographia  vandalica"  (1683)  vorgeschlagen 
hatte.  ^    Diese  letztere  war   wirklich   etwas   vandalisch,   nämlich 

'  [Wie  die  OrlBnamen  sind  auch  die  Familien  n amen  bei  den  LausiUer 
Serben  durch  die  Aemter,  Kaoüleien  u.  e.  w.  meist  verdeutscht  oder  nillkürlicb 
verdreht  worden:  Smolef  in  Schmaler,  llörnifc  in  Hornig,  Pjech 
(=  Petrus)  in  Feuh,  Uolan  in  Holland,  Era«-6ik  (=  Schneider)  m 
KrautstUok  (t)  u.  a.  und  gelten  nun  so  officiell  im  politischen  liehen,  wUi~ 
reud  sich  daneben  im  Volke  selbst  die  nrsprilngliohen  slavischen  Namen  rtio 
erhallen  haben  und  allein  angewendet  nerden.  Daher  der  oft  doppelt«,  hti- 
matliohe  und  deutsch-officielle  Nnme  wendisolier  Personen.] 

»  [Ueber  Bierling  und  seine  Sehrift  im  Caaopia  M.  S.  1883,  8.119-127.) 


nifi  Fumilie  Frenifll.  387 

plump  nacb  dem  Deutschen  zugerichtet,  und  sie  blieb  im  wesent- 
lichen bis  io  die  letzte  Zeit  die  Orthographie  der  Protestanten, 
welche  diese  von  den  Katholiken  trennte ,  die  freilich  auch 
erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  ein  correctes  orthographisches 
System  annahmen.  Die  Thatigkeit  Frenzel's  brachte  ihm  gros- 
sen Bubm  bei  seinen  Landsleuten  und  die  lausitziscben  Historiker 
meinen,  dass  wenn  das,  was  Frenzel  that,  früher  geschehen  wäre, 
eine  weit  grössere  Zahl  Ton  Lausitzer  Serben  bei  ihrer  Sprache 
gebliehen  wäre.  Frenzel  hatte  gewissermassen  auch  schon  Vor- 
gefühle der  slavischen  Ifenaissance;  in  diesem  Sinne  int  der 
Brief  von  Interesse ,  welchen  er ,  bei  üeberreichung  seiner 
Uebersetzungen,  an  Peter  den  Grossen  schrieb,  als  dieser  lf)97 
durch  Sachsen  reiste:  Frenzel  weist  mit  besonders  warmem  Ge- 
fühl auf  die  Bande  der  Verwandtschaft  hin,  welche  sein  Volk 
mit  den  andern  Staven  und  dem  grossen  Moskauer  Reich  ver- 
binden.' Die  Arbeiten  Frenzel's  blieben  nicht  ohne  Fortsetzer 
und  von  seiner  Zeit  an  rufen  die  Sorgen  um  die  religiöse  Bil- 
dung des  Volkes  fort^hrend  neue  Arbeiter  hervor.  Der  Sohn 
Michaels,  Abraham  Brancel  oder  Frenzel  (1666—1740),  wen- 
dete sich,  nachdem  er  seine  Bildung;  auf  der  UniTersität  Wit- 
tenberg empfangen,  der  historischen  Erforschung  seines  Landes 
und  Volkes  zu  und  schrieb  ein  grosses  Werk  „De  originibus 
linguae  Sorabicae  libri  IV"  (169-3 — i>6);  seine  andern  Werke: 
„De  diis  Slavorum  et  Soraborum  in  speci'e",  „De  vocabulis  pro- 
priis  Sorabicis  pagomm"  (topographischen  Inhalts)  wurden  fn 
Hoffmann's  „Scriptores  rerum  Lusaticarum"  (1719)  herausgegeben. 
In  seinem  grössern  Werk  zeigte  er.  obgleich  er  darin  viel  Mühe  auf 
die  Vergleichung  der  slavischen  Sprache  mit  der  hebräischen  nutz- 
los verschwendet  hat,  doch  ein  für  jene  Zeit  bedeutendes  antiquari- 
schem Wissen  und  eine  bemerkenswerthe  Kenntniss  der  slavischen 
Dialekte.  Viele  andere  lateinische  Werke  von  ihm,  z.  B.  ein  „Lan- 
sitzisch-serbisches  Wörterbuch",  eine  „Oberlausitzische  Geschichte", 
eine  „Naturgeschichte  der  Oberlausitz",  ein  „Niederlausitzisches 


■  Diener  BHpI'  ixt  lausilziach-serbi^iuh  nnd  Intcinisuh  abgedruckt  bei 
SrcKnavBk  ij,  S.  41 — 45.  Anmevk.;  [lateinisch,  deutsch  und  wendisoh  bei 
Knauthp,  KircbenKeschit-hte,  S,  428—439].  Ueber  M.  Frenzel  vgl.  Jen^, 
.,Mich.  Frencel  a  jeho  zanluSby  wo  serbske  piamowntwo"  (im  Casopis  Mai-. 
Serh.  1871,  S.  13  —  79);  M.  Hörnik,  „RW  a  prawopis  M.  Freuela  jih-d 
run>  20O  l.Hami"  (Ebend.  1870,  5.  5ß— 61). 

25« 

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388  Sechstes  Kapitel.    Die  Lausitzer  Serben. 

Wörterbuch"  blieben  Han<)»chri(ten ,  welche  theilweise  von  spä- 
tern  HietorikerD  benatzt  worden  sind. '  Bei  allcD  schwache» 
Seiten  der  damaligen  Gelehrsamkeit  sind  die  Arbeiten  des  Jün- 
gern Frenzel  bemerkenswertb  wegen  ihres  Strebens  nach  einer 
gesammtslavischen  Forschnng  und  wegen  des  Einflusses,  wel- 
chen sie  zu  ihrer  Zeit  darin  hatten,  dass  sie  die  Aufmerksam- 
keit auf  das  Studium  der  Sprache  und  des  Volkes  lenkten. 
Er  erwartete  für  seine  Nation  eine  bessere  Zukunft  und  fleissige 
Arbeiter  —  quos  lioguae  Sorabicae  dulcedo  ac  necessitas  mecuni 
in  8ui  amorem  atque  Studium  rapiet.  Die  Erenzersche  Familie 
lieferte  noch  zwei  gelehrte  Schriftsteller:  Michael  Frenzel,  <len 
Jüngern  (1607 — 1752),  dessen  „Dissertatio  de  idolis  Slavorum"  in 
ebendemselben  HofTmann'schen  Sammelwerk  abgedruckt  ist;  und 
Salomo  Gottlob,  Sohn  Michael  Frenzel's  des  Jüngern  (1701 — 68).' 
Diese  Tbätigkeit  der  Lutheraner  trieb,  wie  es  scheint,  auch 
die  Katholiken  an,  sich  um  das  Studium  der  Sprache  und  um 
Bücher  für  das  Volk  zu  bekümmern.  Die  erste  Grammatik  ver- 
fasste  der  Jesuit  Jakob  Xaverius  Ticiaus  (gest.  1693),  dessen 
„Principia  lingnae  wendicae,  quam  alii  vandalicam  vocant",  1679 
in  Frag  erschienen.  Dann  war  ein  thätiger  Schriftsteller  Geoi^ 
Augustin  Swetlik  oder  Swötlik  (1650—1729),  der  kirchliche 
Schriften  herausgab,  nach  der  Vulgata  die  ganze  Bibel  übersetzte, 
die  aber  Manuscript  geblieben  ist;  auch  gab  er  das  erste  und  zwar 
lateinisch-lausitzische  Wörterbuch  1721  heraus.  Seit  der  Zeit  der 
Frenzel  erschienen  insb^ondere  viele  Werke  über  die  Geschichte 
und  Sprache  der  Lausitzer  Serben,  z,  B.  die  oberlausitzischen 
Grammatiken  von  Matthäi  (Bautzen  1721)  und  Schmutz,  die 
Wörterbücher  von  ebendemselben  Schmutz  und  Swetlik,  ein 
niederlausitzisches  Wörterbuch  von  Fabricius  (im  Manuscript) 
u.a.,  eine  Geschichte  der  Gebräuche  der  Niederlausitzcr  Serben 
von  TiveriuE  (lateinisch  und  niederlausitzisch,  Manuscript). 


>  |ln  der  üathsbililiothek  zu  Zittau  befinden  iti<;b  10  dicke  Foliinl«» 
solchen  baud»cbriftl.  Nacblasscs  von  A.  Frenxel;  ('hnraklcrintiken  und  Aus- 
üüge  darouB  von  E.  Muka,  u.  d.  T.  „Fi-encelisDa"  im  Casopis  Mti.  S*rh. 
Jahrg.  1880-82.  Andere  Folianten  olwudeMelben  Frenwl  (luni  Theil  Al- 
Hchriften  der  Zittauer)  in  der  Itibliothek  der  Oberlaas.  UosellBubaTl  der 
WiBBenschafteii  zu  Cfirlitz  und  in  der  k.  Oeffentlicben  lliblintbek  in  Dresden.] 

•  (Vgl.  über  die  Frenzeis:  G.W.  Schubert,  „Chronik  der  (ieschlechUr 
Frenzel  und  Sohletter"  (r>reBdpn  1843).] 


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Dan   18.  JahrfatinaeH.  S89 

Im  18- Jalirliundert  vermehrte  sich  die  Menge  der  Bücher,  die 
der  religiösen  Bildung  des  Volkes  gewidmet  varen,  wenn  auch 
ihre  Zahl  noch  sehr  bescheiden  hleibt.  Frühere  Bibliographen 
zählen  bis  1700  kaum  20  lausitzisch-serbische  Bücher,  von  1700 — 
1800  gegen  200;  wenn  neuere  Forschungen  auch  diese  Zahl  ver- 
grössert  haben,  so  gibt  sie  doch  annähernd  genau  die  Zahlenver- 
hältnisse dieser  kleinen  Literatur  an.  Im  18- Jahrhundert  wurde 
zum  ersten  mal  eine  vollständige  Uebereetzung  der  Bibel  ge- 
druckt: das  Alte  Testament  war  in  den  oberlausitzi&chen  Dialekt 
übersetzt  worden  durch  die  vereinigte  Arbeit  der  Geistlichen 
Johann  Lange,  Matthäus  Jokus,  Johann  Böhmer  und  Johann 
Wauer.  Nach  elfjähriger  Arbeit,  in  welcher  sie  ihre  Ueher- 
setzung  mit  der  polnischen,  böhmischen  und  slovenischen  Ueber- 
setzung  verglichen,  ward  ihr  Werk  1728  gedruckt;  neue  Auflagen 
mit  geringen  Äeuderungen  erschienen  1742,  1797,  1820,  1823, 
1849,  1857,  1860,  l*i8I.'  Das  Neue  Testament  wurde  nach  der 
Uobei'setzung  Frenzel's  gedruckt.  —  Für  die  Niederlausitzer 
Serben  unternahm  ein'  ähnliches  Werk  der  evangelische  Geist- 
liche Gottlieb  Fabricius  (1679—1741),  ein  Freund  von  Abraham 
Frenzel,  von  Geburt  Deutscher,  der  in  Giessen  und  Halle  stu- 
dirt  hatte  und  zuletzt  Superintendent  in  Eottbus  war.  Er  gab 
in  niederlausitzisch- serbisch  er  Sprache  Luther's  kleinen  Katechis- 
mus und  eineUebersetzung  des  Neuen  Testaments  heraus  (1709). 
^eine  Arbeit  kam  erst  durch  Fritze  zur  Vollendung,  welcher  das 
Alte  Testament  1797  herausgab.     Die  ganze  Bibel  erschien  1824. 

Ausser  den  Uebersetzungen  der  Heiligen  Schrift  bestand  die 
Literatur,  die  das  Volk  in  der  Erhaltung  seiner  Nationalität  för- 
derte, in  geistlichen  Liedern  und  Predigten.  Geistliche  Lieder 
(klierluse,  d.  i.  kyrie  eleison)  waren  in  der  Masse  des  Volkes  sehr 
verbreitet  und  bestanden  schon  seit  Anfang  des  17- Jahrhunderts 
in  beträchtlicher  Anzahl,  in  Uebersetzungen  von  Prätorius,  Ast, 
Mättig  und  Wauer  und  vermehrten  sich  mit  jeder  neuen  Aus- 
gabe. Für  die  katholischen  Serben  ward  eine  Sammlung  ähn- 
licher Kirchenlieder  von  dem  schon  erwähnten  Swetlik  gemacht; 
uauh  ihm  schrieben  Kirchen-  und  Schulbücher  Kilian,  Martin 


'  [Die  letzte  Ausgabe  von  1881,  mit  eimgeu  Verbeaaerungeu,  besorgten 
H.  Imiä,  K.  JenC,  Johann  Aug.  Sykoia;  dabei  eia  Vorwort  von  H. 
Intis  über  dii:  Ueauhiukte  der  oberl,  Hcrb.  Bibel  (iiuuh  busoDdcru  u.  d.  T. 
„Pudeiidicujtt  Bürbskeje  bibliji;",  liautnen  1S81).] 

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,^90  SeohBtes  Kupitcl.    Die  LnuBitzer  Serheu. 

tiolian,  Hancka,  Walde — letzterer  veranstaltete  die  grösste 
SatnmluDg  von  KircheiiliederD :  ,,Spewawa  JezuBOwa  winica",  („Der 
sangluetige  Weinberg  Jesu",  1787).  In  niederserbiacher  Sprache 
wurden  geistliche  Lieder  zum  ereteu  mal  von  Hauptmann  her- 
ausgegeben, von  dem  weiter  unten  noch  die  Rede  sein  wird. 

AIb  ein  wichtiges  Mittel  zur  Stütze  der  Nationalität  und  za 
einiger  Bildung  der  Volksmasse  diente  die  Predigt.  Sie  ent- 
wickelte sich  übrigens  ziemlich  spät,  und  gewann  erst  seit  Mi- 
chael Frenzel,  der  in  seinen  Predigten  religiöse  Belehrung  mit 
patriotischem  Gefühl  vereinte,  Einfluss.  Unter  den  Predigern 
waren  ansser  Frenzel  vor  andern  bemerkenswerth  die  Pastoren: 
Pjech  (Pech),  Georg  Mjefi  (Mohn),  Walde  n.  a.,  obgleich 
sich  dieselben,  da  sie  deutsche  Muster  nachahmten,  nicht  durch 
Honderliche  Originalität  und  Reinheit  der  Sprache  anszeich- 
neten.  Die  Predigt  hatte  ohne  Zweifel  einen  grossen  Einfluss 
auf  die  Erhaltung  der  Nationalität.  Die  Historiker  bemerken, 
dass  „sich  kein  einziger  lausitzisch-serbiscber  Bezirk  gennani- 
sirt  hat,  wo  fortwährend  in  der  Volkssprache  gepredigt  wurde" 
—  und  dass  dem  gegenüber  Kirchspiele  ohne  solche  Predigt 
das  Gefühl  ihrer  Nationalität  verloren  und  schliesslich  deutsch 
wurden.^  Der  Predigt  in  der  Volkssprache  kam  insbesondere 
zu  statten  die  Errichtung  des  lausitzisch-serbischen  Seminars 
(für  die  Katholiken)  zu  Prag  und  der  Predigergesellschaften, 
welche  seitens  der  lausitzisch-serbischen  Studenten  der  Theologie 
au  den  Universitäten  Leipzig  und  Wittenberg  gegründet  wur- 
den. Die  äussern  Verhältnisse  waren  für  diese  nationale  Bewe- 
gung sehr  ungünstig;  die  deutschen  Behörden  und  die  Geistlich- 
keit wollten  dieselbe  aus  alter  Abneigung  gegen  die  Wenden  in 
nichts  fördern,  aber  die  Sache  kam  doch  zu  Stande  durch  die 
bescheidenen  Mittel  der  armen  Jugend  und  durch  wenige  Privat- 
leute. Das  prager  Seminar  wurde  1704  eröffnet;  hier  fanden  und 
finden  noch  ihre  Ausbildung  die  Geistlichen  für  das  kleine  Häuflein 
der  katholischen  Wenden.  Protestantische  PredigergesellBcbaften 
wurden  zu  Leipzig  171C  und  zu  Wittenberg  1749  errichtet;  sie 
hatten  mit  einer  Menge  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  Armuth 
hinderte  die  lausitzisch-serbischen  Landleute  sehr,  ihre  Söhne  auf 
die  Universitäten  zu  senden;  die  Gesellschaften  hurten  bisweilen 
auf  einige  Zeit  wegen  Mangels  an  Mitgliedern  auf;  nichtsdestoweni- 

'  B.igu^luwKki,  S.-211. 

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Das  18.  Jahrhandert  391 

ger  unteretutzten  sie  die  Predigt  in  der  uationalen  äprache  sehr 
Dod  damit  die  Nationalität  selbst.' 

Alle  diese  Anstrengungeii  sicherten  jedoch  der  lausitzisch- 
serbischen  Literatur  immer  noch  keinen  festen  Bestand,  nicht 
einmal  in  jenen  bescheidenen  Verhältnissen,  wie  dieselben  im 
18.  Jahrhundert  bestanden.  Der  Siebenjährige  Krieg  lastete  aufs 
neue  mit  schwerer  Noth  auf  den  Lausitzern:  das  Volk  verarmte, 
das  deutsche  Element  erstarkte,  die  Predigergesellschaften  ver- 
fielen, wie  die  zu  Wittenberg.  Die  Literatur,  nur  aus  kirchlichen 
Büchern  bestehend,  gab  dem  Nationalgefiihl  keine  grosse  Stütze 
und  ein  etwaiges  einzelnes  Anftlackern  des  Patriotismus,  wie 
z.B.  beim  50jährigen  Jubiläum  der  Leipziger  Predigergesellschaft 
im  Jahre  17t)6,  hatte  nur  einen  momentanen  Einlluss.  Vom 
Siebenjährigen  Kriege  an  begannen  immer  weniger  lausitzisch- 
serbische  Bücher  zu  erscheinen. 

Die  Lage  der  Niederlausitzer  war  noch  trauriger.  Ihnen 
fehlten  sogar  solche  Mittel,  wie  sie  ihren  Nachbarn  zu  Gebote 
standen.  Seit  Gottlieb  Fabricius  bis  1740  wurden  in  uiederlau- 
sitzisch  -  serbischer  Sprache  nur  wenige  Büchlein  gedruckt;  der 
König  Friedrich  Wilhelm  1.  konnte  die  Lausitzer  Serben  nicht 
leiden  und  ergriff  sogar  Gewaltmassregeln  zur  Vernichtung 
ihrer  Nationalität,  —  bei  den  Wenden,  welche  zu  Preussen  ge- 
hörten, wurde  die  Volkssprache  aus  den  Schulen,  ja  sogar  aus 
den  Kirchen  vertrieben.  Die  Sache  besserte  sich  dort  auch  spä- 
ter, nach  dem  Tode  dieses  Königs,  sehr  wenig:  Bücher  wurden 
selten  gedruckt,  und  die,  welche  z.B.  der  Pastor  Wille,  ein  ge- 
borener Deutscher,  der  die  Nothwendigkeit  von  Büchern  für  das 
Volk  erkannte,  schrieb  (in  den  Jahren  1746—71),  beschränkten 
sich  doch  nur  auf  den  Katechismus  und  einige  Uebersetzungen 
aus  der  Heiligen  Schrift.  Der  obengenannte  Hauptmann,  ebenfolls 
Deutschßi'  von  Geburt,  lausitzisch  -  serbischer  Prediger  zu  Lübbe- 
nau, vei'fasste  die  erste  niederlausitziscbe  Grammatik  („Nieder- 
lausitzisch-wendische  Grammatica",  1761)  und  eine  Sammlung 
von  geistlichen  Liedern  „Lubiiowski  szarski  Sambuch"  —  „Lübbe- 
nauer serbisches  Gesangbuch",  176SJ),  die  jetzt  jedoch  nicht  mehr 
in  Gebrauch  ist.  Nach  Wille  und  Hauptmann  schrieben  in  diesem 
Dialekt  die  Brüder  Fritze  (Fryco),  beide  Geistliche.   Der  ältere 

'  Hebet'  die  Leipziger  OeeellBchaft  vgl.  JentBoli,  „Geschichte  der  Lau- 
Bitzcr  Predige i'geBeliacItaft"  (Buut/en  1866)  uud  im  CoBopia,  18(i7,  S.  -165—540. 


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392  Seubstes  Kapitel.    Die  Lausibter  Serbeu. 

von  iLueii,  Gotthilf  Gbri^Üieb  Fritze,  gab  1774  den  Lutiier'schuii 
Kfttechismus  und  einige  andere  erbauliche  Schriften  heraus,  der 
andere,  Johann  Friedrich,  führte,  wie  oben  bemerkt,  die  Fabri- 
cius'gche  Uebersetzuug  der  Heiligen  Schrift  zu  Ende,  und  er- 
reichte dabei  eine  beträchtliche  Vollkommenheit  der  Literatur- 
sprache. .  .  .  Allein  dabei  blieb  es  auch  fast  ganz,  und  wenn 
schon  die  Oberlaueitzer  Serben,  welche  mehr  Mittel  zur  Verthei- 
digung  ihrer  Nationalität  hatten,  von  der  Germanisirung  litten, 
so  wirkte  diese  bei  den  Niederlausitzern  noch  unvergleichlich 
stärker;  im  Laufe  des  letzten  Jahrhunderts  (1750 — 1850)  wurden 
gegen  50  Kirchspiele  deutsch. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  brachte  das 
luteresse  am  Volkstbum  auch  ernste  gelehrte  Arbeiten,  wenn 
auch  in  lateiuischer  und  deutscher  Sprache,  z.  B.  über  die  Kirchen- 
geschichte und  Literatur  der  Oberlsusitzer  Serben  von  Knauthe 
(deutsch),  über  ihre  Gebräuche  von  Hörcanski;  über  das  sla- 
vische  Alterthum  von  dem  oberlausitzer  Gelehrten  Karl  Gottlob 
Anton  (1751 — 1818)',  welcher  auch  ethnographische  Nachrich- 
ten sammelte  und  wol  zuerst  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Erfor- 
schung der  lauBitzisch-serbischen  Volkslieder  lenkte.  Eine  Samin- 
luDg  niederwendischer  Lieder  (im  ganzen  nur  20  Originale,  da 
mehrere  wiederholt  aufgeschrieben  sind)  empfing  er  von  einem 
sächsischen  Girier,  der  sie  von  den  niederwendischen  Soldat«D 
seines  Regiments  hatte  aufzeichnen  lassen.  Diese  Lieder  wurden 
später  in  die  Smolef'sche  Sammlung  mit  aufgenommen.^  Die 
deutschen  und  lateinischen  Bücher  Auton's,  seiner  Zeitgenossen  und 
Voi^änger,  dienten  dem  lausitzisch-serbischen  Volke  zwar  nickt 
direct,  waren  aber  doch  ohne  Zweifel  nützlich  als  theoretisches 
Werkzeug  seiner  Wiederbelebung,  indem  sie  die  Sorge  um  die 
Nationalität  bewusster  und  kräftiger  machten.  In  diesem  Sinne 
sind  zwei  jetzt  selten  gewordene  Schriftchen  interessant.  Der  Ver- 
fasser des  einen,  Georg  Körner,  ein  Deutscher,  Pastor  zuBockau, 


'Vgl.  über  ihn  Slovuik  nauEu^,  s.  v.  Lauaitz.  MsgiLziu,  1843,  K.  193. 

'[M.  H6riiik,„KukopiaAatoDa'MCasr.pisl881)i3.E.  Smolef'aCeWr- 
scUung,  S.  11  Anmerk.;  A.  J.  ParozewBVi,  „Jau  Enieet  Smoler",  S-  ^* 
(WarBohaii  1883).  AuUin  sellist  war  ein  Deutscher  und  der  wendi»cben 
Ijpraclie  uioht  mächtig.  Von  seinen  Sohriflen  ist  bemerkeuBwertb:  ,4^'*^ 
Linien  eines  Versachü  über  der  älteaten  Slaven  Ursprung  u.  a.  w."  (3  Bde- 
Leipzig  1783—89).] 


.....Gooj^lc 


Du  1».  JubrbunJert.  3<.)3 

Buclit  die  y^ichtigkeit  der  lausitzisch-Eerbisclieu  Sprache  uud  ihre» 
Nutzen  für  die  Wissenschaft  Dachzuweisen';  er  spricht  von  der 
Ankunft  der  Wenden  in  Europa  von  Osten  her,  von  verBcbiede- 
nen  wendischen  ^'ölkerBchaften ,  von  der  Wichtigkeit  dieser 
Sprache  in  der  Theologie,  Geschichte,  Geographie,  Alterthums- 
kunde  u.  s.  w. ,  und  gibt  zuletzt  bibliographische  Angaben  über 
wendische  Bücher  seit  dem  IQ.  Jahrhundert.  Neben  phantasti- 
scher Philologie  finden  sic]i  in  dem  Schriftchen  interessante  Be- 
merkungen. Ein  anderes  anonymes  Schriftchen^-.  „Gedanken 
eines  oberlausitzer  Wenden  über  das  Schicksal  seiner  Nation 
mit  flüchtiger,  doch  unparteiischer  Feder  entworfen  nebst  An- 
merkungen" (Bautzen  1782.  8-  33  S.)  spricht  zur  Vertheidignng 
des  wendischen  Volkes  vom  Standpunkt  der  „Aufklärung"  des 
vorigen  Jahrhundert«.  Einst  war  es  ein  grosses  Volk;  jetzt 
ist  es  wenig  zahlreich,  weil  es,  besiegt,  alhnählich  Sitten  und 
Sprache  des  Siegers  angenommen,  und  sieb  mit  ihm  zu  einer 
Nation  verschmolzen  hat:  man  kann  leicht  den  Schluss  ziehen, 
dass  endlich  auch  der  letzte  Rest  desselben  sich  gänzlich  in 
Deutsche  verwandeln  wird  —  aber  so  sei  es  immer  auf  der  Erde 
gewesen;  es  ändern  sich  die  „zufälligen  Unterschiede  und  Namen", 
aber  die  Menschen  bleiben  immer  dieselben,  d.  h.  Menschen, 
welche  alle  von  einem  Gott  ihr  Dasein  haben;  deshalb  hält  der 
Vernünftige  jeden  fiir  seinen  Mithruder  und  achtet  jeden  Men- 
schen, welches  Stammes  er  auch  sei,  wenn  er  nur  der  Gesell- 
schaft nützlich  ist  und  seine  Pflichten  erfüllt. 

Allein  Erwägungen  solcher  Art  besserten  die  Lage  des  lau- 
sitzisch-serbischen Volkes  wenig,  und  bei  den,  wenn  auch  wenig 
zahlreichen  Patrioten,  hörte  die  Soi^e  um  Erhaltung  der  „zufalli- 
gen Unterschiede"  nicht  auf. 

31it  den  Napoleonischen  Kriegen  ward  die  Lage  des  lausitzisch- 
serbischen  Volkes  aufs  neue  eine  äusserst  schwierige.  Das  Land 
wurde  verwüstet  und  der  Triumph  der  Deutschen  nach  den  Frei- 
heitskriegen   unterdrückte   das  lausitzisch  -  serbische   Volksthum 


'  M.  G.  Kürner,  „ Philologisch -kritisclie  Abhandlnng  von  der  wcnilj- 
achcn  Sprache  und  ihrem  Nutiieu  in  rlon  WisaeiiBuhaflcn"  (Leipzig  lT6*t. 
12.  74  S.  Den  Mitgliedern  der  Lauaitaer  VredigcrgeBeÜBchaft  zu  Leipzig 
zu  deren  fnnfzigjäbi'igcm  Jubiläaro  geiridraet). 

'  [Nach  Jeoi  wahrBuhcinÜeh  von  Uürrauaki  verfsasl.  S.  t'asopia  187,'), 
S.  lÖ-J 


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394  Set^hetcB  Kapitel.    Diu  LauritKer  äerbcu. 

noch  mehr;  die  gebildeten  Weadeo  s^teu  sich  von  ihm  lo»;  das 
Volk  war  Terlassen,  sodass  ihm  dem  Anschein  nach  nahe  Ver- 
nichtung drohte.  Die  Predigergeaellscbafteu  hörten  abermals  anf, 
uud  die  zu  Wittenberg  ward  nicht  mehr  erneuert,  da  auch  die 
dortige  Universität  aufhörte,  indem  sie  1817  nach  Halle  verlegt 
wurde.  . . .  Aber  gerade  von  dieser  Zeit  an,  welche  so  wenig  Hoff- 
nung bot,  beginnt  eine  Entwickelung  der  lausitzisch-aerbischen 
Nationalität,  wie  es  eine  solche  bis  dahin  noch  niemals  gab.  8ie 
schlieset  sich  später  der  slaviscben  Renaissance  an,  welche  ihr 
eine  gewisse  moralische  Selbständigkeit  mittheilte  und  zu  neuen 
patriotischen  Anstrengnngeu  anspornte.  Zu  Anfang  des  JahrhuB- 
derte  sind  insbesondere  zu  nennen  der  Fastor  Georg  Mjen 
(Mohn),  welcher,  um  die  Geschmeidigkeit  seiner  heimischen  Sprache 
zu  zeigen,  in  lausitzisch- serbischer  Uebersetzuug  einige  Ab- 
schnitte  aus  Klopstock's  Messias  herausgab  und  ein  langes  didak- 
tisches Loblied  der  wendischen  Sprache  in  Hexametern  schrieb; 
femer  Johann  Dejka  (Doecke),  welcher  den  ersten  Versuch  einer 
lausitzisch-serbischen  Zeitung  machte,  indem  er  1809 — 1812  monat- 
lich den  „Serbski  powjedar  a  kurir"  („Serbischer  Erzähler  und 
Gnrier")  herausgab.  *  Nach  den  Napoleonischen  Kriegen  wurde  der 
hauptsächlichste  Vertreter  der  lausitzisch-serbischen  Wiederbe- 
lebung der  ehrwürdige  Pastor  Andreas  Lubjenski  (Lnbeoaky, 
1790—1840}  zu  Bautzen.  Schon  als  Student  in  Leipzig  stellte 
Lubjenski  die  Predigergesellschaft  wieder  her  und  bemühte  sich, 
seinen  Commilitonen  einen  weitern  Begriff  von  ihrem  Berufe 
beizubringen,  indem  er  sie,  wenn  auch  noch  nicht  ganz  be- 
wusst,  auf  die  Interessen  des  Volksthums  hinwies.  Der  Anfang 
war  schwer  und  Lubjenski  verlor  oftmals  die  Hoffnung  auf  eine 
Wiederbelebung,  hielt  seine  Zeit  für  die  letzte  des  tausitiisch- 
eerbischen  Volkes,  aber  hörte  nicht  auf  zu  arbeiten,  veranstal- 
tete eine  neue  Ausgabe  der  Bibel,  schrieb  und  druckte  Schrifleu 
religiösen  und  moralischen  Inhalts,  Gedichte  und  geistliche  Lieder, 
historische  Erzählungen  u.  dergl.,  beschäftigte  sidi  mit  der  Ge- 
schichte und  Ethnographie  der  Lausitz,  sammelte  grosses  Ma- 
terial  zu    einer  oberkusitzisch-scrbischen   Grammatik   und  zu 


'  [Ein  Versuch  war  allurdiugB  achon  vorher,  1790,  gemacht  worden, 
doch  wurde  gleich  die  erste  Munimer  jener  Zeitsehrift  wol  infolge  de« 
damaligen  PrivilegienweeeDi  von  der  Behörde  verboten.  Vgl.  Jtof  im 
CaBopis  1876,  S.  17.] 


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l 


Audreas  Seiler.  395 

einem  Wörterbucli.  In  der  Vertbeidigung  des  serbiBch-wendiseheii 
Volksthums  stand  ihm  zur  Seite  Bein  College  und  Freund  Friedrich 
Adolf  Klin  (Klien,  1792 — 1855),  der  nur  deutsch  schrieb',  aber  eif- 
rig för  die  nationalen  Rechte  der  wendischen  Bevölkerung  eintrat. 
Klin  war  Advocat,  nahm  als  Stadtrath  zu  Bautzen  eine  Stellung 
in  der  Verwaltung  des  Kirchen-  und  Schulwesens  ein,  war  Mitglied 
des  sächsischen  Landtags  und  seiner  Vertretung  in  den  Landtagen 
von  1833 — 34  haben  die  Lausitzer  Serben  die  Erhaltung  der  Volks- 
sprache in  der  Schule  zu  verdanken,  was  für  sie  ein  grosser  Sieg 
war.  Bei  den  Katholiken  gab  gleichzeitig  mit  Lubjenski  der  Gister- 
zienser  Tecelin  Met  zu  Rö^ant  (Rosenthal)  geistliche  Schriften 
heraus.  Den  Uebergang  zu  einer  neuen  Bewegung  bildet  die 
Tbätigkeit  von  Andreas  Seiler  (Zejler,  1804 — 1872).  Schon  als 
Student  der  Theologie  auf  der  Universität  Leipzig  erneuerte  er 
abermals,  nach  Lubjenski ,  die  wendische  Abtheiinng  der  Leip- 
ziger Predigergesellschaft  unter  dem  Namen  Sorabia  und  er- 
mahnte eifrig  zum  Dienst  für  das  eigene  Volksthuin.  Im  Jahre 
1826  wurde  er  in  Leipzig  mit  Palack^  und  Sima  Milutinovic 
bekannt  und  ihr  Einflusa  entwickelte  seine  eigenen  Bestrebungen 
noch  mehr.  Schon  auf  der  Universität  fasste  er  den  Plan,  eine 
handschriftliche  Zeitung  herauszugeben,  worin  die  Arbeiten  der 
von  ihm  errichteten  Gesellschaft  und  seine  eigenen  poetischen 
Versuche  gesammelt  wurden;  die  Zeitung  hatte  grossen  Erfolg 
und  Abschriften  davon  circulirt«»  im  gesammten  Gebiet  der  Lau- 
sitzer Serben.  Die  Bekanntschaft  mit  Slaven  anderer  Stämme 
veranlasste  Seiler,  das  Slaventhum  zu  studiren,  was  später  der 
lausitzisch-serbischen  Literatur  so  grossen  Nutzen  brachte.  [Eben- 
falls scbon  als  Student  begann  ev  ein  Wörterbuch  seiner  heimat- 
lichen Sprache  zu  schreiben,  dann  verfasste  er  eine  Grammatik 
derselben  {Bautzen  1830),  später  aber  traten  seine  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  in  den  Hintergrund  vor  seinem  poetischen  Schaf- 
fen ,  durch  das  er  einen  so  grossen  Einfluss  auf  sein  Volk  er- 
langte. Ueberhaupt  blieb  er,  wenn  auch  oft  verborgen,  lange 
der  factor  movens  aller  wendischen  Bewegungen  und  Bestrebun- 
gen. Der  Erfolg  seiner  Poesie  liegt  darin,  dase  sie  sich  ganz  auf 
dem  Niveau  des  heimatlichen  Volksthums  bewegt,  und  nichts  in 
dasselbe  hineinträgt,  sondern  barm-  und  tendenzlos  die  gegebenen 

■  {Seiu  EioführuDi^surtikel  im  ('asupiu  M.  tj.  1848,  I,  5—27  ist  von  Pfui 
iuB  WendiBcbe  übersetzt,    ü.  Kmoler'e  Uebersel^ung,  S.  14,  Anm.  2.] 


39(1  Secliates  Kajjilel.     Diu  LausiUer  Serben. 

VcEhältnissG  schildert  und  in  plastisclien  Genrebildern  zur  An- 
schauung bringt:  seine  Poesie  ist  ein  wirkliches  Spiegelbild  des 
Volkes  selbst,  mit  seinem  biedern,  gottesfürchtigen ,  aber  nicht 
bigotten  Sinn,  mit  seiner  Treue  gegen  die  Obrigkeit,  ,,die  preus- 
sische  und  die  sächsische",  und  flösst  diesem  selbst  Liebe 
zur  Heimat  und  zur  Huttersprache  ein,  welche  letztere  Seiler 
kannte  und  künstlerisch  zu  handhaben  wusste  in  einer  ursprüng- 
lichen Fülle  und  Feinheit,  wie  keiner  seiner  Zeitgenossen.  Fer- 
ner aber  wurde  der  Erfolg  ancli  dadurch  sehr  gefördert,  dase 
viele  Lieder  Seiler'B  von  ihm  selbst  und  von  seinem  Lands- 
mann, dem  talentvollen  Componisten  Karl  Aug.  Kocor  (deutsch 
Katzer,  geb.  1822,  Lehrer  und  Cantor  zu  Kittlitz  bei  Löbau)  in 
Musik  gesetzt,  dann  in  den  Schulen  und  bei  festlichen  Gelegen- 
heiten, namentlich  bei  den  nationalen  Concerten,  deren  Haupt- 
programmnummern sie  zu  bilden  pflegten,  gesungen  und  so  in 
Text  und  Melodie  zo  wirklichen  Volksliedern  wurden.  Meist 
schrieb  der  Dichter  für  den  Componisten,  doch  kam  auch  der 
umgekehrte  Fall  vor,  daes  erst  eine  Composition  vorhanden  war, 
und  dann  der  Dichter,  angeregt  durch  dieselbe,  einen  Text  dazu 
verfasate;  so  entstand  z.  B.  die  beliebte  Polonaise  „Serbska  Meja" 
(„Der  Wenden  Maienfest"),  welche  gesungen  und  getanzt  wird.' 
Seiler  schrieb  Lieder  und  grössere  Gesänge  (wie  „Der  Früh- 
ling", „Die  Ernte",  „Die  wendische  Hochzeit"  u.a.,  Oratorien, 
die  meist  componirt  sind  und  auch  wirklich  zur  Auffuhrung  ge- 
langten), Lieder  im  Volkston,  Fabeln  in  Vers  und  Prosa,  Sati- 
ren, geistliche  und  patriotische  Gedichte,  Balladen  u.  a.'   Femer 


'  [AuBser  der  „Serbaka  Meja"  (Gi-imma  g.  a,,  iu  den  vieraiger  Jabreol 
sind  vou  Kocor  gedruckt;  „SeciiB  wendische  Lieder  für  Tenor  oder  Sopran 
mit  l'iaiiofortcbcgleituug"  („Wsc  spüwow  aerbekici  u.  s.  w,",  Baatcen  18611; 
„Kranz  ober-  und  niederwendischer  Volkslieder  mit  PianofortebegleituDg^ 
(„Winc  uarodnjoli  apSwow  ete."  Eliend.  1868);  „Drei  wendische  Tänie" 
(Leipzig  bei  F.  Kahnt).  Muaikkeuuer,  nieht  blos  unter  den  eigenen  Landi- 
Icuteu  des  ComponisteD,  bedauern,  dsss  gerade  die  gröeecrn  CompoBitioneu 
Kouor'a  bisher  wegen  Mangel  an  einem  Verleger  nicht  im  Druck  crseheiucu 
konnten.    Die  Biographie  Kocor'a  im  &eiib.  „SvStozor",  1883,  Nr.  35.] 

*  (Eine  Gesainmtauagabe  der  Werke  Seiler'a  nnler  BedaotioQ  vou  K. 
Muka:  „Handrija  Zcjlerja  Zhromadzeiie  ^pisy.  Zrjadowat  a  nuda)  Emit 
Muka.  Z  uaktadom  eerbekeje  atudowaueje  mlodosf e"  (1.  u.  2.  Bd.  Bantcen 
IIWI).  Das  Ganze  iet  auf  fflnf  Bände  berechnet.  Der  erste  Dwid  enthält 
auuh  einig«  von  Seiler  selbst  compouirte  Melodie».     Einige  üebenetittDgen 


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AnilreftB  Seilnr.  397 

sammelte  er  Volkslieder,  VolltssprichwÖrter  und  Volksgebriluche, 
nahm  an  der  Bearbeitung  von  Pful'g  Wörterbuch  tbeil.  Es  sei 
uns  noch  gestattet,  das  Urtheil  eines  polnischen  Autors  (Graf 
Mieroszowski)  über  die  Poesie  Seiler's  anzuführen:  „Ich  lese 
diese  reizenden  Idyllen  mit  ganz  besonderm  Vergnügen  —  lieb- 
lich sind  sie  wie  Primeln,  Maiglöcklein,  Vergissmeinnicht,  Stein- 
nelken und  andere  kleine  zarte  Feldblumen,  die  uns  durch  ihre 
Grazie,  Niedlichkeit  und  bescheidene  Eleganz  erfreuen.  Es  ge- 
hört eine  grosse  Kunst  dazu,  wirklich  Schönes  und  Edles  in  das 
Gewand  des  Volksliedes  derart  zu  kleiden,  dass  es  beim  Volke 
auch  Anklang  finde  —  und  Seiler  hat,  glaube  ich,  diese  Kunst 
im  höchsten  Grade  besessen.  .  .  .  Ich  kann  ihn  nicht  besser  ehren, 
als  dass  ich  seine  Gedichte  neben  das  kroatische  Heldengedicht 
„Osvjetniki"  („Die  Bächei")  meines  lieben  Freundes  und  bosni- 
schen Dichters  Fra  Grgo  Martit  stelle."  '] 

Eine  neue  Periode  der  serbisch-lausitziscben  Wiederbelebung 
beginnt  mit  Ende  der  dreissiger  Jahre  (1838),  wo  als  Förderer 
derselben  einige  junge  eifrige  Patrioten  auftraten,  die  für  ihre 
Bestrebungen  auch  die  Männer  der  altern  Generation,  wie  Klin 
und  Jakob',  zu  gewinnen  wussten  und  sich  nicht  nur  die  kirch- 
liche Belehrung  des  Volkes,  sondern  überhaupt  seine  Bildung  und 
die  Besserung  seiner  politischen  und  socialen  Lage  angelegen  sein 
Hessen,  sowie  der  nationalen  Entwickelung  die  Verbindungen 
und  die  Sympathien  mit  dorn  gesanimten  Slaventhum  zur  festen 
Grundlage  gaben. 


Seilir'Bcher  Diulitungen:  deutsch  iü  den  ,. Kränzen  wendisclier Lieder"  (Text- 
liücher  zu  den  Concerten);  russisch  in  „Poezijn  Slavjftn";  f-echUch  in  Vy- 
mazaTs  „Slovanskä  pnpzijp"  (Hrünn  1874).} 

'  lAiiiea  IH83,  Nr.  11.  —  Seiler'»  Nekioln(r  \oii  M  llirniV  im  (a 
«.piK,  1874,  S.  63—64;  JenC,  „PFehlnd  spisiiw  H  Zijleijn  Fbei  I  S  >H— 
(13;  Ililferdiug,  im  nngeluhrten  Artikel;  Slovnik  unu  n)  b  t  in  dcii  ti 
f^ünzungen;  die  Zeitni-hrift  „£D>iii';ftU",  18(2,  187r> 

'  [KrnBt  Traugott  J&kob  (Jakub,  1800— 18.H)  pro teetaa tischer  Geist 
lieber,  tiess  eine  Reibe  Predigten  und  religiöse  Schriften  drucken  nn  1  gai 
eine  atisführliche  Statistik  der  wendischen  OberlaiiRitz  heians  (  Serbak 
Home  tuäicj",  Bnut/en  1848),  Auch  ist  er  Begr  ndcr  der  wendiscfaei 
Uott<-edieii8te  in  Dresden  (seit  1848  alljäfarlioli  viermal)  für  die  zablreiclien 
in  nod  um  Dresdeu  zeitweilig  als  Arbeiter,  Dienstboten  u  dergl  ver 
weilenden  Wenden.  Nekrr.1og  von  H.  Imii  im  üsopis  1855  S    14-51] 


CiOOqIl 


398  Seclisl.es  KapiUl,    Die  Ijnusitzer  Serben, 

Der  bedeutendste  und  populärste  aller  Vertreter  der  lausitzisch- 
serbiscbeu  Renaissauce  ist  Johans  Ernst  Smoler  (ruseiacb  Smoljar, 
deutscb  Scbmaler,  geb.  1816)-'  Sobn  eines  Landschullebrers  im 
Dorfe  Merzdorf  (Luco),  später  in  Lohsa  (^az),  begann  Smoler  schon 
im  14.  Lebenejabre  als  Schüler  des  GymnaBiums  zu  -Bautzen  unter 
seinen  Iianddeuten  auf  dieser  Anstalt  Interesse  fUr  die  lausitziscb- 
serbische  Sprache  zu  wecken,  welche  dieselben  dem  Deutschen  en 
Liebe  Tergassen;  seine  Ferien  brachte  er  auf  Wanderungen  unter 
den  Lauaitzer  Serben  zu,  erforscht«  vollständig  das  Volksleben, 
die  Gebräuche  und  die  Beste  des  Alterthums,  beging  das  ganze 
Gebiet  der  Lausitzer  Serben,  erlangte  zuerst  Kunde,  bis  zu  welchen 
Orten  die  wendischen  Ansiedelungen  reichten,  und  verzeichnete 
deren  Grenzen  auf  einer  Karte.  Im  Jabre  1836  bezog  Smoler  die 
Universität  Breslau,  um  Theologie  zu  studiren,  und  hatte  hier 
das  Glück,  seine  slavischen  Kenntnisse  zu  erweitern  und  seinen 
Eifer  zu  beleben  durch  die  Bekanntschaft  mit  dem  berühmten 
Physiologen  und  cechischen  Patrioten  Purkyne  und  später  mit 
dem  Dichter  Celakovk^,  der  in  Breslau  den  Lehrstuhl  der  sla- 
vischen Sprachen  erhielt.  Damals  studirten  in  Breslau  auch 
noch  andere  Lausitzer,  Deutsche  und  Wenden;  auf  Veranlassong 
eines  derselben,  Rössler  (ein  Deutscher,  später  Gymnasiallehrer  in 
Gels  und  Mitglied  des  Frankfurter  Parlaments,  er  floh  1848  nach 
Amerika  und  starb  bald  darauf)  gründete  Smoler,  der  eben  im 
Begriff  war,  einen  „Wendischen  Verein"  zu  stiften,  daselbst  einen 
„Verein  für  lausitzische  Geschichte  und  Sprache"  mit  einer  wen- 
dischen und  deutschen  Section,  und  eröffnete  denselben  mit  einem 
Vortrag  über  die  lausitzisch-serbischen  Volkslieder;  zum  Protector 
des  Vereins  wurde  zuerst  der  Historiker  Stenzel,  später  Purkyne 
erwählt.^  Im  Jahre  1839  gründete  die  lausitzische  Jugend  einen 
neuen  wissenschaftlichen  Verein  am  Gymnasium  zu  Bautzen  (So- 
cietas  sorabica  Budissina) ',  dessen  Haupturheber  die  eifrigen  lau- 

■  [Seine  Biographie  im  Slovnik  iiaui-Dj.  VIU,  7()ti  — 707;  in  der  feth- 
ZeiUohrift  „Kvüty",  Jahrg.  1868;  vonA.  J.  Parezewnki,  in  der  polniacheti 
Zeiteohrift  „Ktosy",  Jahrg.  1881;  letztere  auoh  besonders  u.  d- T.  „.lau  fJTjest 
Smoleir.  Uatfp  narodowego  odrodMnia  Göroyeh  l.uiyc"  (Waiwhsu  1883. 
67S.);  W.  Bognslawski,  „fcuÄycKsnie:  Smolar  i  Honiik"  (in  11.  GIin»ki's 
polnischem  Kalender  „(Jwianda",  1882,  S.CO— 68.     St.  Peteral.urg)-! 

'  [Smolei-'s  Ueber«.,  S.  15,  AiimeikuDg;  bei  Parcsewaki,  ».a-O-S-ia.) 
'  l'eber  ihn  K.  Jenf,    „Serbske  (tymnasialne   tow«r«two  w   BndySinjf 
wot  183<(  hftf-  An  1«(!4"  (im  rasopis  18ft'.). 


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.Toh.  E.  Smoler.  f{!)9 

sitzischen  Patrioten  Mosak  KtoBOpolaki  (deutsch  MosigvonÄeh- 
renfeld,  geb.  1830,  später  Uebersetzer  von  SafaHk'a  „SUt.  Alter- 
thnmern"  ins  Deutsche)  *  und  H.  Imiä  waren.  Der  Besuch  Stiir'H 
entflammte  den  patriotischen  Aufschwung  der  serbisch-wendi- 
sohen  Jugend  noch  mehr.  Er  berichtete  ihnen  von  der  gesammt- 
slavischen  Brüderlichkeit,  erinnerte  eie  an  ihr  Alterthnm,  weckte 
nationalen  Eifer.'  Danach  kam  ein  Brief  von  dem  berühmten 
Verfasser  der  „Slavy  dcera"  und  dann  eine  Anzahl  Öechiscfaer, 
sloTakischer,  serfaiBch-kroatischer  Bücher,  welche  den  Grund  zu 
einer  kleinen  slavischen  Bibliothek  am  Gymnasium  zu  Bautzen 
legten.  Die  Leipziger  Universität  bezogen  die  Bautzener  Gym- 
nasiasten schon  als  überzeugungstreue  Anhänger  ihrer  Nationa- 
lität und  gründeten  auch  hier  einen  wendisch-slavischen  Verein. 
Unterdessen  setzte  Smolef  seine  Studien  des  wendischen  Volks- 
thnms  fort  ond  konnte  schon  1842  im  Verein  mit  Leopold  Haupt, 
dem  Secretar  der  Görlitzer  Gelehrten  gesellschaft,  eine  Ausgabe  dei- 
ober-  und  niederlausttzisch-Berbischen  Volkslieder  veranstalten,  die 
mit  allen  Erfordernissen  eines  wissenschaftlichen  Apparats  versehen 
ist. '  Bei  dieser  Puhlication  ward  Smoler  von  dem  damals  dort 
lebenden  nissischen  Gelehrten  Sreznevskij  unterstützt;  in  dem 
Werke  wurde  die  neue  (echische  Orthographie  angenommen.  Die 
Betheilignng  Haupt's  war  eigentlich  nur  eine  nominelle ;  er  hat  keine 
Lieder  gesammelt,  konnte  überhaupt  kein  Wort  wendisch;  der  von 
ihm  versprochene  und  dann  auch  gelieferte  Beitrag  erwies  sich 
als  die  dürftige  Anton'sche  Sammlung  niederlansitzischer  Lieder, 
welche  die  Gesellschaft  besass;  auch  wusete  Haupt  keinen  Ver- 
leger zu  beschaffen.  Smolef*  musste  sich  in  allem  selbst  helfen; 
„damit  aber  Haupt  bei  dem  ganzen  Werk  doch  etwas  thue,  Hess 


'  [Die  ihm  in  Safarik's  Briefen  au  Pogndin  („Pisma  k  Pogodian"  II, 
322  n.  a.)  zugeichriebcne  Schrift  „Slaveu,  RuSBen,  Germaneu"  (1(^2)  liat  je- 
doch Kloeoiiölaki  nialit  zum  Verfasser,  der  überhaupt  nichts  Derartiges  ge- 
schrieben hat.     S.  Smolef'a  Uebers.,  S.  18,  Anraerk.] 

'  Stör  Bohricb  damals  einen  Artikel  über  die  lausitzisuh- serbische  Na- 
tionalität, der  in  Dubrovskij's  „Dennica"  üborset/t  ist. 

•  „Pjesnitki  Hornioh  a  Delnich  l^u^skioh  Serbow,  wudate  wot  L.  Uanpta 
a  J.  £.  Smolerja  —  Tulkslieder  der  Wenden  in  der  Ober-  und  Niederlaositz. 
Herausgegeben  vun  L.  Haupt  und  J.  £.  Schmaler"  (2  Bde.,  Grimma  1842 
—  43.  4.).  Be^egeben  sind  den  Liedern  eine  kurz«  historische  und  gram- 
inati  seh -dialektische  Einleitung,  geographische  und  statistische  Nachrichten, 
Beschreibung  des  Vnlksthnms  der  Laiisilzer,  eine  Karte  und  andere  Beilsgen. 


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400  Kcclintes  Kapitel.     Die  L&UBitzer  Sei-Iten. 

ihn  Smoler  die  von  ihm  vorher  gefertigte  deutsche  Uebersetzung 
ins  Yersmass  des  Oiigioals  briogeii  und  die  Vorrede  (iclireiben". ' 
Diese  Pablication,  eioe  der  besten  in  der  slavischen  Literatur, 
und  die  neuen  slavischen  Verbindungen  der  Patrioten  lenkten  auf 
die  Lausitzer  Serben  die  Aufmerksamkeit  der  slavischen  Literstur, 
und  es  wurde  ihr  Platz  in  der  slavischen  Renaissance  anerkannt. 
Smoler  wendete  sich  jetzt  einer  andern  ÄuFgabe  zu  —  nationales 
Bewusstsein  in  der  Volksmasse  selbst  zu  verbreiten;  ihr  muss- 
ten  Lektüre  und  die  Mittel  einer  gewissen  Bildung  verschafft 
werden. 

Diesen  Gedanken  hatte  schon  1842  ein  anderer  lausitzischer 
Patriot  gefasst,  der  als  Schriftsteller  und  Journalist  des  Slaven- 
thums  bekannt  ist.  Johann  Peter  Jordan  (geb.  181^)  studirte 
anf  dem  Gymnasium  und  der  Universität  zu  Frag  und  begann  friili 
»eine  publicistisi^e  Thätigkeit  in  der  bekannten  damaligen  Zeit- 
schrift „Ost  und  West".  Er  war  nächst  Seiler  einer  der  ersten 
unter  den  Lausitzern,  der  sich  mit  der  Sammlung  von  Volksliedern 
befasste  und  auf  deren  Wichtigkeit  hinwies.  In  den  vierziger 
Jahren  arbeitete  er  viel  hinsichtlich  der  slavischen  Frage  in  der 
deutschen  Literatur.  Damals  fand,  wie  wir  früher  anläsehch  der 
Cechen,  Slovaken  und  Serbo-Kroaten  bemerkt  haben,  in  Oester- 
reich  eine  starke  nationale  Gärung  statt;  in  der  deutschen,  ma- 
gyarischen, ja  sogar  der  europäischen  Publicistik  war  viel  von 
den  Gefahren  des  „Panslavismus"  die  Rede,  —  und  zur  Abwehr 
der  Feinde  des  Slaventhums  war  es  nöthig,  in  der  deutschen  Li- 
teratur zu  antworten.  Dahin  gehörte  „Ost  und  West",  dahin 
die  publicistische  Thätigkeit  eines  Wocel,  Palnck^,  Stür,  Hodza. 
der  Grafen  Matthias  und  I^eopold  Thun;  ihnen  schloss  sich  von 
Seiten  der  lausitzischen  Patrioten,  welche  in  den  Kreis  der  sla- 
vischen Sympathien  eingetreten  waren,  Jordan  an.  Er  begann 
zu  Leipzig  die  „Slavischen  Jahrbücher"  herauszugehen,  welche 
viele  wichtige  Nachrichten  über  die  Slaven  enthielten.*  Darauf 
bekleidete  er  den  Lehrstuhl  der  slavischen  Sprachen  und  Litera- 
turen au  der  dortigen  Universität,  aber  sein  slavischer  Patriotis- 
mus machte  ihm  viele  Feinde  in  der  deutschen  Journalistik,  und 


'  [Smolef'n  Uebera.,  S.  17,  Anmerk.;  TarcBewski  a.R.0.,  8.31—3^.1 

'  Unter  nnderm  hat  ei-  auch   rüe  Broschüre  „Der  £weifac)ic  Puitlavii- 

mtiB.     Mit   ADinerkuiif(i?ii    eti","    (Leipzig  1847)  gexohriehen.     Vgl.  „Pümii   k 

.  Pogwlimi"  n.  a.  0, 


.....Gooj^lc 


Smoler.    .lordan.  401 

als  Jordan  1848  offen  für  die  Interessen  des  Österrcicliischen 
SlaventbumH  eintrat,  gelang  es,  ilin  von  der  Universität  zu  vcr- 
clrängen.  Er  begann  damals  eine  deutsche  Zeitung  in  Prag  her- 
auszugeben, war  Mitglied  der  „Slovanskd  Lipa"  (Slavigche  Linde), 
7.0g  sieb  aber  nach  Eintritt  der  Reaction  von  der  literarischen 
Thätigkeit  zurück,  [die  er  erst  in  vorgerücktem  Alter  zu  Wien 
wieder  anfnabm  als  Jonmalist  im  slavischen  und  später  im  ka- 
tholischen Interesse.  1881  war  er  der  Führer  einer  Pilgerfahrt 
von  katholischen  Slaren  nach  Rom.] 

Im  Januar  1842  begann  Jordan  die  kleine  lauKitzisch-serbische 
Zeitung  „Jutnitka"  (,,Morgenröthe")  herauszugeben;  aber  die 
Sache  gelang  nicht,  unter  andemi  deshalb,  weil  sich  die  dessen 
angewohnten  Leser  von  der  verbesserten  (wenn  auch  nach  fechi- 
schem  Muster  vereinfachten)  Orthographie,  die  Jordan  in  seiner 
Grammatik  (1841)  vorgeschlagen  hatte.  abgeKtossen  fühlten.  Im 
zweiten  Halbjahr  übernahm  Seiler  die  Herausgabe  unter  Mit- 
wirkung von  Christian  Kulman  (1805  —  69),  Verfasser  von  Ge- 
dichten und  zahlreichen  kleinen  Volksschriften,  Smolef,  Pjenck 
(gest.  1849)  u.  a.  Die  neue  Zeitung  ,,Tydzeiiska  Nowina"  („Wochen- 
blatt") ging  besser  und  gab  der  Landbevölkerung,  auf  deren  Ge- 
schmack sie  berechnet  war,  zum  ersten  mal  eine  Lektüre.  Von  da 
an  hat  sich  die  lausitzisch-serbische  Literatur  einen  treuen,  wenn 
auch  bei  der  nicht  grossen  Zahl  der  Bevölkerung  nur  relativ 
zahlreichen,  Krei»  von  Lesern  gesichert.  [Neben  der  „Tydieiiska 
Nowina"  erschienen  1848  noch  kurze  Zeit  der  „Serbski  Nowin- 
kar",  redigirt  von  Bartko  und  Pjekaf,  und  gegen  Ende  1848  bis 
I850eine  Wochenschrift  für  die  Katholiken,  „Jutnicka",  redigirt  von 
Jakob  Ka^ank  (geb.  1818,  gegenwärtig  Kanonikus  Senior  in 
Bautzen)  unter  Mitwirkung  von  M.  Jacslawk  (gest.  1862;  lie- 
ferte Poesien),  M.  Cy?.  u.  a.]  Nach  Beschaffung  von  Zeitungen 
fassten  die  lausitziscben  Patrioten  auf  Anregung  Sraolef's  den 
Plan,  auch  eine  Matica  (Madica)  zu  gründen,  nach  Art  der 
andern  slavischen  Institutionen  gleichen  Namens.  Sie  ward  unter 
Mitwirkung  des  erwähnten  Klin  wirklich  gestiftet  und  1847  von 
der  sächsischen  und  bald  darauf  auch  von  der  preussischen  Bp- 
gierung  bestätigt.  Vom  nächsten  Jahre  an  begann  der  „Gasopis" 
(„Zeitschrift")  derMacica  zu  erscheinen,  welcher  der  Erforschung 
der  lausitzisch-serbischen  Geschichte,  Ethnographie  u.  s.w.  gewid- 
met ist;  in  ihm  traten  die  Namen  neuer  Förderer  der  Natio- 
nalität auf,  welche  das  von  Seiler  und  Smoler  begonnene  Werk 

pTrH,  SliT  liehe  LUerBtaian.   II,  3.  21! 

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402  Sechstes  Kapitel.    Die  Laneitzer  Serben. 

fortsetzten.  Dahin  gehören  Wjelan,  der  Philolog  und  Dichter 
Pfui,  Karl  ,Ienc,  Rostok  u.a.  Die  eigentliche  Aufgabe  der  Ma- 
6ica  bestand  in  der  Herausgabe  nützlicher  Bücher,  besonders  zar 
Lektüre  (Ur  das  Volk.  Unter  ihren  PublicatioDßn  ist  besonders 
wichtig  die  schon  erwähnte  Statistik  der  Oberlansitz  -von  Jakob  ', 
und  das  „LausitziBch-wendieche  Wörterbuch"  von  Pfnl,  imter 
Mitwirkung  von  Seiler  und  Höroik;  [Schriften  Iura  Volk  Ton  J. 
B.  Mufiink  (Erzählungen),  J.  Pohon6  (eine  Geschichte  Mapo- 
leon's  I.),  M.  A.  Kral  (ein  Gartenbuch)  u.  a.] 

Die  Unternehnnungen  der  serbisch-wendischen  Patrioten  fanden 
grosse  Sympathie  in  der  Volksmasse,  welche  in  den  national-serbi- 
schen Gesangsfesten  (seit  1845),  in  den  Öffentlichen  Versammlungen 
der  Ma^icB  zum  ersten  mal  das  offene  Auftreten  ihres  Volksthams 
sah.  Leute  der  alten  Generation,  die  früher  nie  etwas  Aehnliches 
gesehen  hatten,  schlössen  sich  der  jungem  Generation  an,  und  wie 
bescheiden  auch  die  Mittel  der  wendischen  BevölkeruBg  waren, 
die  Unternehmungen  der  Patrioten  hatten  einen  TerhäHnissmässig 
grossen  Erfolg.  In  dieser  Verfassung  traf  die  Lausitzer  Serben 
das  Jahr  1848.  Die  allgemeine  Erschütterung  mnsste  sie  sn 
oder  anders  mit  berühren.  Einerseits  erregte  sie  die  nationale 
Bewegung  des  benachbarten  österreichischen  Slaventhums;  an- 
dererseits lasteten  auf  ihnen  die  Fnitensionen  der  deutschen 
Demokraten,  welche  zn  einer  politischen  und  socialen  Reform 
aufforderten,  aber  die  Nationalität  der  Wenden  negirten.  Die 
Führer  der  Wenden  sahen  klar  ein,  dass  ihr  kleines  Volk  in 
keinem  Falle  eine  Rolle  spielen  könne,  und  richteten  die 
Sache  sn  ein,  dass  das  serbisch -wendische  Volkstbnm  im  Resul- 
tat Ton  den  politischen  Wirren  unberührt  blieb;  und  davon  hatte 
es  Vortheil.  Vertrauensmänner  der  damals  errichteten  serbisch- 
wendischen patriotischen  Vereine  benutzten  die  Verhältnisse  and 
verfassten  eine  Petition,  die  sich  mit  zahlreichen  Unterschriften  be- 
deckte, des  Inhalts,  die  wendische  Sprache  möge  im  lanaitzischen 
Gebiet  dieselben  Rechte  erlangen  wie  die  deutsche,  also  in  der 
Schule,  Kirche,   hei  den  Behörden  und  vor  Gericht.     Die   Isu- 


'  [Das  Werk  cntliült  unt^r  snderm  auch  eine  Bibliographie  oberlansitz isch- 
aerbisolier  Drucke  bie  zum  Jahre  1848,  wobei  ilie  Werke  proleBt&ntieeber 
Verfasser  von  E.  Jen&  und  die  katbolisoher  von  M.  Kni'ank  zneammeu- 
gestellt   Bind.    Ferner   wurde  noch  Jakob    unteratütEt  von  Smoler,   Seiler 


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Job.  E,  Smolef.  40.T 

sitzisch-serbische  Deputation  wandte  sich  mit  ihrer  Petition  nicht 
an  den  Landtag,  sondern  an  das  Ministerium  and  den  König; 
die  TOB  dem  Lande  verachteten  höchsten  Gewalten  wurden  durch 
die  Ergebenheit  der  Wenden  gewonnen ;  in  den  dresdener  Ereig- 
nissen 1849  bUeh  das  lausitziech-serhische  Regiment  dem  König 
treu,  —  und  deshalb  ward  die  Ergebenheit  des  lausitziscH-serhi- 
schen  Volkes  nicht  vergessen.  Nach  Wiederherstellung  der  Ordnung 
that  die  sächsische  Regierung  jener  Petition  zum  Theil  Genüge, 
und  gewährte  der  lausitzisch-serbischen  Sprache  Rechte  in  der 
Volksschule,  in  der  Kirche  und  vor  Gericht.  Ganz  ebenso  ver- 
hielten sich  die  lausitzisch-serbiechen  Patrioten  auch  in  den  Zwi- 
sten der  Feudalen  mit  den  städtischen  Demokraten,  ond  indem 
sie  die  Partei  der  erstem  ergriffen,  förderten  sie  wieder  ihre 
speciellen  Interessen  und  verbesserten  die  materielle  Lage  der 
Landbevölkerung  bedeutend. 

Die  officielle  Anerkennung  de»  serbisch-lausitzischen  Volks- 
thnms  in  Sachsen,  die  Beachtang  desselben  seitens  der  Mitglieder 
der  königlichen  Familie ',  der  Eifer  der  wendischen  Führer  gaben 
dieser  früher  vergessenen  und  verachteten  Nationalität  eine  ganz 
neue  Physiognomie.  Sie  trat  jetzt  aiif  die  Bühne  dps  öffentlichen 
Lebens;  das  serbisch-wendische  Buch  ward  zu  einer  Nothwendig- 
keit  für  den  Landmann,  die  moralische  Befreiung  von  drückendem 
Joch,  die  zum  friedlichen  Ausgleich  gelangten  Beziehungen  zu  den 
Grundherren  vrirkten  zu  einer  Besserung  der  materiellen  Lage 
—  der  Wohlstand  in  den  Dörfern  nahm  zu ,  und  die  Lausttzer 
Serben  wurden  die  besten  Landwirthe  des  Landes;  der'Werth 
von  Grund  und  Boäcn  stieg  in  kurzer  Zeit  um  das  Mehrfache. 
Auch  die  Zahl  der  Leser  wuchs;  Smoler's  Zeitung  hatte  in  den 
ersten  Jahren  nach  1849  gegen  1200  Abonnenten  —  eine  sehr 
betrilchtliche  Ziffer  bei  einer  Gesammtzahl  von  nur  90000  der  ge- 
sammten  oberlausitzisch-serbischen  Bevölkemng.  Im  Jahre  1854 
fasste  die  Ma^icA  den  Entscblass,  zum  ersten  mal  einen  lausitzisch- 
nerhischen  Kalender  herauszugeben;  es  wurden  zwei  Auflagen  zu 
je  1000  Exemplaren  abgesetzt.  „Nach  diesem  Verhältniss",  be- 
merkt Hilferding,  „hätten  wir  im  europäischen  Russland  min- 
destens eine  Million  Exemplare."    [Dieser  Kalender  („PredÄenak" 


'  [Der  jetzige  König  Albert  von  Saclisen  niihm  seinerzeil  nh  Prinz  hei 
Smolef  anderthalb  Jahr  Unterricht  in  cler  wendischen  Sprache.  H.  bti  Par- 
czewRki  a.a.O.,  S.  54.1 


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'  404  SeclisteB  Kapitel.    Die  Iiau^itücr  Serben. 

—  „Der  Garnmann")  ci-echeint  seitdem  alljährlich  nnter  der 
Tortrefflichen  Redactton  des  protestantischen  Pfarrera  ß.  Räda 
in  durchscbnittlicher  Auflage  von  je  5000  Exemplaren.  Daneben 
erscheint  seit  1868  ein  kathoKscher  Kalender  „Krajao"  („Der 
Landsmann")  in  1000,  und  in  neuester  Zeit  noch  ein  dritter  ,:Po- 
lan  a  Holan"  in  Hoyerswerda  in  2000  Exemplaren.] 

Viit  kehren  zu  der  Tbätigkeit  Smolef's  zurück.  Er  war  un- 
ermüdlich in  Arbeiten,  welche  das  erste  Bedürfniss  einer  Lite- 
ratur bildeten;  er  Rchreibt  für  die  Zeitung,  verfasst  Gespiücbe 
(1841),  ein  deutsch-wendisches  Wörterbuch  (1843),  eine  kleine 
Grammatik  (1850),  ül}er8etzt  CelakoTsk^'s  „Oblas  pisni  ruskj'ch" 
(„Widerhall  russischer  Lieder",  1846),  die  KÖniginhofer  Hand- 
schrift (1852).  Daneben  gingen  gesammtelaviscbe  IntereBsen,  als 
ihm  Jordan  1846  die  Redaction  der  „Slavischen  Jahrbücher"  über- 
trug.    1848  siedelte  er  nach  Bautzen  über,  übernahm  von  Seiler 

-  die  Redaction  derTydfeäskaNowina,  welche  jetzt  einen  politischen 
Theil  erhielt  (seit  1854  heisst  sie  „Serbske  Nowiny"),  und  gibt  sie 
noch  heraus.  Ausserdem  war  Smolef^  einige  Jahre  Redacteur  de^ 
„Öasopis"  der  Ma£ica,  des  kleinen  Jonmals  „iMiii^u",  in  den 
fünfziger  Jahren  redigirte  er  eine  neue  Serie  der  „Slawischen 
Jahrbücher"  (1852 — 58),  dann  die  „Zeitschrift  fnr  slavische  Li- 
teratur, Kunst  und  Wissenschaft"  (1862—65)  und  das  „Central- 
blatt  für  slavische  Literatur  und  Bibliographie"  (1865 — 68),  wobei 
er  wieder  seinen  nationalen  Patnotismus  mit  den  weitem  Inter- 
essen des  GesammtslaTeotbums  rerbindet.  In  den  lausitzischen 
Publicationen  schrieb  er  über  die  heimische  Geschichte,  Sprache 
u.  s.  w.;  ferner  übersetzte   er   einige   Werke   Ton   Hilferding  ins 

-  Deutsche.  •  .  .  .  Endlich  wendete  er  seine  Thätigkeit  noch  ein«* 
neuen  Sache  zu,  deren  Wichtigkeit  keinem  Zweifel  unterli^. 
Im  Jahre  1863  gründete  er  die  buchhändlerische  Firma  Schmaler 
&  Pech,  welche  lausitzisch-serbische  Bücher  heransgab  und  den 
Grund  zu  einer  gesammtslavischen   Buchhandlung  legen  sollte. 


'  Wir  führen  noch  die  Broachören  Smolef's  au:  „Wetchei  ist  die  Lekrr 
des  sthaDuiaD lachen  Symbolums  von  der  dritten  Ferson  der  Gottheit  etr." 
(dentscb  und  wendisch,  Bautzen  1861.  i.);  „Die  slfiviscben  OrtaDamcu  ik 
der  Oberlaiieit;!"  {Ebeod.  1867.  4.  Znm  dreihundertjährigen  Jubiläum  d*! 
GymnasiuniB  ED  Bautzen);  „Die  Schmähaohrift  de«  Schmied emcitters  Sl4»rii 
gegen  die  BpraohwiBsenschaftlichen  Wenden,  beleuchtet  vom  Standpunkt  dn- 
■WiBsenHchaft  und  Wahrheit"  (Ebend.  18C8). 


:.....,  (^lOOglC 


Joh.  K.  Smolef.  405' 

Der  Compagüon  Smolei's  Johann  Traugott  Pjecii  (deutsch  Pech, 
geb.  1838),  besuchte  das  GymnaBium  zu  Bautzen  und  die  Uni- 
versität Leipzig,  studirte  die  slaviBcben  Dialekte  und  leitete  1863 
—69  die  genannte  Firma  mit  Smolef  in  Bautzen;  1870  siedelte 
er  nach  Leipzig  über,  ohne  jedoch  die  Idee  einer  slavischen 
Centralbucbhandlung  aufzugeben. '  Die  Nothwendigkeit  eines 
solchen  centralen  Punktes  ist  zweifelloB,  und  wenn  es  zu  einer 
Fixirung  desselben  bisher  noch  nicht  gekommen  ist,  so  spricht 
dies  nur  dafür,  wie  schwach  zur  Zeit  noch  in  der  slaviBchen 
Welt  die  Bedürfnisse  gegenseitigen  literarischen  Verkehre  sind.' 


'  Wir  ver^teiulmeu  die  in  dieBcr  Saclie  iuteressanten,  als  Manuecript  ge- 
(Imokteo  Brosohüren  Pjeoh'a:  „Die  Buohliandlung  von  Schmaler  &  Pech  in 
Leipzig  {früher  ia  Baatzen),  ihre  WirkBfljnkeit  und  Stelluog  im  Blatischen 
Baohbaudel,  sowie  die  UediDgungen  iliros  feroeni  Gedeibeoa"  (Leipzig  1873); 
„Die  Nolhwendigkeit  der  ErrichtuDg  einer  slavisoheD  BaobhaDdluDg  in 
Leipzig,  dftB  Programm  derselben,  sowie  die  zu  ihrem  Betriebe  erforder- 
lichen Mittel"  (Leipzig  1874.  4.) 

'  {Da  ea  eich  hier  nm  die  peraüuliehen  Beatrehungen  dee  lleberBetzcrs 
bandelt,  so  sei  es  diesem  gestattet  eine  Bemerkung  zu  machen-. 

Die  oben  ausgesprochene  Betrachtang  des  Verfassers  über  einen  centralen 
Punkt  für  den  slaTieohen  ßnchhandel  könnte  nur  erklären ,  warum  ein 
Koleber  Punkt  innerhalb  des  slavischen  Uebiets  und  für  die  Slaven 
selbst  noch  nicht  entstanden  ist;  nicht  aber,  wamm  er  im  europäischen 
Buchhandel  überhaupt  noch  nicht  beateht,  oder  doch  noch  nicht  mit  dem 
klaren  Bcwusstsein  hingcBtellt  und  entwickelt  ist,  wie  cb  den  gegebenen 
Verhältnissen  nach  der  Fall  sein  könnte,  und  nie  es  thatsächlich  die  buch- 
händlerische p,  sowie  die  ihnen  zu  Grunde  liegendeu  wisse uBchaftlichen  und 
literarisuheu  IntercBsen  Europas  (die  Slaven  wechselseitig  mit  inbegriffen) 
erfordern.  Diese  Frage  ist  eben  mehr  von  geschäftlicher,  technischer  Seite 
aufznfaaaen,  als  von  nationaler  (gani  ebenso  wie  mau  t.  B.  auch  gramma- 
lische Fragen  nicht  mehr  vom  „nationalen",  sondern  vom  spraohwisaen- 
EcbafÜichen  Standpunkt«  beurtheilt),  und  in  dieser  Beziehung  ist  der  einzige 
Urund,  wamm  es  bisher  noch  nirgends  eine  wohloi^nisirte  Blaviaoha  Buch- 
hftudlung  gibt  (möglich  ist  sie  zur  Zeit  nur  in  Leipzig,  in  Verbindung  mit 
der  sonstigen  bocbbandleriBchen  Bedeutung,  die  dieser  Platz  fbr  Osteuropa 
hat  nnd  —  noch  lange  haben  wird),  der,  dasa  es  bisher  nicht  viele  Buch- 
bändler  gab,  welche  das  geBammtslavische  Gebiet  intelleotnell  beherrschten, 
und  dasB  es  diesen  wenigen  nicht  gelingen  wollte,  die  einem  solchen  Unter- 
nehmen entsprechende  finanzielle  Grundlage  zusammenzubringen.  Auch  hier- 
von die  Ursachen  aufzusuchen,  würde  zu  weit  fähren;  es  genügt,  zu  con- 
atatiren,  wie  die  Frage  eines  centralen  Punktes  (oder  richtiger  centralen 
Geschäfts)  für  den  slavischen  Buchhandel  in  Wirklichkeit  steht.] 


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40(J  SechBtcB  Kapitel.    Die  Laositzer  Serbcu. 

lu  seiner  heimatlichen  Literatur  war  Pjech  besonders  als  Mit- 
arbeiter am  ,^u£i^n"  und  an  der  „Euiica"  tbätig,  unter  anderm 
übersetzte  er  in  die  kuBitzisch- serbische  Sprache  südserbische 
Volkslieder,  ErzählnDgeu  von  Turgenev,  Havlicek,  0,  W.  Holmes, 
einiges  aus  deutschen  Dichtem  u.  a. ;  auch  ist  er  in  der  deut- 
schen Literatur  thätig. 

Die  Wiederbelebung  des  Berbisch-lausitztschen  Volkstbums 
verlief  freilich  nicht  ohne  Anfeindungen  seitens  deutscher  Eiferer, 
und  Smolef  als  der  Hauptvertreter  der  Bewegung  hatte  vor  allen 
die  Angriffe  derselben  zu  erdulden.  Einen  der  Anlässe  dazu  bot 
die  Betheiligung  zweier  oder  dreier  Lausitzer  Serben  \  darunter 
Smoler,  am  Moskauer  slavischen  Congress.  Smoler  erschien  in 
der  deutschen  Presse  als  „Vertreter  einer  panslaTistischen  Agita- 
tion", als  „Vorkämpfer  des  moskauischen  Byzantinismus" '  u.  b.  w. 
Wenn  man  bedenkt,  dass  andern  oder  sogar  denselben  deutschen 
Eiferern  die  Sache  der  Lausitzer  Serben  für  entschieden  gilt ",  — 
so  bieten  die  boshaften  Ausflllle,  welche  man  gleichwol  gegen  sie 
von  deutscher  Seite  richtet,  ein  wenig  erbauliches  Schauspiel. 

Einer  der  thätigsten  lausitzisch- serbischen  Patrioten  und 
Schriftsteller  ist  Michael  Hörnik  (deutsch  Hornig,  geb.  1833, 
in  der  Oberlausitz ).  >'^ach  der  Dorfschule  besuchte  er  das 
Gymnaaium  zu  Bautzen,  von  1847  an  ein  solches  zu  Prag 
als  Zögling  des  Wendischen  Seminars  (Convicts)  daselbst  und 
hörte  1853  —  56  an  der  Universität  Theologie,  wobei  er  sich 
zugleich  mit  den  slavischen  Dialekten  befasste  und  auf  dem 
Seminar  die  heimische  Sprache  seinen  Landsleuten  vortrug. 
Von  1856  an  katholischer  Geistlicher,  war  er  Vicar,  Kaplan, 
seit  1871  Pfarrer  zu  Bautzen.  Vom  Ende  der  fünfziger  Jahre 
an  und  noch  jetzt  arbeitete  er  viel  in  der  oberlausitzischen  Li- 
teratur. Anfangs  gab  er  die  „Monatliche  Beilage"  („Mesa^na 
priloha")  zu  Smoler's  „Serbske  Nowiny"    heraue  und  1860  be- 


'  [Ee  waren  Eür  Ewei.  IWi-  üebere.] 

'  Vgl.  Greiizboten  1867,  Nr.  24,  S.  433—441  (Der  PanBlaTiBmns  in 
Bautzen);  Allgem.  Zeitang,  1667,  Nr.  206  —  307.  Beilogea  (Sl&viaches  •!■<< 
der  LanBitz). 

'  „Es  handelt  aiuh  beim  Untergang  der  wendiBobeii  Sprache  id  Atr 
Lausitz  um  keinen  Kampf  —  dieser  ist  lange  entschieden  —  und  nur  von 
Iriedliubem  EiDBchlafen  kann  die  Kode  Bein;  keine  nationale  Gehässigkeit 
liegt  hier  vor  ii.  s.  w."    R.Andree,  „Wendisohfl  WanderalBdien",  Vorwort. 


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Mich.  Hörnik.  407 

gann  er  die  kleine  literarische  Zeitschrift  „fcuiiäan".    Im  Jahre 

1862  gründete  er  mit  einigeo  katholischen  Geistlichen  die  Ge- 
sellschaft des  heiligen  Cyrill  und  Method  zur  Herausgabe  billiger 
und  nützlicher  Bücher  für  die  katholischen  Wenden;  Organ  des 
Vereins  war  der  „Katbolski  Posol"  („Katholischer  Bote"),   der 

1863  ebenfalls  unter  Redaction  von  Hörnik  begann.  Ein  ähn- 
licher Verein:  „Wendischer  lutherischer  Bücberverein"  (Serbske 
lutherske  knihowne  towaf8two)~war  in  demselben  Jahre  für  die  pro- 
testantischen Wenden  errichtet  worden  —  da  die  Ma£ica  ihren  Sta- 
tuten gemäss  keine  confessiouellen  Schriften  herausgeben  konnte. 
Hörnik  nahm  dann  an  der  Bearbeitung  des  lausitzischen  Wörter- 
buchs thei],  übersetzt«  belehrende  Schriften,  schrieb  viel  im  „Öa- 
Bopis"  der  Ma6ica,  besonders  über  das  wendische  Volkstbum  und 
das  alte  Schriftwesen,  and  ist  seit  1868  Redacteur  des  6asopis,' 
wo  sich  viele  seiner  kleinen  Arbeiten  über  Geschichte  und  Sprache 
der  Lausitzer  Serben  befinden.  Er  schrieb  auch  in  dag  „Neue 
Lausitziscbe  Magazin",  und  in  slavische  Journale,  wie  den  cechi- 
schen  „Casopis"  und  neuerdings  den  „Slovanskj  Sbomik",  die 
polnische  „Warta",  den  russischen  „Slavjauskij  Sbornik",  in 
den  6echiBchen  „SloTuik  nauCn^",  correspondirte  in  (echische 
Zeitungen.  Hörnik  ist  einer  der  besten  Kenner  seines  Volkes 
und  der  Geschichte  desselben;  er  sucht  eine  moralische  Ver- 
bindung desselben  mit  der  grossen  slavischen  Welt  zu  unter- 
halten und  ist  als  Vertreter  des  katholischen  Theils  der  Lau- 
sitzer-Serben bestrebt,  die  katholischen  Bücher  zu  verbessern, 
sowie  die  Schriftsprache  und  deren  Orthographie  zu  regeln. 
[Endlich  machte  er  sich  noch  dadurch  um  das  heimatliche  Schrift- 
wesen sehr  verdient,  dass  er  wissenschaftliche  und  nützliche 
Bücher,  deren  Erscheinen  bei  dem  kleinen  heimatlichen  Publikum 
oft  kaum  möglich  wäre,  anf  eigene  Kosten  drucken  liess,  z.  B. 
Laras'  Psalmenübersetzung,  Libs's  Syntax,  mehrere  Volkslieder- 
sammlungen u.  a.' 


'  Obeu  Hiud  eiuige  Hciner  Ai'beiUu  nugefiihrt.  Wir  vurEeictmeu  noch 
folgende  für  die  Geschichte  der  lauBitziBch-aerhiachen  Literatur  ioteresBanien 
Artikel:  „Staruserbske  atowa  w  magdebnrgskiin  rnhopisfi  12,  IStst."  (nAIt- 
wendische  Wörter  in  ciaer  magdehurgiechen  Htuidschrift  des  13.  Jabrhna- 
d«rts",  im  Casopis,  1875,  8.80—82);  „Serbska  pHsaha,  pomnik  rS6e  z  treäeje 
Blw6r£e  IB.  Iftut."  („Eine  wendiauhe  Eidesfoiniel  aus  dem  dritten  Viertel  du« 
15.  Jahrhundcvts",   im  Bautzcuur  Stadtbuch.     Ebeudss.  S.  49—58);   „Jakub 


.....Gooj^lc 


408  tSoobstes  Kapitel.    Die  Lausitzcr  Serben. 

[In  ähuliclier  Weise  wie  Hörnik  für  die  Katbolikeu  wirkt 
Friedrich  Heinrich  Imis  (deutecb  Itnmisch,  geb.  1819,  Pfarrer 
zu  Göda)  für  die  Protestanten.  Nachdem  er  schon  seit  den  »ier- 
ziger  Jahren  an  den  nationalen  Bestrebungen  seiner  Landslente 
eifrig  tbeilgenommen ',  gründete  er  1862  den  schon  genannten 
„Wendisch-lutherischen  Bücberverein",  dessen  Vorstand  er  auch  bt, 
gab  für  denselben  ein  grosses  Predigtbuch*  heraus,  schrieb  die 
Jahresberichte  u.a.  Seine  Hauptmitarbeiter  bei  dem  Verein  siud 
Johann  August  Sykora  (deutsch  Sickert,  geb.  1835),  Verfasser 
von  Tolksthiuulichen  Geschichten  und  Erzählungen  auf  biblischer 
oder  kirchengeschichtlicher  Grundlage  ^  M.  Domaska  (religiöse 
Lieder)^  Georg  Jakob  u.a.  Femer  leitete  Imis  die  neue  Aub- 
gabe  der  Bibel,  übersetzte  die  Kirchenagende,  ist  Vorstand  der 
„Wendischen  Prediger  Conferenz"  in  Sachsen,  leitet  ein  Seminar 


Ticinue  a  jeho  räSnica  z  1. 16T9"  (., Jakob  Ticinus  und  seioe  Grammatik  vuni 
JaTire  1679",  Ebenii,,  1879,  S.  9—17),  [ferner  eclirieb  Hörnik  «bor  Tharäns, 
Clioinauus,  Ticin'e  Katecliisinus,  über  ein  Buob  in  der  Sorauer  Mundart,  über 
„.\usbildimg  der  oberwendi sehen  Scbriftsprache  und  ihre  AnnUierungr  •" 
die  niederwendieohe"  („Wutworjenje  etc.",  Ebend.  1880,  S.  155— 164)  u.  s.  w.) 
ErgSnzuDgen  und  Varianten  zu  Volksliedern. 

Biographie  bei  Du&iuau,  Pismowstwo,  S.  5G  — 6S  (mit  auBiÜhrlicheni 
Verzeichniss  der  Artikel  Hörnik's  Ins  1869),  [femer  im  Slovnfk  naut-nj  ».  v, 
in  den  tech.  ZeitBoliriften  „Kv.'ty"  (18G8),  „Svetozor"  (1875,  Nr.  50).  in  den 
polnischen  ..Ktosy"  (1881)  und  (mit  Smoler)  im  Kalender  „Gwiazda"  (1882l| 
Noch  eei  bemerkt,  daee  Horaik  eine  ,X'itanka"  („Ansgewählte  LeBestüebe"! 
aus  der  ober  lau  sitKisuhcu  Literatur  nusamroengegtellt  hat  (Bautzen  1663;  mit 
einem  kleinen  wendisch -deutschen  Wörterbuche). 

'  [Unter  andenu  redigiite  er  die  Zeitschrift  „ZemiEka"  („Moi^nttem"). 
1.— 3.  Jabi^.   Bautzen  1849-51;  4.  Jahi-g.,  Hoyerawerda  1853.] 

'  [„Domjaea  klflka.  Epistolske  prfdowanja  cyteho  eyrkwingkeho  Itl». 
Wudat  H.  ImiB"  („Die  Hauakanzel.  Epistelpred igten  u.  s.  w.".  Bautzen  IRiB. 
1080  S.  in  gr.  8).  Yorlier  erscliien:  „Domjaoy  wottar.  Zestaja)  H.  Imii" 
(„Der  Hausaltar".    Gebetbuch.    Bautzen  1867).] 

'  [In  „Boze  dzeco"  („Das  Christkind-',  Bautzen  1883;  Nr.  70  der  Schriften 
des  Weud.-Iuther.  Büchcrverein«)  ist  eine  Hinneigung  zu  den  apokrjpbeD 
Erzählungen  des  Mittelalters  bemerkbar.  Von  Büchern  solcher  Art  ist  tat 
früherer  Zeit  schon  das  „Nikodemus-Evangelium"  („Nikodemusowa  kniik*"- 
Bautzen  1S43)  vorhanden,  das  noch  gegenwärtig  eine  beliebte  Lektüre  de« 
Volks  bildet-l 

'  [„ZioDske  litosy.  Kherlu&owy  poklad  za  dougacu  uutmosc.  Wudil 
M.  Domaika"  („Zionsstimmen  u.  s.  w.",  ^  Bde.  Bautzen  1868  und  1S79|; 
der  ii weite  Bund  enthält  nui'  eigene  Uiohtnngen  von  Domaika.] 


.....Gooj^lc 


Heinr.  IniiB.  409 

fiir  junge  Theologen,  woriu  er  sie  in  der  Handhabung  der  wen- 
dischen Sprache  für  den  Gottesdienst  unterrichtet,  und  lässt  sich 
überhaupt  die  Förderung  der  national -kirchlichen  Interessen 
seiner  protestantischen  Landsleute  warm  angelegen  sein.  ^  Im 
„Öasopis"  schrieb  er  einiges  über  heimatliche  Volksgebräuche 
und  synonyme  Wörter.^ 

[In  der  Poesie  bleibt  Seiler  nach  volksthümlichem  Inhalt  und 
Form  unerreichter  Meister.  Neben  und  nach  ihm  wirkten:  Jo- 
hann Wehla  (Pseudonym  Eadyserb  und  Zarin),  fruchtbarer  und 
formgewandter  Dichter,  besonders  in  der  Ballade;  Johann  O^sla 
in  der  Lyrik  und  Epik^;  Karl  August  Fiedler  in  der  Lyrik, 
besonders  im  Sonett  und  in  Gelegenheitsgedichten;  Pfui,  Ton 
dem  weiter  unten,  Wafko,  die  Dichterin  Emilie  P.  (Pfnl) 
u.  a.  Andreas  Ducman  übersetzte  Schiller's  „Lied  von  der 
Glocke";  Johann  £artko  Kömer's  „Nachtwächter"  mit  An- 
passung au  die  localen  Verhältnisse;]  Jan  z  Lipy  sechs  Sonette 
von  Shakespeare  (in  Casopis  1875,  S.  78—80)  nnd  die  Tragödie 
„Julius  Cäsar"  (im  Manuscript).*  [Dazu  kommen  noch  einige  Volks- 
dichter (Leute  aus  den  einfachen  Verhältnissen  des  Dorflebens, 
ebne  höhere  Schulbildung),  die  ihre  lyrischen  und  Gelegenheits- 
gedichte in  den  ,,Serbske  Nowiuy"  veröffentlichen.  Der  älteste 
und  thätigste  von  ihnen  ist  Peter  Mtönk  (deutsch  Müller,  geb. 
1805,  einfacher  Bauer  evangelischen  Bekenntnisses).  Er  singt 
meist  lange  Lieder  (khlrluse)  im  Geiste  des  kirchlichen  Gesang- 
buchs, die  in  neuerer  Zeit  gesammelt  sind.*] 

Der  „Casopis"  der  MaiSica  wurde  von  1848  an  unter  Redac- 
tion  von  Smoler  herausgegeben,  dann  seit  1854  von  Jak.  Buk 
(geb.  1825,  katholischer  Hofkaplan  in  Dresden),  von  1868  an 
von  M.  Hörnik.    Diese  kleine  Zeitschrift,  deren  jährlicher  Uru- 


'  (Vgl.  Imiä's  Schrift:  „Die  innere  Mission  unter  den  Wenden.  Vortrag, 
gehalten  im  Evangel.  VereinEhaiise  iu  Breslau"  (Bautzen  1881).] 

'  [Biograjibisclie  Notizen  und  Verzeichniss  bis  dahin  verfaaster  Schriften 
in  W.  Haan,  „Säi;hsiai;heE)  Schriftsteller-Lexikon"  (Leipzig  1875).  Letzteren 
Werk  enthält  ferner  ebensolche  Notizen  über  Jak.  Buk,  Andr.  DuCniau,  11. 
Hörnik,  K.  A.  Jent-,  Pfui,  M.  Rostok,  Sykora  u.  a] 

*  [„Kral  PFibyfitaw.  Lyrisko-episka  baseri"  („König  Pribyslaw.  Lyrisoli- 
epische  Dichtung")  im  Casopis,  1868,  S.  8—56,  und  besonders.] 

*  Vgl.  die  polnische  Zeitung  „Wiek"  1876,  Nr.  263  im  Feuilleton. 

'  [P*tr  Mlüuk,  „KhMuse  ii  sp.^wy"  (G  Hefte,  Bautzen  1879.  Ü. 
a58  Seiten).] 


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410  Sechstes  Kapil«l.    Die  LausiUer  äerbco. 

fang  aus  zwei  Heften  zu  je  fünf  Druckbogen  besteht,  ist  das 
Hauptorgau  der  lauBitziecb-serbischen  Literatur,  an  welchem 
gleicbmäesig  Protestanten  und  Katlioliken  arbeiten.  [Ihr  Haupt- 
zweck ist  die  Erforschung  des  Volksthums  in  Sprache,  Gescbiclite, 
Literatur,  Älterthümern,  doch  werden  darin  auch  Poeeien,  darunter 
auch  niederlausitzische,  veröffentlicht.  SprachwissenschafUiche  Ab- 
handlungen verfassten  Smolef,  Buk,  Pfui,  Hämik.  Christian  Traa- 
gott  Pfui  (deutsch  Pfuhl,  geboren  1835)  war  ProfesBor  am  Vitz- 
tbum'schen  GjmnaBium  zu  Dresden,  musste  aber  An&ng  der  sieb- 
ziger Jahre  Krankheits  halber  sein  Amt  aufgeben  und  lebt  seitdem 
als  Professor  emeritus  in  Neschwitz  bei  Bautzen.  Sein  vortrefflicheB 
Wörterbuch  und  seine  „Laut-  und  Formenlehre",  die  erste,  welche 
wissenBchafllicbea  Anforderungen  genügt,  sind  schon  angeführt 
worden.  Ausser  im  Caeopis  schrieb  er  auch  im  £n2ican  und 
LuSica,  in  deutschen  Fachzeitschriften  und  Journalen;  besonders 
geschätzt  ist  seine  Zusammenstellung  und  Erklärung  der  sprach- 
lichen Denkmäler  der  Klbeslaven  („Pomniki  Polobjan  ^owjansäny" 
im  Casopis  1863  und  1864).'  TJeberhaupt  ist  Pfui  ein  eifriger 
Förderer  seines  Volksthums;  er  ist  auch  Dichter,  und  sein  pa- 
triotisches Lied  (aus  dein  Jahre  1853): 

üoty  taddte,  ja  was  ^ntuu: 

Ja  sym  mso  w  aerbskim  kr^u, 
Hdiez  mi  bydli  wutroha; 

Mlodnozelens  tj  atrooa, 

Wokfewjace  aerbske  hoca, 

Wf  a6e  moja  domizna!  u.  h.w.^ 

'  [Wir  führen  uooli  folgeude  Artikel  au:  „Hornjotuüski  serbski  prawo- 
pis  z  krötkim  r^&niEuym  pFehladom"  („Oberl&usitsiaoh-BerbiBobe  ßeoht«chrci- 

buug  etc"  im  Öasopis  1848,  S.  63  —  127);  „PSnijeöake  prswidU  ■  n^kotrc 
pSanje"  („ PrOBodisehe  Regeln  und  einige  Gedichte",  Ebcud.  1853— H,  S-  3 
— 24)  j  „Homjohiziaka  serbeka  rMnica  na  pHrunowacym  stejiSfu"  („Oberlau- 
81  tzisch -serbische  Grammatik  auf  vei^leicheudem  Standpunkte".  Einleitang 
und  Lautlehre.  Eilend.  IStil,  S.  1—95;  auuh  besoudere,  Baatzen  1862);  vom 
Jahrg.  1878  an  eine  Reilie  von  Artikeln  über  granimatiache  Fragen,  Wort- 
ci'klärnngen  mit  Perepectiveu  in  die  Urgeschichte,  die  ohne  Zweifel  von 
lotcrease  sind,  aber  freilich  auch  bei  der  Schwierigkeit  des  Gegenstände* 
der  Skeplik  manniohfacben  Spielraum  Insaen:  „NfSto  ze  atonjajiakeje  atarinj'' 
(„Etwas  aus  dem  slaviachen  Alcerthum");  „(^owjek  a  tit"  („Der  HwMrh 
und  die  Sprache");  „Za  stary  alowjeany  syalem"  (Eine  Apologie  von  I*»- 
broveky'a  Verbaleystem)  u.  a.;  endlich  noch  deutsch  „Lausitziech-vendischc 
Studien"  (in  dou  Baut^iier  Kachiichlen.  Sountagabeilage  1883,  Nr.28— 301.) 
'  [Apoatropbe  an  die  wendischen  Boi'ge  und  Fluren  bei  einer  Rück- 
kehr iD  die  Heimat.] 

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Pfui,    Jenf.    Dutnian.  411 

ist,  wiederaufgenommen  von  der  jüugern  Generation,  auf  dam  Wege 
ein  Volkslied  zu  werden;  neben  Originalen  lieferte  er  vortreff- 
liche poetiBche  Uebersetznngen  und  in  neuerer  Zeit  hat  er  begon- 
nen, Stoffe  ans  heimatliclien  Volkseagen  poetisch  zu  bearbeiten.  — 
Ein  unermüdlicher  Sammler  auf  biBtoriBcb-antiquariBchem  und 
bibliographJBcbem  Gebiet,  weshalb  er  auch  wiederholte  Reisen, 
besonders  in  der  Niederlausitz,  machte,  iet  Karl  August  Jene 
(deutsch  JentBch,  geb.  1828,  Pfarrer  in  Pohla).  Seinem  Eifer 
insbesondere  hat  es  die  Bibliothek  der  Ma6ica  zu  danken,  dass 
sie  eine  fast  vollständige  Sammlung  aller  ober-  und  nieder- 
serbischen  Drucke  und  anderer  für  die  locale  Forschung  wich- 
tiger Werke  besitzt.  Ueberhaupt  ist  er  der  Historiker  seiner 
Heimat.  Die  Resultate  seiner  Arbeiten  veröffentlichte  er  in 
zahlreichen  Artikeln  des  „Casopis"*,  auch  verfasste  er  einige 
Tolksthümliche  Erzählaugen.]  Histonscbe  Artikel  veröffentlich- 
ten im  öasopis  ferner  K.  A.  Fiedler,  Herrn.  Ferd.  Wjela  u.  a.; 
Bibliographie  der  katholischen  Wenden,  Beiträge  zur  Lexikogra- 
phie u.a.  Andreas  Du5man  (geb.  1836),  der  auch  Volksschriften 
und  eine  grosse  Legendensammlung  verfasste';  über  naturwissen- 
schaftliche Gegenstände  schrieben  Michael  Bostok  (geb.  1831; 
besonders  zum  Zweck  der  Herstellung  einer  naturwissenschaft- 
lichen Terminologie),  Peter  Dnöman  (Arzt,  Bruder  von  Adreiis). 
Endlich  sind  im  „Casopis"  verschiedene  Erzeugnisse  der  Volks- 
poesie  abgedruckt.  Die  Hauptoammlung  bleibt  aber  immer 
das  oben  erwähnte  bedeutende  Werk  von  Haupt  und  Smoler. 
Im  „Casopis"  theilten  dazu  Ergänzungen .  mit  Seiler,  Hörnik, 
Röla,  H.  Jordan*    und   besonders  Ernst  Muka,   von   welchem 


'  Oben  eind  schon  einige  Artikel  von  Jent  angeführt.  Wir  fuhren  ferner 
nn:  „Spisowarjo  hornjoluziekich  evangelBkioh  Serbow  wot  1597  haC  1800" 
(„SohriftBteller  der  evangelischen  oberlauoitziecheD  Serben  von  159T — 1800", 
im  J»brg.  1865,  S.  3—42);  Debeisicht  der  lau sitzisoh-serbi sehen  Literatur 
für  1861-65  (Jahrg.  1866),  für  1866— 70  (Jahrg.  1870),  für  1871— 70  (Jahrg. 
1876);  Ueber  die  oberlaiisitziach-s erbischen  Protestanten,  welche  in  andern 
Spraohen  aehrieben,  bia  1880  (Jahrg.  1875);  „Zemrjeöi  spisowarjo  hornjo- 
luziskieh  evangelskich  Serbow  wot  1800—1877"  („Verstorbene  Schriftsteller 
der  oberlausitz.  evangel.  Serben",  Jahrf^.  18T7);  über  die  handschriftliche 
Literatur  u,  a. 

'  [„Ziwjenja  Swjatyeh  po  rjedie  cjrkwinskich  stawiznow  spiaal  Handrij 
DnEiuau"  (11  Hefte.    Bautzen  1664—73.    800  Seiten.] 

'  Niederlausitzischc  Lieder  mit  Melodien,  1874,  S.  65— !)8. 


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412  SeL'hBtea  Kapitel.    Die  LauniUer  Serben. 

weiter  unk-n.  Seiler  und  Buk  Bammelten  Sprichwörter;  H.  Jordan 
niederlausitziache  Volksmärchen  (im  „Öasopia",  1876,  1877,  1879). 

Eine  andere  wichtige  Publication  iet  der  kleine  „Lu^can,  ca- 
sopis  za  zabawu  a  pownfienje"  („Der  Lausitzer,  Zeitecbrift  für 
Unterhaltung  und  Belehrung",  von  1860  an),  dessen  Redacteur» 
Höruik,  Smoler,  K.  A.  Fiedler  (geb.  1835,  Seminaroberlebrer  zu 
Bautzen,  schon  als  Dichter  genannt)  *  und  zuletzt  wieder  Smolef 
waren  (einen  Druckbogen  monatlich).  Die  scbon  genannten 
Schriftsteller  arbeiteten  auch  am  „Luzican",  wo  an  Stelle  der 
historisch-philologischen  Oegeustande  die  leichte  Lektüre  vor- 
herrscht; man  schreibt  der  Zeitschrift  daher  auch  einen  grossen 
Einfluss  auf  die  Ausbildung  der  Sprache  und  die  Weckung  des 
lutereBses  für  die  Literatur  in  ihrem  Publikum  zu.  Der  „haii- 
can"  erschien  bis  1877,  dann  in  etwas  veränderter  Gestalt  in 
den  Jahren  1878 — 81  (im  ganzen  13  Nummern),  worauf  er  mit 
der  daneben  entstandenen  „Lipa  Serbeka'*  zu  einem  neuen  Organ 
uuf  breiterer  Grundlage  und  unter  Mitwirkung  einer  neuen  Gene- 
ration von  Patrioten  verschmolzen  wurde. 

[Diese  junge  Generation  bildete  sich  unter  den  studirendeu 
Wenden  zu  Anfang  der  siebziger  Jahre:  sie  belebte  vor  allem 
die  studentischen  Vereine  in  Leipzig  und  Prag  und  veranstal- 
tete  alljährlich  in  den  Ferien  eine  Hauptvereanunlung  der  stu- 
direuden  Jugend  irgendwo  auf  heimatlichem  Boden.  Endlich 
gründete  sie  1870  für  sich  eine  besondere  Zeitung,  die  „Lipa 
Serbska"  („Wendische  Linde"),  erst  autographirt  (in  Leipzig), 
dann  in  Typen  gedruckt  (zu  Bautzen),  als  Organ  der  „Jung- 
Serben",  welche  Bezeichnung  jedoch  nicht  die  oppositionelle 
Nebenbedeutung  hat,  die  man  anderwärts  mit  dem  Begriff  „Jung-" 
zu  verbinden  pflegt;  es  waren  eben  nur  junge  Leute,  die  in  ihrer 
Weise  ihren  Patriotismus  bekunden  wollten.  Die  Zeitschrift  wurde 
freudig  begrüBst  und  erschien  bis  1881  neben  dem  „Luäi^n". 
Da  vereinigte  man  die   ihrem  Programm   nach   im  wesentlichen 


'  [Fiedler  gab  unter  aoderui  heraus;  „TowarSny  sp^WDik  za  scrb»bi  lud. 
ZuBtBJo)  K.  A.  Fiedler"  (GeaellBohaftaliederbuoli  mit  Melodien.  Bautzea  lÜT^l. 
Ea  enthält  103  Lieder,  darunter  viele  Volkslieder.  Auch  machte  er  sich  an 
die  Arran^rung  der  weadiaeheu  (iesangafeete  durch  EiuübuDg  der  Sänger. 
Leitung:  der  ProboD  u.  a.  w.  sehr  verdient  und  gab  eine  Beschreibung  eini- 
ger ilieaer  Gesau)^feBte:  „Serbeke  epSwaueke  swjedzenje  wot  l£ta  1645  ha£ 
do  li-ta  1S51"  (('lasopis  18*50,  S.Ol-UU).] 


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Die  junge  GenerntJon,  413 

gleichen  Zeitschriften  in  einem  neuen  Organ,  der  „^^uüca"  („Die 
Lausitz"),  das  seit  1882  monatlich  unter  [ledaction  von  Ernst 
Maka  (deutech  Mucke,  geb.  1854)  erscheint,  der  schon  die 
autographirte  „Lipa  Serbska"  mit  Geschick  rcdigirt  hatte.  Muka 
besuchte  das  Gymnasium  zu  Bautzen  und  studirte  in  Leipzig  clas- 
siRche  Philologie  und  slavische  SprachvissenBchaft  unter  Leskien. 
Seine  Ferien  benutzte  er  zu  Wanderungen  unter  seinen  Lands- 
leuten, besonders  in  der  Niederlaugifz,  lernte  die  dortigen  Ver- 
hältnisse und  Sprachvarietäten  gründlich  kennen,  sammelte  eifrig 
Volksüberlieferungen  und  fing  zeitig  an,  die  Resultate  seiner  Ar- 
beiten in  den  heimatlichen  Zeitschriften  zu  Teröffeutlichen.'  Nach 
AbschluRs  seiner  Studien  verbrachte  er  einige  Zeit  in  Zittau, 
wo  er  sich  unter  anderm  mit  der  Durchforschung  der  daselbst 
aufbewahrten  Maniiscripte  A.  Frenzel's  beschäftigte,  wurde 
dann  Gymnasialoherlehrer  in  Bautzen  und  wirkt  seit  1883  als 
solcher  in  Chemnitz.  Seine  Mitarbeiter  sind  ausser  den  schon 
genannten  altem  des  „Ln^-iÖan"  von  der  Jüngern  Generation: 
Jakob  Bart  (geb.  18.'')7),  katholischer  Geistlicher;  er  redigirte 
schon  1878  —  81  die  „Lipa  Serbska",  konnte  sich  aber,  weil  in 
Prag  seinen  Studien  obliegend,  nicht  als  Redacteur  nennen,  wes- 
halb ihn  J.  E.  Smoler  nominell  vertrat.  Sein  Gebiet  ist  die 
Kunstdichtung;  unter  anderm  verfasste  er  ein  wendisches  Ori- 
ginaldrama in  fünf  Acten  aus  den  Zeiten  der  Einführung  des 
Christenthums  bei  den  Wenden:  „Na  hrodiSis«;«"  („Auf  dem 
Burgwalle",  Bautzen  1880),  das  erste  Erzeugniss  dieser  Art  in 
der  heimatlichen  Literatur.  Auch  schrieb  er  patriotische  No- 
vellen. Syman  (pseudonym)  liefert  lyrische  Dichtungen  im  Volks- 
ton; Ernst  Holnn  unter  audorm  Reiseskizzen;  Nikolaus  Bjed- 
Tich  Humoresken;  J.  Kapler,  J.T.  Scholze  (Solta),  M.Ren^, 
Laras,  LibI  u.  a.   Auch  finden  sich  in  der  „fcuüca"  Stücke  in  der 


'  [Von  ihm  geBtimmelte  Volkoliedcr  im  Casopia  1372,  1873,  1876—77 
und  besonders  gedruckt:  Delnjolii/ieke  pesoje.  Zhromadzil  £.  Muka  (Bsutzen 
1877);  ferner  im  fasopis  1882,  S.  113-161  (nieder wendische),  1883,  S.  3- 
58  (im  Grenzdialekt  und  oberwendiBche )  und  hp.sonders  gedruckt:  „Do- 
dawk  k  ludowym  pf sDJam.  Zhromadzil  £.  Muka"  (Bautzen  1883 ;  mit  CU  Me- 
lodien). Ueber  seiue  Wanderungen  iu  der  Nicderlausitz  die  iDlerenaateii 
Berichte  ,JJröhowaiiki  a  dundanki  po  Üelnich  Serbacb"  („Kreuz-  und  Quer- 
zOge  etc.")  in  „tn^ica"  1883,  Nr.  4,  6,-7;  eine  Rt«tiatitcl)e  TTebersicbt  der 
Verhältniise  in  der  Niederlausitz  im  Jahre  1880:  „DelnjoluÜBke  Serbowstwo 
w  IWe  1880"  (f'BSopis  18R4,  1.  Hft.);  und  andei-e  Arbeiten.] 


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414  Seobstefl  Kapitel.     Die  Laueitzer  Serben. 

niederwendi sehen  Sprache,  wie  die  Zeitschrift  überhaupt  eine  gei- 
stige Vereinigung  zwischen  den  Ober-  und  Niederlausitzer  Serben 
anstrebt.  Johann  Laras  (geb.  184Ö)  übersetzte  fiiiher  schon 
die  Psalmen  aus  dem  Hebräischen  („Psalmy",  Bautzen  1872); 
Philipp  Rezak  gab  unter  dem  Titel  „Nasa  wowka"  („Unsere 
GroBsmutter",  Bautzen  1883)  eine  freie,  den  heimatlichen  Ver- 
hältniseen  angepasste  Bearbeitung  der  beliebten  cechischen  Er- 
zählung „B^'bi^ka"  von  Bozena  Nemcova  heraus;  Georg  Libs 
(deutsch  Liebsch),  katholischer  Geistlicher  und  Schüler  Hattala's  in 
der  Sprachwissenschaft,  verfasete  in  deutscher  Sprache  eine  dem 
letztern  gewidmete  „Sjntax  der  wendischen  Sprache  der  Ober- 
lansitz"  (Bautzen  1884.  8.  240  S.).  Ausser  dieser  literariscben 
Thätigkeit  setzte  die  junge  Generation  noch  ein  Unternehmen  ins 
Werk:  die  Mittel  zu  einer  Gesämnitausgabe  der  Werke  des  bis- 
her grössten  heimatlichen  Dichters,  Seiler's,  zu  sammeln.  Zu 
diesem  Zweck  beschloss  sie,  „ins  Volk  zu  gehen",  nationale  Cod- 
certe  und  TheaterauffUhruagen  unter  der  Landbevölkerung  za 
veranstalten  —  eine  dort  bisher  unerhörte  Erscheinung.'  Das 
Volk  hatte  aber  Freude  an  diesen  Unternehmungen,  gründete 
allmählich  selbst  gesellige  Vereine  mit  Dilettantentheatem  und 
GesangsTorträgen,  und  der  Hauptzweck  wurde  erreicht.  Es  kam 
ein  Fonds  zusammen  und  man  konnte  1883  mit  der  Herausgabe 
der  Werke  Seiler's  beginnen,  die  auf  fünf  Bände  berechnet  ist. 
Die  Redaction  übernahm  wieder  E.  Muka  und  bisher  liegen  die 
ersten  zwei  Bände  vor.  Auf  dramatische  Auffuhrungen  war  die 
lausitzisch-serbische  Literatur  bis  dahin  so  gut  wie  gar  nicht 
eingerichtet  gewesen;  nur  zwei  solche  Stücke  lagen  vor:  W. 
Klicpera's  „Rohovin  Viereck",  aus  dem  Cechischen  ühei'setzt  von 
J.  (''esla  (1862)  und  Körner's  „Nachtwächter"  in  der  Bearbeitung 
J.  Bartko's  (1863);  es  wurden  daher  eifrig  neue  Stücke  übersetzt 
aus  dem  Deutschen  (u.  a.  It.  Benedix'  „Process",  übersetzt  von 
J.  Kral),  Cechischen,  Polnischen,  und  ihre  Herausgabe  begonnen 
unter  dem  Titel  „Serbske  dziwadlo"  („Wendisches  Theater",  Hir- 
her  5  Nummern)  unter  Redaction  von  Muka  und  Bart.] 

Den    erwähnten  Publicationen  sind    noch   hinzuzufügen   die 
kirchlichen   Zeitschriften   „Missionski    Posol"   („Miesionsbote") 


'  [Anch  in  BautKen  kamen  wendische  TheaterauiTührnngen  nur  t>elt«n 
vor;  die  erste  solclie  fand  ISG'2  in  der  dortigeu  geselligen  Vereiniininf; 
„Scrhska  Bjesada"  (gegründet  IftW)  statt,] 


.....(^lOOglC 


Die  preuasisobc  OlierlausitK.  41Ö 

von  P.  Richter,  seit  1882  von  M,  Domaäka  und  G.  Jakob  (für 
die  Protestanten)  und  „Kathohki  Posoi"  {„Katholischer  Bote"), 
zuerst  von  M.  Hörnik,  später  von  Luscanski,  dann  Röla, 
jetzt  J.  Skala  redigirt,  für  die  Katholiken,  eine  landwirth- 
schaftliche  Zeitung  „Serbski  Uospodaf"  („Der  wendische 
Landvirth")  von  G.  Kuhas  (welche  drei  Blätter  der  länd- 
lichen Leser  halher  in  schwahacher  Schrift  gedruckt  werden). 
Neben  ihnen  erscheinen  in  besondern  Ausgaben  fast  nur  Schul- 
bücher, Katechismen,  Gebetbücher,  geistliche  Lieder,  endlich 
einige  wenige  historische  Schriften  und  weltliche  Lieder.  Die 
Zahl  der  Bücher  ist  bescheiden,  meist  auch  ihr  Umfang;  sie 
sind  fast  ausschliesslich  auf  ein  volksthümliches  Publikum  be- 
rechnet und  erfüllen  ihre  Aufgabe.  * 

Zur  Förderung  der  nationalen  Sache  hat  die  lausitzisch-scr- 
bische  Ma£ica  zu  Bautzen  ein  Grundstück  erworben,  worauf  ein 
geeignetes  Haus  für  die  Zwecke  der  Gesellschaft  errichtet  wer- 
den soll,  den  Gewinn  daraus  will  man  zum  Nutzen  der  Volks- 
bildung und  Literatur  in  beiden  Theilen  der  I.au6itz  verwenden. 
[Dem  Mangel  an  Geistlichen,  überhaupt  an  Personen  von  gelehr- 
tem Bernf,  sucht  ein  1880  gegründeter  „Verein  zur  Unterstützung 
studirender  Wenden"  (Towai'stwo  Pomocy  za  studowacych  Ser- 
bow)  in  Bautzen  abzuhelfen.] 

Das,  was  wir  bieher  von  der  neuem  Bewegung  des  eerbisch- 
wendischen  Volkstbums  gesagt  haben,  bezieht  sich  specicll  auf  die 
Oberlausitzer  Serben  in  Sachsen.  Der  Theil  der  Oberlansitzer, 
welcher  zu  Preussen  gehört,  geniesst  zwar  nicht  die  ofßciellen 
Vortheile,  die  von  deren  Landsleuten  in  Sachsen  erlangt  worden 
sind,  nimmt  aber  doch  an  deren  Erfolgen  theil,  indem  er  mit 
ihnen  die  gleichen  Interessen  der  Volksbildung  hegt.  Bautzen  ist 
auch  für  sie  das  moralische  Centrum  geblieben,  dem  sie  zuneig- 
ten. [Als  Förderer  der  nationalen  Interessen  in  Kirche  und  Schule 
hat  sieb  hier  besonders  Julius  Eduard  VVjelan  (geb.  1817  zu 
Schleifa  bei  Muskau  und  seit  1852  Pfarrer  daselbst),  einer  der 
bewährtesten  und   ältesten   wendischen  Patrioten ,   hervorgethan. 


'  Näheres  ülicr  die  neuere  I>(ige  des  iBiiBitüiacli-Berbinchen  VolliBthunifi 
findet  der  Leser  in  dem  Artiliel  Hörnik's,  im  „Slav.  Rhomik",  II  und 
Jelinek'e  Slov.  Sliornifc,  1881;  ferner  im  r-ecbischen  Journal  „Osvf^ta",  1871 
(Artikel  von  K.  Adamek)  und  1879. 


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41(>  SecliatcB  Knpitcl.     Die  T. 

Er  war  schon  GenosBc  Smolei'-'s  auf  dem  Gymnasium  in  Bautzen. 
1831 — 36,  dann  mit  ihm  in  Breslau  und  Mitglied  des  Lausitzi- 
schen Vereins  daselbst.  Nach  Beendigung  seiner  Studien  beklei- 
dete er  einige  Zeit  die  Stellung  eines  Hauslehrers  in  Polen;  in  den 
sechziger  Jahren  machte  er  aus  Interesse  an  den  slavischen  Din- 
gen eine  Reise  durch  Böhmen,  Ungarn,  bis  nach  Serbien.  Im 
„Casopis"  tritt  er  zuerst  als  Uebersctzer  südsertischer  Volkslieder 
auf;  später  veröffentlichte  er  dort  eine  werthvolle  Abhandlung  über 
den  Dialekt  Beiner  Heimat,  der  eine  Zwischenstufe  zwischen  dem 
Oberlausitzischen  und  Niederlausitzischen  bildet  und.  weil  vom 
Weltverkehr  wenig  berührt,  einen  sehr  alterthümlichen  Typus  be- 
wahrt hat.'  Femer  lieferte  er  Beiträge  in  Poesie  und  Prosa  zum 
„fjU^i^an"  und  zur  „Kuzica",  die  oft  einen  ernsten,  philosophi- 
schen Ton  annehmen  und,  obgleich  in  der  oberwendischen  Schrift- 
sprache geschrieben,  doch  Spuren  des  Dialekts  von  Wjelan's  Hei- 
mat tragen.  Auch  schrieb  er  zur  Vertheidigung  seiner  prenesi- 
schen  L&ndsleute  in  deutschen  Blättern.  1880  wurde  nach  säch- 
sicliem  Muster  unter  Wjelan's  Vorsitz  eine  Conferenz  wendischer 
Geistlicher  der  preussisclien  Oberlausitz  errichtet,  hauptsächlich 
zur  Abhülfe  des  Mangels  au  wendischen  Geistlichen,  der  dort 
besonders  gross  ist,  allein  diese  Conferenz  musste  nach  zwei- 
maliger Zusammenkunft  ihre  Sitzungen  vertagen,  weil  sie  von 
denKegierungsorganen  als  „inopportun"  bezeichnet  wurde.*  Aus 
demselben  Muskauer  Grenzgebiet  stammt  noch  ein  anderer  eifri- 
ger Patriot  und  Schriftsteller,  Heinrich  Jordan  (geb.  1841),  der 
in  der  oberlausitzischen  und  seit  seiner  Versetzung  als  Lehrer 
und  Cantor  nach  Papitz  bei  Kotthus  in  hervorragender  Weise 
auch  in  der  ntederlausitzischen  Literatur  thatig  ist.    Zur  erstem 


'  [„Namjpüno-MiüakowBka  nobnozka  Berbii'iuy'*  („Der  Grenzzweig  Aea 
Wi-iiilenthiims  hei  Muskau",  im  f^asopis,  ISfiO,  S.  67-93);  nach  einldten<1eii 
Dpinni'kuiigen  (über  die  Grenzen,  das  Alter,  die  Literatur  des  Dialekt«)  fol- 
gen  ZuBammenatelluDgen  der  EigeuthUnilichkeiten  in  den  Lauten ,  Fonnpo 
und  Worten,  nehnt  alplialipt.  VerzeiclinisB  von  Idiotisnieu.  Jakuliica'«  Hand- 
Kohrift  dea  Xeuen  IVstament*  wird  noch  zum  (Jrenzdialekt  gerecbnet,  doch 
aiiH  der  Sprache  naeligewicaen,  daaa  der  Verfaaser  vrenigstenfi  kein  Hiiikaiiir 
Bflin  konnte.l 

'  [Uelier  die  gegenwürtige  Lage  der  Dinge  in  der  preussim'beii  (Hwr- 
lauBitz  vcrgl.  den  Üeriebl  Wjelan's  iu  „LuÄie«"  IsaS,  Nr.  Itl.I 


...A^oogle 


Die  Nie  Verlan  ei  tz.  417 

gehören  mehrere  Schulbücher  und  Erzählungen  fürsVolk.i  Aach 
ist  Jordan  Mitarbeiter  an  den  oberwendischen  Zeitschriften.  Seine 
Sammlungen  von  Volksüberlieferungen  wurden  schon  erwähnt. 
[Noch  ungunstiger  sind  die  Verhältnisse  bei  den  Niederlau- 
sitÄem.  Wir  sahen,  dass  schon  früher  ihre  Lage  weit  schlimmer 
war;  die  Kirchspiele  kamen  immer  mehr  in  die  Hände  von  deut- 
schen Geistlichen,  weil  es  an  wendischen  mangelte  oder  die  vor- 
handenen in  deutschen  Gebiet«n  angestellt  wurden.'  Leute  mit 
höherer  Bildung  waren  gleichgültig,  ja  sogar  feindlich  gegen  ihre 
Nationalität.  Diese  Feindschaft  tritt  besonders  seit  Anfang  des 
gegenwärtigen  Jahrhunderts  hervor.  Niederwendische  Geistliche 
bemühen  sich,  die  Frage  zu  lösen,  wie  man  die  Wenden  ihre 
Sprache  vergessen  lassen  könnte,  sehen  in  der  letztern  nur  Scha- 
den für  Staat,  Kirche  und  Schule.'  Wendische  Lehrer,  oft  selbst 
nicht  vollständig  des  Deutschen  mächtig,  suchen  mit  Wuth  jedes 
wendische  Wort  aus  der  Schule  zu  verbannen.  Kein  Wunder, 
dass  dadurch  das  Volk  eingeschüchtert  wurde  und  apathisch  zu- 
sah, wie  seine  Nationalität  immer  mehr  sank.  Doch  fanden  sich 
auch  in  dieser  trostlosen  Zeit  einige  Männer,  die  sich  der  Be- 
dürfnisse des  Volks  erinnerten.  Dahin  gehört  insbesondere 
der  Lehrer  David  Traugott  Kopf  (Glowan,  1787—1865,  geb.  im 
Grenzgebiet  bei  Hoyerswerda).  Er  gab  1800  ein  niederwen- 
disches Gedicht  über  den  preussischen  Krieg  heraus,  von  dem 
in  sechs  Wochen  5000  Exemplare  abgesetzt  wurden  —  ein  Be- 
weis, wie  begierig  das  Volk  nach  Lektüre  griff,  obgleich  Aas  Ge- 
dicht „mehr  Prosa  als  Poesie  war  nnd  von  Germanismen  strotzte". 
Ferner  gab  er  dem  sogenannten  Begriihnissliederbuch  durch  zwei- 
malige Herausgabe  desselben  (1806  und  1816)  seine  endgültige 
Gestalt,  übersetzte  Predigten,  Erbauungsbücher,  Tractate,  besorgte 
mit  K.  Jen£  die  oberwendische  Bibelausgabe  der  britischen  Ge- 


'  [„Serbsko-niniBka  Citanka"  („Wendisub-deuUcliei  Leiebuch",  HoyerB- 
werdn  1866  n.  ö.);  „WjetSa  Eitanka"  („Groseerea  Lesebnoh".  Ebend.  1870); 
„N«jrje>iie  ludowe  bajki"  („Die  BoliÖDSten  Volksm&rchea".    Ebend.  1883)  u.  a.] 

'  [Letzteres  gesoliah  auch  aooh  in  neuerer  Zeit.  Der  Hangel  an  Geist- 
lichen hei  den  Wendeii  hat  überhaupt  nicht  darin  Beinen  Grand,  dasB  es  den 
wendischen  Jünglingen  an  Interesse  für  Studien,  damnter  auch  die  theologi- 
schen, mangelte,  sondern  darin,  dass  sie  sich  während  der  Studienzeit  auf 
deatschen  Unterriohtsanstalten  leicht  der  Heimat  entfremden  und  die  Mutter- 
Hp  räche  vergessen.] 

'  [Beispiele  bei  JenC,  Pismowatwo  S,  40  u.  41.J 

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418  Sechatea  Kapitel.     Die  Laueitzer  Serben. 

Bellschaft  (1860)  und  schrieb  zahlreiche  Artikel  in  dentscben 
pädagogischen  Zeitschriften. '  Der  Pastor  Johann  Sigismond 
Friedrich  Schindler  (gest.  1841)  gab  mit  Rücksicht  auf  die  da- 
maligen Bedürfnisse  des  Kriegs  ein  „Kleines  deutsch  -  wendisch- 
russisch -polnisches  Wörterbuch"  (Kottbus  1813,  40  S.)  heraus; 
ferner  biblische  Geschichten,  die  erste  Gesammtausgabe  der  nie- 
derwendischen Bibel  (1822 — 24),  endlich  ein  grosses  Fredigtbuch 
(1829)  mit  einer  Widmung  an  den  preussischen  Cultusminister 
Ältenstein,  aus  der  zu  ersehen  ist,  dass  Schindler  1^8  lor  seine 
Bemühungen  um  das  wendische  Schriftwesen  vom  preossischen 
Cultusministerinm  eine  sehr  anerkennende  Zuschrift  und  100  Tbir. 
Gratiöcatioa  erhalten  hatte.  Christian  Wilhelm  Bronis  (1778 — 
1881),  Pfarrer,  forschte  viel  über  Älterthum,  Sprache,  Sitten  und 
Gebräuche  der  Wenden  und  veriasste  zahlreiche  Artikel  im  Lau- 
sitzer Ha^azin  und  in  andern  deutschen  Zeitschriften.  *  Beson- 
ders unterstützte  er  auch  Smoler  bei  Herausgabe  von  dessen 
Volksliedersammlung ,  indem  er  nitht  nur  niederlanaitzische 
Lieder  zu  derselben  beitrug,  sondern  auch  philologisch -anti- 
quarische Abhandlungen  für  den  Anhang  verfasste.  Beiträge 
niederwendischer  Lieder  zu  Smoler's  Werk  lieferten  femer  der 
Pfarrer  Heinrich  August  Bronis  (gest.  1878),  ein  jüngerer 
Bruder  des  erstgenannten,  Jobann  Post  (geb.  1811),  Eomor. 
Auch  der  P&rrer  Gottlob  Markus  (gest.  1880),  ein  Genosse 
Smol^'s  in  Breslau,  sammelte  1837 — 40  niederwendische  Volks- 
lieder, doch  wurde  seine  Sammlung  erst  nach  seinem  Tode  von 
M.  Hörnik  herausgegeben.^  Der  Pastor  J.  G.  Zwahr  hintorliess 
ein  „Niederlausitzisch-wendisch-deutscbes  Wörterbuch",  das  nach 
seinem  Tode  sein  Sohn  J.  C.  F.  Zwahr  herausgab  (Spremberg 
1847).*  Christian  Friedrich  Stempel  (1787  —  1867),  Pastor  in 
dem  Städtchen  Lübbenau,  der  letzte,  der  daselbst  wendisdi  pre- 

'  [Seine  Scbrift:  „Das  Leben  der  sortiisuhen  Lehrer  Christian  uod  Da- 
vid WonanaB  (d.  i.  Olowanus)  oder  der  Sieg  des  Glanbeni"  (Berlin  1890)  ist 
eine  Art  Selbstbiographie  des  Verfaeeera.] 

*  [Wir  fübreu  unter  andern  die  apolagetiache  Abhandlnng  an:  „Ver- 
dient die  wendieohe  Mundart  in  der  NiederlangitE  den  Vorwurf  de«  Barba- 
rismas?"  (im  Laus.  Magazin  1846,  23.  Bd.,  S.  241  fg.)  und  die  Sohrift  „SU- 
visobe  Familiennamen  in  der  Niederlauiitz"  (Bautzen  1862).] 

■  [Im  Caiopis  1681  und  beeondera  (Bautien  1882).] 

'  {Das  Werk  igt  in  wiesen  schuft  lieber  Beziehung  weoig  genügend, 
a.  Chr.  W.  Bronis  (LauaitsiBchee  Magazin  1847,  S.  18).] 

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Die  Niederlausitz.  419 

digte,  sammelte  und  schrieb  viel  in  seiner  Muttersprache,  doch 
blieb  faet  alles  Manuscript  und  ging  zum  Theil  verloren,  wie 
z.  B.  ein  Epos  in  zwölf  Gesängen:  „Pytanje  za  starym  mjasecom" 
(„Das  Suchen  nach  dem  alten  Mond  oder  die  Unterdrückung 
der  Lansitzer  Serben").  Manuscript  blieb  auch  ein  anderes  Epos 
„Te  tri  rychle  trubaly:  zuk,  gtos  a  rec"  („Die  drei  schneiten 
Posannen:  der  Laut,  die  Stimme,  die  Rede")'  und  Uebersetznn- 
gen  aus  Theokrit.  Gedruckt  ist  nur  eine  metrische  Uebersetzang 
von  Phädrus'  Fabeln,  welche  Smoler  mit  einem  oberwendiscben 
Vorwort  herausgab.^  Doch  hat  diese  Arbeit,  oft  schwerfällig  in 
der  Sprache,  ein  mehr  philologisches  Interesse.  Direct  für  das 
Volk  war  überhaupt  die  Thätigkeit  dieses  und  der  nächstvorber- 
gegangenen  Autoren  wenig  fruchtbar;  für  das  letztere  selbst  er- 
schienen in  der  ganzen  Zeit  von  1829—48  ausser  neuen  Auflagen 
der  Gesangbücher  nur  einige  wenige  Tructätchen. 

[Erst  die  Wirren  von  1848  brachten  auch  einige  Bewegung  zn 
den  Niederlausitzern.  Um  sie  vor  demokratischen  Einflüssen  zu 
schützen  (eine  übrigens  ganz  unnöthige  Fürsorge  bei  dem  sehr 
loyalen  Sinn  der  wendischen  Bevölkerung),  wurde  mit  Unter- 
stützung der  hochconservativen  Partei  eine  niederwendiscbe  Zei- 
tung „BramborskiSerhskiCasnik"  gegründet.  Sie  erschien,  wöchent- 
lich einmal,  zuerst  unter  Redaction  des  Pastors  J.  Kowka  (gest. 
1863),  1852— 63  unter  der  des  Pastore Christian  Pank  (geb.  1808); 
obgleich  sie  manchen  vortrefilichen,  ja  sogar  patriotischen  Artikel 
brachte,  brach  sie  sich  docli  nur  langsam  im  Volke  Bahn  in- 
folge von  dessen  Lethargie  und  Scheu,  und  wol  auch  infolge  sei- 
nes Unvermögens,  etwas  Wendisches  zu  lesen,  da  in  der  Schule 
nur  Unterricht  im  deutschen  Lesen  ertheilt  wird.  Aus  demselben 
Grunde  und  wol  auch  wegen  Mangels  an  richtigem  Verständniss 
für  die  Bedürfnisse  des  Volks  vermochte  auch  ein  18ö0  gegründeter 
Verein  für  die  Niederlausitz  (Serbske  towarisstwo  Dolojcneje  Lu- 
üyce)  unter  dem  Vorsitz  des  conservativen  Rittergutsbesitzers  von 
Werdeck  nicht  zu  gedeihen;  der  Verein  gab  nur  vier  kleine 
Scbriftchen  fiirs  Volk  heraus,  darunter  eine  ganz  vortreffliche 
Belehrung     über    die    Zwecke     desselben    von    dem     genannten 


•  [Stüolte  daraus  im  Litiiictkn  1861—64.] 

'  [Faednjsowe  btunii^ki  z  tatynskeje  do  aerbslieje  ricy  dotojuojch  Luijc 
p^e)o£oDe  ptez  Clir.  Fr.  Stempla.  Hudawsr  J.  E.  Rmoler  (BaaUeii  WA. 
VIII,  r»6  S.).] 


J!:,  Google 


420  SechaleB  Kapitel.     Die  LauBitzer  Serben. 

Pank  •,  die  aber  allein  nicht  helfen  kounto,  und  hörte  nach  andert- 
halbjährigem Bestand  wieder  auf.  1849  wurde  am  Gymnasium  zu 
Kottbus  ein  ebensolcher  Verein  der  patriotischen  Jugend  gegrün- 
det wie  in  Bautzen;  1857  ward  hei  dem  genannten  Gymnasium 
der  Unterricht  in  der  wendischen  Sprache  eingeführt,  üeberhanpt 
begannen  allmählich  die  EindÜBse  der  Oberlansitz  einzuwirken. 
Der  erste,  der  hier  Bahn  brach  und  mit  Bewnsstsein  eine  neae 
Richtung  vorzubereiten  begann,  war  Johann  Friedrich  TeSnar 
(deutsch  Tescbner,  geb.  1829  als  Sohn  eines  Försters  in  der 
Niederlausitz),  gegenwärtig  der  populärste  Mann  bei  den  Nieder- 
lausitzer  Wenden.  Schon  1849  auf  dem  Gymnasium  zu  Kottbus 
war  er  der  Begründer  des  obengenannten  Vereins  seiner  Genossen, 
studirte  dann  in  Halle  und  Berlin  Theologie.  Nach  Abschluss 
seiner  Studien  ward  er  18ö7  DiakoituB  an  der  wendischen  Kirche 
zu  Kottbus  und  begann  sofort  seine  literarische  Thätigkeit,  die 
er  auch  fleissig  fortsetzte,  als  er  1862  auf  deutsches  Gebiet,  nach 
Nieda  bei  Görlitz,  berufen  wurde,  wo  er  noch  gegenwärtig  als 
P&rrer  wirkt.  Seine  erste  Sorge  war,  die  Sprache  der  Bücher 
zu  verbessera  und  eine  consequente,  dem  niederlansitziscben 
Idiom  entsprechende  Orthographie  einzuführen.  Dazu  hatte  er 
gleich  Gelegenheit  bei  den  neuen  Ausgaben  der  Gesangbücher 
(1858  und  1860).  Bei  einem  derselben  hatte  er  sogar  die  Ano- 
malie zu  beseitigen,  dass  es  bislier  in  sechs  Auflagen  mit  deut«cbem 
Titel  erschienen  war,  jetzt  erat  erhielt  es  den  gebührenden  wendi- 
schen: „Serske  duchowne  kjarliäe  U.S.W."  In  demselben  Jahre  rer- 
anstaltete  er  auch  eine  neue  Auäage  des  Fahricius'schen  Neuen 
Testaments  (von  der  britischen  Bibelgesellschaft  in  öOOO  Exem- 
plaren gedruckt),  wozu  er  die  Jakubica'sche  Handschrift  verglich, 
die  aber,  weil  in  einem  zu  abweichenden  Dialekt  geschrieben, 
für  diesen  Zweck  keine  Ausbeute  gab.*  Seine  Hauptwerke  sind 
ein  grosses  Predigtbucb,  das  wegen  seiner  einfachen,  Tolksthüm- 
lichen  Sprache  rasch  Absatz  fand  und  bald  eine  zweite  Auflage 
nöthig  machte,  und  ein  Andachtsbuch.'    Ausserdem  gab  er  ein- 

I  [To  Berske  Towariäatwo.  Co  wono  jo  a  co  wono  co  (Kottbus  1860). 
Jenb  gibt  als  Grund  dea  VerfallB  an,  dasB  „wol  von  Anfang  an  kein  freier 
nendiacher  GeiBt  in  dem  Verein  geLerrsobt  habe".     S.  PiemowBtwo,  S.  9.] 

'  [Persönliclic  Mittheilung  Teänaf's.] 

'  [„Ten  kn^z  jo  moj  paBty#!  abo  pratkarske  knigt;  na  evangelije  celego 
Jita"  (Kottbus  1869.  8.  727  S.;  2.  Aufl.,  1879).  „Nowe  bjatowarate  knislj 
äjknym  serskim  domam  etc."  (Hoyei-swerda  1857).] 


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TeSnaf.    Kosyk.  421 

zelne  Predigten,  eioe  deutscli-wendische  Ausgabe  der  Lieder  des 
preussiecben  Schulregulativs  berauB,  schrieb  io  deutsche  Zeit- 
Bchrifteo  über  wendische,  nameDÜich  kirchliche  Angelegenheiten 
u.  s.  w.  Die  Redaction  des  „Casnik"  übernahm  1864  nach  Fank 
der  Lehrer  Christian  Swjela  (geb.  1836),  zugleich  Verfasser  von 
Gedichten,  Volksbüchern,  Uebereetzer  von  Predigten.  Martin 
Grys  (gest.  1878),  Lehrer,  veröffentlichte  einige  Liedereammlun- 
gen  und  trat  selbst  als  Liederdichter  auf.  Eine  nene  verbesserte 
Ausgabe  der  ganzen  Bibel  mit  Tesnaf's  Orthographie  ward  vom 
Pfarrer  Haussig  (Deutscher  von  Gehurt,  gest.  1870)  unter  Mit- 
wirkung von  Tesnaf,  der  auch  die  Vorrede  schrieb,  Chr.  Älbi- 
nus,  Fr.Sadow,  Paul  Friedr.  Bronis",  Sohn  von Heinr.  August 
Bronis,  und  Pauk  nntemommen  und  1868  zu  Halle  auf  Kosten 
der  Preusaischen  Hauptbibelgesellschaft  gedruckt.  1872  siedelte 
der  Oberlaasitzer  Heinrich  Jordan  in  seine  Stellung  in  der  Nie- 
derlausitz über,  erlernte  schnell  die  dortige  Sprache  und  begann 
eine  fruchtbare  Thätigkeit  in  der  Schule,  io  der  Presse  und  durch 
Herausgabe  von  Volksschriften.  Den  vollen  Umschwung  führten 
aber  erst  zwei  Dichter  herbei,  die  es  verstanden,  wie  Seiler  in  der 
Oberlausitz,  die  Volksseele  zu  berühren:  Kosyk  und  ein  deutscher 
Gelehrter  und  zugleich  niederwendischer  Dichter,  Dr.  Sauerwein. 
[Matthäus  (Mato)  Kösyk,  Sohn  eines  wendischen  Bauern,  geb. 
18-  Juni  1853  zu  Werben,  besuchte  1867—72  das  Gymnasium  zu 
Kottbus,  nahm  dann  eine  Stellung  an  der  sächsischen  Eisenbahn, 
zuletzt  in  Leipzig  ein.  Hier  wurde  er  mit  einem  niederlansitziscben 
Landsmann  bekannt,  fing  mit  demselben  an  wendisch  zu  reden 
und  gewann  dadurch  Interesse  an  seinem  Volke,  das  noch  ge- 
kräftigt wurde,  als  er  zufällig  bei  einem  Antiquar  Safarik's  „Ge- 
schichte der  slavischen  Literatur"  fand,  die  ihm  zum  ersten  mal 
einen  Einblick  in  das  slaviscbe  Schriftwesen  eröffnete.  Dabei 
dichtete  er  aber  deutsch  und  schrieb  unter  anderm  eine  deutsche 
Tragödie,  mit  der  er  jedoch  bei  den  Theaterdirectoren  kein  Glück 
hatte.  1877  ging  er  zu  seinen  Aeltern  zurück.  Hier  ward  er 
einmal  in  die  Oberlausitz  gesandt,  um  dort  einem  neuberufenen 
Pfarrer  bei  Erlernung  der  niederwendischen  Sprache  behülf- 
]icb  zu  sein,  und  von  da  an  begann  er  wendisch  zu  dichten. 
Seine  geschätzteste  Arbeit  ist  „Die  wendische  Hochzeit  im  Spree- 

'  [VoD  ihm  eine  niederwentlieche  üeberactzung  von  Goethe's  Erlkönig: 
„BtudDik"  (CnsopiB  M.  S.,  18TT,  S.  110)  u.  b.) 

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422  Seubsteg  Kapitel.    Die  Lauaitzcr  Surbcu. 

wald"  („Serbska  swaiba  w  Blotach",  Hoyerswerda  1880),  ein 
poetisches  Bild  ans  dem  Leben  des  wendischen  Volkes  in  drei 
GesäDgen  und  in  Hexametern  geschrieben,  nach  Art  von  Voss' 
Luise  und  so  sehr  an  dieselbe  erinnernd,  dass  Landsleute  des 
Verfassers  anfangs  geglaubt  haben,  er  habe  Stellen  daraus  über- 
setzt. Doch  hat  sich  bei  näherer  Prüfung  alles  als  Original, 
nicht  als  Copie  erwiesen.  Eine  zweite  grössere  Diebtang  Kösyk's, 
ein  Epos  von  100  Strophen  in  Ottaverime,  „Der  Verrath  des 
Markgrafen  Gero"  („Prerada  markgrofy  Gera") '  reisst  alte  histo- 
riache  Wunden  auf,  von  denen  man  im  Interesse  einer  humanem 
Zukunft  auch  in  den  Beziehungen  der  Völker  zueinander  wün- 
schen möchte,  dass  sie  vergessen  werden  könnten.  Doch  müsstc 
dann  freilich  auch  von  der  andern  Seite  die  Greaelthat  Gero's, 
der  939  dreissig  wendische  Fürsten  zu  einem  Gastmahl  einlud, 
sie  trunken  machte  und  dann  ermorden  Hess,  nicht  als  patrio- 
tische Heldenthat  hingestellt  werden.  KolUr's  poetische  Gerech- 
tigkeit setzt  Gero  zwischen  die  slavische  und  die  deutsche  Hölle 
und  lässt  ihn  die  Qualen  beider  erdulden.  Kleinere  Gedichte 
EÖByk's  der  mannichfaltigsten  Art  finden  sich  in  den  niederl&u- 
sitziBchen  und  oberlausitzischen  Publicationen.  An  seinen  Ar- 
beiten wird  neben  poetischer  Innigkeit  und  Schwung  eine  durch- 
aus correcte  und  volksthümtiche  Sprache  gerühmt;  Wörter,  die 
ihm  mangeln,  entlehnt  er  zum  Theil  aus  dem  reichem  oberlau- 
sitzischen  Dialekt.  Leider  bat  Kösyk  Ende  1883  seine  Heimat 
verlassen,  um  sich  in  Nordamerika  im  lutherischen  Seminar  zu 
Springfield  (Staat  Illinois)  zum  Pfarramt  unter  den  dortigen 
Deatschen  vorzubereiten. 

[Der  deutsche  Gelehrte  Dr.  Georg  Sauevwein,  Sohn  eines 
protestantischen  Geistlichen  zu  Gronau  in  Hannover,  besitzt 
neben  poetischer  Begabung  ein  seltenes  Sprachtalent,  und  wenn 
Herder  die  Stimmen  der  Völker  sammelte,  und  das  historische 
Recht  auch  solcher  Völker  anerkannte,  die  von  der  Geschieht« 
in  den  Hintergrund  gedrängt  sind,  so  geht  Sauerwein  selbst 
zu  diesen  Völkern,  dichtet  und  singt  mit  ihnen  in  ihrem  eige- 
nen Idiom  und  kämpft  für  ihre  nationalen  Rechte  zum  wenigsten 
in  Kirche  und  Schule.  Er  studirte  in  Göttingen  orientalische 
Sprachen  und  Sanskrit,  lebte  dann  wiederholt  in  England,  gab 
1870  ein  Bändchen  englischer  Gedichte  heraus,  um  England  sar 


>  (Im  Ü'ioi.ig  18K1,  ».  !K)~113  and  liesooders  (Bautzen  I68ä).] 

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Dr.  Sauerwein.  423 

UnterstiitzuDg  Deutschland»  im  Krieg  gegen  Frankreich  anzuregen. 
Mit  England  behielt  er  fortan  regelmässige  Verbindungen  durch 
seine  linguistiechen  Arbeiten.  Von  frühester  Jugend  an  fasete  er 
aber  eine  besondere  Zuneigung  zu  den  slavisch-litaiiischen  Völ- 
kern im  Osten  Deutschlands,  indem  er  Ueberreste  von  Colonien 
wendischer  Kriegsgefangener  kennen  lernte,  welche  unter  Hein- 
rich dem  I.öwen  in  Hannover  angelegt  worden  waren,  und  wenn 
auch  nicht  die  Sprache,  so  doch  Charakter,  Sitten  und  Gebmuche 
ihrer  Heimat  bis  in  die  Gegenwart  bewahrt  haben.  Die  lieblichen 
Volkslieder  der  litauisch-slavischen  Welt,  deren  Studium  er  sich 
in  der  Folge  eifrig  hingab,  machten  einen  tiefen  und  dauernden 
Eindruck  auf  ihn,  sodass  er  schliesslich  selbst  unter  diese  Völker 
ging  und  mit  ihnen  lebte  und  kämpfte.  In  der  Kiederlausitz 
nahm  er  längere  Zeit  seinen  Wohnsitz  im  Spreewald,  im  Dorfe 
Burg,  erlernte  in  erstaunlich  kurzer  Zeit  die  Sprache  und  weiss 
sie  in  Poesie  und  Prosa  zu  handhaben  besser  als  mancher  Ein- 
geborene. Seine  bisher  nur  zum  kleinen  Theil  gedruckten  nieder- 
lausitzisch -wendischen  Lieder  treffen  den  echten  Volkston  und 
reihen  sich  dem  Besten  an,  was  in  dieser  Sprache  geschrieben 
ist.i  In  einem  derselben  sagt  er  von  sich:  „Ich  bin  deutsch 
geboren  .  .  .  aber  habe  ein  wendisches  Herz;  die  Wenden  sind 
meine  Brüder."  Im  Interesse  seines  eigenen  deutschen  Vater- 
landes wünscht  er  und  spricht  es  mit  beredten  Worten  aus,  dftss 
der  übelverstandenen  Nivellirung  ein  Ende  gesetzt  werde,  dass 
man  aufhöre,  so  „treue  und  folgsame"  Völker,  wie  die  Wenden 
und  Litauer,  ihrer  Muttersprache  zu  berauben  und  dadurch  der 
sittlichen  Verwahrlosung  preiszugeben.  Er  meint,  „ein  Volk,  so 
gesund  an  Körper  und  Geist  —  ein  Volk  mit  so  frischen  und 
immer  noch  neu  entstehenden  Volksliedern  —  ein  Volk  mit  so 
lebendiger  und  in  seinem  ganzen  Leben  zum  Ausdruck  gelangen- 
der Poesie  —  ein  Volk,  das  eine  so  originelle  Poesie,  wie  die 
eines  Seiler  und  Kösyk  erzeugt  habe  —  ein  Volk,  das  noch  ein 
so  gesundes  nationales  und  religiöses  Leben  habe  wie  das  wen- 
dische —  ein  solches  Volk  sähe  nicht  danach  aus,  als  ob  es 
bald  sterben  wolle  oder  müsse"  —  ausser  nach  dem  Grundsatz: 
„denn  ich  bin  gross  und  du  bist  klein",  vor  dem  er  aber  unter 
Hinweis  auf  die  göttliche  Nemesis  mit  der  ernsten  Stimme  eines 


'  [„Serlwke  etucVi"  (im  ('aaopis  1877,  S.  75—88)  und  besonders  (Bautzen 
1877).J 


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424  SeohsteR  Kapitel.    Die  Lausitzer  Serben. 

Propheten  warnt.'  Die  vortretflichen  „Spreewaldlieder"  Sauer- 
wein'b  in  deutscher  Sprache,  deren  sich  der  Verlasser  dieser  Zei- 
len (d.  i.  der  Uebersetzer  des  Buches)  mit  VergDÜgen  erinnert, 
als  ihm  einmal  einige  derselben  vom  Dichter  selbst  Torgelesen 
wurden,  scheinen  noch  nicht  gedruckt  zu  sein.^  Aus  der  Nieder- 
lausitz begab  sich  Sauerwein  zu  den  Litauern  und  Masuren  in 
Ostpreuseen,  auch  dort  in  Poesie  und  Prosa  zur  Belebung  des 
Volts  wirkend,  doch,  wie  es  scheint,  zum  Theil  nicht  ohne  starke 
Anfeindung  seitens  der  Nationalen  selbst.*  Zuletzt  lebte  er  meh- 
rere Jahre  im  hohen  Norden,  in  Norwegen,  ebenfalls  mit  der 
Poesie  und  Sammlung  von  Volksiiberlieferungeu  beschäftigt. 

[Es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  Tbätigkeit  Sauerwein's 
einen  grossen  Einäuss  auf  die  Wenden  nicht  nur  in  der  Nieder-, 
sondern  auch  in  der  Oberlausitz  gehabt  bat.  Die  Niederlausitzer 
erhielten  in  den  siebziger  Jahren  noch  einen  neuen  Freund  und 
Förderer  ihrer  Interessen  in  dem  Polen  Alfons  J.  Parczewski, 
der  das  Land  bereiste*,  niederwendiscbe  Schriften  auf  seine 
Kosten  herausgab,  sowie  hauptsächlich  die  Anregung  dazu  gab. 


'  [Vgl.  Saaerwein'd  intereaBsutä  Artikelserie  „litt  eine  gewaltsame  A(u- 

rottnog  der  Mutterapraohen  gerecht  and  weise  vor  Gott  und  deuHenacheo?*' 

(„Je  gwattne  wutupjenje  macefiiycli  riiov  etc.",  in  Ijuzioa  18B3,  Nr.  7,  8, 12.)] 

'  [Doch  bat  Sauerwein,  wenigstens  zum  Theil,  seine  ADsicbt«n  über  den 

Spreewald,  der  auch  der  Nivellii'ung  und  Ausbeutung  verrallen  sollte,    und 

die  damit  verbundenen  etUnograpbi seilen  VcrhsItnisHe  in  halb  st^benhafler, 

halb   ernsthafter  Weise   in   einem   altgriechieehen  Gedicht   in    Hexametern 

(„Fragment  aus  einem  alten  Codex  reacriptus  Spree waldeusis")  mit  metri- 

scher  deutscher  Uel>erset2ung  „Der  Spreewald"  (Qöttingen  1881)  bei  Gel^en- 

heit  der    elften    deutseben   Authi'upo  logen  Versammlung    in   Berlin    ansge- 

sprocheu.    lu  der  Widmung  an  den  Vorsitiieuden  dieser  Versammlung,  den 

berühmten  Prof.  Virohow,  i-uft  er  aus: 

„Rettet  und  schützt  die  ^atui',  es  geziemt  sich  für  Anthropologen  .  - . 

Rettet  und  schützt,  oonservirt  nur  die  Wasser,  nur  Wiesen  und  MensoheD", 

was  zugleich  die  Tendenz  der  Schrift  bezeichnet] 

*  [Vgl,  Sauerwein's  poetischen  „Nachruf  an  den  (litanisohen)  Pfarrer 
Jacob;  zu  Memel"  (Tilsit  1881) ,  der  zugleich  aufs  beste  den  Dichter  lelbat 
uharakterisirt.  Seiu  Beruf,  „den  keiner  soll  bekritteln",  ist: 
„Von  Volk  zu  Volk  das  Höchste  zu  vermitteln."] 
'  [Vgl.  darüber  seinen  Artikel  „  Z  Dolnjch  £uiyc.  Kilka  aarysöw  i 
wspomnien"  („Aus  der  Niederlausitz.  Einige  Skizzen  und  Erinnerungen"; 
in  der  warsohauor  Zeitung  „W^drowiec^,  1880)  und  besonders,  lum  Tbcil 
oberwendisuh  übersetzt  im  „Luzifan",  1879-80,  Nr.  10] 


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Die  XiederlauBitt.  .425 

einen  ueucii  Hterarisclien  Verein  für  die Niedeilausitz  zu  giüuden, 
diesmal,  um  ihm  mehr  Festigkeit  zu  geben,  im  Anscblnss  an  die 
oberlausitziscbe  Maöica  Serbgka,  als  eioe  besondere  Abtheilnng 
(wotred)  derselben.  Dieser  Verein,  „ Dolnoluäjski  Wotred  Ma- 
i^ice  Serbskeje"  oder  kurzweg  „Kniglowne  Towariästwo"  (Bücher- 
verein) constituirte  sich  1880  unter  dem  Vorsitz  TeSnar's  und 
vereinigt  die  bisber  zersplitterten  Kräfte  zu  einem  gemeinsamen 
Ziele.  Neben  der  Herausgabe  mehrerer  Volksschriften  ist  seine 
Hauptthat,  dass  er  den  Verlag  des  grossem  Gesangbuchs  er- 
warb, und  es  in  einer  gänzlich  neuen,  nun  sehr  gelungenen  Be- 
arbeitung herausgab.  Für  das  Jahr  1880  begann  zum  ersten 
mal  ein  niederwendischer  Kalender  („Fratyja")  zu  erscheinen, 
die  ersten  drei  Jahi^änge  auf  Kosten  des  eben  genannten  Par- 
czewski,  die  folgenden  im  Verlag  des  Büchervereins.  1881 
wurde  der  „Caanik"  unter  Vergrössening  des  Formats  in  die 
„Bramborske  Nowiny"  umgewandelt;  zugleich  traten  neben  Swjela 
noch  Jordan  und  Kösyk  in  die  Redaction  ein.  Auch  die  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  fanden  ihren  Fortgang.  Ein  Pole,  Alexander 
Petröw,  gab  eine  niederlausitzische  Lautlehre  („Gtosownia", 
Krakau  1874)  heraus  und  bat  ein  'Wörterbuch  dieses  Dialekts 
im  Manuscript  fertig,  Beiträge  zur  Lexikographie  lieferten  fer- 
ner H.  Jordan  und  G.  Kjika  im  Casopis  der  Mai-ica  Serbska. 
Die  Jablonowskische  Gesellschaft  zu  Leipzig  schrieb  18H3 
einen  Preis  von  1000  Mark  für  die  beste  niederwendische  Gram- 
matik aus.  Der  Oberlausitzer  K.  Jenj:  veröffentlichte  1881  die 
erste  vollständige  Bibliographie  des  niederwendischen  Schrift- 
wesens mit  biographischen  Angaben  über  die  Schriftsteller.'  Die 
besten  Arbeiten  über  das  älteste  Denkmal  der  niederlausitzischen 
Literatur,  die  Handschrift  Jakubica's,  hatten  schon  früher  zwei 
deutsche  Gelehrte,  H.  Lotze  und  A.  Leskien,  geliefert,  von  denen 
der  letztere  die  Sprache  des  Denkmals  zuerst  als  wirklich  nieder- 
lausitzisch,  wenn  auch  einem  nicht  mehr  gesprochenen  Dialekt 
angehörig,  feststellte.  Ueberhaupt  hat  das  Schriftwesen  der 
Niederlausitzer,  deren  eigene  Söhne  oft  die  grimmigsten  Germa- 
nisatoren in  Kirche  und  Schule  waren ,  nicht  wenig  der  Thätig- 
keit  deutscher  Männer  zu   verdanken,  die   erst  die   wendische 


>  [Das  oft  citii'te  „Pismowstwo"  u.  s.  w.  („Das  Schriftthum  und  die 
Sohriftsteller  der  niederlau».  Weaden  [1548]  1574  — ISeO")  im  Casopii  und 
besouderi,  s.  oben  S.  384.1 


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42Ö  SecliatcB  Kapitul.     Die  Lausitzer  Serben. 

Sprache  mitMübe  erlernten,  dann  sich  aber  warm  der  Intereseen 
des  Volkes  annalimen.  Dahin  gehören  neben  altem  Namen, 
wie  Fabricius,  Hauptmann,  Wille,  Lademann  (gest.  1809),  der 
ein  niederwendisches  Gebetbuch  und  eine  deutsche,  aber  für  die 
Localgeschichte  wichtige  „Kircbengeschichte  der  Stadt  und  Herr- 
schaft Kottbus"  (Kottbns  1798)  yerfasste,  aus  neuer  Zeit  die 
schon  erwähnten  HausBig  und  Sauerwein,  sowie  insbesondere  nocb 
Moritz  Albert  Ebert  (1832—77),  Sohn  des  bekannten  Bibliogra- 
IjhenF.  A.  Ebert.  Aus  Liebe  zu  einer  altlutberischen  wendischen 
Gemeinde  in  der  Niederlausitz,  der  es  an  einem  Seelsorger  man- 
gelte, erlernte  er  zunächst  die  niederwendische  Sprache,  später 
auch  die  oberwendische,  in  welcher  er  schliesslich  bis  ans  Ende 
seines  Lebens  als  Pfarrer  wirkte.  Er  hinterliess  im  Manuscript 
eine  „Grammatik  der  uiederwendischen  Sprache",  die  jedoch  nur 
die  Bibelübersetzung  berücksichtigt. 

[Ein  Umschwung  zum  Bessern  in  der  Niederlansitz  ist  seit 
1880  unverkennbar  eingetreten;  doch  aber  bleibt  die  Lage  immer 
noch  sehr  schwierig.  Der  Uangel  an  wendischen  Geistlichen 
dauert  fort;  Ende  1883  waren  nur  noch  elf  Pfarren  mit  wendi- 
schen Geistlichen  besetzt;  vier  waren  ganz  unbesetzt,  und  fünf 
sind  in  den  letzten  fünf  Jahren  an  deutsche  Geistliche  überge- 
gangen. Gebildete  Leute,  wie  Kösyk,  wenn  sie  nicht  gerade 
Geistliche  und  Lehrer  sind,  finden  schwer  einen  Beruf  in  ihrer 
Heimat,  und  müssen  anderwärts  ein  Unterkommen  suchen.  Unter- 
richt im  wendischen  Lesen  findet  nach  wie  vor  in  der  Schule 
nicht  statt,  und  wenn  man  auch  in  neuester  Zeit  in  anerkennens- 
werther  Selbstbülfe  diesem  Uebelstand  durch  ein  „Lehrbuch  für 
solche,  die  ohne  Schulunterricht  wendisch  lesen  lernen  vollen" ' 
abzuhelfen  suchte,  so  ist  dies  doch  immer  nur  ein  wenig  genü- 
gender Ersatz  für  den  lebendigen  Unterricht  eines  Lehrers.  Kein 
Wunder,  dass  die  Patrioten  manchmal  von  dem  Gedanken  be- 
schlichen  werden :  „unser  Volk  stirbt!"'  Aber  andererseits  spornt 
doch  wieder  zur  Thätigkeit  an,  dass  sich  in  der  Niederlausitz 
noch  sehr  riel  ursprüngliches  wendisches  Wesen  im  Charakter  des 


'  [„CyUnka,  to  jo  potuoo  7a  takich,  kenz  kgS  biez  iulskeje  hncby  serbske 
cytaiie  nabukoui"  (Bautzen  1883),  verfaset  von  U.  Jordan,  heraiugegelHni 
auf  Eotten  vonA.J.  Parczewaki.] 

'  [Vgl,  z.B.  daaOedioht  Köayk's,  „Nejmjeniy  slowjaiuki  narod"  („l>er 
kiciuste  slnviache  Volkegtainm")  im  (jasopie  1878,  S.  143— 147-] 


....,  Google 


Die  gegcuwHi'tigu  Lage.  427 

Volkee,  iu  der  Kleidung,  in  den  Sitteo  und  in  deo  Gebräuchen 
erhalten  hat  —  mehr  als  irgendwo  in  der  Oberlansitz;  daas  das 
Volk  trotz  aller  Schwierigkeiten  ein  lebhaftes  Verlangen  nach 
wendischen  Büchern  bekundet,  was  die  neuem  Erfiährangen  und 
besonders  der  überraschend  Bchnelle  Absatz  des  Teanaf'schen 
Predigtbuchs  gezeigt  haben;  dags  die  Belebung  der  Nationalitäten 
im  Geiste  der  Zeit  liegt;  dass  die  grössten  Widersacher  des  nieder- 
lausitziscb- wendischen  Volks  (und  im  geringern  Grade  auch  des 
oberlsusitzischen)  n^bt  die  Deutschen  als  solche,  nicht  die  Re- 
gierungen im  Princip  sind,  sondern  die  Doctrinare  und  Halbgebil- 
deten auf  beiden  Seiten,  insbesondere  aus  dem  eigenen  wendischen 
Lager,  welche  für  die  Bedeutung  der  Nationalität  im  sittlichen 
Leben  eines  Volkes  noch  nicht  den  richtigen  Maassstab  gewon- 
nen haben.  Alle  diese  Umstände  geben  der  Hofiiung  Kaum, 
dass  es  allmählich  bei  beharrlicher  Arbeit  doch  Tielleicht  mög- 
lich sein  wird,  die  vorhandeueu  grossen  Schwierigkeiten  zu  über- 
winden, und  der  neugegründete  Verein  ist  entschlossen,  „wen- 
dische Bücher  herauszugeben,  solange  noch  eine  Seele  danach 
verlangen  wird"  (Teänaf).] 


Wir  haben  früher  erwähnt,  dass  die  deutsche  ethnologische 
Literatur  ihre  Aufmerksamkeit  auf  die  Volksüberlieferungen  in 
den  Ländern  gerichtet  bat,  welche  schon  germanisirt  sind.  So 
ward  das  wissenschaftliche  Interesse  auch  durch  die  Volksüber- 
lieferungen der  Lausitzer  Serben  angeregt.  In  der  letztem  Zeit 
sind  drei  Arbeiten  solcher  Art  erschienen,  welche  besondere  Be- 
achtung verdienen.  Erstens  das  Buch  von  Veckenstedt'  — 
eine  reiche  Sammlung  von  Ueberlieferungen,  Sagen,  abergläubi- 
schen Gebräuchen,  der  Hauptsache  nach  gesammelt  bei  den  Nieder- 
lausitzeni,  zum  Theil  auch  bei  den  Oberlausitzem,  sowie  solchen 
„Wenden",  welche  schon  deutsch  reden,  aber  die  wendischen 
Traditionen  vollständig  bewahrt  haben.    Zweitens  zwei  Bücher 


'  „Wendische  S^en,  Märchen  uod  abergläubiaohe  Gebräuche.  Geaatn- 
melt  and  nacfaerzäUt  vou  Edmund  Veckenetedl"  (Graz  1880.  XVI  u. 
499  S. ;   am  Soblusse  Proben  der  lauBitziBchen  Dialekte). 


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428  Sechstes  EapiteL    Uio  LaasiUer  Serbeu. 

von  W.  vou  Schuleubui'g';  das  erstere  enthält  die  Ueberliefe- 
rungen  und  Erzählungen  der  Niederlausitzer ,  aufgezeichnet  im 
Spreewald  und  beBondere  dem  Orte  Burg  von  einem  Dilettanten, 
den  der  Keiz  dieser  Erzählungen  fesselte,  und  der,  obschon  mit 
der  Volkssprache  bekannt,  sie  doch  in  deutscher  Beproductiou 
der  dortigen  Wenden  niederschrieb.  (S.  XVIII.)  [Das  andere  ent- 
hält eben  solche  Au&eichnungen  aus  der  Niederlausitz  und  dem 
Muskauer  Grenzgebiet.] 

Wir  führen  noch  das  Buch  des  bekannte^  Tissot  an,  der  sich 
für  die  LauEdtzer  Serben  interessirte  behafs  politischer  Polemik, 
und  Erzählungen  aus  dem  wendischen  Volksleben  von  Fidus, 
Ellen  Lucia,  Frida  Francesco  (vgl.  Luzifian,  1877,  S.  108—111), 
[J.  V.  WUbrandt's  Epos  „Der  letzte  Wendenkönig"  (Leipzig  1882) 
und  U.  J.  Jahn's  Dichtung  „Slavina"  (Ebend.  1882).] 

Die  W^iederbelebuDg  des  lausitzisch- serbischen  Volksthums 
bildet  alles  in  allem  eins  der  wunderbarsten  Beispiele  der  sla- 
vischen  Bewegung.  Dem  kleinen  Stamme,  nur  die  niedere 
Gesellschaftsklasse  bildend,  aller  materiellen  Mittel  entblösst, 
drohte  von  alters  her  vollständige  Germanisirung  —  aber  der  all- 
gemeine Strom  der  nationalen  Bewegung  hob  auch  diese  kleine 
Nationalität.  Sie  tauchte  wieder  an  die  Oberfläche  empor,  mit 
Versuchen  zu  einer  besoudern  Literatur,  ja  sogar  deren  zwei; 
und  hat,  wie  wir  gesehen  haben,  in  kurzer  Zeit  ihr  Ziel  zu  er- 
reichen vermocht;  die  Literatur  entspross  aus  der  Sympathie 
für  das  Volk  und  hat  dem  Anschein  nach  feste  Wurzel  geschlagen. 
Aber  hier  ist  auch  die  Kehrseite  der  kleinen  Literaturen  sehr  deut- 
lich zu  sehen:  diese  Literatur  ist  verurthellt,  elementar  zu  bleiben, 
sich  im  wesentlichen  auf  Schriften  für  den  ersten  Unterricht  und 
auf  populäre  Lektüre  zu  beschränken.  Die  geringe  Volkszahl  des 
Stammes  selbst  und  der  deshalb  beschränkte  Umfang  dieser  (und 
jeder  andern,  ihr  ähnlichen)  Literatur  gibt  keine  Möglichkeit  einer 
starkem  Entwickelung:  ihr  wissenschaftlicher  Inhalt  wird  durch 
die  Nachbarschaft  der  deutschen  oder  eventuell  einer  andern 
slavischen  Literatur  erdrückt;  ihre  Poesie  ist  in  die  engen  Gren* 
zen  des  Volksthums  gedrängt,  für  das  sie  bestimmt  ist;  echliesB- 


'  „Wendisohe  Volkss^cn  und  Gebräuche  aus  dem  Spreewkld.  Von 
WiUbald  von  Sohulenburg"  {Leipzig  1880.  XXIX  u.  312  S.  ZulelztPra- 
ben  des  DiederlauBitziaeben  Dia]ektB).  („WendiBuheii  Volksthum  in  Sftg«, 
Brauch  und  Sitte",  von  demselüeu  (Berlin  1882).] 


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Die  g^enwärti^e  Lage.  420 

lieh  hat  uherhaopt  ein  Buch,  das  iiher  das  Niveau  des  Elemen- 
taren und  Populären  hinausgeht,  kaum  eine  Möglichkeit  materiell 
zu  bestehen  —  nur  wenige  werden  es  kaufen.  Eine  höhere  Bildung 
und  weitergreifende  Poesie  bleiben  nothwendigerweise  einer  frem- 
den  Sprache  vorbehalten  —  sei  es  die  deutsche,  sei  es  ein  anderer, 
stärkerer  slariscber  Dialekt.  Die  ^'Literatur  ist  also  bedingt  durch 
die  elementare  Beschaffenheit  der  Volksbildung,  und  unter  sol- 
chen Verhältnissen  wären  die  slavischen  NationaDitcraturen  offen- 
bar nicht  im  Stande,  die  Civilisation  zu  fördern,  wie  dies  die 
panslavistischen  Romantiker  der  Jahre  1830 — 40  hofften.  Aber 
welches  Schicksal  steht  ihnen  bevor,  und  haben  diese  kleinen 
Literaturen  ein  Recht  auf  Existenz?  Ohne  Zweifel,  schon  des- 
halb,  weil  sie  bestehen,  weil  sie  ein  tiefes  Bedürfniss  erfüllen 
—  die  Erhaltung  der  nationalen  IndiTidualität;  femer  thnn  sie 
das  schöne  Werk,  dass  sie  in  einem  gewissen  Grade  Kenntnisse 
ins  Volk  bringen,  sittliche  Belehrung  in  der  heimischen  Sprache 
geben.  Das  Hervortreten  weiterer  Bildungsbedürfnisse  wird  auch 
die  Grenze  dieser  Literatur  sein,  Über  welche  hinaus  zu  wirken 
sie  nicht  im  Stande  ist.  Was  aber  dann?  Im  vorliegenden 
Falle  kann  eine  kürzlich  gemachte  Erfahrung  klare  Andeutungen 
geben.  Für  gleichgültige  Leute  liegt  der  Ausgang  ins  deutsche 
Leben  nahe,  welches  die  Lausitzer  Serben  in  geistiger  und  ma- 
terieller Beziehung  eng  umfangen  hält.  Für  diejenigen  aber,  die 
anf  das  nationale  Besitzthum  ihres  Volkes  einen  Werth  legen, 
bleiht  nur  der  eine  Ausweg  übrig  —  sich  den  Interessen  des  Ge- 
sammtslaventhums  anzuschliessen ;  denn  nur  auf  dem  Boden  der 
slavischen  Gegenseitigkeit  werden  sie  volle  Sympathie  für  ihre 
nationale  Sache  finden. ' 

Die  Förderer  der  lausitzisch-serhischen  Literatur  verrichten 
in  den  kleinen  Verhältnissen  ihres  Volkes  und  hei  den  beschei- 


'  [Der  Uehersetzer  zweifelt  nicht,  daas  den  Bestrebungen  seiner  Lftnilg- 
leute  auch  die  Sympathie  anderer  gebildeter  Völker  ztitheil  werden  wird, 
nicht  bloe  der  Slaveu  allein.  Ein  zumoiat  aus  Ackerbauern  bcBtehendes 
Volk  iflt  durcli  die  ihm  in  neuerer  Zeit  vermittelfl  der  Sationalspracbe  ge- 
botene Lektfire  eo  sehr  in  der  modernen  Bildung  fortgeBehritten ,  daas  es 
seine  beimatlichen  Bücher  und  Zeitschriften  mit  Nutzen  üest,  mögen  sie 
auch  noch  so  diatingiiirten  Inhalts  sein,  und  sie  kauft,  wenn  sie  anch  üum 
Theil  der  eleganten  Ausstattung  halber  ziemlich  theuer  sind.  Die  Zeit 
scheint  nicht  fern  zu  sein,  wo  der  wendische  Bauer  sogar  Stücke  am 
den  grossen  Dichtem  der  Weltliteratur  in  der  eigenen  Volkssprache   lesen 


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430  SecbatpB  Kapital.    Die  I.au>iti!er  Serben. 

densten  Mitteln  ein  Werk,  das  alle  Hochachtung  verdient.  „E 
pur  si  muovel"  schrieh  einst  Kraezewski,  als  er  von  der  kleinen 
Literatnr  der  LauBitzer  Serben  sprach,  „neigen  wir  das  Haupt 
vor  ihnen." 


und  verstehen  wirJ.  (Einige  solche  UebersetzuDgen  wurden  oben  ange- 
führt.) Mit  Eineicht  und  Geschick  spielt  nnd  singt  er  in  aeinen  natio- 
nalen Dilettanten theatern  und  GesaugfBconoerten.  Eine  solche  inlellectnelle 
SelbattbStigkeit  in  einem  so  kleinen,  fast  schon  verloren  gegebenen  Volke 
darf  wol  als  nicht  gewöhnlich  bezeichnet  werden.  Feind  derselben  könnte 
nnr  »ein,  wer  im  Selbaterhaltungstrieb  kleiner  Volker  überhaupt  si-hon  ein 
Verbrechen,  sieht;  wer  aber  gereeht  urtheill,  wer  zugibt,  das»  kein  Volk, 
auch  das  kleiaste  nicht,  verpfliohtet  ist,  sich  selbst  auFsugeben,  der  wird 
der  Art  und  Weise,  wie  hier  die  Selbst erhaltung  erstrebt  wird,  wenn  nicht 
Sfmpathie.  so  doch  zum  mindesten  eine  gewisse  Achtung  nicht  versagen 
können.] 


.yGoOgIf 


Siebentes  Kapital. 
nie  Renalsunce.  ■ 


Die  Wiederbfllebang  der  slavischen  Literaturen,  welche  eine 
so  charakteristische  und  oft  so  auffallende  Erscheinung  in  dei* 
Geschichte  derselhen  seit  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  bil- 
dete, führte  zuletzt  zu  einer  Thatsache,  welche  die  Aufmerksam- 
keit Europas  auf  sich  lenkte.  Nach  der  logischen  Entwickelung 
des  Begriffs  selbst  mussten  sich  die  partiellen  Wiederbelebungen 
der  Stämme  im  weitem  Verlauf  zu  einem  allgemeinen  Resultat 
zusammenschliessen,  nämlich  —  der  idealen  Renaissance  des  ge- 
sammten  slavischen  Volksthums,  die  nicht  nur  in  der  Literatur 
und  der  Poesie,  sondern  auch  in  der  nationalen  Bildung  und  im 
politischen  Leben  zum  Ausdruck  kommen  musste.  Die  Idee  eines 
slawischen  Bundes  oder  einer  slavischen  Einheit  war  in  der  That 
schon  lange  in  den  Seelen  der  slavischen  Patrioten  aufgeblitzt; 
die  slavische  Solidarität  trat  in  Thatsachen  zu  Tage;  dies 
wurde  auch  von  fremden  Beobachtern  bemerkt  —  Freunden  und 
Feinden. 

Es  gab  eine  Zeit,  und  sie  ist  noch  nicht  lange  vergangen, 
wo  das  Wort  Panslavismus  fortwahrend  nicht  nur  im  Munde 
der  slavischen  und   russischen  Politiker  und  Patrioten,   sondern 


'  Dm  gegenwärtige  Kapitel  ist  noch  nicht  «ler  Schluse  uuBers  g&ozen 
Werkes:  der  Verfasser  hat  noch  die  groBBrusBische  Literatur  darzustellen. 
Aber  das  Werk  ist  abgesuhlosseD  hinsichtlicli  der  West-  und  Südsldven. 
Dies  Kapitel  ist  ein  Tbeil  des  letzten  Kapitels  der  ersten  Auflage  mit  er- 
gänzenden Bemerkungen. 

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433  Siebentes  Kapitel. 

auch  äer  westeuropäischen  Politiker  war.  Der  PanälaTismus  er- 
Rchicn  damals  als  eine  neue  Macht,  fähig,  die  politische  Phy- 
siognomie Europas  zu  veranderu;  den  slavischeo  Patrioten  galt 
diese  Kraft  als  schon  fast  völlig  gerüstet,  eine  neue  Periode  der 
europäischen  Civilisation  zu  beginnen  an  Stelle  der  des  abge- 
lebten Westens;  die  russischen  Slarophilen  hofften  auf  eine  solche 
Perspective  noch  mehr,  und  meinten,  dass  gerade  dem  russi- 
schen Stamm  eine  glänzende  Rolle  vorbehalten  sei.  .  .  .  Dabei 
war  damals  schon  der  „Panslavismus"  ein  äusserst  unbestimm- 
ter Begriff,  sogar  für  diejenigen,  welche  seine  eifrigsten  Prediger 
waren.  In  Einem  waren  dem  Anschein  nach  alle  einig:  dies  war 
die  unausbleibliche,  künftige  (mehr  oder  weniger  nahe)  Yer^ 
einigung  des  Slaventhums  zu  einem  grossen  Ganzen.  Aber  wie 
sie  zu  Stande  kommen,  worin  das  Wesen  der  künftigen  Einheit 
bestehen  sollte,  darUber  gingen  bei  den  Slaven  selbst  die  Mei- 
nungen sehr  auseinander.  Die  einen  nahmen  an,  das  Slaven- 
thum  werde  einen  grossen  Bund  gleichberechtigter  Nationen  bil- 
den; andere  (die  polnischen  Panslavisten)  stellten  Polen  an  die 
Spitze  dieses  Bundes;  wieder  andern  schien  es,  dass  sich  die 
„slavischen  Bäche  ins  russische  Meer  ergiessen  werden",  tind  dass 
sich  zum  Mittelpunkt  der  slavischen  Welt  das  russische  and 
griechisch-orthodoxe  Moskau  gestalten  werde  u.  s.  w.  Mit  einem 
Wort,  es  öffnete  sich  ein  weiter  Spielraum  fUr  Ansprüche  der 
nationalen  Selbstliebe;  jede  grössere  slavische  Nation  rechnete 
darauf,  sich  in  dieser  Zukunft  Ruhm  zu  erwerben;  Die  Cechen 
erwarteten,  sie  würden  die  eigentlichen  Führer  des  künftigen 
Slaventhums  sein,  weil  sie  sich  für  die  Vordermänner  der  slavi- 
schen Bewegung  hielten;  die  polnischen  Panslavisten  (deren  es 
übrigens  überhaupt  nur  wenige  gab)  hofften,  in  dem  künftigen 
BündnisB  die  Unbilden  ihrer  frühern  Geschichte  auszugleichen; 
die  moskauer  Slavophilen  rechneten  auf  die  politische  Macht  Russ- 
lands  und  hofften,  sie  werde  diejenigen  slavischen  Völker  wieder 
auf  den  rechten  Weg  bringen,  welche  sich  in  alter  Zeit  von 
ihm  abgewendet  hätten,  als  sie  in  Verbindung  mit  dem  „Lati- 
nismus" traten  u.  s.  w. 

Andererseits  erzeugte  der  Panslavismus  seit  den  dreissiger  und 
viei-ziger  Jahren  die  verschiedenartigsten  Meinungen  in  West- 
'  europa  und  erregte  besonders  die  Besorgniss  der  Deutschen  in 
Oesterreich.  Da  im  Panslavismus  die  Frage  der  Selbständigkeit 
dos  Slaventhums,   der  nicht  nur  culturellen,    sondern  auch  poli- 

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Die  Benais  aauce.  433 

tiEcben  Beft'eiung  von  deutscher  Herrschaft,  eine  der  Haupt- 
fragen war,  so  wurde  der  Panslavixmus  für  die  Deutschen  zu 
eiuem  Gegenstand  hesondern  Hasses.  Ihnen  folgend  begannen 
auch  in  Westeuropa  viele  zu  glauben,  der  Panslavismus  könne  der 
europäischen  Civili&ation  bedrohlich  werden,  gewlBsermassen  durch 
eine  Art  neuen  Mongoleneinfalls.  Indem  man  die  Kräfte  des  vor 
kurzem  noch  vergessenen  und  verachteten  Slaventhums  über- 
schätzte, meinte  man  in  Europa,  die  slavischen  Völker  könnten 
sich  beim  ersten  AVink  an  Russland  anschliessen ,  vor  dem  man 
sich  in  Europa  in  den  vierziger  Jahren  so  fürchtete,  und  dann 
in  dichter  Masse  gegen  Europa  vorgehen.  Man  begann  so- 
gar an  eine  Rettung  Europas  vor  der  Katastrophe  zu  denken. 
Die  Deutschen  begannen  stärker  von  der  deutschen  Einheit  zu 
reden;  andererseits  versprachen  die  Ungarn  ein  Wall  Europas 
gegen  den  slavischen  Einfall  zu  sein;  einige  Schriftsteller  der 
polnischen  Emigration  schlössen  sich  nicht  ganz  consequent  dem 
westeuropäischen  Liberalismus  an  und  behaupteten,  eine  solche 
Rolle  sei  Polen  am  angemessensten,  das  an  der  Spitze  eines  sla- 
vischen Bundes  stehen  und  diesen  von  Riissland  abwenden 
könne.  .  . . 

Die  Frage  des  Panslavismus  rief  eine  ganze  Literatui-  hervor, 
worin  entweder  die  Erwartungen  des  Panslavismus  ausgesprochen, 
die  verschiedenen  Möglichkeiten  seiner  Entwickelung  vorausge- 
sehen und  beurtheilt,  oder  die  Mittel  bedacht  wurden,  seine  gc- 
lahrlicbe  Ausbreitung  zu  hemmen. 

Worin  bestand  die  wirkliche,  reale  Bedeutung  der  Sache, 
aas  der  solche  HofTnungen  und  Befürchtungen  hergeleitet 
wurden? 

Der  Panslavismus  gehört  zu  den  am  meisten  charakteristischen 
Erscheinungen  der  nationalen  Idee.  An  ihm  trat  auch  das  zwei- 
schneidige Wesen  derselben  deutlich  zu  Tage:  der  Panslavismus 
vereinte  in  sich  sowol  Beispiele  nationaler  Begeisterung,  die  ge- 
eignet war,  einer  geschwächten  und  eingeschüchterten  Gesell- 
schaft moralische  Kraft  zu  geben,  als  auch  Irrthümer  und  Vor- 
urtheile,  die  den  wesentlichsten  Interessen  derselben  schaden, 
wenn  die  Gesellschaft  ihre  exclusive  Nationalität  über  alles  stellt. 
Die  Idee  der  Vereinigung  ist  eine  neue  Erscheinung  in  der  Ge- 
schichte der  slavischen  Nationalitäten.  Trifl't  man  sie  auch  schon 
früher  als  dunkeln  Instinct  an,  so  war  sie  in  ihrer  bewusstcn 
Form  das  Resultat  der  Renaissance  seit  End<?  des  vorigen  Jahr- 

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434  Siebentes  Kapitel. 

hunderts.  Die  Renaissance  kam  im  Slayeathum  zum  Ausdrack 
durch  das  Auftreten  neuer,  durch  die  ErDeueniug  alter  Litera- 
turen, durch  das  Streben,  das  Volk  aus  seiner  moralischen  Apathie 
herauszubringen,  die  Bildung  zn  heben,  die  in  Vergessenheit  ge- 
kommenen nationalen  Traditionen  wiederherzustellen  —  und 
war  im  Anfang  noch  weit  vom  FaDslavismus  entfernt.  Aber  der 
Gedanke  an  eine  gesammtslavische  Einheit,  an  die  Wiederer- 
weckung des  nationalen  Lebens  im  Gesammtbestand  des  Stammes 
war  ein  sehr  begreifliches  Resultat  dieser  partiellen  fiev^nng 
der  einzelnen  Nationalitäten.  Einerseits  gaben  die  ersten  Erfolge 
der  nationalen  Bestrebungen  Nahrung  fUr  einen  patriotischen 
Idealismus,  der  einen  Ersatz  für  Jahrhunderte  der  Prüfung  suchte. 
Andererseits  wurde  der  Panslarigmus  praktisch  nothwendig:  die 
Idee  des  Gesammtslaventhums  sollte  die  Bestrebungen  der  ein- 
zelnen Nationalitäten  kräftigen,  die  nicht  umhin  konnten,  ihre 
Schwäche  zu  erkennen,  angesichts  wilder  Feinde,  wie  der  Türken, 
und  nationaler  Gegner,  wie  der  Deutschen,  Magyaren,  Italiener 
u.  B.  w.  Im  18.  Jahrhundert  bildete  die  politische  Erhebung 
Russlands  seit  Peter  dem  Grossen  einen  der  stärksten  Factoren 
der  slavischen  Renaissance.  Im  19.  Jahrhundert  war  dieser  Ein- 
flusB  noch  entschiedener. 

Dieses  Bewusetsein  der  eigenen  Schwäche  war  in  der  That 
Bo  drängend,  dass  sich  jede  einzelne  Nationalität  durchauB  eine 
Stütze  suchen  musste,  in  moralischer  und  materieller  Beziehung. 
Sie  begannen  daher  der  Kräfte  des  ganzen  gewaltigen  Stammes 
ZQ  gedenken,  und  in  der  Mehrzahl  der  Nationalitäten  gingen  die 
panslaristischen  Bestrebungen  eben  aus  dieser  Quelle  hervor,  und 
aus  keiner  andern.  Nach  der  Meinung  der  eifrigsten  Pansla- 
Tisten  lebte  das  Gefühl  der  Stammeseinheit  von  alters  her  in 
den  slavischen  Völkern  und  wartete  nur  auf  den  günstigen  Mo- 
ment, um  sich  in  seiner  ganzen  Kraft  auszusprechen,  und  die 
Einigung  des  durch  unglückliche  Zufälle  der  Vergangenheit  ge- 
trennten Stammes  sei  das  gemeinsame  Ideal  des  Slaventhums. 
Uns  scheint  im  Gegentheil,  dass  die  Idee  der  Stammeseinheit, 
wie  sie  die  extremen  Fanslavisten  darstellten,  ein  Werk  neuerer 
Zeit  war.  Sie  gewann  Boden  nur  als  letztes  Mittel  des  Kampfes, 
den  die  Gesellschaft  zu  führen  hatte,  insbesondere  gegen  dea 
fremden  Druck. 

Die  slavischen  Völkerschaften  verhielten  sich  in  dieser  Be- 
ziehung sehr  verschieden. 

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Die  Renaisaani^p.  435 

PaiislaTistische  Tendenzen  drangen  am  wenigsten  bei  den 
Polen  ein,  weshalb  man  sie  nicht  selten  eines  Mangels  an  sla- 
vischem  Patriotismus  bescbuldigt;  aber  die  Sache  erklärt  sich 
einfacher  dadurch,  dass  sogar  bei  dein  Untergang  der  politischen 
Selbständigkeit  den  Polen  so  viel  Nationalstolz  oder  Selbsttäu- 
schung blieb,  dass  sie  nicht  an  eine  Gefährdung  ihres  nationa- 
len Lebens  dachten;  sie  waren  überzeugt,  dass  sie  nicht  nöthig 
hätten,  deswegen  zu  der  Hülfe  eines  gesammtslavischen  Bundes 
ihre  Zuflucht  zu  nehmen.  Bei  den  wenigen  Anhängern  des 
Panslavismus  in  Polen  erscheint  derselbe  meistens  als  Unterlage 
ebendesselben  nationalen  Stolzes:  Polen  könne  einem  slaviscben 
Bunde  beitreten,  aber  nur,  wenn  es  die  erste  Rolle  spiele.  .  . . 
Für  die  andern  Slaven,  die  westlichen  und  südlichen,  stand  die 
Sache  anders.  Wenn  ihnen  überhaupt  eine  politische  Zukunft 
bcrorstand ,  so  erkannten  sie ,  dass  die  Erreichung  derselben 
für  sie  unmöglich  sei  ohne  irgendeine  Vertretung  oder  ohne  ein 
BündnisB  mit  andern  Völkern,  welche  sich  in  dei'selben  Lage  be- 
fänden. In  den  vierziger  Jahren,  als  dem  Anschein  nach  der 
politische  Kampf  um  das  eigene  nationale  Recht  naher  rückte, 
wiesen  die  westslavischen  und  speciell  die  kroatischen  und  Cechi- 
schen  Publicisten  mit  bedeutungsvollem  Tone  auf  den  „slavischen 
Riesen"  hin,  der  sieb  „von  Kamtschatka  bis  zum  Adriatischen 
Meere"  erstreckt;  die  Betbeiligung  Russlands  an  der  Befreiung 
Serbiens  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  bestärkte  sie  in  der  Hoff- 
nung, dass  eine  ähnliche  Einmischung  der  mächtigen  Stammes- 
genossen ihnen  auch  jetzt  helfen  könne.  Aber  im  ungarischen 
Krieg  trat  Russland  nicht  in  ein  Bündniss  mit  dem  Slaventhum, 
sondern  gerade  mit  dem  Regiment  der  Habsburger.  In  den  An- 
gelegenheiten der  griechisch-orthodoxen  Serben  des  Eürstenthums 
■war  wieder  nicht  der  Panslavismus  die  leitende  Idee,  sondern 
die  Sympathie  aus  der  Zugehörigkeit  zu  der  gleichen  Kirche  und 
private  politische  Speciilationen  Rasslands  auf  der  Balkanhalb- 
insel. 

Bei  den  Cechen  war  der  Panslavismus  insbesondere  eine  Sache 
der  wissenschaftlichen  Theorie  und  der  Poesie.  Die  Idee  der 
gesammtslavischen  Einlieit  that  in  ihrer  Literatur  ohne  Zweifel 
eine  Wirknng,  indem  sie  im  Kampfe  gegen  die  drohende  Ger- 
manisirung  Muth  gab;  aber  die  Cechen  besassen  genug  Kennt- 
niss  der  Geschichte,  um  keine  praktische  Verwirklichung  des 
Panslavismns    zn    erwarten.     Thatsiichlioli    rechneten  sie    in  den 

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436  Siebentes  Kapitel 

Ereignissen  von  184S — 49  nur  auf  eine  Solidarität  des  öster- 
reichisclien  Slaventhums  in  einem  in  Bezug  auf  die  Habs- 
burger rein  congervativen  Sinne;  sie  suchten  nichts  weiter 
als  die  Erhaltung  jenes  Oesterreichs ,  das  seinem  SlaTenthum 
durchaus  nicht  sonderlich  wohlthätig  war.  Sie  hatten  aber  in 
der  Hinsicht  recht,  da&s  unter  den  gegebenen  Verhältnissen 
Oesterreich  immerbin  eine  gewisse  Garantie  für  ihre  Nationa- 
lität gegen  den  reinen  Germanismus  war,  und  dase  auf  den  ab- 
stractea  „slavischen  Biesen"  in  der  Praxis  zu  rechnen  Kin- 
derei wäre. 

In  Hussland  hatte  der  Panslavismus  wenig  Erfolg:  die  Mehr- 
zahl derer,  welche  sich  überhaupt  für  politische  Fragen  in- 
teressirten,  blieb  ihm  vollständig  fremd.  Man  eignete  sich  ihn 
nur  in  einem  kleinen  Kreise  an,  der  seit  den  dreissiger  Jahren 
von  den  slavischen  Nationalitäten  zu  sprechen  begann,  von  der 
Brüderlichkeit,  welche  die  Russen  mit  ihnen  verknüpfe  u.  s.  w. 
Aber  diese  Propaganda  (in  den  Händen  Fogodin's)  zeichnete  sicli 
nicht  durch  Takt  aus,  sodass  man  sich  über  sie  lustig  zu  macheu 
begann,  wie  über  einen  phantastischen  Einfall;  der  denkende  Theil 
der  Gesellschaft  war  mit  näherliegenden  Fragen  des  russischen 
Lebens  beschäftigt:  mit  den  Interessen  der  Bildung,  der  Erfor- 
schung des  Volkslebens  und  der  Geschichte,  der  Leibeigenschafls- 
frage.  Um  die  Nationalität,  die  bei  dem  westlichen  Slaven- 
thum  im  Vordergrund  stand,  brauchte  sich  die  Gesellschaft  nicht 
zu  kümmern;  sie  stand  unverletzt  da  und  konnte  nicht  geschä- 
digt werden,  und  der  Panslavismus  hatte  in  der  i-ussischen  Ge- 
sellschaft um  so  weniger  Wurzel,  als  die  „Politik"  damals  for 
die  Gesellschaft  eine  streng  verbotene  und  darum  in  der  That 
wenig  entwickelte  Sache  war.  Ein  Beispiel  der  Strenge  des  Ver- 
bots haben  wir  in  der  Geschichte  des  Kostomarov'schen  Kreises 
gegeben,  —  dessen  Ansichten  damals  sogar  nicht  einmal  in  die 
Presse  gelangten.  Worauf  gründete  sich  aber  hier  der  Pan- 
slavismus? Seine  Hauptgrundlage  war  nationaler  Idealismus: 
der  Gedanke,  dass  sich  die  slavischen  Bäche  ins  russische 
Meer  ergiessen  würden,  war  bei  den  russischen  Panslavisten  sehr 
populär,  obgleich  es  nicht  einmal  leicht  war,  diesen  Gedanken 
offen  auszusprechen  (ausser  Pogodin,  der  ihn  jedoch  auch  nur  in 
confidentiellen  Denkschriften  an  die  ohern  Behörden  darl^te). 

Dass  die  panslavistischen  Manifestationen  der  dreissiger  und 
vierziger  Jahre  vor  allem  eben  durch  äustiere  Umstände  hervor- 


Die  Rrnftii<saiicp.  437 

gerufen  wurden,  welche  uöthigteu,  Biindniüs  und  Hülfe  zu  suchen, 
wo  es  auch  sei,  nicht  aber  dnrch  principielle  in  den  Stämmen 
selbst  liegende  Strebungen,  welche  nach  der  Meinung  slavischer 
Romantiker  immer  in  den  Völkern  gelebt  hätten  (und  also  auch 
eine  feste,  unveränderliche  Kraft  darstellen  sollten),  —  kann  man 
aus  dem  chronologischen  ZusammenfalleD  der  intensivsten  Kund- 
gebungen mit  den  politischen  Ereignissen  (in  den  vierziger  Jah- 
ren) und  noch  mehr  daraus  ersehen,  dass  die  Kundgebungen 
der  Brüderlichkeit  und  Einheit  weit  seltener  waren  als  die  des 
äussersten  Particularismus,  der  Entfremdung,  endlich  einer  wirk- 
lichen, bisweilen  sogar  erbitterten  Feindschaft  im  praktischen 
Leben  der  slavischen  Völker.  In  diesem  praktischen  Leben  sehen 
wir  leider  sogar  ein  ganzes  Kreuzfeuer  gegenseitiger  Antipathien. 
Mit  wenigen  Ausnahmen,  wie  z.  B.  den  historischen  Verbindungen 
Rnsslands  mit  dem  Südslaventhum,  deren  Grundlage  die  Glaubens- 
einheit war,  begegnen  wir  unter  den  slavischen  Stämmen  entweder 
Entfremdung  oder  Feindschaft.  Es  kann  fast  als  Regel  gelten, 
dass  man  die  entfernten  Stammesgenossen  nicht  kennt,  mit  den 
benachbarten  in  Feindschaft  steht.  Von  solcher  Art  ist  die 
Feindschaft  zwischen  den  Russen  und  Polen,  die  nicht  ganz  ver- 
deckbare  Abneigung  zwischen  den  „Moskalen"  und  den  „Chochols" 
(Kleinrussen),  die  unverdeckbare  zwischen  den  „Lechen"  und 
den  Kleinrussen;  ferner  verschiedene  Grade  der  Abneigung  zwi- 
schen den  Serben  und  Bulgaren,  und  sogar  in  den  Grenzen  eines 
Stammes  —  zwischen  den  Serben  und  Kroaten,  den  Cechen  und 
Slovaken  u.  s.  w.  Wirkliche  Begegnungen  (ausserhalb  des  literari- 
schen Gebiets,  wovon  weiter  unten)  sind  zwischen  den  Stämmen 
äusserst  selten  und  da,  wo  sie  vorkommen,  selbst  unter  fried- 
lichen Verhältnissen  zu  oft  mit  Misgeschicken  und  Misverständ- 
nissen  verbunden,  sowol  in  wichtigen  wie  in  geringfügigen  Ange- 
legenheiten. Wir  erinnern  an  die  Begegnung  der  Russen  (nicht 
solcher,  die  durch  die  Theorie  vorbereitet  waren,  sondern  ge- 
wöhnlicher Leute)  mit  den  Serben  und  Bulgaren  in  den  letzten 
Turkenkriegen,  oder  an  die  Episoden  mit  f  echischen  und  galizi- 
schen  Philologen  an  russischen  Gymnasien  unter  dem  Ministe- 
rium des  Grafen  Tolstoj. 

Die  angeführten  Erscheinungen  sind  sehr  natürlich.  Das 
alles  ist  die  Folge  der  frühern  Geschichte,  welche,  im  allgemei- 
nen gesprochen,  die  slavischen  Stämme  in  vollständiger  Trennung 
voneinander  verbracht  haben,  thells  aus  Nothwendigkeit ,  indem 

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438  Siebeatea  Kapitel. 

sie  in  schwer  zu  überwindende  liistorischc  Beziehungen  verwickelt 
waren,  theils  eben  wegen  der  geringen  Entwickelung  des  Gefühls 
eines  gemeiQBamen  Interesses  und  StammeBvei-bandes  unter  ihnen. 
Wenn  die  panslavistiscben  Romantiker  recht  hätten,  wäre  diese 
Erscheinung  undenkbar.  Wenn  sie  aber  unwiderleglich  durch  die 
ganze  Geschichte  des  Slaventbums  bis  in  die  letzte  Zeit  hindurch- 
geht, 60  muss  man  die  Tbatsache  nehmen,  wie  sie  ist,  und  sie 
durch  das  erklären,  wodurch  sie  wirklich  ihre  Erklärung  findet. 
In  alten  Zeiten  ist  das  Slaventhum  in  den  ÄnsiedeluDgeu  aus- 
einandergegangen —  wie  das  ohne  Zweifel  alle  Völker  gethau 
haben  —  von  dem  Wunsche  geleitet,  bessere  Ländereien  und 
grossem  Wohlstand  zu  finden,  und  man  kümmerte  sich  wenig 
um  die  Erhaltung  oder  Constituirung  von  Beziehungen  zu  ent- 
fernten Stammgenossen ;  im  Gegentheil  mau  trennte  eich  nur  zu 
oft  auch  von  den  nächsten  aus  gegenseitiger  Feindschaft  und  l'ro- 
vincialismus.  Schreckliche  nationale  Nothstände  waren  das  Resul- 
tat dieser  Zersplitterung  der  Stämme  in  ihrem  Verhältniss  zu- 
einander und  in  ihrer  eigenen  Mitte.  Das  Baltische  Slaventhuia, 
zahlreich  und  wohlhabend,  vei-scliwand  vollständig;  das  Südslaven- 
thum  verfiel  einem  fünf hundertjähi-igen  Joch;  die  Cecheu  'wurden 
gehrochen  und  haben  sich  kaum  erhalten;  Polen  wurde  getheilt; 
Russland  erduldete  das  tatarische  Joch,  eine  Zerstückelung  seiner 
alten  Einheit  und  wurde  zu  einer  grossen  Nation  wiederhei^esteUt 
um  den  Preis  eines  orientalisch -byzantinischen  Despotismus  seit 
dem  IG.  Jahrhundert,  der  strengen  Beform  Peter's  des  Grossen 
u.  s.  w.  Auch  im  gegenwärtigen  Moment  schwindet  das  Slaven- 
thum in  Freussiscb-Poleu,  in  Bosnien  und  der  Hercegoviua  — 
und  das  in  hohem  Grade  aus  Maugel  an  Solidarität. 

Wenn  sonach  das  Slaventhum  historisch  getrennt  war;  wenn 
im  gegenwärtigen  Moment  seine  Solidarität  und  sogar  die  gegen- 
seitige Bekanntschaft  noch  schwach  sind;  ein  gemeinsames  natio- 
nales Interesse  auf  politischem  Boden  (mit  wenigen  und  dabei 
immerhin  unvollständigen  Ausnahmen,  wie  der  letzte  Krieg)  noch 
nicht  besteht,  —  so  haben  wir  ein  Itecht,  die  romantischen 
Betrachtungen  über  die  slavische  Einheit  und  speciell  über  den 
slavischen  ,, Beruf"  Russlands  nicht  zu  theilen  und  uns  nur  auf 
die  historiBchen  Facta  zu  stützen.  Die  „slavische  Einheit"  ist 
weder  eine  Ueberlieferung  von  alters  her,  noch  eine  prädesti- 
nirte  „Aufgabe"  des  Slaventbums:  sie  ist  ein  Bewusstsein,  das 
man  eben  im  Begriff  ist   zu  gewinnen,   aber  noch  nicht  fertig 

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Die  RenaisBance.  439 

gewonnen  hat  —  das  Bewusstsein  von  der  Nothweudigkeit  eines 
Bundes,  der  durch  Stammes-,  zum  Theil  auch  durch  Glauhens- 
einheit  indicirt  wird,  in  Gestalt  verwandter  Aufgaben  der  natio- 
nalen Bildung  und  in  Gestalt  ähnlicher  Gefahren  von  äussern 
Feinden.  • 


Mit  den  populären  Auslegungen  der  slavischen  Einheit  nicht 
übereinstimmen  bedeutet  aber  natürlich  durchaus  noch  nicht  die 
Existenz  eines  Gefühls  der  Stammesverwandtschaft  selbst  leugnen. 
Ein  solches  Gefühl  besteht  von  alters  her  als  Instinct,  als  Volks- 
überlieferung; aber  Instinct  und  Ueberlieferuug  mussten,  da  sie 
in  den  realen  Verhältnissen  keine  Nahrung  fanden,  erschlaffen 
und  zu  einem  Besitz  der  Schriftgelehrten  allein  werden.  Die 
slavischen  Literaturen  geben  von  den  ältesten  Zeiten  an  nicht 
wenige  Zeugnisse  von  dem  Gefühl  jenes  Zusammenhanges  der 
Stämme.  Der  älteste  russische  Chronist  hat  eine  klare  Vorstel- 
lung von  den  verschiedenen  Zweigen  des  slavischen  Stammes  und 
ihren  Beziehungen,  es  sind  ihm  zum  Theil  auch  die  Ueberliefe- 
rangen  von  ihrer  alten  Völkerwanderung  bekannt.  Um  dieselbe 
Zeit  haben  der  lateinisch  -  cechische  Chronist  Kosmas  von  Prag, 
der  lateinisch-polnische  Martinus  Gallus  (Anfang  des  12.  Jahrhun- 
derts); alsdann  die  spätem  Historiker:  Dalimil,  Pulkava  hei  den 
Cechen  (14.  Jahrb.),  Boguchwal  bei  den  Polen  (13.  Jahrb.)  u.  s.w. 
mehr  oder  weniger  einen  Begriff  von  der  Ausbreitung  des  ge- 
sammten  Slavenvolkes;  die  £echisch- polnische  Sage  schuf  sogar 
drei  Brüder,  Cech,  Lech  und  Bus,  welche  die  slavischen  Haupt- 
stämme des  Mittelalters  personiöciren.  In  der  russischen  Anna- 
listik  setzt  sich  Nestor's  Kenntniss  des  Slaventhums  nicht  fort, 
und  dieJ^achrichten  über  dasselbe  waren  zufällig  und  lückenhaft; 
wie  z.  B.  der  bekannte  Simeon  von  Susdal  auf  seiner  Beise  zum 
Florentinischen  Concil  die  Kroaten  kennen  lernte  und  bemerkte, 
dass  bei  ihuen  die  Sprache  aus  Bussland,  der  Glaube  aber  latei- 
nisch sei;  aber  von  deuSüdslaven  wusste  man  mehr,  und  in  die 


I  Eine  ausfülirlicLere  Darstellui^  dieser  Fratte  bat  der  Verfasser  in  dei 
Abhandinngen  gegeben:  „Der  PanBlavismiis  in  Vergangenheit  und  Gegun 
wart"  (im  Vistnik  Evropy,  1878). 


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440  SiebeutiiB  Kapitel. 

i'ussiscimn  liistorisclieti  Sammelbäude  fanden  Niu;hriclit«ii  aus 
südslavischen  Qaellcn  Eingang.  Vom  15. —  IG.  Jahrhundert  an 
entwickelt  sich  in  der  historischen  Literatur  desWeBtslaventhunis 
immer  mehr  Gelehrsüinkeit,  und  die  Frage  von  der  Herkunft  des 
eigenen  Volkes  -wird  schon  mit  gelehrten  Zeugnissen  und  gelehrten 
Legenden  ausgestattet.  In  dem  schon  früher  (II,  2.  S.118)  von  uns 
erwähnten  techischen  Buche':  „Krätke  sebrani  u.  s.  w,"  („Kurze 
Snmmlung",  um  1439)  erscheint  neben  historischer  Fabelei 
auch  eine  gewisse  Kenntuiss  des  übrigen  Slaventhums;  die  pol- 
nischen Historiker  aus  jener  Zeit,  wie  Dlugosz,  Cronier,  Miecho- 
wita,  Bielski,  der  polnisch-russische  Stryjkowski  waren  ^um  Theil 
auch  den  russischen  Schriftgelehrten  bekannt,  und  dienten  zum 
Ausgangspunkte  für  die  russischen  Anfänge  der  Gescbichtscbrei- 
hung  im  17.— 18.  Jahrhundert.  Mit  dem  16. — 17.  Jahrhundert 
treten  Nachrichten  über  das  gesammte  Slaventhum  bei  den  sei-- 
biscli-kroatischen  (icschichtschreibern  auf:  dahin  gehören  Maoro 
Orbini,  Lucius,  der  Eagusaner  Gradi*^,  der  Kroat  Faustin  Vrau- 
iic  (Verantius).  Eine  phänomenale  Erscheinung  war  der  bekannt« 
Georg  Krizanic,  den  man  mit  vollem  Recht  den  ersten  Pansla- 
visten  nennen  kann.  Die  dalmatinischen  Dichter,  wie  Gunduli^, 
Ignaz  Djordji^,  Kati^-Miosiß  gedenken  in  ihren  patriotischen 
Ergüssen  mehr  oder  weniger  des  gesammten  Slaventhums.  Der 
Slovene  Bohoric  gibt  in  seiner  Grammatik  1584  schon  Proben 
verschiedener  slawischer  Dialekte,  und  danach  erwähnen  die  Ver- 
fasser von  slavisclien  (Jirammatiken  und  Wörterbüchern  nicht 
selten  der  Aehnliclikeit  der  Dialekte  und  der  ^'erwandtBchaft  der 
Stämme. 

Mit  dem  18.  Jahrhundert,  als  die  nationalen  Interessen  der 
slaviseben  Stämme  noch  schliefen,  und  einige  slavische  Völker- 
schaften, wie  die  Oecheii  in  Oesterreich,  die  Serben  und  Bul- 
garen in  der  Türkei,  sich  im  äussersten  Verfall  befanden,  tritt 
die  Kenntnjss  des  Slaventhums  zum  ersten  mal  in  wirklich  ge- 
lehrter Form  auf.  Die  Grundlagen  dieser  wissenschaftlichen 
Erkenntniss  waren  unter  directem  Eiutluss  der  europäischen 
Wissenschaft  und  Bildung  gelegt  worden,  —  bei  den  dalma- 
tinischen Serbe  -  Kroaten  in  deren  italienischer  Form,  beiden 
Ccchen,  l'olen  und  Russen  in  der  deutschen.  Von  den  mittcl- 
ftltcrlichcn  lateinisclien  Historikern  angefangen,  bricht  in  der 
■westeuropäischen  Literatur  die  Reihe  historischer  und  geogm- 
pbischer  Arbeiten   nicht  ah,    welche   jetzt   eine    wichtige  Quelle 


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Die  It«ua)«BaDce.  441 

zur  Erforschung  verschiedener  Länder  und  Jahrhunderte  des 
Sluventliums  bilden,  wie  z.  B.  für  Altrussland  die  Reisen  von 
Marco  Polo,  Herberstein,  Fletcher,  Olearius  u.  a.  Einige  dieser 
Arbeiten,  wie  z.  E.  das  berühmte  Buch  von  Herberstein,  waren 
schon  fast  gelehrte  Untersuchungen.  Dieser  Literatur  scbloss 
sich  auch  die  lateinische  Geschichtschreibung  der  slavischen  Völ- 
ker an,  deren  wir  eben  gedachten.  Im  IK.  Jahrhundert  kommt 
es  zur  ersten  systematischen  Formulirung  der  historischen  Frage. 
So  war  in  der  russischen  Literatur,  abgesehen  von  einigen  Ver- 
suchen russischer  Schriftsteller,  die  Begründung  einer  strengen 
kritischen  Geschichte  —  vor  Karamzin  —  das  Werk  des  berühmten 
SchlÖzer  und  seiner  deutschen  Vorgänger  und  Nachfolger,  wio 
Itayer,  Herrn.  Fr.  Müller,  Stritter,  Krug,  Lehrberg,  In  der  Ge- 
schichte des  westlichen  und  südlichen  Slaventhums  waren  ein 
wichtiger  Anfang  und  kräftiger  Impuls  die  deutschen  Arbeiten 
Ton  Engel,  Gebhardi,  Thunmaun,  Meinert,  Adelung,  die  italieui- 
sclie  des  Abbe  Fortis,  die  geschichts-philosophischcn  Betrachtungen 
Hcrder's  u.  s.  w. ;  in  der  alten  Geschichte  des  Südslaventhums  die 
Arbeiten  der  Gelehrten  italienischer  Schule,  wie  Assemani,  Itan- 
duri,  Farlati. 

Das  Slaventhum  hatte  im  1h.  Jahrhundert  keine  eigene  selb- 
ständige Schule.  In  Russlaod  bestand  die  deutsche  Akademie,  die 
eben  erst  gegründete  Universität  zu  Moskau  mit  einer  grössern 
Ansalil  aus  Deutschland  verschriebener  Professoren,  die  Kiewer 
Akademie  mit  lateinischer  scholastischer  Gelehrsamkeit.  Diu 
))olniscbcn  Schulen  vereinten  Scholastik  mit  deutscher  Gelehr- 
samkeit. Die  cechische  Universität  in  Prag  war  unter  der  Lei- 
tung der  Jesuiten,  und  später  deutsch;  die  katholischen  Slo- 
vahen  waren  in  de»  Händen  der  Jesuiten,  die  Protestanten  stu- 
dirten  auf  deutsehen  Universitäten  (besonders  in  Halle,  Jeua, 
Wittenberg),  die  dalmatinischen  Serbo-Kroateu  auf  italienischen. 
Die  Serben  und  Bulgaren  hatten  nicht  nur  keine  Schule,  sondern 
.  nicht  einmal  die  Möglichkeit,  sich  ii^endwo  zu  bilden.  —  Sonach 
weckte  die  westeuropäische  Schule,  die  lateinisch- deutsche  und 
die  italienische,  die  historische  Wisshegierdc  und  gab  die  wissen- 
scliaftlichen  Metboden  der  Forschung  an. 

Unter  dieseu  Einflüssen  hegiuut  in  der  westslavi&cheu  Lite- 
ratur mit  dem  |S.  Jahrhundert  eine  rührige  und  selbständige 
Arbeit,     pjns   der  ersten  Bildungsbedürfnisse    war   die  Localge- 


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443  Siebentea  Kapite  . 

Bcfaiclitc,  deren  Anfänge  zur  Frage  vom  GeBammtelaventham 
führten;  dahin  gehören  die  Arbeiten  über  die  GoBchichte  ver- 
schiedener slaviBcher  Stämme  von  Linhart,  Pejafevid,  Mikocsi,  Ka- 
tan^i6  u.  b.  v.,  die  noch  alle  deutsch  und  lateinisch  gescbiieben 
sind.  Die  patriotische  Anhänglichkeit  an  die  eigene  Sprache  und 
die  Nothwendigkeit  Bie  vor  fremden  Uebergriffen  zu  vertheidigen, 
riefen  eine  Keihe  von  Apologien  hervor,  welche  von  der  Altertböm- 
lichkeit  und  der  grOBsen  Verbreitung  der  slavischeo  Sprache, 
von  ihrem  Buhme,  ihren  Vorzügen  und  ihrem  Reichthum  bandel- 
ten. Hierher  gehören  die  früher  erwähnte  „Apologie"  von  Balbin, 
Seb.  Dolci  („De  illyricac  liuguac  vetustate  et  amplitudine",  1754), 
Fr.  Appendini  („De  pracstantia  et  vetustate  linguae  illyricae",  bei 
Stulli's  Wörterbuch  180G)  u.  a,  Nach  speciellen  Erörterungen 
über  das  slaviBche  Alterthum  folgen  Versuche  zueammenfassender 
Arbeiten,  wie  z.B.  die  Bücher  von  Joh.  Chr.  Jordan  („De  origini- 
buH  älavicis",  1745),  K.G.  Antou,  die  früher  erwähnte  „Geschichte" 
des  Ärcbimandriten  Raifi.  Mit  besonderer  Lebhaftigkeit  ging  diese 
gelehrte  Bewegung  des  18.  Jahrbunderts  bei  den  Cechen  vor  sich 
— -aber  anfangs  fast  nur  in  lateinischer  und  deutscher  Sprache: 
es  gehören  hierher  die  Arbeiten  von  Dobner,  Fortunatus  Durich, 
Voigt,  Felzel  u.  a.  und  vor  allen  Dobrovsk^,  der  überhaupt  da- 
mals der  haupteächlichste  Vertreter  dieser  Bewegung  in  der  ge- 
sammten  slavischcn  Welt  war.  Neben  ihm  gab  einen  zweiteu 
bedeutendem  Gelehrten  der  sloveniscbe  Stamm  in  der  Person 
Kopitar's,  eines  Freunde»  und  jungem  Zeitgenossen  Dobrovsky's. 
Bei  den  Polen  war  zu  Ende  dos  vergangenen  und  zu  Anfang  des 
jetzigen  Jahrhunderts  das  Interesse  an  der  slavischen  Geschichte 
bedeutend  angeregt,  mehr  als  in  der  folgenden  Zeit:  wir  nennen 
die  Arbeiten  des  Grafen  Jos.  Ossoliüski  (1748—1826),  des  Grafen 
Joh.  Potocki  (1761 — 1815),  ferner  Naruszewicz,  Zorian  Choda- 
kowski,  Rakowiecki,  Bandtkie  und  besonders  Surowiecki,  und  auf 
dem  Gebiet  der  Sprache  den  berühmten  Bogumil  Linde.  In  der 
russischen  Literatur  wurden  gleich  heim  ersten  Anfang  einer 
kritischen  Geschichte  die  südslavischen  Beziehungen  des  alten 
Russlands  bemerkt:  Karamzin  widmete  in  seiner  Geschichte  einen 
besondcrn  Abschnitt  dem  alten  Slaventhum ;  Vostokov  wurde  einer 
der  hauptsächlichsten  Begründer  der  slavischen  Philologie;  Ka- 
lajdoviä  gab  wichtige  Untersuchungen  über  das  alte  bulgarische 
Schriftwesen;    Koppen,    später  Pogodin,  legten   den    Grund  zu 


ü,g:...u.,GüOJ^IC 


Die  Renaissance.  443 

persönlicheu  gegenseitigen  Verbindungen  in  der  slaviechen  ge- 
lehrten Welt  a.  B.  w. ' 

Mit  dieser  ersten  Periode  der  gelelirten  Erforschungen  des 
älaventhums  fiel,  seit  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts,  die  lite- 
rarische Wiederbelebung  zusammen;  aber  das  hauptsächlichste, 
in  der  That  zur  Zeit  einzige,  für  alle  verschiedenen  Stämme 
gemeinsame  Interesse  war  jenes  wissenschaftliche  Gebiet.  Die 
Untersuchungen  vom  Ende  des  vorigen  und  Anfang  des  gegen- 
wärtigen Jahrhunderts  waren  fast  ausschlieeslich  der  Alterthums- 
kunde,  zum  Theil  auch  der  Ethnographie  gewidmet;  sie  waren 
jedoch  sehr  wichtig  für  die  Entwickelung  der  „Renaissance"  — 
weil  sie  der  folgenden  Generation  die  Möglichkeit  eines  gemein- 
samen Ueberhlicks  des  slavischen  Ganzen  gaben.  Die  Arbeiteu 
Dobrovsky's  hatten  schon  diesen  gesammtslavischen  Charakter; 
er  war  der  erste  Encyklopädist  der  slavischen  Dialekte  und  ward 
die  erste  gemeinsame  Autorität. 

Das  zweite  und  dritte  Decennium  des  10.  Jahrhundert»  erwei- 
terten diese  Kenntniss  des  älaventhums  beträchtlich:  derselben 
widmet  ihre  Arbeiten  eine  immer  grössere  Zahl  gelehrter  Kräfte, 
und  es  treten  neue  Anregungen  ein,  mit  denen  sich  neue  Seiten 
des  Gegenstandes  offenbaren.  Zu  der  Beihe  solcher  Anregungen 
gehörte  das  Erscheinen  der  serbischen  Lieder  von  Karadzif.  Sie 
machten  Eindruck  auch  ausserhalb  der  slavischen  Literaturen, 
wurden  zum  Gegenstand  nationalen  Stolzes  bei  den  Slaven  und  zu 
einem  neuen  Werkzeug  der  Renaissance,  das  einen  hohen  Begriff 
von  dem  Werth  der  originalen  Volkspoesie  einflösste.  Bald  er- 
schienen bei  den  Cechen  das  „Gericht  der  Libusa"  und  die  Kö- 
uiginbofer  Handschrift,  die  wieder  einen  grossen  Einfluss  nicht 
nur  in  der  cechischen,  sondern  auch  in  den  andern  slavischen 
Literaturen  hatten.  Aus  verschiedenen  Gebieten  der  slavischen 
Welt  wurden  neue  Untersuchungen  zusammengetragen,  neue  Fra- 
gen angeregt;  die  Wissenschaft  war  jedoch  zerstreut  und  lücken- 
haft und  es  waren  generalisirende,  zusammenfassende  Arbeiten 
erforderlich. 


'  KäliLToa  darüber  b.  in  dem  Bucbe  von  Perwolf  und  über  die  neuei'e 
Bi'naisaaneu  und  den  Panglaviamus,  überhaupt  deu  Artikel  desselben  Ver- 
fassers im  „Slovnik  Kaufnj",  s.  v,  Slovane,  VIII,  Rl«— 644.  Der  Theil  dieses 
Aitikels,  welcher  sieb  speeiell  auf  die  Literatur  bezieht,  ist  vussiseb  über- 
setzt im  „aiav.  Eicgudnik",  I,  49—90  (Kiew  18745). 


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444  Siebcnles  K&pitel, 

Eine  solche  verallgemeinerte  und  einheitliche  Erforschung  des 
Slaventhums  ei-scbeint  zum  ersten  mal  in  den  Arbeiten  Safank's, 
der  eine  um  so  grössere  Autorität  wurde,  als  er  durch  seine  mit 
Liehe  ausgeführte  Uehcrsicht  der  slarischen  Literaturen,  der  Eth- 
nographie, der  Alterthiimer,  den  slavischen  Studien  zuerst  eine  ge- 
wisse Popularität  ausserhalb  des  frühem  Kreises  tou  Spccialisten 
gab.  Die  Tbätigkeit  tiafarik's  und  der  Gelehrten  seiner  Zeit 
bildete  eine  neue  Periode  der  geBammtsIaTischen  Forschung,  in- 
dem sie  einen  weit  umfangreichern  Kreis  von  Gegenständen,  Le- 
sern und  Forschern  umfasste  als  jemals  früher.  —  Aber  wenn 
in  der  mit  Dobrovsky  abgeschlossenen  Periode  die  gesamrot- 
slavische  Frage  fast  nur  auf  dem  Boden  der  Alterthnrnsknodo 
aufgeklärt  wurde,  so  blieb  sie  doch  auch  in  den  Arbeiten  Sa- 
fafik's  und  seiner  nächsten  Zeitgenossen  eine  literarische  An- 
gelegenheit: die  Zahl  der  Proselyten  mehrte  sich,  aber  die 
Frage  trat  aus  dem  Gebiete  der  Gelehrsamkeit  und  der  Roman- 
tik wenig  in  das  wirkliche  Leben  hinaus. 

Weiter  unten  werden  wir  der  gelehrt-romantischen  Theorien 
der  slaviscben  Renaissance  gedenken.  —  Es  war  augenscheinlich, 
dass,  wenn  von  slavischer  Einheit  und  Brüderlichkeit,  Ton  einer 
speciiisch  slavischen  Civilisation  die  Rede  sein  sollte,  sich  noth- 
wcndigcrweise  die  politische  Lage  des  Slaventhums  ändern  musste, 
da  ein  Erfolg  dieser  AH  nur  auf  dem  Boden  nationaler  Frei- 
heit  erreicht  werden  konnte.  Politische  Bewegungen  zum  Schatx 
der  nationalen  Rechte  des  Slaventhums  begannen  auch  wirklich. 
Der  polnische  Aufstand,  die  Zwiste  der  Kroaten  und  Slovaken 
mit  den  Ungarn,  welche  sich  zur  Eroberung  ihrer  nationalen 
Selbständigkeit  vorbereiteten,  wurden  ein  Gegenstand  europäi- 
schen Interesses;  besonders  unter  dem  Einäuss  der  deutsch-ma- 
gyarischen Publicistik  begann  man  in  Europa  vom  Panslavismus 
7,M  reden,  welcher  die  Ruhe  Europas  bedrohe,  und  erinnerte 
an  die  (nicht  glückliche)  Prophezeiung  Napoleon's,  in  fünfzig 
Jahren  werde  Europa  republikanisch  oder  „kosakisch"  sein.  Die 
deutschen  Patrioten  drangen  auf  einen  Einschluss  Oesterreichs 
in  die  deutsche  Einheit,  sahen  eine  nationale  Bewegung  der 
türkischen  Slavcn  voraus,  fassten  den  Verdacht,  der  Panslavismus 
sei  ein  Traum  und  eine  Intrigue  Russlands.  ...  Es  kam  schliess- 
lich das  Jahr  1848.  In  den  Ereignissen  dieser  Zeit  waren  offenbar 
die  wichtigsten  Interessen  berührt,  aber  augenscheinlich  ist  es 
auch,  dass  die  Wirklichkeit  bei  weitem  weder  den  Erwartungen 

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Die  KeniUBtancei  445 

der  elaviBchen  Patrioten  noch  denon  ihrer  Feinde  entsprach.  Die 
BlaTiBche  Welt  stand  nicht  wie  Bio  Mann  auf  und  gegen  Europa 
wurde  kein  Kosakeneinfall  gemacht.  Der  Blavieche  Congres»  zu 
Prag  rief  die  spöttische  Bemerkung  hervor,  die  „gemeinBlavischc 
Sprache"  sei  die  deutsche.  Das  feierliche  Manifest  der  Vertreter 
des  Slaventhums  (ß.  h.  des  österreichischen)  überzeugte  Europa, 
dass  es  tou  ihm  nichts  zu  befürchten  liahe.  Die  Kroaten  und 
Slovakeu  hatten,  wie  der  Erfolg  zeigte,  nicht  für  ihre  Nationa- 
lität gekämpft,  die  nichts  gewann,  sondern  für  ihre  Treue  gegen 
das  Hans  Hahsburg.  Polen  wich  jeder  politischen  Thätigkeit 
ans.  Die  türkischen  Slaven  blieben  ruhig.  Russland  unterstützte 
in  Oesterreich  die  geeetzhche  Ordnung Die  Magyaren  spot- 
teten später  über  die  Kroaten,  daas  Ungarn  durch  seinen  Auf- 
stand gegen  Oesterreich  weit  mehr  gewonnen  habe,  als  diu 
Kroaten  durch  die  Vertheidigung  desselben;  die  Lage  der  Kroa- 
ten ist  eine  solche,  dass  sie  auch  jetzt  noch  wie  früher  gegcu 
die  magyarischen  Prätensionen  zu  kämpfen  haben.  In  schwerer 
Lage  fühlten  sich  nach  Wiederherstellung  der  „Ordnung"  die 
Öechen  und  andern  Slaven  in  Oesterreich.  Das  Programm  Pu- 
lacky's  soll  ein  Werk  voll  Einsicht  sein,  weil  nur  Oesterreich 
dem  Slaventhom  einen  Schutz  vor  der  Germanisirung  und  den 
Magyaren  geben  könne  —  aber  man  musste  die  Voraussetzung 
machen,  dass  Oesterreich  wirklich  auch  dem  slavischen  Element 
Raum  gewähren  wolle  .... 

Alles  das  hatte  gezeigt,  dass  das  Bewusstsein  der  politischen 
Solidarität  noch  sehr  schwach  war,  selbst  im  Österreichischen, 
durch  ein  Staatswesen  verbundenen  Slavönthum;  von  einer  Ver- 
bindung mit  andern  Stämmen  war  gar  keine  Rede.  Dieser  Zeit, 
vor  1848,  gehören  auch  meist  die  idealistischen  Manifestationen 
der  slavischen  Romantik  an. 

Die  Ereignisse  des  Jahres  1848—49  waren  für  das  Slaven- 
thum  einerseits  ein  Miserfolg  —  sie  brachten  nicht  die  erwar- 
teten politischen  Vortheile  und  waren  eine  Enttäuschung  für  die 
Idealisten;  aber  es  war  dies  gleichwol  eine  (wenn  auch  nicht 
vollständige)  Probe  der  gegenseitigen  Eintracht  der  Stämuic,  und 
die  Theorien  mussten  nach  der  Erfahrung  verändert  werden. 


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446  Sie1>eiite«  KnpiteL 

Ohne  bei  der  rein  politischen  (oben  zum  Theil  angefahrtes) 
Publicistik  zu  verweilen,  wollen  wir  uns  nur  der  Haupttbeorien, 
die  in  jener  Epoche  im  Umlauf  waren,  erinnern.  Besonders  po- 
pulär waren  diejenigen,  die  aus  t^cchiscber  Quelle  stammten,  von 
KoUär  und  den  gelehrten  Ideen  ^afafik's  und  seiner  Zeitgenossen, 
seit  dem  dritten  Becennium  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts. 

Die  historischen  und  antiquarischen  Forschungen  brachten 
schon  seit  jener  Zeit  in  die  elavische  gelehrte  Welt  ein  gewisses 
moralisches  Band ;  die  Slariaten  verschiedener  Nationalitäten 
fanden  einen  gemeinsamen  Boden  und  ihre  Spcialarbeiten  nah- 
men eine  gesammtBlaviscbe  Färbung  an.  Die  Zeitgenossen  Safarfk's 
und  die  jüngere  Generation,  welche  unter  jenen  Einflüssen  stu- 
dirte,  wie  Palack^,  telakovskj?,  Erben,  Wocel,  Haciejowskt,  Preiss, 
Bodjanskij,  Sreznevskij,  Grigorovifi  u.  a.  waren  schon  ein  mehr 
oder  weniger  solidarischer  Kreis  einer  Richtung.  Die  nationalen 
Bestrebungen  der  einzelnen  Stämme  wurden  zum  Ganzen  gerich- 
tet; Stütze  und  Schutz  für  die  einzelne,  oft  kleine  Nationalität 
lehrte  man  in  der  ganzen  slaviscben  Völkerfamilie  suchen,  die  in 
der  gemeinsamen  Sache  durch  Sympathie  und  Eintracht  stark  sein 
sollte.  Die  Untersuchungen  über  die  älteste  Geschichte  stellten 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  das  Bild  des  alten  Slaventhums 
wieder  her,  das  in  der  Feme  poetische  Farben  annahm,  und 
deckten  insbesondere  den  gemeinsamen  nationalen  Charakter, 
die  verwandtschaftlichen  Züge  des  Culturlebens  und  der  Ueber- 
liefemngen,  und  eine  weit  engere  Verbindung,  ja  sogar  Einheit 
der  Stämme  im  Alterthum  auf.  Ganz  von  selbst  stellte  sich  die 
Idee  einer  Bestaurirung  dieses  verlorenen  Zusammenhanges  ein. 
Zur  Unterstützung  trat  noch  die  philosophische  Theorie  des  na- 
tionalen Berufs  und  der  Aufeinanderfolge  der  Rassen  und  Völ- 
ker in  weltgeschichtlicher  Stellung  und  Bedeutung  auf.  Wenn 
einem  jeden  grossen  Stamme  die  grosse  historische  Aufgabe  zn- 
getheilt  ist,  in  seiner  Existenz  eine  gewisse  Idee  auszudrücken, 
so  ist  es  klar,  dass  eine  solche  besondere  Idee  auch  das  Slnven- 
thura  auszudrücken  und  zu  erfüllen  habe,  die  Idee  aber  wird 
durch  die  nationalen  Eigenschaften  bestimmt,  auf  die  schon 
durch  die  Forschungen  über  die  älteste  Geschichte  hingewiesen 
wurde.  Vielen  schien  es,  dass  die  Völker  des  westlichen  Europa 
schon  ihre  Bestimmung  erfüllt  hätten,  dass  ihr  Leben  sich  jetzt 
nur  noch  auf  der  Bahn  kalter  Verstandcsmässigkeit,  des  Materialis- 
mus und  geistigon  Verfalls  bewege,  und  dass  ihren  Platz  in  der 

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Die  Ranaidsanoe.  447 

Führung  der  Civiüeation  der  noch  unverdorbene  slavische  Stamm, 
voll  frischer  Kräfte,  eiunelimen  müsse,  für  den  die  Zeit  gekommen 
sei,  seine  historische  Mission  zu  erfüllen. 

Unter  diesen  sich  veröcchtenden  Eingebungen  und  Eindrücken 
des  nationalen  Patriotismus,  der  Alterthumskunde,  der  philoso- 
phisch-historischen Theorien  wurde  eine  idealistische  Stimmung 
geschafTen,  zu  deren  vollständiger  Definirung  noch  auf  ein  Ele- 
ment hingewiesen  werden  muss  —  das  wirkliche  Vorhandensein 
einer  innem  frischen,  wenn  auch  unklar  erkannten  und  durchaus 
nicht  gefestigten  Kraft.  In  der  regelrechten  gesunden  Entwicke- 
lung  dieser  Kraft,  welche  aus  der  Annäherung  an  das  Volk, 
und  aus  dem  Streben  seinem  Wohle  zu  dienen  entsprang,  würde 
auch  die  Zukunft  der  ganzen  Bewegung  liegen.  , , . 

Nach  dem  Gesagten  ist  es  begreiflich,  dass  in  der  ersten  Pe- 
riode ihrer  Entwickelung  die  gesammtslavischen  Bestrebungen 
nicht  so  sehr  politische  Doctrin,  als  patriotische  Poesie  waren. 
Wir  brauchen  nur  an  die  patriotischen  Dichter  und  Idealisteii 
der  verschiedeneu  slavischen  Stämme  in  unserer  vorangehenden 
Darstellung  zu  erinnern  —  wie  Venelin,  Bakovskij,  Karadii^, 
Bischof  Muäicki,  Vladyka  Peter  II.,  Milutinovic,  VukotinoviC 
und  die  andern  Vertreter  des  „jungen  Illyriens";  Vodnik;  Kol- 
lar,  OelakoTsky,  Jablonsky,  HoU^,  Sladkovii,  Gbalüpka,  Star, 
Staszic,  WoronJcz,  Mickiewicz,  Seviienko,  Kostomarov  «.  s.  w. 
Von  allen  Seiten  der  slavischen  Welt  ertonten  Kufe  begeister- 
ter Hoffnung  auf  die  Zukunft  des  eigenen  Stammes  und  des 
gesammten  Slaventhums,  Kundgebungen  von  brüderlicher  Liebe, 
Gegenseitigkeit  und  Einheit.  An  der  Spitze  stand  das  Gedicht 
Kollär's,  das  bedeutendste  Werk  dieser  ganzen  Periode  und  eine 
in  ihrer  Art  in  der  ganzen  neuem  Literatur  Europas  einzig  da- 
stehende patriotische  Dichtung,  erbaut  anf  nationaler  Begeiste- 
rung und  Alterthumskunde.  Wir  haben  von  ihrem  Inhalt  ge- 
sprochen, und  fuhren  nur  noch  an,  wie  der  Dichter  die  von 
ihm  gehoffte  und  zwar  nicht  ferne  Zukunft  ausmalt:  nach 
hundert  Jahren  treten  die  Herrlichkeiten  des  Slaventhums 
ein,  dessen  Leben  sich  wie  eine  Ueberschwemmung  ergiessen, 
dessen  Sprache  mau  in  den  Palästen  und  selbst  im  Munde 
seiner  Gegner  hören  wird,  und  dessen  Sitten  und  Lieder  an 
der  Seine  und  Elbe  herrschen  werden  u.  s.  w.  Bei  den  Dich- 
tern und  Gelehrten  der  jungem  Generation  bildete  sich  eine 
grosse  Hochachtung  vor  dem  „Volksthümlichen"  aus,  was  allein 

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448  Siebeut««  KapiUl. 

bei  den  slavisclieu  Stämmec  ursprünglich  und  anvermiscbt  na- 
tional geblieben  war:  die  Sammlung  von  Karad£i6  zeigte,  welche 
Schätze  dieses  Volk  besitzt;  Kollär  und  äafarik  bestätigten  dies 
dnrch  ihre  Sammlung;  neue  Arbeiter  gingen  damals  nach  ihrer 
Weise  „ins  Volk-'  (Stanko  Vraz,  SvezneTkij,  Grigorovii,  Holo- 
vackij,  Kostomaiov,  Wöjcicki,  Milutinovic,  Kurelac,  Smolef  u. s.  w.)- 
Das„Yolk8tliümliche"  erschien  ihnen  höher  als  das  Givilisirte,  sie 
sahen  darin  unverdorbenes  Urväterthum,  eine  durch  Jahrhunderte 
rein  nationalen  Lebens  gekräftigte  Tradition;  die  kleinen  Litera- 
turen, welche  damals  aus  dieser  patriarchalen  Sphäre  geschaffen 
wurden  durch  Leute,  die  derselben  angehören,  und  für  den  Kieis 
ihrer  Begriffe,  schienen  innerlich  höher  zu  stehen  als  jene  grossen 
Literaturen  mit  ihren  künstlichen  Anforderungen ,  die  sich  von 
der  Einfalt  des  volksthümlichen  Lebens  entfremdet  hatten  und 
dessen  Bedürfnisse  nicht  befriedigten.  £s  war  dies  eine  ganze 
Romantik  eigener  Art;  sie  begeisterte  ihre  Parteigänger,  band 
sich  aber  (z.  B.  in  der  russischen  Literatur)  wenig  an  den  all- 
gemeinen Gang  der  Uterarischen  Ideen;  durch  die  enge  Exclu- 
sivität  und  Einseitigkeit  dieser  Romantik  wurden  viele  gegen  die 
slavische  Bewegung,  mit  der  sie  sich  identificirte ,  kühler.  In 
einer  gewissen  Verbindung,  aber  unabhängig  von  der  gelebiteii 
Romantik  war  der  Standpunkt  der  eigentlichen  Slavophilen,  der 
von  den  Brüdern  Kireevskij  und  Chomjakov  ausgearbeitet  und  in 
seiner  Anwendung  auf  das  Slaventlium  besonders  von  Hilferding 
entwickelt  wurde.  Die  Gedanken  dieser  Schule  wurden  in  ver- 
Bchiedeiien  Nuancimngen  ausgesprochen.  Das  Slaventhum  sei 
das  eigentliche  „erwählte  Volk";  es  sei  berufen,  eine  neue  voll- 
kommenere Civilisation  zu  begründen.  Gegenwärtig  sei  es  zer- 
splittert, —  aber  es  müsse  sich  einigen,  um  im  Stande  zu  sein, 
seine  historische  Bestimmung  zu  erföllen.  Das  Slaventhum  sei  im 
Altertham  unter  zwei  feindliche  Welten  gelheilt  worden:  das 
griechisch-orthodoxe  Christenthum  und  den  „Latinismus";  aber 
seinem  Wesen  nach  müsste  es  ganz  griechisch-katholisch  sein: 
es  habe  keine  Verbindung  mit  Rom  gehabt,  wie  die  romanischen 
und  germanischen  Stämme;  es  habe  das  Christenthum  zuerst  aus 
der  byzantinischen  Orthodoxie  empfangen,  welche  dem  Stammes- 
charakter  entsprochen  habe  und  in  der  allein  die  verlorene  t^n- 
heit  aufs  neue  gewonnen  werden  könne.  Die  ganzQ  Geschichte 
des  westlichen  Slaventlmms  sei  ein  innerer  Kampf  des  wahrhaft 
slavischen  IVineips  gegen  das  ihm  feindliclie  Trincip  der  westlichen 

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Die  BeuaiBBanoe.  449 

Kirche  und  Civilisatian.  .  .  .  Die  ruaeiscben  Anhänger  der  roman- 
tischen Schale  —  jene  friedlichen  Gelehrten  {Bodjanskij,  Grigo- 
roviC,  Preise,  Sreznevskij),  welche  die  westeuropäischen  Ankläger 
des  Panslavismns  als  Agitatoren,  Emissäre  der  nissischen  Regie- 
rung hinstellten,  rührten  die  Politik  nicht  an,  ja  mieden  sie  mit 
besonderer  Sorgfalt  (sie  fand  zu  Hanse  in  Russland  überhaupt 
keine  Aufmunterung);  —  aber  es  ging  auch  nicht  ohne  politische 
Erörterungen  ab.  VAne  der  ersten  der  Zeit  nach  war  die  Schrift 
des  Grafen  Gurowski,  1830—31,  der  am  polnischen  Aufstand  be- 
theiligt war,  aber  gleich  dtirauf  ein  Anhänger  Riisslands  wurde, 
dem  er  eine  panslavistische  Politik  rieth.  Die  Schrift  Gurowski's 
galt  geradezu  für  das  Programm  der  russiarben  Politik,  was  sie 
freilich  nicht  war.  Nach  seiner  Meinung  sind  die  südlichen  und 
westlichen  Stämme  des  Slaventhums  Zweige,  die  sich  von  ihrer 
Wurzel  getrennt  haben,  infolge  ihrer  Abtrennung  unfruchtbar  und 
durch  ihre  Verderbntss  der  Wurzel  selbst  schädlich :  das  einzige 
Mittel,  sie  zu  heilen  —  sei,  sie  mit  der  gesunden  slaviscben  Wurzel 
zu  verbinden,  welche  sie  zu  ihrem  eigenen  Nutzen  völlig  in  sich 
aufnehmen  und  so  ein  slavjsches  Ganzes  herstellen  solle.  Aehn- 
liche  Ideen  über  die  Einigung  des  Slaventhums,  aber  in  Gestalt 
einer  allslavischen  Liebe  und  in  etwas  grob-schmeichlerischen 
Dithyramben  legte  Pogodin  in  seinen  coniider.tiellen  Denk- 
schriften an  den  Grafen  Uvarov  dar  —  es  war  dies  eine  besondere, 
frühe  Fraction  des  moskauer  Slavophilenthums ,  demselben  in 
vielem  nahestehend,  in  vielem  unähnlich,  und  leider  niemals  direct 
von  diesem  desavouirt.  —  Der  bekannteste  Ausdruck  der  polnischen 
Ideen  in  der  slaviscben  Frage  war  die  Theorie,  deren  extremster 
Ausdruck  der  „Messianismus "  Mickiewicz'  war.  Nach  dieser 
Theorie  stellt  die  slavische  Welt  zwei  Seiten  dar  —  eine  positive 
und  eine  negative;  in  der  erstem  lägen  die  l'rincipien  der  slii- 
vischen  Zukunft  und  des  menschlichen  Fortschritts,  der  Brüder- 
lichkeit der  Völker,  und  in  ihr  werde  die  Erfüllung  desChristen- 
thums  erfolgen,  das  ist  —  Polen;  die  andere,  despotische,  zer- 
störende Seite,  sei  Russland,  für  welches  der  polnische  Dichter 
die  dunkeln  Farben  nicht  spart.  Die  grosse  Aufgabe,  die  Mensch- 
heit vorwärts  zu  fuhren  und  der  christlichen  Idee  vollen  Aus- 
druck zu  geben,  gebort  Polen  (wie  nach  der  Ansicht  der  Slavo- 
philen  —  Russland):  deshalb  liege  auch  das  Heil  des  Slaven- 
thums in  Polen,  das  den  ersten  Platz  in  dem  Bündniss  der 
slavischen  Nationalitäten  einzunehmen  habe.    Ferner  fanden  die 

Ptpim,  Slavitche  LIUnluieB.    11,3.  29 

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450  Siehentex  Kapitel, 

slavopbilen  Erwartungen  von  der  Zukunft  Ruaslands  bei  einem 
Sdiriftsteller  Widerhall,  der  einer  der  Bchärfsten  Gegner  dieser 
Schule  war,  nämlich  bei  Herzen;  er  meinte,  dass  das  russlBcbe 
Volk  mit  seinem  Gemeindepi-incip  als  erneuerndes  Element  für 
Europa  auftreten  werde,  wie  ein  solches  die  Slavophileu  und  die 
weatslavischen  Idealisten  (Kollär,  Stür)  in  der  ganzen  innern 
Natur  des  slavischen  Stammes  überhaupt  sahen. 


Die  angeführten  Frohen  der  Theorien  und  poetischen  Träu- 
mereien wiederholen  sich  bei  Gelegenheit  noch  bis  heute  in  der 
russischen  und  den  andern  slavischen  Literaturen.  Di^e  eigen- 
artige slavische  Romantik  steht  mit  der  echten  westeuropäischen 
Romantik  in  unzweifelhafter  Verwandtschaft.  Beide  waren  sozu- 
sagen der  jugendliche  Ausdruck  eines  neu  aufkeimenden  Bewusst- 
seins.  Die  Phantasien  und  Excentricitäten  mögen  uns  nicht  ver- 
borgen sein;  aber  immer  wird  das  Streben  zum  „Volkstbümlichen", 
d.  i.  in  letzter  Linie  das  Streben,  die  Bedeutung  des  Volkes  zn 
heben,  ihm  Achtung  für  seine  Ueberlieferong,  folglich  für  seine 
moralische  Autonomie  einzuflössen ,  und  es  schliesslich  als  voU- 
herechtigten  Factor  in  das  nationale  Leben  einzuführen,  höchst 
sympathisch  bleiben. 

Die  Romantik  eilte,  wie  gewöhnlich,  der  Wirklichkeit  voraas, 
anticipirte  die  gewünschte  Zukunft.  Aber  was  stellten  die  sla- 
vischen Literaturen  thatsächlich  dar? 

/u  Anfang  zeigten  wir,  dass  auch  im  historischen  Alterthnm 
die  vermeintliche  slavische  Einheit  nicht  so  beträchtlich  war. 
wie  es  die  Romantiker  vermeinten.  Im  Gegentheil,  in  histori- 
schen Zeiten  begegnen  wir  schon  einer  Zersplitterung  —  in  geo- 
graphischer, politischer,  ethnographischer,  kirchlicher  Beziehung, 
in  Bezug  auf  Bildung  und  Schriftwesen  —  die  je  weiter  je  mehr 
anwachsen  musste.  In  der  Periode  der  modernen  Renaissance 
vermehrt  sich  diese  Verschiedenheit  und  Spaltung.  Bei  allen 
Kundgebungen  der  Brüderlichkeit  der  Nationen  markirte  sich  die 
Renaissance  vor  allem  durch  das  Auftreten  eiuer  ganzen  Reihe 
erneuter  oder  ganz  neuer  Literaturen,  die  hartnäckig  auf  dem 
Recht  ihrer  Sonderexistenz  bestanden.  Die  Erscheinung  war  ganz 
natürlich,  und  dieses  Recht  konnte  man  nicht  leugnen.  Der  gaiue 
Sinn  der  Renaissance  bestand  darin,   daas  in  den  Völkern  das 


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Die  ReuBiBBaDoe.  451 

Selbstbewussteein  geweckt  wurde,  und,  um  es  zu  entwickeln, 
ninsste  maa  mit  dem  Volke  iu  seiner  eigenen  Sprache  reden,  die 
Ueberlieferungen  seiner  alten  Gultur  und  Poesie  sammeln  und 
bearbeiten;  wenn  die  „Nationalität"  überhaupt  ein  theures  Be- 
sitzthum  ist,  so  lässt  sieb  ihr  Recht  auf  eine  literarieche  Ent- 
wickelang schwer  negiren.  So  trennte  sich  die  Literatur  der 
Renaissance,  zu  Anfang  noch  arm  an  Schriftstellern  und  Pu- 
blikum, arm  an  Sprache  und  Inhalt,  in  eine  Menge  von  Zwei- 
gen, und  ein  jeder  wollte  selbständig  sein.  Hier  musste  biswei- 
len alles  von  neuem  »ngefangen  werden,  vom  Alphabet  und  der 
Schriftsprache  an,  und  ein  kleiner  Stamm  sagte  sich  zuweilen 
freiwillig  von  einer  nahe  verwandten  Literatur  los,  um  eine  eigene 
zu  haben,  um  die  eigene  Nationalität  zu  entwickeln.  So  trenn- 
ten sich  von  den  Cechen  die  Slovaken  ab,  obgleicli  die  Dialekte 
einander  sehr  nahe  stehen,  obgleich  in  früherer  Zeit  die  Slovaken 
die  ^echische  Literatur  benutzten  und  ihr  aus  sich  selbst  viele 
Schriftsteller  gaben.  Die  Literatur  der  Serben  fuhr  auch  femer 
fort,  sich  in  eine  cyrillischer  und  eine  lateinischer  Schrift  zu  spal- 
ten, obgleich  fast  gar  kein  Unterschied  in  der  Sprache  war;  selbst 
die  Literatur  der  griechisch-orthodoxen  Serben  spaltete  sich  fast 
wegen  der  Orthographie  Vuk's,  die  im  Fürstenthum  verboten 
wurde.  Eine  besondere  Literatur  hatten  die  Kroaten,  eine  beson- 
dere dieSlovenen.  In  den  dreissiger  Jahren  begannen  neubulga- 
rische Bücher  zu  erscheinen.  Die  gatiziscben  Südrussen  haben  bis- 
her noch  keinen  Entschluss  gefasst,  ob  sie  sich  an  die  russische 
oder  ihre  eigene  Volkssprache  halten  sollen,  in  der  man  in  Klein- 
russland zu  schreiben  begann;  sie  haben  bisher  auch  die  Frage 
der  Orthographie  noch  nicht  entschieden.  Bei  den  Lausitzer 
Serben  traten  zwei  Literaturen  auf;  eine  für  einige  Zehntausende 
von  Ober]  au  sitz  er  n ,  eine  zweite  für  einige  Zehntausende  von 
Niederlausitzern  u.  s.  w. 

Wir  haben  gesehen,  dass  die  reinen  Romantiker  consequent 
waren,  sie  lobten  die  Verdienste  der  kleinen  Literaturen  und 
ft-euten  sich  über  ihre  Vermehrung.  In  der  That,  tritt  eine  Li- 
teratur auf,  so  bedeutet  dies,  dass  ein  Volk  mehr  aufgelebt  ist. 
Aber  andere  begannen  sich  zu  beunruhigen,  —  nicht  nur  solche, 
denen  neue  Abspaltungen  den  Umfang  ihres  literarischen  Ein- 
flusses schmälerten  (wie  sich  die  Cechen  gegen  die  Abtrünnigkeit 
der  Slovaken  wappneten),  sondern  auch  diejenigen,  welche  die 
allgemeine  Lage   der  Dinge   im  Auge   hatten.    Das  Gefühl    der 

29*       ,  .  1 

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4Ö3  SiebentcR  Kapitel, 

Unrube  war  auch  nicht  oliue  Grund.  Dieser  literarische  Tharni- 
bau  in  der  Literatur  konnte  wie  zu  Babylon  mit  einem  voll- 
ständigen Auseinanderlaufen  drohen.  Welcher  einstimmige  £n- 
thusiasmus  auch  diese  Literaturen  beseelen  mochte,  es  war  schwer, 
für  sie  eine  weite  Zukunft  zu  erwarten:  jede  in  den  Grenzen 
eines  verhältnissmässig  kleinen  Stammen  gefesselt,  tnussten  sir 
sich  von  vornherein  zu  der  beschränkten  Kolte  elementarer  und 
populärer  Bücher  verurtheilen ,  und  in  den  Gegenständen  der 
höhern  Bildung  und  der  Wissenschaft  nur  fremde  stärkere  Lite- 
raturen wiederholen,  —  für  ein  starkes  Talent,  für  einen  star- 
ken wissenschaftlichen  Geist  wird  es  an  Raum  fehlen;  er  wird 
entweder  seine  Thatigkeit  nach  den  Verhältnissen  seiner  Sphäre 
einschränken  oder  diese  zu  Gunsten  einer  umfassendem  Natio- 
nalität verlassen  müssen.  Die  Geschichte  der  slavischen  Litera- 
turen hat  eine  Menge  Beispiele  der  letztern  Art  geliefert. 

Die  „Renaissance"  schreckte  vor  dieser  Schwierigkeit  nicht 
zurück,  und  KoUär,  indem  er  sich  auf  die  vier  Hauptliteraturen 
beschränkte,  hielt  es  für  möglich,  sie  mittels  seiner  Theorie  der 
„Gegenseitigkeit''  zu  einer  künstlichen  Einheit  zu  verbinden. 
Seine  Schrift  über  diesen  Gegenstand  hatte  grossen  Erfolg  und 
die  „Gegenseitigkeit"  erschien  als  eine  volle  Aussöhnung  der 
wechselseitigen  alavischen  Schwierigkeiten.  Ihren  Partei^ngem 
kam  es  nicht  in  den  Sinn,  dass  für  die  Mehrheit  nie  eine  phi- 
lologische Gelehrsamkeit  möglich  sein  wird,  wie  die  Keuntniss 
von  vier  Dialekten,  und  selbst,  wenn  sie  möglich  wäre,  zu  ein«r 
wirklichen  Annäherung  der  Stämme  jener  antiquarisch -ethno- 
graphische Idealismus  durchaus  noch  nicht  ausreichen  würde, 
von  dem  die  Romantiker  damals  vorwiegend  erfüllt  waren.  .  .  . 

Aber  wie  es  sich  nachher  in  der  Praxis  zeigte,  dass  die 
„Gegenseitigkeit"  die  slavische  Verschiedenheit  nicht  auf  vier 
Hauptcentren  brachte  und  die  kleinen  Literaturen  stärker  und 
schneller  wuchsen  als  die  „Gegenseitigkeit",  so  rief  sie  auch 
starke  theoretische  Einwürfe  hervor.  Es  waren  kaum  15  Jahre 
seit  dem  ersten  Erscheinen  der  Ideen  Kollär's  über  die  G^en- 
soitigkeit  vergangen,  als  ein  absichtlicher  und  bedachter  Separa- 
tismus in  derselben  Nationalität  auftauchte,  zu  der  Kollär  ge- 
hörte, gegen  diejenige,  welcher  er  sich  angeschlossen  hatte,  — 
der  Separatismus  der  Slovaken  gegen  die  ^echische  Literatur. 
Wir  haben  oben  gezeigt,  dass  nach  der  Idee  ätür's  die  Einfüh- 
rung der  slovakischen  Sprache  in  die  Literatur  nothwendig  war. 

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Die  KeDaiBBiini.'F.  ^53 

Dicht  nur  in  Anbetracht  des  nächsten  Nutzens  für  die  Volksbil- 
dung, »ondem  auch  dem  ganzen  Princip  nach:  Stür  wünschte 
nämlich  nicht  eine  Goncentriruug  der  geistigen  Thätigkeit  der 
Slaveii  in  vier  Literaturen,  weil  sich  damit  die  Stainmestheilung 
definitiv  befe^itigt  hätte  und  das  westliche  und  südliche  Slaven- 
thum  auf  immer  zum  Provinzialismus  verurtheilt  wäre,  —  wäh- 
rend für  das  dringende  gemeinsame  Wohl  eine  volle  Einheit  noth- 
wendig  war,  die  sich  ätür  nur  in  einer  dem  gesammten  Slaven- 
thum  gemeinsamen  Literatursprache  darstellte.  Als  solche  Sprache 
erschien  ihm  die  russische. 

So  verloren  Von  einem  weiter  schauenden  und  realem  Stand- 
punkte aus  die  Ideale  der  frühem  Romantik  uicht  nur  ihren  Reiz, 
sondern  erschienen  sogar  als  direct  schädlich.  In  ähnlicher  Weise 
überlebte  sich  in  der  russischen  Literatur,  inmitten  der  Sla- 
visten  selbst,  der  romantische  Standpunkt.  Man  meinte  früher, 
die  slavische  Welt  sei  so  voll  von  Einheit  und  Brüderlichkeit, 
trage  eine  solche  Bürde  fremden  Joches,  dass  sich  Russland  nur 
zu  i-ühren  brauche,  damit  z.  B.  Oesterreich  zerfalle  und  an  dessen 
Stelle  ein  grossartiges  slavisches  Bündniss  unter  der  Leitung 
Russlands  erwachse  (Pogodin);  man  meinte,  das  Slaventhum  sei 
gerüstet,  an  die  Stelle  der  abgelebten  europäischen  Civilisation 
zu  treten;  man  schätzte  die  kleinen  slavischen  Literaturen  um 
ihrer  patriarchalischen  Einfachheit  willen  hoch  ( Sreznevskij ) 
u.  8.  w.  Es  machte  sich  jetxt  ein  neuer  Standpunkt  geltend, 
von  dem  aus  die  früliern  Erwartungen  keinen  Raum  mehr  hatten. 
Von  diesem  Standpunkt  aus  (den  in  Russland  besonders  ein 
Slavist  der  Jüngern  Generation,  V.  Lamanskij,  vertrat)  zeigte 
es  sich,  dass  die  gegenseitigen  Zuneigungen  des  Slaventhums 
nicht  so  stark  sind;  dass  die  Klagen  der  österreichischen  Slaveii 
über  die  Deutschen  nicht  ganz  gegründet  sind,  da  die  Deut- 
schen in  Oesterreich,  wenn  auch  weniger  zahlreich  als  die  Sla- 
vcn,  doch  darin  ein  homogenes  und  sowol  durch  Geschichte 
als  durch  Bildung  das  stärkste  Element  bilden,  die  Slaven  aber, 
wenn  auch  zahlreicher,  in  sieben  gesonderte  Nationalitäten  zer- 
fallen, und  diese  letztern  selbst  „als  kranke  Organismen  er- 
scheinen", weil  die  einen  von  ihnen  stark  gennanisirt,  die  an- 
dern durch  gegenseitige  Feindschaft  gespalten  sind,  welche  die 
Slaven  schwächt  und  die  deutsche  Herrschaft  kräftigt.  Es  wurde 
bemerkt,  dass  sich  bei  der  slavischen  Intelligenz  in  Oesterreich 
der  Panslavismus   ruhig   mit  der  Ergebenheit   gegen  die  Habs- 

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454  SiebenteB  Kapitel. 

burgisclie  Dynastie  vertrug,  welche  ein  historischer  Feind  der 
Slaveo  war;  es  wurde  (in  den  sechziger  Jahren)  auf  die  Ver> 
kebrtheit  dieser  Intelligenz  hingewiesen,  welche  Oesterreicb  im 
Süden  Erfolge  wünschte,  die  Erwerbung  Bosnien»  und  der  Her- 
Gegovina  —  in  der  Hoffnung,  Oesterreich  werde  ein  slavisches 
Reich  werden,  obgleich  diese  Erwerbung  die  wirkliche  Lage  der 
slavischen  Dinge  in  Oesterreich  und  die  biBtorische  Ueberliefe- 
rung  der  Dynastie  nicht  im  geringsten  ändern  konnte.  Man 
sagte  endlich,  die  kleinen  Literaturen  hatten  keine  Zukunft,  weil 
in  unserer  Zeit  die  Wissenschaft  eine  Macht  geworden  sei,  ohne 
welche  sich  keine  einzige  Nationalität  halten  könne,  und  den 
kleinen  Stämmen  stehe  bevor,  entweder  allmählich  ihre  Natio- 
nalität zu  verlieren  oder  als  Organ  der  Bildung  eine  der  stamm* 
fremden  Sprachen  anzunehmen,  oder  aber,  unter  Beibehaltung 
der  Stammesbesonderheit,  in  der  Literatur  die  russische  Sprache 
anzuwenden.  > 


'  „Die  SlsveD  iu  Oesterreich  verdienen  nur  den  Namen  vou  Völker- 
aubaften  nnd  als  solche  müsBeu  sie  sich  durchaus  den  Deutschen 
unterwerfen,  die  mit  vollem  Beoht  eine  Nation  genannt  werden  müssen; 
denn  Bieheu  Völkersuhafteu:  Polen,  Kloinruasen,  Ceoben,  Slovaken,  Serben, 
Kroaten,  Sloveneu,  welche  etwas  über  15  Millionen  slavischer  Bevülkerang 
in  Oeütcrrcich  bilden,  sind  jede  für  eich  so  schwach  und  gering  an  Zahl, 
dasB  keine  einzige  von  ihnen  gegenwärtig  eiuen  unahhäugigen  starken  btaat 
und  eine  selbständige  Bildung  und  Literatur  in  ihrer  cinheimisohen  Sprache 
hervorbringen  kann.  Wenn  die  polnische  nnd  Ceohisohe  Literatur  zuweilen 
reich  heissen,  so  ist  dies  ganz  relativ  zu  nehmen:  sie  sind  sehr  arm  und 
nichtig  im  Vergleich  zur  deutschen,  englischen,  frauzÜBischeu,  italienischen 
und  selbst  spanischen  Literatur.  Mau  darf  nicht  vergessen,  dass  die  cechi- 
sehe  und  polnische  Lilei-atiir  im  15.,  16-,  17.  und  18,  Jahrhundert  auf  einem 
weit  grossem  Raum  bearbeitet  wurden  tvls  jetzt.  Was  die  SBdslaven  be- 
trifft, 90  bilden  sie  eine  Föderation,  das  gemeinsame  Organ  einer  hohem 
Bildung  kenn  bei  ihnen  nur  die  mssiBohe  Sprache  sein.  Die  Slaven  in 
UeEterreieb  wollen  aus  patriutisebem  Gefühl  niuht  zugeben,  dass  sie  sich 
den  Deutschen  gegenüber  in  dem  Verhältniss  von  Völkerscbaften  zu  einer 
Nation  befinden.  Hier  führt  sie  zum  MisvcrBtäuduiBs  derGedanke,  dass  sie 
zu  einem  grossen  Stamme  vou  80  Millionen  gehören,  aber  sie  beachten,  wie  i-~ 
scheint,  gar  nicht,  dass  von  diesen  80  Millionen  50  Millionen  dem  etnti^n 
ruBsi sehen  Stamme  angehören,  der  sich  schon  eine  Schriflcpracbe  erarbeitet 
hat,  und  die  übrigen  30  Millionen  in  acht  Völkerschaften  aersplittert  sind. 
von  denen  jede  ihre  eigene  Literatur  hat  und  die  sich  in  den  ungünstigatea 
äussern  VerbältniBsen  befinden".  .  .  . 


.....Gooj^lc 


Die  ReDoisBancc.  466 

Die  Romantik,  von  der  wir  spraclicn,  war  ein  iiatürlicLer 
AuBbruch  des  Nationulgefütils  in  der  Periode  der  Wiederbelebung; 
dass  man  bei  ihr  nicht  stehen  bleiben  konnte,  ist  aus  den  oben 
angefulirten  ÄDBichten  zu  ersehen,  die  nicht  in  feindlichen  Lager, 
HOtidem  auf  eigenem  Boden  erwachsen  sind.  Bei  der  Abwesen- 
heit einer  politischen  Frage,  welche  die  Stämme  in  einem  gemein- 
bamen  Interesse  vereinigen  konnte,  blieb  als  einziger  Ausdruck 
der  pauülaTistischen  Bestrebungen  die  Poesie  und  die  Alterthumb- 
kunde  übrig,  welche  die  Frage  in  einer  idealistischen  Färbung 
hielten  nnd  zu  oft  nur  die  Phantasie  reizten.  Leider  kannten 
die  Slaven  trotz  der  brüderlichen  Kundgebungen  und  der  Pre- 
digt TOD  der  Gegenseitigkeit  einander  in  der  That  doch  sehr 
wenig;  so  war  es  in  den  dreissiger  Jahren,  und  so  ist  es  fast 
noch  bis  heute,  —  eclatante  Beispiele  solcher  Unbekanntschaft 
führt  derselbe  Schriftsteller  an,  welchen  wir  eben  citirten.  Die 
gegenseitigen  Beziehungen  waren  sehr  wenig  entwickelt  und  be- 
schränkten sich  auf  Specialisten  oder  gelegentliche  Begegnungen, 
In  den  dreissiger  und  vierziger  Jahren  machten  die  mssbcheu 
Stavisten  wichtige  gelehrte  Reisen  in  den  slavischen  Landern  — 
aber  in  dem  Sinne  eines  gegenseitigen  Bekanntwerdens  der  Stämme 
war  das  Resultat  nicht  gross  und  es  wurden  sogar  nicht  wenige 
falsche  Vorstellungen  erzeugt.' 

In  der  Folgezeit  bat  sich  die  wissenschaftliche  Kenntnis»  deti 
Slaventhums  sehr  ei-weitert,  aber  sie  bleibt  immer  noch  auf  einen 
kleinen  Kreis  von  Specialisten  beschränkt,  und  wie  im  allge- 
meiuen  in  der  russischen  Gcsellscbuft  die  Kunde  des  innern 
Lebens  und  der  Literatur  der  verschiedenen  slavischen  Stämme 
sehr  dürftig  ist,  so  ist  bei  den  West-  und  Südslaven  die  Kennt- 
nis8  des  russischen  Lebens  und  der  russischen  Verhältnisse  noch 
beschränkter. 


'  Z.  lt.  kamvu  iu  KuEdlaud  maiiuiuhriii;be  ücukiuvbc  Eiu8oitigkeit«u  in 
(Il'Ii  Urtlicilen  über  versuhicduoti  sUviBcbo  Gcgcustandu  iu  Umlauf,  Einsoi- 
ligkeitcu,  die  Gugar  eiu  so  grosser  Keuuur  des  Slavcntliuiiis  wie  Uilferdiug 
aonahni;  bei  den  ('ecbcu  hciTseliteu  iiutcr  dem  Eiuflaes  der  Begegnangeu 
uud  Beziehungen  mit  Leateu  Dur  eiuea  Kreises  seitdem  uod  noch  gegen- 
wärtig sehr  sonderbare  Voi'slclluugen  über  ruBsisehe  Literatur  und  russiECheii 
Leben,  diu  von  ihnen  porsöutieh  Tast  gar  uiebt  erforseht  wurden  u.  b.  w. 


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456  Siebeutes  KapiteL 

Auf  diese  Weise  bleibt  die  ganze  überuuH  grossti  Verschiedea- 
heit,  welche  die  GcBchicbte  in  den  TerEchiedeneo  Gebieten  der 
slavischen  Welt  geschaffen  hat,  nicht  nur  den  Stäntmen,  sondern 
auch  den  gebildete«  Kreieen  der  Geaellschaft  unbekannt.  Des- 
halb spricht  sich  das  Gefühl  des  Zusammeuhanges  mit  dem  Ge- 
sammtslaTentbum  eben  fast  nur  als  Gefühl  aus,  kommt  etoss- 
weise  zum  Vorschein  (wie  selbst  in  den  Ereignissen  der  Jahre 
1875 — 78),  wenig  begleitet  von  der  Forderung  ernsten  Studiums, 
beständiger  Aufmerksamkeit  und  beständigen  Interesaes:  es  lassen 
sich  daher  auch  die  Offenbarungen  dieses  Gefühls  nicht  leicht  vor- 
aussehen  —  sie  können  kommen,  können  aber  bei  ähnlichen  An- 
lässen auch  ausbleiben.  Klar  ist  jedoch,  dass,  wenn  sich  dieses 
Gefühl  zu  einer  bewussten  Empfindung  entwickeln,  zu  einer  „Ein- 
heit" (in  welchem  Grade  auch  immer,  sei  es  poUtJBcber  Solida- 
rität, Bildungseinheit,  ja  einfach  wissenschaftlich-literarischer 
Verbindung)  fuhren  soll,  dazu  die  zufälligen  und  unvollständigen 
literarischen  Beziehungen,  wie  sie  bisher  bestehen,  durchaus 
nicht  ausreichen.  Es  muss  die  Möglichkeit  einer  unmittelbare» 
Bekanntschaft  und  Besprechung  vorhanden  sein;  mau  zog  den 
SchlusB,  dass  vor  allem  „eine  gesammtslaviscbe  Literatursprache-' 
nöthig  sei. 

Wir  werden  hier  die  verschiedenen  Versuche,  das  Problem 
dieser  Sprache  zu  lösen,  wie  sie  bisher  gemacht  worden  sind', 
nicht  durchnehmen  und  nur  bei  der  Hypothese  verweilen,  die  in 
Russland  am  meisten  verbreitet  ist,  dass  nsjnlich  das  Russi- 
sche diese  Sprache  werden  müsse. 

Zur  gegenseitigen  Verbindung  bedürfen  die  Slaven  einer  ge- 
meinsamen Literatursprache^  zum  Widerstand  gegen  die  fremden, 
erdrückenden  Einflüsse  bedürfen  sie  der  Unterstützung  einer  weit- 
reichenden moralischen  Kraft.  Dieses  Mittel  und  diese  Kraß, 
die  ihnen  helfen  werde,  eine  Nation  zu  werden,  könne  ihnen 
nur  die  Annahme  der  russischen  Sprache  als  Sprache  der  Bil- 
dung und  der  Literatur  liefern.  Nur  auf  diese  Weise  können 
sie  ein  festes  Centrum  finden,  um  das  sie  ihre  zersplitterten 
Kräfte  sammeln  könnten.  Die  F^inführung  der  russischen  Sprache 
würde  auch  die   innern  Fragen   des  westlichen   und    nördlichen 


■  Hinsichtlich  der  Kinzelheiteit  verweigen  wir  üen  Leser  auT  den  .Ar- 
tikel „Der  literar.  PanBlavismiiH"  (iiibb.  im  „Vöstnik  Kvrop."  1879;  dent^rb 
in  „RusBische  Revne",  XIV.  Bd.,  1879). 


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Die  RenaiHatice.  457 

älaventh Ullis  vorwärts  biiDgeu,  die  StamcaeEfeincIscliuft  versöliueii 
und  die  Müglichkeit  geben,  mit  dem  EinäuBB  anderer  Nationen 
zu  kämpfen,  welche  jetzt  auf  dem  Slaventhum  lasten.  Vor  allem 
könnten  und  sollten  die  Bulgaren  und  Serben  die  rassische 
ijprsche  als  Sprache  der  Wisaeuschaft  und  der  höhern  Bildung 
annehmen  —  wobei  sie  ja  ihre  Sprache  in  der  Verwaltung,  bei 
Gericht,  in  der  Schule,  in  der  poetischen  Literatur  und  in  rolks- 
thümlich  praktischen  Biichern  behalten  könnten ;  darauf  auch  die 
andern  Slaven.  Das  russische  Volk  solle  hierin  seinen  „armen 
und  schwachen  Stammesgenossen"  helfen,  vor  denen  es  »ich 
diu'ch  äussere  Macht  und  „Reichthümer  an  geistigen  Kräften^'  aus- 
zeichne (Lamanskij). 

Kundgebungen  von  dieser  Nothwendigkeit  einer  gemeinsamen 
Literatursprache  (oder  in  einer  engern  Grenze:  einer  gemein- 
samen Sprache  der  höhern  Bildung  und  Diplomatie,  d.  i.  einer 
Sprache  der  gegenseitigen  ölfentlichen  und  literarischen  Beziehun- 
gen) erfolgten  schon  öfter  nicht  nur  von  russischer  Seite,  son- 
dern auch  von  andern  Slaven ,  und  zwar  besonders  zu  Gunsten 
der  russischen  Sprache.  Die  Form  der  Kundgebungen  bestand 
meist  im  Ausdruck  der  Ueberzeugung  von  der  Wichtigkeit  dieser 
Frage,  und  dann  in  Einladungen,  diese  Annahme  der  gemein- 
samen Sprache  zu  vollziehen.  Wir  selbst  theilen  die  Ueberzeu- 
gung, dasB,  wenn  es  möglich  wäre,  die  Einbürgerung  einer  solchen 
gemeinsamen  Literatursprache  zu  bewerkstelligen,  dies  ein  grosser 
Gewinn  für  die  Slaven  sein  würde;  aber  wir  waren  auch  immer 
der  Meinung,  die  Frage  sei  so  schwierig  und  viel  umfassend, 
das8  darin  alle  privaten  Wünsche  der  Art  machtlos  seien;  sie 
wird  auch  nicht  durch  das  Medium  der  Literatur,  sondern  durch 
weitgreifende  historische  Bedingungen,  durch  die  Richtung  des 
gesammten  politischeu  Lebens  des  Slaveuthums  und  Kusslauds 
und  durch  den  Gang  ihres  Bildungslebens  entschieden  werden. 

Theoretisch  betrachtet,  stellt  sich  zuerst  die  Frage  ein:  ist 
es  denn  nothwendig,  dass  die  slavischen  Stämme  durchaus  eine 
Nation  bilden?  Die  slavischen  Stämme  des  Westens  und  Südens 
könnten  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  concentrireu  (z.  B.  die. 
südlichen  Stämme  in  eine  Gruppe ,  die  cechoslovakischen  in  eine 
zweite,  die  Polen  in  eine  dritte)  und  Sonderleben  führen,  wie 
es  die  Schweden  und  Dänen  gesondert  vom  Deutschthum  fuhren. 
Die  Nationalität  ist  eine  Naturkraft,  die  nicht  nach  abstracten 
Erwägungen  lebt  und  wirkt,   sondern  nach  dem  eigenen  innern 

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458  SiebenUs  Kapitel. 

Streben  and  zwiagendüu  äUBSurn  Umständen.  Welche  zwingende 
Macht  würde  hier  den  natürlichen  Instinct  der  Selbsterhaltung 
der  Nationalität  Ubarwinden  und  hesonderE  das  weatlicke  Slareu- 
thum  uütbigen,  die  ruseische  Sprache  unzunehmen? 

Eine  solche  Wahrscheinlichkeit  könnte  man  noch  für  die  Bul- 
garen annehmen,  da  die  Sprachen  einander  einigermasseu  nahe 
stehen,  die  nationale  Religion  dieselbe  ist,  auch  Nachbarschaft 
und  jetzt  politische  Verbindungen  vorhanden  sind  (wenn  die  letz* 
teru  sich  zu  gesellschaftlichen  entwickeln).  Sie  ist  schon  geringer 
für  die  Serben,  die  geographisch  weit  zerstreut,  in  religiöser  Be- 
ziehung getheilt  sind,  zum  Theil  schon  lange  deutsche  Eiutlüstiu 
erfahren  haben.  Noch  geringer  ist  diese  Wahrsclieiulichkeit  für 
die  Gechen,  bei  welchen  anter  Erhaltung  der  gleichen  Dynastie 
und  bei  den  gleichen  Bedingungen  politischer  Nachbarschaft,  die 
Annahme  der  ruesiscben  Sprache  mit  ihren  Folgen  eine  völlige 
Uüvolution  wäre ;  und  bei  einem  Umschwung  zu  Gunsten  der  Föde- 
rativverfassung, der  nicht  unmöglich  ist,  werden  sich  die  slavi- 
schen  Stämme  in  Oesterreich  vielleicht  noch  eifriger  die  Erbaltaug 
ihrer  ethnographischen  Eigenthümlichkeiten  angelegen  sein  lassen. 

Die  russische  Sprache  soll  nach  den  Worten  der  Theorie  den 
West-  und  Südslaven  unter  auderm  den  Vortheil  bringen,  dass 
sie  die  Möglichkeit  gibt,  Russland  kennen  zu  lernen,  das  ver- 
gleichende Studium  der  sisviscben  Sprachen,  des  Volkslebens  und 
der  Volkspoesie  u.  s.  w.  erleichtert.  Ohne  Zweifel  ist  das  der 
FhII;  aber,  was  wir  oben  über  die  verwunderliche  Unkenntniss 
Itusslands  bei  den  Slaven  gesagt  haben,  zeigt,  dass  der  Grund 
der  Unkenntniss  tiefer  liegt  als  in  dem  Unvermögen,  russische 
Bücher  za  lesen.  Die  Cecben  und  überhaupt  die  österreichi- 
schen Slaven  könnten  wenigstens  deutsche  Werke  oder  Ueher- 
setzuugen  über  Kussland  lesen;  aber  wir  haben  Grund  anzuneh- 
men, dass  auch  diese  Literatur  bei  ihnen  sehr  wenig  bekannt  ist, 
—  dessen  zu  gescbweigen,  dass  es  in  der  ganzen  weatelavischen 
Literatur  nichts  über  Russland  gibt,  was  solchen,  von  Auslän- 
dem geschriebenen  Werken  nahe  käme,  wie  den  Büchern  von 
Mackenzie  Wallace  oder  Ramheau.  Die  Slaven  —  könnte  man  eher 
sagen  —  kennen  nicht  deshalb  Russland  nicht,  weil  sie  nicht  rus- 
sisch lesen,  sondern  umgekehrt,  sie  lesen  nicht,  weil  sie  Russland 
nicht  kennen,  fern  von  ihm  sind  und  kein  wirkliches,  bewusstes 
Interesse  für  dasselbe  haben.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
diese  Unkenntniss  ein  grosser  Mangel  der  slavischen  Intelligenz 

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Die  ReosiaaADce.  459 

ist;  aber  er  ist  offenbar  nicht  oboe  Ursache.  Wahi-scheinlich 
fanden  die  Slaven  in  der  ruBsischen  Literatur  (wie  sie  bisher 
war,  und  wie  lange  wird  sie  noch  so  bleiben  V)  etwas  Kremdarti- 
geb  oder  etwas  Ungenügendes:  Fremdartiges,  weil  ihnen  das  rus- 
sische Leben  selbst  und  die  russische  Geschichte  nicht  nahe 
stehen,  und  Ungenügendes,  weil  denjenigen  Slaven,  die  in  ihr 
Stoffe  einer  „höhern  Bildung"  suchen  würden,  die  russische  Lite- 
ratur diese  in  ihrer  gesuchten  und  gebührenden  Vollständigkeit 
nicht  geben  könnte. 

Dies  fuhrt  uns  zu  dem  Argument  der  Theorie,  dass  die  rus- 
sische Sprache  „sozusageu  mit  jedem  Jahrzehnt  immer  mehr  den 
Chai-akter  einer  Wettsprache  erlange,  wie  das  Englische,  Deutsche 
und  Französische".  Wenn  die  russische  Sprache  wirklich  eine 
solche  Bedeutung  erlangte,  so  würe  dies  der  stärkste  Beweggrund, 
der  ihr  die  literarische  HeiTScbaft  auch  in  der  slavischen  Welt 
verschaffen  könnte.  Ob  es  dazu  kommen  wird,  und  wann,  lassen 
wir  auf  sich  beruhen,  und  wollen  nur  einiges  darüber  bemerken, 
welche  Umstände  eine  Sprache  zur  ,, Weltsprache"  machen,  und 
ihr  die  Möglichkeit  geben,  Sprache  der  höhern  Bildung  bei  Stäm- 
men zu  werden,  die  eigentlich  eine  andere  Sprache  benutzen. 

Erstens  sind  einige  slavische  Sprachen  nicht  gar  so  ohnmäch- 
tig zum  Dienst  der  „hohem  Bildung"  —  z.  B.  die  ^«chische  und 
polnische;  auch  bei  den  Cechen  hat  sich  in  so  kurzer  Zeit  eine, 
wenn  auch  sehr  künstliche,  so  doch  mannichfaltige  Literatur- 
sprache- entwickelt,  dass  sie  dieselbe  um  so  mehr  schätzen  und 
stolz  auf  sie  sind.  Von  der  polnischen  Sprache  braucht  man 
gar  nicht  zu  reden.  Und  wenn  die  Cechen  in  die  Nothwen- 
digkeit  versetzt  würden,  ihre  Sprache  aufzugeben,  so  würden 
sie  —  bei  einer  Lage  der  Dinge,  die  der  jetzigen  ähnlich  wäre 
—  als  Ersatz  dafür  eher  die  deutsche  als  die  russische  Sprache 
nehmen.  Slavische  Gelehrte,  und  sogar  eifrige  Patrioten,  wen- 
deten von  alters  her  und  noch  bis  heute  die  deutsche  Sprache 
an,  wenn  es  sich  um  weite  Interessen  der  Wissenschaft  und  Po- 
litik handelte  (Dobrovsky,  Kopitar,  Safarik,  Palacky,  Koltär, 
Wocel,  Miklosich,  Tkalac  [Weber],  Utiesenoviii,  Jagi6  u.  v.  a.); 
auch  die  russische  Sprache  hat  noch  sehr  viel  zu  thun  im  Ge- 
biet der  höhern  Bildung,  um  in  der  slavischen  Weit  die  zur 
Ueberwindung  der  verwandten  Sprachen  und  des  im  Öster- 
reichischen Slaventhum  sehr  verbreiteten  Deutschen  die  nöthige 
Autorität  zu  erlangen. 

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460  Siebentes  Kapitel. 

Die  franzoäische,  deaUcbe,  engliecbe  Sprache  heissen  mit 
Ilecht  Weltfipraclien ,  weil  sie  tbatsäcblich  eine  grosse  Rolle  in 
der  Geschichte  der  allgemein-menschlicben  Entwickelung  spielten 
und  weil  sie  auch  eine  überaus  weite  äussere  Verbreitoug  haben. 
Die  Kenntniss  derselben  ist  für  denjenigen  unentbehrlich,  der 
sich  „höhere  Bildung"  aneignen  oder  mit  Erfolg  für  dieselbe 
arbeiten  will.  In  diesen  Sprachen  sind  die  tiefsten  Probleme 
nnd  Lösungen  des  modernen  Gedaokens  ausgesprochen,  bedeutend 
nicht  nur  in  der  bcsondem  nationalen  Sphäre,  sondern  überall, 
wo  es  sieb  um  die  Ideen:  Gott,  Natur,  Mensch,  GeBellscbaft, 
Wissenschaft,  Kecbt  u.  s.  w.  gehandelt  hat.  In  der  antiken  Welt, 
der  Vorgängerin  unserer  Civilisation ,  gehörte  diese  sogenannte 
allgemein-meDschlicbe  Bedeutung  der  griechischen  Sprache  und 
Literatur  an;  dann  ging  diese  Bolle  auf  die  lateinische  Spraclie 
über  und  sie  blieb  lange  die  Sprache  der  hohem  Bildung,  bis 
aiiH  Ende  des  Mittelalters  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
sogar  noch  später.  Die  Weltbedeutung  dieser  Sprachen  war 
eine  solche,  dass  in  der  Peiiode  der  westeuropäischen  Beuais- 
!>ance  das  Studium  des  classischen  Alterthums  einen  neuen  Um- 
schwung in  der  Entwickelung  der  europäischen  Bildung  hervor- 
brachte. In  neuerer  Zeit  kommt  eine  solche  Bedeutung  der  fran- 
zösischen, deutschen  und  englischen  Sprache  zu,  durchaus  nicht 
deshalb,  weil  dies  Sprachen  grosser  Länder  und  Völker  sind 
(China  ist  grösser  als  sie  alle  zusammen),  sondern  weil  diesen 
Völkern  die  Arbeit  der  höchsten  menschlichen  Erkenntniss  und 
die  grössten  Werke  der  Poesie  angehören;  ~  durch  diese  Kraft 
gewinnen  die  genannten  Sprachen  auch  ausserltch  eine  Welt- 
verbreitung, indem  sie  neue  Theile  der  Welt  in  ihr  Bereich  auf- 
nehmen.' England  schritt  an  der  Spitze  der  europäischen  Ent- 
wickelung vom  17-  Jahrhundert  an;  im  Ig.  Jahrhundert  setzte 
das  Werk  der  englischen  Denker  die  französische  Literatur  fort, 
die  eine  gesammteuropaische  wurde;  vom  Ende  des  18.  nnd  im 
10.  Jahrhundert  gesellt  sich  zu  ihnen  die  tiefe  und  bedeutungs- 
volle Thätigkeit  der  deutschen  Wissenschaft  und  Poesie.  Das 
ist  das  Gebiet,  auf  welchem  sich  die  russische  Sprache  eine 
„Weltbedeutung"  zu  erobern  hat.  .  .  .  Die  einfache  Wahrheits- 
liebe muss  bekennen,  dass  die  russische  Sprache  noch  weit  bis 
zu  einer  solchen  Bedeutung  hat.  Die  russische  Literatur  hat  im 
letzten  Jahrhundert  viele  bemerk  euswerthe  Erscheinungen  ge- 
schaffen, die  tbatsäcblich  das  Recht  geben,  von  ihr  eine  kräftige 

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Pip  RenaiBMiQce.  461 

Entwickelung  in  dei'  Zukunft  /u  erwarten,  eine  Entwickelung  in 
den  Verhältnissen  der  eiiropäiBclieii  Hauptliteraturen,  —  aber 
jetzt  ißt  sie  noch  weit  davon  entfernt,  und  ihre  Werke,  reich 
durch  innern  Werth  und  hochwichtig  in  ihrer  eigenen  Mitte, 
haben  für  andere  Völker  immer  noch  ein  mehr  ethnologischem 
Interesse.  Wer  in  der  russischen  Literatur  Früchte  einer  „höhern 
Bildung"  suchen  wollte,  würde  bald  seinen  Irrthum  einsehen  und 
sich  zu  andern  Quellen  wenden,  wo  er  tbatsächlich  diese  Früchte 
frischer  und  vollständiger  finden  wird,  als  in  der  russischen  un- 
vollständigen und  ungetreuen  Wiedergabe.  . . .  Zur  Erlangung  einer 
Weltbedeutung  mues  sich  eine  Literatur  durch  grosse  Werke  der 
Wissenschaft  und  der  Poesie  auszeichnen,  die  mit  aller  Freiheit 
philosophischen  Denkens  und  nationaler  poetischer  Schöpfer- 
kraft erfüllt  sind;  und  dazu  sind  durchaus  Bedingungen  des 
öffentlichen  Lebens  nöthig,  wie  man  sie  bisher  in  Russlnnd  nirht 
hatte  und  noch  jetzt  nicht  hat.  Auf  die  Nothwendigkeit  solcher 
Bedingungen  wies  schon  Stür  hin,  als  er  {vor  fast  30  Jahren)  von 
der  Nothwendigkeit  sprach,  dass  dieSlaven  die  russische  Sprache 
als  allgemeine  Literatursprache  annähmen,  und  als  zur  Zeit  des 
.  moskauer  slavischen  Congresses,  I8C7,  in  der  russischen  Presse 
aliermals  von  der  Annahme  der  russischen  Sprache  seitens  der 
Slaven  die  Hede  war,  wurden  sogar  aus  dem  Lager  der  Slavo- 
philen  einige  sehr  kräftige  Ii^nwendungeu  gemacht,  die  aus  der 
Lage  der  russischen  Wissenschaft,  des  öffentUcben  Lebens  und 
der  Cultur  genommen  waren.'  In  welcher  I-age  sich  die  russi- 
sche Presse  befindet,  und  oh  bei  derselben  eine  Literatur  mög- 
lich ist,  die  autoritativ  fiir  Völker  sein  könnte,  welche  (wie  z.  B,  die 
Cechen,  die  Österreichischen  und  preussischen  Polen,  die  öster- 
reichischen Serbo  -  Kroaten ,  ja  sogar  die  Bulgaren)  europäische 
Pressfi-eiheit  haben,  darüber  halten  wir  es  für  überflüssig,  uns 
des  weitern  zu  verbreiten.* 


I  Vgl.  Htür,  „Slftvjanstvo  i  mir  buduH-ago",  S.  l'ii,  181-182;  dieZei- 
tiinfc  „Hoskva",  1867,  Nr.  86,  97. 

'  Wir  fübreri  nur  als  Beispiel  an,  dasa  in  ilen  letzUiii  Jabreii  in  die 
ru«Bisohe  Presse  so  gemässigte  Werke  Dicht  gelangen  konnten,  wie  clan 
Buch  von  Lecky  über  die  Gesehiclite  des  Rationalismus  und  sogar  das  1ic- 
kniiDte  Buch  von  Finia)'  ijber  die  Geschichte  von  Byzanz.  Andererseil» 
war  bei  den  Serben  z.  It.  eine  Uebersetj:ung  des  BiioLeü  von  Renan  möglioh 

AVir  bemerken  noch,  dass  in  Russland  bis  in  die  li^tzte  Zeit  die  Publi- 
calinnen  dpr  galiKiscIi-russinphen  Litt-ratur,  die  Zi'it Schriften  der  österreicbi- 


.....Gooj^lc 


463  Siebentes  Kapitel. 

Wenn  eich  also  auch  die  KenntniBS  der  russischen  Sprache 
unter  den  Slaven  verbreiten  würde,  so  würde  doch  bei  der 
rechtlosen  Lage  der  Presse,  bei  der  Unfreiheit  der  Wissen- 
schaft, die  russische  Literatur  in  keiner  Weise  die  Abhängigkeit 
des  Slaventhums  von  der  deutschen  oder  einer  andern  Bildung 
und  Literatur  beseitigen,  und  die  Annahme  der  russischen  Sprache 
seitens  der  Slaven  ist  undenkbar.  Oder  es  miisste  sich  denn  die 
russische  Literatur  bis  zu  einem  Grade  heben,  dass  sie  frei  für 
eine  „höhere  Bildung"  arbeiten  könnte,  und  dann  läuft  die  Sache 
auf  die  Frage  von  den  Eigenschaften  der  mssischen  Cnltur  hio- 
nus.  Dies  nicht  zu  sehen,  ist  nur  möglich,  wenn  man  die  Augen 
den  Thatsachen  gegenüber  absichtlich  verschliesst. 

Endlich  angenommen,  die  russische  Literatur  habe  diejenigen 
Culturbedingungen  erlangt,  von  denen  wir  sprachen,  habe  die 
Freiheit  der  Wissenschaft  und  die  Freiheit  der  Presse  erlangt, 
so  würde  dies  ohne  Zweifel  ihre  Entwickelung  und  ihren  Ein- 
fluss  im  Slaventhum  überaus  fordern;  aber  auch  dann  darf  die 
Frage  noch  lange  nicht  für  gelöst  gelten.  Wenn  man  sagt,- die 
russische  Literatur  wachse  (trotz  aller  Schwierigkeiten)  mit  „je- 
dem Jahrzehnt",  so  wachsen  ebenso  oder  noch  stärker  auch  die- 
jenigen Literaturen,  mit  denen  sie  zu  rivalisiren  hätte,  und  mit 
jedem  Jahrzehnt  wird  in  den  neuen  slavischen  Literaturen  das 
Gefühl  ihrer  Besonderheit  kräftiger,  die  um  so  wertbvotler  für 
diese  Stämme  werden  muss,  je  grösser  die  Anstrengungen  sind, 
mit  denen  dieselbe  gegen  den  Einfluss  fremder  Völker  von  ihnen 
gewahrt  wird. 

Die  Schriftsteller  der  altern  Generationen  haben  schon  über 
diese  Gegenstände  nachgedacht  und  die  verständigern  von  ihnen 
wiesen  in  dieser  Frage  noch  auf  eine  Seite  hin,  die  ohne  Zweifel 
überaus  wichtig  ist,  nämlich  dass  eine  geistig -literarische  Ein- 
heit nur  durch  grosse  historische  Thaten  erlangt  werden  könne, 
deren  Einfluss  vom  gesnmmten  Slaventhum  empfunden  wnr> 
den  sei.' 


Botaen  Serben  (x.  B.  die  „Straza"),  niciit  zugelassen  wurden ;  in  den  aeehnfc^r 
Jahren  {r.  o.)  geschah  dasselbe  mit  den  patriotischen  Publicniionen  der  Bal- 
garen, von  polnischen  Büchern  gar  nicht  zu  reden. 

'  Safatik  schrieb  aus  AnlasB  einer  „gesammtalaviichen"  Sprache  und 
Schrift  schon  182G;  „Welcher  TOn  den  Blavisohen  Dialekten  nad  welches 
slaviflche  Alphalipt  die  grsut)  mit  sin  vi  sehen  sein  werden,    das  wird  nicht  die 


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Die  ReD&iManoe.  463 

Wenn  es  sich  fügte  (auc)i  unserer  Ansicht  nach  wäre  dies 
ein  grosses  Glück  für  die  slavischen  Völker),  dass  dies«  Eini- 
gung in  Literatur  und  Bildung  zu  Stande  käme,  so  möchten  wir 
auch  meinen,  dass  das  literarische  Bindeglied  nur  die  russische 
Sprache  sein  könnte  —  nicht  nur  der  grossen  Volkszahl  halber, 
nicht  nur  wegen  der  politischen  Bedeutung,  worin  das  russische 
Volk  der  einzige  kräftige  Vertreter  des  Slaventhums  ist  {oder 
sein  könnte)  —  sondern  vor  allem  aus  Erwägungen,  die  sich  auf 
die  Literatur  beziehen.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  in 
unserer  Zeit  ein  breites  und  festes  nationales  Leben  nicht  mög- 
lich ist  ohne  eine  kräftige  Entwickelung  der  Wissenschaft,  dass 
„sich  ohne  Wissenschaft  keine  einzige  Nationalität  erhalten  kann" 
(d.  i,  eine,  die  durch  eine  rivaltsirende  Cullur  berührt  wird);  die 
überaus  complicirte  Wissenschaft  unserer  Zeit  erfordert  grosse 
materielle  Mittel,  und  diese  Mittel  kann  nur  eine  starke  Na- 
tion bieten.  Auf  dieser  Grundlage  und  bei  den  reichen  Ga- 
rantien, die  von  der  russischen  Wissenschaft  und  Poesie  schon 
geboten  werden,  möchten  wir  meinen,  dass  das  ethisch-nationale 
und  Bildungscentrum  des  Slaventhums  nur  Russiand  sein  könne 
—  aber  dies  versteht  weder  die  russische  Gesellschaft  (wir  spra- 
chen oben  von  der  Lage  der  russischen  Wissenschaft  und  Lite- 
ratur), noch  die  slavisclie  Welt  richtig,  und  bei  der  letztern  ist 
dieses  Nichtverstehen  um  so  entschuldbarer,  als  es  sogar  den 
Russen  selbst  an  Verstandniss  fehlt. 

Sonach  herüben  die  Erfolge  des  russischen  Einflusses  in  der 
slavischen  Welt  und  die  Richtung  der  nationalen  Entwickelung 
des  Slaventhums  wesentlich  auf  der  Stellung  der  Wissenschaft 
und  überhaupt  der  Bildung,  der  Cultur  und  Literatur  in  Russ- 
iand selbst.  .  .  . 

Wenn  sich  die  Bedingungen  nicht  bald  ändern  und  nicht  dir 
Möglichkeit  einer  breiten  und  freien  Entwickelung  der  nissiKclien 
Bildung  eintritt,  so  ist  schon  früher  ausgesprochen  und  taucht 
jetzt  der  Gedanke  bei  den  Parteigängern  des  Slaventhums  selbst 


Feder  euUcheiden,  äaa  cotsubeiilet  uar  da»  Schwert;  Stmme  vou  Blut  wer- 
den die  Züge  der  Buuhstabeu  graben  —  dort,  wo  ihrer  am  meUton  fliesaen 
werden,  dort  wird  die  geaammUlsvisohe  Spraehe  und  das  gexainmtalaviBehc 
Alphabet  eulKteheo"  (im  rechisclifn  „fasopis"  lfi74,  S.  fiSl.  Vgl.  die  Worte 
Kopitar'ii  und  Dolirnvskf's,  eitirt  von  V,  Lftmnnnkij  im  Zur,  Min.  Xnr.  Priisv., 
1HH0,  Juni.  ».  ätr.. 


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464  Siebentos  Kapitel. 

wieder  auf,  dass  die  slavieche  Bewegung  auch  ohne  Russland 
vor  sich  gehen  kann.  Leider  kann  man  nicht  sagen,  dass  die 
letztere  Zeit  zu  dieser  Meinung  keine  Veranlassung  gäbe,  beson- 
ders da  Oesterreich  dem  Anschein  nach  geneigt  wird,  das  natio- 
nale Recht  der  Slaven,  ihre  locale  Autonomie  und  Sprache  an- 
zuerkennen. Eine  Verbesserung  der  politischen  Lage  kann  sehr 
wahrscheinlich  das  politische  und  darauf  auch  das  titerari- 
sche Interesse  für  Russland  und  —  für  die  slavisclie  Einheit 
schwächen.  .  .  . 

Nach  diesen  Phantasien  über  die  slavisclie  Einheit  unter  der 
Hegemonie  Russlands  erübrigt  es  noch,  einige  Worte  über  eine 
Thatsache  zu  sagen,  welche  den  Gegensatz  zu  jenen  Phantasien 
bildet  und  nicht  selten  eifrige  Anhänger  der  Einheit  beunruhigt 
hat  —  d.  i.  über  die  gegenwärtige  Spaltung  der  slaviscben  Lite- 
raturen. Es  scheint,  als  ob  dieselbe  immer  mehr  wachse.  Eb 
gab  Gelegenheiten,  wo  selbst  die  Förderer  nnd  Enthusiasten 
der  slavi&chen  Renaissance  gegen  neue  Literaturen  auftraten, 
indem  sie  vergassen,  dass  die  ganze  Erneuerung  des  nationalen 
Lebens  der  Slaven  aus  ebenderselben  Quelle  hervoi^egangen  ist, 
welche  die  neuen  kleinen  Literaturen  hervorbrachte.  So  traten 
die  Oechen  in  dem  früher  genannten  Sammelwerk  („HIasove") 
gegen  die  slovakische  Literatur  auf;  so  war  man  in  Russland 
ungehalten  über  die  kleinrussischen  literarischen  Versuche.  Ueber 
beides  haben  wir  schon  früher  eingehend  gesprochen.  Die  Frage 
von  der  Existenzberechtigung  der  kleinen  Literaturen  ist  dort 
undenkbar,  wo  das  Recht  der  Literatur  überhaupt  keinem  Zweifel 
unterworfen  wird.  Wenn  jene  Literaturen  auftauchen,  so  haben 
sie  damit  schon  ihr  Recht;  wenn  die  Förderer  derselben  die  Kräfte 
ihrer  Nation  überschätzen,  so  tritt  dies  von  selbst  zu  Tage;  eine 
zwangsmässige  Gegenwirkung  gegen  die  Entwickelung  derselben 
Rchadet  sowol  dadurch,  dass  sie  in  die  Stammesbeziehungen  eine 
neue  Dosis  von  Feindschaft  hineinträgt,  als  auch  dadurch,  da«8 
sie  Kundgebungen  der  Nationalität  beengt  und  erstickt,  die  von 
den  ersten  Förderern  der  Renaissance  als  knospende  Blüten  des 
ethisch-nationalen  Bewusstseins  hocbgeschätzt  wurden.  Die  Lite- 
ratur eines  grossen  Volkes,  die  auf  dem  Wege  ist,  in  die  Reihe 
der  Weltliteraturen  einzutreten,  würde  sich  nur  bereichern,  wenn 
Hie  Hchwesterliteraturen  neben  sich  hat,  über  die  sie  gleichwol 
herrschen  würde,  aber  durch  Bedrückung  derselben  compromit- 
tirt  sie  ihre  eigene  Würde.     Die  Herrschaft    einer   Sprache  nnd 

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Die  RenaiBBuice.  466 

Literatur  muss  durch  die  Kraft  ihrer  inoem  Autorität  erlangt 
werdeo,  aber  nicht  durch  Zwang  und  RegieniogsmasBregelu. 


Während  der  letzten  Jahrzehnte  haben  sich  die  allgemeinen 
Verhältnisee  der  BlaTischen  Literaturen  wenig  geändert.  Noch 
immer  sind  ihre  Kräfte  zu  ungenügend;  wie  früher  droht  slavi- 
schen  Völkerscliaften  die  Oefahr  fremden  Joches  oder  dieees 
drückt  sie  noch  und  der  Verfall  der  Nationalität  dauert  fort; 
die  „Gegenseitigkeit"  ist  schwach;  jene  elementaren  Ziele,  die 
den  Literaturen  der  sl&?i&chen  Völker  vor  Augen  stehen  soUten 
und  in  der  gegenseitigen  Annäherung,  Uebereinstimmung  and 
Versöhnung  liegen,  siud  bei  weitem  noch  nicht  erreicht.  Aber 
vieles  ist  geschehen,  und  Zeichen  einer  bessern  Zukunft  sind 
vorhanden. 

Das  bedeutendste  Ereigniss  der  letzten  Jahre  war  der  Ein- 
tritt einer  neuen  freien  Nationalität,  der  bulgarischen,  in  den 
slariscben  Kreis;  es  war  dies  ohne  Zweifel  aach  eine  gewichtige 
Thatsache  des  slaviscben  Bewusstseins.  Zwar  gibt  es  in  diesem 
Ereigniss  noch  Unklarheiten,  es  gibt  darin  „unenträthselte  Er- 
scheinungen" für  fremde,  ja  für  einheimische  Beobachter;  es  ist 
noch  schwer  zu  sagen,  auf  welchen  Wegen  darin  die  slaTische 
Solidarität  gewirkt  hat,  aber  sie  hat  gewirkt.  Man  muss  an- 
nehmen, dasB  das  jetzt  Räthselhafte  immer  mehr  zu  einer  sicht- 
baren und  bewussten  Kraft  werden  wird.  Von  bulgarischer  Seite 
wirkten  bei  der  Abwerfung  des  Joches  und  der  Aufstellung  der 
neuen  Ordnung  die  alten  und  die  jungen  Patrioten  mit,  welche 
in  der  Kirchenfrage  gelüjnpft,  in  der  Literatur  und  in  dfir 
Schule  gearbeitet,  die  Pläne  zur  Befreiung  geschmiedet  und  sich 
mit  ihnen  in  der  Emigration  abgemüht  hatten.  Ein  zweites 
wichtiges  Ereigniss  war  die  Tor  kurzem  erfolgte  ^  Erweiterung 
der  nationalen  Gleichberechtigung  in  Oesterreich.  Auf  dem  Ge* 
biete  der  Literatur  ist  eine  neue  Entwickelung  der  gelehrten 
Thätigkeit  zn  vermerken,  die  sich  durch  die  Gründung  zweier 
slawischer  Akademien  —  in  Agram  und  Krakau  —  aussprach 
und  überhaupt  durch  die  Ausbreitung  der  historisch-ethnographi- 
schen Literatur.  Die  slavischen  Forschungen  wachsen  in  ver- 
schiedenen Richtungen  und  weit  mehr  als  früher  zeigen  sich 
Beispiele  gegenseitigen  und    gcsammtslavischen  Studiums.    Naoh 

ptria,  alailuhaLIMralDno.   11,».  3Ü 

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466  Siebentes  Kapitel.    Die  Heimisaance. 

der  ersten  Generation  der  SlaTisten,  an  deren  Spitze  Ssfenk 
als  Gelehrter  und  Kollar  als  Dichter  des  Fanslavismas  standen, 
und  in  deren  Reihen  die  ersten  russischen  Professoren  der 
„slavischen  Dialekte"  einfluesreich  arbeiteten,  wirkte  und  wirkt 
eine  Reihe  bedeutender  Gelehrter,  wie  Miklosich,  Jagi£,  Hilfer- 
ding, Lamanskij,  MakuSev,  Kotljarevskij,  Raöki,  Perwolf  a.  a.  mit 
gesammtslaTischem  Interesse  auf  verschiedenen  Gebieten  des 
historisch- philologischen  Wissens.  In  dem  Kreise  der  gegensei- 
tigen Forschungen  erinnern  wir  insbeeonders  an  die  Arbeiten 
Bogi§i6's  auf  dem  Gebiete  des  Gewohnheitsrechte  der  Südslaven, 
der  Gesetzgebung  von  Montenegro,  und  auf  die  Arbeiten  Ton 
KonstAntin  Jire£ek  dem  Jüngern,  der  den  Bulguren  eine  Ge- 
schichte ihres  Vaterlands  gerade  im  Moment  ihrer  Be&eiung  gab. 

Nicht  wenige  nationale  Illnsionen  sind  noch  vorhanden,  aber 
die  historische  Erfahrung  häuft  sich  und  lehrt,  sich  kritischer 
zur  Vergangenheit  und  zu  der  gegenwärtigen  Wirklichkeit  za  ver- 
halten. 

Noch  sind  alte  Feindschaften  nicht  ausgesöhnt  (and  werden 
wol  auch  noch  lange  nicht  versöhnt  werden),  aber  man  kann 
doch  wenn  auch  nur  die  Anfänge  einer  noch  nicht  dagewesenen 
Erscheinung  bemerken,  nämlich  Versuche  einer  von  beiden  Sei* 
ten  ausgehenden  Versöhnung  zwischen  zwei  BruderstämmeO,  zwei 
historischen  Feinden  —  der  russischen  und  der  polnischen  Na- 
tion, Versuche,  die  man  nur  mit  den  besten  Wünschen  begrnssen 
kann,  und  die  sich  vermehren  sollten  in  dem  Verhältnis»,  als 
sich  eine  unparteiische,  d.  i.  wahrhaft  historische  Kritik  ent- 
wickelt. 

Mit  dem  Wunsche,  dass  eine  solche  historische  Kritik  der 
slavischen  und  darunter  der  russischen  gelehrten  Welt  und  Ge- 
sellschaft die  wahren  Interessen  des  Slaventhume  klarmachen 
möge,  schliessen  wir  unser  jetziges  Werk. 

7.  (19.)  Juli  1880. 


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Er^nznngen  und  Berichtigungen.' 

Zum  I.  Band. 

S.  &.  C.  Courbiere,  „HiBtoire  de  Ja  litUrature  cooteroporaine  ohei 
lea  Slaves"  (Paria  1879). 

S.  12.  F.  MikloBich,  „Die  alaviBoheD  Elemente  im  Neugriechisohen" 
(Wien  1870). 

S.  28.  F.  V.  Kuba,  „Sravnitelnjja  etimologiSeekija  tablioy  slaTJan- 
Bkich  jaiykov"  {2  Bde.   St.  Petereburg  J877— 78.  4.) 

8.  36.  Die  Anfübrang  der  weitern  roaaiaobeii  Arbeiten  über  Cyrill  nnd 
Hetbod,  insbesondere  der  in  den  letztem  Jahren  encbieneneu,  hat  oicb 
der  VerfasBer  für  den  grosaruBBisohen  Theil  dea  Werkes  (den  dritten  Band) 
vorbehalten. 

S.  39.     [Z.  2  u.  3  T.  u.  sUtt  solidarjsohe Haft  1.  Oeaammtbürgachaft.) 

S.  51.  Watteubaoh,  „Beiträge  sur  Geschichte  der  ohristlioheD  Kirobe 
in  Mähren"  (Wien  1849). —  £•  Dümmler,  „Die  paunoniacbe  Legende".— 
L.  Leger,  in  seiner  Schrift  „Le  Monde  Slave"  (1873),  S.  XXX— XXXL 

S.  62.  [Zeile  7  v.  d.  statt  „sitaend  an  den  Weichsetn"  1.:  „an  der 
Weichsel".) 

3.  66.  V.  Teplov,  „Materialj  d^ja  sUtistiki  Bolgarii,  Frakii  i  Make- 
donii"  (St.  Petersburg  1877.  4)  mit  einer  Karte  der  Vertbeilnng  der  Be- 
TÖlkerung  nach  Glanbensbekenntnissen.  —  Reisen  in  den  slaTisohen  Ge- 
bieten der  eoropäisohen  Türkei:  Bnssisohe  Uebersetznng  des  Werkes  von 
Maekenzie  und  Irby,  mit  einem  Vorwort  von  Gladstone  (2 Bde.  St.Pe- 
teraburg  1878).  —  „Narody  Turoii.  Dvscat  16t  prebyvanija  sredi  Grekov, 
Bolgar,  Albanoev,  Turok  i  Anujan"  (aus  dem  Engl.  2  Bde.  St.  Petersburg. 
1679).  —  L.  Dobrov,  Jnznoe  Slavjanatvo.  Tnrcija  i  sopemiEeBtvo  evropq' 
akich,  pravitelstv  na  Balkanskom  poluostrovi.  Istoriko-politiEeskie  oCerki" 
(St.  Petenburg  1879).  —  K.  Jireöek,  „KnÜectvi  bnlharskÄ"  (im  Journal 
„Ost6U",  1878,  Nr.  5—6).  —  Zum  Werke  von  F.  Kanitz,  „Donaubu^nrien 
und  der  Balkan",  ist  zu  bemerken,  dasa  sieb  im  S.Bande  eine  Originalkarte 


ili  tat  iranla*.  In  [  ]  i<Mhlau«n<  Katiien  alnd  hier  DBr  dio  Ergliunngan  mi^Mhellt, 
dem  OrlglnsliieTk  beigegabm  lind,  und  big  lum  Abichlo»  dH»lb«n  im  lihn  IMO 
.  D«  Uabamtsar  nlsabt«,  ai  dabni  btwindtn  luian  ni  dUrftu.  dt  «  Ibm  kkom  mSr 
wOTdan  mtia.  Kr  aie  Foliwalt  etwu  EnchOpfandai  in  bieten. 


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468  Ergänzungen  und  BeriohligungeD. 

im  Mansstab  von  1  :  420000  befindet.  —  Während  und  nach  den  EreigniRsen 
von  IWIC—IH  JRt  in  der  BlaviBclieD  und  europäischen  Literatur  eine  gance 
Ueihe  von  Werken  erschienen,  die  eich  direot  oder  indirect  anf  die  Balkan- 
nlaven  bezieben.  Es  würde  zu  weit  führen,  sie  alle  an&nzäblen,  ond  sum 
Theil  würden  aie  auch  über  den  Zweck  dieses  Buches  hinausgehen,  da  ihr 
Hauptinteresse  in  der  Politik  liegt. 

S.  67.  Ä.  Knnik  i  baron  V.  Rozen,  „IzvMija  Al-Bekri  i  drngich 
avtorov  o  Rusi  i  Slavjanach"  (St,  Pet«rgburg  1878.  Auf  S.  118—161  Ober 
die  VerwandtBohaft  der  Chagano-Bulgaren  mit  den  Tachnwosohen  nach  einem 
slftvisch-bulgariBchen  Imenik  u.  a.  w.)-  —  F-  Brun,  „Dogadki  kasatelno  uia- 
stija  Rueskich  v  d&lach  Bolgarii  v  Kill  i  XIV  Btoietijaoh"  (im  ium.  Min. 
Nai'.  Prosv.  1878.  Deo.,  227—238).  —  Matv6j  Sokolov,  „Iz  drevnej  irtorii 
Bolgar"  („Aus  der  alten  Geschichte  Bulgariens".  I.  Die  Bildung  der  bul- 
garischen Nationalität.  11.  Die  Annahme  des  Christenthums  durch  die  bul- 
gariBoben  Slaven.  St  Petersbui^  1879).  ~  F.  Uipenskij,  „ObrasoviLnie 
vtorago  bolgarskago  carstva"  (OdesBa  1879.  Zapigki  NovoroaB.  nniv.  XXVH; 
mit  Beigabe  von  noch  night  publioirten  Doaumenten);  desselben  Terfassers 
bibliothekariBclie  Unterauchunffen  von  Denkmälern  der  Spradie  and  der 
bulgarischen  Geachiobte  im  Zur.  Hin.  Nar.  Prosv.  1878—79.  —  Archim. 
Antouin,  „Pofzdka  v  Rumeliju"  (3i  Pet«r8burg  1879.  4).  AuafOliriiebe 
Reoension  von  P.  A.  Syrkü  im  £ur.  Min.  S.  Prosv.  1680,  Juni-Juli. 

S.  74.  St.  Novakoviö,  „Bngari  i  njihora  kitjiievnost "  (im  Jonrnal 
„Ota6bina",  1875.  1.  Jahrg.  Oct.,  Nov.  und  Deo.)—  [V.  JagiiS,  „Ueber  die 
Sprache  und  Literatur  der  heutigen  Bulgaren"  (in  Deutsche  Rundichan  1880^ 
flr.  10,  S.  Ö7 — 71). —  Alex.  Teodorov,  „Povaha  literomi  binnoalj  oavobose- 
uäho  Bulbarska"  (in  Jebnek's  Slovanskjf  Sbomik,  1883,  Nr.  6  n.  7,  S.  279— S84 ; 
343—347;  umfasst  die  literariBcbe  Thätigkeit  der  Jahre  1877— 88).] 

S.  144.  Zu  Paysius  vergl.  noch  in  der  Abhandlung  von  Lamanskij, 
„Bolg.  slovesnost  XVUI  vSka"  (im  2uni.  Min.  Kar.  Prosv.,  1860,  IX, 
107-123). 

S.  150.  „Gabrovako-to  uEiliite  i  negory-tä  prvy  popeCiteli"  (Eonataoti- 
nopel  1866).  —  Der  FrieBtermönoh  Neofit  von  Ryl  gab  heraus  „Opisuiie 
bolgarskago  svjaSCenuago  monutyrja  Ryl'ukago"  (Sofia  1879). 

S.  154.  Zur  Literatur  der  bulgarischen  Kirohenfroge  ffigea  wir  nodi 
einige  bulgarische  und  nichtbulgarisohe  Publicationen  hinzu:  'AkoFtdisi?  ctf 
Tit  X6yoi  Tov  xüpiou  £.  XopaätoSiipi]  (67  S.  «1860.  PredsUvitet'  b%lganki 
H.  P.  H.  Minioglu».  Uebersetznng  aus  dem  Bolgariaohen).  —  Tonvanw  k 
fospodam  predstaviteljam  i  nastojateljam  ot  brail'aki^o  obibeatv*  1861, 
25.  Nov.  (gedruckt  in  Belgrad.  16  S.).  —  Oproverzenie  na  vcraienieto  na 
velikata  cfkva  protiv  izdadenytS  ot  pravitelstvotö  proekty  za  relenieto  na 
bülgarskija  vüproB.  Perevel  ot  prvoobraznoto  H.  Mioh^lovBkij,  47  S.  (gedmekt 
in  der  Druckerei  der  „Makedouija").  —  Okru£no  pitmo  svjatago  bülgarokago 
Bynoda  küm  samoBtojatelnyty  pravoBlavno  oerkvy.  T  otgOTor  na  okmina- 
tn  pntriarSeskn  pisiiin  küw  ajiStyty  cerkvy  I.  P.  fi.  (Konatantinopel  1871. 
27  S.)  lind  dniBelbe  aucli  griecliisch:  'EtkuxXw?  'EtclotoX^  etc."  (Konstutti- 
iiopel  1871.  3ii  S.|.  —  Izbranietu  na  bülgarskyj  ekzaroh  (Konstantinopel,  in 
der  Ituchdruckcrei  der  „Mnkedonijn",  1872.    32  S.  kleinen  Fortnats).  —  Vü 


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Ergänzungen  und  Berichtig angen.  46d 

uDvuiijata  na  Feuer  i  izverienijata  ma  (Konet,  in  deraelbeu  Di'uckem, 
1872.  36  S.  ebenso).  —  „Pigmo  do  bülgarBkyj  ekznrch"  (Antim  I)  Vülka 
NejSovk,  nojftbr.  1872,  Bejogln  {8.  8  S.).  —  Ti  otxoufi.  itaTpwtpxeio»  xtü 
Dt  BouXydfK  üiti  E.  KauooxoXdßou  (1874  a.  1.  Die  Schrift  eines  griecliiscbcn 
Mönches  vom  Athos  zn  Gunsten  der  Sache  der  Bulgaren). 

Diese  Werke  sowie  auch  noch  einige  andere  (Bpäter  auzuffihreude)  sel- 
tene bulgariKohe  Bücher  wurden  dem  Verfasser  von  P.  A.  Syrkü  mitge- 
tbeilt,  einem  jungen  Gelehrten,  der  eine  interessante  Reise  nach  Balgarien 
in  den  Jahren  1878—79  machte  und  von  dem  die  Wissenschaft  wichtige 
Arbeiten  in  der  Erforschung  der  Balkanslaven,  in  alter  und  neuer  Zeit,  er- 
warten darf. 

S.  162.  Ljuben  Karavelor  (geb.  1834)  sUrb  zD  Rustachuk  21.  Jan. 
1879.  Den  bulgarischen  Patrioten  schätzten  auch  die  Serben  sehr  als  Ver- 
mittler zwischen  der  bulgariBchen  nnd  serbischen  Intelligenz.  Vgl.  „Zastava", 
1879,  Nr.  18  und  „Srpska  Zora",  1879,  Nr.  2. 

S.  163.  In  der  Reihe  der  nenera  Schriftsteller  ist  noch  zu  nennen  T. 
Ch.  Stander,  dein  eine  Anzahl  populärer  Schriften  sehr  mannichfaltigeu 
Inhalte  angehört,  wie  religiöse  und  p^agogische  Belehrungen,  Erzählungen 
(z.  B.  „Ru£ica  et  Elograda,  drevno  sübytie"  ~  „Die  Rose  von  Elograd,  ein 
Ereigniss  ans  alter  Zeit",  1870),  historische  Dramen  (z.  B.  auf  die  Ereignisse 
des  letzten  Krieges),  Sittenkomödien  (u.  a.  auch  „Bikonsfild,  emSSna  pozoriitna 
igra"—  „Beaoonafield,  ein  Lustspiel").  Kjra  Petrov,  Lehrer  und  Patriot, 
der  vor  Beginn  des  Rnssiseh-Türkischen  Krieges  ei-mcrdet  wurde,  war  auch 
popnlärerSchriftRteller(Qber  sein  Schicksal  siehe  weiter  unten  in  der  Schrift 
von  Radoslavov).  Nikolaus  Zivkov,  patriotischer  Dichter.  Aber  der  beste 
neuere  Dichter  scheint  I.  Vazov  zn  sein:  „TqgitS  na  Bqlgarija"  („Die  Kla- 
gen Bulgariens",  Bukarest  1877)  und  „Izbavlenie,  sovremenni  stichi"  („Die 
Errettung,  eeitgenöss.  Gedichte",  Bukarest  1878). 

Wir  fuhren  noch  einen  Schriftsteller  der  bulgarischen  Protestanten  an, 
Andreas  S.  Canov,  der  in  den  siebziger  Jahren  religiös-erbauliche  Bücher 
in  Wien  herausgab.  Von  ihm  ist  auch  „Bulgarija  v  istoinij  vüpros"  (Philip- 
popel  1879).  Eine  belehrende  Schrift  übersetzte  auch  Frau  Marie  A.  S. 
CauoT. 

Aus  dem  Kreise  der  Protestanten  erschien  seit  den  sechziger  Jahren 
zn  Sonstantinopel  eine  Reihe  von  Schrien  ähnlichen  Inhalts ,  die  sich 
durch  protestantischen  Rationalismus  und  Pietismus  auszeichneten:  „Papa- 
ta  i  rimsko-katolifieska-ta  cerkva"  („Der  Papst  und  die  römisch-katholische 
Kirche")  1861;  „Idi  pri  Isusa"  („Komm  zu  Jesu")  1863;  „ KalngerstW 
(„Das  Hönchswesen",  Wien  1867;  gegen  dasselbe);  „Slovo  za  post"  („Ein 
Wort  aber  das  Fasten",  gegen  dasselbe.    3.  Aufl.  1868)  n.  a. 

Der  Protestantismus  hat  viel  gethan  durch  Erweokung  des  Interesses 
für  Bildung  und  Schale. 

S.  163— 165.  Zu  den  Werken  Rakovakij's  nennen  wir  noch;  Bölgar- 
skij  vSroizpoTideu' vüpros  s  &nariotit£  i  golimaja  meCtajna  ideja  panelinizma" 
(„Die  bulgarische  Glaubenafrage  mit  den  Fanarioten  und  die  grosse  phan- 
tastische Idee  des  Panhell eniarnns"  mit  gegenüberstehender  rumän Ische rUeber- 
setzung,  kl.  4.    111  S.);   „Bülgarski  t§  hajduti  etc."  („Die  bulgarischen  Haj- 

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470  Ergäiuiungen  und  Beriohtigaligen. 

daken.  Ibr  Aofaug  uud  ihr  beständiger  Kampf  mit  den  Törken  seit  dem 
TTntergaDg  Bnlguieos  bis  zur  Q^enwarl",  (1.  BäDdohen.  Bakarest  1867. 
gr.  8.  39  S.).  Leider  blieb  es  nur  beim  ersten  Bändcheu,  vo  die  Rede  Tom 
alten  bulgarisohen  Reioh  ist;  es  Bellten  im  ganzen  fünf  werden  und  im 
fSaften  sich  eine  „  BeBofareibmig  der  Entwiokelang  des  Volksgeistes  nnd 
der  maläDgliohem  Bewegung  des  politiBohen  Lebens  von  1831 — 67"  finden. 
Die  allgemeine  Ansieht  Rakovakij'B  über  die  Bedeutung  de«  Hajdukenthums 
ist  in  der  Torrede  kurz  angeführt.  [„E^nR  bülgarskago  jazyka.  Izd»va  gn 
Eiro-StojanoT."  (Odessa  18S0).] 

S.  164.  Zur  Literatur  der  bulgariaoben  patriotisehen  Emigration  erwibnen 
wir  die  Publicationeu  des  bulgarischen  Ceotralcomil^:  „La  Bulgarie  devant 
l'Europe"  (Jass;  1867).  —  „Les  plaies  de  la  Bulgane"  (Galatz  1867.  T^.  SUv. 
Zarja,  1867,  S.  179).  —  „UstsT  na  b%lgarskijat  revotjuoionni  oentrftlni  komi- 
tet"  (Genf  1870.  21  S.  kleines  Format).  Der  Zweck  des  Comit6  ist,  „Bul- 
garien durch  eine  Revotation  la  befreien,  moralisch  und  mit  den  Waffen  in 
der  Hand".  —  B«lgarski  glas".  Ot  B.  R.  C.  K.  (d.  i.  vom  Bnlg.  Revol.- 
Centr.-Comite,  Genf  1870.  8.  24  S.  Aufruf  zur  Befreiung).—  AL  A.  Cer- 
nev,  „RusCuSkite  ttmnici  ili  bnlgM-skata  revolueya  nal667-a  godina"  (Bu- 
karest 1876.  kl.  a  142  S.)  lieber  das  H^dukenwesen:  N.  D.  Eozlev, 
„Istorija  naHegdut  Siderja  i  na  n^ovut  bivolGolja.  Po  narodno  predwaie" 
(Odessa  1876).  —  Endlich  erwähnen  wir  noch  die  interessante  Schrift  von 
R.  Radoslavov:  „SIMstvija  ot  Krimejskata  vojna  na  1S&4— 56  god.  Za 
pamjat  na  1676  god.  po  vüstaaieto  t  Tmovakoto  okr^ie,  opisanie  naTmov- 
skytS  tmnicy"  (Tmovo  1878.    kl.  8.    73  8.) 

S.  165.  Die  Biogntphie  M.  S.  DrinoT's  im  5eaL  „Svätoior",  1877, 
Nr.  21. 

S.  171—172.    Statt  Brüder  Miladin  1.  Brüder  Hiladinov. 

S.  178.  Es  scheint,  dass  schon  vor  Erscheinen  des  „Veda"  Proben  vun 
Liedern  daraus  nach  den  Mittheilungen  von  Johann  Safarik  und  Doaou  in 
dem  Buche  von  Alb.  Dumont  („Le  Balkan  et  l'Adriatique".  2.  ed.  Paris 
1874,  S.  164—173,  878-380)  gegeben  worden  sind.  Der  dem  Slaventhum 
gewidmete  Tbeil  des  Buches  ist  übrigens  sehr  oberflächlich.  Geitler'i 
Buch  über  die  ganze  Sammlung  von  Verkovic  haben  wir  oben  erwähnL 
Wir  nennen  noch  die  Broschüre:  Dr.  Fligier,  „Ethnologische Entdeckun- 
gen im  Rhodopegebirge"  (ans  „Mittheil,  der  Anthropol.  Gesellschaft  in  Wien", 
IX).  Die  räthselhafte  Frage  dürfte  der  neue  Band  von  Liedern  rar  Ent- 
scheidung bringen,  welchen  Terkoviä  in  St. Petersburg  herauszugeben  ge- 
denkt. [Er  ist  inzwischen  erschienen:  „Teda  Slovenah.  Obijadni  pesni  ot 
jaaiEeako  vremja.  IJpazeni  so  ustno  predanie  pri  Hakedonsko-Rodopdd-te 
Bülgaro-Pomacl  Sobrani  i  izdani  Stefanom  II.  Verkoviäem.  Knig»  IP* 
(St.  Petorabu^  1881.  8.  XVI,  583  8.).) 

Zu  den  Werken  des  letztem  fugen  wir  noch  hinsu:  „Opisanie  byta 
Bolgar,  naselji^niCich  Hakedoniju"  („Beschreibung  des  Lebens  und  Wesen* 
der  Bulgaren,  die  Macedonien  bewohnen"  (Moskau  1868.  46  S.;  ans  den 
„izvestija''  der  moskauer  Universität). 

S.  180.  Zur  Volksliteratnr  erwähnen  wir  noch:  vier  „bulgariicbe  Volki- 
märcben",  die  sich  von  der  Sammlung  der  Brüder  Miladinov  erhaltMi  babm 


.....Gooj^lc 


ErgänzuDgen  und  Beriobtigungen.  471 

nod  vou  K.  ^(iiuifoT)  (in  den  Voronezer  „Filolog.  Zapiaki"  1866,  Heft 
4—5,  ä.  85 — 92)  mitgetheilt  sind.  —  Zboruik  ot  razni  bülg&rsk;  uarodni 
prikuky  i  piam.  SübraU  i  izdali  0.  U.  N.  LaSogln,  N.  M.  Aatardziev 
(Rastiobok  1870;  zorn  Theil  bekannt«,  Enm  Tbeil  neue).  —  TonCo  M»ri- 
DOT,  „BlgKraka  narodni  gatanki.  Blgarska  m^drost"  („Bulgarisohe  Volke- 
räthiel".  I.Buch  [BroHcböre].  Sofial879),  dem Fürtten Uoiidukov-Korsakov 
gewidmet  Bemater  befinden  nah  vom  VerfasHer  selbst  gefertigte  Bäthsel, 
die  jedoch  glüeklioberweiee  am  Ende  des  Bnchee  als  solche  bezeichnet  sind. 
—  Wir  erwähnen  noch  UebersetzDngen  in  die  Eeehische  Sprache  von  Joa. 
IIole£ek,  „Jnnäcke  pisnf  närodu  bulharBkeho"  (Frag  1875;  PoeBia  BvStovä 
Tni)  and  in  deutscher  Sprache  von  0.  Rosen,  „BulgariBohe  Volkedichtun- 
gen.    Gesammelt  und  ins  Deutsche  übertn^en"  (Leipzig  1879). 

S.  181.  Die  Befreiung  hat  in  Bulgarien  eine  belebte  Thätigkeit,  eine 
grusES  Oämng  der  gesellsobaftlichen  Elemente  hervorgerufen,  die  sich  in 
der  Literatur,  vonüglioh  in  der  politischen  Zettnng^presse  ausspraeh.  Die 
alten  Arbeiter  bekamen  freie  Hand,  es  traten  neue  auf:  viele  Zeitungen 
wurden  gegründet,  die  zum  Theil  bald  wieder  eingingen,  zum  Theil  sich 
aber  auch  hielten.  Wir  führen  die  hauptsäehlichetea  an:  „Bolgarin"  („Der 
Bulgare"),  gegründet  in  Ramänien,  erscheint  in  Rustschuk;  die  „Marica", 
1878  von  DanoT  gerundet,  ersaheint  in  Philippopel-,  die  „CSlokupnaja  Bol- 
garija"  („Das  gesammte  Bulgarien")  wurde  von  Slavejkov  in  Tmovo,  später 
in  Sofia  heraasg^eben,  bat  aber  zu  erscheinen  aufgehört;  der  „Osten",  („Der 
Stachel")  eine  satirische  Zeitung,  enohien  einige  Monate  ebenfalls  von  Slavej- 
kov iuTmOTO  zur  Zeit  der  Nationalversammlung  (Sobronie)  und  ist  interessant 
f3r  die  Qeschichte  derselben;  die  „Vitola"  erschien  iu  Sofia;  der  „Bolgarskij 
Glas",  ebendaselbst;  der  „Naroden  Glas"  („Volksstimme")  von  Man&ev,  er- 
soheint  noch  in  Philippopel;  die  „Bolgarskaja  Illjustracija"  1880— 82  inSofi«. 
T.  H.  Stantev,  Lehrer  an  der  Hauptsohule  zu  Tmovo,  welcher  1872—73  ein 
geistliches  Jonmal  „Slava"  herausgab,  be^nn  1879  den  „Slavjanin,  naroden 
list  za  naaka"  („Der  Slave,  Tolksblatt  fSr  die  Wissenschaft")  herausii^ebeti. 
P.  L  Bleskov  gab  1877 — 78  „Slavjansko  bratttvo,  politiGesko-literatnmo  spi- 
sanie"  (,JKe  ilavisohe  Brüderlichkeit,  eine  politisoh-literarisohe  Zeitschrift") 
heraus.  [Eine  Monatsrevue  „Nauka"  erscheint  seit  1881  in  Philippopel. 
1882  emenerte  V,  Stojanov  in  Sofia  das  früher  von  ihm  in  Broila  heraus- 
gegebene „FeriodiEeeko  Spisanie"  zur  Ei-forschung  der  heimatlichen  Sprache, 
Geschichte,  Ethnographie.  „Seljanin"  („Der  Landmann"),  eine  Wochenschrift 
des  Priesters  Ignaz  von  Ryl  seit  1879.  „Dacbovnoe  Citanie"  („Geistliche 
Lektüre"),  eine  Uonataschrift  des  Bischofs  Clemens  Braniokij  von  Tmovo, 
seit  1881  u.  a.] 

Es  ersohienen  populärgesohichtliche  Bücher,  wie  die  bulgarische  Ge- 
schichte von  T.  äiikov;  „Rossko-tnrska  vojna  1877—78"  („Der  Russisoh- 
Türkisohe  Krieg  1877—78",  Skizzen  und  Erzählungen.  Tmovo  1879)  von 
S.  S.  BobCev,  der  auch  russisch  schrieb:  „OEerki  ie  bjta  Bolgar"  („Skiz- 
zen aas  dem  Leben  der  Bolgareu",  Russk.  VCstnik  1879). 

Die  politische  Frage  zwischen  den  Serben  und  Bulgaren  über  Makedo- 
nien und  Oberalbanieo,  nämlioh  welchen  von  beiden  die  Bevölkerung  dieeer 
Länder  angehört,  ist  erhoben,  sowie  Fragen  der  Geschichte  und  Ethnographie. 


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472  ErgsnEnugen  und  Beriohtigangen. 

DshiD  gehören  dieBÜchur:  De«pot  Badiovic  (aus  HskedoDieii),  nEojoj  do- 
veoskoj  griiDi  pripadigu  Sloveni  u  Gor^joj  Albudji  i  Hskedoaiji"  („Zu  wel- 
ohem  alavisoben  Zweige  gehören  die  Slaven  in  Oberalbaniea  nnd  in  Hkce- 
donien",  Belgrad  1878.  48  S.).  —  Dim.  Alekeijevic  (aas  Raotoka  bei 
I>ibre),  „Staro-Srbi"  („Die  Altoerben",  Belgrad  1878.  48  8.).  Indem  «e 
zDgeben,  dau  ein  gewiasea  QoBDtnin  bulganBober  Bevölkenmg  ia  diesem 
Lande  Torhanden  ist,  finden  beide  Sohriftsteller,  dass  die  Benohner  diMea 
Landes  eine  besondere  Gattung  von  Slaven  bilden,  die  sowol  der  Gesohiohte 
als  der  Ethnographie  naeh  zu  den  Serben,  aber  nicht  £o  den  BnlgtireD 
gehört. 

Dem  Dialekt  nach  verzeiohnen  wir  die  Bücher:  „Qolim«  bülgaraka 
Eitanka  ili  vtora-ta  6jast  na  biilgarskyjt  bukraf,  na  nar^&ie  po-vraxnmitelno 
za  Makedonskyti  Bülgory.  NarSdil  Edin  Makedoneo"  („Grosses  bnlgtrischoa 
Lesebuch  n.  s.  w.,  in  einem  den  makedonisohen  Balgaren  verständlioben  Di»- 
lekt",  faerauBgegebeo  von  Andreas  ÄnastasoT  Bfaeneo.  KonaiantiDopel  1868); 
,^ratko  zemleopisanie"  („Kune  Geographie",  KonHtanlinopel  1868;  in  dem- 
Beiben  Dialekt  und  von  demselben  Herausgeber). 

Uebcr  das  neue  Bulgarien  Tgl.  NemiroviE-DanÖ  enko,  „Poslö  vojtty" 
(„Nach  dem  Kriege",  St.  Petersburg  18S0). 

S.  184.  Die  Artikel  von  N.  Popov:  „Serbija  posIS  parUslotgo  mira" 
(in  „Beseda"  1871,  Heft,  VI,  S.  165-224);  „Serbija  i  PorU  v  1861—67  g." 
(im  „VSstnik  Evropy",  1879,  Heft  3—3).—  Jastrebov  (ehemalieher  msai- 
Bohar  Consnl  inPrisrend),  „Podatoi  ta  istoriju  srpske  orkve"  (Belgrad  1879; 
sehr  wichtige  Beiträge  zur  serbischen  Kirchengesohiohte).  —  Frhr.  v.  S  oh  v  e  i  - 
ger-Lerchenfcld,  „Bosnien,  das  Land  und  seine  Bewohner,  gesohicht- 
lioh,  geographisch,  etlinograpbisoh  nnd  aooialpoli tisch  geeohildwt"  (Wien 
1878).  —  Arthur  J.  Evans,  „Illyrian  Letters"  (London  1878).  —  üeber  die 
Serben  in  Ungarn  s.  J.  H.  Schwicker,  „Politische  Geschieht«  der  Serben 
in  Ungarn.  Nach  arohivalisohen  Qnellen  dargestellt"  (Budapest  1880.  Die 
Geschichte  derselben  seit  1690,  d.  h.  ihrer  Einwanderung,  bis  1193).  Tob 
demselben  Schwicker  ist  die  deutsche  UebersetEUng  «iaes  Bnobes  von  Hon- 
falvy:  „Ethnographie  von  Ungarn"  (Budapest  1877),  wo  sich  Naohriohten 
über  die  Serben,  Bulgaren,  Ungarn  und  die  Slovaken  finden;  und  das  Buch 
Eillay's,  „Qesohiohte  der  Serben"  (Budapest  1878).  —  Gavr.  Titkovic, 
„KritiEki  pogied  na  proilost  Srba  u  Ugarskoj"  (im  „Glunik",  1870—71). 

S.  218.  Zur  Geschichte  der  Kroaten:  I.  N.  Smirnov,  „OEerk  istorii 
ohorvatskago  gosodaratva  do  pod5inenija  ego  ugorskoj  koron&  Istoriöeskee 
izsISdovanie  po  istoEknikam"  (Kaaan  1880). 

Zur  Literatur:  Meloh.  Luoiauoviä,  „Storia  della  letteratnra  slavs 
(serba  e  oroata)  dalle  origini  fino  ai  giomi  nostri'l  (1.  Bd.  Spalato  1880l 
Dieser  Band  umfasst  die  alte  und  mittlere  Periode  der  serbisch-kroatisohcB 
Literatur).  —  Femer  ist  noch  nachzutragen  S.  Ljubic,  „Ogled&lo  kujüevne 
poviesti  jugoalavenskc",  II.  1869. 

S.  228.    Z.  12  V.  u.  statt  Ka£ic  1.  EadCic. 

S.  230.  Vgl.  A.  N.  Veeelovskij,  „Chorvatekna  pCsni  o  Radotlav« 
Pavlovice  i  italijanskija  poemy  o  gn^voom  Rado"  (im  „Zum.  Min.  Nar.  Protv." 
1879,  Januar). 

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ErgänznDgen  n&d  Beriohtignugen.  473 

S.  248'  Ueber  das  Geditsht  Gunduliü'g  die  Uulerflachang  toh  Romiui 
Brandt:  „latoriko-litersturnfj  nzbor  poemy  Ivuna  Gundulida  oObidui'" 
(Kiew  1879);  vgl.  noch  über  die  CompoBitiou  deg  „Oamui"  die  Abliuidlaiig 
TOD  Lukas  Zora  im  „Rad",  1877.  Bd.  XXXIX.  Eine  Ergänzung  zur  Er- 
kläruDg  des  „Oaman"  von  8t  NoTakovi«,  im  „Slovinao",  1879,  Nr.  K. 

S.  249.  „Dubromik  ponovljen,  epos  n  XX  pjevanja  i  Oidone  tragedija 
Jaket«  Palmotiöa  Gjonoriäa",  heran Bgegeben  vom  Buchhändler  Prettner  (Rm- 
gnsa  1878). 

S.  260.  Trtiö.  Pjesme  Fraige  Ereta  markeza  Frankopana,  kneza 
trSaGkog».    Icdao  Ivan  EoBtrea6iö  (^ram  1871.) 

Frankopan  var  der  letzte  Abkönunling  dieses  Getchlechti.  Seine  Sobwe- 
■ter,  Anna  KathartDa,  eine  geistvolle  Frau,  wkf  die  Gemahlin  Peter  Zrinyi's 
und  int  all  kroatiaehe  Sobriftatellerin  bekannt.  Frankopan  kam  gemeinsam 
mit  Zrinyi  vma  Leben  (hingeriobtet  tu  Wien  1671,  30  Jahre  alt).  Seiuo 
Gedichte  lyrieehen  und  besondere  erotiBoheD  Inhalts  zum  Theil  in  der  Form 
Ton  Yolkstiedem  sind  nicht  bedentend,  als  Naohshmungen  von  Italienern, 
aber  historisob  merkwürdig;  rie  sind  in  kroatisoh-slavonisohem  Dialekt  ge- 
BohriebeD. 

S.  262.    Z.  6  V.  a.  statt  Lovrenliiä  1.  LaTreniSid 

S.  269.  £.  GaokeviE,  „^isn  Dosifeja  Obradoviäa  po  ^o  avtografii  i 
razbor  ego  proizvedenij  so  storony  jazyka  i  soderianija"  (in  den  „IzvesUja" 
der  «araekaner  Universität  1879,  Nr.  6—6). 

S.  277.  |Z.  21  V.  o.  statt  VegeUö  1.  Veziliö.  Z.  19  v.  u.  statt  Simi6 
L  Simi.!.] 

S.  986.  Die  Meinung  Safiüik's  (1822)  gegen  die  Schroffheit  der  Vnk'- 
Bohen  Keform  in  der  Correspondenz  mit  Kollir  im  „öatopis"  1873,  S.  124. 
—  Wir  luhren  noch  die  Abhandlung  von  Ljubea  Karovelov  an:  „Vnk 
St.  K»radäi6  in  den  Voroneier  „Filolog.  Zapiaki",  1867,  I,  1—16;  früher 
nooh  der  Artikel  von  Jagic:  „Zasluge  V.  SL  Eanuiüda"  (Agi-am  1864). 
Nor  nach  Cilaten  ist  uns  die  Broschüre  bekannt:  N.  Rozen,  „Tuk  St. 
Karodiiä"  (Belgrad  1864). 

Naoh  den  Materialien  Karadiiä'e  erschien:  DeatBch-aerbiaohe«  Wörter- 
buch" (Wien  1877). 

S.  288.    Luoiau  Muiioki  und  seine   literarische  ThLtigkeit  bilden  den 
Gegenstand  einer  Abhandlung  von  Dj.  Rajkovid  im  „Letopie"  der  aerbi- 
Hcben  Hatioa,  1879,  Bd.  ISO.    1877  wurde  in  Serbien  der  hundertjährige  "^ 
Geburtstag  Muiicki'a  gefeiert. 

S.  288.  A.  Had£i<!,  „Matica  srpska  (1826-76)"  (im„Letopis"  der  H»- 
tiea.  Ebend.  1880;  zur  funfrigjährigen  Jnbdfeier  des  Inatituta).  Im  „Le- 
topia"  erschien  auch  eine  Selbstbiographie  Sava  Tekelija's.  S.  auch  J, 
Subboti«,  „2ivot  Save  Tekelije"  (Ofen  1861). 

S.  994.  Svetialav  Tuloviä,  „9ima Milutinoviö  Sarajiija  pssnik  srpski" 
(in  (inpid'B  „Ooditnioa",  U.  280—848). 

S.  297.  Die  Bit^:rephie  Zm^-Jobann  Jovanovid  (geb.  1888),  den  seine 
Landslente  in  die  Reihe  der  besten  gegenwärtigen  Dichter  der  Serben  stel- 
t^n,  ja  aogOT  für  den  ersten  lialtcn,  im  Journal  „Srpska  Zora",  16T9,  Nr.  1, 
Eine  Samnilnng  seiner  Werke  erschien  kürslioh  in  Neusatz. 


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474  ErgünzuDgen  und  Beriobtigimgen. 

In  der  neaera  und  gegenvärtigeo  serbucheu  Journftlistik  «tod  die  popa- 
Uraten  Nameo:  Jftk.  Igi^atoviö,  Milorod  Sab5snin,  Georg  Jakiid  (ualüigBt 
geatorbeu)  und  Steplua  Hitror  Ljnbiia.  Der  letitere,  1878  geotocben, 
begann  erst  gegen  Ende  aeinei  Lebens  za  schreiben  und  erlu^^  durch 
seine  Erzählungen  Mii  dem  Leben  nnd  der  alten  Zeit  der  Cmogoren  und 
Dalmatiner  (.J'ripoviesti  omogorBke  i  primorske",  Bagnea  1876)  eine  grooae 
Popularität  nioht  nur  bei  den  Serben,  sondern  auch  bei  den  Kroaten,  die  ihm 
aus  politisoheu  Gründen  nicht  besonders  gewogen  waren.  (Nekrolt^  im 
hroatisoben^Vienao";  Eriunerui^  von  Theodor  Stefanovi^  Tilovaki  im  „SIbt. 
Älmanaoh",  1879).  Eine  Beihe  ErEählungen  von  Ljabüa  wurde  in  den  letz- 
t«u  Jahren  in  der  Srpska  Zora  gedraokt. 

Ausserdem  geniesaen  mehr  oder  weniger  Popularität  die  Ersählnngen 
von  Stephau  V.  Fopoviü  („le  srpskoga  iirota"  —  „Aas  d^n  aerbiachen 
Leben",  Neusatz  1880  —  ans  der  ehemaligen  Vojvodina),  Panta  Popovic, 
Viadan  Djordjeviö  (Ojorgeviö)  („Sknp^ene  Fripovetke"  —  „Gesammelt« 
Eraählnngen",  2.  ÄuH.,  1879),  Lata  Kostid. 

Die  Gedichte  („Peame")  von  Branko  RadiSeviä  ere«^enen  in  6.  Aufl., 
1879.    Erinnerungen  an  ihn  in  „Srpska  Zora",  1879,  Nr.  3. 

S.  298.  Ueberselsung  des  Bnofaes  von  Dm.  Milakorie,  „Storia  del 
Montenegro  del  oavaliere  Dem.  Milakoviu,  tradozione  de  G.  Ang.  KaznaCic" 
(Ragnaa  1B79). 

Berichtigong:  V.  Petrovie,  „Istonja  0  Cemoj  Gorä"  ist  nicht  1854, 
sondern  1754  erschienen. 

S.  302.  Noch  eine  kurze  Biographie  von  Peter  IL  von  Tuk  Vr£evic 
im  Journal  „Slovinac",  1878,  Nr.  7.  —  Briefe  Peter**  II.  in  „Ötoiija''  der 
Moak.  GeseUsohaft  der  Getoh.  u.  Alterth.,  1847,  T.  Heft,  Vermiaehtet,  8.  31 
—dS;  in  der  Correspondenz  von  Stanko  Vrax;  irgendwo  in  der  „Knaskaja 
Starina". 

S.  304.  Jov.  Sandetii!,  „2ivot  i  rad  dra  Boiidara  Petranovica"  (Ra- 
gnsa 1879;  aas  dem  Joornal  „Slovinac").  —  Eine  knrse  Biographie  Bas's 
•/  im  „Slovinao",  1879,  Nr.  17. 

S.  80&.  Auf  Bosnien  beziehen  sieh  folgende  durch  die  Ereignisse  n 
Ende  der  eiebEiger  Jahre  hervorgenifene  Sohrifteu:  „Bosna  je  srpska  ili 
odgovor  na  aRazgovore»  Don>Mioh.  Pavlinovida  i  dva  pisma  proC  A.  A- 
Migkova  o  Bosni"  (2.  Aufl.  NensatE  1878).  —  L.  Potroviö,  „Krvavi  dam 
u  Bosni.  latiniti  dogad2«j  iz  srpsko-tnrskog  rata",  1878.  —  Vasa  Pelagic, 
„Istorija  bosansko-hre^ovaoke  bone  a  «vezi  sa  srpeko-i  nuko-tunkim  rn- 
tom"  (Budapest  18S0). 

S.  811.  Von  St.  Novakoviö  ist  noeh  eine  Baih«  wichtiger  und  inter- 
Ms^ter  Arbeiten  erschienen:  „Srpska  Granatika"  (L  3.  1.  TU.  B«lgnd 
1879);  Forschungen  aber  die  hiatorisehe  Geographie  Serbiens  (in  ÖBpic*! 
„Godünioa");  über  DaniJHo'a  Plan  einea  serbitoh^kroat.  Wörterbmdu  (im 
„Rad",  I87a  XLV);  „Pripovetka  o  Aiekaandrn  Velikom"  („Die  Alexand««^ 
sage",  eine  serbische  Bedaotion  derselben.  Belgrad  1878);  „Ledian  grad  i 
Poljaoi  n  srpskoj  naroduoj  pojeiiji"  Uy^'^  Burg  Ledian  und  die  Polen  in 
der  serbischen  Volkipoesie",  im  „Leiopii"  der  serb.  Matica  1879,  ISO.  Bd. 
Vgl.  darüber  in  „Pifana  kPogodinn"  den  Brief  SafaHk's  11,892).   „Ein  Bw- 

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ErgänzniigeD  und  Beriohtigungen.  475 

trag  Bur  Iiiteratnr  der  aerbigolieu  VolkipoMie"  in  Jftgi6  „Arohiv",   3.  Bd) 

H.  3t2.  Milan  Mi1i6eri6  gab  in  den  letiten  Jahren  noch  einige  Werke 
neuer  Art  heraus:  „JnnnuB  i  Fatima  ili  tunka  sila  aama  sebe  jede"  („Jur- 
noB  und  Fatima  oder  die  lürkiBohe  Uaobt  lehrt  iiioh  selbst  auf.  Eine  Eo 
lähtong  aus  der  Befreiung  der  sechs  Kreise,  1832—31",  Belgrad  1879  und 
„Zinini  Veteri"  („Winterabende.  ErxHhlungen  ans  dem  Volksleben  in  Ser- 
bien" Belgrad  1879;  sie  wurden  von  der  serbi sahen  Kjitik  mit  grouemLob 
aufgenommen).  Femer  „Selo  Zloselioa  u.  a.  w."  (Belgrad  1880;  der  Ver- 
fasser berührt  darin  die  nationalpoti  tische  Frage). 

Die  Biographie  Müiieviö's  im  .^vätosor",  J878,  Hr.  7. 

S.  912.  Die  Biographie  Öedomil  Mijatoviö's,  Nationalökonom  und 
Historiker  (geb.  1842),  in  „Srpska  Zora",  1880,  Nr.  1. 

S.  334.  Ueber  Giq  s.  noch:  „OUcr3ftoe  pümo  doktoro  G^a  k  M.  P, 
Pogodinu  i  dokumenty  k  nemu"  („Offenes  Sendsehreiben  Gafs  an  Pogodin", 
iu  Sovremeuniga LGtopiä  1867,  Nr.  21.  —  N.  Popov,  „Ljudevit  G%j  vRossü 
V- 1840  godu"  (in  Drevn.  i  Novsja  Rossija,  1879,  Hr.  8). 

8.  326.  I.  Mazuranid's  „Smrt  Smail  Öengiäa"  nusiach  von  A.  Luk- 
janovskij  unter  dem  Titel:  „Cemogore;  ili  smrt  Smail-agi  Cengiöa" 
(Pskow  1877). 

S.  881.  Eine  kurze  Biographie  von  Anton  von  Kaznatic  (1781—1874) 
im  „Slovinao",  1879,  Hr.  14.  Dessen  „Pjesme  raziike"  („Versohiedoue  Lie- 
der") mit  Biographie  erschienen  bei  Frettner  (Ragasa  1879. 

S.  833.  Eine  kurze  Biographie  Preradoviö's  im  „Slovinac",  1879, 
Nr.  16. 

S.  335.  Ceber  Eugen  Kvatemik,  die  Geschichte  seiner  Abenteuer  in 
der  Zeitung  „ZasUva",  1878,  Nr.  55— Ö6. 

S.  337-  Ueber  die  kroatisohe  Bewegung  vgl.  noch  „Hrvati  od  Gaja  du 
godine  1S50"  („Die  Kroaten  von  Qfy  bin  zum  Jahre  1850")  von  Ivan  Hü- 
tet i  6  und  „Hrral^a  narodna  zadaSa"  („Die  nationale  Aufgabe  der  Kroa- 
ten") im  Atmanach  der  kroatischen  Omladina:  „Hrvatsld  Dom"  (Agram 
1878,  S.  162—207  u.  234—242). 

8.339.  Die  Biographie  Jagiä'a  im  Seehisohen  „SvStoior",  1877,  Nr.44; 
im  dalmatinischen  „Slovinac",  1880,  Nr.  10.  —  Eine  knne  Biographie  F. 
RaEki's  im  „Slovinac",  1879,  Nr.  11. 

S.  342.  Einige  ergänzende  Worte  Aber  die  serbJsoh-kroatisehen  Pobli- 
oationen.  Bei  den  Serben  kam  seit  1878  die  wiasenaohaftliohe  Publi^tion 
„Godi£nica"  hin2ni,  herausgegeben  aus  einen  Fonds,  den  Cnpiä  sn  Unterneh- 
mungen der  Wissensohaft  und  Bildung  vermacht  hatte.  Die  illuHtrirte 
,3rp«)»  Zora",  herausg^eben  von  Theodor  St  Vilovaki  seit  1876,  verfolgt 
nnter  anderm  die  Neuigkeiten  der  andern  slavischen  Literaturen.  Seit  1880 
wnrde  von  Viadan  Djor4jevi6  (Gjoi^eviö)  die  Herausgabe  dee  wissenachaft- 
lich-Uterarischen  Journals  „OtaCbina"  in  Belgrad  emeuert.  Es  wurde  die 
unabhängige  Zeitung  „Videlo"  und  seit  1878  eb  Neusatt  das  freisinnige 
Journal  „Straia"  nnter  Kedaotion  von  L.  Pa5n  gegründet. 

In  Dalmatien,  so  Baguta,  erscheint  der  „Slovinac",  worin  sich  neben 
lateinisoher  Dracksohrift  aaoh  die  cyrillische  £ndet:  er  bildet  einen  Sammel- 


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476  ErginzuDgen  und  BeriulitiguDgeii. 

pnnkt  der  lerbisub- kroatischen  Kräfte  in  DKlnwtiai,  unter  andern  finden 
BJoh  darin  viele  Arbeiten  von  SuDdeCi6. 

Bei  den  Kroaten  ist  die  beste  literaritche  Zeitung  die  Wocfaenachrifl 
„Tienac",  deren  Sedaoteur  August  Seiioa  filr  den  besten  kroatisohen  No- 
Tellisten  gilt.  —  1876  wurde  die  bemerkenawerthe  poHüiohe  Zeitung  ^to- 
boda"  g^^adet.  —  Zu  den  «isMDsohafUiohen  kam  der  „TSatnik"  der  kroa- 
tisohen ArohiologiBohen  Gesellaohaft  in  Agram  hinia.  Die  Akademie  nhrt 
eifrig  mit  der  Herauagabe  ihrei  „Rad"  fort;  die  „Honnmenta"  f3r  sSdila- 
rieche  Gesohichte  erseheinen  weiter. 

Das  Streben  nach  einer  Versöhnung  zwisohen  den  Serben  ond  Kroaten 
nimmt  nicht  ab.  In  dieaam  Sinne  wurde  unter  anderm  eine  interecsante 
BroBOhöre  geaohrieben:  „üpoznajmo  sei"  („Lernen  wir  uns  gigeiieeitig  ken- 
nen" von  Elias  Guteia.  Agram  1860).  Wir  bemerken  bei  der  Gelegenheit 
Booh  die  schönen  Verse  von  Zmaj  Jovanoviö  snm  Andenken  an  Freradovid 

S.  846.  Die  erwartete  Ausgabe  «erb o-kroatisoher  Lieder  aas  alten  Hand- 
schriften ist  1878  TOQ  Bogiiiä  besorgt  worden:  „Narodue  pjeame  ir  eta- 
rijich  Dajviie  primorskih  zapisa,  sknpio  i  na  srijet  iidao  B.  Bogilif  (1.  Bd. 
mit  einem  Bericht  über  die  „Bngaritioe"  und  mit  einem  Wörterbuch.  Bel- 
grad 1878,  142  u.  4S0  S.)  —  ein  reioUudtiges  und  in  hohem  Grade  wich- 
tiges Werk. 

S.  864.  Kurze  biographische  Naohrichten  über  Grgo  Marti£  ün  Jonmal 
„Slövinao"  1878,  Nr.  10. 

S.  365.  Zeile  12  sUtt  BajaeeTi6  I.  BadiSeviä.  —  Die  Kosovo-Lieder 
worden  vor  kurzem  ins  Grieohiscbe  übersetzt  von  Kuroanndi  und  Achill 
Farasohos;  doob  war  uns  das  Buch  oiobt  zur  Hand. 

S.  866.  Den  Liedern  fiher  die  Kosover-Sohlaoht  hat  .Stojan  Novsko- 
vic  eine  historische  Forsohung  gewidmet:  „Srpske  narodne  pesme  o  boja 
na  KoBovn"  („Die  serbischen  Volkslieder  über  die  Schlacht  anf  Kosovo"  in 
Cupid's  „Godiinioa"  11,  97  —  177,  und  in  Jagiö's  Archiv,  IH,  418—462,  — 
gegen  die  obengenannte  Schrift  von  Annin  Pavid  gerichtet). 

Wir  führen  noch  an:  „Pesme  narodne.  Sknpio  i  izdao  HUoi  Hilosav- 
leviä"  („Volkslieder,  gesammelt  und  heran^egeben  von ",  I.Tbl.  Bel- 
grad 1869).  Im  ganzen  104  meist  kleiner  Lieder.  Die  Sammlung  ist  da- 
durch merkwürdig,  dass  die  Lieder  anssohliesslich  ans  dun  östÜDhen  an  die 
Bulgaren  greuEenden  Serbien  gesammelt  sind. 

Wir  nennen  endlicb  die  reiche  Sammlang  südslsvisoher  Volkslieder 
(oämlioh  serbo-kroatischer  und  einiger  bulgarischer)  von  F.  KahaiS,  „Jngo- 
stavenske  narodne  pjesme"  (Agram  1879  u.  fg.)  mit  Melodien  (im  ganzen 
gegen  1600).    Der  Text  ist  in  englischer  und  lateinischer  Sehriift 

Material  znr  Volkspoesie  theilten  im  Journal  „Slovinao"  mit  Yak  TrSe- 
vi£,  Vid  Vnleti6  o.a. 

Ueber  die  Eigensohaft  der  antiqnarisohen  Arbeiten  Milojevif'e  gibt  in- 
tereasanU  Erklärungen  die  Schrift  vonVelitkc  Trpiö:  „Uiloi  S.Hilojevi^ 
u  Prizrenu  i  njegovoj  okolini",  („M.  S.  Milojevi6  in  Pritrend  und  in  seiner 
Ümgebnng".    Belgrad  1680). 

S.  368.  Eine  ausffibrliche  Biographie  Bogiii£*s  und  Anbählnng  seiner 
Werke  im  eeobisohen  „Sv6tozor",  1879,  Nr.  89—40. 

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Ergänsüngen  und  Beriehtifraiq;en.  477 

S.  869.  [Sunnel  SinKer,  „Die  Sloyenen"  (in  „Unsere  Zeit",  1883, 
Heft,  12,  S.  876—891;  mit  überaetsteu  Proben  aus  sloves- Dich  tarn  nnd  der 
■loven.  Volkspoesie).)  Du  beate  sloveniaohe  Lexikon  ist  dai  „Dentaeb- 
■loveniiabe  Wikterbuoh"  (2  Bde.    Lftibaoh  1860). 

S.  374.  [F.  Herrn.  Me;er,  „Primus  Trüber,  Haus  Freih.  v.  Uognkd 
und  Genossen"  (im  „Archiv  für  den  deotsohen  Buchhandel",  VlI,  62—100), 
behandelt  die  gesehätitlicbe  Seite  der  würtemberger  UoteruelimuDgen,  in 
Bezug  auf  Herstellung  der  Manosoripte,  Beschaffung  der  Geldmitte),  Druck 
und  Vertrieb  dar  BQoher.] 

[Berichtigung.    Z.  14  v.  n.  statt  Mar6evi£  1.  MerGeriG.] 

S.  383.  PreEeren'a  Biographie  im  „Svetozor",  1878,  Nr.  50  und  im 
„Srpska  Zora",  1879,  Nr.  6  auf  Ornnd  von  Biographien,  welche  die  sloveni- 
schen  Sdiriftsteller  J.  Stritar  und  F.  Leveo  übersetsten. 

S.  384.  Eine  Biographie  Bteiweiss'  im  „Bvetozor",  1878,  Nr.  46  and  in 
„Srpska  Zora",  1879,  Nr.  3. 

S.  888.  üeber  Kopitar  führen  wir  noch  an:  Erinnemngei)  an  ihn  in 
der  Correspondenz  äelakoTSkJ's,  „Cuopii",  1871  (ein  Brief  von  StankoVraz, 
3.2S8 — 229);  äusserst  feindselige  Aenssemngen  ^afsHk's  in  „Piima  k  Pogo- 
dinu",  2.  Bd.;  die  CorrespondonE  DobroTskJ's  mit  Kopitar  in  Jagid's  Archiv; 
einige  Briefe  Kopitar's  im  Geohisohen  „Öaeopis",  1872,  in  Kskuljevid's  Ar- 
kiv,  XII  (1875);  ein  Artikel  von  DJ.  IUjkovi6,  im  Journal  „Bipska  Zora", 
1879,  Nr.  4 — 5)  nnd  die  Artikel  Lamanskij's  über  die  neuem  Denkmäler 
der  altSechischen  Sprache  im  ^nm.Hin.  Nar.Prosv.,  1879,  and  insbesondere 
der  Artikel  im  Jnniheft  1630,  der  uns  die  gerechteste  Würdigu)^  des  be- 
deutenden sloveniaoken  Gelehrten  lu  sein  soheint. 

S.  399.  Später  erschien  auch  der  2.  Bd.  des  Sammelwerke  von  Öubinskjj, 
sodass  dasselbe  vollendet  isL  Er  empfing  den  Uvarov'sohen  Preis  auf  eine 
Beurtheilung  A.  N.  Veselovsky's. 

S.  400.  Ivan  Noviokij,  „OGerk  istorii  krestjanskago  soslovija  jugo- 
Eq>adnoj  Bossii  v  XV— XVHI  vSkg"  (Kiew  1876;  das  Vorwort  cum  1.  Bde. 
des  VI.  Theils  des  „Archiv  jogozapadn.  Bossii"). 

Zur  Sprache:  (Eng.  Zeleohowski,  „Malomsko-nimeakij.  slovar  — 
Rathenisch>deutaohes  Wörterbuch"  (Lemb»]^  1882  u.  f.).] 

S.  401.  H.A.  KolosoT,  „Obsor  tvtdcovjoh  i  formalnych  osobennost^ 
narodnago  mssk^o  jazyka"  (Warschau  1878.  S.  253—266  Sohlussfolgemngen 
über  die  Besiehungen  des  grossnissisohen  zum  kleinmsaischen  Dialekt).  — 
Emil  Ogonowski,  „Studien  auf  dem  Gebiete  der  nithenischen  Sprache" 
(Lemberg  1880). 

S.  404.    Jar.  Vlaoh,  „Die  ethnographischen  Verhältnisse  Südrusslands 
in  ihren  Hauptepochen"  (in  den  Denkschriften  der  wiener  Getq^phisohen 
Gesellschaft  1880).    Der  VerÜMser  hatte  den  Artikel  nieht  snr  Hand. 
•     S.  425.    (Z.  9  V.  o.  sUtt  von  Sanok  1.  Sanockij.) 

S.  425.     [Z.  13.  V.  o.  statt  Qearg  L  Gregor  (d.  i.  Grigorij).] 

S.  446.  Die  neue  Ausgabe  des  Samovidec  ist  nachträglich  erschienen; 
„LStopid  Samovidca  po  novootkryt^m  spiskam,  s  priloieniem  treoh  malo- 
rossgekich  Chronik:  Chmelnickoj,  «Kratkago  Opisanija  Malorossiiu  i  «So* 
branija  IttoriGeskagoo.  Izd.  Vrem.  Kommissieju  etc."  Kiew  1878.    81a.468S- 


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478  ErgftniniigMi  nod  BeriolitiKniigen. 

S.  462.  Ueber  du  »Ite  kleinnuilMlie  Dmna  Btehe  die  nm&ngreiobe 
Abhandlung  von  N.  I.  FetroT:  „JnjDornBiktqa  litorfttorB  XVlil  vElm,  prai- 
maKeitvenoo  dratnfttiliesk^a"  in  „RiuBk.  V^tnik",  1880,  Mai  □.  %. 

8.  463.  Ueber  die  Memoireo  ^epa's  Biebe  bei  Bantyi-KuaeoBkij,  lator. 
Maloj  Boseii,  2.  Anfl.    I.  Bd.,  VIIL 

S,  471.  Am  1&  Not.  1878  wnrde  tu  Charkov,  Kiew  and  St  Petersburg 
das  Andenken  an  den  l^yndertjälirigen  Geburtstag  Kvitka'a  gefeiert.  Ueber 
die  Festfeier  in  Petersburg  ■.  „Novoe  Vremja",  1878,  Sa  öov. 

S.  483.  In  der  prager  Ausgabe  von  äevEenka'e  Werken  finden  sich 
auch  EriDnerungen  an  ihn  und  an  die  Brüdencboft  des  h.  K;riU  und  Me- 
thod  von  N.  1.  Eostomarov. 

Tgl.nochOraetjan(£mil)OgonoTskij,  „2ite  Tarasa  ^vCenka.  Cituik» 
dlja  aeljan  i  miiCan"  (Lemberg  1876;  eine  Brosohflre);  V&c«lav  Dunder, 
„Taras  ^vCenko"  im  Journal  „Oavita",  1872,  Mr.  9,  II;  „Pominki  T.  G. 
^vCenka  25.  fevr.  1879  goda  v  Odessf.    Sofit.  A.  T."  (Odessa  1879). 

S.  487.  Ueber  die  Bit^raphie  Kostoinarov'B  vgl.  noch  in  ,4't^rqa  Pe- 
terb.  Univerriteta",  186a 

S.  499.  Nekrolog  Alexander  Storoienko's  in  „Odessk.  TSatnik"  und  in 
„Pravda",  1875,  622—524. 

8.  514.  KostomaroT,  „Die  historische  Bedeutung  der  eüdrusa.  Votke- 
poesie"  —  eine  Artikelserie  rrassisch)  im  Journal  ,^ee$da'*,  1872;  »Die  G«- 
Bohiobte  des  Kosalcenthums"  ...  in  der  sfidmss.  Tolkspoesie  (ruiaiach)  im 
Journal  „Russk.  Myal",  18S0,  eine  It«ilie  von  Artikeln. 

3.  618.  Alfred  Ramband,  „L'Ukralne  et  les  ohaDions  historiqnes", 
in  Revue  d.d.  Mondes,  1876.  IX.—  A.  Chodiko,  „Lea  ChenU  hiatoriqMs 
d'Ukraine  et  les  ohansons  desLatyohes  dea  bordes  de  laDvina  oooidentale'' 
(Paris  1879). 

S.  519.    (Z.  1  V.  n.  statt  MaksimoriS  L  Maksimov.] 

S.  630.  K.  L.  Knatodiev,  „Iz  istorii  rKtoikrovanij  avetr^kiob  SIa- 
vjan.  Posolstvo  ugorskich  Russkiok  v  Y^6  v  1849  godn",  in  „Rnsak.  Viat- 
nik",  1872,  Nr.  4,  S.  377—407. 

S.  686.  Zur  Bestimmung  der  Beziehnngen  der  Rassinen  und  Polen  cn- 
einander  finden  sich  wichtiges  saohliohes  Material  and  Urtbeile  suisinmen- 
gestellt  in  der  Sehrift:  „Polityka  Polaköw  wzglgdem  Rusi.  üapiaat  Stefim 
Kacsata"  (Lemberg  1879.    867  S.) 

S.  536.  Die  Abkiudlui^  HoUvackij'e  „0  pervom  literatumo-nmstven- 
nomdvUenii  etc."  (deutseb  in  „SlaT.Ceiitralblatt",1866,Nr.87— 40);  diewlbe 
rassisch  aus  dem  Deuteohen  von  N.  Bnnakov  in  „Filol.  Zapiski",  1867. 

S.  .')61.  Zn  denen,  die  geistliche  Werke  nnd  Predigten  verfanten,  ist 
noch  0.  UinileviE  binmiuf^gen. 

S.  612.    [Anmerk.  Z.  2  v.  u.  statt  KlementoviC  1.  Eleraertovie.) 

S.  678.  |Z.  13  V.  o.  der  dort  angefahrte  Ortsname  Pirjalevo  (richtiger 
Prjaiev)  ist  die  slavisoha  Benennui^  von  Eperies.] 


.y  Google 


Erg;anEDng«n  and  Beriobtigungen.  479 

Znm  IL  Band,  1,  Hälfte. 

S.  12.    |Z.  8  V.  o.  statt  Bolidamobe  H»h  I.  aesnmmtbürgschftft) 

S.  30.  |N.  Bobowski,  „Die  poIo.  DichtuDg  des  15.  Jahrb.  I,  Morien- 
gedichte"  {Breslau  1883).] 

S.  44.     [Z.  &  V.  o.  itatt  Kroins  1.  Paul  von  EroSno.] 

S.  45.  St.  FtkBzycki,  „Mikolaj  Rej  z  Naghtwio  i  Ka.  Josef  Were> 
szingki"  (WUna  1880). 

S.  188.  [A.  W.  Maoiejowski  starb  10.  Febr.  1883.  Nekrolog  voa 
St.  Ptaszycki  im  2um.  Minist.  Kar.  Prosv.,  1883,  März,  S.51— 60.—  Rud. 
Ottmann,  „Jan  Pawet  Woronioz"  (Krakau  1883).] 

S.  210.  [BrndziABki'a  Wioafaw,  deutsch  von  Job.  Komicki  (Tamow 
1883).] 

S.  353.  [Slowacki's  Beatrice  Cenci,  deutsch  von  Robert  Riacbke  (Jaro- 
slav  1883).] 

S.  417.  Szajnooha's  „Hedwig  und  Jagiello"  erschien  1879  in  russi- 
Boher  Uebersetzung  von  Kenevi5. 

S.  433.  {Viktor  Ccajewski,  „Katzuhi.  Kilka  s)öir  o  ich  iyciu  i 
poezyi"  (Warschau  1883).) 


Zum  II.  Band,  2.  Hülfte. 

S.  63.  Ancb  den  „Uastifikif"  hielt  Sembera  fär  nntergeiohoben:  „Ma- 
sti^käf'  za  pad^lanf  pom&n  a  s  literatury  v^vrien  r.  1879".  Seine  Besobal- 
digui^  weist  Oebaner  kategorisch  zurück  in  „Listy  filo).  a  paedag.",  1860 
und  in  Jagi£'s  „Archiv",  lY.  Bd. 

S.  101.    (Z.  16  V.  o.  sUtt  Gutaemator  1.  Verwalter.] 

S.  109.  [Z.  18  V.  u.  sUtt  Jobann  u.  o.  w.  1.  Peter  Nfimec  von  Saati 
(Steckt).) 

S.  194.  243.  Von  dem  erwähnten  Buche  von  Jak.  Hal$:  „Naie  znovu* 
Eiozeni",  erschien  der  2.  Band,  den  Jahren  1848—49  gewidmeL 

S.  207.    (Anmerk.  Z.  7  v.  o.  sUtt  Lavrovskü  1.  Dnbrovekij.] 

S.  263.  (Job.  Nernda,  „Genrebilder,  Qbersetzt  von Ant. Smital''  (Leip- 
zig 1883.    Reolam's  Dniv.-Bibliothek  Mr.  17ö9).] 

S.  280.    Die  Biographie  Konst.  JireSek's  in  „Srpaka  Zora",  1879,  Nr.  9. 

9.  281.  Jos.  Lad.  PiS,  „Ueber  die  Abstanunung  der  Romineu"  (Leip- 
zig  1880). 

S.  291.    Emil  Öern^,  „Slovenskä  Öitanka"  (Wien  u.  Nensobl  1864— 66). 

S.  825.     [Anmerk.  Z.  1  v.  o.  statt  Cerveu&k  t.  Cerven&k.] 

S.  357.    Bisher  hat  man  folgende  Aehnliohkeiten  von  Liedern  bemerkt: 

A  kdybyoh  j&  vidfil  (Und  wenn  ich  wüstte),  ans  dem  16.  Jahrhundert 
(Jungmann  IT,  Nr.  201,  S.  139)  mit  dem  neaen  mährischen  Liede  bei  Sulil 
Nr.  200  (Ausg.  1860):  A  dybych  j&  smotn^  vMzSL 

Dobrä  DOC,  mä  mil&,  dobri  noo  (Oute  Nacht,  mein  Liebchen,  gute  Nacht), 
im  Kunwalder  Cancional  1676,  mit  dem  neuslovakischen  Liede  bei  Koll&r: 
Dobrü  uoc,  mk  duial  dobrä  ncc  viniqjem  (N&r.  Zpiew.  I,  196). 


.....Gooj^lc 


480  Ergänznngei)  und  BonohtigongeD. 

ElKks  roilä,  Eliiko  (Elsohen,  lieliea  Elsohen),  aus  dem  ID.  Jahrhundert 
(Feifalik,  S.  73Sf  mit  dem  (eohischeu  bei  Erben,  S.  66  (Aiug.  1862— 64j. 

Na  toro  panskem  poli  (Auf  dem.  herrsobaftlichen  Feld«),  ans  dem 
16.  Jahrhandert,  mit  dem  Liede  bei  Erben,  Nr.  469;  bei  Suiil,  VariaateB 
zu  Nr.  65B  (S.  786). 

Nie  to  nie,  aua  dem  16.  Jahrhundert,  mit  dem  Liede  bei  Erben  Kr.  9 
{S.  fil6),  bei  SuSil  Nr.  388. 

Poved^laSibjUa  däte  (Es  erzählte  Sibj^lla  weiter),  aus  dem  16.  Jahrhan- 
dert,  vgl.  bei  Kollär,  När.  Zpiew.  II,  467—468. 

Pro£  kaliua  v  struze  atoji  (Warum  stdt  der  Holderbusch  im  Bache),  ans 
dem  16.  Jahrhondert,  mit  dem  Liede  bei  Erben  (S.  160  a.  804),  bei  Suiil 
(Nr.  433,  S.  321),  bei  Krolmus,  „Staro6eske  povSsti,  zpSvy  etc."  (II,  S.  70, 
der  ersten  Fagination). 

Vej  v^MCkn  z  Dontge  (W^e,  Wind,  von  der  Donan),  im  Kuuwalder 
Cancional  lö72  a.  a.,  mit  dem  mährisohen  Liede  bei  Suiil  Nr.  622  (S.  438). 

Vimt  ja  h^ek  zelen^  (Ich  kenne  einen  grOnen  Hain),  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert, mit  dem  mährischen  Liede  bei  Suiil,  Nr.  887  (S.  764). 

S.  369.  [Vom  sechsten  Kapitel  des  vorliegenden  Werkes  bat  di«  Ter- 
lagefaandluDg  auch  eine  Separatansgabe  veranstaltet  u.  d.  T.:  „Das  serbiscb- 
wendisohe  Sohrifttbum  in  der  Ober-  und  Niederlaositz.  Von  Ä.  N.  Fypin. 
Aua  dem  Knaaisobcn  übertragen  sovie  mit  Ergänzungen  und  Beriobtignngea 
versehen  von  Traugott  Feoh"  (Leipzig  1884).] 

S.  383.  [Wilh.  BognslawRki  a  Mich.  Hörnik,  „Historija  Serbskeho 
naroda"  („Qesohicbte  des  serbisoh-wendi sehen  Volkes",  Bautzen  1884.  XVI, 
144  3.  mit  einer  hittor.  Karte,  das  6.— 11.  Jahrb.  betr.).  Das  Werk  ist  einem 
grossem  Werke  W.  Bognstawski'a  entnommen,  das  demnächst  in  Poaen  tu 
erscheinen  beginnt:  „Dzieje  Stowiaäizezyzny  Fötnoano-zachodniej"  {„Q^ 
aohichte  des  nordwestl  Slaventhums").  H.  HAmik  hat  ans  demselben  naoh 
dem  polnischen  Manuscript  den  die  Lansitzer  Serben  betreffenden  Tbeil  in 
der  heimatlichen  Sprache  bearbeitet  und  hier  und  da,  besonders  in  den 
letzten  zwei  Kapiteln  (17.— 19.  Jahrb.),  mit  einigen  Znaätcen  veneha.] 

S.  398.     [Z.  18  V.  o.  statt  f^elakovky  I.  Öetakovsk^] 

S.  413.  [Jakob  Ciüniki  (Jakob  Bart)  gab  noch  ein  Bändchon  So- 
nette heraus:    „Kniha  sonettow"  —  Buch  der  Sonette"  (Bantien  1884).) 

S.  456.  (Der  in  der  Anmerkui^  oitirte  Artikel  Qber  den  literarischen 
Fanslavismui  ist  von  A.N.  Fypin  verfasst.) 

B.  468.    [Z.  6  T.  o.  statt  Rambeau  I.  Rarabaud.] 


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Register. 


icbs  OaatniUnde  gue>i[l*b*n  i 


Abraham,  Binchor  vou   FreiBitiKe»    I, 

372. 
AuernuR  a.  Klonowiiu;. 
Adalbfirt  (VojUch),  Bischof  Tnn  Frag 

11,1.    !(Ü;   11,».    27.  29.  381. 
(A<)Bm  von  Brfimcn  II,  a.   37«.] 
Adämek,  K.  II,  ü.   278.  301.  4ir>. 
[Adelung  II,  e.   SW.  441.] 
Arauaaiev,  A.  iN.  I,  38.  lOU:  11,2.  37. 
Afanas^ev  .(Om«er|  I,  52H. 
AfaniiBjt!v-CDzbinakij   I,  483. 
Aksakov,  Ivan  II,  i.   21H. 
Akaakov,  Konst.  I,  S8;    II,  i.   37.  42. 
Aksakov,  N.  II,  a.  4l)r). 
Albertraadi  II,  i.  IHa 
Albiaus,  Chr.  II,  i.  421. 
Albrecbt  von  Kamenko,  Nikolaus  II,  t, 

154. 
Aleksijevic',  Dim.  II,  i.  473. 
[Ami-Bou^  I,  18.  fiC.  G7,  182.  Ü82.  302.] 
Anöid  I,  232. 

Andreas  von  Böbmisubbrod  II,  i.  99. 
Andreas  von  Duba  II,  i.  G(i. 
Andreas  (Russine)  I,  434. 
[Andree,  Rieh.  II,  i.  377.  381.  383.  406.] 
Andrii^,  A.  I,  298. 
ADgeberg,  0.  II,  i.  131. 
Angelar  I,  75. 
lAutoo,  Karl    Gottl.  I,  t!;    11,«.  392. 

399.  442,] 
AntoD,  IMmata  s.  Dalmata. 
Antoni,  S.  H.  s.  Kolle. 
Antoniewioz,  Karl  II,  i.  430. 
Antouin  (Arohim.)  11,  S.  468. 
Antonovie,  V.  B.  I,  400.450.511.513. 

BI7.  518.  519. 
Antonovablj,  M.  1,  467. 
"    pendini,   F.  M.  I,   218.  237.  248; 
l,  i.  442.] 
PipiK,  SlBdioh*  Lltmtnmi.  n,  3. 


[Appen 


Aprilov,  V.  I,  129.  150. 

Aijuilo,  Joh.  I,  149. 

Arl)eB,  Joh.  Jak.  II,  »..255.  256.  263. 

(Äretiu  I,  872.] 

Arscnius  (Ileguineu)  I,  531. 

Arteuiovakij-Gulak,  P.  I,  470.  471.  474.  ■/ 

492.  566. 
Asnyk,  Adam  II,  a.  302.  426. 
lAsxemani  I,  227;  II,  s.  441.] 
Ast  II,  11,  389. 

AsUrdiiev,  N.  M.  II,  n.  471. 
Atanackovii',  Bogoboj  I,  2iW. 
Atanackovic,  P.  I,  288. 
Atbanasius  (Möoch)  I,  92.  111. 
lAuerBperiF,  Gi-l.  a.  Gi'üo.] 
August»,  Joh.  11,  i.  146.  153.  154. 
Auguntin  von  Olmütz  (Olomuckj';  Kae- 

senbrot)  II,».  120.  121.  139. 
Avramovic^  I,  72. 


Babuki<5,  V.  I,  218.  31!i. 

BaobmauD,  W.  s.  Jezierski. 

Bad£ovi£,  Despot  II,  ».  472. 

Bajza,  Igu.  II,  v.  312. 

Bakaloglu  I,  145. 

Bakulini,  Mich.  11,  ».  342. 

BakuniD,  Mich.  II,».  251. 

Balabauov  I,  157. 

Balbin,  Boh.  II,».  68.  167.  174—175. 

177.  182.  183.  189.  190.  442. 
BalbJDUB,  Joh.  II,  t.   122. 
BaliriHki,  H.  II,  i.  9.  106.  l!*a. 
Baluoki  II,  i.  428. 
Baludjaoskij,  Andr.  I,  577. 
Bau,  Matija  I.  304.  331;  II,  i.  474. "  - 
Bandtkie  1,  416;  II,  ».  442. 
Bandulovic  I,  232. 
[Banduri  I,  235;  II,  t.  441.] 
31 


...Google 


482  ReK 

Bänovak/,  Georg  II,  e.  307. 
BaatyS-Kamenakij,  D.  I,  400.  515 ;  H,  3. 

478. 
BBptiHt&  a  S.  Cmce  ».  Kerstnik. 
Barik  II,  s.  2.  54. 
Barakovi«,  G.  I,  261.  346. 
BarenoviS,  Lozwr  I,  442. 
Barat;iukij,  Eug.  II,  i.  256.  25». 
Barchatoev  II,  i.  286. 
'"    ■  ley,  H.  C.  I,  66.] 

Barsov,  E.  B.  1,435. 

Bart,  Jakob  II,  >.  413-414.  480. 

Bartenev,  P.  I,  163.  183;  U,  i.  371. 

(Barth,  H.  I,  66.1 

[Barthold  n,  i.  376.1 

BkrtholomaeideB,  L.  II,  i.  290. 310. 317. 

Bartholomilus  Pisaf  (Bartol)  II,  t.  150. 

Bartkö,  Job.  11,1.  401.  409.  414. 
Bartoszewicz,  Jul.  II,  i.  7.  8.  30.  165. 

Bartoi,  Fr.  II,  i.  3.  27a  367. 

Bartt^k  von  Drah;Dio  II,  i.  115. 

Barvinskij,  A.  I,  566,  570. 

[Biwtisn  I,  303.] 

Baazko,  Godisl.  II,  i.  27. 

Ba&kin  I,  61. 

BatjuäkoT,  P.  I,  416. 

(Battaglift  I.  483.] 

Baudouin   de  Courtenay,  J.   1,  3fl3; 

11,1.  28;  11,1.  378. 
Baum  II,  s.  48.  49.  124.  278. 
Baumann  I,  487. 
[Bayer  II,  i.  441.] 
BaziloviE,  Joanniky  I,  677. 
Bazylik,  Cyprian  II,  x-  63. 
Bechyfika,  Job.  II,  i.  139. 


ßeckü  I,  481.  484. 

BeokovBky,  Jos.  11,  a.  175. 

Beda,  C.  I,  316:  11,1.  303. 

Beda  Dudik  b.  Dudik. 

IBeeeer,  Jul.  II,  i.  165.] 

[Beidtel  a.  Tebeldi.] 

Bejta,  Jarosz  s.  Rzenueki,  Heinr. 

Beku,  Aug.  II,  1.  271.  2%.  306. 

Bei  (Belius),  Matthia»  II.  t.  309.  810. 

B«laev,  I.  D.  I,  416. 

BetcikowBki,  Ad.  II,  i.  109.  114.  209. 

Beliug   a.  Bei. 

Bella,  Jan  II,  i.  366. 

BelloBztenecz,  I.  a.  BeloBtenec. 

Bflobradov  I,  167. 

Beluateneo.  IvaD  I.  218.  261. 

BMozerskij,  N.  445. 

BilozerBkij,  V.  I,  485.  488.  492. 

Bendi,  Vipe.  11,  i.  281. 


Benedioti    tod   Kudoier,    LkDrantit» 

II,  ».  146.  162.  171.  30a  328. 
Benediktov,  V.  I,  327;  II,  i.  25. 
Beael  von  Hotovic  b,  Hgfovic. 
BeneEovskj    (Philonomua),    Mattbäas 


II,  i 


146. 


Beniovriki  II,  i.  856-358. 

Bentkowaki,  Felis  II,  i.  6. 

Berinek.  J.  II, «.  162. 

Berohtold,  Graf  II.  i.  315. 

Ber&i<5,  Ivan  I,  66,  230. 

Berg,  N.  II,  i.  276;  II,  s.  42.  220.  236. 

[Bergbaua,  H.  I,  182.1 

BerlK,  A.  T.  I,  184.  218. 

Berlieka,  Adalb.  II,  i  175. 

BematowiCE  II,  t.  193. 

Berooläk,   Anton  II,  i.  291.  313.  314. 

316.  345. 
BeroviS  (Baron),  Pet«r  I,  146.  146.   . 
Berynda  s.  Famva  Berynda. 
Beakydov  e.  Falärik. 
Betondiö  (Battondi),  Joupb  od.  Joao 

I,  252.  348. 
Betondiö,  Jakob  I,  252. 
Bettondi  8.  Batoiidiö,  Joe. 
mezoldi  I,  462.]    - 
BezBODOv,  Pet«r  I,  149.  170.  172.  174 

-177.  343.  346.  366.  450.  526-629. 
Beian,  S.  I,  157. 
[BidennMin,  H.  J.  1,  16,  630.] 
fiieUwaki  II,  i.  169. 
Bielowski,  A.  1,  530.  583;  II,  i.  9.  11. 

64.  394. 
Bielski,  Joaob.  II,  i.  85.  86. 
Biehki,  Mart.  II,  i.  85.  86;  II,  i.  440. 
Bierling  (Pastor)  II,  i.  386. 
Bilbaoov,  V.  I,  61. 
Bilc,  J.  I,  386. 

Bilejovaky,  BohuiL  II,  s.  151. 
Bilek,  Jak.  II,  i.  164. 
Biljarakii,  P.  I,  28.  139;  IL  i.  28. 
BilJ,  J.  E.  1,  51. 
Birkowski,  Fabian  li,  i.  104.  106. 
Biekupeo  a.  Pilgram,  Nikolaus  v. 
Bjedrich,  Nik.  II,  i.  413. 
Blegove&eeuakij,  >I.  I,  82. 
Blahoalav,  Job.  1,  509;  II,  i.  13a  146. 

148.  150.  152-164.  270. 
[Blanqui,  A.  I,  66.] 
Blaaa,  Leo  a.  Sabiua. 
Blaenik  I,  893. 
Bla£ek,  M.  I,  27a 

Bleiweiaa,  Job.  I,  383.  384 ;  II,  t.  477. 
Bleskov,  Blskov,  J.  I,  167.  162.  166. 
Bleakov,  P.  I,  163;  11,1.  471. 
Blixiniki  ü.  i.  428. 
BUkov  a.  Bleakov. 


.....Gooj^lc 


IBlaTnenstoek,  H.  II,  i.  334.1 
BobEev,  S.  ti.  II,  1.  471. 
BnbolJDBkij,  Leont.  1,  448.  44A. 
»oboweki,  N.  II,  >.  479. 
Bol.rovskü  I,  528. 
Bobrowicz,  Joh.  Nep.  U,  i.  129. 
Bobrayiieki,  M.  II,  i.  8.  9.  18.  19.  428. 
Ilotek,  Ant  II,  i.  270.  271. 
Bodjanskij,  O.  M.  I,  5.  51.  54.  55.  75. 

129.  342.  355.  3GÖ.   390.   404.  425. 

446.  459.  463.  474.  476-478.  515  - 

516.  568.  585;   II,  i.   37.  210.  Sia. 

365.  378.  446.  44». 
BogaBmorii!,  Lakretik  I,  253. 
Bogdatiovif,  Hippol.  I,  458- 
BogedaiD,  Bernh.  11,  1.431. 
'  Bogilic,  V.  I,  84a  349.  368;  II,  i.  466. 

476. 
fiogoev  B.  BoKorov. 
Bogonil,  der  Pope  I,  90.  110.  11t. 
Bogomoleo,  B.  I,  155. 
Bogomoleo,  Frz.  II,  t.  169. 
Bogorov    oder  Bogoev,   I.  A.  1,  130. 

151.  156.  169. 
Bogovid,   M.  I,  319.   325.   330.  334; 

11, 1.  242. 
Boguchwal  II,  s.  439. 
BoguslawBki ,  Adalhert  (poln.  Dranit- 

liker)  II,  I.  170.  180.  131.  204. 
Bogualawski   W.  (Historiker)   I,   22; 

fl,  i.  378.  381.  382.  383. 390. 398.  480. 
Bohdanowioz,  S.  von  II,  i.  424. 
Böhmer,  Joh.  11,  i.  389. 
BohoriC,  Adam  I,  374.  375.  376.  378; 

II,  1.  440. 
Bohualav  von  Lobkovic  b.  I^bkovic. 
Bojiö,  Luar  I,  288. 
Boleitawita  b.  Kraazewski. 
Bolobao,  GedeoD  1,  441. 
BonCov,  N.  1,  163. 
BoAkowBki  II,  1.  210. 
IBoDDechose,  Fr.  de  II,  t.  B8.| 
[Bopp  I,  C.  28.  353.  391.J 
Borbis,  Joh.  II,  t.  291. 
Boreckij,  Hiob  1,  435.  439.  441.  444, 
BorkowBki,  Alex.  II,  i.  394. 
BorkowBki,  Job.  II,  i.  394. 
Boro,  Ign.  II,  i.  181. 
Borovikovakij  I,  474. 
Borovsky  a.  HavliCek,  Karl. 
horovi.  Kl.  U,  s.  270.  978. 
Borowaki,  Leo  II,  i,  230.  231.  240. 
IBoBe  II, «.  383.] 
Boskovic,  Johanna  IL  i.  121. 
BoBkovic,  Ladisl.  v.  II,  i.  120 
Boikovic  (Hathem.)  1,  235. 
Boikoviö,  Anioa  I,  252. 
Botkoviö,  I,  184. 


■ter.  4ft3 

Bofikovi6,  Peter  I,  252. 

Botto,  Joh.  II,  1.  338. 

[Bowriog,  John  I,  35ü.j 

Bozdfch,  Em.  U,  i.  S59. 

BoEveli  B.  Neofit 

BoziEeviö  I,  237. 

[Brachelli,  H.  F.  I,  16— 24.1 

[Brachvogel,  E.  II,  i.  318.) 

Brodaika,  Franja  I,  386. 

Brancel  s.  Freuzel. 

Brandt  V.  II,  s.  3.  43.  44.  CO.  124.  15(J. 

271.  272-273.  367. 
Brandt,  Roman  II,  s.  473. 
Brauioky,  Bischof  Clemens  II,  i.  471, 


it) 


DjiuiiuKU,   i>iacuuj   \.rjt;jiieus  14,  z. 

Brankoviä,  Qeorg  (Despot  u.  Cbro 

I,  209.  264.  341. 
Bruikovi<!,  Kosta  I,  296, 
Brainiä  I,  218. 
[Broun  U,  i.  128.] 
[Braun,  K.  I,  354.) 
Braxatoria  ■.  SlidkoviC. 
BHzan,  Wenzel  II,  i.  155. 
B^CEOTi,  Laurentias  von  II,  >.  67.  112. 

115. 
Brezovaeki  I,  262. 
Brodovif,  Theodos.  I,  558. 
Brodak«  a.  Fric,  J.  W, 
BrodzinBki,  Kozimir  II,  i.   208—213. 

219.  371.  419;  II,  i.  242.  ÜSl.  479. 
Bronevskü,  V.  I,  298, 
BroDiü,  Chr.  WJlh.  II,  i,  418. 
BroDÜ,  Heinr.  Aug.  U,  i.  418.  421. 
Broni6,  Paul  Fr.  ft,  t.  421. 
Bronskij,  Christoph.  1,  434.  441. 
[Bropfay,  Ch.  A.  1,  66,J 
BrosciuB  s.  Brzoaki. 
Ißrückner,  A.  II,  j.  376.] 
Bruerovid  (Bruere  Oerivaiu)  I,  254, 
[Brüggeu  iX  ..  131.] 
[Brabl,  B.  K.  I,  358.] 
BruuQ  (Bnin),  F.  II,  t.  380.  468. 
Brzoski,  Joh.  II,  i.  97. 
BuEif,  Michael  I,  260. 
BudiloviC,  A.  1,  17—24.  54;  II,».  a 

IBudinger,  Max  II, t.  39.  42.  43] 

BudjaDskij,  V.  1,  495, 

Budmoni,  P.  I,  184. 

Bujnicki,  Karl  U,  i.  392. 

Buk,  Jak.  11,1.  409.  410.  412. 

Bnlgakov  a.  Hakarij. 

Bulgftiiu,   Tb.    II,  1,   231.   233.   260; 

II,  s.  344. 

Bulgaris,  Eugeniua  I,  270. 
Buoakov,  N.  II,  j.  478. 
Buniti  (Familie)  I,  235.  237.  250. 
Buaiö  (Bona),  Joseph  I,  331. 
Buniti-VuCii-evit,  Ivan  I,  250. 


31* 


.u.,GüOg[f 


484  BBfl 

Burcov  I,  429. 

liurgaaelli  I,  25f>. 

jBurmeigter  II,  *.  377.] 

BuHliRcq  I,  340.  3B9. 

BiiBlaav,  F.  I,  as.  38.  54.  75.  HC.  107. 

10!l.  lia  415.  521.  527;  11,  s.  27G. 
[Buea,  F.  J.  U,  i.  18S.] 
ByCkov  I,  422. 
By<lÄovskJ,  Marcus  II,  *.  157. 
BzeneckJ,  Wenzel  II,  i.  305. 


Caf.  OroBl.  I,  384. 

Caliimschua  I[,  i.  28.  44. 

Camblak,  Ueorg  I,  124. 126.  203— 20t>. 

21(J. 
Campauua    von    Vodfiany,    Jon.    11,  g. 

122,  14f). 
Candidus,  P.  U,  t.  172. 
Cankov  A.  und  D.  I,  129,  130.  15ß. 
Canov,  Androfls  9.  II,  ».  4(!9. 
Caaov,  Maria  A.  K.  II,  t.  4m. 
Capito  (HIavU),  Jos.  II,  i.  154. 
ICaro,  Jak.  J.  11,  i.  9.  18.J 
(Carrara  I,  356.] 
Carskij,  A.  II,  s.  187. 
Caasiua  a.  KaSic. 
(^asteilez  b.  Kaatelec. 
Castuius  e.  Gregor  von  Prag. 
Cstalinich,  G.  1,  217. 
Catancsiob  s.  Katani^ic, 
Cauaia,  Michaelia  de  11- 1.  99. 
Cebrikov  1,  528. 
regnar,  Fr.  I,  386. 
Cejnova,  Florian  II,  i.  434. 
Celles,  Konrad  II,  i.  28.  44. 
Certelev,  Fürst  I,  476.  512.  542. 
Cerva.  Serafin  I,  236.  287. 
Cerva  od.  CervinuB,  Aeliua  LampridiuB 

8.  CrjeviC. 
Chaljavakij.  C.  I,  467. 
Cbalüpka,  Adam  u.  Job.  II,  i.  334. 
Chaiiipka,  Samo  H,  a.  323.  326.  334— 

335.  338.  349.  447. 
.(^anenko,  Nik.  I,  462.  515. 
Chateauvillflin ,   Gi-ar  de  a.  Moraztyn, 

Andr. 
Chel&iuky,  Peter  11,8.  104.  108.  128 

—134.  136.  137.  169. 
Clieraakov  I,  277. 
Chitnv,  Fanajot  a.  Hitov. 
Chiüdeu  I,  467. 

(^lil^bowski,  BroDis).  II,  i.  121. 
Chtifdowaki  1(.  I.  394 
rblumeckt.  Peter  H.  v.  II.  s.  156. 
rhmfl  II.  B.  19y. 
Chmelenskt,  Jos,  Kraaoalav  11,».  "J-Ä. 

231. 


428. 
ChochnlouSek,  Prok.  II, ».  239-240. 
Choeiazewski,  Joa,  !!,  i.  433. 
(Ihodakowski ,    Zoryan    Dolwa    ( Ad. 

Czarnocki)  I,  6.  526.  527.  542.  583; 

II,  1.  188;  II,  i.  442. 
Chod*ko,  Alei.  I,  178;  11,  1.  381;  II,  i 

478. 
Chod£ko,  ^az  II,  t.  381. 
Chojecki,  E.  U,  ».  3.  367. 
Cho.inanus  II,  t.  408. 
Chojnicki  e.  Kooitz. 
Chotonieweki,   Stanis).  II,  i.  26.5.  388, 
Choinjakov,  A.  I,  m>.  506;  Tl.  t.  244. 

371.  448, 
[Chopin  I,  182.] 
ChovsDskii  n,  1.  434. 
Chrabr,  der  Mönch  I.  77;  II,  *.  287. 
Chriataki    PavIoviC    a.    Pavlo»iC    ron 

Diipiiica. 
Christian  von  Pracfaatic  a.  Praohatic. 
Cbriatophor   Philalethea   b.   Bronskü- 

Chritt. 
Chrönn  (Hren),  Biachof  I,  37a 
Chvaletio,  Weniel  von  IL  s.  99. 
Cibutka  II,  i.  154. 
CidlinakJ  b.  Janda. 
Cieazkowski,  Aug.  II,  t.  335.  3Aa 
IClair  B.  St.-Clair.] 
Clemens    (Kliment),   balg,  Bischof  a. 

Clemena  (Kliment),  einer  iler  heil. 
Sieben  I,  75.  76 ;  II,  a.  213. 

Clemena  Zinoriev  I,  464. 

Climacns,  Johannes  I,  202, 

Codicillns,  Petma  II,  i,  69.  122, 

Collinna  s.  Kolin,  Mattbaeua  v. 

Comeniua  e.  KomenakJ. 

Conaul,  Stephan  I,  228.  374. 

CopemikuB,  Nik.  s.  Kopemih. 

[ComeliuB,  Peter  tl,  i.  256.] 

Cornova  II,  b.  200. 

(Conrbiitre,  C.  II,  s.  467.) 

[Cranz  II,  ».  135J 

Crinitas,  David  II,  %  122. 

Crjevii^  (Cerva,  Cervinna),  Ilija  I,  2Si. 

Cmojevii;,  Geoiv,  I,  216. 

Cromer  Marl,  II,  t,  85;  II, ».  440. 

[Crouae,  J.  I,  67.] 

Csaplovics  a,  CaploviE. 

Ctibor  von  amburg  U,i.  117.  lÄ 
124. 

iCunibert,  B.  S.  1.  183.] 

[Cuuo  I.  G.  I.  7.) 

Cybnlaki,  A.  U,  i.  8. 

Cybulski.  W.  II,  1.  248. 


.,  Google 


CjpriaD,  ruBB.  Metropolit  t,  1'25.  216. 

CypriuuB  s.  Praeotawski. 

Cyrill,  der  Heil.  (Konstontiii)  I,   15. 

51—60.  74-77.  219.  226.  372;  II,». 

7.  24.  29.  213.  «7. 
CyriU  ».  Methodina  II,  j.  M.  141.  187. 

28a  314.  347.  319.  361.  407. 
Cyrill  von  Turov  t.  Kyrill  von  Turov. 
Cyi,  M.  II,  s.  401. 
Czacki,  Felix  11,  i.  178.  197.  198. 
Cz^ewBki,  Vikt.  II,  t.  479. 
Czajkowski,  Antun  II,  i.  392, 
CKajkuwski,  Miüli.  U,  i.  382. 
Czaruköw,  Janko  von  II.  t.  27. 
Czaruooki  (Adam)  e.  CtaodakowBki. 
Czeczot  II,  1.  9. 
[Czörnig,  K.  I,  16  -23 ;  II,  *.  312.  369.] 

t,  I.  P.  II,  ».  468. 
fiapek,  Job.  II, »,  10!*. 
CaiiloviC,  J.  I,  217;  II,»,  290.  324. 
Cccb,  NikolauB  i.  Nikolai  de  Bohemia. 
Goch,  Svatopl.  II,  t.  258.  262.  263.  283. 
(■ejka,  Dr.  II,  ».  241. 
Cekanovic.  Slavomil  11,  *.  290. 
CelakovBk^,   F.  L.  I,   28.  583;   11,  ». 

3.  75.  195.  225.  226-229.  230.  244. 

248.  249.  358.   363.  375.  398.  404. 

446.  447.  477. 
Öepa  I,  463;  II,  i.  478. 
Cemev,  At.  A.  II, ».  470. 
Cernin  von  Cbudenic,  Grf.  Hurm.  II,  i. 
,  173. 

('eruojevic,  Arseuije  I,  13. 
CeruJ,  Emil  II, ».  291.  479. 
fkruy,  Job.  (böhm.  Bruder)  II,  i.  148. 

15a. 

Coruy.  Job.  II,».  281. 

Ccrveoäk,    Benj.  Pravuul.    II,  ».   290. 

323.  325.  479. 
Covapovic,  GrgTtr  I,  257. 
^iutulov  I,  163. 
Cistovic,  J.  I,  443. 
Öulakov  I,  ISO.  172. 
frufie,  J.  I.  230. 

CubiuBkij.  P.  P.  I,  23.  .^99.  518-521; 
,  II,  i.,477. 

Ciibr   Oojkovii;  b.  Milutiuuvic. 
flabraDOvie,  Andrija  I,  243. 
Cupii-  II,  1.  473.  474.  475.  476. 
Cupr  II,  t.  75. 


Bter.  485 

D.,  M.  II,  ».  289.  290.  295.  331.  340. 
ÜaEicky  TOD  IUbIov,  Nikol.  II,  x.  146. 
Dainko,  P.  I,  369.  382.  393. 
Dalimil  I,  370;  II,  s.  50.  56.  61  —  65. 

71.  118.  190.  206.  275.  439. 
Dalmata,  Auton  I,  228.  230.  374. 
DalmatB,  Georg  I,  374.  375.  376.  ;n8. 
Danitic,    Geo:^  I,   28.  126.  181.  205. 

206.  213.  2ia-243.  244.  259.  284. 

310—312.  341.  342.  367;  II,  ».  474. 
Daniel,  serb.  Historiker  I,  205.  207. 
Daniel,  kleinrusB.  Historiker  I,  537. 
Daniel,  Abt  I,  397.  413.  415. 
Danielewiaz  II,  i.  316.  317.  819.  326. 

360.  369. 
Danielewaki,  Ig^.  II,  i.  483. 
Danilowicz  J.   I,  416.  ^1.  527;    11.  i. 

237. 
Danov  11,1.  471. 
DantiscUB  B.  Flaubsbindur. 
Uaakalov  I,  154! 
Davidovie,  Dim.  I,  1^3.  280.  283.  287. 

290.  291. 
ID'Avril  I,  866-1 
Daxner,  St.  II,  ü.  342.  343. 
Dsboteoki,  Adalbert  II,  i.  121. 
Deuina  II,  i.  85. 
Dfidiukij,  B.  I.  543.  556.  557.  559- 

561.  564.  567.  572. 
Deika  Job.  II,  i.  394. 
Delta  Bella,  P.  A.  I,  218.  251. 
[D'Elvert  II,».  3.  271.] 
Demeter,  Dimitr.  I,  327.  331. 
Demntb,  K.  II,  i.  124. 
[DeniB,  Ernst  II.  i.  68.  141.  142.] 
[Deprez,  H.  I.  66.  182.| 
Deriaviu  I,  385. 
Deiko  I.  530. 
DetmevBki.  Jos.  II,».  6H. 
Devolan,  G.  A.  I,  531;  II,  t.  291. 
Dimitroviö,  Nikola  I.  244. 
[Dimitz,  A.  I,  369.] 
Diuklea,  Priester  von  I,  229.  218.  343. 
Dionysina,  bulg.  SchriftBt.  I,  123. 
Divkuvic.  MatUiiaa  I.  232. 
DjaCan,  P.  I,  537. 
Diordjevit:,  MiUu.'I.  309. 
Diordjevic,  Viadan  II,».  171.  175. 
Djordjiö  (üeorgi),  Ignaz  I,  2.'i4.  2.^7. 

239.  251-253.  324.  348;  H.  ».  410, 
Dlabaü  II.  1.   182.   102. 
IHi^os/,  Job.  11,1.  25—27.  59;  II,». 

4tO. 
Umitriev,  ruaa.  Dicbtur  II,  i,  2.W, 
Dmitriev.  M.  I.  52if. 
Uniocbüwski.  Fr.  Xaver  II,  t-  150.  157. 

168.  170.  195.  200. 
Üobner  II, ».  151.  180.  181.  442. 


....,  Google 


486  Regi 

Dobrfta  II,  ».  357. 

Dobrjangkij,  Adolf  I,  577.  578. 

Dobtov,  L.  H,  s.  4fi7. 

DobrovakJ,    Josepb.    Abbe  I,  28.  47. 

51.  53—55.  140.  37a.  374.  375.  382; 

II,  s.  3.  29.  30.  38.  42.  53.  177.  182. 

184—189.   190.  191.   193,  197.  198. 

209.   245.   284.  290.  321.  328.  375. 

383.   410.   442.  443.  444.  459.   463. 

477. 
Dobiiosky,  Paul  11,  i.  364.  365.  366. 
Dohnany,  N.  II,  t.  290.  347.  348. 
Doluisky,  St«ph.  II,  ».  99. 
Doloi,  Sab.  II,  a.  442. 
Dotjga-ChodakowBki   s.  ChodakowBki. 
I>ol$gB  B.  NowoaieUki,  Aot. 
llolenec,  Viktor  I,  387. 
Dolezal,  Paul  It,  t-  309.  313. 
Domaika,  M.  II,  t.  408.  415. 
Domejko.  J.  II,  i.  236.  269.  289. 
Domentijan  I,  204—205.  343. 
Domeyer  II,  t.  37.5. 
Donin,  Friedr.  vo&-II,  i.  159. 
DoBitheuB  Obradovic  s.  Obradoviö. 
Doäen,  Vid  I,  255.  256.  267. 
Douuha,  F.  II,  i.  4.  383. 
Di)vgalevflkij  I,  152. 
[Dozon,    AoE.   I,    13(1.   172.  178.  180. 

365;  II,  i.  470.) 
Dragomanov,    M.  P.    (auch  Ukraiaec) 

1, 109.  400.  450.  495.  511.  513.  518. 

519.  521.  536.  537.  567. 
Drahynic,  Bartosok  von,  e.  hatluhek. 
[Drake,  A.  r.  11,1.  351.] 
Draikovit,  Graf  Janko  1, 31!t.  322.  327. 
Drasner,  Tham.  II,  i.  98. 
Drinov,  Marin.  I,  54.  67.  85.  91.  129. 

135.  140.  144.  154.   155.   165.    173. 

175.  180;  II,  r  470. 
Drumev,  Vasilij,   später  Biichof  Kli- 

nient  (Cleraena)  I,  162.  169. 
Dräiü,  Georg  I,  235.  238.  239.  346. 
Driic,  Marin  I,  244. 
Duba,  Andr.  von,  s.  Andreas, 
Dubravsk^  (Dnbravins),  Joh.  II,  i.  58. 
I>nbrovHkij,  P.  i,  536;    U,  *.  399,  479. 
Dnchineki  I,  403.  498. 
Duobinska,  Frau  II,  i.  238.  266:  263. 
DuchnoviS,  Alei.  T,  578.  581.  585. 
.  Dniiö,  Ai-chini.  N.  1,  16.  184.  299.  303. 


,  Andrea«  il,  u.  384.  408.  409. 


DuEmai 

411. 

DuEman,  Peter  11,  i.  411. 
Bndfk,  Beda  11,  t.  3.  166.  186.  271. 
DuliSkevit  I,  530.  579. 
[Dammlei',  E.  I.  51;  11,  i.  467.1 
[Dumont,  Alb.  II,  i.  470.] 


Dunder.  Väcslav  II, ».  478. 
DQDOvBky,  J.  II,  j.  36G. 
Dttrdik,  Joi.  II,  i.  255.  257. 
Ihiricb  II,  s.  182.  183.  184.  442. 
[DüringBfeld,  Ida  II,  i.  367.] 
Daian,  Slepb.  b.  Stephan  Dnlan. 
Uutkiewicü,  W.  II,  i,  171. 
DuvemoiB,  Ä.  I,  874;  II,  i.  99. 
Dvoräk-MraSeh,  Albina  II,  i.  259. 
DvorskJ,  Fr.  II,  t.  156.  270. 
Dzieduazyoki,  M.  II,  r  77. 


Ebert,  Mor  Alb.  II,  i.  426. 

[Ebon  II,  i.  876.) 

[Ebrard  I,  106.] 

lEokardt  11.  s.  375.] 

Effreim,  Job.  U,  ».  154. 

ESmenko  I,  518. 

Ehrenberger,  Joa.  11.  3.  240. 

lEinhard  II, ».  876.) 

Einapieler,  AndreaB  I,  387. 

Ekonomov  I,  177. 

Eksaroh,  A.  I.  156. 

Emier  H,  s.  49.  66.  135.  270.  272. 

tEngel.  J-  Cb.  V.  I.  67.  183.  217.  530; 

II,  %  441.) 
[Engolbartlt,  H,  i.  383.) 
Erbeu,  Job.  I,  369. 
Erben,   K.  J.  II,  i.   4.   37.  52.  75.  93. 

150.  158.  230—233.  248.  265.  272. 

274.  335.  360.  365.  446.  479.  480. 
Erkert  I,  416. 
EBtreicber,  K.  II,  i.  6.  423. 
]Evana,  Aitbur,  J.  II,  s.  472.] 
[Evans,  0.  I,.18a] 
EythyniiuB   *on  Trnovo  I,  93.  123— 

125.  208. 
EytbymiuB  ZygadeDue  I,  89.  124. 


FagelluB  VillatiuuB,  Simon  II,  i.  122. 
Fafkowski,  J.  II,  i.  313. 
[Fallmerayer  I,  12.  89.) 
Fandly,  Georg  II,  1.  313. 
Farkai  b.  Vnkotiuovic. 
[('arlati  11,  i.  441.) 
Faster,  K.  II,  i.  4. 
FedkoviC,  Geoi-g  I,  566 — 566. 
Fedkovit,  O.  I,  537. 
Fedorov,  Ivan  I,  440. 
Feifalik,  Jul.  II,«.  39.  43.  53.  69.  60. 
67.  114.  196.  355.  356.  479. 


FcldmaDD  I,  53a 


...,  Google 


[FeUcetU  I,  869.} 
PeliD,  Adam  II,  s.  104. 
FeÜDiki,  AloUiDB  II,  i.  194.  419. 
FelWaki,  Felix  II,  i.  377. 
Fereneik,  M,  II,  i.  349. 
Keric  (Gvozdeuius),  Geoi-R  I,  264. 
FerienCik,  Satn.  II,  t.  328. 
Fems  B.  Plftcb4. 

Fwsler  II,  j.  S91.] 

Fick,  Ä.  F.  C.  I,  7.  28-1 

FickoT,  A.  I,  IG.] 

Fidioin  II,».  377.) 

FiduB  U,  t.  428.) 

Fiedler,  J.  I,  6.  531 ;  II, ».  135] 

i'iedler,  K.  A.  11,*.  409.  411.  412. 
Filaret  ».  Philaret. 
Filipek,  Weoz.  11,  i.  236.  238. 
Filipovic,  J.  I,  184.  218. 
Filippov,  T.  I,  166. 
Finitor  a.  Kooat  von  HodiStkuv. 
Fink,  Dr.  II,  1  284. 
Fiol,  Sveibold  1,  421.  422.  428.  538. 
Fixü  (Fiatth),   Zeno  (Padalioa)  I,  454. 

487;  11,1.  388. 
Flaobabinder,  Joh.  II,  i.  44. 
FlaciuB  niyriüus  II,  ».  UU.  152. 
Flaika,  Smil  s.'  Smil. 
Flerov,  J.  I,  433. 
[Fletcher  I,  455;  II,  s.  441-1 
[Fligie'-  n,  ».  47Ü.J 
Fortinakij,  V.  J.  II,  t.  377. 
[Fortis,  Akate  I,  217.  344.  351.  352; 

II,  141 .] 
Fotinov,  KoDBt  I,  162,  156. 
[Fi-anceBOO,  Frida  II,  J.  428.) 
Franuitci ,     Juh,     ( Janko    Rymavsk;^) 

II,  t.  841—342.  349.  364.  :W5. 
FrauciBDUB,  Chronist  II, ».  64. 
Frankopan,  Anna  Katharina  II,  X.  473. 
Frankopan,  F.  K.  II,  j.  473. 
Fredro,  Graf  Alex.  II,  i.  201—204. 
Fredro  Sühn  II,  i.  428. 
Frenzel  (Branoel),  Abraham  U,  t.  387— 

388.  389.  413. 
Frenzel  (Brancel),  Micliacl  II,».  386— 

387.  390. 
Frenxel  (Brauuel),  Michael,   der  Jüu- 
■   gero  II,».  388. 
Frcnzel    ( Bi-anocl ) ,    Satomo    Gottlob 

II, ».  388. 
FriC,  J.  W.  (BrodBkJ)  II,  *.  248.  25«- 

261.  254.  260. 
Frida,  Boh.  a.  VrohliekJ. 
Frilley,  G.  I,  299.  303. 
Fritie  (Fryoo),  Gotthilf  Chr.    II,  i. 


Fröhliok  I,  184. 

Frulic  1,  280.  290. 

Fruii6,  Stef.  I,  297. 

Fryoo  s.  Fritze,  G.  Chr.  n.  Joh.  Fr. 


fiaukovic,  E.  II,  i.  473. 

Gaj,  Iijudevit  I,  263.  316.  317-321. 

324.  328.  332.  340;  II,  i.  475. 
Galjfttovskij,  Joannik.  I,  442. 
G^lta  von  Dobuzyn,  Andr.  tl,  i.  32. 
GallaJ,  Hern.  II,  t.  190. 
[Qallus;  Martinue  II,  i.  26 ;  II,  i.  439.] 
Ganueuko,  E-  I,  483. 
GaroiiynBki,  Stef.  U,  i.  267.  269.  276. 

277.  307.  335. 
GuiorowBki,  Alb.  11,1.  238. 
GaBzynski,  Konst  II,  i.  316.  317.  31«. 

826.  371.  381. 
GaB^towt,  B.  II,  I.  295. 
Gatcuk,  A.  I,  422. 
Gatcuk  s.  Hatouk,  K. 
Gavrilovic,  Jov.  I,  182.  2«j.  312- 
Gawiüiki,  Joh.  II,  i.  108. 
Gazda,  Adalb.  Ant  II, ».  313. 
Üebauer,  Job.  1,  28;  II,  :<.  3.  4:i.  44. 

49.  59.  60.  67.  196.  277.  360.  479. 
fGebbardi  U,  i.  3.  382.  4«.] 
(Gebier,  W.  I,  369.] 
Gedeonov  II,  i.  10;  II,  J.  280. 
Geisl  (Geislova),  Irma  II,  x.  2ri9. 
Geitlei-,  Leopold  I,  28.  54.  341;  II,  i. 

277—278.  470. 
GeleniuH  s.  Hruby,  Greg.  a.  Sigmund. 
GenoviE  I,  145.  156. 


[Gerhard,  Wilb,  I,  293,  354,  364,) 
[öerlaeb  1,  345) 
Gerlaoh,  teoh-  CbroniBt  II,  i.  64. 
lüermau.  Lud.  II,  t.  304.  343,) 
GermanuB,   Polonua  h,  Joubmus,    Di 
Gorov,  Sajden  I,  130.  161.  170. 
Gbetaldi  I,  285. 
IGiesebrecht  II,  t,  377.) 
Gieseler  I,  89,) 
Giller,  A.  II,  J.  291. 
Giminiauu,  da,  Fil.  BuuuauvurBi  s.  Cal 

limacbns. 
Gindely,  A,  11,  ».  3.  68.  130,  135.  136 

187.  144.  160.  166.  269,  270.  272. 
[Giniel,  I.  A.  I,  51.] 
(iizel,  lonooenz  I,  4^.  449. 
Gi7.eviu8,  Onst.  II.  i.  433. 
Gjorcjevic  s,  Djonljevic,  Vtadau. 
[Gladjtone  11, «.  467.] 
Glavinic  l,  332. 
Glodjeviö,  Aat.  I,  251. 


.,GüÜg[f 


488  Rflgi 

Glibov,  L.  J.  I,  499. 

Glioaki,  H.  II,  i.  398. 

GÜBzczyneki,  M.  II,  i.  28. 

Gtogowczyk,  Job.  II,  i.  25. 

Glowan,  Gtowanus  a.  Kopf. 

Gnatowski,  .loh.  II,  i.  367. 

GnCdir-,  N.  I,  458. 

Goilra,  M.  11,  s.  .^17,  322.  3i'J. 

Gogoekij  I,  495. 

Gogol,  der  Vater  I,  4ti!(.  5<>5. 

Uogol,  N.  V.  I,  163.  286.  309.  386. 

411.  458.  469.  473.  489.  490.    5(ffi. 

513.  558.  565;  II,  j.  242.  246.  281. 
Golfbionski.  Lukas  I,  526. 
(ioliaii,  MartiD  II, ».  389.  390. 
Gull,    Jar.    n,  ».    98.    116.    135.  142. 

151.  25.5.  278. 
Gorowinski  s.  Holowiiiski. 
Golabev,  Ü.  I,  433. 
Golobinskij   I,  40.  67.  76.  7K.  m.  »2. 

120.   122.  126.    136.   137.  141.  144. 

148.  155.  219. 
Golachowgki,  Jos.  II,  i,  231.  237. 
fioraiCkov,  Nik.  1.  579. 
Uonfarov  1,  309;  II,  j.  281. 
Gondula  b.  Oandulic, 
Gopfeviö,  SpiVidiun  I,  299. 
Gorazd  I,  75.  76. 
Goreeki,  Anton  11,  i.  381. 
liorenjec,  Leoj).  I,  886. 
üiirizootuv,  S.  1,  519. 
Uörnkki  II,  i.  86. 
Gorodenf'iik  s.  Feükoviü,  Guui-g. 
Uorikij  I,  75,  78.  110.  416. 
Uorzalczyäaki  A.  I,  484. 
Goi'zküwoki,  Uai-iui  II,  i.  313. 
Goszczyiiski,   Scveiin   II,  i.    202.    20«, 

218.  219.  224—230.  243.  290.  301. 

391  i  ir,i.  250. 
[Göth,  (i.  I,  869.1 
(Goethe  I.  35a  3Ö5,) 
Govorskij  I,  50*.  553. 
Grahjank«  I,  400.  447-4  R  462.  163. 

169.  479;  II,  i.  383. 
Grabowski,  Mioh.  I,  48«.  490;  II,  i. 

218.  219.  224.  387.  390. 
Gradic,  II,  t.  440. 
(iranovskij  II,  j.  389. 
Gi-ePuIoviC  I,  489.  603. 
Gregor (staU Gourg),  Aruhini. vou Pcic- 

«opnioa  I,  425;  U,  »,  477. 
Gregor,  der  Binider  11,  *.  180.  135.  137. 

138.  162. 
Gregor,  der  Pi-eBbjtor  I,  78. 
Gregor  von  Prag  jCaatiihiB,  IlaStalskJ) 

11,1.  120.  122. 
Gregor  von  Sanok  II,  i.  25.  28. 
[Grcgoroe,  NicBphoruH  I,  344.] 


GregoriuB  a.  Camblak. 

Gregr,  Jul.  II,  i.  283. 

GretBch  N.  J.  I,  404.  459. 

GribojMov  II.  1.  201. 

Grigorovif,   Vikt.  Ivao.    I.   5.  54.  55. 

56.  67.  82.  107.  121.  122.  125.  126. 

138.    165.   169.   18;t.  194.  208.    266. 

355.  420.  446.  448.  449. 
GrigoroviE  (Protopo)i)  I,  527. 
[Grimm,  Jak.  I,  6.  28.  184.  281.  363. 

368;  II,  !.  187.1 
[Grieebach,  A.  1,  66.  82.] 
Grochonski,  Stan.  II,  i.  62. 
Groddeok,  Ernst  II,  i.  200.  230.  231. 

240. 
GroeU  U,  i.  148. 
Grohmann  11,  i.  367. 
Grolmua  b.  Erolmua,  W. 
GroBsmann  11,  x.  323. 
Grot,  K.  11,  s.  384. 
Grotkowaki  II,  1.  107. 
Groza,  Alex.  II,  i.  391. 
Gmcv,  3.  1,  129.  163. 
[Grün,  Anaatas.   (Graf  Aueraperg)   L 

394.] 
Gryf  B.  Mai-cinkowaki,  ÄlberL 
Grya,  Martin  II,  t.  421. 
Guc  B.  Venelin. 

Gulak-Artemovskij  b.  Artemovakij. -..^ 
Guljaev  I,  116. 
Gundulioh  b.  Guuduliü. 
GuDduliü  I,  235.  243.  246—248.  250. 

346;  II,  s.  281.  440.  473. 
Gnudiiliü,  Ivan,  derJQng.  I,  250.  251. 
Gui-oweki,  Graf  11,  «.  449. 
Gu&aleviü  s.  Huäalevit. 
GuteSii,  Eliaa  IL  i.  476. 
Gvozdenioa  8.  Feriü. 
Gzel,  Peter  11,  >.  121. 


H»**  S.  II,».  303. 

[Haan,  W.  II.  «.  409.] 

Uabdelie,  Georg  I,  260.  261. 

Hadzie,  A.  II,  i.  473. 

Hadziü,  Jovan  (Mi)ok  Svetio)  1,  28S. 

288-291. 
Hadzi-Daniil  I,  137. 
(Hahn,  G.  v.  I,  66.  182.| 
Häjck  V.  Libo6an,  Wenzel   II,  i.  «4. 

70.  150-151.  155.  174.  175.  181. 
Il^niä,  Fr.  II,  t.  235. 
Hilek,  Vit£ulav  U,i.  251—254.  266. 

283.  388. 
llalka,  Jeromiaa  a.  Kostomarov,  N.  L 
Halko,  Igmu  I,  384. 
Ilamaljar  II,  i.  317. 
Uamartoloa,  Georgioa  I,  79.  202. 


ü,g :.._..  ..Google 


Hammerscbmied,  Joh.  II,  i.  176. 
[Hamraeratein  II,  i.  377.1 
Haiiiuljak,  Muri  II,  1.  322. 
HaafkB  II,«.  390. 
Uiwgl,  Jaroroir  1,  341 ;  II.  *.  3. 
HmkB,  WcDMl  I,  65;  U,  i.  30.  31,  38. 

3!l.  41.  42.  44.   48.  53.  56.  57.  63. 

65.  68.  92.  126. 145. 190. 192.  205- 

207.  208.  227.  356.  358. 
Hanke  von  Hankensteiu  II,  t.   190. 
Hanoi  (HaDuatih),   Ign.  Joh.  II,  t.  2S. 

29.  41.  43.  48.  63.  64.  76.  114.  146. 

187.  207.  229.  356.  366.  378. 
K«rBDt  von  Polzic,  Chr.  II,  i.  158. 
Harkav:r  (statt  Harkavi)  1,  6. 
llartknooh  II.  i.  138. 
(Hwwelbsch  II,  t.  376.1 
HoSlslaky  B.  Gregor  von  Piv. 
Uatonk,  N.  1,  500. 
Uattala,  Martin  I,  28;  II,  t.  3.  43.  66. 

276.  291.  345.  414. 
Ilaulik,  BiBchof  I,  821. 
[Haupt,  Leou.  U,  3.  399.  400.  411.] 
Uauptmann  II,  t.  390.  891.  426. 
llMaBig,  II,  1.  421.  426. 
Haviasa,  Bohumil  II,  >.  262. 
HavliCek,  Karl   (Borovaky)   11,*.  171. 

245—247.  275.  283.  347.  406. 
tUeifiier  II,  ».  135.1 
HuidentteiD,  Roitili.  11,  i.  85, 
Hejduk,  Ad.  II,  t.  353.  333.  338. 
Ilektornvic,  Peter  I,  237.  243.  316.  347. 
Hclvel,  Ant.  Sigm.  II,  v.  9.  16. 
Helfert,  S.  A.  n,  s.  68.  77.  135. 
Hellt,  Lukas  II,  i.  154. 
Helmold  II,  1.  376.] 
Heoiiiug,  Chr.  II,  t.  375.] 


Herlierstein  H,i.  441.) 

Ilerbord  U,  i.  376.1 

Herder  I,  1.  352.  353.  612;  II,  t.  44I.J 

leriteB,  Frz.  II,  s.  263. 

Hemiann,  £.  [,  369.] 

lernen.    Alex.  II, i.  292;    Il,x.  2Ö0. 

302,  450. 
Hetmaueo  I,  568. 
Hidja,  Juraj  I,  254. 
HieronymuH,  der  Heil.  I,  227. 
HieroüvmuB  U,  1.  2. 12.  76.  94—96. 116. 

142. 
Hilarion  (BiBchof)  I,  93.  155. 
Hilarion  (rues.  Schriftet)  I,  536. 
Hilarius  von  Leitmeritz  II,  t.  118. 
HilferdiDg,  A.  F.  I,  5,  12.  36.  51.  62. 
66.  67.  72.  89.  120.  121.   130.  131. 
137.    138.  182.  183.   206.  218.  285. 
288.  303.  324.  336.    343.  347.  348. 


355.  390.  506.  507;  11,  i.  434;  II,  r 
3.  la  28.  37.  68.  86.  91.  92.  141. 
143.  160.  171.  248.  289.  301.  850. 
861.  362.  371.  376.  377.  878.  383, 
397.  403.  404,  448.  465,  466. 

Hiltubi-andt,  P,  i,  520,  528. 

Hinilevit,  G.  H,  i.  478. 

Hippolyt  I,  378.  379. 

Hitov,  Panajot  I,  67.  159.  165.   166. 

HIaväC  s.  Capito. 


240. 
Hoevkovsk^,  Sek  II,  >.  190-191,  193. 

209.  818. 
[HoohBtetter,  F.  I,  66.] 
Hod£a,  M.  M.  II,  i.  303.  323.  324.  326. 

333.  334.  341.  346,  400. 
IHoffmaiiQ  II,  t.  387.  388.] 

lIöBer,  Contt.  II,  i.  68.  100.  tlO.  150. 

Holan,  Ernst  11,  i.  386,  413. 

Holetek,  Jos.  II,  ».  281.  338,  471. 

Hdeiov,  Joh.  V.  II,  t.  99. 

Holko,  M.  II,  t.  310, 

HollJ,  Joh.  II,».  314-316.  322.  327, 

334,  347,  447. 

Holovackii    (Golovackij) ,    Jak.  Fedor, 

I,  400.  422.  428,  527.  530.  536.  537. 

542.  543.  547,  548,    550.  551,  552. 

553.  564.  556,  558-559.  560.  561. 

563,  566.  569.  679.  580.    582.  584. 

585;  II,*.  448.  478, 
Ilotowinski,  IgD.  II,  1.  85.  387. 
Holuby,  J,  L.  II,  s,  349. 
Hör^anski  II,  t,  392,  393, 
HorEiCka  (Sinapias),  Dan.  H,  t.  308. 
Höi-nik  (Hornig),  Michael  II,*.  381. 

383.  385.   386.  387.  392.  397,  398. 

402.  406—408,  409.  410.  411,  412. 

415.  418.  480. 
HorodBu6uk  b.  Fedkovic,  Geon;. 
Hotovic,  BeneS  von  U,  t.  67.  115. 
HoatioBk*,  P.  Z.  II,  i,  349.  366. 
Hoadek,  Vit.  II.».  337. 
Houska,  Job.  II,  i,  117.  156, 
HouBka,  Martin  II,  i,  108.   109. 
Hovor»,  Janko  b.  Neruda. 
Hrabjanka  s.  Gralijanka. 
Hi-adil,  J.  I,  509;  11,  >,  154, 
Hrebenka,  Eug,  I,  469,  474. 
Hi-en  s.  Chrönu. 
Uromädko,   Job.  II,  s.  202.  205,  208. 

358.  363. 
HrubJ  (de  CJelenio),  Gi-egor  H, ».  125, 

126. 
Hruby,  »i^mund  II,  *.  126,  152. 
HruBkoviu,  Samnol  U,  *.  172.  309.  310. 
Hube,  R.  11, 1.  19. 


ü,g :.._..  ..Google 


IHunfalTy  n,  t.  4T3.) 

(Hfippe,  S.  11, 1.  2.  9.  33.) 

Horbao,  Joa.  M.  II,  t.  933.  391.  318— 

819.  334.  8S6.  837.  328,  330.  331  — 

338.  386.  314.  349.  349.  %0. 
Hubs.    Job.   I,  421.  501;  Il,t.  3.  11. 

12.  23.    25.  2«.  28.  BS.  75—94.  97. 

105.  120.  133.  140  —  144.   159.  171. 

206.  218.  233.  237. 
HuSaloviS  I,  556.  560.  661.  566.  56a 

685.  686. 

(Uuyiien,  H«iiir.  ab.  II,  i.  27.] 
Ivezdy,  Jan  z  b.  Hareb,  Job.  U. 
^  HjfW,  Joh.  II,  ».  190.  236. 


Igoatkov  I,  578. 

IgDaz  von  Ryl  II,  i.  471. 

Ignjatovic,  Jak.  I,  298 ;  H,  t.  474. 

llonomov  I.   170. 

Ilic,  Jüvan  I,  297.  307. 

Iliä,  Lukas  I,  317. 

Ilkevit  I,  542.  544.  684. 

Iljuminargkij,  S.  I,  51!). 

UlyrioQg,  FlaoiuB  g.  Flaoius  Illyricua. 

Uovajskij,  D.  I,  (>7.  121.  557;  11,  i.  10. 

Imhric,  Dom  in  I,  262. 

Imii  (ImniiBch) ,  F.  H.  II,  i.  :189.  397. 

399.  408—409. 
InBtit(irifr  Moloveky,  Mich.  11,«.  3U. 
(li'by  8.  MaokeuKiti  u.  Irby.j 
Uajlovii-  1,  296. 
lekander  s.  Herzen, 
liimova  (Frau)  I,  488. 
IvaDÜev,  N.  D.  1,  498.  61«. 
Ivaniievic  I,  250.  251. 
Ivanov,  I.  I,  157.  163. 
IvaSI'CDko,  P.  S.  t,  518. 

ivit-eviö  I,  aa. 

IzvSkov,  D.  I,  443. 

J^blunowBki,  Job.  II,  i.  124. 
Jablonsky,  BuleBlav  (Knaen  Tupy)  11,  t. 

234.  243.  447. 
tJaeobi  II, ».  377.] 
JaOBlawk,  U.  II,  t.  401. 
Jaffüt,  „Bruder"  II,  e.  151. 
J^c,  Valroalav  I,  5.  28.  29.  38.  54. 

65.  75.  79.  80.  84.  85.  87.  96.  107. 

111.  113.  114.   119.  137.   136.    166. 

183.   184.  199.   202.  205.  206.  208. 

313.  313.  218.  230.  231.   236.  237. 

339.  243.  244.  259.  263.  384.  286. 

288.  311.  338.  339.  340.  343.   347. 

:!49.  ;«5.  366.  405.  611.  520.  576; 

II,  1.  44.  196.   377.  363.  354.  367. 

385.  459.  466.  468.  478.  475. 
[JabD,  U.  J.  IL  1.  428.] 


403. 

Jakob,  Georg  II,  i.  408.  415. 
Jakob  von  Miea  (Jakoubek  ze  StHbra) 

II,  1.  83.  96.  97.  110.  128.  129. 
Jakovonko,  0.  I,  668. 
Jakovlev  V.  II,  i.  2.  280. 
JakHc,  Djordje  I,  997.  307.  334;  II,». 

474. 
JakHÖ,  V.  I,  16.  313. 
Jaknbioa,  Nikolaoa  (Miklawnicb)  U,  i. 

386.  416.  420.  42Ö. 
Jakuikin,  P.  I.  109. 
Jambreii6  (JambresaJub),   A.  T,  218. 

261. 
Jauda,Bohuniil(CidUnBky,  Läosk}  n.  a.) 

II,  t.  256.  261. 
Jandrid,  Hatija  I,  363. 
JaueiiS,   Anton  1,  38.  369.  372.  385. 

394. 
Jaoicki,  ClemciiB  U,  I.  44. 
Jänisch,   Karolina  a.    Pawlow,    Fran 

Karolina. 
Janilov  I,  430. 
Jankoviä,  Em.  I,  278. 
J»nkovi6  do  Mirievo,  P.  J.  I,  266. 
Janooki  s.  JeniBch. 
Jauov,  Matthiaa  von  II,*,  11.  73.  76. 

105.  139. 
JanovskiJ,  Tbeod.  I,  443. 
Janyl'ar  s.  Konatantinovid. 
Japel,  Georg  I,  380.  382. 
Jamik,  Urban  I,  382. 
JarouhowBki,  K.  II,  i.  87.  428. 
JaioBzewicz  I,  416.  434.  627. 
Jaeinakij,  Barlaam  I,  442. 
Jastrebuv  II,  t.  472. 
Javorakij,  Stepban  I,  443.  / 
Jcl^n  U,  t.  141. 
JoUnek,   Ednard  Il,>.  282.  384.  415. 

468. 
JemiolowBki,  Nik.  II,  i.  121. 
3eui  (Jentadi],  E.  A.  11,  t.  330.  382. 

383.  384.  385.  387.    389.  391.   393. 

394.  397.  898.  402.  409.  411.    417. 

426. 
Jenisob  (Januoki)  II,  i.  127. 
Jentsoh  b.  Jent. 
Jeföbek,  Frz.  II,  i.  259. 
Jeremias,   Priester   ven   Bulgarien  I, 

99.  110-119. 
Jerlicz,  Joaohim  II,  i.  121. 
JeaeD,  Paal  II,  t.  164. 
Jesenic,  Job.  von  11, «.  97. 
Jezieraki  (W.  Bachmanu)   U,  i.  387. 

388. 
Jeiieraki  F.  B.  II,  i.  177. 


ü,g :.._..  ..Google 


Jedenki,  Jaoek  II,  i.  179. 

Jei,  Thom.  Theod.  b.  MitkowBki,  Sigisn 

Jirisek,  Aloi-  "  -   "-" 

lirefek,  Her 

66.  ia4,  125.  273.  153. 
Jirefiek,   Joieph  1,  55.  72.   178.  317. 

366.  509;   II,  i.  32;   II,».  4.  33.  39. 

43.  44.  53.  56.  59.  65.  71,  75.  93. 

114.   149.  1.54.   165.    173.   188.    192. 

207.  209.  218.  270.  274—275.  305. 

JireSek,  Konst  Jos.  I,  19.  67.  78.  121. 

122.    126.   128.  129.  135.  137.   138. 

154.   156.  163.   166.   171.    175.  178; 

II,  1.  280.  466.  467.  479. 
Jowaph,  bulgar.  Sohriftet  I,  t'^H. 
Jocher,  Adam  U,  i.  6. 
[Jochmae,  Dr.  II,  i.  327.1 
Johsno  von  Holeiov  b.  HoleAuv. 
JohauD,  Biach.  vob  Leitumiaohl.  II,  i. 

99. 
Johaouee,  der  Exarch  1,  77.  78.  88.  89. 
Jokui,  Matth.  [I.  i.  389. 
Jona»,  K.  II,  1.  4. 
Jordan,  Joh.  Chr.  II,  v.  412. 
Jordan,    Joh.  Feter    l.    5.    119.    536; 

11.».  3,  :183.  400-401.  404. 
Jordan,  Heinr.  II,».    411.  412.  416— 
.  417.  421.  425.  426, 
JosefoviC,  Vojan  b.  Zähorsky,  Jona», 
Josephi.  Pual  II.  t.  32K. 
JovBiiovif-,  Iladii  Kajdeu  1,  170. 
Jovauovic,  Dimit.  I,  290. 
Jovauovic,  Djordje  I.  305. 
Jovanoviü,  Paul  I,  298. 
Jovanovie,  Peter  1,  297, 
Jüvanovic,  Vladimir  I,  ;<08.  .309. 
Juvaaoviü,    Zmaj  Jovan  I,    297.  307; 

II,  1.  473.  476. 
Jukic,  Ivan  Franjo  I,  364.  368. 
Jukic,  ü.  I,  66.  182. 
[Julius,  Orion  11.1.  194.| 
Jangmaon,  Jos.  I,  585;  II,  1.  ü.  4.  42. 

76.  96.  195.  199-204.  208.  209.  214. 

230.  312.  328.  329.  365.  358.  479. 
JurCif,  Josef  I,  386.  387. 
Jurifif,  Georg  I,  374. 
Juiefovit,  M.  V.  I,  485. 


Kabaluik  II,  »,  138.  139.  158. 
Eaboga  1,  234. 
KacMla,  Stef.  II,  i.  478. 
KaczkowBki,   Sigm.    II,  i.  396.  413- 

416.  424. 
KaeanBki,  HL  I,  307. 
KaCiü  Hioiiü,  Andrija  I,  239.  2Ö2- 

253.  258.  313.  350-352.  440- 


KaCkovskij,  Hioh.  I,  556.  564.  672. 
Kadüi6   («tatt  Kaüic),   Anton  I,    228; 

II, ».  472, 
Kadlinsk^,  Felix  tl,  *.  176. 
Kadtubek,  Vinoenz  II,  i.  27.  153. 
KaJBiewiuz  II,  i.  290. 
KalaEov  I,  421. 

Kalajdovi^  K.  F.  I,  74.  526;  U,l.  442. 
Kalenec,  Joh.  H,  i.  1.39. 
Kaiina,  Anton  II.  i.  429. 
Kalina  tou  Jäthenatein,  M.  II,  ».  359. 
Kaliutäk,   Joh.   II,  ».   338  —  339.   S48. 

349  365. 
Kalinka,  Joauh.  II,  %.  308. 
Kaliuka,  W.  II,  i.  131.  136. 
[KÄllay  II,,».  472-1 
Kalouaek,  Jos.  II,  >.  2.  216.  278. 
Kamar^t  II,  i.  227,  229.  231. 
Kamemuky  s.  Vaoek. 
Kamienaki,  Ileiur.  II,  i.  374. 
Kaminaki,  Joh.  Kep.  II,  i.  240. 
Kanavelit:  PeUr  I,  237.  250. 
Kanii  II,  i.  108.  HO 
[KauiU.  F.  I,  66.  67.  138.  183;  11,  t. 

4(i7.1 
Kanizlii-,  Au  tun  I,  265. 

tKannegit-BBei'.  L.  11.  i.  255.) 
:atiteuki,  Cleinuna  II.  i.  133.  314.  417. 

419. 
Kantemir,  A.  1,  451.  4.56. 
Kapler,  J.  II.  >.  413. 
KapuiBt,  V.  1,  458. 
Kappor,  Sieglr.  I,  355.  365;  II,  ».  281. 
Karodziü.  Vuk.  I,  114.   140.  169.  183. 

184.  199—212.  218.  267.  279-287. 

290.  292.  298.  306.   314.  345.  350, 

353.  355.  361.  364.   366.    367,  368. 

390.  586;    II,  i.  224.  II,  t,  197.  242. 

281.  358.  443.  447.  448,  451.  473. 
Karadzic,  Wilhetmine  I,  368. 
Karamaji,  Matth  äua  I,  228. 
Karam/iu.    N.   H.    I.   286,   469.   486; 

II,  1.  165.  187,  235i  II,  *,  441.  442, 
Karaao-Tvrtkovi.':,  P.  1,   140.  184. 
Karatacv.  I.  I,  42a 
Karavclov,   LjaboD  I,   67.    129.    156. 

160.  162.  172;  II,».  469.  473. 
Karazin,  V.  I,  466. 
Kardinal,  Joh.  II, ».  97. 
Komarntic  1,  251, 
Karpenku  a.  Palivoda, 
Karpinski,  Franz  II,  i.  140.  167, 
Karpov  I,  487. 
Karpovir-,  LeontiuH  I,  4-39, 
Karwioki  II,  t,  124, 
Kasabov  I,  157, 

Kaeaenbrot  a.  Ai^nstin  von  Otroütz. 
Kastclcu,  Matthias  I,  378.  379. 


ü,g :.._..  ..Google 


492  R^ 

Kaetelid,  Mich«  I,  382. 

Easteliz  a.  Kasteleo. 

KaKic  (CassiuB)  I,  356. 

KatanCic  (CatanMich),  Mat.  P.  I,  217. 

25G.  257.  258;  II,?.  442. 
Katkov  I,  504.  553. 
Katranov,  N.  D.  I,  170. 
Kattic,  Anselm  I,  253. 
Katzer  b.  Kooor,  K.  A. 
[KäuiTer  II,  t.  382.] 
iKauBokalyboe,  E.  11,  «.  4t>9.] 
[kaweran,  W.  I,  484.1 
kazali  (Kazalic),  Aot.  1,  331.  334. 
KaznaCiL-,  ÄntOQ  I,  243.  254.  351',  11,1. 

475. 
KaznaC-iO,  Aug.  I,  331 ;  II,  j.  474. 
Kefalinski  s.  HoIuwiiiBki. 
[Kemble  1,  107.1 
keDeviC  n,  i.  479. 
Keren»kij,  F.  I,  119. 
Kermpoti<%,  Job.  I,  256. 
Keritnik,  Janez  I,  378.  379. 
Ketrayiiski,  W.  II,  i.  399. 
[Kienberger,  W.  I,  326.1 
Kilion  II,  1.  389. 
Kimak,  Kjrill  I,  578.  579. 
Kinski,  DominioDB  11,  x.  190.  192. 
KioBkJ,  Grf.  Franz  U,  t.  189. 
Kii-a-Petrov  II, ».  469. 
Kira-StojaDov  II,  i.  470. 
Kirtevekij  Iv.  II,  i.  292.  256. 
KiiCevskij,  P.  V.  I,  626.  527. 
Kireavskij,  Brüder  II,  i.  256;  II,  i. 

448. 
Kirkor,  A.  1,  5.  492.  527. 
Kilowicz,  Andr.  II,  t.  181. 
Klaczko,  Julian  II,  i.  320.  425. 
Klemortovit    (statt    Klemoutoviü)    I, 

572;  II,  ».  47& 
IKIempin  II,  i.  376.1 
Klevanov,  A.  S.  II,  i.  68. 
Kliupei-a,  Ivan  II,  3.  262. 
Kliopei-a,  W.  Cl.  II, ».  237.  239.  4H. 
Klien  8.  KUn,  F.  A. 
KlimkoviC  I,  564. 
Klin  (KHen),  F.  A.  II, ».  395.  401. 
[Klöden  II,  i.  377,] 
Kloaowioz,  Seb.  II,  t.  45.  67—73.  157. 

161.  399.  432. 
Ktuaupolski  a.  Moaak  Kloaopulaki. 
KlouCek,  Jaroal.  II,  i.  282. 
Klua,  V.  F.  I,  369.  376.  877.  378.  379. 

393  395 
[Knauthe,  Chr.  II,  *.  :i82.  387.  392.] 
Knezevic,  Peter  I,  254. 
Kaiainin,  Dionya.  II,  i.  140.  167.  168. 
(KniMohek,  Job.  II,  i.  57.] 
Knizka  b.  Codioillue. 


KnjaJevic  I,  282. 

KDJainiD,  Jak.  Borias.  II,  i.  168. 

KoobanowBki,  Job.  I,  45.  53-61.  67. 

69.  101.  210.  399.  432. 
Eoohanowaki,  NikoL  II,  i    54. 
Koohanowiki,  Peter  II,  i.  54.  240. 
Koohowski,  Veap.  Nieozuja  II,  i.   57. 

107.  114—118.  371. 
Eocor,  K.  Ä.  11,1.  396. 
Ko£abinBkij,  P.  A.  II,  i.  384. 
[Kohl,  J.  G.  I,  217.  298.  302.] 
[Köhler  II,  I.  377.  383.) 
koialoviC,  H.  I,  400.  434. 
Kokovec,  B.  MareS. 
Kol4r,    J.    G.    II,  ».    238.    239.    259. 


[Kolb  I,  23.]' 
Kolberg,  0«L  II,  i.  9. 


122. 


1  II,  1. 


Kollär,  Job.  I,  89. 148.  316.  318;  II,  i. 

189;  II,  ».  170.  195.  20a  219—226. 

229.  242.  244.   245.  248.  249.  286. 

307.  310.  319.  320.   321.  328.  340. 

348.  362.  363.  364.   383.  399.   422. 

446.  447.  448.  460.  452.  459.   466. 

473.  479.  480. 
KolUtaj,  Hugo  U,  i.  138.  171.  176- 

178. 
KolodBkij,  M.  I,  537. 
Kolof  B.  Mizler  de  Kolof. 
KoIoBov,  M.  A.  II; ».  477. 
Komensk^  (ComenJUB),  AmoB  II,  i.  130. 

160—170.  190.  32a 
Komor  II,  t.  418. 

KodU  von  Hodiltkov  (Fiuitor),  Niko- 
laus II,  1.  117.  127.  149. 
Konareki,  Stanialaus  II,  i.  127-128. 
Konaievit-SabajdaEayj,  Hetman  L,  439. 

444.  450;  II,  i.  223. 
Kondratowioz  (Syrokomla),  Ladw.  I, 

327.  484;  II,  L  7.  45.  109.  396.  406 

—413;  II,  J.  242.  281. 
KoneEn^  II,  i.  3. 
KoaiäS,  Ant.  II,  t.  176. 
EoniBBkn,  Alex.  I,  515. 
Konisakij,  Geo^  I,  452.  463.  477  — 

478.  500. 
KoniBBkJj,  0.  1,  567. 
KoniU  n,  1.  484. 
Konataiitin  b.  Cyrill,  der  Heil. 
KonaUotin,  Bischof  vuu  Bnlg.  I.  77. 
KüuBtantin,  der  PhiloBoph  oder  vod 

Koeteaeo  II,  t.    124.  125.  126.  1S& 

203.  208. 


.,  Google 


KoDfit&iitinovic      ( Janyozar),      Mich. 

II,  1.  32. 
Konstanz  (Jesuit)  II,  ».  176. 
Kontrym,  Kazimir  II,  i.  23«.  240. 
Kopozyfiski,  Onufr.  II,  i.  138. 
Kopeok^,  Jnr.  s.  Krajnik. 
Kopernik,  Kik.  II,  i.  25.  176. 
Kopf  (Glowon),  Bav.  Traug.  11,  s.  417 

— 4ia 

Kopinekij,  -Tesaias  I,  433.  439. 
Kopitar,  Bartol.  I,  28.  53.  55.  56. 140. 

280.  283.  285.   369.  372.  374.  375. 

376.  382.  388-390.  391— 3!t2.  422; 

II,  i.  38.  42.  48.  53.  197.  211.  442. 

4r.3.  463.  477. 
Koppen,   P.  I,  10.  16.  74.  372;    II,  i. 

442. 
Kiipyatenskij,    Zachariaa  I,  4S4.  439. 

441.  442. 
KoHkn,  Jos.  I,  369;  II,  >.  270. 
Koranda,  äete  Jüngei-e  II,«.  119. 
KorKDda,  Wenzel,  der  Aeltere  II,», 

109.  HO.  139. 
Korozewski,  Veit  II,  i.  59. 
Koreva  I,  528. 
KoHoek,  Frz.  II,  s.  281. 
KoHatka,  K.  11,  i.  3. 
IKörner,  Geoi^  !I,  ».  392—393.] 
Kornicki,  Job.  U,  ■.  47». 
Knrnilowicz,  A.  11,  i.  168. 
Korolev,  Raj6o  I,  B9. 
Koronowioz,  W.  b.  Wröblewski,  W. 
Koiotyäski,  Vinc.  11,  i.  40a  413. 
Koroty:iski,  W.  II,  i.  238. 
Knrsak,  Julian  II,  i.  381. 
Koraun  1,  474. 
Korytko  I,  393. 
Kurzeniowski,  Josepb  11,  i.  314.  391. 

396.  418-421;  II,  a.  242.  281. 
Korzon,  Thftdd.  II,  i.  2.  13ß. 
IKosegarten  II,  j.  376.] 
Kosiaa,  Job.  II,  i.  157.  267.  278. 
KnamnB  von  Prag  II,  e.  33.  34.  55.  64. 

353.  439. 
KoBmRH,    baigar.  Schriftat.  I,  92.  94. 

106.  110  111. 
KoBBOv,  Silv.  I,  440.  448. 
KoBBOvakij,  Barlaain  1,  443. 
Koata,  Edw.  I,  382.  386. 
Kostid,  lAza  II,  i.  474. 
KoBtoraarov,  N.  I.    I,  109.  112.  399. 

401.  409.  4IÜ.  447.  448.  449.   450. 

454.  466.  4G9.   471.  473.  474.  476. 

478.  479.  481.  482.  484—487.    488. 

491.  492.  494.   495.  498.  .500.   501. 

506.  509.  511.  514.  517.  519.   520. 

521.  523—524.  565.  566;  11,  i.  131; 

U,  1.  436.  447.  448.  478. 


iter.  493 

KoBtrenEie,  J.  I,  374;  II,  s.  473. 
Koatrowieo,  2egota  von,  b.  üotowinski, 
Kösyk,  Matth.   II,  i.  421-422.  423. 

425.  426. 
Kotik,  A.  II,  X.  4. 
Kotljarevskü,  A.  A.  I,  7.  404;  II,  i.  37. 

43.  371.  376.  377.  466. 
KotljaievBkij,  Iv.  Petrov.  I,  466.  467— 

470  474.  475.  543.  565.  566. 
Kotoliehin  I,  455. 
Kott,  F.  II,  I.  4. 
Koubek,  Job.  Prav.  II,  s.  234. 
Kovatevid,  Gavr.  I,  277.  278. 
Kovatevic,  Toma  I,  368. 
KovalevBkij,  E.  P.  I,  298.  302. 
KozaEinskij,  Em.  I,  265.  278. 
Koziev,  N.  D.  II,  t.  470. 
Kozlov,  Ivan  IT,  i.  259.  261. 
Kozmaneckj!  (Kozmanecius,  Kozmani- 

des),  W.  F.  11,  i.  175. 
KoimiBD,  Kajetan  II,  i.  193. 
Krajkov,  Jak.  I,   136. 
Kr^nik,  Miroal.  11,  s.  258. 
Kral',  Janko  II,  i.  337—338. 
Kral,  J.  IL  «.  414. 
Kral,  M.  A.  II,  ».  402. 
KrameriuB,  W.  M.  11,1.  151.  158.  190. 

191. 
Kraaicki,    Ignaz  11,1.    140.    145-157. 

159,  167.  206,  236. 
Kraainaki,   Sigm.    II,  i.   6.   265.  279. 

295.  312.  313—380.  416.  419;   II,». 

Ki-aanohorakä,    Elisabeth    II,  I,    238. 

250.  253.  258-259,  262.  266-266. 
KraeoaickJ,  Laurent.  II,  ».  138. 
Kraezenaki,   J.  I.    I,    527;   II,).  I3L 

145.   178.  197.  213.   386,  387.  388. 

389.  891-892.  396.  405,  418.  421— 

424;  11,1.  281.  430. 
Kr^lic  I,  261. 
KrejEi  B.  Gr^or,  „Bruder". 
Krek,  G.  I,  6.  28.  55.  366.  386.  394. 
Krelt,  Sebaat.,  I,  374. 
Kremer,  Jos.  H,  i.  368.  39R 
Krempl,  A.  I,  369.  383. 
Kreatovii^  (Kratiovi5),   G.    I,  67.  166. 

165. 
Kristianovioh,  I,  216. 
Kriianic,  Georg  I,  43-44.  261.  346;    . 

II,  j.  440. 
Kniek,  V.  I,  16.  232.  394;  II,  f.  279. 
Kri£nik  1,  394. 

Knnan,  Daniel  II,  a.  172.  309.  310. 
Krolmua,  Wenzel  II,  t.  356,  360.  480. 
Kromer,  Marc,  s.  Cromer. 


kropirigki. 


.  193. 


.....Gooj^ic 


494  R«tc 

Kroäno,  Paul  v.  II,  i.  44;  II,  i.  479. 
KrBÜc,  Nik.  1,  31'2. 
Krstjovit  s,  KreBtovifi. 
Krüdener,  Frau  v.  II,  i.  248. 
Krug  II,  t.  441.] 
[Knimmel,  S.  II,  a.  43.] 
KrnpiDBki,  F.  II,  i.  368. 
Krayoki,  Andr.  U,  i.  44. 
Kubbk,  S.'n,  1.  74. 
Kuhal,  Q.  II,  >.  415. 
Kucharenko,  F,  H.  I,  500.  565. 
Kucharaki  1,  210;  II,  s.  66. 
Ku^Unk,  Jak.  U,i.  401.  402. 
Kuhot,  F.  U,  i.  47G. 
IKubn,  A.  I,  7.] 
Kukulieviö-Sokoinski,  Ivan  1,  92.  217. 

218.  230.  231.   237.  238.  34Ö.  261. 

319.  328—329.  33&.  367.  874;  11,». 
-    213,  471. 

Kulda,  B.  M.  U,  i.  361—363. 
Kulicskowski,  Adkm  II,  i.  7. 
KulU,   F.  I,   399.  400.  4S6.  454.  464. 

469—472.  474.   475.  480.  481.   482. 

487—491.  492.  494.  502.  514.  565; 

II,  1.  219. 
Kulmao,  Chntt.  U,  t.  401. 
IKnmanudi  il,  t.  476.) 
Kumerdei  L  380.  382. 
J£imi6,  Philipp  I,  368. 
Kunik,  A.  I,  43;  II,  >.  468. 
JCuptinko,  G.  I.  I,  5ia  530. 
Kurbriiü,  Fürst  A.  Mich.  1,  429.  430. 

431   Ö6   440. 
Kureliw,  Fratyo  I,  3*0.  367.  448, 
Kurganov  I,  155. 
Kunpeiiä  1,  344. 

{Kartzmann,  L.  II,  i.  8.  327.  882.  899.] 
Jvuiitodiev,  K.  L.  U,  i.  478. 
KutheD,  Martin  II,  s.  116.  151.  157. 
Kuzemskij,  M.  1,  561. 
Kuzmanid,  A.  I,  331. 
Kuztuinj,  Karl  U,  >.  321.  341.  844. 
KOzmiö,  IJiklav  I,  392. 
KüziniE  (KüEmict),  Steph.  I,  392. 
Kuzminekij,  A.  U,  i.  7. 
KumeooT  I,  520. 
üvaternik,  Eugen  I,  335—336;  II,  s. 

476. 
Kvaternik,  Jos.  R.  I,  336. 
KvSt  II,  a.  166. 
Üvitka,  0.  F.,  pseud.  Oanovjauenko  I, 

466.  471—475.  498.  565.  566;  II,  i. 

478. 
KypJDiki,  A.  I,  526. 
Kyriak-Cankov  a.  Caiikov. 
Kyrill  von  Turov  1,  413.  414.  636. 
Kyrmezer  von  Schemnitc,  Panl  U,  >. 


U&oglu.  G.  H.  N.  n,  I.  471. 

liademann  II,  x.  426. 

Zaguna,  ätOlUw  11,  i.  27. 

Lam,  Job.  U,  i.  428. 

Lamauakij,   V.   I,  75.  129.  137.  139. 

167.  184.  309.  375.  404.  405;    II,  t. 

35;  11,1.  39.  44.  48.  196.  207.  211. 

236.  289.  330.  331.  378.  453—455. 

457.  463.  466.  468.  477. 
Lange,  Job.  II,  i.  389. 
[Langebek  II,  i.  376.] 
Langer,  Jar.  11,  i.  368. 
Langer,  Jos.  U,  i.  962. 
L4di,  Elias  II,  >.  172.  308. 
Läusk^  i.  Janda. 
Laras,  Job.  II,  >.  407.  413.  414. 
LavrenCW  1,  261.  262;  II,  1.  473. 
LavrovBkü,  N.  I,  96;  II,  i.  233. 
LaTrorskij,  F.  1,  51.  184.  218  (L-skij). 

324.  400.  401.  406.  469;  II,  i.  434; 

II,  J.  160. 
Lazareviö  1,  277. 
Lazai'eviä,  Lazar  I,  296. 
Lazareval^i,  A.  I,  517. 
[Leake  I,  137.1 
Lebedev,  J.  II,  s.  377. 
Lebedkin,  M.  I,  399. 
Leger,  LouiH  I,  51;  II,  t.  3,  251.  461.J 
Legis  GlüokscJig  II,  1.  207.) 
Lebrberg  II,  i.  4411 
LeibnJE  II,  t.  375.  376.J 
htiwa,  G.  I,  16.  67.  182.  192.) 
:jelenel,  Joachim  I,  416;  U,  i.  8.  16U. 

208.  230—236.  287.  24a  271.  307. 

311.  393.  416. 
Lenartowioz,  Theophil.  II,  t.  426. 
[LeagDioh  II,  i.  ».  128.] 
Lenz,  A.  II,  i.  278. 
Leo  YOU  Roimil&l  s.  Roimit&l. 
Leonid  (Archimandrit)  I,  93.  1S6. 
Leontovie,  F.  I,  218. 
Lep«,  Fr.  II,  1.  166. 
LepU,  Job.  II,  t.  281. 
Lermontov  I,  297.  309.  386;  II,  t.  S43. 

281. 
[Leskien,  Aug.  I,  5.  64;  U,  t.  386.  413. 

425.] 
LesEOEyÜBki,  Slan.  II,  i.  93.  125—126. 
LeKEinikij,  PbilotbeuB  1,  443. 
Les&kent,  N.  I,  568. 
Leika,  Steph,  U,  t.  311. 
Levakovii,  Rafael  I,  328. 
LevCenko,  H.  I,  401. 
Levec,  F.  il,  t.  477. 
Leviokij,    Ivan  I,  537.  644.  565.  568. 

570.  584. 
Leviokij,   Jos.  I,   500.  536.  544.  660. 

584. 


ü,g :.._..  ..Google 


Leviokij,  0.  I,  4W. 

Leviokij  I,  89. 

Levgtik,  F.  I,  382.  388.  38«. 

Libi  (LiehMh),  0.  II,  i.  383.  407.  113. 

414. 
Lichard,  D.  11,  i.  347.  349. 
Liebelt,  Karl  II,  i.  368. 
(Liebeofels  1,  369.] 
Liebsoh  ■.  Libi,  G. 
Ligftrid,  Paytini  I,  4&S. 
Linda,  Job.  U,  t.  30.  41.  44.  207. 
LiBde,  S.  B.  1,  526.  586;  II,  i.  fl.  178. 

179.  188;  II,  I.  442. 
[Lindau,  W.  A.  I,  217.] 
tinhart,  Anton  I,  369.  380.  3B1;  U,  s. 

442. 
.ILipiner,  S.  11,  i.  239.  240.  276.  282.1 
Lipinaki  I,  583. 
Lipinaki,  Tim.  II,  i.  R. 
ILipnicki,  E.  U,  I.  7.1 
Lipaki,  Andr.  U,  i.  109. 
Ups,  Jan  z  II,  X.  409. 
Liaeneokij,  Sin,  I,  544. 
Liaenko,  N.  V.  1,  6I& 
LivCak,  0,  I,  557. 
I^BiCevakij,  B.  I,  452. 
l^inbiö,  8,  I,  218.  340;  II, ».  472. 
Ljubila,  St  .M.  11. 1.  474. 
Lja)>oniir  Hercegovac  a.  Martif,  Qrgo. 
Löbenatein,  Fb.  U,  i.  384.  420.  428. 
Lobkovic     (auf   HBaaenBMinJ,    Bohu- 

slav  von  II, ».  120.  124. 125.  126. 144. 
Lobkovio,  Johann  von  II,  i.  ISl.  158. 
[Loehner  II,  g.  136,J 
Lodü,  Peter  I,  540. 
Lomuiok^  von  BudeC,  Simon  II,  ■.  147. 

149.  ItK). 
.LomouonoT  I,  449.  456.  459.  513. 
Lonatevakij,  A.  J,  I,  518. 
LooB,  J.  II,  >.  291. 
(.opatiaakii,  Theopkylaktua  1,  443. 
Loquia  s.  Honska. 
[Lotze,  Herrn.  U,  t.  385.  425.] 
Lourich,  G.  I,  217.  362. 
Lovi£  II,  I.  317. 
Löwenfeld,  B.  U,  i.  53.  fifi. 
LoEiüaki,  J.  1,  537.  544.  561.  683. 
Lubjenaki  (Lubenakv),  Andres«  II,  t. 

394-395. 
Labowaki  II,  i.  428. 
tLucia,  Ellen  II,  i.  428.] 
Luoianoviä,  Melcb.  II,  i.  472. 
Luci£,  Hunibal  I,  239—841.  243. 
Lucius,  J.  1,  217.  229.  440. 
LuEk^i  (LuUkaj),  Mich.  I,  537.  584. 
Lnkanf,  Pranjo  I,  234. 
Luku,  böhm.  Bruder  II,*.  137.  138. 

146.  153. 


irter.  49f> 

Lnkuzewioz,  Job.  I,  416.  434.  527; 

11, 1.  96. 
Lukaazewicz,  Lealaw  II,  i.  6. 
LukaieviE,  Platon  1,  514.  584. 
Lukavec,  Job.  11,  i.  110. 
Lakjanovskij,  A.  II,  i.  475. 
LupU  von  Hlav<>tov,    Prokop   II,  t. 

69.  122.  157. 
LnaEaiuki  H,  i.  415. 
Lutakaj,  M.  a.  LuEkaj. 
[Lützon  II,  t.  376.] 
Luiioki,  Venoeslava  II,  i.  262. 
i:.y8kowaki,  Igu.  II,  t.  433. 


249. 

Maoh&Eek,  S.  U,  t.  237. 
MacewicE  II,  >,  7. 
Maoiejowaki,   W.  A.    1,  6.  422.  434; 

U,i.  11.  56.  73.  85.  188;  II,  i.  378. 

446.  479. 
[Maokenzie  u.  Irbv    I,    66.  138.  151. 

182.  345.  366;  lC>.  467.] 
.Maoaay,  Alex.  U,  t.  S12. 
Maoan.  J.  I,  370.  385. 
.Magaraleviö,  Djordje  I,  210.  272.  288. 

289. 
MagUQuewski,  Domin.  II,  i.  318. 
Muar,  Matth.  I,  884.  387. 
M^kov,  A.  I,  183.  202.  210.  337.  386: 

U,  J.  474. 
[M^Uth  U,  a.  391.  303.] 
Muorkiewioz,  Job.  11,  i.  7. 
Makarij  (Bulgtkov)  I,  126.  433. 
Makaimov,  3.  I,  117.  619;  II,  t.  478. 
Makaimovi«,  Job.  I,  442.  450. 
Makaimovi«,   M.  A.   I,  404.  461.  462. 

459.  476.  478.  479.  488,  489.  512  — 

513,  616.  642.  543,  644.  573.  588. 
Makuiev,  V.  1,  6.  67.  184.  217.  246. 

249.   263.  299.  303.  367;   U,  i.   28, 

29,  39.  44.  196.  217.  466. 
Malavalid,  Fr.  I,  384. 
Malczewaki,  II,  i,  214— 2ia  224.  236. 

342;  II,  g.  28L 
Mateoki,  Anton  II,  i.  11.  12,  28,  35> 

103.  119.  254.  296.  297.  308.  Sil. 

354.  363.  424. 
Maleievae,  Ivan  I,  374. 
Maletid,  Djonlje  1,  296. 
Malewaki,  3.  II,  i.  231.  237. 
MalinoTBkij,  M.  (Raaaine)  1,  56L 
Malinowaki,    M.,   poln.   Sobriftateller 

IJ,  1.  238.  260. 
Malinowaki,  Nik.  U,  i,  407. 
[Maliach,  i.  II,  1.  193.] 


...,  Google 


496  Reg 

MalJBskiewicz,  A.  MieloRzkn  II,  t.  145. 
MalJ,  Jak.  II,  i.  188.   194.  »(6.  229. 

238.  242.  360.  479. 
Manfev,  D.  I,  163;  II,».  471. 
^larcinkowaki,  Albert  II,  i.  388. 
Marco  Polo  II,  i.  441. 
Marek,   Joh.   Helnr.    (Jan   ü   Hvezdy) 

II,  i.  239. 
Maieä,  ¥r.  II,  ».  l.W. 
Marinkovid  I,  296. 
Marinov,  TonPo  II,  g.  471. 
Markevifi,    N.  A.    I,    4O0.    44Ä.    452. 

515. 
Markovit,  Jak.  Andr.  I,  462. 
Markovif,  Frau  M.  A.  (Marko  VovFok) 

1,  499.  50G.  5C5. 
Markovii*.  kroat.  ScbriFtsteller  1,  333. 
MarkuK,  Uottlob  II,  i,  418. 
(Marinier,  X.  I,  298.1 
Martha,  Frau  II,  t.  121. 
Martif,  Urgo  (Ltjubomir  Heroegovac, 

Radovan,  Nenad  PozDsnovi^)  I,  364. 

368;  II,  B.  397.  47fj. 
Martin  oder  Martinnk  von  Mähren  h. 

Ilouaka. 
Martin  II,  t.   139. 


Msrtinec,  Jarosl.  II,  s.  255. 

3faruli  (Maruliä),  Marko  I,    229.  234. 

237.  240, 
Maiilov,  V.  I,  48.^. 
Maäek  11,  2.  44. 
Materinka,  liko  ft.  Bodjaaakii. 
Matl^  I,  2m. 
Matijnvic-,  Steph.  I,  232. 
MatiaoT  1,  581. 
Matkoviö,  Peter  I,  340. 
Mattei,  Djnro  I,  348, 
Matthäi  II,  i.  388. 
Matthias  b.  PoUk. 
Matthias  von  Janov  «.  Jauov. 
MätUg  II,  1.  389. 
Matuliii  I,  237. 
Matuszewicz  II,  i.  122.   128. 
Matzenauer,  Ant.  II,  t.  278. 
Mauritius,  A.  s.  JoebrauB. 
[Max,  H.  II,  1.  420.) 
Majer,  Rudolf  II,  i.  255. 
[Mayers,  K.  I,  369.] 
[Mazade,  Chr.  de  II,  i.  18(i.] 
Maiuranic,  A.  I,  218.  24a  326. 
;  MaiuraDie,  Ivan  I.  248.  319.  326.  333. 

334.  364.  »86;  II,».  281.  475. 
Ma^uraniö,  M.  I,  182. 
Mecherzynski,  Kar)  II,  i.  7.  27. 
Medakoviö,  D.  I,  183.  272.  298.  308. 
MedakoTiä,  Milorad  I,  298. 


Medo-Pncic,   Graf  (Orzato  Pozza)   1, 

237.  330.  334.  366. 
jMeinert  II,  t.  441.] 
Meissner,  I^.  II,  g.  281. 
MenCetiö,  SiSko,  der  Jüngere  I,  250. 
Menietic,   Vladislav.I,  250. 
Men^tie-Vlahoviä,  SiAko  (Riffiamnndo 

Menze)  I,  235.  23a  346. 
Menze  s.  Menfeti6-VlakoTi6. 
MerEeriö  (statt  Hari^eviö),  Leonard  I, 

874;  II,  j.  477. 
IMerimäe  I,  355.] 
Mesiö,  Mato  I,  218.  340. 
Met,  Teuelin  II,  ».  m>. 
Uetelko,  F.  3.  I,  369.  382. 
IMethner  11,  i.  420.] 
MetliodiuB,  der  Heil.  I,  15.  51—58.  74. 

75.  76.  77.  219.  220.  226.  372;  II,  i. 

II;  II,  e,  7.  24.  2T,  29.  292.  467.  (s. 

auuh  Cyrill  u.  Hethod.) 
Metlinskij,  Ambr.  1,  474.  47«.  514. 
(Meyer,  F.  Herrn.  11,  s.  477.1 
Meiov,  V.  I.   J,  129.  483.  536. 
Miarka,  Karl  II,  i.  431, 
Miaskoweki,  Kaap.  11,  i.  62. 
(Micalja,  I.  I,  2ia] 
Miohajiovakyj,  N.,  bulg.  Schriftsteller 

I,  163;  n,  «.  468. 
Michaleo  von  Leitmeritz,  Martin  IL  t. 

146. 
Mich&Iek,  A.  II,  i.  282. 
Michaion  (Litauer)  I,  421. 
Micbalowski,  Barth.  II,  i.  390. 
.Mickiewicz,  Adam  I,  5.  331.  365.  366. 

474;   II,  1.    43.   45.  142.   194.   205. 

224.  230.  233.  238.  239—293.  295. 

S99.  305-306.  316.  322.  335.  363— 

359.  370.  379.  397;   II,  t.  235.  242. 

255.  281.  447.  449. 
Miekienioz,  Alex.  II,  i.  239.  419. 
Mickiewicz,    Ladisl.    II,  i.   241.  284. 

291. 
Micocs)  I,  217;  !I,  i.  442. 
Miechowita  II,  i.  85;  II,  1.  440. 
MieroBluwski,  Graf  II,  i.  397. 
Miee,  Jakob  von  s.  Jakob. 
Mihajieviö,  Dimitrije  I,  297. 
Mihalj«vi6,  G.  1,  255. 
Mibaljeviö-Buniä,  Lnka  I,  254. 
MijalovioB,   E.  L.  1,  184. 
Mijatoviö,  Cedomil  1,  184.  312.  345. 

368;  11,»,  475. 
Muatoviö,  «erb.  Histof.  I,  133. 
Miklosich  (MikloiiC),  Fr.  I,  5.  28.  51. 

32.  53.  54.  55,  75.  85.  129.  184.  341. 

343,  347.  348.  349.   367.  372.  3)». 

391-392.  404.  459;    II,  ».   3a  4Ä. 

196.  277.  378.  383.  459.  466.  4«7. 


....,  Google 


Miklousioh  (Miklouiiö),  Tbomu  1, 262; 

II,  I.  213. 
Mikocsi  a.  Mioocsi. 
Mikovec,  Ferd.  II,  i.  23a 
MikMeek,  MattL  II,  *.  362. 
Mikuokij,  S.  U,  1.  37». 
MikulJUö  l,  3(il. 
MUadiaov  (statt  Miladin),  Demetrius 

und  Konstantin   I,   156.  ITU  — 171. 

345;  U,  1.  277.  470. 
Milakovic,  D.  I,  298.  3U2.  304;  II,  i. 

474. 
MilEetif,  Ivan  II,  i.  475. 
Miletic,  Svetozar  I,  30».  309. 
MiliC,   Job.  U,  i.  11.  72.  73.  74.  84. 

133. 
Uili^evid,  Milan  I,  IG.  183.  312.  345. 

368;  U,  I.  475. 
Milkowaki,  Sigismtmd  II,  i.  425. 
Miller,  Orest.  I,  38.  519. 
Miller,  Tsevolod  I,  178. 
Milojeviö,  M.  S.  I,  172.  366;  II,  i.  476. 
MUosBvleviö,  MiloE  II,  i.  476. 
Milovuk,  J.  I,  364 
Milutinovic,  Sima  I,   183.  291-294. 

Äta  300.  364.  378.  395.  447.  448; 

U,  1.  473. 
MinCofflu  II,  I.  468. 
Mirko-Petrovic  I,  303.  362. 
Mirkoviä  I,  16. 
Miropohkij  I,  169. 
Miikoviö  1,  369. 
[Mithof,  Georg  II,  i.  375.] 
Mitis,  Thomas  U,  i.  122. 
Mitrovio,  W.  Vratislav    von   s.  Vra- 

Mizler  de  Kolof,  Laurent.  II,  i.  127. 
Mjen,  Georg  II,  i.  390.  394. 
Mladenovio,  Peter  von  U,  s.  98.  116. 
Mlaka,  Danilo  I,  568. 
Mlünk,  Peter  U,  t.  409. 
Uoohnacki,  Mor.  II,  i.  209.  307. 
Modrzewski,  Fr.  II,  i.  35.  63. 
Mogila,  AmbroB.  s.  Metlimikij,  Ä. 
MogiU  (Möhyla),  Peter,  Metropolit  L 

438.  440.  441.  442;  U,  i.  98. 
Mogilniokii,  Anton  1,  559. 
Möhu  B.  Mieö. 
Mohyta  e.  Mogila,  Peter. 
Mohylniokij  s.  Mogilniokij. 
Möller,  Albinos  II,  i.  385. 
Momtilov,  I.  I,  129.  163. 
[Monae  U,  t.  271.1 
Moraczewski,  Andreas  n,  i.  8.  393. 
MoraveU  U,  t.  3. 
MorawBki,  Frz.  II,  i.  393. 
Morawski,  Theodor  II,  i.  8. 
Mordovcev,  D.  I,  483.  500.  514. 

Pm>,  SlftTtuho  LltareiaiM.  n,l. 


iter.  497 

Mordvinov,  V.  I,  531. 
Moroikin,  Mich.  II,  t.  19& 
Morsztyu,  Andr.  II,  i.   105.  107.  loa 

118-119. 
MDrBztyn,'Hicron.  U,  i.  118. 
Morsztyn,  Stanialaas  11,  t.  118. 
Mosak  KtoBupolaki  (Mosig  v.  Aehreu- 

feld)  I,  6;  ll,».  200.  399. 
Moinin,  A.  N.  I,  67. 
Moiovakj  H.  Institoris. 
M'Oiovsky,  Georg  e.  Tesäk. 
Mourek,  V.  E.  fl,  s.  4. 
MowinHki,  Michael  s.  Krasicki,  Igo. 
Moyses  (Bisoh.)  II,  t.  341.  350. 
Mrazovic,  Abr.  I.  267. 
MrongoviDB,  Christ.  Cdlestin  II,  i.  432. 

434.  435. 
Hatislavec,  Peter  I,  423. 
Maohar,  A.  v.  I,  369. 
Mucke  9.  Muka,  Ernst 
Muczkowaki,  Jos.  II,  i,  68. 
MuCink,  J.  B.  II,  t.  402. 
Mühlstein,  Bertha  11,  t.  259. 
Muka,  Ernst  II,  J.  388.  396.  411.  413— 

414. 
Müller  s.  Mlönk,  Peter. 
[MüUer,  Fr.  Max  I,  7.) 
{Müller,  Hern.  Fr.  U,  ii.  441.] 
Murko,  A.  J.  I,  369.  381.  382. 
Mttrteo,  J.  I,  384. 
Mustakov,  Gebrüder  I,  145.  151. 
Mustiauovit,  8t.  I,  561. 
Muiicki,  Luoian  I,  287.  289.  295;  11,  i.  , 

447.  473. 
Muikatirovic,  Job.  I,  277. 
Mntjev,  D,  I,  156.  163.  170. 
Muzilovakij,  Andreas  I,  435. 


Kadeidin,  N.  I.  I,  28;  U,  i.  223. 

Nadler,  V.  Ü, ».  68. 
N^den  üerov  t.  GerOT. 
NaJ^oz-Korzeniowski,  Apollo  II,  i.  425. 
NalJelkoTiö,  Nik.  I,  234.  244. 
Narbatt,  Theod.  I,  416.  421.  449.  527; 

U,  I.  8.  391. 
Nariinyj  1,  458. 
Naruezewioz,  Adam  II,  i.  140.  157  — 

167.  178.  192.  236;  II,  ».  442. 
Narzymski  II,  i.  428. 
Nataliö  1,  237. 

Naum,  einer  der  heil.  Sieben  I,  75. 
NanmoviC,  Ivan  I,  530.  ^6.  560.  564. 
Navarovsky  s.  Svoboda. 
[Nawrucki,  M.  IL  i.  188.] 
NebeskJ,  Weniiel  U,  a.  42.  56.  57.  63. 

145.  195.  197.  241.  275. 
Netuj-KocbowBki  e.  KochowHki. 


....,  Google 


NeCuj-Leviokij  b.  Leviokij,  Ivan. 

NeCnj-Titer,  A.  I,  499. 

Nehring,  W.  I,  5;  II,  j.  7.  119.  275. 

280.  429;  n,  i.  385. 
NiecEDJa-Kooliowaki  s.  Kocbowski. 
NeiCov,  Vülk  II, »,  469. 
NejedlJ,  Adalbert  n,  i.  190.  191.  192. 

31& 
Neiedl^,  Job.  U,  >.  190.  191.  192.  193. 

201.  227.  318. 
Nekruov,  Ivan  II,  >,  42. 
Nekrasov,  N.  A.  I,  568;  U,  t.  242.  381. 
[Nelli,  AdebIo  I,  245.] 
Nemanja,  Stephan  e.  Stephan  Nemaoja. 
Nimcova,  Bozena  II,  i.  241—242.  245. 

335.  360.  414. 
NeinCiiS,  Anton  I,  328. 
N6meo  von  SaaU  a.  Saatz,  Pet.  N. 
Nemirovi£-Danfenko  11,  t.  472. 
Nenadovic,  L.  P.  I,  297.  302.  307. 
Neaadoviii,  Paul  I,  265. 
Nenovii,  Vasilü  I,  146. 
Neoflt  Bozvel) ,  von  Chilendar  i,  151. 

154.  155. 
Neofit  vonRyl  I,  129.  150.  151;  H, ». 

468. 
Neruda,  Job.  II,  s.  253—254.  260.  263. 

479. 
Nestor  (Cbronist)  I,  42—43.  139.  370. 

397.  402.  412.  413.  449.  536;  II,  i. 

27 ;  II,  «.  287,  370.  439. 
[NeamaDD,  G.  I,  16.] 
NevoBtraev,   K.  I,   75.  78.  llü.  416; 

II,  ».  28. 
Nicolai  de  BoLemia  U,  s.  117. 
Niemcewioz,  Jnl.  Um.  II,  i.  I.W.  179. 

180.  193.  201. 
Niesiecki,  Kasp.  II,  i.  129. 
Niketiö  I,  184. 

Nikola,  Fürst  von  Montenegro  I,  303. 
NikolaJevi^  Djordje  I,  290.  304. 
NikoliS,  A.  I,  184.  20a  290.  366. 
NiktHt  (Patriarch)  I,  455. 
[Nitsobmann,   H.    II,  i.   53.    66.    314. 

217.  218.  248.  2.52.  429.] 
Niegiiä  B.  Peter  IL 
[Nodier,  CharlCB  I,  355.1 
Nomis,  M.  T.  I,  öOO. 
Norwid,  Luc.  u.  Cypr.  II.  i.  392. 
NoB,  St.  I,  500. 
Nosoviö  I,  528. 
Novakovic,  Stojan  1, 107. 119. 186. 137. 

183,    184.  199,  202.  209.  210.  213. 

232.  28a  308.  309,  311—312.  341. 

361.  365.  366.  367.  4S4;   11,  i.   468. 

473.  474.  476. 
Novickij,  Iv.  l.  519;  IL».  471. 
Nüvi*  1,  307. 


Novikov  I,  452. 

Novikov,  Eng.  II,  >.  2a  6a  141.  383. 

Nowka,  J.  II,  ».  419. 

NowosieUki,  Ant  II,  i.  38a 

Nowotny,  J.  H,  t.  16a 

Nudoier,   Lanr.  Benedict]  von  a.  B^ 

nedioti. 
Ny6ka,  O.  II,  i.  425. 


Obolenakü  (Fürst)  L  420. 

Obradoriß  t  369. 

Obradoviö,  Doaitbeni  I.  269— 276.  28S. 

314.  317.  3ia  334;  II,  i.  473. 
(Obrist,  H.  L  484.] 
Obru6ev,  H.  I,  530. 
Odianicki,  Om.  s.  Pooiobnt. 
Odyniec,  Ed.  Ant.  H,  i.  208.  23a  23». 

242.   262.  266.  369.  283.  316.  317. 

381. 
Ognjanovif,  Konat  I,  152. 
(^novskij,  0.  I,  488.  543.  566.  5»; 

U, ».  477.  47a 
Ohrysko,  Joaanhat  ü,  i.  119.  127. 
Okfioki,  Wlad.  II,  i.  69. 
Okolaki  II,  i.  447. 
fOlbrecht  1,  5.] 
fOlearias  I,  455;  II,  >.  441.] 
OlelkoviE,  Dm.  1,  500. 
Oleaka,    Warfaw  z  I,   542.  544.671.. 

583.  584;  n,  i.  9. 
Oleaikiewioz,    Jon.    II,  i.     260.    274. 

383. 
Olisarowaki,  Tb,  U,  i.  381. 
Olmütz,  Angnstin  von  (Olomuekf)  s. 

Augustin. 
Opaliniki,  Krzygt.  U,  i.  lOa 
C^atoviE,  Steph.  I,  bCA. 
Optät,  Benei  II,  i.  121. 
Orbini  oder  Drbini,  Havro  I,  234.  34& 

258;  U,».  440. 
Orfelin,  Zachar.  I,  267. 
OrI(y  L  531. 

Oreat  Pooiä  s.  Medo-Paoi£, 
Orzecbowaki,  Stan.  II,  i.  34—^  74- 

76.  411.  ■ 
Orzelaki,  Swiet  II,  i.  86. 
Orzeszkowa,  Elise  II,  i.-  428. 
Oaadoa,  M.  I;  537. 
Oainiki,  Lndw.  IL  i.  194.  210.  814. 
Oanovjanenko  a,  Evitka. 
Oaokin,  N.  I,  89. 

Oaoatowicz  Stryjkowaki  b.  Stryjkoirtkl 
OBSolinaki  I,'  544;  II,  i.  393. 
OBBolinaki.  Qraf  Jos,  11,1.  442. 
Ostaszewsk^,  Spirid.  I,  571. 
Ostrorog,  Job.  ll,  i.  28—29.-  35. 
Ottrowski,  B.  II,  i.  11. 

ü,g :.._..  ..Google 


Oatrozskij,  Fünt  Koostant.  I,  439.  430. 

4SI.  441.  442.  688. 
Ottersdorf,  SixtoB  von  s.  Sixtos. 
OttmaDD,  Rnd.  n,  i.  479. 
OtwinowBki,  Erosm.  11,  i.  121. 


Pttobomias  I,  216. 

Faau,  L.  n,  I.  475. 

Padulica  s.  Fisoli,  Zeao. 

Pftdnra,  Timko  1,  571;  II,  i.  218-219. 

PseloviE  I,  378. 

Fuä  I,  398. 

Fkjeij  g.  Paysius. 

PftlftckJ,  Frani  I,  5.  210;  II,  s.  2.  34. 

37.  38.  42.  48.  53.  64.  68.  73.  75.  85. 

100.  115.  118.  125.   130.  141.    142. 

161.  165.  187.  195.  209.  211.  214— 

21&  223.  226.  230.  231.    245.   24G. 

268—274.  283.  328.  355.  378.  395. 

400.  445.  446.  459. 
Pftlirik,  Job.  (Be*kydov)  H,  *.  346  — 

346.  347. 
PalanzoT  ü,  i.  280. 

PftlftOBOT,  N.  I,  150. 

Patenzov,  SpiridoD  I,  18.  74.  76.  120. 

130.  135.  155.  170. 
Pilei,  Steph.  v.  U,  t.  99. 
Palivoda-Karpenko  1,  565. 
PeJkoTiS,  Qeorg,  kathol.  Slovak.  II,  i. 

Palkovie,  6.,  proteet  Slovak   II,  t. 

190.  192.  201.  214.  318—319.  322. 

323.  326.  328.  389. 
Palmotiä,  Giore  a.  Jakob  1,  249.  250; 

n,  I.  473. 
Palmotiä,  Junius  I,  243.  248—250.  346. 
Palmotta  (Giusno)  s.  Palmoti6,  Janiiu. 
Pamva  Berynda  I,  429.  439. 
Fau^ot  a.  Hitov. 
Pauk,  Christ  U,  i.  419—420.  421. 
Papaliö  I,  237. 
Paprooki,    Barth.  II,  i.  86;  U,t.  71. 

168. 
Parapat,  J.  L  386. 
{Paraeohoi,  ÄohiU  II,  t.  476.] 
Farczewiki,  Alfoiu  J.  II,*.  392.  398. 

400.  408.  424-425.  ^6. 
Par£i<S  I,  184.  218. 
Pardnbia,  Smil  von  i.  Smil. 
Parkoaz,  Job.  U,  i.  30. 
Partenije  Zografskyj  1,  163. 
Partioky,.0.  I,  483.  566.    5G6.   570. 

572. 
Panun-Sohulze,  Job.  tl,  i.  375. 
Paaek,  Joh.  Chr.  11,1.  103.  104.  105. 

121.  122. 
P»Btri6,  Joh.  I,  228. 


8t«r.  499 

Patera,  Adolf  U, ».  28.  29.  39.  48-49. 

51.  53.  62.  196. 
PatOD,  A.  A.  I,  66.  Ifö. 
Paul  TOQ  Prag  b.  Zidek,  Paal. 
Pauli,  2egota  I,  555.  571.  581;  11,1. 

9.  108. 
Paaliny  Töth,  Maria  II, ».  344. 
Panliny-Toth,   Wilb.   II,  ».  331.  339. 

341.  342 344.  348. 

Paviä,'  A.  B.  I,  218.  241.  248.  340.  344. 

366;  U,».  476. 
Pft»linoyi6,  Mich.  I,  308.  307;  II,  t. 

474. 
Pttviov,  P.  I,  399. 
Pavlovie,  Alei,  I,  579.  584.  585. 
Pavlovig   von  Dnpnica,    Chiistaki    I, 

129.  144.  151. 
Pavlovi6,  Jov.  I,  205.  312. 
Pavlovi6,  St«pb.  I,  309. 
Pavlovie,  Todor  I,  289.  290.  319. 
PavlovBkij,  A.  I,  400.  643. 
Pawgzki,  Peter  a.  Skarga. 
Pawikowski,  G.  U,  i.  264. 
Pawinski   (Pavinakij),   A.   II,  i.    122; 

II,  i.  376.  377. 
Pawlow,  Frau  Karolina  (geb.  Jönitcb 

oder  riabtiger  Janiez)  11,  i.  262. 
Payne,  Peter  II,  ».  100.  108.  129. 
PayiiuB   (Priestennönoh)   I,    74.    121. 

141-144.  153;  II,  s.  4ea 
Payeius,  serb.  Scbriftateiler  I,  207. 
Peoh,  Henriette  s.  ErianohorBk&. 
Pecb,  oberl.  Serben  «.  Pjeoh. 
Peobnik,  A,  U,  i.  276. 
Pejateviä  ( PejaoBeviob )  I,    183.  209; 

11,  i.  442. 
Pekarakü,  P.  P.  I,  428.  438.  443.  449. 

452-454.  467. 
Pelagi<!,  Vaaa  II,  >.  474. 
Pelegrinoviti  I,  244. 
Pelzel  U,».  158.  175.  176.  182  —  183. 

185.  189.  190.  202.  230.  4^. 
Pergoii«  I,  260. 
Petuia,  F.  J.  n,  t.  4. 
Perwolf,  Job.  I,  29;  U,  i.    17G.  188; 

II,  J.  194.  218,  279—280.  373.  876. 

377.  443.  466. 
Pelina,  Thomaa  II,  i.  175. 
Peter  R    Njegui   I,   293.    299—302. 

306.  307.  362.  364;  11,  t.  447. 
Petkovii,  K.  I,  82.  299. 
Petranoviö,  Bogolinb  I,  366.  866. 
Petranovic,   Bozidar  I,   89.  290.  304. 

330.  361. 
Petranovi^  Gerasim  I,  290.  304. 
Petrenko  I,  474. 

Petrov,  N.  I,  183.  511;  II,  ».  47a 
Petrovie,  L.  II,  J.  474. 


...,  Google 


Petroviu,  Mirko  8.  Mirko. 
Petrovic,  Vasilije,  Vladyka  I,  2l 


n,j 


474. 


Peti-ovBkij,  M.  r,  67.  184.  326.  365. 

Petröw,  Alex.  II, ».  425. 

PetraSevie.   Änt,    I,  530.    569—570; 

II,  ».  39.  43.  196. 
Pfeffinger,  Job.  11,  *.  376. 
Pfleger-MorevBky,  Gurt.  11,  «.  255.  260. 

262. 
Pfnl  (Pfulil)  I,  28;  II,  s.  876.  378.  383. 

397.  402.  40Ö.  410-411, 
P(riil),  Emilie  II,  3.  409. 
Philaddphua  ^.  ZämrskJ. 
Pbilaret  (Filaret),  Bischof  von  Riga 

und   Öemigov  I,  61.  126.  4.S1.  433. 

434.  486.  442.  467.  478. 
Philonomus  s.  Bene^ovskJ. 
Piueoki,  Paul  II,  i.  119. 
Picek,  Wenzel  Jaromir  II,  i.  234. 
(Picot,  fimile  I,  184.  209.  315.  316.] 
P!6,  Joa.  L.  H,  ».  223.  281.  290.  291. 

305.  312.  328.  330.  337.  358.  479. 
Pilw  II,  ».  3. 

PilaKk,  Steph.  11,8.  172.  .308. 
Pilat  II,  1.  171.  429. 
Pilgram,  Nikolaus  vou  (gen.  Biskupeo) 

II,  t.  109-110.  129. 
Piaaf,  Bartol  e.  Bartholomiae. 
Piaarevskij  I,  474. 
Pisaraki,  Achatiaa  U,  i.  109. 
PIsek,  Wenzel  von  (Piseoky)  II,  i.  126. 
Piskunov,  F.  I,  401. 


».  404—406. 


Pieeh  (Pastoi)  II, ) 
Pjech,   Job.  Tr.  II,  s 

480. 

Pjekaf  II,  *.  401. 
Pjenok  II,  I.  401. 
PlachJ,  Andr.  II.!.  311. 
PlachJ  (FeruB),  Georg  11,  i.  176. 
Platev  I,  24. 
PleterSnik  I,  16.  382, 
Pletner  I,  488. 
Pliska,  M.  N.  I,  44ö. 
Plohl-Herdvigov  I,  367. 
PloäEanakij,  V,  I,  mi. 
Pobädonoscev,  K.  II,  *.  158. 
Poczobut,  M.  0dl.  U,  i.  138.  197. 
Podibrad,  Ilynek  II,  g.  145. 
PodlipakJ,  Dr.  II,  i.  284. 
Podlipskä,  Sophie  ^eb.  Rott)  II,  >.  262, 
PotUavniiki  I,  394. 
Pogodin,    H.  P.    I,   51.  53.  403.  404. 

m-,  II,  i.  204.  211.  223.  331.  399. 

400.  436.  442.  449.  453.    474.    475. 


Pohont,  J.  II,  s.  402. 

PokornJ,  Rud.  11,  i.  258.  .%33.  358. 

Pol,  Vinc.  II,  1.  396.  397—405,  411. 

Polik,  Milota  Zdii-ad  II,  t.  233—234. 

Polevoj,  N.  A.  II,  1.  256. 

Polikarpov,  F.  I,  429. 

Polockij,  Simeon  I,  443.  451. 

Polonskij,  Jak.  P.  I,  483. 

PolonuB  Germauns  a.  Dr.  Jochma»:. 

Polzio,  Harant  von  s.  Harant 

Poniatowski,  Stan.  Aug.  II,  i.  136. 

Popai-kov  I,  157. 

Popov,  Alex.  N.  I,  298.  302.  343.  365. 

421. 
Popov,  Andieaa  I,  75.  79.  111.  112. 

121.  122.  124.  126.  127.  128. 
Popov,  Nil  A.  I,  178.  183.  184.  578; 

II,  ».  204.  213.  218.  223.  273.  472. 

475. 
PopoviC,  Job.  I,  381.  382. 
Popovi£,  Matv^  I,  374. 
Popovi^  Rajno  I,  161. 
PopoviE,  V.  I,  163. 
PopoviiS,  Gabriel  I,  296. 
Popovii,  Jovan  Stei-yi^  I,  291.  2Äi 

Popovic,  MiloS  I,  290.  296.  309. 

Popovic,  Panta  II,  ».  474. 

Popovid,  Steph.  I,  309.  364;  II,  t.  474 

Porfirij  Uspenakij  I,  82. 

Porfirjev,  I,  I,  96, 

Poailovic,  Paul  I,  232. 

Posoäov  I,  455. 

[Posaatt  I,  183] 

PoBt,  Job.  II,  i.  418. 

Potebnja,  A.  I,  28.  400.  405.  469.  509; 

n, ».  277, 
Potooki,  Graf  Job.  II,  i,  375.  442. 
Potooki,  Waol.  H,  i.  107.  109-114. 

152, 
PotoCnik,  BIhz  I,  383. 
[Pott  I,  6.  28.] 
Fozoanovic,  Nenad  b.  Martiv. 
Praohatio,  Christian  von  IL  t.  97. 
PraE  II,  I.  358. 
fPrangeer,  A.  E.  1,  369.J 
PrätoriuB  II,  t.  389. 
ProuB  I,  330, 

Pravda,  Frz,  s.  Hliuka,  Ad«Ib. 
Prawdonaki  a.  KamieÜBki,  Heinr. 
Prandzioki,  Spiridion  b.  KraaiABki. 
Prefit  von  Tlkanov  U,  t.  190. 
Preiaa,  P.  I,   55.  342.  356.  358.  359. 

360.  363.  365;  11,  i.  434;  II, ».  44^ 

FFelonf,  Thom.  von  ü,  i.  139. 
Preradovitf,    Peter  I,  332;  II,  t  475. 


ü,g :.._..  ..Google 


PrCBl,  Job.  Svatopl.  11,  >.  203.  '21i. 
Freieren,  Frz.  I,  383.  390;  II,».  477. 
I^'bram,  Job.  II,  i.  100.  101.  105.  109. 
Proobük^  FanstiD  II,i.  65.  18-J.  lFt4. 

Prochizka,  L.  U,  i.  18. 

Prooop,  Cbronist  II,  i.  IIT. 

Prokop,  Abt  n,  I.  27. 

Prokop,  böhm.  Bruder  II,  ».  138. 

Prokop  von  PiUen  II,  i.  98. 

ProkopoviS,    Theophan   I,  24(i.    443. 

452.  456.  462. 
Protiva,  Job.  II,  s.  99.  129. 
tPrümera  II,  t.  376.1 
Pmno,  Job.  II,  s.  307. 
Prvanov,  N.  I,  129. 
Pryzuv,  I.  1,  401.  478. 
PrzerfawBki,  Job.  II,  i.  237.  2il8,  260. 

262.  387. 
Przezd£ieoki,  Alex.  II,  i.  27. 
PrzyborowBki   II,  i.   53.   67.  68.  219. 

296. 
Przytecki,  SUnist.  II,  i.  109. 
pBendo-KoniaskiJ  e.  Koniaskij,  Georg. 
PtaBzycki,  St.  II,  t.  479. 
Ftoobaeui  a.  Lomnickj-. 
Pabieka  II,  i.  215. 
Puohmayer,  Ant.  Jar.  II,  t.  190.  191. 

192.  200. 
Paoiö  (PnEic),  s.  Medo-Pucic,  Graf. 
[Puffendorf  I,  447.] 
Pnlkava  II,  >.  65.  115.  190.  439. 
[Pulszky  U,  ».  222.  303.] 
PurkyoS  n, ».  162.  228.  230.  398. 
PnSkiD,  A.  S.  I,  355,  385.  474.  478. 

505.  513.  558;  II,  i.  205.  239.  243. 

260,  261.  269.  293.  299;  11,  ».  242. 

255.  281. 
Pypin,   A.  N.  I,    84.  86.  94.  96.  213; 

n.  t.  71.  384.  439.  456.  480. 


qnia,  Ladisl.  II,  t.  258. 


Babatein,  Job.  II,  s.  12U. 
Baozyniiki,  Graf  E.  II,  i.  181. 
KaCki,  Franjo  I,  51.  75.  89.  183.  218. 

304.  338—339.  341.  368;  H,  i.  232. 

283.  466.  475. 
Räda,  R.  II,  t.  401. 
-  BadiEevic,   Branko  I,  297.  305.  307: 

II,  3.  474.  476. 
Itadivitovakij,  Ant.  I,  442. 
RadliuBky,  Andrea»  II,  s.  347.  349. 
Radolinskij,  A.  I,  561. 
Itadoslavov  II, ».  469.  470. 
RadoEtova,  J.  K.  z  U,  >.  3W. 


9ter.  601 

Kadovan  t.  Martiö. 

Badulov,  S.  I,  1&^. 

Radyserb  s.  Webla,  Job. 

Radziwitr,  Albrecht  11,  i.  121. 

Rafaj  I,  261. 

Kaie,  J.  I,  67.  183.  209.  21U.  267.  277. 

■  278.  347;  11,».  442. 

Rt^acsicB,  BaroB  I,  18:^ 


Rajkovit-,  J.  I,  297. 
Rakiö,  V.  I,  277.  278. 
Rakovec,  Dragut.  I,  319.  325. 
flakovakij,   Geoi«  Stojko  I,    18.  145. 

157.  163-165.  171.  178.  179.  180; 

H,  ».  447.  469.  470. 
Rakovskij,  Ivan  I,  678.  579. 
Rakowieoki,  Ign.  II,  i.  188;  II,».  41. 

442. 
[Ramband,  Alfr.  II,  i.  458.  478.  480.{ 
Rantina,  Dinko  1,  239.  244.  245.  324.  /l' 

346. 
Rank,  Joseph  II,  t.  3.  4. 
[Ranke,  L.  I,  183.  190.  191.  282.  343.] 
Rapacki,  W.  I,  530. 
[Rasch,  Gant.  1,  299.] 
Ratk^j,  Georg  I,  260. 
(Raumer  II,  *.  376.] 
Rautenkranz,  Joseph  II,  i.  191. 
Ravnikar,  Matthäuü  I,  382. 
[EedeD,  M.  von  II,  i.  427. 
[Reinsberg,  Baron  II,  >.  367.) 
Rei  V.  Naglowioe  II,  i.  45-53.  56.  281; 

II, ».  479. 
Relkovit,  Job.  Steph.  I,  256. 
Relkovie,  Matija  Ant..  I,  256.  267.  349. 
RembrowBk),  Alex.  II,  i.  125. 
RenC,  M.  II,  i.  413. 
RSsenec,  Andr.  Anastasov  11,  i.  472. 
[Rettel,  L.  I,  51.] 
Rgzak,  Pbil.  11,1.  414. 
Rezek,  Ant.  II,  *.  175.  278. 
RheinBtein,  Job.  von  s.  Kardinal. 
Ribay  (Rybay),  Georg  II,*.  311.  317. 
[Richentbal,  Ulrich  F.  II,».  84.) 
Richter,  Igaaz  II,  i.  11. 
Richter,  P.  11,  t.  415. 
[Riedel  II, ».  376.] 
Eieger,  Franz  Ladial.  I,  5;    II,  i.  23. 

217.  283. 
Rigelman,  Alex.  Iv.  I,  463.  515. 
Rigger  II, ».  183. 
[Rischka,  Rob.  II,  ».  479.] 
Riatic,  Jovan  I,  185. 
RistiL-,  KoBta  I,  365. 
Ritter  b.  Titezovic. 
Rittei-sberg,  Ladw.  U, ».  240.  247. 
Rittich,  A.  I,  530. 


.u.,Goog[f 


Robert,  Cyprien  1,  fiB.   102;  11,1 
fBobinaon,  Freu  s.  Talvj.] 


137. 

Röla  n,>.  411.  415. 
Rolle  n,  I.  342. 
Boepell  II,  I.  9.  131. 
RoBa  1,  256. 
Roea,  Weozel  U,  i.  176. 
[Rosen,  G.  1,  166.  175;  II,  s.  471.] 
Rosenberg,  Herr  von  II,  i.  66. 
RoBkiewioz,  J.  I,  16.  183, 
Roatok,  Mich.  11,1.  402.  409.  411. 
BostovBkii,  Demetr.  I,  443.  451.  455. 

462. 


Rozen,  Baron  V.  II,  i.  468. 

Rozkochan^  II,  ».  46. 

Roznm  11,1.  15B. 

Rozmitäl,  Leo  von  II,  x.  15K. 

Roznay  II,».  li*2. 

Roiycki,  Karl  II,  i.  2!II. 

Huban,  V.  I,  400. 

Rubci,  Fr.  Jar.  II, ».  2:1.5.  23!l.  243. 

Rudandkij,  St.  I,  TiOO.  568, 

Rudawski,  Laureutiua  II,  i.   Iltl. 

RndCeuko  I.  J.  I,  51K. 

Rndnay,  Alex.  11,  i,  :(L4. 

Rnlik,  Job.  II,  1.  190.  191. 

KuSBDV,  A.  A,  I,  518. 

Ruvarac  i;  207. 

Ruzic  a.  Roaa. 

Rybay  a.  Ribay. 

RybiCka,  Ant  U, «.  44.  12i.  156.  191. 

201.  278. 
Rybnikov  I,  36. 
Rycboioki  a.  Dzioduszyuki. 
Ryl6ev  I,  385.  505;  II,  ».  281. 
Rymarkiewicz  11,  i.  429. 
Rymavsk^  a.  Franoiaci. 
Rz^zewski,  Adam  U,  i.  114.  115.  419. 
Rzewuaki,  Heinr.  II,  i.  254.  2fiO.  265. 

281.  317.  382-390.  413.  415.   416; 

n,  j.  242. 
Kzewaeki,  Severin  II,  i.  178. 
Räihft,  F.  V.  II,  t.  467. 

Saatz,  I'et.  Himce  von  (^ateck^l  II,  ». 

109.  479. 
SftbbaB  (Sava),  1,  75. 
Sabina,  K.  II,  a.  4.  231.  236.  239. 
Sabljar,  Mijat  I,  325. 


Sabov,  Kyrill  I,  57a 
Sadyk-Paacha  a.  Cz^konaki,  Mich. 
SafoDOviE,  Theodosiue  I.  439.  44K. 
Sahi^daCnyj  b.  KonaieviL-. 
Sakowicz   (Sakovi6],   Caaaian  I,    438. 

450. 
Salatiö,  Ivan  I,  254. 
Samarin,  Jurij  I,  44a  491. 
Sameo,  Max  1,  386. 
Samovidec  I,  400.  445-446.  U7.  463. 

479.  515,  582;  U, ».  477. 
(Sandel  11,1  151.] 
Sanockij  (statt  von  Sanok),  Hioh.  I. 

425;  II,».  477. 
ijanok,  (iregor  vou  a.  Gregor. 
Sapuno V,  Peter  1,  145. 
Sat'biewBki,  II,  t.  lOK. 
Karniokij  I,  509. 
Sa«inok,   V.  V.    II,».   291.  312,    349. 

350-351.  366. 
Satanuvakg,  Arseniua  I,  43.9. 
»auei-wein,  I)r.  Ü.  II,».  421.  422— 424. 

426. 
Sava,  aerb.  Heil.  I,  187.  204.  205.  20«. 

3ia 
Sava  a.  Sal>ltas. 
Savtinakij  I,  556. 
[Saxo  GrammatiouB  II,  ».  376.] 
[Schaafr  II,  ».  135.1 
Schafai-ik  a.  Safahk. 
Schaguna,  A.  I,  530. 

EAeitz  II, ».  nm.] 
iberb  I,  298.1 
himek,  M.  I,  183;  II,».  176. 
Schindler,  Job.  Sig.  Fr.  II,  ».  418. 
Scbkviner  a.  Skrinjar. 
Schleuhta  r.  äleohta. 
[Sohleiohei-,  Aug.  1,  6.  7.  2«.  54.  404; 

II, ».  376.  378.1 
rSchlözer,  A.  L.  v.  I,  6.  139.  181.  401 ; 

II,».  441.] 
Sohmaler  b.  Smoler,  Job.  ¥,. 
Sohmedee,  C,  von  I,  530. 
[Scbmidt,  Job.  I,  7.  28;  II,».  277.] 
[Schmidt,  Kall  U, ».  165] 
fSohinitt,  F.  I,  16] 
Schmitt,  B.  Szmitt,  Heinr. 
Schmutz  II, ».  388. 
Schneider,  F.  II, ».  383. 
[Schnurrer  I,  374J 
Schok,  Wenzel  Ili ».  255. 
Soholze  (SoHa),  J.  T.  11, ».  413. 
Schonfeld,  Ferd.  II,».  151. 
Schönleben,  J.  Ludw.  I,  378.  379. 
Sobrey  (§rsj)  I,  380. 
[Scbubert,  ü.  W.  II,  ».  388.] 


ü,g :.._..  ..Google 


Sufauiz,   Ferd.  II,  i.  !».  56.  19^.  ^04. 

253.  261.  381. 
Scholz,  Wenzel  II,  t.  196. 
Scbnlze  n,  i.  135. 
fSohwammel,  Ed.  II,  s.  42.] 
[Sohwandtner  I,  280.) 
[Schwurtz  II,  t.  376. 
[Sohweiger  -  Lercbenfeld,    Freih.  von 

II,  t.  172.1 
(öchwicker,  J.  H.  II,  i.  472.) 
KSastnyj,  %tlomo  I,  584. 
Seiler  (Zejler),   Andi-esB   II,  t.   383. 

395—397.  400.  401.  402.  404.  409. 

411.  412.  414.  421.  423. 
Seljan,  D.  I,  217.  323. 
Seraentovekij,  A.  I,  518.  529. 
äemiui,  Mioh.  II,  i.  311. 
äeoekovia,  M.  I,  256. 
Seukovskij  II,  i.  236,  260. 
Sgp  Szantynski  a.  SzarajnBki. 
Serafim,  Pater  1,  145. 
Sickert  s.  Sykora,  Joh.  Aug. 
Siemieneki,  Luoiaa  II,  i.  :il4.  219.  -i!48. 

266.  269.  289:  394. 
Sieniaweki  II,  i.  377. 
Sienkiewiez,  Heim-.  11,  i.  231.  428. 
SiraeOD,  halgar.  Zar  I,  fi8.  6».  73.  74. 

75.  76.  124.  131. 
Siroeon  von  Sngdal  II,  i.  439. 
Simonidex  b.  Szymonowjcz. 
SimoDovskij,    Peter  Iv.  I,  40U.   462. 

463.  515. 
Sinapina  a.  Horäitka. 
[Singer,  Samnel  II,  i.  477.| 
Sixtii»  von  Ottersdorf  II,*.  70.   150. 
SkabalanoviC,  N.  1,  434. 
Skala,  J.  II,  1.  415. 
Skila  von  ZboH,  Faul  II,  i.  16u.  170 

—171.  270. 
Sknlkovskij,  A.  I,  400. 
Skarga,  Peter  I,  434.  435;  II,  i.  77  — 

84.  104.  165.  188;  11,».  176. 
SkarazewBki  II,  i.  107. 
Skomorovskij,  E.  I,  560. 
Skorina,   Franoiac.   I,  421.  422.  423. 

428.  538. 
Skovoroda  I,  466—467. 
Skrejäovsky,  Frz.  n,  ».  284. 
Skrejiovak^,  Job.  II,  t.  284. 
Sknrla  I,  249. 
Skute6Bky  n.  Rybiäks. 
Slidek,  Jos.  W.  II,  *.  258. 
Sladkoviö,  Andreaa  (Braxstoris)  II,  i. 

335-337.  447. 
Sladkovsk^,  Karl  II,  i.  284. 
SUvata,  WUh.  II,  t.  16.  147.  172-173. 

270. 


»ter.  603 

Slavejkov,    P.  R.  I,    136.  157.  160— 

161.  170;  II,  1.  471. 
Slavineckij,  Epiphan.  I,  439.  442. 
Slomiek,  Ant.  I,  384.  387. 
Stopuchowski  (Audr.  von  Slup)  II,  i.  31. 
Slowacki,  Eueeb.  II,  i.  231.  295. 
Slowaoki,  Jul.  H,  i.  6.  259.  284.  29a 

295—380.  390.  .396.  413;  D,  t.  250. 

281.  479. 
Smil  FlaSka  von  Pardubio  11,  j.  57— 

62.  64.  71.  72.  277. 
Smimov,  I.  I,  96;  II,  i.  472. 
Smimov,  M.  I,  530. 
rSmitel,  Ant.  II,  t.  479| 
Smolef  (Scbmaler),  Job.  Ernat  I,  5. 

395;  II,».   383.  384.  386.  392.  395. 

398—404.  405.  406.  408.  410.  411. 

412.  413.  416.  418.  419,  448. 
Smollk,  Job.  II, ».  27& 
Smoljar  a.  Smolef,  Jak  E. 
Smotriokij,  Meletiua  I,  265.  266.  429. 

435.  442. 
Sniadecki,  Andreas  II,  1. 195.  231.  236 
Sniadeckj,  Job.    U,i.    138.  195.  201. 

208.  231.  233.  243.  244.  253.  271. 
Sobieaki,  Jak.  II,  i.  111. 
SobolevakU  II,  i.  256.  267. 
Sobotka,  Primu»  U,  a.  281.  itöi. 
Sokolov,  A.  II,  1.  42. 
Sokolov,  MatvSj  II.  1.  468. 
Solaric,  Panl  I,  272.  277. 
Solovjev,  S.  [,  399.  454;  U,  i.  131.  235. 
Soltanovi<!  I,  237. 
[Sommer,  J.  G.  II,  t.  2.j 
Sophronius,  Biaobof  von  Traoa  I,  67. 

144.  145. 
Sopikov  I,  422. 
SorkoPeviö,  Ivan  (GiaufranceacoSorgo) 

I,  2.52. 
Sorkofevic,  Peter  I,  248. 
Soviä,  Matthias  I,  228. 
Sowitiaki,  L.  I,  484. 
Spasii,  M.  I,  296. 

Spaiowicz,  W.  D.  II,  I.  122.  396;  II,  t. 

[Spftzier,  R.  0.  II,  i.  276.] 
Springer,  Anton  I,  545;  II,  t.  3.] 
Sreikovi«  I,  208.  312.  369. 
Sreznevakij    I,    5.    28.    54.    66.    75. 

78.  96.  97.  178.  202.  285.  286.  311. 

355.   400.  404.  476.  480.  514.  580; 

II,  s.  28.  37.  39.  44.  4a  195.  207. 
211.  222.  364.  378.  382.  383.  367. 
399,  446.  448.  449.  453. 

Staohuraki  a.  Swjoioki. 
SUdnioki,  K.  I,  53a 
IStahlberger,  Th.  n,  i.  342.| 
SUImach,  Paul  11,1.  431. 


...Googlf 


504  iteg 

Stamatovid,  Paul  I,  290. 
SUntev,  T.  Chr.  11,».  469.  471. 
Stanilt  II,  1.  211. 
StaniC  (Stanig),  Val,  I,  383, 
Stanislav  von  Znaim  b.  Znaim. 
StanislaTov,  Philipp  I,  137. 
Stafikovek^,  Jos.  Georg  11,  i.  261. 
StarSevH,  Anton  I.  386—338. 
Stttriokij,  M.  r,  355.  500. 
StarobrÄdakJ  *.  Krajnik. 
Starowohki,  Simon  II,  i.  103.  129. 
Staazic  fl.  i.  171—176. 193;  11,  i,  447. 
Staiek,  Artal   (Anton  Zeman)    ü,i. 

258.  261. 
St-awr  I,  66. 

Stefanovtä,  Djordje  Kojanov  I,  366. 
Stejiö  I,  296. 

Stempel,  Chr.  Fr.  H,  i.  418—441. 
Stephan,  Andreas  11,  t.  154. 
Stephan  Couaul  g.  Conaul. 
Stephan  Dnian  I,  39.  188.  189.  197. 

207.  209—210.  236.  357.  361.  392. 
Stephan  Nemanja  I,  186.  197.  201  — 

204.  213   214. 
Stephan,  der  Erstgekrönte  I,  186.  187. 

197.  204.  206. 
Stemberg,  Ignaz  von  II,  i.  173. 
Steyer  (Jeeuit)  II,»-  154.  176. 
[Stieglitz,  H.  I,  298.] 
Stifter  1,  384. 
StoioaB  s.  Stojkoviö. 
Stoja6koviö,  A.  1,  298. 
Stojadinovic,  Milica  I,  297. 
Sto  anov,  V.  II,  ».  471. 
Stojanov-BnrmoT  I,  156. 
StojanoviE,  Anastas  I,  145. 
StojanovW,  Myat  I,  366. 
Stojko     VladielavoT     e.    Sophroniua 

T.  Traca. 
Stojkovii;  (Stoions)  I,  235. 
Stojkovi6,  Äthan.  I,  278.  282. 
Stooi,  Paul  I,  328. 
Storch,  K.  n,  ».  1G5. 
V  Storoäenko,  Alex.  P.  I,  494.  499.  565; 

II,  s.  478. 
Storoienko,  Andreas  II,  t.  44. 
StOBOb  II, ».  404. 
StraMkJ,  T.  H, ».  171. 
Strasjiewski,  M.  II,  i.  195. 
Strejo  oder  StrejEek  (Vetterns),  Geore 

II,  1.  146.  154. 
StrenJer,  P.  II,  i.  434. 
Stffbra,    Jakonbek     von,    a.   Jakob 

Stritar,  J.  n,  j.  477. 
[Stritter  n,  t.  441.) 
Stmad  n,  t.  200. 
Stroev,  P.  M.  I,  75. 


Strosamayer,  Jos.  G.,  Bisohof  I,  171. 

338. 
Ktronpezniok^,  Ladisl.  II,  i.  260.  262. 
StryjkowBki  I,  448;  U,  i.  86.  440. 
StndniEek,  Boiena  (StadniCkova)  11,1. 

259. 
StuUi,  J.  I,  218. 
Stnpnicki,  H.  I,  530. 
Sturm,  Adam  II,  i.  146.  148.  152. 
Stnrm,  Wendel  II,  i.  134.  175. 
Subotie,  J.  I.  185.  269.  283.  289.  290. 

297.  801 ;  II,  t.  473. 
Subotid,  Vasilye  I.  297. 
Suohomlinov  1,  443;  II,  i.  207. 
[Sndendorf  II,  >.  376.] 
Sndienko,  M.  I,  400. 
Snmlork  s.  Erolmus. 
Sunde&iä,  Jovan  I,  302.  301.  307.  334; 

II,  a.  474.  476. 
Surowiecki,  W.  I,  6;  II,*.  210.  442. 
Suiick},  Sam.  II,  i.  154. 
Suiil,  Frz.  tl,  i.  361.  479.  480. 
SnikoT,  N.  I,  150. 
Svotiü,  Milol  B.  Had£i6. 
SvStlä,    Karolina    (Jobanna    Moiäk) 

II,  s.  258.  260—261.  262. 
Svij,  Pavel  s.  Swjoioki. 
Svoboda,  W.  A.  II,  ».  42.  44.  207—208. 
Swfoicki,  Paulin  I,  571. 
Swideraki,  Titas  II,  i.  119. 
Äwi^tochowBki  II,  i.  428. 
Swientek,  A.  II,  i.  80. 
Sykora,  Job.  Aur.  II,  i.  389.  40&  409. 
Sylvanns,  Job.  U,  t.  307. 
Sylvias,    Aeneas    il,  ».    104.  107.  HO. 

113.  117.  127. 
Syrkii,  P.  A.  II,  i.  468.  469. 
Syrokomla,  W,  b.  Kondratowicz. 
SytnianakJ  s,  Truehl^. 
Sw^tlik  (Swötlik),  G.  A.  U,  t.  388.  389. 
Szignocha,  Karl  I,  416;  II,  i.  S.  9.  12. 

109.  153.  396.  405.  413.  417—418; 

II,  j.  479. 
Szaraniewicz,  Isidor  s.  Saranevi&. 
Szarzynski,  Nik.  Sep  II,  i.  62. 
Szeberinyi  II,  s.  317.  32a 
Szmitt,  Heinr.  II,  i.  ft  131. 
Sztjrmer,  Lndw.  II,  i.  387. 
Szujski,  Jos.  II,  1.  8.  131.  171.  42a 
Szymonowioz,  Simon  II,  i.  tö.  63 — 67, 

214. 


SabEanin,  Milorad  II,  i.  474. 
Sadow,  Fr.  II,  i.  ^1. 
Safank,  Janko  I,  127.  184.  205.  396 ; 
11,1.  470. 


.....Gooj^lc 


äftfaHk,   Paul  Job.    1,  4.  6.  6.  10.  16. 
17-24.  28.  47.  55.  56.  74.  119. 140. 
182.  184.   202.   204.  206.  208.  209. 
210.  2ia   219.   231.  232.  254.  268. 
283.  292.  »17.  370.  371.    390.  392. 
399.    415.    459.    530;     II,   i.    224; 
n,  t.  3.  4.  28.  29.  37.  38,  42.  48.  52. 
53.  56.  130.  196.  208—214.  221.  230. 
245.  285.  290.  291.  312.  319.   320. 
321.  328.   355.  362.  364.   365.  376. 
377.   382.   399.  421.  444  446. 
,  459.  462.  466.  473.  474.  477. 
äafoDskij  I,  463. 
Saraaevit,  Isidor  I,  530.  569. 
SaSkeviC    I,   M2.  543.  551.  557.  558. 
,  561.  566.  584. 
MEogolev  I,  474. 
äechoviC,  S.  H.  I,  556. 
Sejn,  P.  V.  I,  529. 

Sembera,  A.  A.  II,  i.  3.  4.  22,  89.  43. 
44.  49.  53.  91.  196.  207.  278.  291. 
,  328.  479. 

Menoa,  Aug.  II,  %  476. 
^entigar,  Job.  11,  ».  122. 
SeräeneviS  II,  i,  259. 
öevCeako,  Taras  I,  281.  474.  480—483. 
492.  494.  498.  501.  506.   507.   564. 
565.  5G6.  575;  11,1.  218.  229;  H,  j. 
281.  447.  478. 
Kevyrev,   St   I,  53;    II,  i.    256.  259; 
.  II,  «.  246. 

Smbera,  Tbon.  II,  i.  367. 
Simeb  g.  Sohimek. 
Simid,  N.  I,  277;  U,  i.  473. 
biiaokij-ni6  I,  514. 
Siikov  {Admiral)  II,  i.  260;  U,  r  42. 
SiikoT,  T.  II,  i.  471. 
SkrifljaWSohkriner)  I,  380. 
Skultetyr>:-,g^  ».  364. 
§lechla,  Joh.  U,  a.  120.  125.  126. 
ämsHa,  Job.  II,  >.  154. 
Smidek,  Karl  II,  i.  232.  278. 
SmilovBky,  Adalb.  n,  i.  255. 
SmiloTBk^,  Wenzel  II,  j.  261. 
Snigookij  II,  i.  259. 
Sotta  a.  Seholze. 
Spilevakij  I,  528. 
Sraj  B.  Schrey. 

Stfipanek,  Job.  Nep.  II,  r  237. 
Steyr  (Styr)  i.  Steyer. 
SUtn^,  Thom.  II,  i.  74—76.  78.  133. 
«  232. 
Stolba,  Jos.  n,  I.  263. 


»ter.  505 

Stnic,  Wenzel  11, ».  51.  235. 

ätiir,  Karl  II, ».  326.  330.  334.  343. 

äWr,  Lndevit  I,  316,  365.  575;  II,  *. 
289.  303.  319.  320—323.  324.  325— 
331.  345.  365.  367.  378.  399.  400. 
447.  450.  452.  45a  461. 

Sulek,  BogoBl.  I,  218.  340. 

äulgin,  V.  I,  400. 

Snmavak^,  Ferd.  II,  i.  3.  154. 

Svenr,  J.  I,  217. 

Swjela,  Christ  II,  ».  421.  425. 

äyman  (pseud.)  II,  s.  413. 


T.,  A.  II,  *.  478. 

Tablio,   BohuBl.   II,».    192.  196.291. 

30&  317—318.  328. 
TttorskJ,  Jofa.,    böhm.  Bruder  Jl,t. 

139.  146. 
Tiborsk;^,  .loh.,  Slovak,  11,  i.  307. 
Täborsk^,  Joseph  II,  t.  189. 
TalapkoviE  I,  584.  585. 
TalvJ  (Frau  Bobinson)  I,  4.  353.  354. 

355-358.  362.  363;  II,».  1. 
Tarnowski,  Staaiil.  Graf  II,  i.  35.  201. 

203.  248.  276,  277.   296,  298    313. 

351.  428. 
Tarraki  s.  Tniski. 
Tatomir,  Lnoian  II,  i.  9. 
Tebeldi  (Beidtd),  A.  I.  316. 
Tekalija,  Sava  1,  289.  321;  II,  t.  473. 
Temberaki,  StaniBl.  I,  511. 
Teodorov,  Alex.  II, ».  468. 
Teodorovic,  Dim.  II,  j,  222. 
Teplov,  V.  11,  j.  467. 
Terlftjiö,  G.  I,  266.  277. 
Tesik  Molovskjf,  Georg  II, ».  149. 
TeSna^  (Teschuer),  Job.  Fr.  IL  ».  420— 

421.  425.  427. 
T-ev,  P.  I,  401. 
Tham,  Karl  II,  i.   163.  177.  190.  191. 

236. 
Tham,  Wenzel  II, ».  190—192.  236. 
Tbaraeus,  Andreas  11,  i.  385.  40a 
TheodosiuB  I,  205.  206. 
TheodoBiuB  (Mönoh)  I,  128. 
Theodosius  von  Tmovo  I,  122.  123. 
Theophan  ProkopoviS   b.  ProkopoyiB. 
Thietmar  von   MerBebunr  II,  l    24; 

H, ».  376.  377. 
[Thömniel,  G.  I,  16.  183.) 
Thnn,  «rar  Leo  Ton  II,  i.  400;  II,  i. 

303.  347.  400. 
Tbun,  J.  M.  Qrf.  n,  ».  42.  36.  211.  400. 
rrbunmann  U,  i.  441.] 
Thom,  MaUbias  11,  i.  173. 


ü,g :.._..  ..Google 


506.  B«g: 

Tharzo  II,  I.  ISO.  121. 

TiohowftvoT,  N.  S.  I,  75.  84.  96.  104. 

119.  213.  425.  452.  453. 
Tiobj  a.  Mitis,  Thom. 
TioinUB,  Jak.  Xav.  Ü,  t.  388.  408. 
Tiaftrank,    K.    II,  i.   4.  24,  171.  262. 

210.  278. 
Tirol,  Dioiit.  I,  290. 
[TisBot,  V.  II,  1.  383.  428.] 
Tiinov  (Tischnowitz),  Simon  von  II,  i. 

97. 
Tiverias  U,  ».  388. 

TioBOYBkii    I,    155. 

TjutCav  n,  J.  244. 

Tkadle^ek  II, «.  57.  62. 

TkaUu,  Imbro  I,  330.  333;  U,  v.  459. 

TkalEevic  (Veber),  Adolf  I,  340. 

TkalCic,  Ivan  I,  218.  340. 

Tonrnn,  L.  I,  886. 

Tomäiek,  Joh.  Paal  {Thomas  Viligos* 

Vary)  II,  i.  303.  340. 
Tomaiii6,   Nikola  (Nicola  TommaBeo) 

I,  327. 
Tomatik,  Sam.  II,  i.  339.  349. 
Tomek,  W.    U,  1.   2.  43.  64.  66.  245. 

268—269.  359. 
Torai5ek,  Job.  Slav.  11,  i.  222. 
Tommaaeo,  Nicola  a.  Tomaiic. 
Tomaa,  Fr.  U,  t.  66.  190.  191. 
Tonner,  E.  11,».  175.  284. 
Topalovic,  Mato  I,  328. 
Topolga,  KyriU  I,  474. 
Torbar  I,  338. 
Tordinac,  Georg  I,  828. 
Toronskij  I,  566.  58ö. 
T-ov,  M.  1,  536.  546. 
TovaCoT,  Ctibor  von  s.  Ctibor. 
Towianski  U,  i.  221.  225.  288.  285— 

289.  359.  360.  362.  370.  373. 
ITozer,  M.  F.  I,  66.1 
TrajaDQB  von  Saaz  II,  s.  122. 
TrankviUion,  Kyrill  I,  439.  441.  442. 

450. 
TiMOvskJ,  G.  II,».  172.  308.  309. 
Trdina,  J.  I,  369. 
Ttebi/akf ,  W.  B.  II,  *.  261. 
Tredjakovakij  I,  545. 
Ti-embecki,  Stanislaw  II,  i.  140.  142— 

145.  149.  159.  17a  240. 
Trombicky,  Isidor  I,  572. 
TrentoWBki,  BronUl.  II,  i.  368. 
Trizna,  Joseph  I,  441. 
Tmski  1,  320.  327.  334. 
TrofimoviS,  Jesaiaa  I,  440.  441. 
Trpi6,  Velifiko  II,  j.  476. 
Trstenjak,  Davorin  I,  384. 
Trüber,    PrimoB   I,   373—378:   U,  i. 

477. 


Tracht^ -SytniHuBk^,  Andr.  n,i.  339. 

Trnhl«,  Job.  II,  t.  121.  278. 

Trzeoieoki  II,  i.  47. 

Tndüevid,  Maroje  (Marino  Tadisi)  1, 

252. 
Tflma,  HanuS  TencesUv  II,  i.  255. 
Tnp^,  Eng,  ».  Jablousk^,  Bohiul. 
TurEinoviE,  0.  I,  416. 
Targenev,  I.  S.  I,  309.  386.  483.  499. 

506.  558;  II,  i.  242.  281.  406. 
TurinekJ,  F.  IL  ».  237. 
TnmovBkJ,  J.  L.  II,  i.  238. 
Tnrowaki,  J.  K.  II,  i.  7;  85.  1(0.  213. 
Tnrski,  Adalbert  II,  i.  143.  179. 
Tustanovakij  b.  Zizanija-Tustanovakij. 
T-v.,  M.  I,  495.  497. 
Twardowski,  Pan  II,  t.  117. 
TwardowBki,  Ssmael  von  Sikrypna  I, 

447;  11,1.  108. 
Tyl,  JoB.Eaj.  II,  i.  287.  239.  245.  360. 
Tyszyiiaki  n,  i.  405. 
Tyazkiewioz  (Graf)  1,  527. 


l)krainec  s.  Dragomanov,  M.  P, 
UndoUkii,   V.  M.  I,   75.  76.  79.  422. 

425.  42a 
Ungar,  Karl  (Bapbael)  II,  v.  66.  174. 

182.  183. 
lÜngewittar,  F.  I,  IG.] 
Ungnad,   Baron  Johann   I,  227.  228. 

373.  376;  n,  j.  477. 
Drb&nek,  F.  II,  t.  4. 
Urbini,  Mavro  e.  Orbini. 
Uspenikij,  F.  U,  i.  3;  II,  i.  46a 
UBpenskij  b.  Porfirij. 


572. 
üstrjalov  I,  430. 
DtieienoTid,   (^igeBlav    I,  297.   334; 

n,  t  459. 
Üvarov,  A.  S.  I,  7.  75;  II, ».  449. 


Y.,  B.  1,  495. 

Vacek,  Frz.  Jaroai.  II,  s.  284. 

„Vaoerad"  II,  i.  31.  47-49. 

Vaolik,  J.  I,  298. 

TagileviE  s.  Vahylevit. 

Ve£yIeviE  (Vagilovifi,  WagUewioi),  Itmi 

I,  537.  542.  543—544.  557.  584. 
Vajanaky  II,  i.  351. 
Yalentiö  I.  331. 
[ValentineUi,  G.  I,  217.) 


...,  Google 


Vaailij  Petrovic,  Vladyka  von  Monte- 

nwro  B.  Petroviö. 
Vaiek,    AntoD   U.i.  U.  53.  196.  20T. 

278. 
[Vater  I,  353.] 
Vävra,  Em.  II,  ».  281. 
Vävra,  ViDcenz  II,  t.  aSi. 
Vmov,  J.  II,  ».  469. 
Veber,  Ad.  u.  TkalEevit. 
[Veckenstedt,  Edra.  U,  t.  427.] 
Veit  II, ».  139.  * 
Veteilavin,  D.  A.    U,i.  69.  151.  154. 

156-157.  193.  201.  31Ö.  328. 
VeleÜD,  Jan  von  I,  46. 
VeliEko,  Samuel  I,  400.  445.  446—447. 
Venelin,  Jurii  I,  129.  136.  146-149. 

170;  II,».  447. 
Verantius  s.  VranCiü,  Faustiu. 
Venmzio  s.  VranEi*;. 
VerehratBkij,  Ivan  I,  570. 
Veihovao,  Maximilian  I,  262. 
Verkovic,  Stefan  J.  I,  170.  177-180; 

II,  1.  278.  470. 
Vcrtovee,  M.  I,  384. 
Veselinov  I,  157. 
Vesel-KoNeski,  Jovan  I,  3»5.  386. 
Vcielovnkij ,  Alex.  Wik.  I,  38.  84.  «6. 

87.  96.  103.  51'J.    521;    II, s.   472. 

477. 
VcGelJ.  J.,  0.  II,  i.  260. 
Vetranic-CavEiü,  Nikola  I,  237.  241— 

243.  244. 
Vettcma  b.  Strejc. 
Vezenkov,  Stojan  I,  172. 
VezUiü  (statt  Ve.-<elic),  Äleksije  1,  277; 


II,) 


473. 


Vidakovic,  M.  I,  183.  278-279. 
Viktorin,    J.  K.    II,  i.   291.  315.  337. 

346  -  347.  348. 
Viktorin  a  St,  Cruce  II, ».  151.  182. 
ViktoriD  von  VSehrd  b.  ViehiiJ. 
Viktorov,  A.  E.  I,  56.  75.  422;  II,». 

213. 
Vilagosvii7  u.  TomäSek,  Job.  Paul. 
Vilhar,  Miroslav  I,  386. 
Villani,  BaroD  Drah.  M.  II,  t.  235, 
Vikiviiki,   Th.   Ste&novic   II,  j.    474. 

475. 
ViDitfioky,  Karl  II, ».  121.  '2!»,  234. 
Vineentiua  (Chronibt)  II,  t.  64. 
ViSenskij  oder  VÜnevakij,  Job.  1,  435 

-437.  510. 
ViSneTBkij,  Gedeon  I,  443. 
Vilnevakii  b.  ViSenskij. 
ViUliö  I,  250. 


Vitezovic  (Ritter),  Paul  I,  43-44.  260. ' , 

260.  261. 
Vitkovifi,  Gavr.  U,  ».  472. 
Vjaeemskij.  Fürst  P.  A.  II,  i.  256.  259. 

314. 
[Vlach,  Jar.  II,  s.  477.) 
Vladimir  Monomaob  I,  415.  536. 
Vladimir  von  Voljnien  I,  119. 
VUdislav  (Grammatiker)  I,  128. 
VUdiBbv,  Stojko  s.  Sopbroniua. 
Vlasäk  B.  CriaitoB, 
V16ek,  Wens,  II,  j.  232,  259-260.  261. 

262. 

Vlk ,  Chr.  I,  495—499. 

Vodnik,  Valentin  I.   380.  381-382.]^ 

383.  388.  393;  U, ».  447. 
IVogel,  C.  R.  II,  1.  214.] 
[Vogl  1,  355.) 
[Voiart,  Elise  I,  355.] 
Voigt,  Ad.  II, ».  68.  182.  183.  442. 
Vojinovic,  Jov.  I,  366. 
Vüjnikov,  D.  I,  162.  163. 
VojtkovBkij  I,  212.  531. 
VolinekJ  II,  ».  99. 
Vülkmer,  Leopold  I,  381, 
VolkonBk»a,   FürBtin   Zeneide   U,  i. 

259.  264.  268. 
Vollen,  G.  A,  de  s.  I)evolan. 


355.  372.  389.  390;  11,  »,  187.  442.  " 
VovCük,  Marko  s.  M.  A.  MarkoviC  >- 
Vozai-oviü,  Georg  I,  272. 
Vramoc,  .\iiton  I,  260. 
Vrsna,  Fr.  M,  II, ».  362. 
Vräna,  Nikol,  II,  i.  149. 
VranCiü  (Vei-aniio)  I,  344. 
Vi-ftnCi»!(VerMitina)iEan»tin.  U,  »,  440. 
Vratislav  von  Mitrovi«,  Wenzel  I,  345; 

II,  j.  158.  190, 
Vraz,  Stanko   I,  319.  324—325.  332. 

383,  384.  390.  391.  393;  II,*.  448. 

474.  477. 
Vrcblick^,  Jaroslav  (Emil  Bohni  Frida) 

n,  3.  256—258.  264.  266. 
Vr6evii!,  Vuk  I,  302.  365.  367;    11,«. 

474.  476. 
Vrontenko  U,  i.  259, 
Vrlätko  II, ».  42.  43.  76.  114.  187,  188, 

207. 
VBebrd,   Viktorin  Cornelius  v.  I,  39; 

II,  ».  59.  117.  123.  125-126.  lU. 
ViyanovBkij,  St.  I,  267. 
Vxüit  I,  288, 

Vuk  Karadzic  b.  Karadzic. 
Vukomanovi<i  I,  208. 
Vukotinovid,  Ijodevit  I,  242,  319-  320. 

325-  333.  340;  H,  i.  447. 


ü,g :.._..  ..Google 


508 

Viikovic,  Bozidar  1,  216. 
Viiletid,  Vid  II,  i.  476. 
Vulovic,  S.  I,  302;  II,».  473. 
Vydra  n,  t.  200. 
Vymaial,  Fr.  11,  i.  281.  397. 


tWaohamulh,  W.  I,  316.] 
WaoTaw  z  Oleska  e.  Oleika,  W.  z. 
Waga,  Theod.  U,  i.  233. 
WagUewicz,  a.  VahyleviC. 
I-Wddftu,  Alfr.  n,  1.  236.  367.) 
Walde  II,  1.  390. 
Waldhaueer  II,  i.  11.  72.  84. 
Wolewaki,  A.  II,  i.  8.  87. 
Waliokf,  Alfons  II,  i.  419. 
[Walker,  M.  A.  I,  66.] 
[Wallace,  Maokenzie  II,  >.  458.) 
Wapoweki,  Berah.  II,  i.  86. 
Warichina  s.  Worjeoh,  W. 
Waf  ko  n,  1.  409. 
Warazewicki,  Chryat.  II,  i.  85. 
Waeilewski,  Edm.  II,  i.  393. 
I  Wattenbaoh,  W.  II,  a.  28.  467.] 
Waner,  Job.  11,  ».  389. 
Weber  s.  Tkalac. 

W^olewaki,  Sigm.  U,  i.  44.  64.  230. 
Wfgierski,  Thomas  Cwetan  II,  i.  140. 

141—142. 
Weglinaki,  L.  E.  I,  561.  571. 
Wegner,  Leon  U,  t.  29.    . 
Wafils,  Joh.  (Badyaerb,  2ann)  11,  i. 

409. 
[Weisa,   A.   II,  t.   214.245.252.255. 

276.] 
Weltmann  I,  163. 
(Wcnzig,  J.  II,  s.  58.  75.  358.  367.1 
WereezoaynBki,  Joi.  II,  i.  68.  85;  if,  i. 


[Weraebe  IL  ».  375.] 
IWeaaelioji  I,  316-1 
Weiyk,  Frz.  H,  i.  — 


Wilhelm  (Priester)  II, ».  H 
[Wilkinaon,  J.  G.  I,  217.  298.] 
Wilkonski,  Aug.  IL  i.  390. 
Wille,  niederUiu.  Schriftat.  II,  i.  391. 

426. 
Winklewski,  Ä.  IL  i.  168. 
WiiUoa,  Joh.  v.  Ü,  i.  44. 
WiazDiewski,  Michael  I,  412.  416.  422. 

434;  II,  I.  6.  393. 
Witwioki  II,  1.  208.  290. 
Witwioki,  Steph.  11,  i.  381. 
Wjela,  Herrn,  Ferd.  11,».  411. 
Wjelan,  Jul.  Ed.  11,1.  402,  415—416. 
Wlahoviy,  J.  I,  299.  303. 


Wocel,  Joh.  Erasm.  I,  7;  H, ».  3.  42. 

59,  196.  280—232.  245.   248.   265. 

274.  378.  400.  446.  459. 
WöjoicW,  K.  Wtfid.  I,  526;  II,  i.  7.  9. 

214.  393;  n,i.  448. 
Wojoieoh  a.  Adalbert. 
Wojoiechowski,  Tod.  II,  i.  9. 
Wo^ewodzki,  Jaatyn  II,  i.  171. 
Wojkasin  ».  Ceinova, 
WoUki  8,  Bielski,  Joach.  u.  Marl. 
Wolaki,  WUd  II,  i.  392. 
'Worba  IL  j.  382.1 
!iVoi:jeob   (Wariohms),.  Weneel   il,  i. 

385. 
Woronioz,  Joh,  Paul  II,  i.  188—192; 

n,  i.  447.  479. 
Wratiabw,  Ä.  R.  II, ».  1.58. 
Wröblewaki,  Waleryan  H,  i.  8. 
Wrotnowski,  F.  IL  i.  7.  286. 
[Wuttke,  Heinr.  IL  t.  210.) 
Wydlga,  Jo«.  Steph.  H,  i.  121. 


Zabelin,   Ivan  Eg.  I,   487;   U,  i.    10; 

II,  1.  280. 
Zabiooki,  Fraili  H,  i.  14a  168—169. 

Zaborowski,  Stan.  II,  i.  29. 
ZaborskJ,  Jonaa  II,  i.  328.  347-349. 
Zachariev,  St.  I,  66. 
Zachu^aaiewioz,  Joh.  U,  i.  424. 
Zaderackij,   N.  H,  1    2.  3.  204,  229. 

353. 
Zagurovif,  Hieron:rmti*i  ^  1^ 
[Zahn  II,  1.  114.] 

Zakrevskij,  N,  I,  311.  400.  514.  584. 
Zaleski,  Jos.  Bohd.  II,  i.  208.  213.  218. 

219—224.  226.  290.  381.  391;  H,  s. 

242. 
Zaieaakij    (Zaleski)    e.  Oleeka,     Wa- 

Zalewski,  Kazimir  H,  i.  ^8. 
Zaiokar,  Janez  I,  383. 
Zalnaki,  Andr.  Chrys.  H,  i.  120. 
Zalnski,  Jos.  Andr.  II,  i.  127. 
Zalozanak}  II,  i.  149. 
Zamoiiki,  Joh.  II,  i.  37.  38.  54. 
ZimrakJ  (Philadelphns),  Martin  II,  a. 

146. 
Zan,  Thomas  II,  i.  208.  237.  238.  240. 

245. 
Zap,  Karl  Vladisl.  U,  ».  212.  239.  270. 
Zarevit  I,  568. 
Zathey,  Hogo  U,  t.  275. 
Zavfta  von  ZävStic,  G.  II,  i.  158. 
Zawadiki  U,  i.  185. 
Zawisaa,    Christ.   Stanisl.  II,  i.    103. 


121, 


ü,g :.._..  ..Google 


Zay,    Graf  H,  ».   297.  301.  302.  i 

Zborovskij,  V.  I,  566. 
Zbrulavio,  Markolt  von  II,  t.  109 
Zbylitowtki,  Peter  U,  i.  67. 
ZdenEij,  A.  1,  319. 
IZeiasberg,  Heinr.  II,  i.  26.) 
Zejler  s.  Seiler,  A. 


ZeJB^ 


r  11,1 


Zelenko  I,  392. 
Zelenskij  I,  528. 
Zelen^,  Wenzel   11,  t.    197.  204.  218. 

223.  233.  248.  278. 
Zeman,  Anton  a.  St»iek. 
Zemka,  Taras  I,  439.  440. 
/.Snoviev  ä.  Clemens,  Z. 
Zernikov,  Adam  I,  442. 
Zhai-Bkij,  Eug.  I,  565.  Ö68. 
(Ziehen,  E.  fl-s.  377.1 
Zieokiewicz,  Romuald  I,  526. 
Ziael  I,  210. 
Zikmund,    Wenzel  oder  Vüolav    II,  i. 

3,  278. 
Zimmennann,  Job.  Nep.  IL  1.  31. 
Zimorowicz,  Jos.  Barthol.  II,  t.  108. 
Zimorowioz,  Simeon  .1,  i.  106. 
[Zipper,  A.  II,  I.  214,  i21.  275.| 
Zittau,  Peter  von  II,  i.  64. 
IZittwitz  U,  t.  877.] 
ZizaniJB-TuBtanovskij,  Laurent.  I,  429. 

439.  441.  442. 
■"Älataric,  Dinkol,  237.  245.W /-  :-    -■ 
ZlaUrifi,  SISfii  I,  248.  264.  \  ' 
Zm^evic,  Vinoenz  1,  228. 
Zmig-JoTanoviö  s.  Jovanoviü. 
Zmoraki,  Roman  II,  i.  392;  U,  i.  378. 
Znaim,  Stan.  von  II,  i.  98—99. 
Znaim,  Ulrich  von  U,  s.  109. 
Znamenskij,  B.  I,  433. 
Znoemskij  s.  Znaim,  StaniaL  von. 
Zogrtttekyj,  Partenije  a.  Partenije. 


Zoia,  BaroD  Sigm,  I,  381.  388. 

Zora,  Laaaa  II,  t.  473. 

Zorka,  Samuel  I,  447. 

Zoubek,  Fr.  J.  IL  ».  166.  278. 

Zrinyi,  Graf  Georg  I,  260. 

Zrinyi,  Peter  I,  260.  347. 

Zubriokij,  Denis  I,  530.  545.  552.  556. 

5G8-569. 
Znzzeri,  B«rnardo  L  ^61. 
Zuzzeri  (Zuzoriä),  Floria  I,  245. 
Zybrzyoki  a,  Zubriokij. 
Zwahi-,  J.  C.  F.  n,  3.  418. 
Zwahr,  J.  G.  II,  i.  383.  418. 


2arin  s.  Wehla,  Joh. 

^ateok^  B.  Saatz,  Pet  N. 

2ebräk  s.  Lomniokf. 

2ebraWBki  II,  i.  7. 

2^ota-PaQli  a.  Paali. 

ZelechowBki,  Eng.  II,  t.  477. 

^eligowaki,  Eduard  n,  i.  393. 

Zollo  I,  322. 

Zemija,  J.  I,  383. 

^erotfn,  Karl  von  11,».  148. 155-156. 

.  160.  1G2.  171.  273. 

Zidek,  Paul  II,  i.  117-lia 

^inzifov,  K.  J.  L  156.  161—162.  177: 

,  II,  t.  47L 

^teckij,  P.  I,  28.  401.-405.  406.  416. 

^  424.  425.  459.  509.  511.  582.  683. 

Zivkov,  Nikolaus  II,  i.  469. 

iivkoviö,  St  I,  288. 

Zilka  II,  I.   107.  111.  112.  114.  116. 

129.  269. 
ZmiohowBka,  Naroisaa  II,  i.  392. 
2olgar,  M.  I,  394. 
^ukovskij  I,  480;  II,  i.  241.  260. 
2upanBki  I^  i.  231. 


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